1879 / 75 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 28 Mar 1879 18:00:01 GMT) scan diff

Se. Majestät der Kaiser und König haben der hiesigen Stadtverordneten - VerfamuzLung auf die Aller- höchstdemselben zum Geburtstage überreihte Glückwunschadresse folgende Antwort zugehen lassen:

Es hat Mir zur Befriedigung gereiht, von den Stadtverordneten Meiner Haupt - und Residenzstadt Berlin an Meinem Geburtstage so beredte Wünsche zu empfangen, wie die Adresse zum 22. d. M. sie enthält. Gern halte Ih Mich davon überzeugt, daß, was Jhre Zu- {rift Mir darbietet : frommes Gedenken und freundliches Mitgefühl für die Bedeutung des Tages, aus dem Geiste der Bürgerschaft Berlins ge\schöpft is. Wenn die Stadtverordneten mit ihren Glück- wünschen für Mein soeben begonnenes Lebensjahr im Hinblick auf die Zeitverhältnisse den muthigen Ausspruch verbinden, daß die Aus- dauer des deutschen Volkes in Fleiß und besonnener Arbeit stark genug sein werde, den weiteren wirthshaftliben Rückgang aufzuhalten, so will Jch hoffen, daß dieses Vertrauen \sich bewahrheiten wird. Meinerseits werde Jch kein Bemühen \{cheuen, zur Verwirklichung desselben beizutragen. Allein wie eifrig Meine Fürsorge nach dieser Ricbtung auch bleiben wird, so beruht die gedeihliche mitwirkende Unterstüßung dow nicht allein in Meinem persönlichen Bestreben, sondern wesentlich in der geseßlichen Ordnung der allgemeinen wirth- schaftlichen Verhältnisse. Eine den Bedürfnissen entsprechende, um- sihtige Entwicke!ung der Gesetzgebung wird die Besserung unserer Zustände fördern. Ich zwe!fle niht, daß sie ihrer Aufgabe gerecht werden wird, wenn Regierung und Volksvertretung, zu selbstlosem Streben si vereinigend, den Weg zu dem gemcinsamen Ziele an der Hand gründlicher Erfahrung verfolgen.

Berlin, 26. März 1879. Wilhelm.

Ueber den Verlauf der Krankheit, welcher Se. König - liche D: der Prinz Waldemar, a Tod das ganze Land in tiefe Betrübniß verseßt hat, so un- erwartet {nell erlag, haben die Aerzte, von denen der heim- gegangene Prinz behandelt wurde, folgenden Bericht erstattet :

„Se. Königliche Hoheit Prinz Waldemar von Preußen erkrankte am Montag, den 24. d. M., früh, an einer Hals- entzündung, welche jich durch Röthe und Schwellung der Mandeln und der weichen Gaumen, mit Auflagerung eines diphtheritishen Belags auf der rechten Mandel, zeigte.

Das noch geringe Fieber steigerte sich in den Abend- stunden mit gleichzeitiger Zunahme der Schwellung im Halse.

Nach vierstündig anhaltendem Schlafe war am Morgen des 2. ein geringer Abfall des Fiebers bemerkbar; indessen hatten die örtlihen Beschwerden nicht abgenommen, und troz der energish und dauernd angewendeten Mittel breitete sich der Belag mehr auf dem weihen Gaumen und zur linken Mandel aus. Jm Laufe des 25. war bei beginnender Schwellung des Zell- gewebes am Unterkiefer eine Zunahme der Schlingbeschwerden be- merkbar, so daß schon jeßt nur eine sehr geringe Menge flüssiger Nahrung ges{chluckt werden konnte. Die Steigerung des Fie- bers am Abend war nicht erheblich. Die Anwendung der örtlichen und inneren Mittel erlitt keine Unterbrechung.

Nach einem Schlafe von beinahe fünf Stunden in der Nacht zum 26. war keine Abnahme der Schwellung am Halse und an den Mandeln zu bemerken, auch waren die Schling- beschwerden dem entsprechend groß.

Der noch dünne Belag der Mandeln, des Gaumensegels und des Zäpfchens verdicckte sich im Laufe des Tages und zeigte nur am oberen Rande als Wirkung der Mittel zum Gurgeln eine beginnende Ablösung von der Schleimhaut.

Nahrung wurde verweigert, eine Steigerung des Fiebers am Abend war weniger stark als am vorhergehenden Tage. Der Raum zwischen den Mandeln gestattete hinreichenden Luftzutritt.

Gegen 12 Uhr Nachts fiel im Schlaf das unter Schnarchen mühsame Athmen auf, welches sich bei Ermunterung des Kranken zeitweise wieder beseitigte, im Schlafe aber wieder- kehrte, so daß zwischen 1 und 2 Uhr die Vorkehrungen zur Tracheotomie getroffen wurden. Nah 2 Uhr jedoch gewann der Athem wieder mehr Freiheit (28 Jnspirationen in der Minute) und man hörte an allen Stellen der Brust und des Rückens normales Athemgeräusch. Da auch die Stimme lauter geworden und nicht heiser war, so mußte auch eine diphtheritishe Erkrankung des Kehlkopfes ausgeschlossen wer- den, und die Anzeichen zu einer Operation bestanden nicht.

Um 2 Uhr des 27. Morgens fing der Kranke an zu de- liriren; bei gutem, ruhigem Athem und ziemlich kräftigem Pulse dauerte dieses fort, bis um 31/7 Uhr ganz plöulich unter einigen Zuckungen und bei unregelmäßigem Athem der Tod durch Herzlähmung eintrat.“

Berlin, den 27. März 1879.

von Laltgenbel, Pr. Wegner, Generalarzt. Generalarzt und Leibarzt.

Dr. Grader, Stabs- und Bataillonsarzt.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesraths für Elsaß-Lothringen und für Rechnungswesen, sowie der Ausschu desselben für Handel und Verkehr hielten heute Sißungen.

Nach Berichten aus Damaskus und Beirut, welche bis zum 22. v. M. bezw. 4. d. M. reichen, war der Gesundheits- zustand unter der Bevölkerung von Syrien befriedigend. Ebenso melden die nah Bulgarien und Rumelien ent- sandten türkishen Aerzte, daß der Gesundheitszustand dort Überall gut ist, und typhöse Erkrankungen nur sporadish vorkommen.

Jn den Baracken bei Rust schu k befinden sih jener Mel- dung zufolge noch 600 russische kranke Militärs, welche an Malaria cachexie, bezw. an Syphilis, P acea oder Typhus leiden. Die Typhusepidemie in Bo jat bei Kerasonde*) fordert neuerdings täglich 7 bis 8 Opfer. Von 2800 Ein- wohnern sind 271 gestorben und 213 noch krank.

Die im Vilajet von Konia (Bez. Denisli) herrschenden Krankheiten sind theils Blattern, theils Fleo-Typhus.

Jm weiteren Verlaufe der gestrigen (27.) Sißzung seßte der Reichstag die Berathung des Antrages des Abg. Schneegans und Gen. auf Errichtung einer selbst- ständigen Regierung in Elsaß-Lothringen fort. Nach der Rede des Abg. Kablé wandte sich der Unter-Staats- sekretär Herzog gegen die neulichen Ausführungen des Abg. Schneegans. Er müsse bestreiten, daß das Reichskanzler-Amt für Elsaß-Lothringen entgegen der ursprünglichen Absicht sich zwischen den Reichskanzler und den Ober-Präsidenten einge- schoben habe. Was von einer Berlinex und Straßburger „Doppclregierung“, die sich wechselseitig entgegenarbeite, ge-

sagt werde, sei niht rihtig. Der Ober-Präsident des Reichs- landes habe die Ausführung der Gesehe und Verordnungen zu überwachen, für eine regelrehte Verwaltung zu sorgen, und die Entscheidung bei entstandenen Meinungsverschieden- heiten der ihm untergeordneten Behörden zu geben. So sei die Einheitlichkeit der Verwaltung genügend garantirt. Es seien dem Ober-Präsidenten Befugnisse beigelegt, welche in andern deutschen Staaten nur Minister hätten, und seine Machtvollkommenheiten gingen über den Kreis der Macht, die z. B. einem preußishen Ober -Präsidenten innewohne, weit hinaus. Derselbe habe die Verwaltung des Jnnern, einschließli der Polizei, mit Ausnahme der Reichs-Eisenbahnen, zu führen; Handel, Gewerbe, Kultus und Unterricht (mit Ausnahme der dem Reichskanzler unterstellten Universität) ge- hörten zu seinem Ressort, ebenso die Finanzverwaltung, die direkten Steuern und das Kassenwesen. Für den Reichskanz- ler, also für die unmittelbare Berathung in der Ministerial- Instanz bleibe mithin nur noch das Auswärtige, die Militär- angelegenheiten, die Finanzverwaltung bezüglich der Neihs- und der indirekten Steuern. Das seien aber alles Angelegenheiten, die ihrer Natur nah einer Mitwirkung der obersten Jnstanzen kedürften. Ferner sei dem Reichs- kanzler die Sorge für Forsten und Bergbau überlassen. Es liege demselben außerdem ob, Geseßeniwürfe vorzubereiten und zu vertreten. Er habe sodann das Recht, über Beschwer- den in oberster Jnstanz zu entscheiden und an den Dber-Prä- sidenten allgemeine olen zu erlassen. Aber von allen Eingängen des Reichskanzler-Amts für Elsaß-Lothringen bil- deten die einlaufenden Beschwerden kaum 3 Prozent. Auch von dem Recht, allgemeine Jnstruktionen zu erlassen, sei nur ein sparsamer Gebrau gemaht worden. Aus allen diesen Verhältnissen ergebe sh klar, daß der Schwerpunkt und Mittelpunkt der Verwaltung nicht hier in Bælin, son- dern in Straßburg liege, und daß die gegentheilige Behauptung auf ungenügender FJnformation beruhe. Seit aht Jahren kenne er die Menschen und die Verhältnisse der Reichslande, und halte er es darum für seine Pflicht, dies ausdrüdcklich zu erklären. Der Abg. Schneegans habe hinge- wiesen auf das Nebeneinanderbestehen von deutschen und französishen Gesetzen, er habe das als einen „Wirrwarr“ be- zeichnet. Aber die Regierung habe nah der Annexion doch unmöglih tabula rasa mii den | französishen Geseßen machen fönnen, das wäre der größte Fehler gewesen. Aenderungen in dem bestehenden Recht seien nur da getroffen worden, wo sie unerläßlih gewesen, und überall sei die Rüksihtnahme auf die besonderen Verhältnisse des Landes maßgebend geblieben. Aber belassen sei dem Lande das frühere bürger- lide Recht, das alte Prozeßrecht, die frühere Steuer- esezgcbung. Gewiß habe die Unkenntniß der Geée- e das oft niht zweifellose Verhältniß zwischen dcm früher und heut geltenden Recht einige Unbe- quemlichkeit mit \sich gebraht, aber die Zeit und eine wohl geordnete Rechtspflege würden auch über diese hinweg- helfen. Der Abg. Schneegans habe nur die Schattenseiten, und zwar mit großem Geschick und mit Vermeidung jedes Lichtblickes hervorgehoben. Mit Leichtigkeit vermöge er (Redner) ein entgegengeseßes Bild zu liefern. Er könne auf die Ent- wickelung des Wohlstandes in den Reichslanden hinweisen, auf die gute Finanzlage des Landes, auf den dadurch mög- lihen Steuererlaß, auf die Blüthe des Eisenbahnwesens, auf die ‘politishe Entwickelung des Landes, welche cs ermöglichte, beréits im Jahre 1873 eine selbständige Kommunalverfassung, im Jahre 1874 einen Landesaus\huß zu gewähren und 1877 demselben bereits eine Erweiterung seiner Kompetenzen zuzu- geitehen, und sei auch jeßt die Reichsregierung bereit, größere Rechte dem Reichslande zuzugestehen. Er wolle auf andere Momente, welche die Ausführurgen des Abg. Schneegans zu entkräften vermögten, nicht weiter eingehen. Für heut werde das Gesagte völlig genügen.

Der Abg. Lorette verlas als Vertreter Lothringens eine Erklärung, in welcher er der Hoffnung Ausdru gab, daß die S von Elsaß und Lothringen niemals geirennt würde.

Der Abg. Bezanson verlas ebenfalls ein von den Mit- gliedern der Protestpartei unterzeihnetes Schriftstück, welches in ähnlicher Weise gegen eine Trennung in der Verwaltung der Reichslande sich aussprach. Elsaß und Lothringen seien durch ein gemeinsames Loos verknüpft und wollten ihr Geschick auch ferner gemeinsam tragen.

Dec Abg. von Puttkamer-Löwenberg erklärte, dem An- trage Schneegans jedoch nur unter bestimmten Vorausseßungen zustimmen zu wollen. Daß die politishen Zustände nicht normale und befriedigende seien, werde Niemand in Abrede stellen. Es sei daher auch nichts natürliher, als daß von dem Augenblicke an, wo die Möglihkeit einer nor- malen Aeußerung geboten werde, diese Frage auch so- fort auf das Tapet kommen würde. Es werde diese Frage auch nicht früher von der Tagesordnung verschwinden als bis sie eine befriedigende Lösung gefunden haben würde. Er persönlich hätte lieber einen Anschluß an Preußen ge- wünscht; eine solhe Maßregel würde das monarchische Element in den Reichslanden mächtig gestärkt haben, jeßt bleibe aber nihts weiter übrig, als auf der betretenen Bahn die Ent- widckelung des Landes einer definitiven Lösung entgegenzu- führen. Er und seine Partei seien bereit, die berechtigten Wünsche der Reichslande zu erfüllen, aber auch nicht weiter. Jeder Schritt auf dieser Bahn bedürfe der sorgfältigsten Prüfung, man müsse sich die Ziele und die Konsequenzen nah allen Seiten hin klar machen. Die Autonomistenpartei sei e ne sehr zarte Pflanze und die Möglichkeit sei niht aus- geshlossen, daß politishe Stürme diese Blüthe knickten. Das bewiesen die Vorgänge bei den leßten Reichstags- wahlen, bei denen diese Partei recht bescheidene Er- folge erzielt habe. Gegenüber der wohlwollenden Sprache der Ver- treter dieser Partei erklärte der Abg. Kablé, daß er wie in der Nationalversammlung zu Bordeaux noch heute gegen die Annexion protestire. (Redner verlas einige Stellen des Pro- testes.) Troßdem sei derselbe in Straßburg gewählt worden. Von 322 310 Wählern hätten damals 270 000 ihre Stimmen abgegeben. Hiervon erhielten die vereinigten Centrums- und Protestkandidaten 134 000, die Autonomisten 48 000. Diese Zahlen bewiesen, welche Vorsicht bei allen Schritten nothwendig sei. Als selbstverständlih seße er deshalb voraus, daß die parlamentarishe Kontrole dieses Hauses über Elsaß- Lothringen in keiner Weise alterirt werde. Dieses Recht müsse aufrecht bleiben, es müsse, wenn eine Einigung über eine Geseßgebung mit dem Landesausschusse niht erreiht werde, die Siitgeberisthe Regelung dur den Reichstag herbeigeführt werden, auch für eine Trennung von Elsaß und Lothringen

diger Verwaltungskörper finanziell nicht bestehen könne. Auf die Ausführungen des Reichskanzlers eingehend, bemerkte Redner, daß er persönlich sich eine elsaß lothringische Landesregierung getrennt von der Person des Reichskanzlers gar nicht denken könne. Die Autorität des Reichskanzlers sei für die Entwickelung des Landes unentbehrlich. Er habe dort erst den Zauber dieses Namens kennen gelernt. Unter keinen Umständen könne man zulassen, daß aus den Reichslanden ein neues Luxemburg entstehe. Elsaß-Lothringen sei deutsch und müsse deuts bleiben, man erwarte von der Regierung, Taß sie thres deutshen Berufes stets eingedenk bleiben werde. Redner {loß mit dem Wunsche, daß Alles, was aus diesen Berathungen hervorgehen werde, zum Segen der Reichslande und des Deutschen Reiches ausschlagen möge. (Während dieser Rede war der Reichskanzler in das Haus getreten.) Der Abg. Schneegans bemerkte, er habe nur die Absicht, ein Mißverständniß aufzuklären, es liege ihm und seinen poli- tischen Freunden nicht im Sinne, die Reichslande als poli- tisch neutrales Land, als Kulturbrücke hinzustellen. Er stehe auf der Basis des Frankfurter Friedens, den er ausdrüdcklih als Geseß für Elsaß-Lothringen anerkenne. Der Abg. Frhr. von Schorlemer-Alst erklärte, ihm sei, das bemerke er vorweg, jeder Byzantinismus fremd. Abg. von Puttkamer bezeihne die Autonomistenpartei als einen Erfolg der guten Regierung der Reichslande. Er glaube, daß das Regierungssystem im Reichslande als ein mißlungenes zu bezeichnen sei. Es gebe Elsaß-Lothringer, welche die frühere Mili- tärdiktatur der heutigen Herrschaft vorzögen. Auch nach der eben gehörten Erklärung des Abg. Schneegans sei er über die Stellung der Autonomisten niht klar. Seine neu- lichen Worte habe er so verstanden wie der Abg. von Puttkamer, der Abg. Schneegans habe gemeint, daß die Reichslande gewissermaßen eine neutrale Zone zwischen Deutschland und Frankreich, die sich wie Mühlsteine aneinander rieben, bilden sollten. Dies sei aber unmöglih. Das Land müsse entweder französish oder deutsch sein ; er, als Deutscher, sage, es müsse deutsh sein! Der Abg. von Puttkamer habe einen Wahlaufruf des Abg. Kablé vorgelesen, und zwinge ihn dadurch, eine Rede des Abg. Schneegans zu dessen Charakteri- sirung zu verlesen. (Der Redner verlas Bruchstücke aus einer Rede, die der Abg. Schneegans im Jahre 1872 in Lyon ge- halten habe und in der er noch die hestige Sprache des Fran- zosen während und unmitt.lbar nach dem Kriege spreche.) Der ihm Anfangs unverständliher Antrag des Abg. Schnee- gans sei ihm erst durch das Frage- und Antwortsverhältniß zwischen ihm und dem Reichskanzler etwas klarer geworden. Er wiese aber darauf hin, daß schon 1871 das Centrum dur) den Abg. Reichensperger (Olpe) den Antrag gestellt habe, den Reichslanden eine selbständige konstitutionelle Regierung zu geben. Denn ob der Unter-Staatssekretär Herzog in Berlin oder Straßburg sei, das mache keinen wesentlichen Unterschied. Der Abg. Schneegans habe sih auf die früheren Ausführungen des Fürsten Bismarck berufen. Aber warum habe der Reichskanzler nicht früher eine Aende- rung eintreten lassen, da er doch die Verwaltung stets in- spirirt und vertreten habe? Habe er jemals den Unter-Staats- jekretär Herzog oder den Ober-Präsidenten von Möller des- avouirt ? Der Reichstag habe sich hier niht mit den Marxi- malforderungen des Abg. Schne:gans, dessen Rede vielfa den Eindruck ciner Anklage gegen den Reichskanzler hinterlassen habe, sondern nur mit seinen Minimalforderungen zu beschäf- tigen, auf welche auch Fürst Bismarck, zwar nur als Minister für Elsaß-Lothringen, aber, wie vermuthet werden dürfe, nah vorheriger Verständigung mit dem Reichskanzler eingegangen sei. Leider habe der Reichskanzler seine Rede vom 21. d. M. mit einem Angriff auf die geistlihen reihslän- dischen Abgeordneten eingeleitet, obwohl es nicht Brauch dieses Hauses sei, aus der Stellung, welhe ein Ab- geordneter außerhalb des Hauses einnehme, zu dedu- ziren und die Schärfe der Ausführungen eines Abgeordneten an der Disziplinarbefugniß des Präfidenten ihren Regulator finde. Der Reichskanzler scheine noch immer das Bedürfniß des Kulturkampfes zu haben. Redner erinnerte daran, daß, als nach dem Protest die übrigen Abgeordneten den Reichstag nicht mehr besuchten, diejenigen geistlihen Standes auf ihrem Plate verblieben. Man könne ihnen doch nicht zum Vorwurf machen, daß sie ihre Beschwerden vorbrächten. Die Reichs- tagstribüne sei der einzige Plaß, wo sie dies thun könnten, und es fei ihre Pflicht dies zu thun. Was man jeßt wolle, darüber Tonne «r f. nur schwer en. lUlares Bild machen; wenn er die Frage zu beantworten hätte, wessen Elsaß - Lothringen bedürfe. so würde er sagen, es brauche eine wahrhaft deutsche Regierung, eine Gleichstel- lung in den freiheitlihen Rechten mit den übrigen Bundes- staaten, und diese Gleichstellung müsse durch eine Landes- verfassung gesichert werden. Durch die Unterdrückung so vieler Freiheiten, durch die Unsfreiheit werde man die Herzen der Elsaß-Lothringer niht gewinnen. Redner verwies dar- auf, daß man in Elsaß-Lothringen den religiösen Kampf her- beigeführt habe durch die UnterdrückEung der Katholiken, daß man der Presse den Mund verstopft habe und nur offiziösen Preßorganen den Eintritt in die Reichslande verstatte. Gebe das Haus dem Lande die Freiheit, stelle man es gleihberech- tigt den anderen Staaten an die Seite, so werde man damit mehr erreichen als mit einem Wechsel in dem Namen der Regierung. Vor Allem komme man der Bevölkerung mit Vertrauen entgegen, und lasse alles Mißtrauen bei Seite. Der Abg. Frhr. Schenk von Stauffenberg erwiderte, der Vorredner e Aeußerungen des Abg. Schneegans vom Fahre 1872 vorgelesen. Aber damals sei kurz vorher Elsaß-Lothrin-

gen von Frankreich losgerissen, wozu es über Menschengedenken gehört habe, damals sei noch eine gewisse Verbitt.rung durch

den Krieg zurückgeblieben. Man sollte also eine solche Aeuße- rung niht allzushwer wiegen lassen. Namens seiner poli- tischen Freunde könne er zu den neulih vom Reichskanzler mwoitelten Grundsäßen im Allgemeinen seine Zustimmung er- flären. Was die Zustände in den Reichslanden angehe, jo sei dort allerdings manches geschehen, was besser unterblieben wäre; in Bezug auf die politishe Entwidelung des Landes fönne er aber nicht finden, daß diese -Entwickelung eine so be- sonders langsame gewesen sei. Sie wäre noch schneller ge- gangen, wenn niht Vorsicht geboten wäre, denn man könne niht gut einen Schritt wieder zurückthun, den man einmal nah vorn gethan habe. Aber neben der Vor- sicht müsse auch das Vertrauen zum Lande sein Recht finden und ex glaube, Elsaß-Lothringen sei eins der deutschen Länder, das mit am leichtesten zu regieren sei. Aus den Wahlen {ließe er nicht allzuviel in Bezug auf die bestehen-

*) S. Reichs-An;eiger vom 21, d. M.

könne er sich nicht ausprehen, weil Lothringen als selbstän-

den Verhältnisse, hier kämen zu viel andere Gesichtspunkte in

Frage. Da möchte er nun dem Reichskanzler es recht nahe legen, daß er auch die einheimische Bevölkerung der eid lande mit zu dem Beamtenstande heranziehen möchte, zunächst

jeßt bei Rekonstruirung der Regierung in Straßburg. Erst |

wenn das mögli sei, dürfte man das Land als ganz ge- wonnen betrahten. Auch eine Besserung der Preßverhältnisse sei absolut nothwendig, denn man habe in Straßburg mit der offiziösen Presse gar zu \{hlechte Erfahrungen gemacht. Er möchte bitten, daß bei der Neuregelung der reichsländischen

Bevölkerung das Geseßgebungsreht des Reichstages über |

Elsaß-Lothringen aufrecht erhalten bliebe. Jm Ganzen, glaube er, könne man der Entwickelung des Reichslandes ohne Bangen, mit Vertrauen entgegen sehen.

Der Abg. Dr. Löwe (Bochum) theilte diese Hoffnung auc, glaubte aber, daß es, ehe man das Ziel Ae DE Aver Harrens und vieler Geduld bedürfen werde. Die optimisti- hen Hoffnungen der ersten Jahre nah 1870 hätten sih nicht erfüllt, und das sei auch eigentlih vorauszusehen gewesen. Hätte man die Entwickelung vorausgesehen, wie sie sih ge- staltet habe, so würde es sich niht empfohlen haben, Elsaß- Lothringen zu einem Reichslande zu machen, dann hätte es sich mehr empfohlen, dasselbe dem größten deutschen Staate einzuverleiben. Was man dem Reichslande an politischen und wirthschaftlihen Wohlthaten gegeben habe, das sei hingenom- men ohne Dank, aber jede Unbequemlichkeit, die doch einmal unabtrennbar sei vom Begriff jedes Ueberganges, sei ver- größert und aufgebausht worden. Ein gesellshaftliher Terro- rismus \{ließe die Beamten von den Salons aus, sie blieben auf ihre Bureaus angewiesen und hätten eine unbehagliche peinliche Stell.1ng gegenüber ihrer Umgebung. Man werde so zu sagen den Stoffwechsel abwarten müssen, bis die, welche noch von den alten Erinnerungen zehrten, ins Grab gelegt seien und eine neue Generation herangewasen sei, der es leichter werden würde, sich an das neue deutshe Vaterland anzuschließen.

Der Abg. Windthorst erklärte, nah dem Gehörten wisse

mán gar nichts von den Plänen, welche der Herr Reichskanzler |

habe. Bisher hätte man nur vage Erörterungen, Wünsche, unklare Absichten vernommen. Konsultative Stimmen für Elsaß-Lothringen dem. Bundesrathe beifügen wollen das sei ihm ganz unverständlih. Der Bundesrath vertrete das monarchishe Prinzip in Deutschland, diese Hinzufügung von kfonsultativen Stimmen scheine ihm aber etwas sehr demokra- tisches, und von den konsultativen bis zu den beschließenden Stimmen sei nur ein Schritt. Darauf wollte er für heut nux hinweisen. Er und seine Partei werde im Uebrigen für den Antrag Schneegans stimmen, ohne \ich irgendwie zu engagiren. Vielmehr behalte er sich seine Entschließung vor, bis dem Hause bestimmt formulirte Vorschläge gemacht würden.

Der Abg. Dr. Hänel erklärte, da er in der Hauptsache mit dem Abg. von Stauffenberg übereinstimme, so wolle er nur gegenüber den Zweifeln des Abg. Windthorst im Namen seiner Partei hervorheben, daß dieselbe den Vorbehalten der Abgg. von Stauffenberg und von Puttkamer ausdrücklich zu- stimme. Das sei natürlih. Junnerhalb der allgemeinen Rich- tung, welche der Antrag Schneegans andeute, gebe es sehr starke Gegensäße. Die Prätensionen des Landesaus\chusses und gewisser Parteien gingen einfah auf Errichtung eines selbst- ständigen Bundesstaats. Auch der Abg. Schneegans betrachte die ihm jeßt gemachten Zugeständnisse als Mittel zu diesem Zweck. Das widerspreche aber einfah der Natur der gesamm- ten Sachlage. Die Souveränetät der Reichsgeseßgebung auch in elsaß-lothringishen Fragen werde er und feine Partei feiner autonomen Entwicktelung in Elsaß-Lothringen gegenüber aufgeben. Es sei für Elsaß-Lothringen eine Dezentralisation in der Geseßgebung ja {hon angebahnt; auch auf dem Ge- biete der Verwaltung sei diese Dezentralisation erforderlich. n der That würde es am besten sein, wenn mit elsaß- lothringishen Dingen sich nur der Kaiser und der Landes- aus\{chuß zu befassen hätten. Wohl möglich, daß anfänglich bei den anderen verbündeten Regierungen eîne gewisse Eifer- sucht Plaß gegriffen habe, doch diese müsse shließlih der besseren Einsicht weichen. Eine völlige Entlastung des Reichs- kanzlers von der Verantwortlichkeit für die Verwaltung der Reichslande halte er allerdings niht für möglih. Weil er (Nedner) in einem Lande wohne, welhes fremd- ländishe Bevölkerung in sich berge, und die Wir- kungen eines aufgedrungenen Regimentes auf dieselbe beobachten könne, habe er sich niemals JZllusionen in Bezug auf das schnelle Anwachsen eines deutschen Patriotis- mus in den Reichslanden hingegeben. Die dortige Entwie- lung sei im Gegentheil ganz natürlih. Deshalb dürfe man aus jolhen Manifestationen, wie sie der Abg. von Schorlemer vom Abg. Schneegans verlesen habe, keine Konsequenzen ziehen. Wenn man nicht glaubte, solche Männer gewinnen zu können, die solche Reden S lteit dann hätte man Elsaß-Lothringen überhaupt nicht annektiren dürfen. Dasselbe gelte von dem n Kablé, dessen Wahlmanifest der Abg. von Puttkamer verlesen habe, Noch auf eine Generation hinaus werde die Majorität der reichsländishen Bevölkerung nach dem Gedankengang des Abg. Schneegans handeln, es sich in ihrem Lande so bequem als möglich zu machen unter Vorbehalt aller Schiksalsfügungen. Auf diese getheilte Liebe werde man si gefaßt machen müssen. Wenn man erst die nteressen und auch die eigentlihen Gefühle der dortigen Be- völkerung wieder enger mit ihren Angelegenheiten verquickt habe, dann erst würden manche noch heute stark betonte Vor- behalte immer matter klingen, bis sie endlih einmal in einer glücklicheren Zeit, die die jeßige Generation wohl niht mehr erleben werde, ganz verklingen. Er und seine Partei behalte sih selbstverständlich vor, erst einer detaillirten Vorlage gegen- Über eine feste Stellung zu nehmen. dal an ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck

ort :

Ich bin den Herren, die heut gesprochen haben, sehr dan?ebar, daß fie meine Litte erfüllt haben, mir im Namen der verschiedenen Fraktionen mitzutheilen und öffentlih mitzutheilen, wie sie die ober- flähliche Skizze, die id von den Absichten der Reichéregierung bei der ersten Verhandlung über diesen Gegenstand geben konnte, auf- gefaßt haben. Der Zweck meiner Anwes_nheit bei dieser Sitzung mußte ein wesentlich informatorischer seia, und den habe ih ja zu meiner großen Genugthuung erreiht und mich darüber gefreut, daß wir hier über eine Frage verhandeln, in Bezug auf welche die Mei- nungen der verschiedenen hi:r vertretenen Richtungen si weniger fkampfbereit gegenüberstehen, als in Be-ug auf manche andere. Jch habe cine sehr wesentliche Abweichung von der Skizze, die ih mir zu geden erlaubte, eine so große Abreichung, daß ich heute {hon erklären möchte, ih verzweifelte daran, die Kluft, die mi von ihr trennte, übersteigen zu

Éönnen, habe ich nicht wahrgenommen, wenn ich die von den Herren Abgg.

Windthorst und. von Schorlemer vertretenen Anträge, sofort auf eine, den übrigen Bundesstaaten gleihbedeutende konstitutionelle Ver-

| Bedeutung; wenn es bei uns nicht blos, sondern in der ganzen Welt

faffung einzugeben, wenn i die nicht als dringliche Anträge an- sehe. Im Uebrigen aber habe ih auch in der Fraktion, der diese ! beiden genannten Herren angehören, eine Bekämpfung dessen, was in

Arbeit ist, nicht aus ihren Reden ertnommen und verzweifle nicht daran, daß wir zu einem Ergebniß werden kommen können, welches im Reichstage einer großen Majorität fih erfreuen wird. Jch kann mich darüber bestimmter erst aussprehen, wenn ih die Ansichten der verbündeten Regierungen in weiterem Umfange kenne, als es bisher der Fall war. Jch habe bisher nur Gelegenheit gehabt, in vertrau- lichen Besprechungen, zum Theil mit den Landesberren felbst, Aeuße- | rungen darüber zu vernehmen, und roh feine, die niht im Prinzip

zustimmend gewesen wäre, aber die Majorität hat sich erst im Bundesrath festzustellen ; dort wird sich auch feststellen, inwieweit die Wünsche desHerrn Abg. Hänel erfüllbar sein werden, daß der Bundesrath zu einer Ver- einfahung der Landesregierung die Hand biete, so daß die Landes- | regierung fich mehr als bieher zwishcn dem Träger der landesherr- lihen Rechte, Sr. Maiestät dem Kaiser, und den Landesvertretungen von Elsaß-Lothringen abspinnt und daß die Mitwirkung des Bundes- raths parallel mit der des Reichstags da eintrete, wo die Reichs- geseßgebung angerufen werden muß, was ja ebensowohl von Seiten des Landes und seiner Vertreter wie von Seiten der Bundesregie- rungen und des Reichskanzlers der Fall sein kann. Es liect au in meiner Ansicht nicht, daß diese höchste Kompetenz der Reichtgeset- gebung aufgegeben werde, sondern nur, daß das Reich aus der Ver- waltung und den gewöhnlichen Regierung8geshäften, auch aus der laufenden Geseßgebung sich mehr zurückziebe, daß aber die Reichs- geseßgebung in ihrem Zusammenwirken von Reichstag und Bundes- rath doch die Instanz bleibe, an die von beiden Seiten appellirt werden kann, sowohl vom Lande wie von der Regierung, wenn beide Theile unter sich sich nit vereinbaren können.

Daß die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen ihre Veriretung im Bundesrath fiude, halte ih nicht für eine republikanische Einri &- tung, sondern im Gegentheil für einen genauen Ausdruck des wirk- lich stattfindenden Verhältnisses, indem dort die Vertreter der Be- völkerung sich und es ist, glaube ih, der einzige direkte Berüh- rungépunkt mit dem wirklihen Souverän in seiner Gesammt- vertretung im Bunde, in unmittelbarer Berührung finden, nicht gleihberechtigt mit ihm, sondern, in Achtung des monarchischen Prin- zips an dieser Stelle, wo die Souveränctät in ihrer korporativen Vectretung ihr Wort zu sprechen hat, nur mit konsultativer Stimme j während sle ihren, immer niht republikanischen Ausdruck hier im Reichstag dur volles Votum findet. J glaube, daß die Ein- richtung und der Vorschlag die Charakterisirung eines republikani- leise richt verdient hat und diese Andeutung sie niht mit Ret rifft.

_Ith lege hauptsählich aus zwei Gründen Werth auf die Ve- theiligung der Bevölkerung am Bundeërath. Einmal ist es, wie mir die Herren aus den Reichslanden wiederholt versichert haben, im ganzen Lande als eine, wie sie sih französisb ausdrücken, question de dignité empfunden, also als eine der Imponderakbilien in der Politik, die oft viel mächtiger wirken, als die Frazen des materiellen und direkten Interesses, und die man nit mißathten soll in ihrer

noch, ih glaube, eine Majorität von Staatsbürgern giebt, die nicht absolut abgestumpft sind gegen eine Ordensverleihung, so ist das doch ein imponderabile im höchsten Maße. Eine Empfindung, die dadurch befriedigt wird, und wenn sie eine äußere Auszeichnung kann man es nicht nennen, sondern die äußere Gleich ftellung eines der hervorragendsten Volksstämme im Deutschen Reih mit den übri- gen wäre, so würde ich das schon für cinen Fortschritt ansehen. _Ich glaube aber nit, daß blos die Form be- theiligt ist, ih halte es im Gegentheil nach der jeßigen Zusammenseßung des Bundesraths für einen Mangel, daß die Ver- tretung des Reichëlandes in Bezug auf die allgemeine Reichsgesetz- gebung, ganz unabhängig von der Landesgesetgebung von Elsaß- Lothringen, lediglich dur die centralen Reichsbehörden stattfinde, die doch das eigentliche Landesinteresse bis in seine lokale Verzweigung hinein niht mit der Kennt..iß vertreten können, wie es in den übrig-n Bundesländern durch deren Landes-Ministerien, die im Lande wohnen, der Fall ist. Jch erinnere blos an die uns bevorstehenden Verhand- lungen über die Zolltarifgeseßgebung. Da wäre cs sehr erwünscht, auch eine Stimme des Elsässer Landes mit wenigen Ausnahmen des indufstriereihften, das wir im Reiche laben {hon im Stadium des Bundesrathes hören zu können, und nicht auts{ließlich auf die Eindrücke der Reihs-Centralbeamten in dieser Beziehung beschränkt zu sein. Jedenfalls wird das Land dort cin sehr wichtiges Recht in seiner Betheiligung an der gesammten Reichsgeseßgebung, wie sie in Artikel 4 der Verfassung aufgezählt ist, zu üben berufen sein.

,_ Ich untershätze durchai:s nicht die Bedeutung, die der Hr. Abg. Windthorst dem fkonsultativen Votum beilegte. Jch glaube, daß ohne wirkliches Abstimmungsrecht ein konsultatives Votum sich dur das Gewicht seiner Gründe, durh die Bedeutung und das Ansehen dessen, der cs ausspricht, sehr wohl iin Bundesrath Geltung zu ver- schaffen im Stande sein wird. Jh halte das nicht für einen Fehler, sondern für einen Gewinn, wenn €8 der Fall sein wird, und glaube nicht, daß deshalb, weil ein konsultatives Votum {on an sich Be- deatung hat, das Bedürfniß, das konsultative in ein dezisives zu ver- wandeln, so dringend sein wird, daß man ihm nicht widerstehen fieben und wenn es noch so dringexd wäre, wird man ihm wider-

ehen.

Ich habe in Bezug auf die im Laufe der Rede ausgesproLenen kritishen Bemerkungen nur noch eine kurze Erwiderung. ailide

Der Hr. Abg. Dr. Hänel motivirte die weitere volle Betheili- gung des Reictskanzlers an den Angelegenheiten mit dem Bedürfniß, daß hier im Reichétage eine verantwortliche Persönlichkeit erscheine, welche die im Reichélande befolgte Politik vertrete. Ich weiß nit, ob das gerade nothwendig der Reichskanzler sein muß. Der Weg von Straßburg hierher ist nicht so weit, daß der dortige leitende Minister oder ein verantwortlicher Vertreter des dortigen Ministers niht während der Reicht tagésizung hier sein könnte und niht wäh- rend der Bandesrathssißungen hier sein könnte. Denn es wird doch immer die bisherige Vertretung der Reichslande im Bundesrath dur den Vorsißenden des Reichskanzler-Amtes für Elsaß-Lothringen niht ausfallen können, und es wird einer der Minister in Straßburg gerade so gut die Reise nach Berlin machen müssen, wie die Herren Mipvister in Stuttgart und München, was ja zu wichtigen Ver- handlungen des Bundesratl:s nicht zu rermeiden und wird daher ein verantwortlicher Minister immer, auch wenn es nicht der Reichs- kanzler ist, hier die Verwaltung zu vertreten haben. Die Stellung des Reichskanzlers zu dieser Sache als verantwor:liher Minister ist sehr schwierig: Ich habe bisher {on Eindrücke gehabt, daß meine Verantwortlichkeit weiter reiht, als mein Einfluß; beide decken sich nit, und es wücde das in noch höhercm Maße d.r Fall sein, wenn ih den Dingen fo weit fern träte, wie bisher beabsichtigt ist. _Ich will mich noch einer Ansicht des leßten Herrn Redn:r} an- ließen, das ist in Bezug auf die Anwendung von Aeußerungen gereizter Stimmung aus der Vergangenheit auf die Gegenwart. Jch möchte anheimgeben, daß wir da nicht zu genau in den Archiven und den Bibliotheken nachsuchen, um irgend Jemand zu beweisen, daß er vielleicht vor 8 Jahren unter anderen Verhältnissen, unter anderen Hoffnungen und Aussichten eine Aeußerung gethan hätte, die er heute niht wiederholen würde. Jch stelle mih zu solchen der Vergangen- heit angehörigen Erscheinungen bei einem Lande, das 200 Jahre und wohl darüber einer anderen Herrschaft angehört hat, niht anders als gegenüber einem hannoverschen Offizier, der sih bei Langensalza

mi nur auf das zurück, was ich in der vorigen Sitzung über di sen Gegenstand gesagt habe, daß ich mi entschlossen hätte, abzuwarten, bis aus dem Lande Anregungen zu neuen Einrichtungen kommen, und daß ih d-r Ansicht gewesen wäre, es sei nicht fernec nütlib, dem Lande Woeklthaten oktroyiren zu wollen, die vielleiht von Nie- mandem im Lande als solche betrahtet würden. Dieses Moment ift eingetreten, es ist aus dem Lande eine Anregung gekommen, und darin ist, glaube id, die Lage verändert, und in dem Maße ver- ändert, daß ih die Zurückhaltung, in dex ib mich \cit mehreren Jahren Sie erinnera si, daß ih vor länger als zwei Jahren um meinen Abschied gebeten habe, daß ih Jahr und Tag allen Ge- äften fremd geblieben bin, und id fann hinzufügen, daß ih den elsaß-lothringishen länger als diese beiden Jahre fremd geblieben bin es ift die Anregung aus dem Lande der Grund, warum i aus dieser Zurücthaltung h:raus der Sate näher getreten bin, weil ih das in meinem Gewissen geboten fand, gegenüber einer Anregung, die doch imm.rhin von einem Viertel der Gesammtvertretung beider Länder und fast der Hälfte der Volksvertretung, von Elsaz allein gerechnet, ausgeht. j

Im Uebrigen werden die Herren es natürli finden, daß i, in Uebereinstimmung mit den Aeußerungen des Hrn. Abg. Windthorst am Anfang seiner Rede, auf das Detail erst dann eingehe, wenn uns ein Geseßentwurf auszearbeitet vorliegt. I kann mi über den Inhalt desselben hier nit in verbindliherer Weise aussprechen, als ih in der vorigen Sitzung cs gethan habe. J habe da nat einer vulgären Redengtart meinen Sack vollständig vor Ihnen au®gescüttet von allem dem, was ih bisher darinnen hatte. Daß die Formuli- rung dessen, was hier Alle im Prinzip übereinstimmend oder mit mäßigen Modifikationen anerkennen, immer noch eine außerordentlich \hwierige sein wird, daß die Schwierigkeiten des Weges, der vor uns liegt, erst dann lich vollständig fühlbar machen werden, wenn es darauf ankommt, eine in der Sprache der Gesetzgebung gültige und annehmbare Form für die Empfindungen und Willensregungen, die uns beseelen, zu finden, das brauche ih nicht zu fazenz; ib hoffe aber, wenn ih Ihnen Rendezvous gebe zu der Zeit, wo die Vorlage, die wir {on in Arbeit haben, dem Bund:érath vorgelcgt und von ihm modifizirt oder gebilligt sein wird, so daß wir Ihnen die amtliche Vorlage brinç en können, und daß wir dann dieselbe sachliche, wohl- wollende und versöhnlide Stimmung bei allen Fraktionen widerfinden werden, die ich in der heutiger Debatte mit Freuden erkannt habe.

Der Abg. Windthorst (Meppen) bemerkte, die Erklärung des Reichskanzlers erwecke die Hoffnung, daß eine Verständi- gung zu erreichen sein werde; denn wenn auch Hr. von Schor- lemer das Ziel etwas weiter gesteckt habe, so würde seine Partei das Minus do niht ganz aus\{chlagen. Er wünsche den Reichêlanden allerdings eine Vertretung im Bundesrathe, weil die Parität mit andern Ländern dies verlange. Sein Zweifel bestehe nur darin, ob die Grundlage, auf welcher der Bundesrath stehe, kfonsultative Stimmen, hervorgegangen aus der Wahl des Landesausschusses, zulasse. Vorläufig müsse er das verneinen. Der Kaiser müsse die Vertretung anordnen, vielleiht indem er aus dem Landesausshuß 2 bis 3 Mit- glieder ernenne. Um die Verschiebung des Stimmverìält- nisses zu beseitigen, wäre es zweckmäßig, den anderen Staaten ebensoviel Stimmen mehr zu geben, deren Vertheilung \ih leiht machen ließe.

Damit {loß die Debatte. Das Haus nahm den Antrag Schneegans darauf mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität an, worauf sih dasselbe um 4!/, Uhr vertagte.

Jn der heutigen (28.)Sißung des Neichstages;, welcher der Präsident des Reichskanzler Amts, Staats-Minister Hofmann, und mehrere andere Bevollmächtigte zum Bundes- rath fowie Kommissarien desselben beiwohnten, gelangte die Adresse zur Verlesung, welche der Gesammtvorstand des Reichstages an Se. Majestät den Kaiser zu Aller- höchstdessen Geburtstagsfeste gerichtet hat.

Dieselbe lautet :

„Allerdurchlauctigter, Großmächtigster Kaiser und König, Aulergnädigster Kaiser, König und Herr!

An dem heutigen Tage, welcher Glück- und Segenswünsche ohne Zahl aus allen deutshen Gauen zu dem Throne des Kaisers bringt, erfreuen wir uns des hohen Glüdckes, Ew. Majestät den Ausdruck gleicher Empfindungen im Namen des Deutschen Reichstages in tief- ster Ehrfurcht übermitteln zu wollen. Gottes allmächtige Hand möge auch ferner, wie sictlich seither, in Gnaden über dem erhabenen theuren Haupte walten, dem die deutschen Herzen in Liebe und Ver- ehrung unwandelbar zugethan sind.

Ina tiefster Ehrfurcht

Ew. Kaiserlichen und Königlichen Majestät allerunterthänigster und treugehorsamster - S ; Gesfammtvorstand des Reichstages.“ Darauf haben Se. Majestät: der Kaiser unter dem 23. März an den Gesammtvorstand des Reichstages folgendes Ant- wortschreiben gerichtet : Die Mir im Namen des Reichêtages an Meinem Geburtstage übermittelte Adresse habe Jh mit Befriedigung entgegengenommen. Ich danke dem Reichstage für die Meinem Herzen wohlthuenden Kundgebungen der Theilnahme und Anhänglichkeit, welhe in den Mir dargebrahten Glücckwünshen aufs Neue ihren Ausdruck ge- funden haben, und bedauere, daß Jch dieselben in diesem Jahre nit, wie früher, p:rsönlich habe entgegennehmen können. Berlin, den 23. März 1879, Wilhelm.

Ohne Debatte wurde sodann in dritter Bcrathung der Geseßentwurf wegen Abänderung der Geseße vom 23. Februar und vom 23. Mai 1873, betreffend die Verwaltung des Reichs-Fnvalidenfonds, angenommen.

Sodann trat das Haus in die dritte Berathung des Etats pro 1879/80. Jn der Generaldiskussion ergriff zu- nächst das Wort der Abg. Dr. Bamberger. Er warnte die maßgebenden Kreise davor, daß sie die Aufgaben, welche dem Reichstage nah den Ferien bevorstehen, allzu leiht nehmen. Die Finanzreform des Reiches sei allerdings geistig etwas vor- bereitet. Aber ein Gegenstand derselben, der Tabak allein, sei wihtig genug, um auf seine Besteuerungsfrage die zwei noch zu Gebote stehenden Monate der Session nach den Ferien zu verwenden. Statt dessen stehe dem Reichstage das ganz un- bekannte sogenannte T e K Prozramm in Aussicht. No viel unvorbereiteter sei der Reichstag für die großen Zoll: fragen. Der Redner kritisirte sodann das eilige Verfahren der Tarifkommission und erklärte, kein Motiv dafür auf- finden zu können. Die Kalamität in den wirthschaftlichen Zuständen resultire aus allgemeinen Ursachen, die man nit durch Zollmaßregeln beseitigen könne. Hierauf ergriff bei N des Blattes der Präsident des Reichskanzler-Amts das

ort.

tapfer ges{lagen hat. Er hat dafür meine Achtung, aber ich bin weit entfernt, thn daran zu erinnern, daß seine damalige Ansicht mit seiner jeßigen Stellung vielleiht niht vereinbar wäre. Es ist nur zu wünschen, daß dergleichen Aeußerungen, die einer vorübergegangenen Periode der ersten Erregung angehören, sich nicht in zu später Periode und bei den jüngsten Wahlen noch wiederholten und darin stehen die angeführten Aeußerungen sih niht vollkommen gleich.

Ich wollte dann noch den von einem Herrn Redner mir ge-

Nachdem der Einheitstarif für Packete bis 5 kg auch im internationalen Verkehr, und zwar im Ver- kehr Deutschlands mit Desterreih-Ungarn, Dänemark, der Schweiz und Belgien eingeführt worden is, haven neuerdings Verhandlungen wegen Ausdehnung dieses Tarifs auf die Niederlande stattgefunden. Wie wir hören, haben

machten Vorwurf beantworten, daß ih nicht früher, wenn ich Miß- stände erkannt hätte, zu ihrer Abhülfe nicht eing eschritten bin. Ih beziehe

diese Verhandlungen zu einer Verständigung geführt. Jn Folge dessen wird vom 1, Mai ab für alle Pakete nah den