1879 / 107 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 May 1879 18:00:01 GMT) scan diff

Ten geliamomente in Verbindung mit der graphischen Darstellung der Abscberungskräfte, vom Reg.-Baumeister Landsberg, Privat-Dozent an der Königl. Gewerbe-Akademie in Berlin. Graphische Bestim- mung der Momente von Fläcben und Bögen ebener Kurven und Po- Iygone, vom Wafserbau-Direktor Chr. Nebls in Hamburg. Kon- struftive und polychrome Details der griechisher Baukunst, Fort- seßung, vom Professor Josef Durm in Karlsruhe. Eleutherae und Aigosthena, von B. Mittheilungen na amtl'chen Quellen. Anderweitige Mittheilungen. Mitheilungen Sus Vereinen. Verein für Eisenbahnkunde zu Berlin. Literatur.

Land- und Forstwirthschaft.

Dem Lkürzlih erschienenen amtlizen Berihie über den Stand der Saaten in Oesterreih-Ungarn Mitte April entnehmen wir die folgenden Mittheilungen: Die Wintersaaten waren in der nördliwen und mittleren Zone größerentheils {on kräftig in den Winter gekommen, haben denselben sehr gut über- standen und find seither unter dem Einflusse der vorherrschend kühlen und feuchten Witterung der lezten Woche noch weiter gek-äftigt und bestockt, so daß im Allgemeinen ein sehr erfreulicher, häufig geradezu auêgezeihneler Stand derselben zu verzeihnen ist. Von den einzelncn Wintersaaten steht der Weizen im Allgemeinen besser als der Roggen; der letztere hatte nämli, da er {on ziemli herangewachsen in den Wintir gekommen war, von dem Schneedrude auf ungefrornem Boden und von dem stehenden Wasser mehr zu leiden, als der noch weniger entwickelte Weizen. Der Stand des Rapses wird mit sehr wenigen Aus- nahmen sehr gelobt; derselbe s{oßte in den Nordwestländern und dürfte in vielen Gegenden Ungarns {hon in Blüthe stehen. Der Klee steht ebenfalls mit wenigen Ausnahmen sehr \{ön. Die Aus- nahmen beziehen sich größtentheils auf Beschädigungen durch die Feld- mäuse, über welcbe troß des nassen Spätherbstes ziemlich viele Klagen aus den meisten Ländern der nördlichen und mittleren Zone vorlagen. Im füdlicen Theile des ehemaligen Banats sollte Luzerne {hon in der näcsten Zeit schnittreif werden. Die Wiesen versprechen beinahe Überall das Beste. Was die einzelnen Länder anbelangt, wird die Ueberwinterung aller bisher genannten Feldfrüchte, sowie deren gegen- wärtiger Stand, besonders in Böhmen, Mähren und Siebenbürgen gelobt. Der Anbau der Sommersaaten begann in den Nordwest- ländern beinahe ohne Ausnahme in den zur mittleren Zone ge- hörenden Ländern der westlichen Reichshälfte in den meisten Lagen erst in den leßten Tagen des März oder in den ersten Tagen des April. In den übrigen Lagen der leßtgenannten Länder, in der Bukowina, in Ungarn und in den Ländern beziehungsweise Ländertheilen der füdlihen Zone war der Anbau {on in der ersten Märzhälfte in Angriff genommen worden, hatte aub schon hier größe e, dort fleinere Fortschritte ge- mat, wurde aber in der südlichen Zone durch Regengüsse, in den übrigen Ländern durch den eingetretenen Nawinter auf längere Zeit unt.rbrohev. In Galizien begann der Anbau zumeist erst in den Ileßten Tagen der ersten Aprilhälfte. Die Sommersaaten gehen bei- nahe ausnahmslos s{ôn auf und bestehen für dieselben bei der reich» lib vorhandenen Winterfeuctigkeit die besten Aussichten. Der Anbau von Kartoffeln und Rüben hatte {hon begonnen und theilweise Ac ipritle gemacht in allen jenen Gegenden, in welchen der Anbau der

ercalien der Vollendung nahe oder do im vollen Zuge war. Der Maisanbau wurde bereits in Angriff genommen, nit nur in den Ländern der südlichen Zone, sondern auch in den Vorländern der Alpen, sowie in verschiedenen Gegenden Ungarns und war in Siebenbürgen bereits in vollem Zuge, Ver Hopfen in Böhmen zeigte si gesund und kräftig und wurde bereits geschnitten. Der Wein hat im Allgemeinen gut überwintert. Das Rebholz zeigte si meist gut ausgereift und reich mit Knoëpen beseßt. Kirschen blühten in Untersteiermark, Bozen und im ehemaligen Banate schon am 1. April; um die Mitte Upril blühten Zwetshken und Früh- birnen in den meisten Gegenden der mittleren und südlichen Zone. In Bozen und Görz wurde die Blüthe ftark beregnet.

Gewerbe und Handel.

Durch Bekanntmachung des Königlich \{chwedis{en Kommerz- Kollegiums vom 29. v. M. ift bestimmt worden, daß die Stadt Stkellefteà mit Rücksicht darauf, daß dort kein zuständiger Veterinär mehr angestellt ist, nicht weiter zu denjenigen Städten gehören soll, über welche in Gemäßheit der Bekanntmachung vom 2. Januar d. F. die Cinfuhr von Wiederkäuern und Pferden auf dem Seewege nah Schweden stattfinden darf. *)

Die Firma Louis S{metzer & Co. in Rothenburg a./Tau- ber (Barern) hat eine Neuerung an Kinderwagen erfunden, und solche geseßlich schüten lassen, die von vielen medizinishen Autori- täten günstig beurtheilt ist. Die sanitären Vorzüge dieser Kinder- wagendäcer sind, daß dieselben eine leiht zu verändernde Be- scattung der im Wagen liegenden Kinder erlauben, wodur auc eine gute Ventilation bedingt ist, sowie ferner die Möglichkeit des Vorwärts- statt Rückwärtsfahrens, was eine naturgemäße Erziehung des Gesich1sfinnes ermöglicht.

Die ordentlihe Generalversammlung der F. Wöhlert- schen Mascbinenbau-Anstalt und Eisengießerei geneh- migte den vorgelegten Geschäftsberiht nebs Bilanz pro 1878 und ertheilte nah Anhörung des Revisionéberihts Vecharge.

Auf die Aktien der in Liquidation befindlihen Deutschen Creditbank in Frankfurt a. M. gelangt vom 13. d. M. ab die erste Quote von 75 °/, oder 450 #4 per Aktie zur Rückzahlung.

In der Generalversammlung der Gladbacher Feuer- versicherungs-Gesellscchaft wurde Seitens der Direktion über den Rechnungéab\c{luß für 1878 Bericht erstattet. Die dauernd un- günstige Lage der wirthschaftlihen Verhältnisse und eine ungewöhn- li große Anzahl von Schäden haben auf das Resultat des abgelau- fenen Geschäftejahres nachtheilig eingewirkt. Bei einer Dotirung des Kapital-Reservefonde von 16 000 Æ gelangen 10/4 der Ein- zahlung oder 60 Æ per Aktie als Dividende zur Vertheilung. Die während des Jahres in Kraft gewesene Versicherungssumme beträgt 2 074 604 603 M, ift also gegen das Vorjahr um 87 413 838 M ge- stiegen. Von ersterer Summe waren 721 174 315 M in Rückdeckung gegeben, und verblieben Ende des Jahres 1111 035 988 M4 oder 8 625285 # mehr in Kraft, als beim Fahres\{lu}e 1877. Die Gesellshaft wurde während des Jahres von §835 Schäden betroffen, die während deßelben gezahlten Er tschädigungen betragen einschließ- lib der pro 1879 vorgetragencn Schadenreserve für eigene Rechnung 102522 Æ mebr als im Vorjahre.

Na Ausweis des Geschäftsberichtes der Cölnischen Lebens-Versicherungs-Ges ellihaft „Concordia“ wur- den bei ter Gesellshaft im Jahre 1878 auf den Todesfall neu ver- sichert: 1994 Personen mit 11 531 773 4 Kapital und 1635 4 Rente. Am 31. Dezember 1878 waren überhaupt auf den Todesfall versichert : 24181 Personen mit 136142785 # Kapital und 49 697 M. Rente. Der Gewinn des Jahres 1878 beläuft sich auf E t, woraus 16 %/g Dividende an die Aktionäre vertheilt werden.

Aus dem Bericht des Aufsichtsraths der Aktiengesell- \cbaft Saline und Soolbad Salzungen geht hervor, daß das im leßten Jahre erzielte Resultat ein gutes gewesen ist. Der Absay hat sich um ca. 10%/ gesteigert, während die Produktions- kToften um 129%/0 zurüdgegangen find. Der Gewinn von 194 000 M4 aus dem Produkten-Conto ift der höchste, welcher seit Bestehen des Werkes erreiht wurde. Außerdem figurirt im Gewinn-Conto neben 15 000 Æ Binsen ein Courêgewinn von 5346 A an den Effekten des Betriebsfonds. Das Gewinn- und Verlust-Conto {ließt mit 105 464 Æ und gestattet die Vertheilung einer Dividende von 48 9%. Der Reservefond der Gesellschaft tellt si{ incl. der Dotirung aus dem Gewinn des abgelaufenen Jahres auf rund 40 000 4

Ét ————— G

*) Siehe Nr. 14, 21 und 89 des „Reichs-Anzeigers“.

Die Restdividende der St, Petersburger inter- nationalen Handelsbank pro 1878 is auf 8% festgcseßt worden. Da am 1 Januar cr. auf das Erträgniß des vergangenen Jahres bereits 6% abschlägli an die Aktionäre bezahlt worden sind, fo beträgt die Gesammtdividende 14%, gegen 12%, im Vorjahr.

Die St. Petersburger Diskontobank hat im ver- gangenen Jahre einen Reingewinn von 2415 390 Rbl. bei cinem Aktienkapital von 10000 000 Rbl. erzielt. Davon werden, nah dem Vorgange früherer Jahre, als Gewinnreserve auf das Jahr 1879 vorgetragen 101 105 Rbl. Der Rest des Gewinnes in Höhe von 2 314 285 Rbl. welch r 23,142% auf das Stammkapital beträgt, unterliegt auf Grund des § 60 der Bankstatuten nachfolgender Ver- theilung: Als erste Dividende auf die Aktien entfallen 60/0 von 10 000 000 oder 600 000 Rbl. Von den nabbleibenden 1 714 285 Rbl. kommen 15% zum Reservekapital mit 257 142 Rbl., 70% zur Vertheilung als zweite Dividende auf die Aktien mit 1200 009 Rbl. und 15% zur Verwendung für den Verwaltungsrath, den Direktor und die Beamten mit 257 143 Rbl. Die Aktionäre empfangen demna insgesammt 1 800000 Rbl., d. h. 18% auf das Kapital oder 45 Rbl. per Aktie.

Triest, 6. Mai. (W. T. B.) Der in der gestern abgehal- tenen Generalversammlung der Aktionäre des Oesterreichischen Lloyd verlesene Jahresberiht konstatirt pro 1878 eine Mehrein- nahme von 2 300 000 FI. gegen 1877; der Gesammtertrag des Jahres beträgt 4622 368 Fl.; der Reservefonds von 450 000 Fl. ist auf 1000000 FIL. erhöht; die Abschrcibungen belaufen i auf 1718165 Fl. Der Affsekuranzfonds ist mit 369 686 Fl. dotirt; die Verminderung der Schulden beträgt 819 457 Fl. Die Dividende von e 4 per Aktie wird vom 10. Mai ab anstatt vom 1. Juli ausgezahlt.

_ Rotterdam, 7. Mai. (W. T. B.) Die beute von der Nieder- ländischen Handelsgesellschaft abgehaltene Kaffee- Auktion eröffnete Ur Nr: L zu ole, Nv, 2 032, Mr.3 58, Nr. 6 564 Nr: 9 441, Nr, 10 45 Nr. 13 421

London, 6. Mai. (W. T. B.) Für die Wollauktion, die heute eröffnet wurde, sind im Ganzen 325 000 Ballen Wolle zum Verkauf angemeldet, die Auktion war gut besubt, australische und Kapwollen behaupteten die Preise der leßten Auktion, Wollen von gekreuztem Vieh stellten sih etwas theurer.

Verkehrs: Anstalten.

Dresden, 8. Mai. (Dr. J.) Nachdem der Bau der Staats - eisenbahnlinie St. Egidien - Stollberg mit der Abzwei- gung Höhlteich-Lugau vollendct ist, hat das Finanz-Ministerium, laut einer BVekarntmacbung vom 6., beschlossen, dieselbe am 15. Mat d. I. dem allgemeinen Verkehre zu übergeben. An der neuen Linie befinden sih die Stationen Lichtenstein, Oelsnitz bei Lichtenstein und Stollberg, sowie die Haltestelle Höblteih. Die Leitung des Betrie- bes erfolgt durch die General-Direktion der Staatseisenbahnen, welche die Tarife und Fahrpläne bekannt machen wird.

Bern, 6. Mai. (N. Zür. Z.) Zwischen der b undesräthlichen Gotthardkommission und Hrn. Favre hat leßter Tage unter Ratifikationsvorbehalt seitens des Verwaltungsrathes der Gotthardbahn ein Abkommen stattgefunden. nach welchem sich Hr. Favre zum Rücck zug seines Prozesses verpflichtet, wenn die monatlichen Abzüge an den 4 Millionen Fr. Installationskosten bis zum 15. Oktober 1881 sistirt werden, (Hr. Favre hat alsdann Alles zu bezahlen, an- dernfalls sih die Gesellshaft aus seiner Kaution bezahlt machen kann), und wenn ihm für die Ausweitung ein vom Bundesrath zu bestimmender Einheitspreis per Kubikmeter bezahlt wird. Der Pro- zeß wird nach erfolgter Ratifikation zurückgezogen.

Bern, 6. Mai. (W. T. B.) Der Unternehmer des Gott- hardbahn-Tunnels, Favre, hat, dem „Bund“ zufolge, seine Einsprache gegen die Verpfändung der Bahn zurückgezogen und die Arbeiten wieder aufgenommen. Der Richtungsstollen wird bis zum Scluß dieses Jahres vollendet, und beabsichtigt Favre bis dahin, wo die Zufahrtslinien eröffnet werden, den Betrieb der Strecke Göschenen-Airolo dur komprimirte Luft einzuführen.

Southampton, 6. Mai. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Main* ist hier eingetroffen.

New-York, 7. Mai. (W. T. B.) Der Hamburger Post- dampfer „Lessing“ ist gestern Nachmittag 2 Uhr hier einge»

troffen.

Berlin, den 8. Mai 1879.

Berliner Gewerbe-Ausstellung. I1.B

Rechts vom Haupleingang hat in der ersten Hälfte der Vorder- halle, in der hinter ihr liegenden Gartenanlage und in einigen Bogen der Staatsbahn das Bau- und Ingenieurwesen (Gruppe XIY.) seine Stätte gefunden. In vier Klassen getheilt Baumaterialien, Grund- und Tiefbau (16 Aussteller), Gegenstände des äußeren Aus- baues (32 Aussteller), Eegenstände des inneren Ausbaues, vollständige Zimmereinrichtungen u. \. w. (75 Auésteller) und Entwürfe (3 Aus- steller) geben die zur Schau gesteUten Artikel ein beredtes Zeugniß von der Gediegenheit, dem Geshmack und dem Komfort, mit denen die Gegenwart ibre Häuser aufzubauen, die Zimmer behaglich einzuricten und seltst den Küchen eine den weitestgehenden Wünschen der Haus- frau ent|prechende Ausstattung zu geben versteht. Ein geschma&voll in Zinkblech auégeführter Pavillon, vom Baumeister Scwenke ent- worfen und von P. Thielemann, Leipzigerstr. 117, angefertigt, fesselt das Auge durch seine {önen Verhältnisse und dur faubere Arbeit. Vor diesem Pavillon hat der Verein der Inhaber von Steinmet- geshäften eine sehenswerthe Mustersammlung von hierorts verwende- ten Sandsteinen, Kalksteinen, Marmoren, Graniten und Sienitcn in den verschiedenen Arten der Bearbeitung zur Schau gestellt. Drei vollständig eingerichtete Küchen von J. Tiede, Leipzigerstr. 79, E. Cohn, Haus-

voigteiplaß 12, und Jacob Ravené Söhne, Stralauerstr. 28/29, sind

ein starker Anziehungspunkt für das weibliche Publikum; die lett- genannte Firma hat ihren Raum mit Koh-, Speise-, Trink- und (Sßgeräthen von bemaltem emaillirten Eisenblech (Berliner Emaille- Malerei) versehen, die vielen Beifall finden. Unter den Koch- maschinen erregen ein großer Spießbratenwender mit selbstgehendem Gewerk von F. W. Kayser & Co. und die Maschinen von E. R. Damdcke, Dorotheenstr. 44, viel Aufmerksamkeit. Eine von Fr. Pe- ters, Köthenerstr. 22, ausgestellte Vase in getriebenem Zink nach einem Modell von Schinkel, zeigt mit den Balkonbrüstungen und der Kassettendede in Messing und Kupfer, daß “auch dieser Zweig der Ornamentik eine genügende Vertretung in Berlin findet. Kamine und Oefen, Waschtoiletten, Eisshränke, Eismaschinen, Water- klosets 2c. in den verschiedensten Größen und nach verschiedenen Sy- stemen füllen in reiher Auswahl den mittleren Raum der Vorder- halle. Die zu beiden Seiten gelegenen Nischen, im offiziellen Kata- lag als Kojen tezeihnet, sind für komplete Zimmereinrihtungen bestimmt, zur Zeit aber noch nicht vollendet. Hier ver- einigen sich in dem leitenden Architekten und ausführenden Hand- werker Kunst und Gewerbe; es wird diese Abtheilung später einen Glanzpunkt der gesammten Ausstellung bilden. In dem zu der Gruppe gehörigen Garten befindet si der Pavillon der Stadt Berlin, der ebenfalls noch nicht fertig gestellt ist. Das gefällige Formen zeigende Gebäude ist vom Architekten W. Heyden ausgeführt; mit der Malerei des äußeren Frieses und der inneren Dee ist der Historienmaler M. Meurer beschäjtigt. Die Bauverwaltung der Stadt Berlin fungirt hier zunächst als Aussteller ; Zeichnungen, Pläne und Entwürfe aus dem Gebiete des Hoch- und Tiefbaues, Photographien und Modelle, Maschinen, Dampfwalzen und Erzeugnisse der Osdorfer Rieselfelder füllen einen Theil des Pavillons und des Gartens, dessen Wege die Bauverwaltung mit verschiedenen Arten von Probe- pflafter hat belegen lassen. In ausgiebiger Weise wird der Magistrat

zu Berlin vertreten sein, Neben den Modellen des Rathhauses, dem neuen Thurmbau der St. Nikolaikirce, einer Turnhalle und zweier Schulklassen, sowie neben einigen Schulsubs-llien werden \sich Zeic- nungen und Photo raphien von hervorragenden ftädti1chen Gebäuden fo die Irrenan talt bei Dalldorf, das ftädtishe Arbeitshaus bei A R, die städtishen Krankenanstalten im Friedrihshain und in Moabit, verschiedene Gymnasien und andere Schulhäuser befinden. Formsteine und TCTerrakotten , Verblendsteine, Bauor- namente aus gebranntem Thon von verschiedenen Ausstellern herrührend, lehnen sich an die den Garten begrenzenden Wände des Ausftellung8gebäudes. Unter dem Stadtbahnviadukt zeigt sich die Breslauer Aktiengesellschaft für Möbel, Parquet und Holzarbeit (Leipzigerstr. 136, Fabrik in Breélau), mit einer getäfelten Zimmer- wand in geshnitßtem Eichenholz mit Intarsien in Natur- und Scchwarz- eihe; nit geringeren Werth besißt eine sehr stilvoll gehaltene eichene Hausthür von Emil Koch, Elisabeth-Ufer 55, und eine eichenholz-fournirte Hausthür von C. Hardt, Dorotheenstr. 44. Einen freundlichen Anblick gewährt die von Osc. Nast, Belle-Alliancestr. 74, ausgestellte Kollektion von Intarsien in Holz, Metall, Elfenbein Perlmutter und Schild- patt; ebenso seine fertigen Tische und Chatouillen mit Intarsien. Die Fabrikation des Asphalts, des Hol:cements, der Dachpappen ist durch{ eine größere Anzahl angesehener Firmen vertreten. Jn der reichen von der Firma Töpffer & Schädel, Berrburgerstraße 4, bewirkten Ausstellung von atmosphärishen und elektrishen Haustele- graphen, Ventilationsverschlüfsen und Fernsprechern is eine dem System der Rohrpost nachgebildete pneumatisbe De- peschenbeförderung sehr beahtenswerth. Als eine baute{- nishe Spezialität zeigen Vilain & Co., Leipzigerstraße 107, ihr Mittel gegen den Hauës{hwamm: „Schwammtodt". Neben den verschiedenen Spiegeln und Salontischen von Karl Abel, Markus- straße 33 a., den Holzmosaik- uad Marqgzetterie-Einlagen von Stern, König u. Cie., Bukowerstr. 7, seien auch die Gold- und Politur- leistenfabrifkate von A. Werkmeister, Prinzenstr. 12, genannt.

In der oberenEtagedesDeutschenGewerbe-Museumé ist so- eben die vor Kurzem augekaufte, ebenso umfangreiche wie in ihrer Art völlig einzig dastehende von Brandtsche Sammlung chbinesisher und japanisher Kunstgegenstände in übersichtliher und ges{mackvoller Anordnung zur öffentlichen Ausstellung gelangt. So sehr der seit Jahren fortdauernd zunehmende Import aus jenen bei- den Ländern die Kenntniß ihcer mannigfacen kunstindustriellen Ec- zeugnisse und die denselben gebührende hohe Werthschätung bei uns verbreitet hat, so giebt doch erst ein so stattlihes Ensemble, wie es uns hier entgegentriit, „einen völlig zutreffenden Begriff von der geradezu erftaunlihen Fülle fkünstlerisder Sböuheit und der nit minder bewunderungswürdigen souveränen techuischen Meisterschaft, über die das vielgestaltige kunstgewerblihe Schaffen beider Völker gebietet. Unter den denkbar günstigsten Verhältnifsen von dem früheren Minister-Residenten in Yedo, jeßigen Gesandten des Deutschen Reichs in Peting, Herrn M, von Brandt, vor Jahren angelegt und mit feinem Kennerblick fort und fort vervoliständigt, umfaßt die Sammlung fast sämmtliche Zweige ostasiatischer Kunft- industrie, beschränkt sich dabei aber unter vollständigem Aus\c{bluß aller gewöhnlihen Marktwaare und aller etnogravphischen Raritäten auf die erlesensten Probestücke und vereinigt in s vor allem eine in gleicher Reichhaltigkeit nicht blos in Deutschland zum zwei- ten Mal überhaupt kaum vorhaudene Auswahl der besten Produkte älterer Zeit. Kostbare, in Seide und Gold- brokat gearbeitete Prachtgewänder nebst reich gemusterten Stoffen und Stickereien, denen sich drei herrliche chinesische Teppiche in Seide und Seidensammet hinzugesellen, repräsentiren die blühende Textilindustrie beider Länder. Daran schließen sih japanische Papier- tapeten und zahlreihe Malereien auf Papier und Seide, unter denen eine stattlihe Kollektio1 von Fächern mit cft entzücend anmuthiger Dekoration zu erwähnen ist. Zwei in Lackmalerei ausge}ührte mehr- theilige japanische Wandschirme, deren miniaturartig behandelte figür- lihe Darstellungen dur die geistreichste Frische der Erfindung und Charakteristik fesseln, nebft einer alten, in geschnittenem Lak herge - stellten chinesishen Wand leiten sodann zu den seltensten Lackarbeiten über, von welchen außer einem originellen Shränkhen in Gestalt eines Schiffes aus geschnittenem rothen La vor allem ein mit ganz ähnlich behandeltem Ueberzug versehenes Glasgefäß, zwei \{lanke Vasen, die nah Art von Zellenemail dekorirt sind, verschiedene Stücke aus völlig metallifch wirkendem Goldlack und namentlich auch zwei große in ebenso reicher wie vollendet harmonisher Farbengebung mit unvergleichlichem Ge- schbick bemalte Theebretter die eingehendîte Beachtung fordern. Auf gleicher Höhe tadelloser Vollendung stehen ferner die in Jade ges schnittenen Arbeiten, unter denen ein zierlides Schreibzeug in Gestalt eines Kürbisblüthenzweiges auffällt, die unüber- trefflihen Schnißereien in Holz und Elfenbein und die zum Theil verscbiedenfarbigen und in Gold und Silber tauschirten Bronze- arbeiten, von denen in der gegenwärtigen Aufstellung ein {wung- voll geformtes, mit Silber eingelegtes Becken mit zwei mächtigen emaillirten kupfernen Kohlenbehältern, zwei kolossalen Vasen und zwei flahen Scbüfseln in feingetönter hellfarbiger Emaillirung zu einer imposanten Gruppe vereinigt ist, der sich überdies noch ein aus act großen Emailplatten zusammengeseßter Wandschirm anschließt. Eine an- sehnliche Kollektion von Stücken mannigfaltigster Form und Größe, unter welchen nur auf die graziós bemalten Theekannen aus dem Sommer- palasft zu Peking ausdrücklich hingewiesen sein möge, illustrirt neben jenen Prachtstücken sowohl die verschiedenartigen Techniken wie die gesammte geshihtlihe Entwickelung des Emails in Japan und China, und daran reihen sih wieder auf der einen Seite die ganz eigenartigen, mit tranélucidem Schmelz in vertieften Feldern gezierten filbernen Yumanarbeiten sowie tie in Gold und Silber mit Hipozu- nahme von Perlen, von verschiedenartigkem Schmelz und aufgelegten blauen Federn gefertigten chinesishen Schmuck- sahen, in denen die üppige Phantastik der aus Blüthen- zweigen und frei \{webenden Schmetterlingen, aus Stlangen, Drachen und anderem Gethier \ih gestaltenden Formen im Vereine mit der denkbar raffinirtesten Technik wahrhaft wunderbare Schöpfun- gen hervorruft. Den Beschluß der ganzen Sammlung endlich bilden die werthvollsten Porzellane, Fayencen und Steingutwaaren beider Länder, sowie ganze Reihen darunter allein 110 Tabaffläshchen von Vasen, Flaschen, Schalen und Dosen aus chinesishem Glas, das, in Exropa bisher fast unbekannt, uns hier zum ersten Male in höchster tehnisher Vollendung und in einem fast unershöpflihen Reichthum bald glühend leuchtender, «bald weich und mild getönter Farben entgegentritt.

Bremerhaven, 2. Mai. (Mazdeb. Ztg.) Mit dem Lloyd- dampfer „Neckar“ traf gestern eine aus 11 Personen, nämlich 8 Indianern, 2 indianischen Squaws und 1 Halbblutmerxikaner, be- ftehende Ane Be vom Stamme der Jrokesen aus Canada, unter Führung ihres Häuptlings Okanewanka, hier ein, um fih auf dem europäischen Festlande sehen zu lassen und ihre ver- {iedenen Gebräuche vorzuführen. Dieselben sind von dem bekannten Händler Reiche in Alfeld gewonnen worden und werden zuerst nah ene a. M. gehen, von wo die auf drei Monate bestimmte

undreise ihren Anfang nehmen soll.

Redacteur: J. V.: Riedel.

Verlag der Expedition (Kesfsesl). Druck: W. Elsner.

Drei Beilagen (eins{ließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

M 107.

=-= nrmnctene

Nichtamfliches.

Berlin, 8. Mai. Jm weiteren Verlaufe der vorgestrigen (39.) Sißung seßte der Reichstag die erste Berathung des Geseßentwurss, betreffend den Zolltarif des deutschen

ollgebietes, fort. Der Abg. Freiherr von Varnbüler er- lärte, er würde in der Generaldisfussion das Wort gar nicht ergriffen haben, da dieselbe die Gegensäße mehr zuspize als ausgleihe, und da er sih in einer Art Zollübersättigung be- finde, aber seine persönliche Stellung zur Frage und die An- griffe auf den Tarif hätten ihn vermocht, es doch zu thun. Der Abg. Delbrück habe dem Zolltarif den Vorwurf gemacht, daß er einer systematishen Logik huldige. Diesen Vorwurf könnte er acceptiren, als Schild gegen den Vorwurf der Kopf-

losigkeit, Gedankenlosigkeit und des Mangels an Logik, den

der Abg. Bamberger gegen den Tarif erhoben habe. Jn- dessen hon im April 1877 habe er (Redner) den Say aufgestellt, ein Prinzip solle zwar niht den ganzen Zoll- tarif beherrschen, aber die Willkürlichkeit, welche dur die Ent- stehung des bisherigen Tarifs und das liberum veto der ein- zelnen Staaten bedingt sei, müßte abgeschafft werden. Red- ner ging alsdann zu den einzelnen Bchauptungen des Abg. Delbrück über, von denen die meisten in der Spezialdiskussion widerlegt werden würden. Er wolle nur auf einige derselben jest eingehen. Zunächst die Steuer auf Eier anlangend, die theil- weise zur Photographie-FFndustrie benuzt würden, so importire Deutschland jährlih 765 000 Ctr. Eier, von denen 72 000 Ctr. zur Herstellung von 20 000 Ries photographischen Papiecres verbraucht würden, es blieben also noch fast 700 000 Centner Eier, um den Frühstückstisch zu garniren; deswegen brauche man also keine Besorgniß zu haben. Ein Ries photographi- schen Papiers habe einen durhschnittlihen Werth von 150 4; bei einem Zollsaße von 1,50 A auf den Centner betrage die Steuer auf ein Ries, zu dem 360 Eier, also etwa 1/; Ctr. gebraucht würden, gerade 50 S, um so viel würde das photographische Papier also vertheuert werden ; und troß dieser Kleinigkeit ergebe die vorgeschlagene Steuer bei einem Fmport von 765 000 Ctr. Eiern etwa eine Million Mark Einnahme für das Reich, die dasselbe keinenfalls entbehren könne, Dann sei der Zoll auf Floretseide als ganz besonders ershwerend hingestellt, da die Crefelder Seidenindustrie dieselve nöthig habe und man ihr durch einen Los entziehe, was man in Deutschland nicht er- segen könnc. Deutschland habe 11 Fabriken für Floretseide, 7 im Elsaß und 4 in Baden, mit 40 000, oder nah anderen Nachrichten 51 000 Spindeln. Von diesen würden 320 000 Ctr. Floret- seide produzirt ; die Crefelder Jndustrie gebrauhe 150 000 Ctr., man könne also nicht sagen, daß Crefeld durch den Zoll seine Floret- seide verliere. Wenn auf 100 kg ein Zoll von 12 4 gelegt werde, so jei das 1/; Proz. vom Werthe. Die Spezialdiskujsion werde das Nähere ergeben, aber man ersehe doch schon hieraus, daß die Tariffommi]sion auch ihre Gedanken gehabt habe. Was die Menschenhaare anlange, so könnten Diejenigen, welche Chignons und Perrücken trügen, auch wohl noch einen Zoll dazu tragen. Dieser Fndustriezweig könne ih also durch eine Erhöhung der Provijion schadlos halten. Der Baumwollen- zoll sodann betrage höchstens 1 Proz., durchschnittlih 1/; Proz., aber oft weniger. Ein Zoll von 1 Proz. mache auf den Centner ungefähr 0,6 §, und dadur würde der arme Mann, der für ein Paar Baumwollenhosen 2/3 F mehr bezahlen müsse, doh wirk- lich nit geshädigt. Darin stimme er aber mit dem Abg. Delbrück überein, daß, nachdem ODesterreih durch Annahme eines höheren Zolltarifs die Erwartungen, die man 1868 von dem- jelben hatte, niht erfüllt habe, Deutschland seinen Tarif er- höhen könne. Nicht nur Oesterreih, auch Nordamerika, Frank- reih und Nußland hätten ihre Tarife erhöht, während Deutsch- land den seinigen feit 1868 stetig erniedrigt habe. Zu einer Revision des Tarifs zwinge Deutschland, außer dieser Disparität {hon die Rolle, welche die deutshen Unter- Ballon in Wien gespielt hätten, die mit dem entblätterten olltarif, den der Reichstag noch mehr herabseßzen wollte, überall ausgelaht seien. Wenn das Haus auf Handelsverträge so großen Werth lege, so mache man einen Zolltarif, mit dem man in Wien gehörig auftreten könne. Nun sei der Aus- arbeitung des Tarifs der Vorwurf der Eile und Oberflächlichkeit gemacht worden. Keiner habe dies mehr empfunden als die Kom- mission selbst. Aber wer e dieselbe denn in diese Zwangs- lage gebracht ? Habe er (Redner) nicht hon im April 1877 im Namen von 143 Mitgliedern dieses Hauses den Antrag ge- stellt, ganz gründlich die wirthschaftlihen Verhältnisse Deutsch- lands zu untersuchen? Habe nicht gerade die Partei Bam- berger und Genossen den Antrag auf eine Enquete verhin- dert? Der Kommission könne man den Vorwurf nicht machen, wenn die Zeit so beschänkt gewesen sei. Die be- schränkte Zeit liege auch in der Nothwendigkeit, in diesem Jahre die Sache abzuschließen. Hätte die Nothwendigkeit vor- gelegen, einen autonomen Tarif auf anderer Basis zu grün- den, so wäre der provisorische R mit Desterreich nicht abges {lossen worden. Dieser laufe mit dem 1. Januar 1880 ab. Die größte Schwierigkeit aber liege in der mangel- haften Statistik. Nie habe er den Saz Alexander von Hum- boldts, daß der Mensh dur seine Verhältnisse beherrs{ht werde, mehr bestätigt gefunden, als jeßt. Die Interessen ätten die Meinungen unklar Nas und es sei chwer, das Rithtige zu finden. Der Deutsche ei geneigt, Alles in ein System zu bringen und so solle auch beim Tarif zwischen Finanzzoll und Schußzoll unter- schieden werden. Jn jedem Finanzzoll aber sei noch ein kleines Stück Schutzoll. Der Schutzzoll sei nach seiner Auffassung das Gegentheil eines inanzzolles, denn wenn er rihtig gedacht sei, vermindere er die Einnahmen, statt sie zu As Ueber die finanzielle Wirkung des Tarifs zu sprechen, sei kaum zweckmäßig, da es sih noch einer genauen Berechnung entziehe, wie viel er der Reichskasse eintragen würde, seiner Berehnung nach im Maximum 58 Millionen, im Minimum 45 Millionen. Ueber 58 aber werde man ein- Yließlih der Finanzzölle, das heißt der sogenannten Heidel- erger Artikel nah seiner Ueberzeugung nicht kommen. Ob diese Ziffern richtig seien, wisse er niht; er fönne nur sagen, daß er gesucht habe, sie genau festzustellen. So viel stehe aber bei ihm fest, daß der Tarif an und für sih für das Einnahme-

Erste Beilage O zum Deulschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Donnerstag, den 8. Mai

O

bewilligungsrech! des Reichstages nit von entscheidendem Ein- Einfluß sei, denn der Tarif werde jedenfalls weit unter dem Be- trage derMatrikularumlagen stehen bleiben. Zur Charakterisirung des Zolltarifs könne er zu den heutigen Ausführungen des Regierungskommissars noch hinzufügen, daß es beinahe gar kein Halbfabrikat gebe, welches nicht selbst unabhängig ange- wendet werde und in dieser Eigenschaft ein vollständiges Fa- brikat sei. Die Unterscheidung zwischen Rohstoff und Halb- und Ganzfabrikat sei eigentli eine willkürliche. Troßdem habe man mit diesem Begriff zu rehnen. Die Kommission habe beinahe ausnahmslos Dasjenige, was man im gewöhnlichen Sprachgebrauch „Rohstoff“ nenne, vom Zoll freigelassen. Nur bei der Holzborke könnte man das bestreiten. Hier sei entscheidend, daß man sage, in einem Lande, wo die Gesetz- gebung aus Wohlfahrtsgründen den Eigenthümer ausnahms- weise so beschränke, wie es beim Waldbesiße der Fall, sei sie au verpflichtet, den Waldbesißer, weil er seinen Wald nicht devastiren dürfe, gegen die Konkurrenz der Waldbesitzer in Kroatien, Slavonien, Galizicn zu \{üßen, welhe ihre Wälder nah Belieben ausbeuten könnten. Belaste man die Halbfabrikate, wie Garn, mit einen: Zoll, so ershwere man die Anwendung desse!ben Demjenigen, der es zu ver- wenden habe. Wenn man davon ausgehe, daß die Aufgabe der Zollpolitik die Theilung der Arbeit sei, daß also das Spinnen Sache der Engländer, das Weben Sache der Deutschen sei, so komme man natürlih bei Ermessung der Garnzölle auf einen andern Standpunkt, als derjenige, welcher das Gesammtgebiet der Jndustrie zu)ammenfassen und es möglichst dahin bringen wolle, daß die Nation mit den ein- zelnen Zweigen ihrer Jndustrie selbständig dastehe und ein abgerundetes Ganzes bilde. Die Positionen des Tarifs möchte er nun so stellen, daß die fremde Waare nicht absolut ausge- {lossen sei aus Deutschland, daß es ihr aber niht gar so bequem gemacht werde, Deutschland zu überfluthen, und zwar dadurch überdies nicht so bequem gemacht werde, daß die fremde Waare in ihren Frachtverhältnissen viel besser bedacht sei als die inländishe. Dem Satze des Zollschußes stehe der Saß der Freihändler gegenüber, man habe stets da zu kaufen, wo man am wohlfeilsten kaufe. Der Abg. Reichen- sperger habe diesen Sah in klassishér Weise widerlegt. Er verneine auh den Saß, daß eine Nation in erster Linie den Export berücsichtigen müsse. Jn erster Linie müsse eine Nation sih auf den inländishen Markt stügen. Eine Jndustrie, die nur mit dem Auslande zu verkehren habe, sei stets in einem fieberhaften Zustande. Der ganze Export sei mehr spekulativer als produzirender Art. Das gelte aber doppelt von dem deutschen Export. Deutschland sei politisch heute vielleicht die mächtigste Nation der Welt, aber auf dem ausländishen Markte eine Art Aschenbrödel. Der Engländer träte auf den fremden Markt entweder in seinen Kolonien oder gestüßt auf sein altes Nenommé, seine außer- ordentlih mächtige Flotte, theilweise auch auf seine persönliche Brutalität. Der Franzose habe den Nimbus der Eleganz für sih und die Mode. Die deutshen Waaren müßten sich auf dem fremden Markte erst einbürgern, und dies thäten die auf dem innern Markt ges{hüßten Jndustrie am meisten. Je gder der Zoll, desto größer der Export. Die Zollerhöhung önne also den Export niht schädigen. Jn Nordamerika sei das Schuzzollsystem erst 1860 eingeführt, werde also erst 1870 angefangen haben zu wirken. Nun habe die Tragfähigkeit der aus Nordamerika exportirenden Schiffe in Tons im Jahre 1870 600 000, im Fahre 1876 aber 900 000 betragen. Un- efähr ebenso groß sei der Jmport gewesen. Einfuhr und usfuhr, namentlich leßtere hätten also unter dem Schußtzoll nicht gelitten. Auch er freue sich mit dem Vorredner stets, wenn neue Hebel angeseßt würden zur Belebung des nationa- len Gefühls, und er glaube, Nichts diene hierzu jo sehr als eine nationale, in si abgeschlossene Jndustrie, nicht allein im Innern, sondern auch dem Auslande gegenüber. Das Aus- land würde sehen, daß Deutschland sich seiner Nationalität bewußt sei, wenn es nun auch eine Gesezgebung mache, dur welche es die Arbeit seiner Nation s{hüßze. Deutschland sei in dieser Beziehung viel schlimmer daran als andere Länder, denn es habe in seinem Geshmack gar nichts deutsches. Die Redens- art: „es ist niht weit her“ drüde es auf eine entschiedene und beshämende Art aus, daß die Deutschen geneigt seien, das Fremde höher zu achten als das Eigene. Um so mehr bedürfe daher die Jndustrie eines geseßlichen Schußes. Dieser Schuß sei noch lange keine sozialistishe Agitation. Er verstehe den Kampf mit dem Sozialismus nicht dahin, daß man nicht die Pflicht haben sollte, dem deut- schen Arbeiter so viel Arbeit als möglih zu schaffen. Er habe für das Sozialistengeseß gestimmt, weil er die Bewegung sür eine ungeseßliche, destruktive gehalten habe. Aber darum iege ihm die Arbeit des deutschen Arbeiters niht weniger am Bergen als irgend einem Anderen, und wenn man von taatswegen darauf hinwirke, so agitire man nicht sozialistisch, sondern erfülle nur eine Pfliht der Moralität. Er schließe mit einem Worte, welhes der berühmte Staatsmann und Nationalökonom Thiers im Jahre 1870 ausgesprochen habe: „Wir wollen der Nation Arbeit schaffen und sie ihr erhalten, wo sie welche besißt.“ i :

Der Abg. Sonnemann bemerkte, in Betreff der Finanz- und Sqhußzölle stehe er ganz auf dem Standpunkt, den der Abg. Richter in seiner leßten Rede entwickelt habe. Der Vor- redner habe aus den Verhandlungen über den österreichischen Handelsvertrag gefolgert, daß auf diesem Wege für das Reich nihts mehr zu erreichen sei; Deutschland müsse erst einen selbständigen Tarif haben. Er möchte doch fragen, ob die deutschen Unterhändler niht mehr erreicht hätten, wenn sie andere Jnstruktionen gehabt hätten, und wenn der Zolltarif vielleiht etwas freihändlerischer gewesen wäre. Frankreich sei in derselben Lage gewesen wie Deutschland; es habe Verträge mit Jtalien und England. Und dennoch habe Frankreich si Zeit gelassen; es habe den Handelsvertrag mit England verlängert, nur um Zeit zu gewinnen zur „Feststellung seines Tarifes, und es würden bis dahin vielleicht noch zwei Jahre vergehen. Hier sei die Sache in zwei Monaten abgemacht worden. Von den Baumwollen- waaren habe man gesagt, der. innere Markt falle hauptsächlich ins Gewicht, der Export sei pcekär. Man müsse doch erst

1879.

untersuchen, ob die deutschen Fabrikanten nicht weiter vorge- schritten seien, ob sie niht den inneren Markt beherrschten und daneben noch exportirten. Jn Betreff d-r Baumwolle kümmerten sich die Motive gar niht um die Resultate der Enquete. Die Krefelder Handelskammer habe gegen diesen Theil der Motive eine so scharfe Anklage erhoben, daß man eine Erwiderung der Regierung wohl erwarten könne. Wenn man die Enquete mit den Motiven vergleiche, so müsse man wirklich sagen: von einer Regierung seien felten zwei so ver- schiedene Aktenstücke ausgegangen. Man habe die Protokolle und den Bericht der Enquete nur darum so lange sefkretirt, um dem Reichstag nicht die genügende Zeit zu lassen, sie genau zu studiren. Der Redner führte “Run aus, wie die Motive den Resultaten der Enquete, wie sie im Bericht niedergelegt seien, vollflommen widersprächen ; nah den Moti- ven sollten die Ursachen des Rückganges der Spinnerei schon älteren Datums sein, während der Enquetebericht sage, daß erst mit Anfang 1877 die Schwierigkeiten hervorgetreten seien. Dann werde der Jmport von Baumwollenwaaren in ganz verschieden gearteten Fahren verglichen: 1846 sei ein exceptionell großer Jmport, 1864 ein Jjehr geringer ge- wesen, weil der amerikanische Krieg überhaupt die Baum- wollenindustrie herabdrückte, Was Deutschland an baumwolle- nen Garnen importire, seien zur Hälfte Spezialitäten, zur Hälfte solhe Sachen, bei denen es fich um die billigere Fracht handele. Süddeutschland verarbeite nur 2 Proz. aus- ländischer Garne. Die Rentabilität der Spinnereien sei noch lange niht so s{lecht, als man annehme; wo wirklih un- günstige Resultate erzielt seien, seien die Etablissements irrationell angelegt oder s{hlecht geleitet gewesen. Speziell in Elsaß-Lothringen hätten die Spinnereien, die sih den Be- dürfnissen des deutshen Marktes anbequemt hätten, von 1872—75 entschieden prosperirt; dagegen müsse man auch darauf hinweisen, daß die elsässishe Spinnerei troß der enormen Schußzölle, die sie unter französischer Herrschaft ge- nossen habe, doch nit leistungsfähig genux geworden sei, um eine freie Konkurrenz aushalten zu können. Als die süd- deutshen Spinner sich vereinigten, um die herrschende UVeberproduktion zu mäßigen, hätten sich die Eljässer geweigert, darauf einzugehen. Die höheren Zölle würden das Nohmaterial vertheuern und damit den Export er- schweren, der schon jeßt unter den ungünstigsten Konkurrenz- verhältnissen leide. Auch die Herren vom Centrum würden fich wohl noch überlegen, ob sie den Schußzöllen voll und ganz zu- stimmten, denn sie hätten sih schon vielfah für die Erhaltung der Kleinindustrie interessirt. Die Spinnereien seien Groß- industrien, und was machten die 193 000 Arbeiter der Spinnereien gegen die 1 061 000 Arbeiter der übrigen Textil- industrie aus ? Er hoffe, troß der Erklärung des Abg. Reichen- sperger würden die Herren vom Centrum seine Partei noch unterstüßen und es werde das Wort des Abg. Windthorst zur Wahrheit werden, daß jeder Versu, die handels- politishen Grundsäße von 1865 gänzlich zu beseitigen, scheitern werde. i n : Der Abg. von Bennigsen führte aus, der Reichstag stehe jeßt vor der shwierigsten und verantwortungsvollsten Aufgabe, welche denselben seit der Errihtung des Deutschen Reichs be- shästigt habe. Dadurch werde die Schwierigkeit noch bedeu- tender, daß sih die wirthschaftlihen Anshauungen, wie sie im Reichstage vertreten seien, sich nicht volllommen mit dem poli- tishen Programm der einzelnen Parteien deckten. Es sei eine ungewöhnliche Situation, der der Reichstag sih gegenüber sehe, sie stehe im vollkommensten Gegensaß zu den Fnten- tionen, die noch vor kurzer Zeit in den Regierungen und deren hervorragendstem Leiter geherrscht hätten. Fn rascher Folge hätten sih die Anschauungen des Reichskanzlers über wirthschast- lihe Fragen außerordentlich geändert; noch vor Kurzem sei niht die Rede von einem umfassenden Schußzollsystem ge- wesen. Man habe in erster Reihe das Finanzbedürfniß des Reichs mit einek allgemeinen Eingangsabgabe zu decken ge- sucht und eine Reihe von einträglihen Finanzartikeln in Aus- siht genommen für bestimmte nothleidende Fndustrien. Wenn er nun hoffe, daß troy der außerordentliten Schwierigkeiten der Situation dennoch das Resultat im Großen und Ganzen ein für Deutschland heilsames und ersprießliches sein könne, so entnehme er das Recht zu dieser Hoffnung daraus, daß man im Reichstag genug Sachkunde und Patriotismus habe, auch einer shwierigen Aufgabe gegenüber nicht zu verzweifeln. Seine Partei zähle sicheigentlih weder zu den Freihändlern, noch zu den Schußzöllnern; er halte es gar nicht für die Aufgabe der Ge- seßgebung, von solchen doktrinären Gesichtspunkten die Geseße für die Nation aufstellen zu sollen; das sei die Aufgabe der Lehrer der Wissenschaft. Die uus habe die BVerpflich- tung, an der Hand der wirthschaftlihen Verhältnisse, wie sie im großen Zusammenhang im Lande si darstellten, die That- sache klar zu erkennen und dana die Geseße einzurichten. Es handele sich dabei nit blos um die Verhältnisse in Deutsch- land, sondern auch um Verhältnisse in anderen Ländern, mit denen Deutschland in erster Reihe in Verkehr stehe. Vom legislatorishen Standpunkte aus halte er daran fest, daß die Behandlung der wirthschaftlihen Fragen eine wecselnde sein könne, nah dem Wechsel der augen- blicklichen Situation, nah dem Wechsel der Verhältnisse. (Abg. Richter-Hagen : und der Ansihten des Kanzlers.) Wenn der Abg. Richter glaube, daß die Ansichten des Kanzlers einen erheblichen Einfluß auf seine Meinung hätten, so müsse er das zurückweisen. Er habe die Unabhängigkeit seiner Mei- nung genügend und noch vor einem Fahre in eflatanter Weise be- wiesen. Wenn allerdings jeßt die europäischen Staaten mehr autonome Zolltarife machten, als Verträge speziell mit Deutsch- land abschlôössen, so müsse auch die Zollpolitik Deutschlands natürlih zu anderen Resultaten gelangen. Wenn man be- haupte, dab die deutsche Zollpolitik die Me Rich- tung in andern Ländern befördert habe, so fei das cine Ver- wirrung in der Chronologie. Für die Entschließung anderer Länder fei nicht die Agitation, sondern die geseßgeberishen Akte in Deutschland maßgebend, und in dieser Beziehung habe man unter der Herrschaft des französischen und österreichischen Han- delsvertrages ias Gegenleistung dieser Länder die deutschen Geseße im freihändlerishen Sinne geändert. Von den Vor-