1879 / 159 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 10 Jul 1879 18:00:01 GMT) scan diff

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selben Beschuld* gung, welche Jeht die Nationalliberalen wégen Nachgebens“ einer Partei gegen dieselbe erhöben, hätten sie von der Forth"; ctspartei bei den Justizgeseßen und bei dem S ozialisten- gese“e erfahren. Beiden sei dieser Kampf dam“.ls \chädlih gewesen , dasselbe könne jegt in Bezug auf die Konservativen und das Centrum passiren. Während einerseits der Abg. von Bennigsen ausführe, daß der Ar.trag Franckenstein die Einzelstaaten allzusehr auf Kosten des Reiches stärke, fürchte derselbe auf der anderen Seite, daß durch die mög- liche Verhandlung des Budgets der, Einzelstaaten im Reichs- tage der exste Anfang zur dauerrcden Centralisation gegeben sei. Keines von beiden sei aber der Fall, man bleibe in Deutschland beim status quo. Der Abg. von Bennigsen habe auch auf die Verbindung mit dem Centrum hingewiesen, welche den Tarif hauptsähliÞch gestüßt habe. Wenn das Zusammengehen mit dem Centrum es seiner Partei erleichtert habe, den modus vivendi zwishen Staat und Kirche zu finden, so sei der materielle Vortheil, den der Tarif in seinen Augen gewähre, hinten- anzuseßen gegen den wirklichen politishen Vortheil eines Folchen Friedens. ‘Der Antrag, der jeßt als §. 7 erscheine, erhalte den status quo. Es handele sih bei demselben ledig- lich um eine formale Rechnungsmethode, die Bedenken, welche der Abg. von Bennigsen bezüglich der föderativen Tendenzen geäußert habe, seien ganz unbegründet gegenüber den starken Einheitsbanden, welche die Einzelstaaten an das Reich fessele. Er und seine Freunde seien der Ansicht, daß man den rihti- gen Weg betreten habe, um das Reich selbständig zu machen. Seine Partei habe es für eine größere Gefahr erachtet, daß die einzelnen Regierungen und die Bevölkerung in ein dauern- des Mißvergnügen mit dem Reiche geseßt würden. Er fönne dem Hause demnach mit bestem Gewissen den §8. 7 zur An- nahme empfehlen. Wenn derselbe in dem Sinne interpretirt werden könnte, wie es von manchen Stellen der Presse ange- deutet worden sei, Zertrümmerung des Reiches 2c., dann würde er sih cher in Stücke reißen lassen, ehe er dem An- trage seine Zustimmung gebe.

Der Abg. Dr. Beseler erklärte, er habe gegen die ein- zelnen Positionen des Tarises stimmen müssen und seine An- sihten inzwischen niht abändern können. Eine solche Finanz- politik, wie sie eine heute in der Luft liegende Strömung wolle, sei unchristlih, unvernünsftig, kulturfeindlih. Das sei die Politik, die einst in Amerika den Sezessionskrieg herauf- beshworen habe, die au in Deutschland, wenn sie weiteren Boden gewinne, Unheil und Noth stiften könne. Wenn der Abg. von Kardorff srage, ob nan einem Reichstage, dessen Mehrheit ja auch einmal sozialdemokratish sein könne, die finanzielle Existenz des Reiches in die Hand legen dürfe, so sei zu entgegnen: Wenn man im Reichstage die Verkörperung des Reichsgedankens sehen wolle, dann müsse man demselben auch die Nechte und Vorzüge beigeben, die dieser hohen Aufgabe ange- messen scien. Zu einer „Reform“, wie sie die Vorlage biete, könne er nicht die Hand bieten. Die Art und Weise, wie 8, 7 über die Zollüberschusse disponire, ändere die Reics- verfassung, wenn nicht formell, so doc) materiell, und daß des- halb nach Art. 78 der Verfassung der Tarif als abgelehnt betrachtet werden müsse, wenn sich im Bundesrath 14 Stimmen gegen denselben erklärten. Die Kompromißverhandlungen mit dem Centrum seien eine Degradation des Reiches. (Der Reichskanzler trat in den Saal.) Der Antrag Francken- stein werde den mittel: und ftleinstaatlihen Partikularis- mus, den das Centrum als Partei vertrete, von neuem erstarken lassen. Hier U es: principiis obsta! Denn wenn man unter dem Partikularismus nicht die Richtung verstehen wolle, die in Deutschland den Status vor 1866 wieder herstellen und also Hochverrath treiben wolle, so fönne man doch nie voraussehen, welche Entwickelung der Partikularismus nehmen werde, und man müsse sich also hüten, die Einzelstaaten auf Kosten des Reichsgedankens zu stärken. Angesichts solcher Gefahren gebe es nur eine Wahl : Reichsfeind oder Reichsfreund! Die Politik des Reichskanzlers verstehe er niht. Derselbe habe um den dürftigen Preis der Finanzzölle ein großes Hoheitsrecht des Reiches aufgegeben. Hier heiße es: Wolle man dieses Räthsel der Sphinx zu lösen suchen, oder folge man blindlings ? Er müsse daher gegen den Tarif stimmen.

Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Menn man jabrelang nur an praktische Geschäfte gewöhnt ist, so wird es Einem schwer, si vorher eine Vorstellung zu machen von den Schwierigkeiten, mit denen Icmand der deutschen Presse und dem deutsben Parlamente gegenüber zu kämpfen hat, wenn er eive einfacbe, praktische, wirthschaftlide Maßregel vorichlägt, deren Nothwendigkeit theils in ihrem gesammten Uinfange, theils in ihren wesentlichsten Abschnitten von der großen Mehrheit der Bevölkerung absolut anerfannt ist. Ich habe mir in dem beutigen Stadium meines dauernden und seit 18 Iahren niemals unterbrochenen Strebens, die deutsche Einheit herzustellen und zu konsolidiren, die Nufaabe geftellt, scviel an mir ift, dazu mitzuarbeiten, daß die deutschen Finanzen in einen Zustand gelangen, der sowohl das Reich als auc die Einzelstaaten in die Lage bringt, den nothwendigen An- forderungen unserer Budgets zu genügen. Diese Lage war bisher niet vorhanden; Sie haben die Vorlagen darüber aus allen be- deutenden Bundeéstaaten bekommen, Sie kennen den Finanzzustand unsercs Reiches, Sie kennen den Zustand der gesammten deutschen Finanzen, der außer Zusammenhang, in Trennung der Reicbéfinanzen vou den Finanzen der Einzelstaaten, ja gar nit zu behandeln ist.

Der ganze Streit, um den es sich hier handelt, mat mir allertines Liegt mir alle Theorie in dem langjährigen praftisben Leben, das i geführt habe, ziemlich fern macht mir ungefähr ten Gindrudck, wie tas bekannte Wort bonnet blanc oder blanc bonnet, cder ob id sprebe von einem s{warzen Tuchrock oder von cinem Rot von schwarzem Tuch; weiter finde ih einen Unterscbied nicht ; jeder weitere Unterscbied, den Sie hizueinlegen, ift fingirt, widerspricht der Sacwblage und widerspricht unserer Verfaffung. Nach der Art, wie die Erregung bei uns durch eine unerhörte und verlogene Preß- agitatioa gesteigert worden ift, wenn in dem Puklifum und in den Lesern, tíe nichts wie ein einzelnes Hetztlatt lesen, falshe Ansichten darüber ecatftanden find und ich will mich bemühen, nicht diese 1nfidten w widerlegen, das ist ja gar nit mögli, wer Recht be- balten will, der wicd nit überzeugt werden, Sie kennen den Spruch im Ditter, fondern nur meinen Ideengang, und wie ih zu demselben cefommen bin, Shnen flar tarlegen. Wir kefinden uns hier in der Lage, etwa umgekehrt von der bekannten Fabel des Mcnenius Agrippa, wo die Glieter si keklazten und den Magen nicht mehr ernähren wollt-:n, ta er seinerseits nidts thâte: bier verweigert der Magen bisher seine Scpuldigkeit, den Glietern die Nahrung, die sie zu ihrem Bestehen nothwendig haben, ztifliefen zu laffen. Das Reich hat alle Haupt- Finanzquellen in Bescolaz und hat die Sch{lüfsel davon, und haben id biéher wenigstens die Organe des Reichs, ven denen unsere Be- mrilligungen abhängig sind, nit tarüber einigen können, auf weldem Wege diese Quellen flüssig gemaht werten können. Ich arbeite an »er Reform unserer Steuern in meiner Stellung, die viele Leute für cine einflußreihe halten, súr eine einflußreihere gewiß, als fie ift, mit großer Mühe und gegen die Schwierigkeiten, die mir mein

cigeicx Gesundheitszustand saft, gegen die größeren S\@wwierigkeiten, die mir die Friktionen der mitwirkenden Kräfte geschaffen haben, em den finanziellen Uebelstönden, unter denen wir ganz zweifellos leiden, abzuhelfen. Boer seit der Zeit des Ministers von der Heydt und seit seinea Vorlagen werden Ste fi erinnern, daß jeder Versuch dazu, wenn mir die übrigen Ge- {châfte, da ih in der Hauptsache do nicht Finanz-Minister bin, zu \solhem Versuche Zeit ließen, daß jeder Versuch dazu mißlungen ift, und ohne meine Anregung ist ein sol&er Versuch bisher überhaupt niemals in Scene geseßt worden, und wenn meine Anregung jeßt nit stattgefunden hätte, so wären wir überhaupt nit dazu ge- fommen, über diese brennende Lebensfrage {bon zu verhandeln. Also ih habe hier nicht leichtfertig und plößlich etwa aus irgend welchen Hintergedanken, die ih nit eingestänve, Vorschläge gemacht, sondern ih habe rein praktische, materiell hausbadene, lange erwogene Vorscbläge darüber gemacht, wie wir unsere Pa: tungen auf einen besseren Fuß bringen fönnen. Ich habe mich dabei gegen jede Aenderung, sofern fie nur den Charakter einer Mitwirkung zum gemeinen Ziele hat, ofen und emvfänglich gezeigt.

hate im Anfang - auch geglaubt, wir würden liter zum Ziele kommen, als dies der Fall gewesen ist, es würde früher eine Nerstäudigung stattfinden. Zu diefer is aber von liberaler Seite nidt in dem Maße, wie i erwartete, die Hand geboten, und es fehlt uns heute in unserer entscheidenden Werhandlung an jeder Bor- lage von liberaler Seite, wie die Herren fich etwa denken, daß diese Finanzfrage gelöst werden könnte. So viel ih weiß, liegt gar kein Vorschlag, als die reine Negation vor, die reine Negation dessen, was von Anderen allenfalls gemacht werden könnte. Wir haben die Negation von cinem hervorragenden Mitgliede der Fortschritts- partei allerdings als Programm offen proklamiren héren, und in meiner Erfahrung hat die Fortschrittspartei es noch nie möglich ge- macht, zu einer positiven Meinung zu kommen, bis die Regierung eine auêgespro ven hatte, der sie widersprechen konnte.

Positive Pläne und Vorschläge über das aber, was zu geschehen hätt:, sind nie vorgekommen, und wenn neulich ein hervorragender Redner dieser Partei sagte, alle Unruhe im Reiche fäme von mir, und wenn ich nur erst beseitigt wäre, würde alles paradiesisch vor- trefflich gehen, so könnte ih das, wenn ich überhaupt persönlich wer- den wollte, in viel höherem Maße zurückgeben. Alle Unruhe im Reiche und alle Schwierigkeiten, zu gedeißlichen ruhigen Zuständen zu kommen, kommen meines Erachtens von der Fortschrittspartei und Denen, die mit ihr \ympathisiren in den anderen Fraktionen, und das zu behaupten, bin ih in viel höherem Maße berechtigt. als jene íFnsinuation gegen meine Person es war. Streichen Sie meine Person, ich wäre seit Jahren fort, wenn das ohne Pflichtver- lezung, ohne Verleßung der Treue, die ih meinem Herrn schulde, geschehen könnte, und wenn der Herr, der so sehr darnach strebt, mich zu beseitigen, es in einer ehrbaren, annehmbaren Weise durch- zusetzen vermag, so will ih mih bemühen nachher sein Freund zu werden.

Die Stellung zum Franckeniteinshen Antrage wird hier als ein Probirstein behandelt in Bezug auf die Reichstreue oder Nichtreichs- treue. Meine Herren, zur Stellung von diescm Dilemma haben Sie gar keine Berechtigung. Sehen Sie doc zurück auf meine Ver- gangen heit.

Fch werde den Franckensteinshen Antrag befürworten, zuzu- stimmen habe ih ja in dieser Versammlung nicht, und zwar habe id mi dazu erst. seit Kurzem entschlossen, seit wenigen Tagen, i babe mi am vergangenen Sonntage bedingt dazu entschlossen, ich habe mi definitiv dazu erst entshlossen, nachdem ich in einer Gesammtprüfung der Wege, welche die Herren, die heute in der Op- position find, gehen, mich überzeugt habe, daß sie Wege eingeschlagen haben, die ih niemals gehen kann, und die die verbündeten Regierungen nit gehen köanen. Die Kundgebungen, die außerhalb dieses Hauses von sehr hervorragenden Mitgliedern einer großen Partei stattgefunden baben, die Reden und Argumentationen, wie sie neulich zur Be- fämpfung des Zolls auf Petroleum hier vorgebracht worden find, ja, meine Herren, die nöthigen mi, zu Rath zu gehen mit meinem eigenen Pflichtgefühl gegenüber der Gesammtheit des Reichs. Mit Bestrebungen, die sich dergestalt kennzeihnen, fann ich nit gehen, können die verbündeten Regierungen nicht gehen, mit denen fann das Reich nicht bestehen, sie sind Untergrabungen des Reichs- bestandes gerade so gut, wie die sozialdemokratischen Untergrabungen, die wir durch das Gesez vom Herbst bekämpfen wollen, sie sind mindestens die Vorbereitungen dazu, und ih habe daraus die Ueber- zeugung gewinnen müssen, daß, wenn eben Leute, die früher mit- unter, sogar häufig der Reichsregierung ihre Unterstüßung geliehen baben, wenn dort latent die zerstôrenden Kräfte {lummern, die bei einer geringen Anreizung es genügt dazu, bei fo geshulten Par- lamentariern, daß sie in die Minorität kommen gegen ihr Erwarten so in zornige Leidenschaftlichkeit umschlagen, ja dann schwindet das Vertrauen, welces ih früher auf die Möglichkeit geseut habe, mit Charakteren dieser Art in Zukunft zusammenstehen zu können in der Weise, däß die Regierung ihre Unterstüßung annimmt und ihnen dafür den Einfluß gewährt, der mit dieser Unter- stüßung nothwendig verbunden ift ein anderes Verhältniß kann keine Fraktion von den existirenden erstreben, denn keine von ihnen hat an # ich die Majorität, jede muß kompromittiren mit den ande- ren; wenn es eine Fraktion bei uns gäbe, die an sich eine geborene Majorität hätte, und die von mir nicht verlangt, daß der Tropfen demokratischen VDels, den ein bekanntes Wort für die Salbung des Deutschen Kaisers verlangte, gerade ein Eimer werden soll, dann würde ich einer solchen Partei ganz andere Rechte in Bezug auf die Beeinflussung der Regierung einräumen können, als ießt einer Partei, die, wenn sie hoh kommt, und wenn sie abgeschlossen einig ist, was doc zu den Seltenheiten gehört, immer nur ein Viertel von der

ganzen Versammlung kaum erreiht den Herren kann ib nur, wenn sie überhaupt auf mein politisches Urtheil als Sachkundiger und i habe viel Politik getrieben, Werth legen, eine größere

Bescheidenheit für die Zukunft anrathen.

_ Dex Hexr Norredner hat, was mich namentli veranlaßt hat, in diesem Mcment das Wort zu nehmen, während mir in dieser Frage an der Abstimmung so viel liegt, daß ich eigentlich lieber nicht geredet hätte, aus Sorge, daß ih das Maß vielleicht nit halten würde, was zur Erhaltung des Standes der Stimmen nütlich ift, ih hätte lieber geschwiegen, aber da der Herr Vorredner, Jemand, auf dessen Mitwirkung 1ch seit langer Zeit habe rechnen können, und den ih persönlich hodschäte und verehre, auch seinerseits der Mei- nung ift, die Finanzhoheit des Reiches ginge durch den Franden- steinscen Antrag verloren, fo muß ih dazu bemerken, daß ich diese BVebauptung für eine gänzli unbegründete und aus der Lust ge- griffene halte. Die Finanzhoheit des Reiches ist in der Verfassung begründet in verschiedenen Paragraphen; keiner dieser Para- graphen erleidet vurch die Annahme des Franckensteinshen Antrages auch nur die mindeste S ernan Auf die Erhaltung der Matri- fularumlagen ift ja biéher von liberaler Seite ein sehr hoher Werth gelegt worden, und es ift gesaat worden, wir müssen für dieselben einen (Ecsaß haben; wenn auch die Verfassung uns ein Einnahme- bewilligungêrecht nicht giebt, so haben wir es bisher vermöge der Verfassung doch faktisch genossen, und wir wollen es nicht aufgeben, wenn wir nicht einen Grsay dafür haben. Auf die Matrikular- umlagen und ihre eventuelle Beibehaltung wird also von liberaler Seite ein außerordentli hoher Werth gelegt. Ih war deéhalb wohl tarauf gefaßt, da i mir die verschiedenen Mittel durchdacht hatte, in welWen man konstitutionelle Garantien finden könnte, so war i auch auf dieses wie auf andere gekommen, und erwartete einen Antrag, wie den Frandensteinshen, wohl von der national- liberalen Seite. Um die konstitutionelle Wirkung der Matrikular- umlagen beizubehalten, was mir im Ganzen nicht erwünscht war, (e es ja fein einfacheres Mittel, als daß man fie in ihrem ganzen iéherigen Umfange bestehen ließ und dem Reich dxfür in sein Ausgabebudget aeleglid einen Posten schrieb, der zur Suble- vation der nothleidenden Einzelstaaten bestimmt war und denen bie Mittel gab, diese Mehrumlagen zu leisten. Dann bleibt eben das Heft der Finanzverwaltung in den Händen des Reichstages, und es ift cin Beweis, daß mir Diejenigen Unrecht thun, die mi unton-

\ticutioneller Gesinnungen beschuldigen und verdächtigen, wenu ih diesem Franckensteinshen Antrag, der dem Reichétag die Gewalt, die ihm das Letiren der Matrikfularumlagen giebt, im vollen Umfange läßt, wenn ih dem zustimme. Ich bin ja seit lange gewohnt, daß man, wenn die Argumente aus ver Gegenwart nicht reichen, mit der Verdächtigung meiner Absichten für die Zukunft mich bekämpft. F erinnere Sie daran, daß lange Jahre 1tets gesagt worden ist, ih strebte nah Krieg zu irgend welhen Zwecken. Es hat das erst ein Ende gencmmen, seitdem die Stellung Deutschlands zur orientia- lis-ben Frage, seitdem die Stellung Deutschlands auf dem Kongrcß zu Berlin, der gerade ver einem Fahre uns auch zu einer Sommer- sißung, mich wenigstens, nö'higte, seitdem die den unwiderleg- lichen Beweis geliefert haben, daß alle jene Insinuationen Lügen und Verleumdungen waren, die zum geringsten Tyeil in Deutsch- land ibren Ursprung hatten. Seitdem ist es Sitte geworden, seit ungefähr Jahr und Tag, Reaktion zu s{hreien und guf diese Weise vielleicht den Teufel an die Wand zu malen. Durch das Verdächs tigen der Reaktion, durch das Anschuldigen können Sie unter Uni- ständen einen Minister, der {bübterner ift, als ic bin, veranlassen, daß er gerade, um sih der Feindschaft zu erwehren, in den ibn der Verdacht der Reaktion bringt, bewußt oder unbewußt, zu den Mitteln der Reaktion greift und Anlehnung da sucht, wo er für den Augen- blick weniger Feindscbaft findet. Jn der Lage bin i niht. Ich bin dem Ende meiner Laufbahn zu nahe, um zu Gunsten irgend einer Zukunft noch meine Gegenwart zu verderken. Scit einem Jahre, scit etwas länger als einem Jahre habe ich in dem Wohlwollen, wélches mir früher von liberaler Seite zu Theil wurde, eine merkliche Abkühlung gefunden. Sie gab sich kund durch eine fühlbare Zurückhaltung, dur Reserve, durch eine kühle Hoheit, die andeutete, ich müßte ihnen kemmen. Ich hatte das Gefühl, daß sie von mir Dinge verlangen wollten, die ih nit leisten könnte.

Eine Fraktion kann sehr wohl die Regierung unterstützen und dafür einen Einfluß auf sie gewinnen, aber wenn sie die Megierung regieren will, dann zwingt fle die Negierung, ihrerseits dagegen zu reagi!en. Ich habe dies Gefühl namentlih gehabt, als ohne mein Wissen und ohne mein Zuthun im Frükbjahr 1878 inmitten des Reichstages dur Verständigung der beiden Präsidenten eine Land- tagssession von mehreren Wochen eingeshoben wurde, als in dieser Landtagsse\sion, die meiner Meinung nah erst nad Schluß des Reichstags hätte stattfinden sollen, Anträge, die im Grunde Jeder- mann für sich hatten, der Regierung, ih kann ni®t anders glauben, als weil i ch sie einbrahte, abgelehnt wurden, d:nn die Gründe, die dafür angeführt wurden, waren spezios. Nun geht es in der Politik, in der inneren ja doch wohl au ähnlich wie in der auswärtigen, wo oft Regierungen glauben, sie können ihrerseits diplomatisch oder felbst materiell rüsten, ohne daß der andere gerüstet C E Der Poltit nnE as ein man mit unbekannten Leuten, deren nächste Handlungen man nit kennt, in einem unbekannten Lande geht; wenn der Eine seine Hand in die Tasche steckt, so zieht der Andere seinen Nevolver schon, und wenn der Andere abzieht, fo \chießt der Erste, und da fann man fich nit erst fragen, ob die Vorausseßungen des preußi- cen Landrechts über die Nothwehr zutreffen, und da das preußische Landrecht in der Politik nicht gilt, so ist man alternativ sehr ras zur aggressiven Vertheidigung bereit. Ih habe mi, wenn auch nicht angegriffen, so do verlassen und isolirt gefühlt, id habe das noch mebr gefühlt bei der ersten sozialdemokratischen Vorlage, und ih habe damals gehofft, daß bei einer Ausfonderung die diéparaten Elemente, die in einer großen und nominell bie Regierung unterstüßenden Fraktion vereinigt waren, si sondern würden. Es iît das nicht gelun- gen, und so lange das nit gelingt, werden Sie jede Regierung, na- mentlich aber die verbündeten Regierungen, immer vorsichtig in ihrer Anlehnung finden und nicht so vertrauensvoll, als dies früher der Fall gewesen ist. Die vielen Andeutungen in der Presse, als hâtte i ch mit irgend einer Fraktion gebrowen oder wäre zuerst aggressiv verfahren, die treffen nah meinem inneren Bewußtsein nicht zu.

Ich habe, seit ich Minister bin, nie eiñer Frakticn angehört, auc nit angehören können, i bin successire von allen gehaßt, von einigen geliebt worden. Es ist das à tour de rôle berumgegangen. Als ih zuerst im Jahre 1862 das preußische Minister-Präsidium übernahm, da ist in Aller Angedenken, bis zu welcher ih kann wohl sagen vaterlandsfeindlihen Höhe sich der Haß mir gegens- über verkörperte und bis zu gew sem Maße auch gegen die höheren Einflüsse, die mih auf dem Posten erhielten. Ich habe mich dadurch nit beirren lassen und habe au nie versucht, mich dafür zu rächen, ich babe von Anfang meiner Carrière an nur den einen Leitstern gehabt: durch welche Mittel und auf welchem Wege kann ih Deutsch- land zu einer Einigung bringen und, fo weit dies erreicht ist, wie kann ib diese Einigung befestigeo, fördern und so gestalten, daß sie aus freiem Willen aller Meitroirkenden dauernd erhalten wird. Zu diesen Mitwirkenden rechne ih aber auch die Regierung, und halte es für Deutschland für einen ganz außerordentli großen Vorzug im Vergleich mit anderen Ländern unitari- her Verfassung, daß das dynaitische Element auch außerhalb Preußens noch eine Gewalt hat. die zu den Stüßen der Ordnun gezählt werden muß, und die wir, wenn wir deren Band unitarif zerreißen wollten, durch keine andere cleih starke Bindekraft würden ersetzen können. Ich verlange nicht dieselbe Ueberzeugung von Jedem, ih will überhaupt Niemand überreden, i will nur darlegen, wie ic zu meiner Stellung jeßt den Fraktionen gegenüber komme. Als wir aus dem Kriege 1866 zurückfkamen, wäre cs ja für mich in der Stellung, die ih damals, in kleinerem Kreisc einflußreicer wie heute, einnahm, sehr leiht gewesen, ja, ih habe sogar mit Mühe mich dessen zu erwehren gehabt, zu sagen: jeßt ist Preußen größer geworden, die Verfassung ist dafür niht berechnet, wir müssen sie neu vereinbaren, kurz. die fühnste und einschneidendfte Reaktionspolitik mit dem Er- folg, der noch von Königgräß an den Dingen klebte, mit vollen Segeln zu treiben. Sie wissen, daß i das Gegentheil gethan habe, und daß ich mir dadur zuerst die Rbneigung eines großen Theils meiner älteren politischen Freunde zugezogen habe, und cs hat mich ichmere Kämpfe gekostet, das Gegentheil, die Indemnität, das Fort- seßen des konstitutionellen Systems durchzuführen. Habe ih das aus Liebe zum konstitutionellen System gethan? Meine Herren, ih will mi nit besser macben, als ih bin, ich muß das ganz bestimmt verneinen. Ih bin kein Gegner des konstitutionellen S ystems, im Gegentheil, ich halte es für die einzig mögliche Negierung8form aber wenn ich geglaubt hätte, daß eine Liktatur in Preußen, raß der Ab- \olutismus in Preußen der Förderung des deutschen Cinigungswerkes nüßlicher gewesen wäre, so würde ih ganz unbedinat und gewissenlos zum Absolutiësmus gerathen haben. Aber ich habe mich nach sorgfältigem Nachdenken, und ih habe {were und mir theure, nahestehende Ginflüsse zu bekämpfen gehabt, dafür entschieden: nein, wir müssen auf der Bahn des Verfassungsrechts weiter gehen, was außerdem meinen inneren Empfindungen und meiner Ucberzeugung von der Gesammtmöglichkeit unserer Politik entspricht. Das Entgegenkom- men, welches ich damals für die mit mir versöhnten Gegner gehabt habe und weldes in meiner vielleicht fehlerhafr angelegten atur nach der Versöhnung wohl etwas überfließend sein rnochte, hat mir zuerst also die Vorbereitung zu dem \spätern Bruch mit der konser- vativen Partei eingetragen. És entstand dann für mich, thatsächlidy aus den Beziehungen der kirchlichen Frage zur polnishen, der Kon- flift über die firhlichen Angelegenheiten. Dieser Kampf beraubte mich der natürlihen Unterstüßung der konservativen Pactei, auf die ih hätte rehnen können, und die Wege, die ih, um die Verfassung des Deutschen Reichs autzubauen und in Aktivität zu seßen, um ihr dur prafktishe Belebung eiue Bürgschaft der Dauer zu gewähren, die Wege, die ih dazu gehen mußte, wärea wahrscheinli andere geworden, wenn die konservative Partei mich nicht damals im Stich gelassen hätte. E fam dazu der {were Kampf, den ein augenblidtlihes Hocheglühn der tausendjährigen Streit- frage zwishen Staat und Kirche, zwiscben Kaiser und Papst ver- anlafite, dec Streitfrage, die in unserer Geschichte seit 1000 Jahrcn jederzeit gelegen hat, zeitweise ift sie lebhafter geworden, zeitweise stiller. ch5ch habe in diesem Konflikt gekämpft mit der Lebhaftigkeit, die mir, wie ih hoffe, in allen Sachen, wo es sich meinem Bewußt-

fein na& um das Wohl meines Vaterlandes und um die Retbte meines Königs handelt, so lange ih lebe, eigenthümlich bleiben wird, aber ich muß auch hier sagen: ih halte Konflikte wohl unter Um- ständen für tapfer durchzukämpfen, aber nie für eine auf die Dauer zu erstrebende Institution, und wenn sich Mittel und Wege bieten, die Schärfe der Gegensäße zu mildern, ohne daß man an die Prin- zipien der eigentlichen Streitfrage rührt, wenn man si gegenseitig kennen und dur gemeinsames Arbeiten an einein gemeinsamen und hohen Zweck si gegenseitig abten lernt, 1a, so liegt cs do wahrlich nicht in meiner Berechtigung als Minister, solche Wege zu vers{ließen und von der Hand zu weisen. i :

Wenn ih nah 1871 durch diese von mir nicht abhängigen Er- \heinungen und Kämpfe enger an die liberale Fraktion gedrängt wurde, als es für den Minifter und für den Reichskanzler auf die Dauer vielleicht haltbar is, wenigstens gerade fo weit, wie es möglich war, so habe ih dadur die Beziehungen zu den übrigen Kreisen des Reichs und der Bevölkerung doch un» möglich für immer aufgeben können. I habe geglaubt und habe das in der Sozialistendebatte noch entwicelt, wir würden, vem rech- ten Flügel ab gezählt, in drei Bataillonen, vielleicht getrennt, mar- schiren und vereint febten können. Diese meine Vorausberechnung hat fi leider nit bestätigt, und die Umstände, nicht mein Wille haben cs so aecdreht, daß die Herren, die mich früher häufig und nah ihrer Weise unterstützten, die Kämpfe nicht aus\ch{chloß, daß die mir gegenüber in ihrer Presse, in ihrer angesehensten und afkfkre- ditirtesten Presse, in einen Zorn und in eine Sprachweise verfallen sind, die mich vollständig degoutiren und abwendig machen mußte. (Es haben ähnlihe Vorfälle auh vor versammeltem Reichstage statt- gefunden, daß durch einzelne hervorragende Mitglieder der Reichs fanzler in einer Weise abgekanzelt worden ift, kann ih wobl sagen öffentli, wie es ein Mitglied einer befreunveten Fraktion wohl niemals ohne Mißbilligung der Fraktion gethan haben würde.

Alles das sind Gründe, die mich gegenüber diesen meinen früheren i hoffe auch wieder zukünftigen Kampfgenossen in dieselbe Stimmung setzen, die sie mir gegenüber bekundet und öffentlih aus- gesprochen haben, kühl bis ans Herz hinan. Ich kann die Me- gierung kann doch den cinzelnen Fraktionen nicht naclaufen, sondern sie muß ihre eigenen Wege gehen, die sie sür richtig erkennt; in diesen Wegen wird sie berichtigt werden durch die Beschlüsse des Reichstags, sie wird der Unterstüßung der Fraktionen bedürfen, aber der Herrscaft einer Fraktion wird sie sih niemals unter- werfen können! Unter diesen Umständen bin ich dazu gekommen, nachdem die Lücke, die das Ausscheiden meines Herrn Kollegen Del- brt im Reiczskanzler-Amt ließ, mib nöthigte, mich enger, näher als biéher mit den wirthschaftlichen Fragen zu Dea es bin ih zu Ueberzeugungen gekommen, an deren Durchführung ich von dem Augenblick, wo sie bei mir feststanden, die ganze Krast des Einflusies, der mir amtlih vertraut ist, geseßt habe. Ob ich auf der Bahn Nicderlagen erleiden mag, ob ich wieder von vorn anfangen muß ja so lange ih Minister bleibe, werde ich in diesen Bestrebungen nicht naclasien, mein Vorbild ist darin Robert Bruce in seiner Geschichte mit der Spinne, an deren stetem Wiederaufklimmen na dem Herunterfallen er sich ermuthigte, um seinerseits das, was er für Recht und seinem Vaterlande für nüßlich hielt, auch bei den übelsten Aspekten nicht aufzugeben; für das, was ih unternommen habe, liegen aber die Aspekte nit einmal übel und entmuthigend, und es wäre meines Erachtens ein Verrath an der Sache, tie ich im Namen des Vaterlandes hier vertrete, und die ih nicht frivol unternommen babe, wenn ich wegen solcher Quisquilien, meiner Ansicht nah, wie sie die eine Theorie von der anderen unterscheiden, das Ziel sollte uncrreit lassen in dem Augenblick, wo ich die Hand danach aus- streckten Tönnte.

Wie ih böôre, hat der Hr. Abg. von Bennigsen darauf auf- merksam gemacht, daß ib in einer früheren Rede die Matrikular- umlagen als nachthe:lig bekämpft, wokei ich mich auf den Abg. Miquel bezogen habe. Meine Herren, lieber wäre mir die ganze Sache allerdings ohne Matrikularumlagen, aber ich habe doch eben nichi die Wahl,- die Dinge so zu malen, wie ich jie mir an die Wand malen kann. Wenn ih von der liberalen Seite ohne Unter- stützung, ohne Anhalt, ohne bestimmte annehmbare Vorschläge bleibe, so muß ih den von anderer Seite kommenden Vorschlag prüfen, was giebt er denn? Nun er giebt mir in dem Sinne, wie 1ch die Matrifularumlagen bekämpft habe, die volle Abstellung derselben und der Uebelstände, die ih gerügt habe. Ich habe gesagt, bisher sei das Reich ein lästiger Kostgänger bei den einzelnen Staaten, in mahnen der Gläub iger, während es der freigebige Ver- forger der einzelnen Staaten fein müßte bei rihtiger Venuzung der Quellen, zu welhen der S(lüssel dur die Verfassung in die Hände des Meichs gelegt, bisher aber nicht benußt worden ist. Meine Herren, dieser „freigebige Verforger“ wird das Reich abec durch die Annahme tes Franckensteinshen Antrages, der sich von dem früher in der Kommission vorgelegten Bennigsenschen be- züglich der Versorgung der Staaten nur daturch unterscheidet, daß man den einzelnen Staaten ein höheres Maß der Autonomie in der Verwendung dessen, was thnen zugestanden wird, beläßt. Wenn das Reich den Einzelstaaten nah seinem Ermessen die Veberschüsse zu überweisen hätte, so dürfte sich nah den Vorgängen, die wir neu» li in der Kommission erlebt haben, wo die Herren Abgg. Nickert und Ribter die württembergiswz Finanzverwaltung vor ihr Forum gezogen haben, sehr leiht cin System entwickeln, nach welchem alle Budgets, das preußische fo gut wie das württembergische, hier vor das Forum der Reichétagt-Finanzkommission gezogen werden, und das würe ein Unitarismus, den ich sür {ädlich und verwirrend hal- ten würde, und welchen sih die einzelnen deutshen Stämme mit ihrem Sclbständigkeitsgefühl {werlich werden gefallen lassen. Das wird vermieden, wenn die Ueberweisung eon Rechtbwegen im Geseß steht, nit in der Verfassung, sondern im Gesetz, welches dem Reich eine ständige Ausgabe zur Versorgung der ein- zelnen Staaten auferlegt. Das Reich ist niht mehr ein lästiger Kostzänger, fondern ein Kostgänger, der ein gutes Kostgeld bezahlt und darüber hinaus sich freigebig erweist, es ist ein Kostgänger wie ein König, der bei einem Privatmann wohnt, und vas Reich fteht in volier Berecbtigung seiner Finanzhoheit da, wenn es sich der Pflicht unterzieht, durch Flüssigmachung der Quellen, die unter seinem Verschluß licgen, der Finanznoth der cinzelnen Staaten aufzuhelfen, ohne eine eife:sücbtige und die Grenzen scines Ressorts überscreiteide Einmischung der cinzelnen Staaten in ihr Ver- waltungt wesen, Das System der bisherigen Matrikularbeiträge haite das Ergebniß, daß das Reich die Einzelstaaten dur Verfagung der Zuflüsse, die aus ten indirekten Steuerquellen kommen könnten, aushungerte und dabei dech in jedem Fahre als mahnendcr Gläubiger die Matrikularumlagen verlangte; —- dur die heute in Aussicht ge- nommene _„Reichshülfe aber s{chwindet die Finanznoth der Staaten und des Reiches, die ja die cinleitende Motivirung meines ganzen Vorgehens in dieser Frage gebiltet hat; die Finanznoth wird zum Theil gehoben, und wenn au niht in dem Maße, daß alle die Reformen an den direkten Steuern, die Sublevation der noth- Ieidenden Gemeinden sofort ausgcführt werden könnez, die mir _vor- \chweben, so doch, daß, wie ih glavbe und hoffe, ein erheblicher Theil davon schon bald, so bald nur die Ertragélosigkeit der Tabak: steuer überwunden sein wird, die an dem Mangel der Nachsteuer liegt, dieses Neformwerk in Angriff genommen werden kann,

Die Urgleichheit der Belastung durch die Mairikularumlagen, die ih au, wie i hier sehe, damals gerügt habe, schwindet aud, wenn die Vertheilung nach demselben ungleichen Maßstabe stattfindet, wie n L L bob

ie nun dadur die Finanzhoheit des Reichs geschädigt werden sollte, dafür suche ich vergeblih nach irgend A Merfalungs? paragraphen. Man könnte, wenn man theoretisch zu Werke gehen wollte, zuerst fragen: wer ist denn eigentlich das Reih ? Die Ver- fassung giebt tarüber eine ganz authentishe Auskunft, der gegenüber aber verschiedene abweichende Auslegungen im Publikum bestehen. Wenn ich in der Presse die Besorgnisse lse, wie das Reich ge- fährdet sein werde, wenn den Bundesstaaten zwar nach wie vor die verfassungémäßige und jederzeit inne zu haltende Verpflichtung ob-

licgt, die Matrikularumlagen zu der vom Reichstag zu b:willigenden Höbe der Ausgaben unweigerlich einzuzahlen wenn diescs für das Reich gegebene Verhältniß erhalten wird, wo liegt dann der Unterschied, der hier ¿wischen dem Reich und den verbündeten Staaten gemacht werden will? Der beruht meines Erachtens auf ganz unberectigten Behauptungen, namentli für uns, die wir hier auf der Miniflerbank stehen; wir sprechen im Namen der „verbündeten Regierungen.“ Können nun die verbündeten Regierungen gegen sich selbst den Verdacht hegen, daß sie ihren Bundespflichten ge, en das Reich niht nachkämen? gegen das Nei, was wiederum genau dasselbe ift, wie die Ge- sammtbeit der verbündeten Regierungen; diese sind das Reich, und das Reich besteht aus den gesammten verbündeten Regierungen. Namentlich aber Preußen, welchbes .das Kaiserschwert, ¡kann ih es wobl nennen, nach der Genesis aus dem Bundesfeldherrn, in der Hand hat. Können Sie den Verdacht haben, daß Preußen sich gegen das Reich auflehnt, vielleicht in Verbindung mit noch einigen anderen mächtigen Partikularstaaten? Ja dann wollen wir überhaupt nur das letzte Geläut auf dem Dome anfagen für das Reich. Das ist aker cine Vorausseßung, die doch unmöglich Ihren Deduktionen zu Grunde liegen kann.

Wo i: also der Spalt, die Grenze, die si bei íFhnen zwischen dem Reich und dem dur den Frankensteinschen Äntrag angeblich begünstigten Partikulariémus der Bundeëstaaten zieht? Jst etwa der Kaiser und der Reichstag allein das Reih? Ich fürchte, Sie ziehen ür das Reih noch eine viel engere Grenze, daß Jeder in erster Linie vorzugsweise seine Fraktion darunter ver!!eht, und dann demnächst die anderen au, soweit sie ein freundlihes Berhäliniß zur eigenen haben.

Die verfajjungêmäßige Definition des Reiches befindet sich in dem einleitenden Satze zur Verfassung über den Bundesvertrag, den die verbündeten Regierungen untereinander abgeschlossen Haben, und der da lautet, taf: der König von Preußen und die Uebrigen einen ewigen Bund scbließen; dieser Bund wird den Namen „Deutsches Reich“ führen uud nachstehende Verfassung haben, Durch diese Ver- fassung werden nun dic Rechte des Reichstags hingestelt, die bei diesem Franckensteinswen Antrage, wie ih mir {on zu entwiceln er- laubte, ihre volle Wahrnehmung finden. Die Regierungen haben biéher {on nach Art. 36 der Verfassung das Recht, die Zölle ihrer- seits zu erheben durch ihre eigenen Beamten:

Die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchêë- steuern bleibt jedem Bundessftaate, soweit derselbe sie bisher aus- geübt hat, innerhalb seines Gebietes überlassen.

Wäre also cine Möglichkeit oder eine Neigung, diefe Zölle dem Reiche vorzuenthalten, so wäre jeder Bundesstaat, namentlich ein fo mächtiger wie Preußen, {hon längst in der Lage, es zu thun, So viel i& mi erinnere, erhebt Preußen an Reinertrag der Zölle, wenn man sie zu 104 Millionen Mark ansegt, 63 Millionen, also ungefähr nach Verhältniß seiner Bevölkerung, auch darüber iinaus. Wenn man der preußischen Erhebung, die, wie ih glaube, 6 Millionen der Reichslaunde und die 5 Millionen der Zollvereinsämter in den Hanse- städten zurehnet, fo würde Preußen 74 Millionen der bisherigen Zölle erheben, und bei einer Steigerung der Zölle um den Prozentsaß, den das neue Geseh liefern würde, würde das Verhältniß in dieser Repartition wohl unverändert bleiben. Der einzige Staat, der mei- nes Wissens erheblich über seine Bevölkerungezahl erhebt, ist Satsen, dessen Zolleinnahme, die es an das Meich îberweist, sich auf 10 Millionen beläuft, während nah dem quotirten Saß, der auf die Kopfzahl der Bevölkerung kommt, sie nur etwa 7 Millionen sein müßte, Unter der Bevölkerungszahl

eiben dagegen tie Einnahmen der süddeutschen Staaten. Hat nun

diese Einrichtung der Erhebung, diese Thatsace, daß der Ertrag des Zolles zuerst in die partikalaristische Gewalt des Einzelstaates ver- möge des Art. 36 der Verfassung gcht, jemals zu Befürchtungen bis her Veranlassung gegeben, daß die Reichéfinanzhol; it gefährdet sei, daß ein Partikulariémus si entwiteln werde? Meines Wissens in feiner Weise. Diese Zölle werden nun nah Art. 39 durch viertel- jährliche und jährliche Abrechnung, die an den Finanzausschuß des Bundesraths gelangen, bubmäßig vertheilt, wie viel Ieder von seinen HBöllen behält, wie viel er herauszuzahlen hat. Es ift dabei auch nicht bezweifelt worden, daß der Ertrag der Zölle, wte Art. 38 vor- \chreibt, unter andcren bezeihneten Abgaben virtuell in die Reichs kasse geflossen sei, obschon in natura der gezahlte Lhaler s{werlih in einer Reichskasse hier jedeë#mal geklungen hat, soudern cs ist Alles auf dem Wege der Abrechnung gemacht worden. Dieser sclbe Weg der Abrechnung soll auch ferner beschritten werden bei Annahme des Frandenstcinshen Antrages. Dic eventuelle Ueberweisung zuaächst an die Reichskasse wird verfassungsmäßig nah Art. 38 stattfinden. Voa da wird nah dem Texte des Franckensteinschen Antrags eine Üeber- weisung an die einzelnen Staaten aus der RNeichékasse stattfinden. Das Neich wird also vermöge eines Gesetzes, welches es sich selbst giebt, cine ständige Ausgabe in sein Budget aufzunehmen k aben, deren Betrag den einzelnen Staaten zur freien Verwendung zufließt. Es bedarf daher auch nit der Art. 70 der Verfassung ciner Aenderung, welcker verlangt, daß zunächst die Ueberschüsse zur Verwendung kom- men sollen, da die Ueberschüsse sich erst daun crgeben, wenn alle Aus- gaben bestritten sind, und wenn das Reich sich eine Ausgabe geseßz- li auferlegt, mag sie für das germanische Museum, mag sie für die Gesammthe t der Einzelstaaten votirt werden, so muß immer diese Auégabe erst geleistet werden, che Ueberschüsse entstehen können. Wir haken also unsererseits die Reichsverfassung in allen ihren Artikeln für uns, und die Verletzung, die in der Presse vielfach behauptet wird -— ich weiß nicht, ob auch heute in den MNedezn bestreiten wic und gewärtigen den Beweis, dec bisher nicht vorliegt. -

Ich möctte auch hier wi:derum für die Herren die Ermahnung arknüpfen, doch bci so cinfaden und die küblste Ueberlegung fordern- den Fragen, wie Zölle, Winthschaftäangelegenheiten, Finanz- und Budgetsachen von —- man möchte sagen, den alten Stammeéhaß herauszufehren; der liegt nun hier nicht vor, aber wir risfiren bei der sLarfen Trennung, die unter den Fraktionen stattfindet , daß wir die Fraktioncu an die Stelle der Stämme seßen. Db vielleicht späterhin wirkli alie Verbindungen, auch die Familicnverbindungen zwischen den verschiedenen Frattionen hinweçfallen und jede einzelne Fraktion als gesonderter Stamm si wiedec entwidelt, so weit wird es boffentlich nicht kommen. Aber ih würde bitten, die hove Politik und die VBefürcbtung, daß irgend cin politischer Hintergedanke bei den einfachsten WViaßregeln vorhauden ist, nicht auf alle diele Dinge u vertragen uno den zornigen Kampf der Fraktionen nit so weit zu treiben, daß ite Interessen des Reiches darunter leiden, und daß, wenn die Regierungen sich dadurch einschüchtern ließen, auch in diesem Jahre wicderum ter erste Schritt zu ciner finanziellen Verbesserung nichk zu Stande käme. Von Seiten der Regierungen kann ich ganz bestimmt versichern, daß sie sich durch die meines Erachtens unzutreffenden Angriffe von dem Wege, den sie be- treten haben und über den sie sich am vergangenen Sonntag vorläufig verständigt haben, uicht werden irre machen lassen, und ich für mei- nen Theil werde den Weg, den ih im Interesse des Vaterlandes für den reten erkenne, unbedingt bis ans Cnde gehen, unbcirrt; mag ih Haß over Liebe dafür ernten, das ist mir gleichgültig. i

Der Abg. Windthorst erklärte, er müsse alle zum Theil verleßenden Jnsinuationen des Abg. Beseler gegen das Cen- trum auf das Entschiedensie zurückweisen; er bekenne sich offen als Partikularist, er sei zu dieser Richtung nah der Verfas- sung berechtigt, denn das Reich sei ein Bundesstaat und jeder Einzelstaat habe seine volle Berechtigung und Souveränetät behalten. Dieser Zustand solle durch den Antrag Frankenstein nur aufrecht erhalten werden, und wenn sich die Liberalen N) sehr dagegen aufbäumten, fo manifestirten sie damit nur, daß die Betonung der Rechte der Einzelstaaten gegen ihre innersten Tendenzen gehe. Der Abg. von Bennigsen habe die Entlassung dreier preußisher Minister mit dem Antrage Franckenstein 1n Verbindung gebracht ; zunächst sei es ihm interessant zu hören, daß dem einen Minister noch zwei andere gefolgt seien ; offiziell sei ihm davon noch nichts bekannt. Der Minister

Friedenthal habe übrigens diese Phantasie, daß der Antrag Franckenstein auf seine Entlassung eingewirlt habe, schon ver- nictet, und sogar erklärt, daß er für denselben stimmen werde. Der Reichskanzlec habe dann erklärt, daß sein Entschluß erst am Sonntag gefaßt sei; diese Erklärung werde eine große Zahl von Jnsinuationen beseitigen. Das Centrum stehe auf seinem Programm, welches er am 8. Mai entwidckelt habe, und die konservativen Parteien hätten dasselbe adoptirt. Man erzähle nun von den großen Konzessionen, die man dem Cen- trum im Kulturkampf gemacht habe. Es stehe in allen Blät- tern und der Abg. von Bennigsen habe den Rücktritt des Ministers Falk dahin gedeutet. Von der Beendigung des Kulturkampfes sei ihm nichts bekannt, ein Versprechen in dieser Richtung sei ihm nicht gegeben und von ihm nicht be- gehrt worden. Die Jdeen des Centrums beim Kulturkampf seien über alles Jrdische erhaben. Das Centrum solle nun der Düpirte sein; seiner Partei sei nichts versprochen, also könne jie auch nicht düpirt werden; übrigens wer ihn düpiren wolle, müsse ein Bischen früh aufstehen. Aus alledem folge aber nicht, daß der Gang, -den man aus innerer Nothwendigkeit gehe, nicht Einfluß haben müßte auf andere Gebiete. Er vertraue der Logik der Thatsachen, die werde das Centrum niht düpiren. Man habe feine Partei als Reichsfeinde hingestellt, als Menschen voll Bosheit und Hinterlist. Die liberale Wirth- chast habe jeßt Bankerott gemacht, das Neich habe jährlich ein Defizit, die Einzelstaaten seien nahe daran zu liquidiren. Diejenigen, welche die Schulden gemacht hätten, versagten Die Mittel zur Tilgung derselben. Die Richtung der Wirth- \chaftspolitik trage zu dieser Bedrängniß mit bei. Das Cen- trum trete als Liquidator ein. Dasselbe werde keinen Dank dafür ernten, denn das Schlimme dabei sei, daß Geld dazu erforderlich sei. Troßdem sei er und seine Freunde ohne Be- denken an diese Aufgabe herangetreten. Von liberaler Seite sei ihm in einer Privatunterhaltung mitgetheilt wor- den, daß die Liberalen sih fürchteten, die Gelder zu bewilligen, aber zufrieden seien, daß das Centrum dies thue. (Links : Namen !) Den Namen werde er privatim nennen. Jeßt werde Niemand mehr behaupten, daß seine Partei reichsfeindlih fei, daß dieselbe kei: nen Patriotismus besäße. Die besten Freunde seien die Freunde in der Noth, und diese wahren Freunde des Reiches und der Einzelstaaten sei das Centrum. Das Centrum s{hüße die nationale Arbeit, schaffe dur die Finanzzölle die nöthigen Einnahmen, weil sonst neue direkt- Steuern nothwendig sein würden. Mit dem Tarif schaffe man keine neuen Lasten, sondern lege dieselben nur um. Man sage nun, das Centrum habe gar feine Garantien, daß die Ueberschüsse wirkli den ‘inzelstaaten zu Gute kämen; nun, früher seien die Liberalen bereit gewesen, ohneGarantien für Finanzzölle zu stimmen ; sie wür- den auch heute nicht gegen die Finanzzölle als solche flimmten, son- dern nur gegen den Francensteinschen Antrag. Daß die National- liberalen die Uebershüsse für die Einzelstaaten erwartet hätten, da- für sprächen die Vorbereitungen im preußischen Landtag, wo man sogar außer der Zusicherung des Finanz-Ministers eine Ka- binets-Ordre extrahirt habe. Damals sei große Freude dar- über gewesen, und hoffentlich würden die Versprehungen des Finanz-Ministers in Erfüllung gehen. Jeßt erklärten sich die Liberalen gegen die Finanzzölle, weil sich die Regierung mit anderen Elementen verbunden habe. Der Abg. von Bennigsen habe heute noh hervorgehoben, wie billig man die Zustimmung ver Nationalliberalen hätte haben können; jedenfalls sei aber eine Bedingung die Quotisirung, deren An- nehmbarkeit ihm doch zweiselhaft erscheine. Man habe das Zu- sanimengehen des Centrums mit den Konfervativen verdäc)- tigt; er bedauere, daß es kein dauerndes sein tönne, so lange der Kulturkampf dauere; werde dieser beseitigt, fo würde er herz- li gern mit den Konservativen zusammengehen, aber niht zur Reaktion, wohl aber zur Nevision einer ganzen Reihe von Ge- seten, die er stets bekämpft habe. Die politische Bewegung, die früher nah links gegangen sci, gehe jeßt nah rechts, er hosfe, daß Maß gehalten werde, damit sie niht wieder nach links gehe. Die Differenz derx ursprünglih in den Franckensteinshen Antrag eingestellten Sunime von 103 gegen die jezt im §. 7 stehende Summe von 130 Millionen Mark erfläre sich daher, daß die Zölle im Durchschnitt der leßter drei Jahre allerdings nur 108 000 000 s ergeben hätien, sie hätten aber in früheren Jahren bis 130000 000 s gebracht; deshalb habe man diese leßte Summe eingestellt. Man hätte ja die Regierung ganz in Verlegenheit lassen und ihr kein Geld be- willigen können; das hieße aber die Junteressen des Landes „außer Acht lassen; das dürfe auch bei den heißesten Kämpfen nicht geschehen. E E Webers \chüssen eine Steuererleichterung geschaffen werde, habe der Reichs- fanzler als seine Absicht hingestellt und er zweifle nicht, daß derselbe als Minister-Präsident sein Wort einlösen werde. Jedenfalls würde er ihn energisch daran erinnern. Der Abg. von Bennigsen habe dann mit einer gewissen Befriedigung darauf hingewiesen, daß der §8. 7 ja jeden Augenblick wieder abgeändert werden könne. Ev hoffe, die Negierungen würden mit Loyalität verfahren und diesen Paragraphen nicht blos als in der Nothlage zugestanden betrachten. Die Versuche zur Aenderung müsse man erst abwarten. Er möchte bitten, daß das Haus hier nicht als Vertreter einer Partei, fondera als Vertreter des ganzen Landes abstimme ; daß es zum Besten des Landes und unter gegenseitiger Achtung beschließe. Da- mit werde man zur Krästigung des Neiches und des deutschen Gemeingeistes beitragen. | À Der Abg. Dr. Lasker bemerkte, die heutige Diskussion sei im Wesentlichen eine Auseinandersebung zwichen dem NReichs- kanzler und den Parteien und den leßteren untereinander. Dabei unterliefen aber do verschiedene Jrrthümer ; der Abg. Windthorst habe Unrecht, wenn er behaupte, die national- liberale Partei habe seiner Zeit die ZFinanzzölle ohne irgend welche Garantien bewilligen wollen. Die Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses bewiesen das Gegentheil. Nur das Maß der Garantien bilde den Unterschied. Der Unter- schied zwischen dem Franckensteinshen Antrag und den For- derungen der nationalliberalen Partei liege darin, daß jener das gegenwärtige Verfassungsrecht des Reiches durchbreche und feine Garantie dafür gebe, daß wenn einmal die Last des Volkes zu groß würde, ihm etwas davon abgenoumme! werden könne. Das Volk kümmere es weniger, wie die Mehreinnahmen zur Verwendung gelangten, als wie es ermögliht werden könne, die Lasten zu rechter Zeit zu vermindern, Nach dem Reichs-Verfassungsrecht lösen Zölle und Steuern in die Reichskasse; von nun an er? höben die einzelnen Staaten die Gelder sür sich und nicht mehx für das Neich allein, dieselben seien Beauftragte in threr eigenen Angelegenheit. Es handele sich also do aiht um bonnet blanc oder blanc bonnet, Wenn der Abg. Windthou t sih als „Freund in der Noth“ hingestellt habe, jo müjje man