1879 / 106 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 06 May 1879 18:00:01 GMT) scan diff

beri und in Flaschen von 55 bis 80 Oere per Kanne ; von ödherem Alkoholgehalt auf Fässer von 14 auf 20 Oere per

fund und in Flaschen von 1,75 Kronen auf 2 Kronen per

anne; eis raffinirt, alle Arten, sowie unraffinirt, in Polka nicht dunkler als Nr. 18 des im Welthandel geltenden

olländishen Standard von 11 Kronen 60 Oere auf 14 Kro- nen per Centner, und für dunklere als genannte Standard- nummer von 8 auf 10 Kronen per Centner. Den Zoll auf Syrup, s{hlägt der Ausshuß vor, niht zu verändern. Für Tabak, unbearbeitet, proponirt er dagegen eine Erhöhung von 29 auf 42 Oere per Pfund, für verarbeiteten (ausgenommen Cigarren, deren früherer Zollsaß von 1,30 Kronen per Pfund beibehalten werden foll), als gerippt, Schnupftabak, gespon- nen, in Stangen, einen gemeinschastlihen Zollsaß von 50 Dere per Pfund. Die von der Regierung vorgeschlagene CiconaO des Zolles auf Kaffee beantragt der Aus\s{huß ab- zulehnen.

Asien. Birma. (Allg. Corr.) Aus Bombay wird unterm 1. d. M. gemeldet: Die neueste Depesche von der bir- manischen Regierung is} sehr versöhnliher Natur. Die angebliche Ermordung eines weiteren Prinzen wird von den birmanischen Ministern offiziell in Abrede gestellt.

Dagegen erhalten die „Daily News“ folgende, vom 2. d. M. datirte Depesche aus Mandalay: Jm Palaste Een beständig Truppenübungen statt. Die Minister wün- chen Friedea. Es werden aber noch immer Truppen, immer tausend Mann auf einmal, nach den Grenzstationen gesandt. Der Premier - Minister des Königs Thibo i} bei demselben in Ungnade gefallen. Die Masse des Volkes ist für den Krieg.

Aus dem Wolffschen Telegraphen-Bureau.

Rom, Dienstag, 6. Mai. Das Journal „Jtalia militare“ bezeichnet es auf das Bestimmteste als unbegründet, daß der erste General - Adjutant des Königs, Cavaliere Medici, seine Demission gegeben habe.

Odessa, Montag, 5. Mai. Der General-Gouverneur, N Totleben, ist heute Abend 9 Uhr hier ein- getroffen.

Washington, Montag, 5. Mai. Die Demokraten haben in der Repräsentanten-Kammer einen besonderen Gesehß- entwurf eingebraht, wonach bei Vornahme der Präsidenten- wahl die Anwesenheit von Buntestruppen in den Wahlorten verboten sein soll.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Irkutsk. Jn Sibirien wurde unlängst der Kopf eines vor historischen Nashorns gefunden, der sehr gut erhalten ist. Dieser werthvolle Fund ist, nah den „Russk. Wed.“, von der sibi- rischen Abtheilung der geographischen Gesellschaft dem Museum der Moskauer Universität geschenkt worden und soll näcbstens auf der anthropologishen Ausstellung für die Dauer derselben einen Plaß finden.

Gewerbe und Handel.

Aus der Schwarzkopf’\{chen Maschinenfabrik hier- selbst ist am Freitag die tausendste Lokomotive hervorgegangen.

In der am 3. Mai in Breslau abgehaltenen Generalver- sammlung der Schlesischen Feuerversiherunas-Gesell- \chaft waren 247 Aktien mit der gleihen Anzahl Stimmen ver- treten. Aus tem von dem General-Direktor Hrn. Heller, erstatteten Geschäftsbericht ist Folgendes hervorzuheben: Es betragen die Prâä- mieneinnahme des Feuerversicherungsgeshäfts 2 792 191 M, der Ge- winn an Tranéportversicherungen 14040 #Æ, der Gewinn an Spiegelglasversicherungen 49141 K, die Gesammteinnahme 4 624401 MÆ, die Brandschäden abzüglich des Rükversicherungs- antheils 819284 #4, die Reserve für illiquide Brandschäden 194 006 MÆ, die Prämien für Rückversicherungen 1086 801 X, die gezahlten Provisionen 152 143 M, die Lerwaltungskosten 233 991 M, die Prämien-Reserven für Feuerversicterungen nach deren Verstärkung (um 62446 A) 1473032 M, die gesammte Ausgabe 4068 419 M, Der erzielte Reingewinn von 555 982 4 gestattet die Vertheilung einer Dividende von 21%. Nachdem der Rechnungsabschluß speziell erläutert worden war und der Verwaltungsrath über die Prü- fung der Jahresrcchnung Lericht erstattet hatte, wurde, da Monita Ti ziehen gewesen waren, die beantragte Decharge einstimmig ertheilt.

Am 25. Februar d. J. fand in Bremen eine Ver- sammlung von Interessenten des Petroleumgescchäfts statt, in welcher Maßregeln zur Abstellung der berech- tigten Klagen über die in leßter Zeit vershlechterte Qua- lität des amerifanishen Petroleums berathen wurde. Dic „W. Z.“ wveröffentlihßt nunmehr eine Müitheilung des Ver- treters der amerikanishen Raffineure Hrn. F. W. Lockwood in New-York, welcter an jener Versammlung theilgenommen hatte, über den Erfolg seiner bei seinen Mandanten unternommenen Schrittze. Danach hat die „Standard Oil Company“ ihre Bereit- willigkeit erklärt, die hinsihtlich der künftigen Führung des Ge- {äfts gestellten Forderungen auf das Sorgsamste zu erfüllen. Diese Forderungen gingen dahin: „1) daß mehr Sorgfalt auf die Raffi- nirung verwendet werde, damit eine gleihmäßige Qualität hinsichtlich Test, Geruch, Farbe und Brenneigenschaften herbeigeführt wird ; 2) daß bei Herstellung der Fastage die äußerste Sorgfalt beobachtet wird, besonders bei dem Leimen, und daß kein Barrel -efüllt werde, ehe. niht der Leimüberzug vollkommen hart geworden ist; 3) daß der Anstrich der Fastagen aus in sich dauerhafterem Materiale hergestellt werde; 4) daß die Frage der Reifen gleizeitig in Betracht gezogen werde, damit die Ladungen frei von Bemängelung in dieser Hinsicht ausgeliefert werden können.“

_DelP4ig/ 2, Dal, (Weim. Ztg.) In Verfolgung des von der hiefigen Gewerbekammer in ihrer e Sitzung gefaßten Be- {chlufses erläßt diese Korporation unter dem heutigen Tage einen Aufruf an die selbständigen Handwerker Leipzigs und Um- egend, worin die Aufforderung enthalten ist, gleichviel ob unter dem tamen „Innung“, „Genossenschaft“ oder dergleichen zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen sich zu vereinigen. Da wo alte und neue Innungen eines Gewerbes neben einander bestehen, räth die Gewerbekammer, etwa vorhandene Differenzen gütlih zu begleihen und si im eigenen wohlverstandenen Interesse einheit- [lic zu verbinden. Alle Korporationen aber werden ersucht, der Leipziger Gewerbekammer mitzutheilen, in welcher Weise deren Aus- hülfe zur Grreihung des Zwecktes beansprucht wird.

Trie st, 6. Mai. (W. T. B.) Der in der gestrigen General- versammlung der Aktionäre des Oesterreichischen Ll oyd verlesene Jahresbericht konstatirt pro 1878 eine Mehrein- nahme von 2300 000 Fl. gegen 1877; der Gesammtertrag des Jahres beträgt 4 662 368 Fl.; der Reservefonds von 450 000 Fl. ift auf 1 000 000 FI. erhöht ; die Abschreibungen belaufen si auf 1718 165 F|, Der Afsekuranzfonds ist mit 369 686 F[. dotirt; die Verminderung der Schulden beträgt 819 457 Fl, Die Dividende von 72 Fl. per Aktie wird vom 10. Mai ab anstatt vom 1. Juli ausgezahlt.

Paris, 4. Mai. (Fr. Korr.) Die Arbeitseinstellungen, nehmen in franfreich noch immer an Umfang zff, statt sich zu ver- mindern. n Lyon ift zwischen Maurern und Bauunternehmern

feine L e Glas erzielt worden, ebenso ruht in den anderen

Punkten, wo gestrift wird, die Arbeit noch. Neuerdings sind auch in

mehreren mechanischen Webereien in R oub aix die Arbeiten plößlich eingestellt worden.

Ne w-York, 1. Mai. (Per Kabel.) Die mit der Verladung der atlantishen Dampfer beschäftigten Dockarbeiter beschlossen heute zu striken Eine weitere Depeshe von demselben Datum meldet: Die Deckarbeiter haben gegen eine Lohnherabseßung gestrikt, aber es entstanden keine Störungen, da die Schiffsmann- schaften Arbeiter an Stelle der Strikenden anstellten. Es wird keine Verzögerung in der Abfahrt der Schiffe erwartet.

Verkehrs-Anstalten.

Luzern, 3. Mai. (N. Zür. Ztg.) Heute fand die außer- ordentlide Generalversammlung der Aktionäre der Gotthardbahn statt. In feiner Eröffnungsrede schilderte der Vorsißende, Hr. Feer-Herzog, den Verlauf der Rekonstruktionsarbeit und die erzielten erfreulihen Ergebnisse, nah denen die Genehmigung des Finanzausweises durch den Bundesrath nur noch als eine Form- sache erscheint und, ebenso wie die Genehmigung des Staatsvertrages durch den italienischen Senat, in nächster Zeit zu erwarten ist; auch die von Hrn. Favre gegen die Verpfändung erhobene Einsprache werde durch Vergleich oder durch bundesgerichtlihen Spruh demnächst er- ledigt wer den. :

Die sämmtlichen Anträge des Verwaltungsrathes, die wir seiner- zeit mitgetheilt haben, wurden sodann ohne Diskussion angenommen also mit Jubegriff der Statutenänderung, nah welcher {hon jeßt (statt erst nah Uleul der Bauperiode) die Neuwahl des Ver- waltungörathe» stattfindet und dieser zusammenzuseßen ist aus 19 von der Generalversammlung und 6 vom Bundesrathe gewählten Mit- gliedern. Daraufhin wurde diese Neuwahl vorgenommen, in der Meinung, daß die 7 Mitglieder, welhe die meisten Stimmen er- halten, als auf eine Amtsdauer von 6 Jahren, die in der Stimmen- zahl näwstfolgenden 6 als auf 4 Jahre und die übrigen 6 als auf 2 Jahre gewählt zu betrachten sind.

Bei einer Stimmenzahl von1717 erhielten alle Vorgeshlagenen mehr als das absolute Mehr in folgender Reihe: I. Direktor Zingg, Oberst Arnold, Oberst Rieter, Ständerath Dr. Stehlin, Nationalrath Feer- Herzog, Regierungs-Rath Moser. Ott, Kommerzien-Rath Wendelstadt in Côln. 11. Advokat Philipp Bonzanigo, Nationalrath Karrer, Ständerath v. Hícttlingen, Nationalrath Stoffel, Andr. Sulger, Senator Artom in Rom. 111. Salomonsohn, Direktor der Berliner Diskonto- gesell haft, Naticnalrath Dietler, Geheimer Regierungs-Rath Dül- berg in Berlin, Alt-S1aatsrath Correnti in Mailand, Regierungs- Rath Schnyder-Crivelli, Ingenieur Tortarolo in Mailand. Die neue Direktion ist nach Vorschrift der Statuten aus den Mit- gliedern des Verwaltungsraths zu wählen, und zwar durch den Ver- waltungsrath jelbst.

Berlin, den 6. Mai 1879.

Berliner Gewerbe-Ausstellun g. I

Die am 1. d. M. eröffnete „Berliner Gewerbe-Ausstel- lung im Jahre 1879* ist von der polytechnischen Gesellschaft und einem von der Vauausftellung im Jahre 1874 her bestehenden Aus- \chuß ins Leben gerufen worden. Als leitender Gesichtspunkt wurde von vornherein der Privatcharakter des Unternehmens aufgestellt und festgehalten. Das Vertrauen der Betheiligten, daß die Be- hörden, sowohl die Königlichen als die kommunalen, ihre Un- terstüßung nicht versagen würden, ging in Erfüllung. Die Ministerien bewilligten die unentgeltlihe Benutzung des dem Fiskus gehörenden Ausftellungsplaßes gegenüber dem Lehrter Bahn- hofe und der Kaserne des 2. Garde - Ulanen - Regiments, ge- statteten die Abhaltung einer Lotterie und sagten eine Anzahl in Medaillen bestehender Staatsprämien für hervorragende Leistungen zu. Die Absicht, einen Ueberblick über die gewerbliche Produktion Berlins zu geben, konnte nur erfüllt werden, wenn der Kreis der Aussteller anf die wirklichen Fabrikanten und Gewerbetreibenden be- {ränkt wurde. Es ließ sich daher niht vermeiden, daß in Folge dessen renommirte Berliner Firmen, die lediglich Handel in ihren Artikeln treiben, von der Ausstellung ausgeschlossen blieben. Der ge- sammte eingehegte Play der Ausstellung beträgt gegen 60000 qm, von denen etwa 24000 m überbaut sind; mitten durch das Ausstellungsterrain läuft der Viadukt der Stadtbahn mit 24 Bogen und einer Kronenhöhe von etwa 9 m. Die Grundform des gesammten Gebäudekomplexes, der die ausgestellten Gegenstände eins{hließt, gleiht nahezu einem Quadrat. Zwei Langbauten, die in einer Entfernung von je 19 m von der Stadtbahn und parallel derselben erbaut sind, werden an der Mitte und den beiden Endpunkten durch drei Querbauten rechtwinklig ge- schnitten, wodur im Innern des Komplexes vier Höfe von 800 qm entstehen, die, mit gärtaerishen Anlagen versehen, eine angenehme Abwechëlung gegenüber dem Treiben im Innern der Ausstellungs- räume bieten. Die Querhallen geleiten zu dem Stadtbahnviadukt, an dessen beiden Längsfeiten si 3 m breite glasbedeckte Hallen anlehnen, wodur eine bequeme und ges{üßte Kommunikation zwischen den ein- zelnen Bogen ermöglicht ist; Lesezimmer, Konditorei und Weinstube sind nah den Plänen des Architekten J. Oben unter diesen kühlen Räumen etablirt; die erwähnten Gärten werden für diefe Anlagen mit benußt. Die drei Querhallen führen unter den Bogen des Vig- dufts hindurch nah dem hinter demselben gelegenen Gebäudetheil, na der Mittelhalle und der mit ae parallel laufenden Ma- shinenhalle nebst den Einbauten zwischen denselben. An die Ma- {chinenhalle {ließen sich endlich zwei Anbauten als Schluß der linken und mittleren Querhalle rechtwinklig an. Entlang der Grenze am südwestlichen Theile des Platzes, hinter der Maschinen- halle befinden fich noch offene Hallen für landwirthschaftliche Maschinen und Ausschankstellen hiesiger Brauereien.

Die sämmtlichen Ausftellungsgebäude sind aus Holz hergestellt, die Dächer sind mit doppelter getbeerter Pappe eingedeckt, die Fußböden aus Holz mit offenen Fugen hergestellt. Beleuchtet sind die Räume meist durch hohes Seitenlicht ; Oberlicht ist soviel als möglich ver- mieden worden. Die sichtbaren Holztheile im Innern, sowie auch die Außenseite der Gebäude sind mit finnischer Holzfarbe in weiß-gelblichen Holztönen gestrichen und dunkel abgeseßt. Der Bau wurde begonnen am 15. Oktober 1878 vnd vollendet am 1. April 1879. Die Aus- führung der aefammten baulichen Anlage geschah nah den Plänen Ludolff und Heußner unter der speziellen L-itung des Letzteren und der Assistenz des Bauführers Dücker.

Treten wir nunmehr durch ges{madckvolle Gartenan!agen in die Vorderhalle des Ausstellungsgebäudes, dessen Front nah der Jnvaliden- straße zu liegt, so führt ein triumpfbogenartiges, dreigegliedertes Portal in die prächtige Vorhalle, in deren Mitte eine stattlihe Fontäne in zahlreichen Strahlen willkommene Kühlung verbreitet. Links vom Portal befindet sich Post und Telegraphie, rechts die Garderobe und das Zimmer für den Sekretär. Zu beiden Seiten des gemalten Rundbogenfensters sind die Wappen des Deutschen Reiches und der Stadt Berlin in Glasmalereien angebracht. Die Vorderhalle selbst ist ein dreischiffiger Bau von 170 m Länge, 28 m Breite und 12 m Höhe mit einem Grundflächeninhalt von 4916 m; derselbe ift in der Mitte und an den beiden Endpunkten d:rch Kuppelbauten von 22, bezw. 19 m Höhe unterbrohen und {ließt an den beiden je 14 wm Durchmesser enthaltenden halben Zehne 8rotunden ab. Die Seitenschiffe der Vorderhalle sind zu 34 Kojen für Zimmereinrihtungen abgetheiltz entlang der Vorderfront, im Anschluß an dié Thüren zu beiden Seiten des Haupteinganges, führen Arkaden, die sih auch um die beiden Endbauten der Haupthalle herumziehen und die zur Aufstel- lung von Blumen und Topfgewächsen dienen.

Im Verein für die Geschichte Berlins fand am Sonn- abend die öffentlihe Schlußsißung der Wintersaison statt, in der Hr. Postbaurath Tucktermann einen interessanten und zu Ver- glei hungen mit anderen Städten anregenden s, hielt, dessen Thema lautete: Die geshichtlihe Entwickelung des Berliner Woh-

nungsgrundrisses in den legten beiden Fohrhunderten. In dem Vortrage, der auf die bürgerlihen Wohnhäuser der leßten wei Jahrhunderte beschränkt war, wies Redner nach, daß im ittelalter Berlin einen durchaus dörfishen Charakter ge- babt und behalten habe. Erst seit der Zeit des G fürsten habe \ich ein gewisser städtischer Anstand ent- wickelt, da die Einwanderung von Leuten, die {on an einen gewissen Komfort gewöhnt waren, zahlreide und bessere Bauten nöt ig machten. So entstand im lehten Drittel des 17. Jahrhunderts ein bestimmter Bautypus, der zwar ziemlich vers{wunden is, denno aber in den noch vorhandenen Freihäusern seine En Merkmale erkennen 1äßt. Dieselben, meist einstöckig, mit 7 Fenstern, haben eine einfahe Mittelmauer, also keine Korridore, und einen durch das ganze Haus von vorn na hinten durchgehenden Haus- flur, in dessen obere Theile die opulente Treppe führt; auf dem Hofe das Waschhaus und die umfangreicen Holzställe. In der zusammen- hängenden Bel-Etage wurde die Stube über dem Hausflur bald zum Entrée und theilte dieselbe wieder in zwei Wohnungen. Niedrige Fenster, schwere Kamine, durh welche der Regen ins Zimmer fällt, mangelnde Seitenfl1gel charaktersiren den Bauftyl des ganzen Jahrhunderts, ob- wohl vortreffliche Arcitekten vorhanden sind. Von großem Einfluß auf die Bauten war freilich der Umstand, daß dieselen oft zwangsweise ausgeführt werden mußten, und das Baugeschäft nit profitabel war. Im 2. Jahrzehnt der Regierung Friedrihs des Großen brah sich ein zweiter Bautypus Bahn, da französishe Kultur und Sitte auc in das bürgerliche Leben eindrangen. Der Grundriß zeichnet sich durch Anlage eines Mittelkorridors aus, die Einfahrt ist an der Seite, na vorn die Staatszimmer, nah hinten die Wohnzimmer. Obwohl derartige Häuser noch zahlreich vorhanden sind, so haben sie doch nit einmal in der Zeit ihres Entstehens großen Beifall gefunden. Dennoch boten sie gegen früher mancherlei Komfort, erseßten allmäh- lih die offenen Kamine durch Oefen und zeigen einen entschiedenen Fortschritt. Schenkte doch der König, wenn Jemand bauen wollte, nit nur das Grundstü, sondern auch Bauholz und Steine und be- hielt sih nur zuweilen die Bestimmung über die Archit.ktur vor. Im ersten Drittel des 19, Jahrhunderts tritt dec Einfluß Scinkels hervor, es entstand die organische Verbindung des Vorder- und Seitengebäudes und damit die Berliner Stube. Das bürgerliche Haus legt Werth auf Repräsentation und chaft wenn au unvollkommen, die hierzu nöthigen Räume. Redner schilderte {ließli die Vortheile und Nachtheile unserer jeßigen Bauart. Verein für deutsches Kunstgewerbe zu Berlin. Elfte zwanglose Sihung am 23. April 1879. Der Vorsitzende Professor Vogel theilt in seiner Eigenschaft als Mitglied des Comités zur Er- richtung des Obelisken auf dem Potsdamer Plaß mit, daß der Be- {luß gefaßt worden sei, zur Beschaffung der noch fehlenden Bau- gelder eine Lotterie kun|tgewerblicher Gegenstände zu veranstal'en und daß zu dem zu bildenden Lotteriecomité 2 Mitglieder des Gewerbe- museums, des Architektenvereins, des Künstlervereins und des Kunst- gewerbevereins zugezogen werden sollen. Man hofft dur diese Lotterie nicht nur den gedachten Zweck zu erreichen, sondern au zugleich das Kunstgewerbe zu fördern, und ist es die Absicht des Comités, neue, noch zu \hasfende Artikel für die Lotterie zu erwerben undzu deren Herstellung an- zuregen, In Betreff der Weltausstellung in Sidney empfiehlt der Vor- sißende die Betbeiligung an derselben, da viele Anzeichen dafür sprächén, daß sih dort für Erzeugnisse der deutshen Industrie und Kunst- industrie Tohnender Absay finden werde. Als solche führt er an: Kupfer- und Stahlstibe, Lithographien und Chromolithographien, Möbel, Porzellan, Kinderspielzeug, Lampen und Aehnliches. Hr. Fa- brikant Elster befürwortet gleihfalls aufs Lebhafteste die Betheili- gung.— Der Vorsitzende verliest einSchreiben der Herren Hirschwald & Co. an den Vorstand, in welchem sie ihre Absicht mittheilen, in bester Gegend der Stadt eine Ausstellungs- und Verkaufshalle für kunstgewerbliche Gegenstände zu eröffnen. Hr. Hirshwald selbst, als Mitglied an- wesend, theilt der Versammlung das Nähere über seine Absichten mit; dieselben begegnen mehrfahen Einwendungen, und wird be- lossen, die Angelegenbeit der Kommission für die vom Verein ge- plante Ausstellungs- und Verkaufshalle zur weiteren Berathung zu überweisen. Hr. Greller \spriht über die Anfertigung gemalter Rouleaux, von denen er eine Anzahl in verschiedenen Mustern vor- gelegt hat. Hr. Lünke, Friedrichstraße 32, legt die bei E. A. See- mann in Leipzig erschienenen kunsthistorishen Bilderbogen ror. Dieselben enthalten auf 42 Tafeln, die in Summa nur 3 # fkosten, und somit auch Unbemittelten die An- schaffung ermöglichen,“ eine Fülle kunstgewerblihen Materials. Hr. Meder legt 2 neue Blätter aus der vom Virektor des Berliner Kupferstihkabirets, Hrn. Lippmann herausgegebenen Sammlung von Handzeichnungen vor, die von Hrn. Frisch vortrefflich in Farbenlicht- druck hergestellt sind; ferner zeigt derselbe mehrere sehr geschmackvolle Leistenrahme und Leisten aus Nußbaumholz mit einfachen, in Papier-- maché gepreßten Ornamenten im Renaissancesiyl, von Hrn. F. W. Röhlicb, die allgemeine Anerkennung fanden. Hr. Treue zeigt der: Versammlung die Handhabung eines nah seinen Angaben konstruirten zweckmäßigen Ellipsenzirkels.

Upsala, 30. April. (C. Ztg.) Se. Majestät der König: vollzog heute die Grundsteinlegung zu dem neuen Univer- sitäts8gebäude mit folgenden Worten: „Am Morgen ihres fünften Jahrhunderts empfängt die Universität als Pathenge|chenk das Uni- versitätsgebäude vom schwedischen Volke. Möge innerhalb der Mauern, die si bald erheben werden, stets der Glaube wohnen, aber nicht ohne Kenntniß und Aufklärung, niht ohne Religion. Mögen hier alle edlen Werke in der Welt des Geistes gefördert werden! Dann entspringt hier eine strömende Quelle zum Lichte, zur Kraft und zum Segen unseres alten Volkes, Hierzu sei der Grundstein gelegt! Also geschehe es!“

Die große Frühjahrs-Ausstellung des Charlotten- burger Gartenbauvereins ist am Sonntag in den Sälen des Slora - Etablissements eröffnet worden. Neue Züchtungen

. zeigt ein Azaleensortiment des Kommerzien-Rath Dellshau (Ober-

Gârtner Schmidt), daran reihen sich prachtvolle Levkoyen des Hrn. Wardin, mustergiltige Azaleen aus dem Garten des Dr. Stemens (Dbergärtner Heydshmidt), blühende Oleander des . Hrn. Knauft, prächtige Hortensien, Rhododendorn , ferner Pelargcnien , Rosen- Priemeln und buntblättrige Pflanzen, welche Hr. Heydschmidt zu einer farbenreihen Gruppe zusammengestellt hat, getriebener Flieder, Magnolien, Goldregen 2c. des Handelsgärtners Birkel, sodann Rosen und Cinerarien dec Herren Kamoß und Schneider, Pal- men und hochstämmige Llattpflanzen des Gärtners Paech, blühende Azaleen aus dem Garten des Hrn. Ferd. Neichenheim (Gärtner Krohn), getriebenes Gemüse verschiedener Aussteller 2c. 2c. Die Mitte des Saales nimmt eine große Kaisergruppe ein, welche Gärtner Moser (Bankier Güterbock) aus Farren, Palmen und Blattpflanzen aller Art hergerichtet hat. Jn dem Verbindungs- faale haben Apparate aller Art für die Gartenkultur Aufstellung gefunden. Die Terrasse des Palmenhauses ist in “einen Blumen- garten verwandelt; Hortensien, Rosen, Cincrarien, Bouguets, Blu- menkörbe aller Art vereinigen sih hier zu den prächtigsten Farben- s{attirungen. Auch ein effektvoller Blumentish und der von Ihrer Majestät der Kaiserin als Be verliehene gemalte Tisch haben Per pen Play erhalten. Die Ausstellung dauert nur bis zum ¿- Mal.

Redacteur: J. V.: Riedel.

Verlag der Expedition (Ke ssell). Druck:; W. Elsner.

Drei Beilagen (eins{ließlich Börsen-Beilage),

außerdem ein Fahrplan der Hannoverschen Staatsbahn*

Berlin:

roßen Kur-

Erfte Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

2 10G,

Berlin, Dieustag, den 6. Mai

erzu

Nichtamlkliches.

Berlin, 6. Mai. Jm weiteren Verlaufe der gestrigen (38.) Sißung des Reichstags fuhr der Abg. Richter (Hagen) bei der ersten Verathung des Geseßentwurfs, betreffend den E des deutschen Zollgebietes, in seiner

ede fort: Es sei sehr bezeihnend, daß der Reichs- kanzler immer betone, er wolle eine nationale Politik verfolgen , troßdem rihte er sih doch immer nah anderen Ländern; so sei Rußland das Steuerideal desselben. Der Reichskanzler habe gezeigt, welWe Steuererleich- terungen er gern bieten möchte, aber er habe vergessen anzugeben, woher er die Mittel dazu nehmen wolle. Der Minister Hobrecht habe nun, was er (Redner) gar nicht genug anerkennen könne, jene Verheißungen als „Zukunfts- musik“ bezeichnet. Freilih hätte Hr. Hobreht, auch * ohne Minister zu sein, selbst als einfacher gewissenhafter Beamter die Ausführungen des Reichskanzlers rektifiziren müssen.

Der Präsident bemerkte hierauf, er müsse den Redner unterbrechen, da derselbe soeben die Grenze des parla- mentarisch Zulässigen überschritten Habe, wenn er ge- sagt, der Finanz-Minister Hobrecht sei verpflichtet gewesen, als einfaher gewissenhafter Beamter das zu korrigiren, was der Reichskanzler hier gesagt habe. Er halte das nicht für zulässig, denn es sei dadurch der Rede des Reichskanzlers ein Charakter gegeben, der ihr in diesem Hause niht gegeben werden dürfe. _ :

Der Abg. Richter fuhr fort: Der Präsident würde aus seinen weiteren Ausführungen sofort selbst entnom- men haben, daß diese Auffassung ihm fern gelegen habe. Der Hauptwerth der Erklärung. des Herrn Hobrecht liege darin, daß ev sage, diese neuen Steuern hätten zunächst nicht den Zweck, die Steuern abzuschaffen, sondern sollten zur Deckung von Ausgaben benußt werden, die für Preußen allein auf 144 Millionen Mark zu veranschlagen seien, für das Neich also 70 Millionen Mark betrügen. Also erst, wenn diese 70 Millionen vorab bestritten seien, kämen Steuererlasse in Frage. Zweitens habe Herr Hobrecht hervorgehoben, daß zu den vom Reichskanzler verkündeten Steuererlassen neue Steuern nicht im Vetrage von 100 oder 166 od.r 200 Millionen, sondern von noch weit größerem Betrage erforderlich seien. Er jhäße den Ertrag der hier vorliegenden Zolltarise und Steuergeseßze auf rund 166 Millionen. Da von diesen 166 Millionen aber 70 Millionen auf Ausgabedeckung kämen, so würde der Ueber- rest, wie Herr Hobrecht richtig bemerkt habe, nicht einmal aus- reichen für diejenige Hälfte an Steuererlassen, die er für zu- lässig halte, geshweige denn für die mehr als das Doppelte verlangenden Pläne des Kanzlers. Er stimme also mit Herrn

dobreht darin überein, wenn er den Ertrag der Steuern und lle die hier verlang? werden, auf 166 Millionen \chäßte. Von den 166. Millionen entfielen 46 auf Tabaksteuer, 18 auf Brausteuer und ca. 100 auf den Zolltarif. Was den leßte- ren betreffe, so rehne er 35 Millionen inkl. der 15 Millionen Petroleumzoll auf Finanzzölle und eiwa 65 Millionen auf Schußzölle. Die eigentlihen Matrikularbreitäge nah Abzug der sogenannten Aversen betrügen auch 65 Millionen Mark. Eine Trennung der Berathung von Schuß- und Finanz- zöllen sei durchaus geboten. Wenn einmal Schußzölle bewilligt werden müßten, könnte man unmöglih dazu noch die Finanz- zölle bewilligen. Dem Reichskanzler komme es auch offenbar nur auf das Geld an; derselbe sei auch jeßt noch gar kein fo \{chlimmer Schußzöllner, wie es wohl scheine. Die Fortschritts- partei stehe den ganzen Vorlagen negativ gegenüber; fie sei einstimmig gegen die Tabakssteuer, gegen die Brausteuer, gegen die Besteuerung des Petroleums, wie gegen jeden Zoll guf Getreide und andere Nahrungsmittel. Abex in jede Steuerreform wolle seine Partei die Nüben- zucker- und Branntweinsteuer aufgenommen wissen. Jeder Gedanke an ein Kompromiß liege seiner Partei fern. Wie der Reichskanzler die Vorlagen zur Verminderung der Macht- stellung des Reichstags zu benußen suche, zeige 8. 5, der ihn ermäch- tigen solle, ohne den Neichstag nach Belieben Zollkriege zu führen auf Kosten der deutschen Fndustrien, wiewohl {hon in der olitischen Kriegsführung die Kosten vom Reichstage jedesmal ewilligt werden müßten. Das Einnahmebewilligungsrecht des Neichstages werde durh diese Vorlage thatsächlih beseitigt. Die Vorlage spreche davon erst gar nicht, entweder weil sie es als etwas Selbständiges oder als ein Jnternum des Neichstages wie beispielsweise die Festseßung seines Bureauetats, ansehe. Mit Recht habe Hr. von Forckenbeck im vorigen Sommer aber vor seinen Wählern bemerkt, daß die Erhaltung der Macht- befugnisse des Reichstages die Frage der Entwicklung des Reiches selbst sei. Selbst Hr. Camphausen habe dem Reichs- tage noch im vorigen Fahre im konstitutionellen Fnteresse ge- rathen, die Matrikularbeiträge nicht zu beseitigen. Solle über- haupt die Steuerlast vermehrt werden, so bedürfe man dazu ein Einnahmebewilligungsreht auch in Bezug auf Steuern. Schon weil die eingeführten Steuern höhere Erträge gewährten oder sih drückender erweisen könnten, als die Majorität heute annehme, müsse der Reichstag die Steuerlast wieder ver- mindern können. Eine politishe Bedeutung hätten diese Steuern auch in der Machtstelung zu den Einzel- staaten. Der Reichskanzler sage, das Reich dürfe niht mehr der lästige Kostgänger, der mahnende Gläubiger bei den Einzelstaaten sein. Wenn man aber wieder 186 Mil- lionen neue Steuern bewillige und damit wieder 101 Millionen Ueberschüsse an die Einzelstaaten verweise, so würden diese lästigen Kostgänger mahnende Gläubiger für das Reich. Der Reichskanzler bedauere die unverhältnißmäßige Vertheilung der Matrikularbeiträge auf Thüringer und Hanseaten. Aber würde nicht dasselbe Mißverhältniß bei der Vertheilung der Ueber- schüsse nah der Kopfzahl eintreten? Derselbe beklage die Anarchie der Einzelbudgets; aber würde nicht die Vertheilung von Ueberschüssen aus der Reichskasse nux die Anarhie von dem Ausgabekonto auf das Einnahmekonto übertragen? Jn dem Maße, wie das Steuersystem der Einzelstaaten zurü- gedrängt werde und die Einzellandtage damit den Schlüssel zu dem Steuersäckel ihrer Bürger verlören, müßte auch ihr par- lamentarischer Einfluß sich vermindern. Es möge ja den ein- zelnen Finanz-Ministern heute bequemer scheinen, sich mit dem

Kanzler, statt mit ihren Landtagen zu stellen, aber auf die Dauer folge doch aus diesem System die Herabdrückung der Einzelstaaten, die Aufsaugung in den Einzelstaat. Seine Partei aber wolle das bundesstaatlihe Wesen erhalten wissen, besonders die Mittelstaaten, mit einem Wort: die politische Bedeutung dieser Vorlagen liege darin, daß sie den Parlamentarismus in der Richtung des Absolutismus, das Bundesstaatlihe gegen den Einheitsstaat zurücdränge. Seine Partei aber wolle sich einer Entwickelung mit allen Kräften widerseßen, die zum absolutistischsten Einheits- staat führen müsse. Die Partei sei gering an Zahl, aber er fordere alle Diejenigen auf, die in der Hauptsache mit seiner Partei auf demselben Standpunkte ständen, in dieser ernsten Gefahr von Kleinem und Vergangenem abzusehen und ih desto enger zusammenzuschließen zu gemeinsamer kräftiger «Abwehr. Noch niemals sei einem Vo.ke die Freiheit geschenkt worden, jede Freiheit müßte entweder im Kampfe behaup!:et oder erobert werden. Wirthschastlihe Freiheit habe keine Sicherheit, das erfahre man jeßt, ohne politishe Freiheit und auch sie finde ihre Sicherheit nur in der wirthschaftlichen Frei- heit. Möge man seine Anschauungen im Augenblick im Ein- zelnen zurückdrängen, harre man nur aus, so werde, so wahr das Deutsche Neich eine Zukunft habe, {ließli der Sieg do seiner Partei bleiben.

Von dem Abg. Löwe (Bochum), unterstüßt von 155 Ab- geordneten, war folgender Antrag, die geschäftliche Behand lung der Zoll- und Steuervorlagen betr., eingegangen :

Der Reichstag wolle beschließen: 1) einer Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen: Den Gesetzentwurf, betreffend den Zolltarif des deutschen Zollgebietes und alle Positionen des Tarifs mit Ausnahme der Abfälle, der Bürstenbinder- und Siebmacher- waaren, des Cisens, der Erze und edlen Metalle, des Flahses und des Getreides, der Häute und Felle, des Holzes, des Hopfens, der Instrumente und Maschinen, des Oeles und der Fette, des Pelz- werks, der Steine und Kohlen, des Viehes und ciniger anderer weniger wichtigen Gegenständez 2) einer Kommission von 28 Mit- gliedern: die Vorlagen über die Besteuerung resp. Nachversteue- rung des Tabaks; 3) einer Kommission von 14 Mitgliedern: die E betreffend die Erhebung resp. Erhöhung der Brau- euer. E i Bundesbevollmächtigte, Staats-Minister Hobrecht er- ärte:

Meine Herren, ih glaube nicht, vaß Viele das, was ih am Sonnabend gesprochen habe, in Wirklichkeit so verstanden haben, wie es der letzte Herr Redner in einer von seinem Stand- punkte aus vielleicht ganz rihtigen und geshickten Fechtertaktik sofort auslegte und ih würde es nicht für nöthig gehalten haben, darauf zu erwidern, wenn er diese Auslegung nicht heute des Breiteren wiederholt hätte.

Der Hr. Abg. Bamberger hatte das, was kurz vorher der Herr Reichskanzler in Bezug auf die Richtung einer Umgestaltung in unserer direkten Steuexverfassung ausgeführt hatte, angegriffen und darin unerfüllbare Vekheißungän erblickt. IchG hatte besonderen An- laß darauf zu erwidern, weil ich vor wenigen Monaten über den- selben Gegenstand das, was mir nothwendig schien, im Ab- eordnetenhause, im preußischen Landtage, auseinandergesetzt bat, P abe nagevielen,. Dag cs . Uit nöthig sei eine nähere Auseinanderseßung darüber eintreten zu lassen, oh mit der Reform soweit gegangen werden folle, als es von mir be- zeichnet war, oder oh weiter zu gehen nôthiz sei, weil auch in den engsten Grenzen diese Reform Mittel erforderte, die durch die jetzt Ihnen gemachten Vorlagen nur knapp gedeckt werden können. Jch habe das darum hervorgehoben, weil es mir darauf ankam, daß namentli® auch diejenigen preußisWen Mitglieder des RNeichs- tages, welche im Wesentlichen mit den Zielen einer Steuer- rejorm, wie sie im preußischen Landtage erörtert worden sind, ein- verstanden waren, nicht die Besorgniß haben müßten, es würden hier Mittel verlangt, die noch weit über das Ziel hinausgehen, \on- dern daß auch in diesen Grenzen die Mittel eben nur ausreichen; weil ih wünschte, daß diese Mitglieder des Reichstages, denen es wirkliÞch darauf ankommt, die Schwierigkeiten zu beseiti- gen, die der dringend nothwendigen Reform entgegenstehen und denen bei dieser Aufgabe nicht die Machtfrage, wie dem leßten Herr Redner im Vordergrunde steht, daß die im Stande wären, ohne Bedenken anzuerkennen, daß hier nichts über das Be- dürfniß hinaus gefordert wird.

Die weiteren Zahlenausführungen des leßten Herrn Redners will ich nicht widerlegen. Jch glaube, Sie werden aus dem steno- graphischen Berichte ersehen, daß sie niht ganz übereinstimmen mit dem, was ih gesagt habe.

Der Bundeskommissar, Geheime Regierungs-Rath Tiede- mann bemerkte, es könne nicht seine Aufgabe sein , alle die Unrichtigkeiten zu widerlegen, die in einer sorgfältig ausgear- beiteten, wohldurhdachten, fast dreistündigen Rede von dem Abg. Nichter vorgebracht seien; er halte es aber für nothwendig, einigen seiner Behauptungen einen direkten Widerspruch vom Tische des Bundesraths entgenzuseßen. Ein gut Theil der Deduttionen habe sich in dem Gedanken bewegt, die vorge- shlagenen Zölle seien im Jnteresse des Großgrundbesizes und des Großkapitals, sie drücten den kleinen Mann und den Bauer. Ein Wort, wie dies mit solher Emphase ausgesprochen und ins Land geschleudert, könnte einigen Eindruck machen. Diesen möchte er von vornherein verwischen. Fn einem Lande, in dem von 7 Millionen Censiten ungefähr 2 Millionen nicht ein Einkommen von 140 Thalern hätten und deshalb steuerfrei blieben, wie von den Steuerzahlern vielleiht nur 150 000 über 1000 Thaler Einkommen hätten und demgemäß einge- schäßt seien, da sei es gerade eine Aufgabe der Staatsregie- rung, dafür zu sorgen, daß den Vielen, es wären vielleicht 20 ros und mehr, welhe von ihrer Hände Arbeit lebten, diese Arbeit nicht erxshwert werde, sondern daß ihnen für dieselbe Naum geschaffen werde. Das sei das Léitmotiv gewesen, welches die verbündeten Negierungen veranlaßt habe, in die Steuer- reform einzutreten und er glaube, bei der Spezialberathung werde sih noch Gelegenheit genug finden, dies im Einzelnen nachzuweisen. Um das eine möchte er nur den Abg. Richter bitten, der si sehr viel darauf zu Gute thue, die Verhältnisse Rheinlands und Westfalens genau zu kennen, si in seinen Wahlkreis zu begeben oder au in den benachbarten, den er glüdälicherweise niht lange als Landrath verwaltet habe, und dort nachzuschen, in R Weise die Armenlast gestiegen sei. Jm Kreife Dortmund fei das Armenbudget der Stadt von 93 000 / im Fahre 1874 auf 221 000 /6 im Jahre 1878 gestiegen, und ähnlich ste es mit den Armenbudgets aller übrigen ihm bekannten Gemeinden Rheinlands und

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Westfalens. Die Herren von der Freihandelspartei sagten nun freilih, man müßte die Sachen gehen laffen, wie sie gin- gen. Es laufe das s{ließlich auf den Sag hinaus: Laß sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind! Das könne doch nur von sehr extremer Seite gebilligt werden. Es heiße dann weiter, das Großkapital, der Großgrundbesiß werde geshüßt, der Arbeiter und Bauer geschädigt; aber wer sei heute Tage am meisten in Noth? Jeder, der mit l[andwirthschaftlihen Verhältnissen auch nur an- nähernd vertraut sei, werde antworten müssen: Der Bauer leide am meisten! und Aufgabe der Regierung sei es, den alten soliden Bauernstand Deutschlands zu unterstüßen ! Nach einem ihm vorliegenden Subhastationsverzeichnisse beliefen sih die Subhastationen in den Jahren 1854—56 auf 22 bei Rittergütern, 678 bei Bauerngütern ; in den Jahren 1864—66 auf 42 bei Nittergütern, 3301 bei Bauerngütern. Nach einer weiteren Zusammenstellung belaufe sich die Anzahl der Sub- hastationen im Bezirk des Appellationsgerichts zu Frankfurt a. M. auf 95 für die Stadt (101 000 Einwohner), 30 für den Landkreis (30 000 Einwohner). Dieses Verhältniß auf den preußischen Staat übertragen und die Stadt- und Landbevölkerung als gleich stark angeseßt, ergäbe für 1874 bis 76 durchschnittlih 7000, 1877 10 000 ländlihe Subhastationen. Betrachte man diese Steigerung von 600 auf 10 000 Subhastationen in zwanzig Jahren, so werde man zugeben müssen, daß dem landwirthschaftlihen Betriebe Hülse gebracht werden müsse. Der Abg. Richter habe, wie der Abg. Bamberger, auf den Segen des entfesselten Verkehrs, des Aufshwungs der Eisenbahnen und der Eröffnung der Kornkammern Rußlands, Rumäniens 2c. hingewiesen ; nun, die jeßige Hungersnoth im Spessart zeige, wie segensreich diese Wirkungen seien. Die Beschuldigung, der Reichskanzler habe Nußland für das Jdeal seiner wirthschaftlichen Pläne erklärt, sei völlig unrichtig. Der Reichskanzler habe nur auf die außerordentlihe Produktionsfähigkeit Rußlands hingewiesen. Wenn der Abg. Nichter bemängelt habe, daß die Rede des Reichskanzlers im Teltower Kreisblatt abgedruckt sei, so be- greife er, daß ihn dies verdrieße, da in den Flugblättern und Artikeln des Abg. Richter in den leßten Monaten hart- näckig nur von einer Mehrbelastung des Volkes die Nede ge- wesen sei; daß jeßt auch die Entlastung betont werde, müsse ihm (dem Abg. Nichter) allerdings unangenehm fein.

Der Abg. von Kardorff erklärte, der erste Nedncr aus dem Hause, Abg. Delbrü, habe den Wunsch ausgesprochen, daß alle Redner, die über die Tarifvorlage sprechen würden, sih eine möglichste Beschränkung auferlegen möchten. So viel er beobachten konnte, seien die Abgg. Bamberger und Richter, N wirthschaftlichen Freunde, die jeder 2—3 Stunden ge- prochen hätten, diesem Wunsche am allerwenigsten nahge- tommen. Er werde seine Bemerkungen möglichst kurz fassen, um das Haus nicht in den Zustand der Ermüdung zu ver= seßen, der sih ohne Zweifel einstellen werde, wenn die Reden in der bisherigen Länge gehalten würden. Gleichwohl müsse er auf die Aeußerungen des Abg. Nichter mit einigen Worten eingehen. Derselbe habe im Anfange seiner Rede die wesentlihste Schuld der großen, die Welt beherrschenden Krisis den {weren Kriegen zugeschrieben, die in allen Welt- theilen geführt seien. Man müsse das ja bedingt soweit als richtig anerkennen, daß diese Gründe die Krisis mit hervorgerufen hätten. Aber damit sei doch nit erklärt, warum diese Krisis in Frankreich, das doch s{chwerer gelitten habe als Deutschland, daß sie in Rußland, das an einer mangelhaften Valuta leide, s{hwere und kostspielige Kriege geführt und keine Milliarden bezahlt bekommen habe, sehr viel eher überwunden sei, als in Deutshland. Auch sei zuzugeben, daß die Spekulation die Krisis geschärft habe, dieselbe sei aber wesentlich durch die Unlust gesteigert, die man dadurch hervorgerufen, daß man einen Makel auf Alle ge- worfen habe, die sich an den industriellen Unternehmungen betheiligt hätten. Die Aktiengeseßgebung sei auch verderb- lih dadur gewesen, daß sie die Ausgabe von Fnhaberpapieren freigegeben. Der Abg. Nichter demonstrire sodann die bisherige gute wirthschaftlihe Lage Deutschlands aus dem Export von Fabrikaten und dem Fmport von Rohprodukten. Wäre das rihtig, dann müßte unsere Handelsbilanz doch anders aus- schen, als dies seit 1865 der Fall sei. Adam Smith lege auch in seinen welthistorishen Werken dem inneren Ver- kehre einen vierundzwanzigfah höheren Nußen für das Land bei als dem Export, und dieser Autorität folge er lieber, als dem Abg. Richter. Leßterer meine auh, wenn Deutschland jeßt weniger exportire und sih gegen den Jmport von. Roh- stoffen mehr absperren würde, so würde es zurülgehen in der wirthschaftlihen Entwickelung. Diese O überhaupt eine unrichtige. Es komme nicht auf die Höhe der wirth- schaftlichen, sondern der sozialen Entwidelung an. Es sei das Non plus ultra der Ueber-{ibung, wenn der Abg. Richter den vorliegenden Tarif als eine: Rückkehr noch hinter den Zolltarif von 1865. bezeihne. Der Abg. Richter behaupte, der Tarif käme üb ¿rhaupt nur dem Großkapital zu Nußte, der Nugen für die Landwirthschaft sei sehr problematish. Folgende Positionen sh‘ägten aber in diesem Tarif das Jnteresse des Handwerks 14nd der Klein- industrie: die Bürstenbinder und Siebmacher, die Perücken- macher, die Böttcher, Drechsler, Wagner, Tis zler, Korbflechter, Jnstrumentenmaher und Maschinenfabrikar ten, die Kupfer-= \hmiede, Gelbgießer, Uhrmacher, Goldarbeiter, Juweliere, Optiker, Schirmfabrikanten, die Hutmacher, Zinngießr x, Klempner u. \. w. Gerade die Rede des Abg. Delbrück fei die beste An- erkennung für die Tüchtigkeit des von der Kommission ge- shaffenen Tarifs. Denn wenn an. demselben nichts Sliritieres auszusezgen sei, als was jener Ab- geordnete vorgetragen, #o gehöre dicse Vorlage zu den besten Tarifen, die jemals ausgearbeitet sèien. Die Stabilität der Arbeitslöhne sei, nirgends geringer als in England, und nirgends größer als, in Frankreich. Ebenfowenig wie auf ven Eisenzoll, werde er auf die Getreidezölle eingehen. Diese würden im Plenum bercthen werden, und da werde es Zeit, sein, die Ausführungen des Abz, Richter zu widerlegen. cur daran möchte er denselven eri;nern, daß die Fortschritts-

1 partei es gewesen sei, dig kurz oor 1879 noch einex Antrag