Staatssekretär des Neihs-Schagam!s Freiherr von Thiel- mann:
Welcher Art diese Vorbereitungen gewesen sind, ift dem hohen Hause niht erst durch die Rede des Herrn Reichskanzlers bekannt geworden. (Sehr richtig! links.) Diese Vorbereitungen haben seit drei Jahren nicht allein die betheiligten Reichsämter, nicht allein die Bundesregierungen, fondern auh die gesammten Erwerbsstände in Deutschland beschäftigt. Es ist selbst neuerdings noch der Vorwurf erboben worden, manche Aeußerungen der Erwerbsstäñnde seien über- haupt nicht berüsihtigt worden. Dieser Vorwurf ift ungerecht. Auch außerhalb des Wirthschaftlihen Auss{hufses, außerhalb der Be- rathungen, welche seitens der einzelnen Landesregierungen mit ihren eigenen Interessenten gepflogen wurden, hat eine jede Eingabe, mochte fie kommen, von welcher Seite sie wollte, von einer Vertretung des Handels, der Industrie, der Landwirthschaft, die ernsteste Prüfung gefunden.
Daß natürlih von zwei entgegenstehenden Wünschen nur der eine berücksihtigt werden konnte, darf niht überraschen, und ebenfo selbstverständlih hat derjenige, dessen Wunsch berüdksichtigt war, gesdwiegen, und der Andere hat sich beklagt. Ich kann aber Ihnen wiederholen, daß in jedem Stadium der Angelegenheit, nicht bloß im leßten, Stimmen aus allen Theilen Deutschlands gekommen find, welhe je .nach der Stellung der Antragsteller Zustimmungen zu den betreffenden Bestimmungen des Gesetzes enthielten. Also, daß das Gesetz, wie vielfah in einem Theil der Presse behauptet wird, auf allgemeines Mißfallen in Deutschland stoßen würde, darf ich hier bestreiten. Jch lese in einer heutigen Zeitung, daß allein die fozial- demokratishe Petition gegen das vorliegende Zolltarifgesez 35 Millionen Unterschriften gefunden haben soll. Ob dies der Fall ist, kann ich niht wissen (Zurufe bei den Sozialdemokraten) ; nur muß ih darauf aufmerksam machen, daß diefe Ziffer ungefähr das Doppelte der sozial- demokratischen Wähler ist, und daß daher, wenn die Ziffer zutrifft, auch eine große Menge unmündiger Kinder und Frauen sich an dieser Petition betheiligt haben müssen. (Lachen links.)
Wenn man die Vorlage in großen Umrissen beurtheilt, so zer- fällt sie hauptsächlih in zwei Theile: in die Urerzeugnisse des Bodens und die Nahrungsmittel im ersten und zweiten Abschnitt, in die in- dustriellen Erzeugnisse in den übrigen Abschnitten. Jeder Abschnitt will für fih selber betrachtet werden. Die beiden ersten Abschnitte bezwecken, wie der Herr Reichskanzler Ihnen soeben gesagt hat, den Schutz der deutshen Landwirthschaft; der zweite Theil, die übrigen Abschnitte, betreffen niht sowobl einen erhöhten Schuß der deutschen Industrie in allen ihren Theilen, sondern eine Ausgleihung da, wo bei dem gegenwärtigen Tarif Ungleichheiten bestanden.
Was über die Lage der deutschen Landwirthschaft gesagt worden ist, wird im Laufe der näcbsten Tage von verschiedenen Seiten des Hauses noch vielfa beleuchtet werden. Ich brauche darauf, auf ein Thema, das seit zehn Jahren alle Köpfe und alle Herzen beschäftigt hat, hier nicht näher einzugehen. Ih muß nur daran erinnern, daß der oft erhobene Vorwurf, bei den Minimalzöllen, wie sie im Zolltarifgeseß stehen, seien Verträge überhaupt nicht möglih, völlig unbegründet ist. Der Herr Reichskanzler hat Ihnen soeben gesagt, und ich wiederbole es: es ist unser Wurs{ch, wieder mit unseren Nachbarn und anderen be- freundeten Staaten zu Verträgen zu Ueberzeugung der verbündeten Regierungen, daß auf Mindestzölle, wie sie bier im Entwurf stehen, solche Vereinbarungen mögli sind. Sie dürfen nicht vergessen, meine Herren, daß, wenn wir im freundschaftlichen Verkehr mit den Nachbarstaaten leben wollen, die Nachbarstaaten von dem gleihen Wunsche beseelt sind, und ih möchte Sie daran erinnern, daß die Verträge, auf Grund deren unser jeßiges Zollverbältniß in Europa geregelt ist, auch nit mit einem Scblage, einem großen Nachbarstaate sogar erst nah einem Zollkrieg, zu stande gekommen find. Wir wünschen s\elbstverständlih keinen Zollkrieg, wir begen aber die feste Ueberzeugung, es wird dem Geschick unserer Unter- bändler und der allgemein berrs{henden Stimmung nah Lösung aller dieser Fragen gelingen, auch auf Grund des Zolltarif- gesetzes mit seinen Mindestzöllen entsprehende Verträge abzuschließen.
Da ih gerade von den Mindestzöllen spreche, Bestimmung kommen, die ge!ey findet, die beschäftigt hat als irgend ein anderer Theil der betreffenden Gesetze. Fs sind die Transitlager mit allem, was damit zusammenbängt. Der
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sich gewissermaßen nebenbei im Zolltarif-
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siebt die Möglichkeit einer Beibehaltung der Transitlager an für dieselben ein Bedürfniß: besteht. Dieses es braucht nit allein das sein. Sie erinnern \ich, daß auch Landwirthschaft an gèwissen oftdeutshen Transitlagern seiner Zeit f bekundet hat. Wir wollen aber gleich- Schäden, welhe durch Turansitlager und zufammenhängt, entstehen können, dadur heilen, dai wir n Zollkretit niht mehr, wie bisber, un- verzinst sondern dem Zollkreditnebhmer eine billige Ver- zinsurg von 4 9/% auflegen. Die verbündeten Regierungen \ind lüber- zeugt, daß diefe Modalität alle Beschwerden zu beseitigen gceignet ift, wel@e von feiten Landwirtbschaft gegen das Transitlager überhaupt vorgebracht worden sind und vielleiht noch | vorgebraht werden können. Die hauptsächlihste Beschwerde war, daß dem Händler gewissermaßen unter Kreditgebung seitens des Reichs die Anhäufung großer Getreidemengen obne eigene Kapitalien und ohne die Nothwendigkeit von deren Verzinsung gewährt werde. Dies wird in Zukunft, wenn das Zolltarifgeseß in dieser Beziehung in Kraft tritt, fortfallen, der Händler wird kein Interesse baben, größere Mengen im Inland aufzubäufen, als der unmittelbare Bedarf des Handels und die Versorgung der näthsiliegenden Theile des Reichs | somit entfällt wobl die wichtigste Beschwerde, welche seiner Zeit gegen das Svstem der Transitlager vorgebraht wurde. Verfolgt der Entwurf betreffs der Landwirthschaft, wie Sie aus den einzelnen Tarifsätzen sehen, cine wesentliche Verstärkung des Zollshuyes, so ift das Gleiche, wie ih bereits sagte, niht der Fall hinfihtlih der Industrie. Die Industrie hat sich bei dem ibr gewährten Zollshuy
vor, wo 9 S5 ç C mannigfaltiger Art sein,
Handels zu
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erfordern, und
Dinge zusammen, die vor hundert Jahren vielleiht zusammenge-
feiner, feinster und allerfeinster Arbeit noch nicht so weit gediehen war. Gegenwärtig is eine Zusammenwerfung \o vieler Dinge in eine Sammelposition, wie sie im geltenden Zolltarif viel- fah noch vorkommt, ein Unding. Schon die Handelsverträge der neunziger Jahre haben gezeigt, daß mit folchen Sammelstellen nicht auszukommen ist. Wenn Sie das System der Handelsverträge der neunziger Jahre durchstudieren, so werden Sie finden, daß in jedem einzelnen der Verträge aus den Sammelstellen einzelne Artikel, zum theil Artikel von geringer Bedeutung herausgeflaubt sind, ihre Zollsätze besonders festgeseßt oder gebunden. Das hat aber vielfa niht geschehen fönnen, und wo es unmöglichß war, die speziellen Artikel, auf die es ankam, aus den Sammelnummern heraus- zugreifen, ist die ganze Nummer einem Vertragsfaßze unterworfen worden, der für einen Theil davon viel zu hoch, für einen anderen Theil vielleiht viel zu niedrig war. Die Schäden davon haben sich vielfältig gezeigt. Jh möchte beispielsweise nur an die Fahr- räder und an die Nähmaschinen erinnern; das find aber bei weitem icht die einzigen Fälle. Es giebt Hunderte solher Fälle. Diesem Bedürfniß entsprehend, hat bei der neuen Ordnung des Tarifs eine bedeutend eingehendere Scheidung innerhalb der einzelnen Gruppen und bei den einzelnen Waaren stattfinden müssen, und es ist statt des alten Tarifs mit 43 Nummern, aber vielen Hundert Unternummern mit Buchstaben, Ziffern, griechischen Buchstaben und Bemerkungen ein einheitlihes Gebilde von streng geordneten Waarengruppen ge- {hafen worden, das weniger als tausend Nummern zählt, und wenn man die zollfreien Nummern abrechnet, nit viel mehr als 750 um- faßt. Wir sind damit den anderen europäishen Staaten ungefähr gleihgekommen. Es giebt in den meisten Staaten Europas jeßt Tarife, die in den allgemeinen Grundsäßen der Anordnung sich ziemli nabe an die unserigen anschließen werden, und das wird den rein formalen Theil der Vertragsverhandlungen fehr erleichtern.
Nun ist es richtig, daß, wenn man eine einzuführende Waare genau ihrem Werthe nach einem Zoll unterwerfen will, das ein- fahste System das der Werthzölle ist. Bei den Werthzöllen wird jedes Fabrikat und Halbfabrikat seinem inneren Werth entsprehend getroffen. Es giebt ja auch Staaten, welche dieses System, wie z. B. die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, grund- sätzlih, andere, wie Belgien und Holland, welche es vielfach anwenden. Aber für Deutschland eignet sich dieses System aus vielen Gründen ganz und garniht: Einmal ist mit der Abshäßung des Waaren- werthes eine so hbeifle Arbeit verbunden, daß der deutshe Handels- stand, ich bin überzeugt, wie ein Mann sih gegen das System von durchgehenden Werthzöllen erhoben haben würde. Sodann haben bei vielen Waaren die Werthzölle an der Ostgrenze einen anderen Sinn als an der Westgrenze. Die gleihen Waaren, die von Osten ein- gehen, können minder werthvoll oder werthvoller sein, als wenn sie über die Schweizer Grenze eingehen. Und \{ließlich find, wie das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt, bei einem durchgehenden Werthzollsystem unendliche kleinlihe Plakereien des Einfuhrhandels zu erwarten. Wer mit Nord-Amerika Handel getrieben hat, weiß davon zu erzählen, und ih glaube deshalb hier in diesem hohen Hause feinem Widerspruch zu begegnen, wenn ih sage, daß unser System
1 dbe- | den Vorzug verdient. kommen, und es ift die |
j Grund der
Ich glaube ferner aber au, daß gegen die Art und Weise der inneren Gliederung des Zolltarifs sch ernste Widersprüche nicht er- heben werden. Dieses — so zu sagen — Skelett des Zolltarifs hat lange, che überhaupt eine Einstellung der Säße stattgefunden hatte,
| tretungen gründlich durchgearbeitet worden.
f: I Großen und Ganzen ziemlich fehlerfrei dasteht. sondern erst nach langen Verhandlungen, mit |
friedlicher |
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9 . j aber in den leßten Jahren den Reichstag mehr |
Svstem der |
wohl befunden, sie ift jogar in den letiten Jahren zu einem Aufshwung emporgeblüht, der bis dabin in Deutsbland nicht bekannt gewesen | war. t es aber, einén anderen Mangel zu heilen. Unser | älter Zolltarif ift fast cin Iabrbuntert alt ih meine nit in | seinen Sätzen, wohl aber in sciner ganzen Gestaltung. Er wirft
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sämmtlihen Bundesregierungen vorgelegen und ist von diesen Bundes- regierungen im Verein mit ihren Handelskammern und sonstigen Ver- Ich glaube, daß es im Im Einzelnen mag hin und wieder ein Interessent eine Position an einer anderen Stelle zu seben wünschen; ich glaube aber nicht, daß ernste Einwendungen gegen die gewählte Art der Aufstellung hier werden geäußert werden.
Auferdem mache ih noch darauf aufmerksam, daß im industriellen Theil des Zolltarifs sich recht erhebliche Zollermäßigungen finden. Diese Zollermäßigungen sind eine Folge des gewählten Systems. Es hat sich bei der größeren Zergliederung der einzelnen Sammelgruppen berausgestellt, daß dieser oder jener Artikel des Zolltarifs cines solchen Schutzes, wie er heute noch genießt, niht mehr bedarf. Einige davon sind ganz zollfrei gelassen worden, andere mit erbeblih geminderten Zöllen belegt. Eine starke Erhöhung der Säße gegenüber dem geltenden Zolltarif bat nur stattgefunden bei einzelnen wenigen Artikeln, namentli Luruêéwaaren, die eine solhe Erböbung wobl zu tragen im stande find.
Meine Herren, wenn die Vorbereitung des Zolltarifs Jahre gedauert hat, so wird es niemand anders erwarten, als daß eine gründliche. Berathung in diesem hohen Hause lange Monate dauern wird. Jetzt, in der ersten Lesung, stehen nur seine allgemeinen Prinzipien zur Frage. Ich versage mir deshalb, auf diejenigen Einzel- beiten cinzugeben, welche die einzelnen Abschnitte kennzeihnen. Daß der erste und der weite Abschnitt, die Zölle auf Erzéugnisse des
Ihre besondere Rücksicht verdienen, brauche ih nit besonders rzubeben; ich gbaube sogar, annehmen wu fönnen, daß die ing bei dieser ersten Besprechung des Zolltarifs sch im Großen
Ganzen auf den Werth oder Unwerth der landwirths{aftlihen
Was über das Recht der deutschen Landroirth- {haft auf cinen stärkeren Schut ihrer Arbeit und ibrer Erzeugnisse zu sagen war, baben Sie seitens des Herrn Reichskanzlers soeben ge- bôrt. Die verbündeten Regierungen find ents{blossen, alles zu thun, was zu diesem Schutze geschehen kann, soweit es mit der Möglichkeit künftiger Handeléverträge — denn diese wollen wir bestimmt — ver- einbar ist.
Abg. Graf von Schwerin-Löwit (d. kons.): Mir ist beute die ehrenvolle Aufgabe zu theil geworden, die Stellung meiner Freunde zu der Vorlage vor dem Haufe darzulegen. Ih werde dabei niht auf prinzipielle Streitfragen eingehen, sondern mih möglichst knapp an den Entrourf selbst balten. Vorher aber glaube i; einige Worte sagen zu sollen zu der Art und Weise, wie der Kampf geführt werden follte, und wie er leider bisher geführt worden ist. Be- greifliher Weise wird der Kampf „bei einer so s{werrwiegender Frage mit allen erlaubten Mitteln geführt: aber er könnte doch mit etwas mehr Ansiand und mit etwas mehr wvaterländishem Solidaritätsgefübl geführt werden, als dies bedauerliher Weise in einem Theil unseter Presse gesehen ist. In geradèézu unerbôrter Weise ist dér Entwurf seit seiner Bekanntgabe von einem Theil der Presse nit nur als ein Aufgeben unserer bisherizen Zoll politik bekämpft, sondern au das Ausland geradezu herauêsgefordert
hörten, weil der Handel in ihnen gering, und die Unterscheidung
worden, gegen diesen Entwurf Stellung zu neßmen. Die Aufstellung eines neuen Zolltarifs ist doch eine rein innerpolitishe Angelegenheit, und wenn da gewisse interessierte Handelsfreise das Ausland zu einer Einmischung auffordern. so ist das doch unerhört. Mit Kommissionären, die cinem Fabrikanten wegen eines neuen Preisfurants den Dienst auf- kündigen oder ihm sonstige Vorhalte m würden, ließe \sih do
ers der Fabrikant nicht wieder ein. Unjer internationaler Hand
sollte doch nicht vergessen, daß seine Existenz ganz erheblih be- dingt ist durch die Prosperität der deutsFèn Vüteteczen ung. Wir blicken ja alle mit Stolz und Befriedigung auf die Entwickelung unferes Außenhandels und unserer Rhederei. Aber in der volkswirth- schaftlichen Bedeutung unserer gesammten Gütererzeugung nimmt sie doch nur einen bescheidenen Plaß ein. Die Rhederei arbeitet mit etwa 200 Millionen Mark; die landwirthschaftliche Produktion arbeitet troß aller Ungunst mit jährlich über 7000 Millionen Produktion. (Die nächsten Ausführungen des Redners werden auf der Tribüne im Zusammenhange nicht verständlih.) Spißen wir die Frage so zu, daß es sich entweder um die Kürzung der Dividenden der Rhederei oder um die Vernichtung des Bauernstandes händelt, so bin ih entschieden für das erstere. Es ist in leßter Zeit viel gegen die „Junker“ geheßt worden. Was aber ein Junker *st, ist nicht leicht zu sagen. Man könnte an einen adligen Grundbesißer denken. Aber der Adel hat ja mit wirthschaftlihen Auffassungen nichts zu thun, sonst müßten doch Herr von Vollmar und mein verehrter Fraktions- genosse Jakobskötter ihre Pläße wechseln. Es find niedrige Instinkte einer gesellshaftlichen unit, welche diese Art des Kampfes eins gegeben haben. Auf den Großgrundbesiß entfallen noch niht 19 9/9 des. ländlihen Grundbesißes in Deutschland. Die beliebte Scheidung zwischen Groß- und Kleingrundbesiß is überhaupt unberechtigt. In der Landwirths{azft ist man h über die absolute Soli-- darität der wirthschaftlihen Interessen der Großen und der Kleinen denn auch durchaus einig. Wird dieser Gegensaß von den Sozial- demokraten betont, deren au8gesprochenes Ziel ist, die bestehende Gesell- schaftsordnung aufzulöfen, fo verstehe ich das; mein Appell richtet si deshalb an diejenigen Herren, welhe noch nicht gewillt find, diesem Streben nach Auflösung der gesellschaftlißen Ordnung Vorshub zu leisten. Ich gehe nun zu dem Entwurf über und erkenne da dankbar die Grundanschauungen an, auf welchen derselbe aufgebaut ift, und welche sih zu ihrem Vortheil unterscheiden von denjenigen, welche zu der Politik der Handelsverträge geführt haben, wie denn auch die heutige Stellungnahme des Kanzlers sich sehr vortheilhaft von der seiner beiden Amtsvorgänger unterscheidet. Das Caprivi’she System A sih auf die irrige Anschauung, daß die landwirthschaftliche Produktion im Gegensaß zu der industriellen eine ganz begrenzte sei, und daß bei der Landwirthschaft ein Ausfuhrbedürfniß überhaupt nicht bestehe, also auf Kosten der agrarishen Produkte Vergünstigungen für die Industrieartikel gewährt werden könnten und müßten. Nach dem heutigen Stand ‘unserer landwirthschaftliden Technik steht es fest, daß die Landwirthschaft die für die Ernährung des Volkes: erforderlichen Nahrungsmittel selbs produzieren kann. Es kommen vier Faktoren in Betracht: 1) die Verwendung des bisher zu Futter- mitteln gebauten Getreides, das sind 259% unserer Produktion; 2) Steigerung der Produktion auf der Anbaufläche; 3) Inbetriebnahme der unbenußt liegenden Flächen, das sind 11%/0; 4) Nugbarmachung unserer Oedländereien und Moorflähen. Von diesen vier Faktoren reicht jeder einzelne dazu aus, um-\hon jeßt die heute noch erforder- liche Getreideeinfuhr überflüssig zu machen. Alle vier Faktoren zu- sammen werden im stande sein, auch eine gestiegene Bevölkerungszahl auf lange Zeit hinaus von deutshem Boden zu ernähren. Professor Delbrück in Berlin hat diese Möglichkeit sogar für eine Ver- doppelung der gegenwärtigen Bevölkerungszahl behauptet. Es würde in Bezug auf die Volksernährung eine außerordentlich kurzsichtige Politik jein, wegen einer vielleiht etwas billigeren Ernährung des Volks auf die Erreichung dieses Zieles zu verzihten. Die Auf- fassung, daß wir des ausländischen Getreides bedürften, beruht auf der Unkenntniß des Standes und der Entwickelung der landwirth- \schaftlihèn Technik. Die Landwirthschaft wird niht mehr nach ver- alteten wirthschaftlißen Anschauungen betrieben, sondern nah den großen, naturwissenshaftlihen Geseßen, welhe uns allen in Fleis
und Blut übergegangen sind. Auch die Landwirthschaft seßt, so gu
wie jeder Fabrifant, in ihrer Fabrik Rohstoffe um. Ebenso wenig besteht zwishen Industrie und Landwirtbschaft ein Unterschied in Bezug auf das Ausfuhrbedürfniß. Jch brauche ja nur auf den Zucker hinzuweisen. Die Berücksichtigung der Vor- schläge des Wirthschaftlihen Auss{chusses in der Vorlage erkenne ih dankbar an, muß aber jeßt {hon beklagen, daß gerade in dem ent- scheidenden Punkt die Regierung den Vorschlägen desselben nicht gefolgt ist. Die s\tenographishen Protokolle seiner Verhandlungen find leider niht veröffentlißht worden, und es spriht auch manches dagegen; doch hoffe ih, daß dies bezüglich der erwähnten Punkte wird geschehen föônnen. Als Maßstab der Bemessung der landwirthschaft- lichen Zölle hätte man doch die Preise. annehmen sollen, wie sie vor den Handelsverträgen bestanden haben; das ift aber nicht ge- \{hehen. Wir müssen an diesem Maßstab aufs entschiedenste fests balten. Hierin ist die ganze Landwirthschaft ohne Ausnahme einig. Die inzwischen eingetretene Lobnsteigerung bedeutet für die Land- wirtbschaft eine erbeblide Steigerung der Produktionskosten ; diese Verschiebung des Verhältnisses zu Ungunsten der Land- wirtbs{haft darf niht unberücksichtigt bleiben. Daraus ergiebt ih für die Landwirtbschaft die Nothwendigkeit erheblich höherer Zölle, als sie im Tarif vorgeschlagen sind, und wir werden darauf bestehen müssen, wenn anders der Tarif für uns annehmbar sein soll. Wir werden ferner darauf bestehen müssen, daß Mindestzölle in weiterem Umfang im Zolltarifgesey vorgeschen werden, als dies in dem Entwurf geschehen ist. Jedenfalls darf kein einzelnes land- wirthschaftlihes Erzeugniß in dieser Beziehung vor einem anderen bevorzugt werden. Unser neuer Kollege Gothein hat in der General- versammlung des Vereins für Sozialpolitik in München einen klassischen Ausspruch gethan, der sich auf meine engere Heimath Pommern bezieht: „Die pommerschen Bauern wollen durchweg keinen Getreidezoll, weil sie ebenso viel Getreide verkaufen, als sie kaufen.“ Ich frage Herrn Gotbein: Wenn er wirklih einen „Nordost“ -Bauern gefunden baben sollte, hat er ihn gefragt, „was er denn nun eigentlih verkauft, um seine Exisienz, Beköstigung, Kleidung und die sonstigen wirthschaftlichen Bedürfnisse für sih und seine Familie zu bezablen? Will Herr Gothein für Vieh etwa solche Zölle einführen, daß sie auch bei unzureihenden Getreidezöllen genügten, aus dem Erlös den Mann zu ernähren? Wenn man die Festseyung von Miniîmal- zôllen bloß für das Getreide besbließt, dann tritt in landwirthschaft- lichen Kreisen die Befürchtung ein, daß, wenn es nachher niht möglich ist, durch eine Dervvichund der Getreidezölle Handelsverträge abzu- schließen, man dann umsomehr dafür die anderen landwirthschaftlichen Zôlle, namentlich die Viehzôlle, heranzieht. Die Anschauung, daß durch Minimalzöôlle der Abscbluß der Handelsverträge ershwert würde, balten wir nicht für zutreffend. Es kann sih natürlich niemals darum handeln, cinen Minimaltarif als Ganzes einzuführen, sondern es wird nur darauf ankommen, daß die Unterhändler bei den Handels- vertragêsverhandlungen diese oder jene Positionen haben, um Jnlands- ôlle gegen Auslandszölle einzutaushen. Unsere Volksvertretung ann eine Mitwirkung an den Handelsvertragéverhandlungen nur dadur erlangen, daß fie durch den E vo erklärt, daß der Reichstag nur solchen Handelsverträgen seine Zustimmung ertheilen würde, welche sich innerhalb der hier festgestellten Grenzen balten. Das iît allein die Bedeutung, welche der Dopveltarif haben kann. Der Mindesttarif hat die Aufgabe, den Abschluß unvortheils hafter Handelsverträge zu verhindern. Vom landwirthschaftlichen Standpunkt aus müssen wir an der Aufrechterhaltung unserer Zoll» autonomie festhalten. Wir haben ja die Erfahrung gemacht, daß zwei Jahre nah dem Abschluß der jeyigen Handelsverträge vom preußischen Staatsrath festgestellt w daß die Zollsäge béi’ der veränderten Konjunktur für die Lan#irthschaft niht mehr genügten. Daran war aber nichts mehr zu ändern. Bei so schnell wechselnder Konjunktur müssen wir also unsere Zollautonomie aufrecht erhalten. Wir können uns aber eine Bindung der landwirthschaftlihen Zölle niht in ciner Hôhe gefallen lassen, welhe {hon heute als un-
ihend erscheint.
Unsere Handelsvertragsfreunde unterscheiden denjenigen des delsvertrag8ver
von eins nur dadur, daß niht Handels äge um jeden Preis machen wollen, sondern nur solhe, welhe auch der Landwirthschaft annehmbar erscheinen. Wir wollen allerdings die Ausfuhr sichern, aber unter möglichst inger Preisgabe unserer eigenen Zollautonomie, unseres Selbit- Leitimreungoredis über die Zollsäße. Die Sozialdemokratie steht auf einem Standpunkt, von dem aus allein ihr Widerspruch zu erklären ist, daß fie den für unser Erwerbsleben nöthigen Schuß gewähren würde, wenn es fich nicht um einen Schuß der gegenwärtigen Produktionsform, sondern um den Schuß für die von ihr gewünshte zukünftige Produktionsform handelte. Damit ist niht ernsthaft zu rechnen. Wir müssen an unserem Selbst- bestimmungsrecht festhalten, auch bei dem Abschluß von Handelsver- trägen. Bedenklich find wir auch geworden durch den Vorbehalt, den die Vorlage bezüglih der Inkraftsezung des Zolltarifs maht. Jh halte es ey für fast undenkbar, daß der Kanzler nah den be- stimmten, det Landwirthschaft gegebenen Versprehungen, daß nach dem Ablauf der bestehenden Verträge ihr ein besserer Schuß zu theil werden soll, die Handelsverträge auch nur noch einen Tag fortbestehen lassen wird; aber die Begründung des Vorbehalts hat eine Fassung erhalten, die unsere Bedenken rechtfertigt. (Der Schluß der Ausfüh- rungen des Redners geht in der zunehmenden Unruhe des Haufes zum roßen Theil verloren.) Die Landwirthschaft hegt das ernstliche Ver- angen, den s{hwebenden wirthschaftlihen Kampf zu einem friedlihen Abe- \{luß zu bringen, um wieder ihre ganze Kraft ihren eigentlichen Aufgaben widmen zu können; aber vorherzugehen hat als erste Bedingung die Ge- währung eines ausreihenden Schußes, damit sie die Erfüllung jener Aufgaben auch mit Erfolg in Angriff nehmen kann. Wird diese Vor- bedingung nicht erfüllt, so wird eine Verzweiflung plaßtzgreifen, welche für den ganzen Staat und alle Erwerbsfkreise eine ganz unberechen- bare wirthschaftlihe Krisis heraufführen müßte. Die deutschen Bauern, die deutschen Buren, werden ebenso wie die afrikanischen bis zum leßten Athemzug für ihre Existenz kämpfen. Sich in die Reihe der Sozialdemokraten unter Bebel und Singer einzureihen, wäre für sie eben das}elbe, wie die Unterwerfung der Buren unter die englische Oberherrshaft. Wird der Landwirthschaft auf Grundlage dieser von ihr als B gehaltenen Bedingungen ein Frieden angeboten, so wird sie ihn niht- nur annehmen, fondern au ehrlich halten. In dieser Hoffnung {ließe ih mit dem Antrage, die Vor- lage einer Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen.
. Molkenbuhr (Soz.): Was die Rechte unter „Schuß“ versteht, geht auf Raub und Ausplünderung der Massen aus. Der Vorredner meinte, auh wir würden für einen Schuß der landwirth- schaftlichen Produktion zu haben sein, wenn die Produktion in unserem Sinne geändert sei. Er denkt wohl daran, daß wir seiner Zeit für die Aufhebung des Identitätsnachweises gestimmt haben. Die Reden vom Regierungstishe beweisen wieder einmal, daß die Sprache dazu da ist, seine Gedanken zu verbergen. Der Vorredner \prach mit Nachdruck von einem Kampf der Bauern. Die Bauern haben allerdings sich im Laufe der Zeit manches gefallen lassen müssen. Hätten fie sih aber gewehrt, fo säßen manche von Ihnen (rechts) nicht hier. Wenn heute die Bauern vershuldet sind, so sind fie in diese Verschuldung lediglih durch die Ablösungssummen gerathen, die sie seinerzeit zur Ablösung der Hand- und Spanndienste den Junkern leisten mußten. Die Rechte stellt es so dar, als hätten die Landwirthe einen Anspruch auf Preise, wie sie früher vorhanden gewesen sind. Früher behauptete man, der Terminhandel hâtte VEPie niedergebalten. Der Termin- handel wurde aufgehoben, und do ist es beim Alten geblieben. Die Ursache des Preisrückgangs, der an sih nicht zu bestreiten ist, muß also wo anders liegen. Sie liegt in der Entwickelung der landwirthschaft- lichen Maschinentechnik, darin, daß die Landwirtbschaft eine Wissenschaft geworden ist. Einen Preisrückgang haben sich au andere Erwerbszweige
efallen lassen Een z. B. die Handweber. Die breiten Schichten des
Volks können do nicht die Kosten für diesen Nückgang tragen. Sie sollen auch für die Grundrenten in die Tasche greifen, wie sie über- haupt nur für die Verluste der Wohlhabenden eintreten sollen. Man weist auf die billigen Arbeitskräfte in Rußland hin; aber je geringer der Lohn, um so theurer die Arbeitskraft. Das zeigt sih auch in Deutschland. Es wird weniger geleistet, weil der Lohn zu gering ist. Darum können \ich auch die Arbeiter nicht gut ernähren. Die amerikas- nischen Arbeiter dagegen werden besser ernährt, und darum kann man allerdings von einer amerikanishen Gefahr sprehen. Ist die Landwirth- schaft überhaupt im stande, zu existieren? Die Rehte glaubt, erhöhte Preise würden das Brot nicht vertheuern. Wer soll es bezahlen ? Etwa der Müller ? Keineswegs! Das Müllergewerbe ist in einem Rückgang be- griffen; es wird das Mehr an Zöllen in Höhe von 110 Millionen gewiß nit aufbringen. Oder werden die Bäcker es zahlen? Herr Dertel stellt es doch immer so dar, als wenn diese nicht einmal die kleine Ver- besserung, welche die Gehilfen verlangen, einführen können. Also bleibt nur der Konsument übrig. Die Bäcker werden das Brot um so viel theurer machen, als der Zoll beträgt. Die arme Wittwe, die ärmsten Arbeiter werden ihren Pfennig zu dem Zoll beitragen, ihnen \{hneiden Sie (rechts) ein Stück Brot ab. Es sollen aber auch die anderen Produkte vertheuert werden, und das bei niedrigen Löhnen und zahlreißhen Hungertagen. Einen großen Theil der Mehrausgabe wird das Reih bei der Heeres- verwaltung im erhöhten Haferzoll u. #. w. tragen. Dann werden wieder neue indirekte Zölle eingeführt, und diese müssen dann wieder die breiten Sichten des Volkes zahlen. Man hat von der Zähigkeit der Buren gesprochen. Sie können überzeugt sein, daß auch die Arbeiter mit derselben Zähigkeit gegen den Korawucher kämpfen werden. Man behauptet, die kleinen Grundbesitzer bekämen auch etwas. Die Statistik lehrt, daß ein großer Theil derselben mehr Getreide baut, als er verkaufen kann. Wenn man die Zollerböhung fapitalisiert, so steigt natürlich auch der Werth des Grundes und Bodens (Widerspruch rets), es kommt dabei eine Kriegskosten- entschädigung von 18 Millionen heraus. Die Herren (rechts) werden niemals zu befriedigen sein, wie es auch früher nit der Fall war Die Getreidezölle sind immec wieder erhöht worden. Dann kamen die Liebesgaben für Branntwein und Zucker, die Kleinbabnen. Immer sollte die Landwirthschaft bankerott scin. Man sollte ih fragen, ob die Landwirthschaft nicht unter anderen Be- dingungen existieren kann. Man könnte den Grundbesiy ablösen und zu Allgemeingut umwandeln, so wie man seiner Zeit die Bauern gelegt hat. Mit Gewalt kann man einen Agrarstaat nicht erhalten und keinen Industriestaat hafen. Diese Dinge entwickeln sih natürlich. Die Menschen können nicht gezwungen werden, einen bestimmten Beruf zu ergreifen. Die Agrarier haben selber dazu beigetragen, den Uebergang zum Industriestaat zu erleichtern. Ih erinnere nur an die Gesinde- ordnung, welche die Arbeiter in die Industriezentren treibt und ihnen das Landleben verleidet. Deutschland joll alles selber produzieren, was es verbrauckcht, beißt es in der Denkschrift der christlihen Bauern- vereine. Ich möchte nur wissen, wo das alles wachsen soll. Eine intensivere Ausnuzung des Bodens ist ja möglih. Warum begnügt man sih damit nit? Die Agrarier sind 1887 in der „Wirthschaft- lien Vereinigung* für den industriellen Schutzzoll eingetreten. Damit haben sie für den industriellen Staat vorgearbeitet. Am liebsten ist Jhnen natürlich eine Vertheuerung der landwirthschaftlichen und der industriellen Produkte, Man feilsht untereinander, um möglichst viel berauszuschlagen, und die Kosten haben die Arbeiter zu tragen. Man sagt, lieber theures Brot und viel Verdienst, als billiges Brot und kein Verdienst. Ich frage: was haben Sie den Arbeitern mehr egeben, als Sie hohe Getreidepreise hatten? (Zuruf des Grafen
Kanitz : Wir konnten das Getreide nicht verkaufen.) Und was hat die Industrie den Arbeitern mchr gegeben, als im vorigen Jahre die kolossale Koblenpreissteigerung eintrat 2 Die Koblenarbeiter erhielten ‘1. Pfennig mebr als im vorigen Jahr. So machen Sie es Alle ! Sie stecken den höheren Ertrag in die Tasche und zahlen nicht so viel Lohn, wie Sie jablen könnten, sondern wie Sie zahlen müssen. Krupp hat gesagt, daß die Höbe der Brotpreise keinen oder nur geringen Einfluß auf die Höbe der Löhne habe. Daraus folgt, daß die Arbeiter, da sie nun einmal Brot essen müssen, Einschränkungen auf anderen eten mahen müssen, weil das Geld für Brot bereits verausgabt
ist. Viele Produkte der Industrie werden dann auf Lager bleiben, die Arbeiter werden feine Arbeit haben und zum theil E werden. Die amerikanishe Schußzollpolitik hat die rehte Seite selber verschuldet. Amerika hat aber keinen Vortheil davon gehabt, die Farmer find zu Arbeitern, zu Proletariern und Hörigen des „Eisenbahnkönigs* und des „Schweinegrafen“ herabgesunken. Jeden- falis sind höhere Löhne mit den Schußzzöllen niht verbunden; die Spinner in England haben viel höhere Löhne als die in Amerika. Wohl aber wird die Leistungsfähigkeit durch gute Löhne erhöht. Wollen Sie die amerikanische Gefahr bekämpfen, so müssen Sie darauf sfinnen, daß der deutsche Arbeiter so ernährt wird wie der amerikanische. Statt dessen wollte man sie dur das Umsturzgeseß, die Zuchthausvorlage, mundtodt machen, damit sie sih nit höhere Löhne erzwingen könnten. Das jetzige Geseß läuft auf eine weitere Millionärszüchterei hinaus. Unter dem Vorwande des Schutzes der nationalen Arbeit die nationale Arbeit auszuhungern, das können die deutschen Arbeiter ünter keinen Umständen für berechtigt halten. Man spridt immer von Schuß- zoll und meint Raub an der nationalen Arbeit. - Dagegen haben ch die Arbeiter auch in der Petition gewendet, welhe .mit 33 Mil- lionen Unterschriften dem Hause bereits vorliegt. Auch aus ganz ländlihen Wahlkreisen des Ostens wie des Westens sind diese Petitionen in einem Umfange eingegangen, wie wir es garnicht er- wartet hätten. Ih wünsche nichts mehr, als daß es jeßt zu einer Auflösung des Reichstages käme, dann würde aus den Neuwahlen ein Reichstag hervorgehen, dem die Regierung garniht wagen würde, einen solchen Zolltarif auch nur vorzulegen.
Gegen 5 Uhr wird die Foctsezung der Berathung auf Dienstag 1 Uhr vertagt.
Literatur.
Erinnerungen aus dem Hofleben. Von Freiin Karoline von Freystedt Mit Einleitung herausgegeben von Karl Obser, Großherzoglich badishem Archivrath. Mit zwei Bildnissen der Mark- räfin Amalie von Baden. Verlag von Carl Winter's Universitäts- Buchhandlung in Heidelberg. Pr. geh. 5 X, eleg. geb. 6 #; Fürsten- ausgabe, auf imitiertem Büttenpapier gedruckt, in Leder geb. 12 M. — Die Verfasserin war 31 Jahre hindurh Hofdame der Markgräfin Amalie von Baden, Jugendfreundia der Töchter derselben und als solhe in das Familienleben des badishen Fürstenbauses ein- geweiht. Im Mittelpunkt ihrer Aufzeichnungen steht die charakter- volle Persönlihfeit der Markgräfin, eine der hervorragendsten Frauen ihrer Zeit, die in den Tagen der Fremdherrschaft deutsche Ge- finnung zu bekennen und Napoleon's Politik zu bekämpfen gewagt bat. Zu den interessantesten Stellen des Buches gehört der Bericht ihrer Unterredung mit Napoleon über die Verheirathung des Erbprinzen mit Stephanie Beauharnais. Auch über zahlreihe andere historische Perfonen theilt die feinfinnige Verfasserin ihre stets begründeten und treffenden Urtheile mit. Vornebmlich hat sie mit diesen Aufzeihnungen wobl ihrer Fürstin, der fie bis zum Tode treu zur Seite stand, ein Denkmal seyen wollen, an dem sih Leser und Leserinnen, sei es aus hbistorishem Interesse, sei es aus menschlicher Theilnahme, erbauen werden. Das Leben der Markgräfin war an Glück und Trübsal überreich: sie sah ihre Töchter in seltener Schönheit erblühen und eiae glänzende Zukunft sih ihnen eröffnen, sie erlebte Napoleon's Fall und durfte im Bruchsaler Schlosse die Huldigung der siegreihen Monarchen, darunter ihres Schwiegersohnes, des Zaren Alexander I., entgegen- nehmen. Aber auch tiefes Unglück suchte sie heim: ihr Gemahl wurde ibr im besten Mannesalter entrissen, und in der Blüthe der Jahre sank ihr Sohn ins Grab; eine um die andere ihrer Töchter starb vor ibr dahin, und sie selbst traf das Schicksal völliger Erblindung. Das Buch verdienk ein außergewöhnliches Interesse und dürfte besonders von der gebildeten Frauenwelt gern gelesen werden.
— Drei russishe Frauengestalten („Eine geschiedene Zarin", ¿Ene een RKatharina's11.*, „Meine Ahnfrau“). VonFürstinScha- hovskoy-Gleboff-Strehneff. Ueberseßt von Frida Arnold. Mit Vorrede von Kuno Fischer. Verlag von Carl Winters Universitäts- Buchhandlung in Heidelberg. Pr. geh. 2 Æ&, eleg. geb. 3 4—Im Vorder- grunde der ersten Erzählung steht Peter ter Große, in dem der zweiten die große Katharina; in der dritten Erzählung wird dem Leser eine weibliche Persönlichkeit vor Augen gestellt, auf deren Schickfale der
Land- und Forftwirthschaft. Ernte, Saatenstand und Getreidehandel in Rußland.
a6 A Kaiserliße Konsul in Helsingfors berihtet unterm e: De Hef
Nach den nunmehr L d Schlußberichten der Gouver- neure hat der Weizen in Abo und Björneborgs-Län, wo er jedoch nur in einzelnen Bezirken angebaut wird, und in Nylands-Ln im allgemeinen einen mittleren, aber theilweise auch einen besseren und in einigen Distrikten sogar einen guten Ertrag ergeben. Der Noggen weist in Wasa-Län eine mittlere oder bessere, stellenweise sogar eine gute Ernte, in Uleäborgs-Län, Abo und Björneborgs-Län úünd Nylands-Län eine wenigstens mittlere, vielfach eine bessere und in großen Bezirken selbst eine gute Ernte auf.
Der Ausfall der Gersten-Ernte i in Wasa-Län entweder mittelgut oder durhschnittlich mittelmäßig, in etwa einem Drittel von Uleäborgs-Län gut, in einem anderen Drittel über Mittel und im leßten Drittel mittelmäßig, in Äbo und Björneborgs-Län aber mittelmäßig und darunter, stellenweise selbst {lecht, in Nylands-Län dagegen mittelmäßig bis gut, abgesehen von einer Stelle, wo er unter Mittel ist.
Der Hafer hat in Wasa-Lin entweder einen mittelguten oder einen durG schnittlich mittelmäßigen Ertrag ergeben, in Uleäborgs8- Län — wo er im Süden in größerem Umfange angebaut wird — für ein Drittel desfelben einen guten, für ein anderes Drittel, einen mittelmäßigen und fonst einen Ertrag über Mittel, in Abo und Bijörneborgs-Län einen mittelmäßigen und geringen, theilweise selbst \chlechten Ertrag, während nur eine Stelle ein Ergebniß über Mittel aufweist; in Nylands-Län ist die Haferernte mittelmäßig, abgesehen von einigen Stellen, wo sie als gut, und von einer Stelle, wo sie als unter Mittel bezeichnet wird.
Im Ganzen betrachtet man die diesjährige Ernte als ret zu- friedenstellend und nimmt in Wasa-Län an, daß sie niht bloß für den eigenen Bedarf bis zur nächsten Ernte ausreichen, fondern noch einen Uebershuß für Verkauf lassen wird. In Uleäborgs-Län und Äbo und Bijörneborgs-Län wird fie wenigstens für den eigenen Verzehr genügen, und gleiches gilt, mit Ausnahme eines Bezirks, von Nylands-Län, wo reihlihe Gelegenheit zu Arbeitsverdienst für die nicht grundbesitzende Bevölkerung eine Hilfe von seiten des Staats- wesens als nit erforderlich erscheinen läßt. j
Die Roggensaaten standen Ende Oktober in Wasa-Län und in Uleäborgs-Län überall vielversprehend.
i 2E Kaiserliche General-Konsul in Odessa berichtet unterm O. V De:
Während des leßten Monats herrshte im Süden Rußlands mit Ausnahme der Krim, wo es in den. leßten Tagen geregnet hat, trocknes, meist warmes Wetter, das die Entwickelung der Wintersaaten nachtheilig beeinflußte. Diese Witterungsverhältnisse sind dagegen von sebr günstiger Einwirkung auf das Maiskorn neuer Ernte gewesen. Letzteres ist bereits so trocken, daß ein großer Theil hon während der MWintermonate verschifft werden kann... Was von neuem Mais bisher auf den Markt gekommen ift, war von ausgezeichneter Beschaffenheit. Hinsichtlih der Menge übertrifft der diesjährige Ertrag sogar noch die großen Ernten der Jahre 1893 und 1894.
Die Weinlese ist in der Krim im allgemeinen, besonders aber an der Südküste, gut ausgefallen, sowohl was Menge als auch was Güte der Trauben anlangt. Bessarabien dagegen, wo die Weinberge großen- theils infolge regnerischen, falten Wetters im August durch Mehlthau verheert worden find, hat nur eine Mittelernte, stellenweise sogar nur eine solche unter Mittel zu verzeihnen. Die Qualität des Weins wird bier eine noch \{leckchtere als die des Vorjahres sein. f
Die Zufuhren von Getreide auf den hiesigen Markt sind reihlih gewesen und werden auch uiht nachlassen. solange die Wege im íJnnern fahrbar bleiben. Ueber 15000 Waggonladungen Getreide sollen auf den einzelnen Stationen lagern und aus Mangel an rollendem Material nicht befördert werden können. Jn Weizen war ein lebhaftes Geschäft nah Englano und dem Rhein zu steigenden Preisen; neuerdings hat die Nachfrage wieder etwas vidailein, nur das Mittelmeer hat in der leßten Woche angefangen, größere Einkäufe zu machen. Die Umsäße in Roggen waren recht maßig und s\tockten zuleßt infolge der festen Haltung des Marktes fast gänzli. Wer zur Erfüllung von älteren Verkaufsverträgen Waare anschaffen mußte, hatte ziemlich hobe Preise zu zahlen. Jn Gerste baben sowobl die Zufubren als auch die Umsäße bedeutend
sinnlose Despotismus des Kaisers Paul und der Brand Moskaus ibre Einwirkung ausgeübt haben. Die Begebenheiten, welche den Stoff der ersten Geschichte ausmachen, sind aus den Urkunden der Archive ges{höpft, aber nicht in langwierigen Ausführungen dargestellt, sondern in Bilder von fesselnder Anmuth einerseits und Entseyen er- regender Furchtbarkeit andererseits geprägt und in eine Reibe von Scenen
den Leser einwirken. Die Heldin der zweiten Erzählung, Gräfin Katbarina Worontz3off, die Freundin Kathbarina's 11., durch ihre Heirath Fürstin Daschkow, ift eine bistorishe Persönlichkeit, bekannt durch ihre Schicksale und Denkwürdigkeiten. Aus Freundschaft und Ebr- geiz wurde sie unter dem Beistande ihres Gemahls eine Haupturbeberin jener Vers{hwörung, die im Jahre 1762 Peter 11l. aus dem Wege “geräumt und Katharina zut Kaiserin von Rußland gemacht bat. In der dritten Erzählung „Meine Ahbnfrau*“ \{ildert die fürstliche Verfasserin den Charakter und die Schicksale ibrer Urgroßmutter Elisabeth Petrowna. Diese war die einzige Erbin eines fürstlichen Vermögens und von ihrem Vater dergestalt verwöhnt und verbätschelt, daß fie jelb und zäârtlih gesinnt, aber durchaus berrisch — ibren
it i Séhnen und Enkel- unter Furt und Zittern groß werden ließ. Fei berübmte Heidelberger Univertitätslehrer und Philosoph Ku:
Freude darüber ausdrückt, daf: diese höchst interessanten Schilderungen der deutschen Lesewelt hiermit zugänglich gemacht werden. Einec so gewihtigen Empfehlung läßt sih kaum noch Weiteres hinzufügen Verse von Guy de Maupassant. In deutscher Ueber tragung von Max Hoffmann. Mit einer Einleitung des Ueber- setzers. cinem Briefe Gustave Flaubert's und dem Bildniß des Dichters Schlesische Verlags-Anstalt von S. Schottlacnder in Breslau. Preis eleg. geb. 2 M, fein ged. 3 M Wie viele andere Schriftsteller bat aud Maupassant die ersten Proden feines Könnens in Versen niedergelegt und sh an Rbythmen und Reimen beraus{t; ader nur bei wenigen sind die Verse so tadellos und der Inhalt so originell und voll kecker Laune. Die vorliegende Uebersetzung ist sehr gewandt und liest ih so flússig, als bätte man deutsche Originaldichtungen vor sich Der reizwollen dialogisierten Scene in Versen am Schluß des Buches dürften sich bald unsere Ueberbrettl-Bühnen bemächtigen y Märchen und Dichtungen von hilipp Holitsche r. Sélesishe Verlagéanstalt von S. Schottlaender in Breélau Pr. geh. 3M, geb. 4 „4 — Märchen, Sage und Historie haben den Stoff zu diesem Buche geliefert, das den Leser auf den Schwingen der Phantasie theils in fremde, ferne Länder, theils in das Traumland einer erdihteten Welt führt, um ihn daan wieder auf den veckrauten Boden zurückzuverseyen, wo der deutshe Wald ibn mit seinem Dâmmer umfängt und die Quellen teutsher Sehnsucht rauschen Das ihnen gegebene bunte Verogewand, der Klang der Reime gehören zu diesen wundersamen Geschichten, die Jung und Alt mit Vergnügen lesen werden - Auf der arünen Gotteserde hundert von Margarete von Veryen Universitätsbucbbandlung in Hcioelberg. (Pr. geh. 3 M, eleg. geb. 4 M) Die Verfasserin kat bereits dur ihre früheren Erzählungen
K CT al
Roman aus dem 16. Jahr-
aufzeführtes Bauerndrama „Heimkehr“ Verständniß und Liebe für den Bauernstand bewiesen | } f den Leser in ein ähnliches Milieu. Die kraftvollen Gestalten, die fie
darin auftreten läfit, find treffend gezeichnet und erwecken lebhaften
Antbeil an sih und der von ihnen vertheidigen Sache.
gruppiert, die mit der Stärke der unmittelbaren Handlungen felbst auf
edel, großmüthbig | findern die Wobltbat des Gegentheils erweisen wollte und fie deshalb | Kein geringerer als der | 10 Fischer f bat den Erzählungen einen Geleitbuief mitgegeden, in dem er feine |
aus dem Vollslcben und zuleyt durch cin in Mürchen mit Erfolg |
Aucb iu dem vorliegenden Buche führt sie
nachgelassen. Die kleinen Anfuhren von Hafer fanden zu steigenden Preisen Absatz. Die allgemeine Nachfrage nach Mais hatte eine er- heblihe Steigerung des Preises zur Folge. Erst seit einigen Tagen, nachdem größere Abladungen begonnen haben, find Käufer zurück- baltender geworden. Während der Berichtsperiode gelangten ungefähr 650 000 b1s 660 000 dz Weizen und von Roggen, Gerste und Mais je 240 000 bis 250 000 dz zur Ausfuhr. Die Preise für Waare frei an Bord \ind: Sommer- und Winterweizen 81—95 Kop. e E ae E ai mea . 70—80 Es e biesigen Oelmüblen ibren Bedarf vaben, so find die Preise etwas gefallen. nur 1,95 R. für das Pud frei an Bord. ie Vorrätbe betrugen in Odessa am 14 /1. Nove T\chetwert à 10 Pud. : 449 900
| das Pud u (16,38 ka).
an Leinsaat zur Zeit Das Ausland zahlt
Weizen .
nämlich 198 500 Ulfa 175 000 Girfa 21 500 Sandomirka 500 Arnautka 7 000 verschiedene Sorten 47 400 Roggen . Gerte Hafer Mais Leinsaat j Raps und Rübsen Die Dampferfrachten, welche anfangs matt waren befestigt. Sie betragen zur Zeit nach London, Hull, Rotterdam, Antwerpen Hamburg . i für Dezember 6 d. weniger,
Asima
2, Dezember. (WŒ G.) Ein Vizec-Königs von Jndien besagt Die Frübjabr abzerntenden Felder in den überwäßsserten Gebieten vou Pendîchab und Radshputana wird wegen Mangels an Regen noch aufgescboben. In diesen Gegenden werden wahrs{heinlih Nothftands- arbeiten in größerem Umfange vorgenommen werden; anderwärts schreitet die Jestellunz fort In Madras, Bengal, , Burma,
nordwestlichen Provinzen sind die Aussichten im
Telegramm des Bestellung der im
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Verlag von Carl Winter's |
Gesundheitswesen, Thicrkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.
S Italien. ¡irch seesanitätäveolitzeilide Veroidnunga vom 28. November d. J. italienische NRegieranga die für Hertünfkte aus den Hifen angeorenet tarantánematiregeln aufe
ps "e R S a) «t "3, Oftober d. I, Nr. 252)