1879 / 142 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 20 Jun 1879 18:00:01 GMT) scan diff

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Rumänien. Bukarest, 19. Juni. (W. T. B.) Der juristishe Beistand der Regierung in der Angelegenheit des Ueberganges der rumänischen Eisenbahnen an den Staat, Calenderu, hat sih nah Berlin begeben.

Nußland und Polen. Odessa, 19. Juni. (W.T. B.) Heute früh ist das Kasansche Regiment mit dem Stabe des 4. Corps unter General Skobeleff auf dem Kreuzer „Rußland“ hier eingetroffen.

Amerika. Washington, 17. Juni. (Allg. Corr.) Der Senat hat die Justiz-Kreditvorlage in amendirter Fassung angenommen. Dieselbe ermächtigt das Kriegs- departement zu Ausgaben für den Truppentransport, was bisher durch feine frühere Kreditbewilligung geschehen ist. Diese Konzession war von den vereinigten Comités des demokratishen Caucus empfohlen worden. Der Senat hat sih der vom Repräsentantenhause adoptirten Resolution für die Vertagung der Session angeschlossen. Der Senator Bayard beharrt bei seinem Beschluß, den Vorsiß aufgeben zu wollen, sofern die Silber-Bill vom Senat diskutirt werden sollte.

Mittelamerika. Mexiko. (W. T. B.) Den lezten aus Mexiko über New-York, vom 19. Juni, eingegangenen Nachrich- ten zufolge war der Aufstand gegen die Regierung im Wachsen. Der Postverkehr mit dem Jnnern ist unterbrochen. «In Monterey wurden alle Zeitungen, mit Ausnahme des amtlichen Blattes, genöthigt, ihre Publikationen einzustellen. General Marano organisirte Streitkräfte gegen den Präsi- denten Porfirio Diaz.

Südamerika. Peru. Die Deputirtenkammer hat einen Zoll von fünfzig Cent Papiergeld auf jeden aus dem Lande ausgeführten Centner Zu cker gelegt, statt fünfzig Cent in Silber, wie die Regierung vorgeschlagen hatte. Jm Senat liegen zwei Resolutionen, betreffend dieselbe Frage, vor: eine, welche eine Abgabe von drei Prozent des Werths des Zuckers, die andere von sechs Prozent des Nettogewinns zu erheben beab- sichtigt. Außerdem hat der Kongreß eine Resolution ange- nommen, wonach jedem männlichen Peruaner von 21 bis 60 Jahren eine halbjährlihe Kopfsteuer, vier Soles (5 6) für die Küstenbewohner und 3 Soles für die Bewohner des Fnnern, auferlegt wird, selbstredend nur während des Krieges. Mit dem Betrage dieser Steuer, der Zuckersteuer, dem Betrage der Schenkungen und freiwilligen Zeichnungen zu dem Kriegsfonds und dem Abzug von zwanzig Prozent von allen Beamtengehältern, welche Eingänge zusammen die Summe von 6 489 749 Soles jährlich erreichen, glaubt die Regierung über die nöthigen Mittel zu einer nachdrücklihen Kriegführung verfügen zu können.

Brasilien M0 de Janeiro, 27, Mai Qa: Corr) Die Deputirtenkammer hat einen provisorischen Kredit im Betrage von 10 000 000 Milreis votirt, da es unwahrscheinlih ist, daß der Senat das Budget für das nächste Finanzjahr vor dem 1. Juli annehmen wird.

Von Buenos-Ayres hier eingegangenen, bis zum 18. d. M. reichenden Nachrichten zufolge, wurde die Verwer- fung des patagonischen Grenzvertrages mit Chile für nahe bevorsteh:nd gehalten, und wurden in Folge dessen kriegerische Vorbereitungen getroffen. Die argenti- nischen Kanonenboote hatten den Befehl zur Rückkehr nah der Meerenge erhalten, und weitere drei wurden ausgerüstet, um sih dorthin zu begeben. Ein Angriff der Jndianer auf das Fort FJtaleo war zurückgeshlagen worden.

Aus Paraguay wird gemeldet, daß Señor Godoy, ein Oppositionsführer, den Präsidenten Barrevióo abgeseßt und sih der Regierung bemächtigt habe.

Argentinien. Buenos Ayres, 18. Mai. (Allg. Corr.) Ein Aufstand hat in der Provinz Jujuy stattge- funden Die Rebellen warfen Señor Torino ins Gefängniß und befestigten die Stadt Salta.

Afrika. (Allg. Corr.) Die neueste Post von der Westküste Afrikas bringt die Kunde von dem am 6. v. M. erfolgten Ableben des Königs Archibong von Old Ca- labar. tan fürchtet, daß der Tod des Königs zu Miß- helligkeiten unter den rivalisirenden Häuptlingen Old Calabars Anlaß geben könnte.

Statistische Nachrichten.

Nach Mittheilung des statistishen Bureaus der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom S AUNT bis incl. 14. Juni cr. zur Anmeldung gekommen: 147 Cheschließungen, 797 Lebendgeborene, 38 Todtgeborene und 621

Sterbefälle. Gewerbe und Handel.

Berlin, 19. Juni, Abends. Während in früheren Jahren das auf dem Wollmarkte befindlihe Quantum meist s{chon am ersten Tage des Vièarktes faft vollständig begeben war, war bis zurn S{luß dieses Berichts ungefähr erst ein Drittel der Zufuhren verkauft, und dürfte im günstigsten Falle bis zum späten Abend die Hälfte geräumt werden. Bezeienend für die Geschäftslage ist die Thatsache, daß in diesem Jahre einzelne größere süddeutsche und thüringer Spin- ncreien, die sonst fast regelmäßig unseren Wollmarkt bcsuchten, nicht vertreten sind. Hauptreflektanten sind Niederlausißer, die Damen- kTonfektionsbrance hauptsählich fkultivirende Fabrikanten; von den Kammgarnspinnern zeigte ein s{chweizer Etablissement größere Kaufsnei- gung. Kammgarnspinner sollen im Allgemeinen mit Aufträgen reich- lih verjehen, aber niht fo stark wie im vorigen Jahre beschäftigt sein, während Fabrikanten über mangelnde Ordres klagen. Beide haben viel in London gekauft, und ist dies wohl mit ein Grund, daß die hiesigen Abschlüsse so {wachen Umfang annehmen. Die Wäschen können durchschnittlich als gut gelten, doch ift zu berücksic- tigen, daß die Wollen dieses Mal vielfah \{chweißiger sind, als in den leßten Jahren, eine Erscheinung, die auf die reihlihe Fütterung der Schafe während des langen Winters zurückzuführen sein dürfte. In Betreff des Preisverhältnisses zum Vorjahre erwähnen wir zur Vermeidung irriger Schlußfolgerungen, daß im vorigen Jahre die hiesigen Preise zu Anfang des Marktes um mehrere Thaler höher waren, als am Schlusse desselben. Auch heute waren es nur die leichtesten und trocktensten Wollen, welche einige Beachtung hatten. Soweit die geringen Abschlüsse zu maßgebenden Preisfolgerungen be- rechtigen, sind zu notiten: feine Tuhwollen 59—64 Thlr., Kamm- wollen 56—62 LThlr., Mittelwollen 52—58 Thlr., Bauernwollen 46— 48 Lbic., ungewaschene“ Wollen 19—21 Thr. Letztere, ebenso wie Lammwollen, sind sehr wenig zugeführt. Für bekannte ganz exquisite Stämme wurkten volle vorjährige Preise, theilweise au darüber be- willigt. In dec Gesammtzufuhr keine Veränderung.

__— 20. Juni, Mit heiterer Witterung, welche ermög- liht, die Wollen gesund und unbeshädigt an ihren Bestimmungs- ort gelangen zu lassen, bildete sich auch etwas bessere Stimmung heraus. Das Geschäft. auf den Stadtlägern war demzufolge ange- reger, als man gejtern Grund hatte, zu folgern und die Tendenz gestaltete si etwas fester. Auf Wiedergabe des umgeseßten Quan- tums müssen wir verzihten, da maßgebende Ermitte ungen ih

nicht anstellen lassen; zur ungefähren Orientirung erwähnen wir aber, daß auf den Stadtlägern niht so viel als im Vor- jahr gekauft worden ist, Auf dem Wollmarkt trat erst gegen 9 Uhr in Folge gegenseitigen Entgegenkommens etwas größere Regsamkeit zu Tage, und steht zu erwarten, daß der Markt bis zum Abend geräumt sein wird. Wollen aus erster Hand sind fast sämmtli begeben, nur einzelne feine Stämme, deren Inhaber ihre Forderungen nicht durchseßen können, harcen noch des Verkaufs und gehen eventuell auf Stadtlager. Neben Fabri- kanten und Kämmern war heute aub die Spekulation thätiger. Von ausländischen“ Wollr-flektanten kaufte eine Kopenhagener Spinnerei mehrere hundert Centner gute Mittelwollen zum Preise von 574 Thlr. Für feine gut behandelte Wollen hat sich gegen gestern Nachmittag ein Preisaufshlag bis zu 6 M. herausgebildet. Indem wir nachstehend eine Specifikation der Preise geben, welche den heutigen Abscchlüssen zu Grunde lagen, betonen wir noch- mals, daß dieselben, berücksihtigt man die diesmal durch- \{nittlich besseren Wäschen und abstrahirt man von einem Ver- gleih mit den hohen vorjährigen Eröffnungspreisen, nur schwache Veränderungen gegen das Vorjahr involviren. Es wurden bezahlt: feine Tuhwollen 60—663 Thlr., Kammwollen 96—62 Thlr., Mittelwolien 522—59 Thlr., Bauernwollen 45—48 Thlr., ungewaschene Wollen 19—21 Thlr. Die polizeilichen Ermittelvngen ergeben folgendes Resuttat: Gesammtzufuhr nach amtlicher Fest- stellung 111 504 Ctr., mithin 35287 Ctr. mehr als im Vorjahre

Am 17. Juni wurde in Breslau die vierte ordentlich e Generalversammlung der Aktionäre der Oels-Gnesener Eisenbahngesellschaft abgehalten, in der 14 675 900 M Aktien mit 26 003 Stimmen vertreten waren. In Erledigung der Tage®- ordnung fand die Neuwahl dreier Mitglieder des Aufsichtsrathes, die Berichterstattung über die Lage der Geschäfte der Gesellschaft und die Ertheilung der Decharge für das Jahr 1878 an Aufsic:tsrath und Direktion ftatt. Demnächst wurde einstimmig in formeller Modifi- kation des bezüglichen LVeschlusses der Generalversammlung vom 8. Juni 1877 bes{blossen : das Grundkapital der Gesellschaft um den Betrag der Aktien der Baugesellshast F. Pleßner u. Co. mit 4 050 000 MÆ, alfo von 23 250000 Æ auf 19 200 000 Æ, dargestellt durch 17 500 Stück Stammaktien zu je 300 M und 23250 Stü Prioritäts-Stammaktien zu je 600 4 zu reduziren und zu diesem Zweck den §. 4 des Statuts entsprehend abzuändern. Dieser Be- {Gl ist, da mit der statutgemäß erforderlihen Majorität gefaßt, für die Gesellschaft verbindlich.

Lübeck, 20. Juni. (W. T. B) Wollmarkt. Zufuhren 3600 Centner, 600 Gentner mehr als im vergangenen Jahr. Wäschen dur bscnittlih befriedigend. Geschäft anfangs \chleppend, gezen Mittag reger, bis jeßt ist etroa die Hälfte der Zufuhren ver- kauft. Das Verlangen nach vorjährigen Preisen wurde Seitens der Verkäufer abgelehnt, es wurden 3—6 M. höôbere, für ganz feine Wollen auch 12 4 höhere Preise und noch darüber erzielt. Der Besuch des Marktes is ein lebhafter, insbesondere haben si viel Hamburgische, dänische und \twedishe Händler und Neumünstersche Fabrikanten eingefunden

Wien, 19. Iun. (W. T. B) Die dösterreichisch- ungarische Bank beschloß heute, aus dem Erträgnisse des ersten halben Jahres eine Abschlagszahlung v:n 20 Fl. per Aktie am

1, Juli zu leisten. Verkehrs-Anstalten.

Paris. Folgende Details sind dem Korrespondenten der „Allg. Ztg.“ über das Panama-Kanal-Unternehmen zugegangen, wclckches als natürliche Folge d:8 internationalen Kon- gresfes demnächst in das Stadium der Finanzoperation eintreten wird. Was die zu kreirende Aktieng-sellschaft betrifft, an deren Spie sich der Schöpfer des Suezkanals, Hr. Ferdinand de Lesseps, stelit, fo steht derselbe gezenwärtig noch in Unterhandlung mit den Konzessionären des Panamakanals. Das hiesige Bankhaus Kohn, Reinab & Co. erhielt nämlih im Jahr 1876 von der Republik Columbia eine „Kanal-Konzession“ auf die Dauer von 99 Jahren mit alleiniger Verbindlichkeit, daß dem genannten Staate, dessen Gebiet der Kanal durchschnitte, von jeder Tonne Frachtgehalt eine Vergütung von 2 Fr. bewilligt werde. Diese Konzessionäre ließen auf ihre Kosten, an denen sich eine Anzahl von Subsfribeuten betheiligten, Voruntersuhungen und Vor- arbeiten an Ort und Stelle eine erheblihe Entsbädigung für die Abtretung ihres Privilegs. Hr. de Lesseps möchte den Panama- Kanal keiner neuen Verwaltung überlassen. Ec selbst gedenkt den- selben zugleich mit s. inem Suezkanal zu leiten und gleih von vorn- herein die Verwaltungen der beiden Gesellschaften zu vereinigen. Die „internationale Panamakanal-Gesellschaft“ foll demnach eine Filiale der „Société internationale du canal maritime de-Suez“ werden. Nur auf diese Weise glaubt er die volle Verantwortlichkeit übernehmen und dafür einstehen zu können, daß er auch die Kapitalien dazu beschaffen. Er hat auch die Hoffnung nicht aufgegeben, eine Anzahl englischer KaPitalisten in sein Unternehmen hineinzuzi. hen. Von amerikanischer Seite scheint bis jcßt weit geringere Auésiht auf eive Theilnahme vorzuliegen. Die ersten Subskribenten für das früher „Canal interocéanique“ genannte Unternehmen baben si erst unter dem Datum vom 15. Mai 1879 als Civilgesellschaft mit einem Aktienkapital von 500 000 Fres. konstituirt. Unter diesen ursprünglichen Zeichnern und jeßigen Theil- habern finden wir außcr den erwähnten Bankiers-Konzessionären und anderen Finanzleuten die beiden Berichterstatter über den Panama- Kanal, die HHrn. Wyse und Reclus, den General Türr, den Schriftsteller Octave Feuillet (von der Académie Française) und den Senator und Akademiker Hrn. Littré. Hr. de Lesseps nimmt das neue Unterneîmen besonders eifrig auf: er wolle es zu Ende führen und spreche für sih selbst keinen Nutzen an.

Triest, 20. Juni. (W. T. B.) Der Lloyddampfer „Urano“" ist geftern Abcnd aus Konstantinopel hier eingetroffen.

Berlin, den 20. Juni 1879.

Trier. Die 24. Generalversammlung deutscher Phi- lologen und Pädagogen wird, wie {hon erwähnt, hier am 23. bis 27. September abgehalten werden. Im Einverständniß mit dem Präsidium der diesjährigen Philologenversammlung hat die Fr. Linßsche Buchhandlung es unternommen, für die Zeit der Ver- sammlung eine Aust stellung der für die Gymnasien und Realschulen bestimmten Lehrmittel zu veranstalten. Die- selbe hat den Zweck, Lehr- und Lernmittel, welhe bei der Lektüre der Klassiker, sowie beim Unterricht in der Geschichte, Geo- graphie, Naturgeschichte, Physik, Chemie und der Mathematik, an den Gymnasien und Realschulen benußt werden, zur ver- gleihenden Anschauung zu bringen. Die Ausstellung wird da- nah enthalten: für die Lektüre der Klassiker und den Geschichts- unterriht : Abbildungen und Modelle (insbesondere Darstellungen antiker Bauten, Statuen und sonstiger Kunstwerke, auch in Photo- graphie), Wandtafeln zur Geschichte, Atlauten, Tabellen; für den geographischen Unterricht : Globen, Atlanten, Wandkarten zur physi- schen, mathematischen und politishen Geographie, Bilder und Mo- delle zur Ethnographie; für den naturgeschihtlihen Unterricht: Wandtafeln, Bilder, Tabellen und Atlanten, Präparate jeglicher Art, Modelle, geologische und geognostishe Karten; für den Unter- riht in der Physik: Apparate und Modelle für die Grundversuche ; für den Unterricht in der Chemie: Apparate, Modelle und Prä- parate, 2) Die Ausstellung bringt ferner je den neuesten Band der Zeitschriften Deutshlands und des Auslandeë, welche der Entwickelung des höheren Unterrichts8wesens dienen. 3) Ein Katalog, sämmtliche ausgestellte Gegenstände enthaltend, wird den Besuchern der Versammlung gratis überreiht. 4) Den Ausstellern erwachsen außer der Fracht für Hin- und Rücksendung keine weite- ren Kosten; diese hat die Fr. Linßshe Buchhandlung übernommen, welche auch für gute Aufstellung, Schonung der Gegenstände, sowie ute Rückverpackung bestens Sorge tragen wird. Die Fracht für ole Gegenstände, welche niht im Handel sind, ist die betreffende Buchhandlung nach vorhergegangener Verständigung bereit zu über-

nehmen. 5) Ueber die Zulassung der angemeldeten Gegenstände zu der Ausstellung eùtscheidet das Ausste lungscomité. 6) Die pädago- gische Sektion wird gemäß der festgeseßten Tagesordnung in ihrer ersten Sißung eine Kommission zur Begutachtung der Ausftellung

NeNes, und wird ein aueführlicher Bericht derfelben veröffentlicht werden.

Straßburg, 17, Juni. (Straßb. Ztg.) Die großen Repyg- raturen und Vershönerungen an der Münfsterkirce worunter außer dem Aufbaue des Vierungsthurmes und der Upsig, die Malereien im Osthore, die Herstellung der neuen Thüren an dem Hauptportale und die Aufstellung der Reiter- und Standfiguren in dem Münsterthurme zu renen sind, nahen ihrem Ende. Der Bau der Apsis ist son seit Monaten vollendet, die erwähnten Fi- guren sind aufgestellt, die Flügelthüren sind an ihrer Stelle, und an den Schhußvorrichtungen zu denselben wird fleißig gearbeitet. Von den Malereien im Osthore ist nur noch der untere Theil. auszu- führen. Bei dem Vierungsthurme sind eben die Arbeiter der Kupfer- schmiede Beucke und Schott thätig, das Dach des Thurmes, ähnli wie die Dächer der Absis und des Langschiffes, noch mit Kupferplatten zu belegen. Während der Zeit, wo die Ar- beiten an dem Dache des Münsters zur Ausführung kommen, werden Maurer und Steinhauer noch thätig sein, den auf- geführten ncuen Theil des Thurmes, bezw. die Fugen der Steine auszupußen. Hieran reiht sih eine umfangreiche Reparatur an der von dem Thurme sftehengebliebenen sogenannten alten Laufgallerie, auf welche das neue Mauerwerk zur Erhöhung des Thurmes auf- geseßt wurde. Weiter wird in Angriff genommen die Erhöhung und Bedachung zweier kleiner Treprenthürniden, welch: zu den Gallerien des Langaschiffes führen und sich auf der Nord-' und Südseite des Langschiffes an den Vierungsthurm ansließen. Bis alle diese Arbeiten ausgeführt und die Ablegung des Thurmgerüstes bewerk- stelligt sein wird, dürfte der Herbst und das Ende der Bausaison für dieses Jahr angekommen sein. Die günstige Finanzlage des Stiftes „Unser Frauen Werk“ hatte es gestattet, die Bereitstellung der zur Ausführung der genannten Arbeiten erforderlichen Mittel im Gesammtbetrage von weit über eine halbe Million Mark, wovon 236 800 A. für den Aufbau und die Bedachung des Vie- rungsthurmes, 92 800 G für Erhöhung der Apsis und der Thürm- hen und 100000 Æ jür die kunstvollen Portalthüren entfallcn, während der leßten beiden Jahre zu ermöglihen. Wie wir hören, sind von dem Stifte für die nächsten Jahre die Ecrichtung von vielleicht 100 kleineren Figuren, welhe in den Säulentempelchen und Nischen des Hauptthurmes und an den Seiten der Kirche noh fehlen, sowie die Freistelung der Münsterkirhe nah der Ostseite hin in Aussicht genommen. Es würde hierdurch der Hauptbau des Lyceums an dem Schloßplate und der an den Ostchor anschließende Theil des großen Seminars in Wegfall kommen, die neben dem Schlosse laufende Rosenbadgasse von der Magdalenenbrücke her direkt nach der Bruderhofgasse hinführen und so eine Verbindung der L On mit dem südlihez Theile der Stadt zu Stande ommen.

Wie die „Ostsee-Ztg.* in Betreff der Dampfkessel-Ex- plosion des „Orpheus“ hört, hat der erste Maschinist ausge- sagt : Als er vom zweiten (bei dem Unglücke getödteten) Maschinisten gegen 3 Uhr geweckt wurde, mit der Mittheilung, daß der Kessel geheizt sei, und darauf an den Kessel herantrat, habe er bemerkt, daß der Manometer merkwürdigerweise nur 1 Atmosphäre Druck zeigte; er öffnete das Ventil, aus welchem nur sehr wenig Dampf kam, und ging nach dem Vordertheile, worauf die Explosion binter ibm erfolgte, als er nur 3 oder 4 Schritte sih entfernt hatte. Seine Beschädigungen sind sehr unbedeutend. Ebenso haben der Steuer- mann und ein Matrose, welche in der Nähe des Kessels \{liefen, nur unerheblihe Beschädigungen erlitten, obgleich das über ihnen befindlihe Dach fortgeshleudert wurde und sie nah ihren Aussagen zuerst mit einem heißen Gusse, und darauf mit einem kalten Gusse (der in der Luft Tondensirte Dampf) übershüttet wurden. Von Technikern wird angenommen, daß die Katastrophe dur sogenannten Siedeverzug verursacht ist. Darunter versteht man eine Erhißzung des Wassers über 80 Gr. Reaum. Wärme, ohne daß das Sieden er- folgt; eine solhe Ueberhißurg, welche erfahrungsmäßig bis zu 200 Gr. R. gesteigert werden kann, tritt nur dann ein, wenn das Wasser sich im Zustande der vollständigsten Ruhe befindet; bei der unbedeutendsten Erschütterung, wie z. B. im vorliegenden Falle vielleiht durch das Drehen am Ventil, verwandelt sich dann die ganze Wassermasse plöulich in Damyf, wodurch {on mehrfach die heftigsten Explosionen herbeigeführt sind.

(Allg. Corr.) In Costa Rica wurde am 29. Mai ein heftiger Erd sto ß verspürt. In San José wurden die Cathedrale und vi ele größere Gebäude erschüttert, und auch in anderen Theilen der Republik richtete der Erdstoß Schaden an.

Die beiden Wiener Gäste des Wallner- Theaters, Hr. Schweighofer und Frl. Bendel, traten gestern in einer „Eine elegante Person“ betitelten Posse auf, w.lhe zwar für das Wallner-Theater ein neues Stück, hier aber bereits vor einigen Jahren im Woltersdorff-Theater mit Hrn. Schweighofer und Fr. Gallmeyer aufgeführt worden ist. Das Stück an sih ist von so großer Dürftigkeit in Bezug auf Handlung und Charakteristik, daß es darin den meisten neueren Berliner Possen noch nachsteht, was gewiß {on etwas sagen will. Die zu Grunde liegende Idee, daß eine junge Frau einen Aufwand weit über ihre Kräfte mat, „weil es die Welt verlangt“ und dadurch ihren Mann, der zu \{chwach is, um ihrer Vershwendungs\ucht zeitig und wirksam genug entgegenzutreten, ruinirt, später aber durch das über sie hereinbrewende Ünglück ge- bessert wird, ist in gar grober Hol;schnittmanier illustrirt. Es zeugt nur von richtiger Selbstkritik, wenn der Verfasser sih nit genannt hat. Wenn nun ungeachtet der Unbedeutendheit des Stückes si das zahl- reiche Auditorium, welches sich gestern im Wallner-Theater versam- melt hatte, gut unterhalten zeigte, viel lahte und applaudirte, so ift dieser günstige Erfolg lediglich dem virtuosen Spicle des Hrn. Schweighofer zuzurehnen, welcher die Hauptrolle spielte, die ihm, wie man so sagt, auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Seiner eminenten vis comica gelang es, die Zuhörer über die Armuth des Stückes hinwegzutäuschen und wenn sih Ermüdung einstellen wollte, von neuem durch seinen nie versagenden Humor heitere Stimmung zu erregen. Darum waren es denn auch die eingelegten Gesangé- piecen, das komische Beiwerk, welches, obwohl es mit dem Gange der Handlung kaum in irgend cinem Zusammenhange steht, am meisten Anklang fand wegen der großen Gewandtheit und durch- s{lagenden kaustishen Verve, mit welcher dieje Couplets von Hrn. Schweighofer zum Vortrage gebracht werden. Dem Darsteller der dominirenden Rolle stand wirksam zur Seite der andere Gast, Frl. Bendel, welche sich als gewandte Schauspielerin und Sängerin zeigte. Die übrigen Rollen, welche fast aanz ohne Bedeutung sind, boten den heimischen Mitgliedern der Wallner-Bühne, von welchen sie ge- spielt wurden, keine Gelegenheit sih auszuzeichnen.

Im Sommergarten des Belle-Alliance-Theaters findet morgen ein zweites „Sommernahtsfest“ statt, bei welchem Orchester- und Gefangsvorträge ununterbrohcn wechseln werden. Am Sonntag R das Lustspiel „Die relegirten Studenten“ von Benedix neu ein- tudirt in Scene. Die Tiroler Natur-Sänger-Gesellschaft Engelhardt geht von hier nah Ablauf ihres Kontrak1es nah Paris.

Redacteur: J. V.: Riedel.

Berlin:

Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Drei Beilagen

(eins{ließlich Börsen-Beilage).

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischeu Staats-Anzeiger.

M 142.

Berlin, Freitag, den 20, Juni

1879,

Nichkamtliches.

Berlin, 20. Juni. Jm weiteren Verlaufe der gestrigen n Sizung des Reichstages begründete der Abg. Dr. Delbrück seine mit den Abgg. Dr. Bamberger und Dr. Harnier gestellte Jnterpellation, ob die Regierung eine Abänderung der bestehenden Münzgeseßgebung beabsihtige. Nachdem der Reichskanzler sich zur sofortigen Beantwortung bereit erklärt hatte, bemerkte der Abg. Dr. Delbrück, nah der Denk- schrift über die Ausführung der Münzgeseßgebung seien bis zum Schlusse des vorigen ahres an groben Silbermünzen 973 878 779 6 eingezogen; davon seien 667 707 203 M4 in Silberbarxren verwandelt und ergäben 7 144 462 Pfd. baaren Silbers, wovon 32 429 zu Prägezwecen verwendet, 6 727 151 aber bis zum Schlusse des vorigen Jahres definitiv verkauft seien. Der Reichsregierung stehe aljo noch eine beträchtliche Menge baaren Silbers zut Disposition, abgesehen von dem Zuwachs duxch die allmähliche weitere Einziehung vorhandener Silbermünzen. Als es vor wenigen Wochen bekannt ge: worden sei, daß die Reichs-Finanzverwaltung beschlossen habe, die Silberverkäufe auf dem Londoner Markte einzustellen, sei in der Presse als mehr oder weniger wahrscheinlih bezeihnet, daß diese Maßregel ihren Grund in der Absicht habe, in der Münzverfassung Deutschlands eine Aenderung vorzunehmen. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ habe diese Gerüchte dementirt. Schon damals sei unter einém Theil der Mitglieder, welche die Jnterpellation unterschrieben hätten, die Frage zur Sprache gekommen, ob es sih nicht empfehle, dur eine Interpellation die Reichsregierung zu aen darüber zu veranlassen, ob in der That die Absicht bestehe, die Münz- geseßgebung einer Aenderung zu unterwerfen. Die Frage sei damals verneint, niht sowohl mit Rücksicht auf das De- menti, sondern aus folgenden Gründen: Einmal seien Die- jenigen, welche sich mit der Frage beschäftigten, niht der Meinung, daß die Reichsregierung solche Absichten Hege. So- dann seien dieselben der Ansicht, daß eine Jnterpellation unter folhen Umständen für die Reichsregierung unbequem sein würde rücksihtlich der weiteren Operationen am Londoner Markt. Endlich sei hinzugekommen, daß die Frage bis dahin lediglich in der Presse aufgeworfen worden sei. Diese Sachlage sei durch die Mittheilungen, welche inzwischen in England über die Frage gemacht seien, geändert. Zunächst befinde sih unter einer Reihe dem britishen Parlament vor- gelegter Schriftstücke eine Mittheilung des dortigen Auswärti- gen Amts vom 5. Juni d. J., welche besagte, der Marquis von Salisbury habe eine Depesche von der englischen Bo:- schaft in Berlin erhalten, daß die in Berliner Blättern ge- gebene Mittheilung, wonach die deutshe Regierung endlich entdeckt habe, daß sie sih selbst durch ihre Silberverkäufe Ver- luste zugezogen, und deshalb beschlossen habe, ihre Silber- verkäufe zu suspendiren, auf Wahrheit beruhe, daß der im Augenblick verfügbare Vorrath 200 Millionen Mark oder 10 Millionen Pfund Sierling betrage, und wäh- rend der Suspendirung der Verkäufe noch zunehme. Lord Odo Russell habe hinzugefügt, die Finanzmänner Deutschlands meinten allgemein, die deutshe Regie- rung S sich auf Einführung der Doppelwährung, wie sie in Frankreih bestehe, vor. Wenige Tage darauf habe im Unterhause Mr. Göschen die Rückwirkungen der Séhwankungen des Silberpreises auf die indishen Finanzen, sowie die Ursachen dieser Shwankungen erörtert. Bezüglih Deutschlands habe derselbe gesagt: „in Deutschland sei die Lage besonders merk- würdig; die deutsh: Regierung habe eine kurzsihtige Politik verfolgt, indem sie so wenig Aufklärungen wie möglich ge- geben habe, in der trügerishen Hoffnung, die Spekulation zu verhindern. Das Ergebniß sei eine dauernde Beunruhigung gewesen, welhe man vermeiden konnte, wenn man die Wahr- heit gesagt hätte. Derselbe habe bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß man in Deutschland anfange, einzusehen, daß man mik der Umwandlung ein s{hlechtes Geshäst gemacht habe, und zitirt eine ihm zugegangene zuverlässige Nachricht aus Deutschland, wonah die deutsche Regierung aus diesem Grunde beschlossen habe, in ihrem Vorgehen Halt zu machen. Dise Aeußerung gebe der Sache eine andere Be- deutung. Damit sei die Frage, ob Deutschland beabsichtige, seine Münzgeseßgebung zu ändern, vor aller Welt als eine offene hingestellt. Er für sein Theil glaube nach wie vor nicht, daß die Regierung sih mit solhen Absichten trage. Er halte auch heute es keineswegs für erwünscht, die Frage hier zu diskutiren, weil möglicherweise die Operationen der Re- gierung dadur gestört werden könnten. Aber er und seine Freunde hielten es für nothwendig, nahdem die Frage ein- mal vor Europa als eine zweifelhafte hingestellt worden sei, eine Auskunft von der Reichsregierung fi erbitten, weil ganz unleugbar die Annahme, daß die Aufrechterhaltung des gegen- wärtigen Systems zweifelhaft sei, nachtheilige Wirkungen auf den internationalen Verkehr habe. Es liege in der Natur der Sache, daß, wenn Zweifel darüber entständen, ob bevor- stehende Zahlungen, wie bisher, in Gold geleistet werden müßten, oder ob sie in Folge einer bevorstehenden Aenderung des Systems vielleiht în Silber geleistet werden dürften, dies erheblihen Einfluß auf die internationalen Verkehrs- verhältnisse ausüben müsse. An der hiesigen Börse sei hon auf Grund der ersten Gerüchte eine Hausse in öster- reichischen silberverzinslihen Papieren in Scene geseßt. Ob diese Manöver von großer Ausdehnung seien, sei ihm nicht bekannt. Die Hauptsache sei, daß dadurch bewiesen werde, welche Unsicherheit durch bestehenden Zweifel und Vermuthun- gen hervorgerufen würde. Er habe schon gesagt, daß er die Gerüchte für unbegründet halte. Er lege auch auf die diplo- matische Depeschen, die sih nit auf politishe Angelegenheiten bezögen, keinen erheblihen Werth. Auch die Auslassungen eines noch so bedeutenden englishen Parlamentsmitgliedes hätten für e keine Bedeutung, wenn er sich vergegenwärtige, daß die Einführung der Goldwährung in Deutschland für England sehr unbequem gewescn sei. Aber die Mehrzahl Derjenigen, welche bei der Frage interessirt seien, würde viel- leiht nicht so kühl solhen Aeußerungen gegenüberstehen. Aus diesem Grunde und weil er wünsche, daß der Leiche ben die durch die genannten Mittheilungen in dem Verkehr hervor-

gerufen sei, ein Ende gemacht werde, habe er und seine Feunde die 5Fnterpellation gestellt.

ierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

___ Wenn ih mi an den Text der Interpellation halte, so kann ih zunächst zweifelhaft darüber sein, wer der darin bezeichnete Adressat sci, an den sie gerichtet ist. Die Interpellation sagt: „Be- absichtigt die Regierung, die Münzgeseße zu ändern?“ Der Aus- druck „die Regierung“ in Bezug auf Reichsgeschäfte kommt in der Verfassung nicht vor, und wenn er im außeramtlihen Gespräch ge- braucht wird, so kann man darunter je nah den veischiedenen Funk- tionen des Reiches, um die es sich handelt, verschiedene Organe des Reiches verstehen. Wenn es sich um eine Junitiative in der Gesetz- gebung handelt, so kann aber darunter keinesfalls der Reichskanzler verstanden werden, da die Initiative in der Gesetzgebung bekanntlich einer jeden Regierung zusteht und innerhalb dieser Regierung die An- regung einer folchen Initiative wiederum jedem Mitgliede.

___ Wenn ich über die Absichten der Reichsregierung, worunter ih hier also verstehen würde: den verbündeten Regierungen Auskunft geben sollte, so müßte ih sie alle darüber befragen, da sie mir Mit- theilungen nit gemacht haben. Es könnte mir dann leiht erwidert werden, daß ih doch abwarten möchte, bis solche etwa vorhandene Absichten si verkörperten in Gestalt von Worten, wenigstens von Bemerkungen oder von Anträgen, daß sie es aber ablehnten, \:ch über ihre Gedanken katecisiren zu lassen.

Ich könnte dieselbe Antwort ja meinerseits auc hier geben, ih will indessen nur sagen, daß ih es nicht nüßlich für das Reich halte, einen so s{chwierigen und für unsern Kredit, Geschäfts- und wirth- \chaftlihes Leben so wichtigen Gegenstand, ohne geschäftlichen Anlaß beiläufig, gewissermaßenmaßen akademisch öffentlich zu besprechen E Regierung en demeure zu seßen, daß sie sih amtlich aus- prehe.

Der Herr Vorredner hat gesagt, es sei {on vor einigen Wochen die Absicht gewesen, eine folhe Jatervellation zu stellen. Man habe davon Abstand genommen in der Meinung, daß man durch Herbei- führung einer öffentlihen Diskussion über diese Frage der Reichs- Finanzverwaltung Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten bereiten könnte. Jch konnte diese Aeußerungen des Herrn Vorredners nur mit dem Gedanken begleiten, daß diese Erwägung eine sehr weise war. Warum sie nun seitdem verlassen worden ist, waz hat si denn geändert? Daß in einem ausländischen Parlament die Sache be- \prochen ist in einer Weise, bei der Niemand behauptet hat, amtliche Nachrichten zu haben; macht das nun die Stellung dieser Inter- pellation, die Stellung dieser Frage für die Regierung weniger un- bequem, weniger {wierig? Der Hecrr Vorredner selbst theilte, wie er sagt, die Besorgniß nicht, die der Stellung der Interpellation zu Grunde lag, die ihr den Ursprung gegeben hat. Muß aber nicht die ganze Welt glauben, wenn sein Name unterzeichnet steht, wenn ein so bedeutender Staatsmann, der der Regierung so nahe steht und zu ihrer Beobachtung so leichte Mittel hat, dem es so leicht gewesen wäre, privatim bei mir Erkundigungen einzuziehen, wenn der die Zweifel an den Absichten der Regierung bis zu dem Maße theilt, daß er eine öffentlide amtlihe Befragung der Regierung für noth- wendig hält, muß die Welt nicht glauben, daß doch schr viel mehr daran sein müßte, als er selbst hier zugegeben hat, als es wahr- scheinlih der Fall fein könnte? Ich halte Fie Fnterpellation im Sinn und Zweck der Herren Interpellanten für nicht wohl überlegt. (Oho ! und Lachen links.) i

Was in den Zeitungen steht, das vergeht bald. Zeitungen haben ein Bedürfniß einmal, mir gegenüber, an Material für ihr Bedürfniß an sittlicher Gntrüstung, dazu brauchen sie Stoff, und die Herren, die eben ein so sonores Gelächter ecschallen ließen, werden mir das bestätigen ; sie braucber auch fonst Stoff in dieser ereignißlosen Zeit, wo kaum irgendwo in der Welt ein mäßiger Krieg im Gange ist, in Europa Gott sei Dank gar keiner werfen sie sh begierig auf jeden Stoff, das liest man und vergißt es wieder. Wenn aber 58 Herren von der Bedeutung wie Diejenigen, die dieser Interpellation durch ihre Namensuntershrift Nachdruck gegeben haben, durch Stellung derselben bekennen, daß auch sie zweifelhast sind an den Absichten der Regie- rung, dann muß doch im Publikum die Meinung Platz greifen : diese Herren sind cingeweiht, das sind Sachkundige, die wissen mehr wie wir, da muß doch Grund sein, an den Intentionen der Regierungen zu zweifeln, sons würden so bedeutende Finanz- und Staatsmänner, die ja jeden Tag zu vertraulichen Erörterungen Zugang zu jedem Minister gehabt haben würden, um ihrerseits ihre Besorgnisse zu zerstreuen, die würden nit eine öff.ntlihe Interpellation gestellt haben, die würden die Zweifel, die sie bekämpfen wollen, nicht sanktioniren, ja zum Theil durch ihre Unterschriften, durch ihre Inter- pellation erst schaffen. j : E j

Mir stellen Sie nun die Aufgabe, die Zweifel zu beseitigen, die Sie selbst schaffen, und zugleich mit der Verschärfung, daß diese Zweifel nachtheilig auf unsere wirthschaftlichen Interessen wirken, was ich ja gar nicht bestreite. Aber wenn Sie davon überzeugt sind, dann hâtten Sie diesen Zweifeln niht in Form einer so zahl- reich unterzeichneten Interpellation Ausdruck gelen sollen. Sie er- warten nun von mir, Sie schieben mir die Aufgabe zu, diese von Ihnen angeregten Zweisel aus dem Wege zu schaffen. Wenn ic auch sage, ich habe die Absicht nicht, kann ein Anderer fie nicht haben? Wenn ich sage, ih bin nicht überzeugt von der Nüßlichkeit einer Aenderung inßunserer Münzverfassung, könnte ih niht beim näheren Studium der Frage, beim Anhören von Sachverständigen, bei Prüfung der Auffassung derjenigen Regierungen, die anderer Meinung darüber sind als die unsrige, könnte ich nicht zu der andern Ueberzeugung gelangen ? Ist meine einfache Verneinung, daß ih jeßt keiner Absicht mir bewußt bin, auch keine kenne, ist sie eine hin- reichende Entkräftung eines so stark accentuirten Zweifels in einem so nee und ansehnlichen Zeugnisse, wie das der 58 Unterzeichner

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\ Sie schaffen da einen Zweifel, den ih durch meine einfache Ver- neinung mi außer Stande fühle, vollständig wieder aus der Welt zu schafen; es wird immer aliquid haeriren von diesem Zweifel, und wenn Sie nachher die Schuld davon der mangelhaften Beant- wortung der Minister zuschieben, dann, meine Herren, seßen Sie die Minister doch einigermaßen in die Lage, wie ein sehr hübsches Chamisso’shes Gedicht von dem Lemberger Juden sagt, der dem Steinwurfe eines Studenten auswich: der zertrümmerte eine Scheibe und der Jude wurde angehalten die Scheibe zu bezahlen, denn hätte er sih nit gebückt , so wäre die Scheibe nicht zertrümmert worden. Ebenso geht es auch dem Minister; es wird durch die Stellung der Interpellation eine nachtheilige Wirkung erzielt; wenn der Herr Minister niht geschickt, entschlossen oder nicht Willens ift, diese Wirkung wieder zu zetstören dur seine Aeußerung, so trifft ihn die Schuld. ‘Jch bin ja an diese Argumentationen sonst vielfa ge- wöhnt, und von welcher Seite her sie nahher kommen werden, weiß ih nit, aber kommen werden fie gewiß. J

Jch kann diefer Interpellation gegenüber ja nur über die That- sachen Auskunft geben. Ueber die geschäftliche Lage, wie sie zu meiner Kenntniß kommt, kann ih versichern, daß von keiner Seite, weder im Bundesrath, noch im preußischen Ministerium, ein Antrag auf eine Veränderung unserer Münzgeseßgebung gestellt worden ist, tis die Frage, ob einer zu stellen wäre, von keiner Seite au nur zur Sprache gekommea und von keiner Seite mit einem Worte berührt worden is. Die einzige thatsählihe Anknüpfung, der

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Krysftallisationspunkt, an dem sih biese ganze Legende, einschließli der Interpellation, gebildet hat, besteht in meinem an das Bank- Präsidium gerichteten Ersuchen, mit den Silberverkäufen einstweilen auszuhôren, invem ich für die Fortseßung, ja für die Vergrößerung der Verluste, wœlche wir gegenwärtig bei dem fortwährenden Sinken des Silberpreises bis auf 47, während 61 der normale Werth sein. würde, erlitten, weil ih dafür die Verantwortlichkeit für meine Person nicht mehr tragen wollte.

_Ich hatte dabei im Sinne, die Verantwortlichkeit für die Sistirung persönkich zu tragen bi# zur nächsten Session, weil ih Sie in dieser mit einer so neuen und s{chwierigen Frage nicht be- lästigen wollte, und daun in der nächsten Sessiox die Thatsachen ofen Ihnen vor Augen zu legen, um zu gewärtigen, ob die Legislative beabsichtigt, dem Leiter der Exekutive cadere Aufträge zu geben als bisher, oder ob sie die Fortdauer der Sistirung sanktionirt. Daß ih in der jeßigen Sizung dergleichen nit zur Sprache gebracht, glaubte id, würden Sie mir Dank wissen, weil wir meiner Mei- nung nach genug andere Geschäfte und auch genug dringliche Ge- \cchäâ]te haben. Nachdem mir aber die Sache gegen meinen Wunsch gebracht wird, so bin ih g7nöthigt, das was id? ein Jahr später hier vorlegen wollte, ein Jahr früher vorzulegen, und wenn die Herren eine Diskussion jeßt daran knüpfen wollen, fo haben wir ja den ganzen Sommer vor uns, und ih bin au nit abgeneigt, auf jede weitere Erörterung der Frage einzugehen, meine dienstliche: Stellung nöthigt mich dazu.

Was sich nun an diese Inhibirung des Silberver?aufs geknüpft hat, daß ist zunächst ein großes Mißvergnügen derjenigea Bankhäuser: und anderer Geschäftstreibenden, die Gewinn von diesen Silberver- Fäufen hatten.

_ Daß dieses Mißvergnügen in Verbindung mit den andern vielen mißvergnügli&en Eindrüten, die ih das Unglüc habe, in der Presse zu erregen, nun auch sih dahin verkörpert, daß man mir allerhand abenteuerlihe Pläne von Reaktion auf diesem oder jenem Gebiete andichtet, daran bin ih ja gewöhnt; aber ih dachte, die Herren wären auch daran gewöhnt und stießen sih an solche Infinuationen und Verdächtigungen meiner Absichten nicht weiter und ließen sie ruhig passiren. Wenn das nicht ist, fo schenken Sie den Verdächti- gungen der Presse, die mich betreffen, nicht dieselbe Aufmerksamkeit, zu der ih dur rothes und blaues Anftreichen veranlaßt werde. Von diesen Herren Finanziers, wie fie in dem Schreiben des englischen Herrn Botschafters genannt werden, oder Finanzmännern, und zwar, meiner Erinnerung nach, niht Finanzmänner in Deutschland allgemein, sondern in dieser Hauptstadt der Meinung wären, also es hat in dieser Hauptstadt Finanzmänner gegeben, die fib dem englischen Herrn Bot- schafter gegenüber das Ansehen gegeben haben, als ob sie über die Ab- sichten der Reichsregierung mehr wüßten, wie andere Leute mein verehrter Freund und diplomatischer Mitarbeiter Lord Odo Russell hat diese zu seinen Dhren gekommenen Gerüchte pflihtmäßig nah England gemeldet, wie ja auch uns die Vertreter der Regierung im Auslande schr häufig Gerüchte, die in der City von London oder in Paris über die Absichten der englischen oder französishen Regierung zirkuliren, als solche melden; dabei ist ja gar nichts Außerordent- liches. Etwas verwunderlicher ist mir die Thatsabe, daß ein nicht stärker verbürgtes Gerücht Gegenstand einer amtlich accreditirten öffentlihen Mittheilung wird; ih habe meinerseits in solchen Fällen, wenn ih Andeutungen von Stadtzerüchten über die Absichten einer fremden und namentlich einer uns so nahe befreunde:en Regierung, wie der englischen, erhielt, do dieser Mittheilung nicht eher einen amt- lihen und öffentlihen Charakter verliehen, als bis sie mir auf anderem, sicherem Wege bestätigt wurde. Indessen es ist ja nicht meine Aufgabe, Gründe zu ermitteln, welche die englishe Regierung dabei hat, von diesem vermuthlich in einem „Privatbriefe“ von Lord Russell gemeldeten Gerücht einen so stark accen- tuirten Gebrauch zu machen; daß aber die Thatsache, daß die englische Regierung darin ein abweichendes Verfahren von dem un- serigen im einzelnen Falle beobachtet, nun die Natur und die Wir- kung der Interpellation für die Reichsregierung wesentli geändert haben sollte, das kann ih denn doch nit zugeben, und mir wäre es sehr erwünscht gewesen, wenn die Jnterpellation überhaupt nicht ge- tellt worden wäre oder wenn man mih doch vorher, was ja doch bei vielen meiner verehrtesten Bekannten, die jeden Tag Zutritt zu mir haben können, leiht gewesen wäre, wenn man mich vorher ge- fragt hätte: mas werden Sie denn ungefähr antworten, werden Sie ein fategorisches „Nein“ geben: nie und unter keinen Umständen! Ja, das hat auch seine Unbequemlichkeiten. Wir wünschen, daß die Silberpreise stiegen. - Wenn ih das „Nein“ aber aussprach, so wird man sagen: gut, wir wollen nur warten, kommen müssen fie uns doc mit dem wohlfeilen Silber, da fie die Absicht haben, es später jedenfalls zu verkaufen; passen wir nur auf, daß wir den Preis nicht hoh gehen lassen und machen wir ein großes Geschrei bei jedem Unter-der-Hand-Verkauf, der von der Deutshen Bank oder der deutschen Regierung etwa kommen kann, dann werden wir den Silberpreis rasch wieder herunterwerfen, so wie sie nur eine Kiste von dem eingeschmolzenen Silber, was sie noc hat, verkaufen will.

Das ist aljo die Unbequemlichkeit, die mir die Herren verur- sachen, und ih wäre sehr dankbar, wenn sie diese Interpellation unterlassen hätten. In dem gesammten Bundesrath und in dem preußischen Ministerium sind die Zweifel an der Stetigkeit unserer Gesetzgebung, die durch die Interpellation ihren Ausdruck finden, Niemandem beigeklommen. Im Uebrigen erlaube ih mir aber doc, die Herren darauf aufmerksam zu machen, daß je irgend eine Ver- änderung des Gesetzes gar niht ohne Zustimmung des Reichstags er- folgen kann, jede geseßgeberishe Vorlage bedarf ja Ihrer Bestäti gung, unsere heutigen Viünzzustände beruhen auf Gese, und wenn wir ein neues Gesey einbringen wollten, so würde es Ihnen auch an. Zeit nicht fehlen, zur Abwehr und an den Mitteln, alle Vorberei- tungen zu treffen, denn die Oeffentlichkeit würde do rasch in Kennt- niß geseßt werden, wenn die erste Anregung vom Bundesrath in dieser Richtung erfolgte, oder auch nur, was der vertrautefte Weg wäre, durch ein Cirkular an die verschiede#en Regierungen ihre Meinung sondirt würde. Jch kann indeß versichern, daß ih bisher die Meinung nit ciner einzigen deutshen Regierung über diefe Sache: sondirt habe, nicht einmal die der preußischen, und daf: ih, weil ich. auf die Zweifel, die laut wurden, auf die Zeitung8gerüchte meiner- seits gar kein Gewicht lege, daß ih nicht einmal meinen preußischen Kollegen und Finanz-Minister um seine Ausicht in dieser Sache zu fragen Gelegenheit gehabt habe. (Hört! links)

Ich möchte also . . Die Herren s{reien „hört“, da,urch wol- len sie wiederum insinuiren, ih bin ja in Beziehung auf In» sinuationen mir gegenüber heutzutage sehr helhörig mir gegen- über insinuiren, ich verführe also, ohae den preußischen Finanz= Minister zu fragen. Ich muß meine Gedanken daher richtig stellen. Ich ‘habe damit sagen wollen, das Erfte, wenn ih olche Me hätte, wäre doch wohl, daß ih mit dem preußischen ‘Finanz-Minister \spräche, da ih ohne die 17 preußischen Stimmen im Bundesrath wenig machen kann und in dieser eziehung ja wesentlich von dem preußischen Finanz-Minister abhängen würde. Also da bitte ih, dieses insinuante „Hört! hört!“ richtig zu stellen dadur, daß gerade der preußische Finanz-Minister die wichtigste Person ist, fehr viel wichtiger, als irgend eine andere. : i:

Fh bitte Sie also, meine Herren, das Nichtvorhandensein der Zweifel an der Stetigkeit unserer Geseßgebung dadurch anzuerkennen, daß Sie über diese Int¿rpellation, ic sage nicht zur Tagesordnung übergehen, - aber eine weitere Diskussion der Frage daran nichl

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