1880 / 37 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 12 Feb 1880 18:00:01 GMT) scan diff

Nichfamfliches. Deutsches Neich.

Preußen. Berlin, 12. Kaiser und König begaben mittelst Extrazuges na

Berlin zurü.

Nachmittags wieder na die

Jhre Majestät ginne der österlihen Zeit, bei.

Heute war Jhre Majestät in der Vorstandssißung des rauen-Lazareth-Vereins anwesend und besuchte Se. König- lihe Hoheit den Prinzen Georg, um Denselben zu Seinem

Geburtstage zu beglückwünschen.

Die Schlußberichte über die

neten befinden sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen (60.) Sißung des Hauses der Abgeordneten, ile der Finanz-Minister Bitter, der Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten von Puttkamer und mehrere Regierungskommissarien beiwohnten, theilte der Präsident das erfolgte Hinscheiden des Abg. Bosselmann (Anger- münde) mit. Das Haus ehrte das Andenken des Verstorbenen in der üblichen Weise. Jn dritter Berathung genehmigte das Haus ohne Debatte und unverändert den Gesehentwurf, betr. den Ankauf der im Großherzoglich hessischen Gebiet belegenen Strecke der Main-Weser-Bahn und den Bau einer Eisenbahn von Cölbe nach Laasphe. Darauf wurde die zweite Dick fins des Staatshaushalts-Etats pro 1880/81 mit der Diskussion des Etats des Ministeriums der geistlichen A. Angelegenheiten fortgeseßt. Bei Kap. 122 (Kunst und Wissenschaft) Tit. 1—11 (Museen und Nationalgallerie in Berlin) sprach der Abg. Dr. Reichensperger (Cöln) die An- erkennung für den Erwerb der Pergamenischen Alterthümer aus. Er beklagte jedoch die Stilmengerei, welche sich in der Anordnung der Kunstwerke im alten Museum zeige, sowie die Vermishung profaner Kunstgegenstände mit solchen aus der heiligen Geschihte. Redner ging dann zur Kritik einzelner Gemälde der Nationalgallerie über und beklagte die Anstößigkeit einzelner Kunstwerke, namentlich des für 25 000 Thaler angekauften „Prometheus“. Das sei keine Pflege deutschen Geistes und deutscher Kunst. Die alte Mytho- logie müsse aus der bildenden verbannt werden wie aus der Dichtkunst. Der Regierungskommissar Geh. Ober-Regierungs- Rath Dr. Schöne bemerkte dagegen, daß die Regierung der Kunst keine Bahnen vorschreiben, sondern nur die vorhan- denen Talente fördern könne. Die Regierung könne es nit ändern, daß an der Spitze der modernen Plastik Thor- waldsen stehe. Die Antike sei mit der nationalen Bildung so eng verwachsen, daß man sie nicht als etwas g empfinde. Die Mängel der Anordnung zu heben, ei das Streben aller Beamten der betreffenden Jnstitutionen. Der Abg. Dr. von Sybel glaubte, die deutshen Künstler, namentlich Boecklin, gegen den Vorwurf des Abg. Reichen- sperger in Schuß nehmen zu müssen, daß sih in ihren Werken nicht die keushe Nudität der Antike, sondern eine Lüsternheit der Darstellung zeige. Er sprach den Wunsch aus, die perga- menishen Skulpturen bald in einem entsprehenden Gebäude aufgestellt zu sehen. Der Abg. Dr. Petri wies darauf hin, daß Berlin in der Gewerbeausstellung gezeigt habe, wie viel die öffentliche Ausstellung von Kunstwerken dem Kunstgewerbe nüße. Der Abg. Reichensperger vergesse, daß es in Kunst und Wissenschaft ein internationales Gebiet gebe, er habe sich einseitig in die Gothik verbissen. Der Regierungskommissar T, D De Regieru bis Jet noch kane bestimmte Stellung zu der Frage der Ausstellung der pergamenishen Alterthümer genommen habe, das werde erst im nächstjährigen Etat geschehen. Nach einigen Ausführungen des Referenten der Budgetkommission, Abg. Dr. Virhow, wur- den die diskutirten Titel bewilligt. Bei Tit. 12—16 (König- liche Bibliothek in Berlin) bemerkte auf eine Anregung des Abg. Knörcke der Regierungskommissar Geheime Ober- Regierungs-Rath Dr. Göppert, daß die drei vakanten Custoden- Feen demnächst beseßt werden sollen. Einige Assistenten- tellen seien dadurh schon pensionsberehtigt geworden, daß man {die Custodenstellen vermehrt habe. Der Abg. Rickert machte darauf aufmerksam, daß man den Assistenten niht vor ihrer Vereidigung, wie das vielfah geschehe, wichtige und werthvolle Manuskripte anvertrauen dürfe. Die Positionen wurden bewilligt. Bei der Position „Geo- dätisches Jnstitut“ sprach der Abg. Schmidt (Stettin) sein Bedauern darüber aus, daß General Baeyer erklärt habe, er werde den festgestellten Normalhöhepunkt für seine rbeiten niht anerkennen. Der Regierungskommissar bemerkte dagegen, daß durch diesen Standpunkt praktische Unzuträglichkeiten nicht entständen. Bei Titel 24 (Konservator der Alterthümer : 4200 é) lag folgender Antrag des Abg. von Quast vor: Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen :

Die Königliche Staatsregierung aufzufordern, für die baldige Wiederbeseßzung der Stelle eines Konservators der Kunstdenkmäler Sorge zu tragen und außerdem die erforderlihen Maßregeln zu treffen, um den historishen und Kunstdenkmälern einen wirksamen Schutz angedeihen zu lassen. i

Der Antragsteller begründete seinen Antrag folgender- maßen: Die Stelle eines Konservators der Kunstdenkmäler, für welhe im Etat des Kultus-Ministeriums 4200 / aus- geworfen sind, sei seit nahezu 3 Jahren unbeseßzt. Die be- treffenden Arbeiten würden seitdem im besonderen Auftrage des Ministers durch sachverständige Archäologen und Bau- techniker erledigt. Diese Aushülfemaßregel, durch welche eine einheitliche Leitung nicht erreiht und das persönliche Jnteresse eines Einzelbeamten für das gesammte Arbeitsfeld nicht erseßt werden könne, müsse shädigend auf die Er- haltung unserer Kunstdenkmäler wirken. Die Wiederbesezung der Stelle sei daher als ein dringendes Bedürfniß anzusehen. Außerdem müsse aber au darauf hingewiesen werden, daß im Laufe des [eßten En die Gefährdung - der Bau- denkmäler erheblih gesteigert worden sei. És sei dies einmal dadur veranlaßt, daß die Kommunen bei der Vershlechterung threr pekuniären Lage der ihnen obliegenden Unterhaltungs- pilicht in den meisten Fällen niht ausreichend genügten, und ferner dadur, daß im Jnteresse der zunehmenden Bauthätig- teit häufiger: ältere Bauwerke. von historishem Werthe befugter oder Uunbefugter Weise beseitigt würden. Hierzu komme noch

ebruar. Se. Majestät der ih heute Vormittag 111/, Uhr Potsdam, besichtigten daselbst auf dem Kasernenhofse der Gewehrfabrik die von Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen Wilhelm ausgebildeten Rekruten der Leib- Compagnie 1. Garde-Regiments z. F. und kehrten um 13/, Uhr

Kaiserin und Königin wohnte gestern der liturgishen Andaht im Dome, zum Be-

estrige Sißung des Herrenhauses und des Hauses der Abgord-

die geographische Erweiterung des Arbeitsgebictes gegen früher dur die Vergrößerung der Monarchie. Es erscheine hiernah kaum möglich, eine Persönlihkeii für die Stelle des Konser- vators zu finden, welhe im Stande wäre, die gesammten Ar- beiten in zweckentsprehender Weise zu erledigen und sih überall die erforderlihen Detailkenntnisse zu verschaffen. Darum werde es nothwendig sein, dem Konservator eine Organisation zur Seite zu stellen, durch welche ihm seine Thätigkeit erleih- tert werde. Es würde sich u. a. wohl empfehlen, ein Kollegium von sachverständigen Beiräthen in der Hauptstadt zu bilden und außerdem eine Anzahl von Provinzialkonser- vatoren zu errennen. Dieselben würden im Ehrenamt zu fungiren haben und dem Konservator durch Bearbeitung ein- zelner Fälle, Zusendung von Nachrichten, Ausführung von Lokalbosichtigungen u. |. w. wesentlihe Hülfe leisten. Jn fast allen größeren europäischen Staaten beständen ähnliche Einrichtungen, welche sich bewährt hätten und als Muster dienen könnten.

Der Regierungskommissar Geheime Ober-Regierungs- Rath von Wussow bemerkte, daß die Regierung nah Kräften für die Konservirung der e gewirkt habe. Die Bemühungen, den Posten des verstorbenen Herrn von Quast wieder zu beseßen, seien bisher niht von Erfolg gekrönt ge- wesen. Auch das geringe Gehalt sei ein Hinderniß, eine geeignete Persönlichkeit hierfür zu gewinnen. Der Kommissar gab sodann eine Uebersicht - der von der Regierung für Konservirung der Alterthümer verwendeten Summen und versprach, daß die Regierung auf diesem Wege nach Kräften fortfahren werde. Nachdem noch der Abg. Dr. Reichensperger (Cöln) für den Antrag von Quast eingetreten war, wurde derselbe und die Titel bis inkl. 31 angenommen, worauf sih das Haus um 11/, Uhr vertagte.

_— Alle in Bosnien und in der Herzegowina reisenden nit - österreihisch- ungarischen Staats- angehörigen müssen mit Auslandspässen versehen sein.

Hinsichtlih der Rekrutirung der Armee für 1880/81 ist das Nachstehende bestimmt worden :

I, Entlassung der Reservisten. A Die Entlassung der zur Reserve zu beurlaubenden Mannschasten hat bei den- jenigen Truppen, welche an den Herbstübungen Theil nehmen, am 1. oder 2. Tage nah Beendigung derselben, bezw. nah dem Wiedereintreffen in den Garnisonen stattzufinden. 2) Für das Pommersche Fuß-Artillerie-Regiment Nr. 2 und das Sthleswigsche Fuß-Artillerie-Bataillon Nr. 9 is der 31. August, für alle übrigen Truppentbeile der 30. September der späteste Entlassungstag der Reservisten. Das E be- stimmen die betreffenden General - Kommandos, für die Fuß-Artillerie die General-Jnspektion der Artillerie. 3) Die zu halbjähriger afktiver Dienstzeit eingestellten Trainsoldaten sind am 30. Oktober d. Js. bezw. 30. April k. Js. zu ent- lassen, die Dekonomichandwerker am 830. September d. Js. 4) Beuxlaubungen von Mannschasten zur Disposition der Truppentheile haben an den Entlassungsterminen insoweit zu erfolgen, daß Rekruten nach Maßgabe der unter Il. bezeich: neten Quoten zur Einstellung gelangen können.

IT. Einstellung der Rekruten. 1) Zum Dienst mit der Waffe sind einzustellen: bei den Bataillonen der älteren Garde-rFnsanterie-Regimenter, denen des 1. Rheinishen Jn- fanterie-Regiments Nr. 25, des 3. Rheinischen Jnsanterie- Regiments Nr. 29, des 5. en Jnfanterie-Regiments Nr. 42, des 8. Ostpreußischen Jnfanterie-Regiments Nr. 45, des 2. Niederschlesishen Jnfanterie-Regiments Nr. 47, des 7. Brajidenburgischen / Jufäntérie - Regiments Nr. 60, je 225 Rekruten, bei den übrigen Bataillonen der Jn- fanterie, Jäger. und Schüßen je 190 Rekruten, bei jedem Kavallerie-Régiment mindestens 150 Rekruten, bei den reitenden Batterien mindestens je 25 Rekruten, bei den übrigen Feld-Batterien mindestens je 30 Rekruten, bei den Bataillonen des Rheinishen Fuß-Artillerie-Regiments Nr. 8 und des Fuß-Artillerie-Negiments Nr. 15 je 200 Re- kruten, bei den übrigen Fuß-Artillerie- und den Pionier-Ba- taillonen je 160 Rékruten, bei den Bataillonen des Eisenbahn- Regiments mindestens je 135 Rekruten, bei jeder Train-Com- pagnie: zu 3jähriger aktiver Dienstzeit mindestens 15 Rekruten, zu halbjähriger aktiver Dienstzeit im Herbst dieses ahres und im Frühjahr künftigen Jahres je 44 Rekruten. 2) An Oekonomie-Handwerkern haben sämmlihe Truppen- theile mindestens ein Drittel der etatsmäßigen Zahl einzu- stellen. 3) Für den Fall, daß bei einzelnen Truppentheilen eine Aenderung der vorstehenden Zahlen nothwendig erscheinen sollte, ist das Kriegs-Ministerium zu bezüglichen Anordnungen ermächtigt. 4) Die Einstellung der Rekruten zum Dienst mit der Wasfe hat bei sämmtlichen Truppentheilen nah näherer Anordnung der diesen leßteren vorgeseßten General-Kom- mandos in der Zeit vom 2. bis 6. November d. Js. zu er- folgen ; nur die für das Pommersche Fuß: Artillerie-Regiment Nr. 2, das Schleswigshe Fuß-Artillerie-Bataillon Nr. 9, die Unteroffiziershulen, sowie die als Dekonomie-Handwerker aus- ehobenen Rekruten sind am 1. Oktober d. Js., und die Train- lea für den Frühjahrstermin am 2. Mai k. Js. ein- zustellen.

Das Enteignungsrecht ist Allerhöchst verliehen

worden: unterm 24. Dezember 1879 dem Kreise Teltow für tiejenigen Grundstücke, welche zum Bau einer Kreis- Chaussee von Sperenberg über Cummersdorf nach der Trebbin- Mahlower Chaussee bezw. Zossen erforderlich sind, gleichzeitig unter Verleihung des Rechts, auf dieser Chaussee Chausseegeld zu erheben; unterm 31. Dezember 1879 dem Kreise Regenwalde für die zum Bau einer versteinten Straße von Regenwalde nach Bahnhof Wangerin er- forderlihen Grundstücke; unterm 28. Januar 1880 der Stadt- gemeinde Pitschen im Kreise Creuzburg zur Erwerbung der behufs Anlage einer neuen Straße nah dem Bahnhof Pitschen benöthigten Grundstücke; unterm 2. Februar 1880 der Stadt- gemeinde Düsseldorf behufs Durchführung der Fürsten- wallstraße rücksihtlich eines Theils des Holzhändler Kruppschen Grundstücks daselbst. Ein Tarif, nah welhem die Abgaben für die Be- nußung der Hafenanlagen zu Büsum und gu Warwerxor|st im ag Norderdithmarschen , Regierungsbezirk Shleswig, bis auf Weiteres zu erheben sind, ist unterm 5, Januar 1880 Allerhöchst vollzogen worden.

__— Auf nit gegen besseres Wissen gemachte Den un- ziationen bei Straf- oder Disziplinarbehörden finden, nah einem Erkenntniß des Reichsgerichts, I. Strafsenats, vom 8. Dezember 1879, die Strafbestimmungen über die Beleidi- gung ebenso wie auf sonstige beleidigende Aeußerungen An-

wendung; enthält insbesondere die Denunziation d!e Be-

hauptung verähtlich machender, aber niht erweislih wahre Thatsachen über den Angeschuldigten, so ist der S aus §. 186 Strafgesb. wegen Beleidigung zu bestrafen, es sei denn, daß die Denunziation zur Ausführung oder Ver- theidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemaht worden, Fs die Denunziation anonym eingereiht worden, so kann der Richter aut diesen Umstand die Feststellung, daß die beleidigende Aeußerung nit in Os berehtigter Jnteressen gemaht wurde, nit en.

__— Die unberechtigte Erlegung und Aneignung von Wild

in einem fremden Wildpark, der mittelst eincs Zaunes

vollständig umschlossen, so daß das Wild an der Entfernung

aus demselben verhindert ist, ist nah einem Erkenntniß des

Reichsgerichts/„1UT. Strafsenats, vom 6. Dezember 1879, als

Md und nicht als ein einfahes Jagdvergehen zu be- rafen.

Bayern. München, 10. Februar. (Allg. Ztg.) Die Kammer der Reichsräthe hat die Budgetberathung heute fortgesezt. Der von der Abgeordnetenkammer beschlossenen Errichtung eines Hochofens in Amberg wurde in der vom Ausschusse beantragten modifizirten Fassung beigestimmt. Die Etats der Münzanstalt, der Königlichen Bank in Nürnberg, der Postverwaltung, der Telegraphenanstalt, der Bodensee- Dampfschisfahrt, des Ludwigskanals, des Frankenthaler Kanals, des Geseßz- und Verordnungsblattes, der Forstverwaltung, der ODekonomien und Gewerbe, der Grundgefälle, Zinsen und Renten fanden ohne Debatte im Einklang mit den Beschlüssen der Abgeordnetenkammer Genehmigung. Bei dem Etat des Staats- Ministeriums des Fnnern wurde der vom Referenten reprodu- zirte, von der andern Kammer abgelehnte Antrag des Abg. Dr, Franfkenburger, für die Ersezung von“ aht Funktionären durch acht Assessoren an den Bezirksämtern einen Mehrbedarf von 10 960 A zu bewilligen, vom Staats-Minister des Jn- nern befürwortet und von der Kammer genehmigt. Jm Uebrigen wurde dem Etat, im Einklang mit der Abgeordneten- kammer, beigestimmt, ebenso den Etats der direkten Steuern, der Erbschaftssteuer, Gebühren und Strafen, sowie dem Etat für Reichszwele, und zwar ohne Debatte.

Sachsen. Dresden, 11. Februar. (Dr. J.) Die A Kammer erledigte in ihrer heutigen Sißung das önigliche Dekret, betreffend die Erbauung mehrerer Sekundär- eisenbahnen. Die allgemeine Debatte bewegte sich um die Frage der {malen oder breiten Spurweite, sowie um die von dem Abg. Roth befürtwortete Heranzichung der Jnter- essenten zu den Kosten der in Zukunft zu erbauenden Bahnen. Die Kammer lehnte einen hierauf gerichteten Antrag des Abg. Noth ab, ebenso einen von demselben Abgeordneten ge- stellten Antrag, nah welchem die Regierung um Anstellung noch weiterer Erörterungen über die Spurweite und den Ober- bau crsuht werden sollte. Dagegen beschloß die Kammer auf Antrag der Deputationémajorität, die Regierung zu er- mächtigen, den Bau von bewilligten Eisenbahnen nur dann zu beginnen, wenn gegenüber den Voranschlägen von den Expropriaten keine unverhältnißmäßig crsheinenden Anfor- derungen sür den Grund und Boden oder andere Ent- shädigungsobjekte erhoben werden. Jn der Spezialberathung wurde nah kurzen Debatten die Ausführung der Linien Schwarzenberg-FFohanngeorgenstadt, Wilkau-Kirhberg-Saupers- dorf und Hainsberg-Dippoldiswalde-Shmiedeberg nach den

Vorschlägen der Staatsregierung genehmigt.

(K. Z.)

Baden. Karlsruhe, 9. a, Die Erste Kammer hat in der Sonnabendsißzung den Entwurf über eine Abänderung der Wahlordnung, also der Ver- fassungsurkunde berathen. Die Vorlaae war durch die be- kannten Vorgänge bei der leßten Wahl der Universität Heidelberg zur Ersten Kammer veranlaßt; es war be- züglih der Wahl der Abgeordneten der Landes-Univer- sitäten als eine Lückte in der Wahlordnung erkannt worden, daß dieselbe niht für den Fall ausdrücklih Vorsorge trifst, wenu, nachdem die erste Wahltagfahrt wegen Nichterscheinens der im §8. 22 der Wahlordnung bezeichneten Anzahl von Stimmberechtigten fruchtlos geblieben war, ein weiter Wahltag anberaumt werden muß. Zur Ausfüllung ieser Lücke soll eine ähnliche Bestimmung dienen, wie sie für die Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer besteht. Die- selbe lautet: „Wenn auf den festgeseßten Wahltag mehr als ein Viertel der Stimmberechtigten ausbleiben, so wird von dem landesherrlichen N ein zweiter Wahltag angeordnet. Bei diesem zweiten Wahltag genügt es, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten erschienen oder soweit zulässig dur Bevollmächtigte vertreten ist. Bei der Einladung zur Wahl sind die Stimmberechtigten auf diese Folge aufmerksam zu machen.“ Die Kommission beantragte noch den 0A „Wenn es auch an diesem zweiten Wahltage an der erforder- lihen Anzahl der Stimmberechtigten fehlt, so ruht die Ver- tretung der betreffenden Universität für die Dauer des Land- tags, für welchen die Wahl zunächst vorzunehmen wäre.“ Entwurf und Zusaß wurden vom Hause angenommen. _— 12. Februar, (W. D. B.) Die „Badische Landes- eitung“ meldet, der Bisthumsverweser Kübel habe mittelst chreibens an den Großherzog das Dispensverbot aus: drücklich zurückgenommen.

__ Oesterreich-Ungarn. Wien; 11. Februar. (W. T. B.) Die ungarische Delegation hat sih in mehreren Punkten den von der österreihishen Delegation gefaßten Beschlüssen angeschlossen in Bezug auf die Einstellung des für den Ka- sernenbau in Szegedin veranschlägten Betrags, in Bezug auf die Streichung der für ein Kanonenboot ae ordecten Summe und in Bezug auf die Zollbedeckungssumme jedoch an den von ihr gefaßten Beschlüssen festgehalten. Auch bezüglich der Deckung der bosnishen Hülfsgelder, is Angabe der gemein- samen Aktiven als Declungsquelle, erhielt die ungarische De- legation den von ihr gefaßten Beschluß aufrecht.

12. iti Die „Presse“ erklärt ihre Nachricht über Verhandlungen Sn Uns der Reichen- berg-Pardubißer Bahn für unbegründet.

Großbritannien und Jrland. London, 10. Februar. (Allg. Corr.) Aus Calcutta wird dem Reuterschen Bureau, vom 9. d., gemeldet :

„_ Hier eingegangene Berichte melden, daß die Mohmunds die Häuser Derjenigen niederbrannten, die nah Lalpura gegangen, um dem neuen Khan zu huldigen, und daß sie sich bestreben, durch Drohungen Andere zu verhindern, deren Beispiel zu folgen. Man erwartet Ruhestörungen Seitens der Sangu-Khal-Shiwaaris. Die ange-

febensten Häuptlinge im Lughman- Thale haben sich dem General

Bright unterworfen. Die Jabbers-Khals leisten noch immer Wider- stand. Der jeßt bei M ahomed Jan in Ghuzni weilende Priester Muschki Alim hat die Stämme zur Wiederaufnahme der Feind- seligkeiten gegen die Engländer aufgefordert. Bis gebt haben die Kohistanis und Ghilzais der Aufforderung Folge geleistet.

Aus Candahar wird unter dem 7. d. berichtet :

Es sind hier Meldungen von einem neuen und blutigeren Kampfe zwisden den rivalisirenden Parteien in Herat eingze- gangen. Lokale Truppen griffen die Cabulesen unversehens an und brachten ihnen herbe Verluste bei, ehe Leßtere Artillerie gegen ihre Angreifer in Anwendung brachten, worauf die Heratesen unter großem Gemeßel aufs Haupt ges{lagen wurden.

Türkei. Konstantinopel, 10. Februar. Hier hat sich ein internationales Comité. gebildet, welches Sammlungen einleitet und anderweitige Hülfe für das unter Hungersnoth leidende Vilajet von Wan und an- dere kleinasiatishe Distrikte zu organisiren beabsichtigt.

Scutari (Albanien). Der „Pol. Corr.“ wird von ier unterm 28. v. Mts. gemeldet: „Vor ungefähr \echs

agen erhielt” der hiesige Gouverneur die telegraphishe Nach- richt, daß in Tirana Unruhen ausgebrochen seien und weitere Konflikte bevorstehen. Gleichzeitig ersuchte dcr Kai- makam um militärishe Verstärkung. Es befinden sich in Tirana zwei altangesehene türkische Familien, die des Ahmed Bey und jene des Aga zFela, welche seit längerer Zeit in offe- ner Feindschaft leben. Fn Folge dessen ist au die türkische Bevölkerung Tirana’s in zwei Lager getheilt, die je aus der Partei einer der beiden genannten Familien bestehen. Am 20. d. M. gerieth das Haus des Zeit Bey, eines Bruders des Ahmed Bey, in Brand, bei welcher Gelegenheit Ramiz Bey, Sohn des Achmed Bey, die zur Hülfeleistung am Brandplaße erschienenen Zaptiehs bars{ch anfuhr. Der Jus- baschi (Kommandant) dieser Zaptiehs Aali Aga is aber ein naher Anverwandter Aga FJela’'s und suchte, als zur Familie des Leßteren gehörend, nur nach einer passen- den Gelegenheit, um sich an dem Gegner zu rächen; denn kaum hatte Ramiz Bey einige Worte an die Zaptiehs gerichtet, als er von den Letleren mit fünf Flintenshüssen todt zu Boden gestreckt wurde. Die Aufregung in Tirana ist nun eine so große, daß man mit Recht den Ausbruch eines Kampfes unter den in zwei Parteien gespaltenen Einwohnern befürchtet. Der Bazar wurde geschlossen und alle Waaren und sonstigen Gegenstände aus dems:lben in die Häuser geschafft, au unterließ man es, den Todten zu beerdigen, da man fürchtete, daß es bei dieser Gelegenheit zu einem Kampfe kommen könnte. Die beiden feindlihen Familien berufen ihren Anhang. aus der Umgebung zusammen und machen sich kampfbereit. Bei der geringen militärishen Besaßung von Tirxana und der Unverläßlichkeit der Zaptiehs erbat der Kaimakam Scherif Bey von dem Gouverneur dringendst die Zusendung von Truppen. Der Gouverneur dirigirte sofort zwei Compagnien aus Scutari, sowie weitere zwei Com- pagnien auz Alessio und Narat\schi, ferner eine Anzahl Zap- tichs und Sipahis mit der erforderlihen Munition nah Tirana, indem er sich gleichzeitig aus Konstantinopel weitere Ordres erbat. Er selbst wird sich dieser Tage nah Tirana

begeben.

Serbien. Belgrad, 10. Februar. (Pest. 2 Die serbisheRegierung mahteEngland in handelspolitischer Dun große Konzessionen. Der Einfuhrzoll für sämmt- liche englishe Fabrikate beträgt nunmehr 8 Proz. ad valorem, eine Ausnahme bilden Glas-, Woll- und Eisenwaaren, von E au ein halbes Prozent Einfuhrzoll erhoben wer- en darf.

(Deutsche Z.). Die Expropriation des Terrains für den Eisenbahnbau beginnt Anfang März. Zn L maßgebenden Kreisen wird versichert, daß sich

arics in allen anderen Punkten der serbischen Eisenbahnfrage in Wien gefügig zeigen wird, wenn Oesterreih-Ungarn die Kosten des Baues der Eisenbahnbrücke bei Belgrad allein bestreiten würde. pu diesem Falle würde Baranoff das gesammte Rollmaterial in Desterreih-Ungarn anschaffen und den Bau in Belgrad beginnen.

Montenegro. Cettinje, 10, Februar. (Pest. L.) Montenegro is geneigt, die von der Pforte ihm dur Jtalien übermittelten Tauschvorschläge zu acceptiren, wenn ihm außer dem Distrikt von Kucsi-Kraina noch ein Territorium am Lim in der Gegend von Bjelopolje mit Zu- stimmung Oesterreih-Ungarns abgetreten würde. Der Aus- taush von Kucsi-Kraina allein gegen Gusinje und Plava wird hier als nicht genügend angeschen. Die Stimmung der Mohamedaner in Gusinje hat sich beruhigt, doch befahl die albanesische Liga den dort zusammengezogenen Freiwilligen, bis auf Weiteres in den Grenzbezirken zu verbleiben.

Nußland. Kiew, 11. Februar. (W. T. B.) Fürst Alexander von Bulgarien ist heute Mittag hier ein- getroffen.

Schweden und Norwegen, Christiania, 11. Fe- bruar. (W. T. B.) Se. Majestät der König hat heute Mittag 1 Uhr den Storthing mit einer Thronrede er- öffnet. Jn leßterer wird hervorgehoben, daß der auf den Er- werbszweigen lastende Druck zwar noch andauere, daß sih doch aber der Beginn einer Besserung der Zustände bemerkbar mache. Unter den zur Berathung durch den Storthing be- stimmten Vorlagen befindet sih abermals der Geseßentwurf, betreffend die direkten Steuern. Ferner wird eine Erhöhung der Tabaksteuer vorgeschlagen und ein Geseßentwurf, betreffend das Glaubensbekenntniß der Staatsbeamten, sowie der Ent- wurf eines Wechselgeseßes angekündigt.

Landtags: Angelegenheiten.

Gestern früh ist in seiner hiesigen Wohnung der Abgeordnete Bosselmann, Vertreter des 3. Potsdamer Wahlbezirks (Anger- münde-Prenzlau), plöylich an einem Herzschlage verftorben.

Statistische Nachrichten.

Stockholm, 31. Januar. Die Postverwaltung hat dieser Tage ein Verzeichniß sämmtlicher in Schweden erscheinenden Ze i- tungen, Zeitschriften u. dergl. ausgegeben. Die Gesammtzahl derselben ist 316, von denen 92 in Stocktholm erscheinen. Nach der Hauptstadt kommt Göêteborg mit 20; weiter Upsala mit 14, Malmö mit 9, Gefle und Jönköving mit je 8, Linköping mit 7 u. |. w.

. Von den 316 Publikationen gehört etwa 4 zu der eigenilihen Zei-

tungspresse, die indessen nur 10 tägliche Zeitungen (5 in Stoctholm, 9 in Göôteborg, 1 in Norköping, Malmö und Helsingborg) zählt.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Am 6. d. M. ist in Mentone, erst 38 Jahre alt, der ordentliche Professor der Kunstgeshihte an der Universität Straßburg, Dr. Alfred Wolïtmann, gestorben.

Gewerbe und Handel.

Die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin lassen jährlih ein Verzeichniß sämmtlicher Mitglieder der Korporation der Kaufmannschaft und ihrer bei der Korporation angemeldeten Handel€- firmen, sowie ein Verzeichniß der bei der Korporation angestellten Beamten, vereideten Makler, Waaren-Taxatoren und Güter-Bestä- tiger, endlih ein Verzeichniß der vereideten Sachverständigen in Ge- ftalt eines kleinen Büchleins vereinigt ersheinen. Das für das Jahr 1880 bestimmte Bändchen ist zum Preise von 1 X von der Börsen- Registratur im Ds zu beziehen. «is

Leipzig, 11, Februar. (W. T. B.) Der Aufsihtsraih der Leipziger Bank hat die Dividende pro 1879 auf 7%, gegen 54% im Vorjahre, festgeseßt.

London, 10, Februar. (Allg. Corr.) Die Ausweise des britishen Handelsamtes für Januar ergeben, daß die Besse- rung des Handels, welcbe seit September v. J. ohne Unterbrechung an- gehalten, im ersten Monat des neuen Jahres weitere Fortschritte gemacht hat. Der deklarirte Gesammtwerth der Ausfu hr betrug 16 912 858 Pfd. St, gegen 14 196 518 Pfd. St. im Januar 1879, und, 15 423 911 Pfd. St. im Januar 1878, d. i. eine Zunahme von 19 resp. 9} %/. Die bedeutendste Zunahme weist die Ausfuhr von Eisen und Stahl auf, nämlich 110 9% in der Quantität und 96 % im Werthe. Die Einfuhr des Monats erreichte einen Gesammt- werth von 32 372 907 Pfd. St.,, gegen 26 367 046 Pfd. St. im Januar 1879 uud 30 609 956 Pfd. St. im Januar 1878, d. i. eine Zunahme von 223 resp. 6%. An diesem Zuwachs sind hauptsächlich U e betheiligt: Baumwolle, Seide, Cerealien, Provisionen un eine.

VBerlín, den 12. Februar 1880.

Die Münzsammlung des Germanishen Museums zu Nürnberg hat noch am Schluß des vorigen Jahres eine sehr weithvolle Bereicherung erfahren. Denn, wie der „Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit“ (Januar 1880) meldet, is von Sr. Durchlaucht dem Fürsten Heinrih XIV. Reuß j. L. der Anftalt eine Sammlung von 122 Gold-, größeren und kleineren Silber- und Kupfermünzen zugewiesen worden, welche die Zeit vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts umfassen und zum Theil zu den größten Seltenheiten gehören. Für das-Handelsmus eum ist das Interesse in kaufmännischen Kreisen in erfreulißhem Wasen, wie die vermehrten e auf Antheilsheine und die gespendeten Geschenke be- weisen.

Das Januarheft des Anzeigers enthält einen sehr interessanten Beirag von Hrn, Dr. A. Essenwein, betitelt: „Bilder aus dem bürgerlihen Hauthalte des 14. bis 15. Jahrhunderts“. Die Biblio- thek des Germanishen Museums enthält nämlich ein hebräisches Pergament-Manuskript, ein Andachtsbuch von 42 Vlättern mit zahl- reihen Illustrationen, welche biblische Erzählungen zum Gegenstande haben. Sie sind, gleihwie die Bilder der cristlihen Kunst, in das Zeitkostüm gekleidet, und geben eine Reihe von Scenen aus dem Leben wieder, wie es sich vor den Augen des Malers abspielte. Eine Anzahl der kulturhistorisch interessantesten, das damalige Leben in Haus, Küche und Keller darstellenden sind dem Aufsatze in getreuer Reproduktion beigegeben. Besonders lebendig und genrehaft ist die Darstellung eines Backofens und seines Betriebes. Außerdem findet sich in der Nummer ein Aufsaß von Friedri Schaeider in Mainz: über die Tischgebete in Luthers Katechismus, Mittheilungen eines Weisthums aus dem Jahre 1479 und eines Schreibens Mark- graf Friedrihs des Aelteren von Brandenburg aus dem Jahre 1487, der Entwurf eines prächtigen Pokales aus der Mitte des 16. Jahr: hunde:ts (vielleiht von Hans Brosarner), von Efsenwein aus den Handzeichnungen des Museums veröffentlicht u. v. a.

„Die Dramatisirungen der Susanna im 16. Jahr- hundert.“ Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des deutschen Dra- mas von Robert Pilger, Gymnasial-Direktor. Halle a. S. Verlag der Bucbhandlung des Waisenhauses. 1880. (Separataëdruck® aus Band RI. der Zeitschrift für deutshe Philologie. 80. 6 B.) i

Die vorliegende Arbeit ist eine interessante Untersuchung über die verschiedenen Formen dramatischer Bearbeitung der Geschichte von der Susanna, eines Lieblings\toffs des 16, Jahrhunderts. Von den vorhande- nen 16 Bearbeitungen werden 10 hier behandelt und daran die allmäh- lie Entwickelung des deutschen Dramas in lebendiger Weise illustrirt. Die älteste Bearbeitung rührt noch aus dem 15. Jahrhundert her und hat einen Wiener Anonymus zum Versasser; der förderlice Einfluß der Antike ift bereiis unverkennbar. Weitere glückliche Ein- wirkungen der antiken M. ster zeigt die Bearbeitung von Sixt Bir, Rektor-zu Basel, von 1532, jedo ist die Umformung der Erzählung in die dramatische Form hier viel unbeholfener als dort, während andererseits ein großer Fortschritt im Versbau des Dialogs sich dokumentirt. Noch geschickter als bei Birck ist der Aufbau der Hand- lung in der Beirbatüda eines Nürnberger Anonymus vom Jahre 1534 (?), dagegen die Autführung dürftig und auch formal hinter der vorgenannten zurückbleibend. Als die erste Frucht des Humanis- mus auf dem Gebiete dez Dramas bezeichnet der Verfasser die 1536 in Zwickau erschienene „Susanna“ von Reb hun: ein bedeutender Fortschritt niht nur zu dramatischer Gestaltung des Stoffs, sondera zugleich zu reiber und ¿dlerer rythmischer Form trennt dieselbe von allen ihren Vorgängern. Freilich hatte der wackere Mann mit der Klage, die er in der Vorrede der Ausgabe von 1544 aué spricht, allzusehr Ret. Er sagt : „Daß ich noch mit mir im Zmweiffel stehe, ob vnsere Teutshen dis89= Werth werden zu Danck annehmen, na dem wir, leyder, gemeinck- lich also gesinnet, das wir andere Leut Arbeit, wie gut sie au ist, lieber taddeln, denn vnns der selben Anweißung in unserem Thun bessern.“ Und in der That sollte noch eine ganze Reihe von Dezen- nien vergehen, ehe ein Anderer unter günstigeren Verhältnissen zu seinem Ruhme bei Mit- und Nachwelt dasselbe durhsezte, was Reb- hun angestrebt. Dann folgt eine lateinische E von jenem {hon genannten Sixt Birck (Xystus Betulius) aus dem Jahre 1537, welche zwar in einzelnen Scenen und Charakteren lebensvolle und abgerundete Behandlung zeigt, andererseits aber der Didaxis einea zu ausgedehnten Raum gewährt. Eine verpfuschte deutsche Nach- und Umbildung der vorgenannten is die Ausgabe von Stöckel (1559), um so bedeutender, dagegen die lateinische Bearbeitung von Nicodemus Frischlin aus dem Jahre 1577.

In Frishlins Dichtung pulsirt bereits frisches Leben. Menschen von Sleish und Blut treten uns entgegen und vereinigen fich zu naturwahren carafteristishen Scenen. In dieser Annäherung der Personen und Situationen der Bühne an das wirkliche Leben liegt ein Fortschritt felbst den Anfängen Rebhuns und Bircks gegenüber. Leider kommen aber, sazt der Verfasser, alle die reichen S der Frishlinschen Dichtung der heimischen Literatur nur in bedingtem Maße zu Gute, da der gelehrte Dichter sie in das feinere und ihm bequemere Ge- wand der lateinishen Rede kleidete, Hätten Mäuner wie Frischlin und Macropedius deutsh geschrieben, wir hätten am Ende des 16, Jahrhunderts nicht nöthig R mit den Abfällen des eng- lishen Dramas unsere Armuth aufzupußen und noch anderthalb Jahrbunderte lang bei allen Nachbarn herumzubetteln, bis wir end- li selbst zu einem nationalen Drama gelangten. Bei Frischlin ist dies um so lebhafter zu beklagen, als seine Versuche in deut- N Dichtung, 3. B. di: Parabel von St. Christoffel und

eine Schauspiele „Wendelgard" und „Ruth® beweisen, daß er au seine Muttersprache ungleich ltegt und lebensfrischer zu be- handeln verstand als die Mehrzahl der deutschen Dichter seiner Zeit.

ug (1603) sind nur Ausbeutungen resp. Nachahmungen der Frisch- nsen.

Besonders bemerkenswerth ist das Urtheil, welches Pilger über die bisher von den Literaturhistorikern sehr gerühmte „Susanna“ des Herzogs Heinrich Julius von Braunshweig fällt. Im Gegen- saß zu Watckernagel , Gervinus, Hermann Grimm ü. a. sucht der Verfasser durch Gegenüberstellung und Analyse darzulegen, daß das genannie Drama nichts als eine theils freiere, theils wört- liy sich anlehnende, nit immer geshickte Bearbeitung des Frischlinshen sei, wobei sich der Herzog unter Einwirkung der englishen Komödie der Prosa bedient habe. Die Ausdrüde, deren sich der Verfasser bedient, sind sehr hart. Dagegen erkennt er die theilweise recht gelungene Ausführung der Bauern- und Narrenscenen an, deren Bedeutung in einem besonderen Abschnitte eingehend gewürdigt wird. Jn diesen Scenen, sagt er, trifft Heinrih Julius, ohne Vorbild, den Ton des Volkes außer- ordentlich glüdcklich, und selten mag ein Drama des 16. Jahrhunderts mit solcher realistishen, freilich auch sehr derben Naturwahrheit ge- \prochen worden sein. Wenn diese Auftritte wirklich ganz original find, so darf die vollständige Vertrautheit mit der Rede- und Denk- weise des gemeinen Mannes, ganz abges hen von der außerordent- lichen Dialektkenntniß, die fie bekunden, bei dem Fürstlichen Ver- fasser g:radezu Staunen erregen.

Am Schluß seiner Untersuchung gelangt Pilger zu dem Resultat, daß nicht das vielfah untershäßte Schuldrama die Schuld an der gehemmten Entwicklung des deutschen Dramas trage, sondern das 17. Jahrhundert, welches die so glücklih be,onnene selbständige Nach- bildung der Antike mehr und mehr aufgab und die mangelhaften Nachahwmungen derselben durch die verschiedensten modernen Völker si zum Muster nahm. Die Folge dieses beklagenswerthen Irrweges aber sei die gewesen, daß die dramatische Literatur dieser Zeit seibjt durch das Talent eines Gryphius vor ihrem Verfalle niht bewahrt mit dem Untergange alles bisher Errungenen in dem „wüsten Chaos der Staatsaktionen und Possenreißereien“ endigte. „Erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte das deutsche Drama wieder, nachdem es in der Gottschedschen Schule einen heilsamen Reinigungs- prozeß durchgemacht, auf die Bahn zurückgeleitet werden, die es am A des 16., nicht ohne sie mit Ehren betreten zu haben, verlassen mußte."

__ Der Verein deutscher Lehrerinnen und Erziehe- rinnen hielt am Dienstag Abend im Bürgersaal ves Rathhauses seine 11, Generalversammlung ab. Wie der Jahresbericht konsta- tirte, haben sih die Bestrebungen des Vereins, namentlich soweit sie das Feierabendhaus betrafen, aub im abgelaufenen Jahre der wesent- lichen Förderung Sr. Majestät des Kaisers und des Kaiserlichen Hauses zu erfreuen gehabt. Auch im Vorjahre hat der Verein immer mehr Ge- legenheit g:funden, niht nur den materiellen, sondern auch den geistigen Interessen eifrige Pflege zuzuwenden und sih an verwandten Bestrebungen in dieser Beziehung zu betheiligen. Neve Mit- glieder sind 82 eingetreten, so daß deren Zahl fast sich auf 654 erhöht hat. Der Lokalverein zu Memel erfreut si einer gleich günstigen Lage. Die Gesammteinnahmen betrugen 2850, die Aus- gaben, eins{chließlich 678 4 Beitrag zur Unterstüßungskasse, 2541 M, lo daß 309 K Bestand verblieb. Der Unterstüßungsfond hat si mer noch als im vergangenen Jahre als eine höchst segens- reihe Einrichtung bewährt. Dem Fond zu Gebote standen 942 M Ausgegeben wurden 5 Darleßen in H3he von 15—100 M, zusammen 260 G und 14 Unterstüßungen in Höhe von 20—80 Æ, zusammen 630 4; im Ganzen mit Nebenspesen 901 M gegen 635 F. im Vorjahre. Die Zahl der Stellensuchen- den ist im Jahre 1879 eine geringere gewesen, als im Vorjahre: 212 Meldungen standen 114 angebotenen Stellen gegenüber, nur in 43 Fällen hatte die Vermittlung des Vereins Erfolg. Erschwert wurde die Delcpana durch den Andrang nah Berliner Schulstellen. Das Feierabendhaus ist am 16. Juli der Benuzung übergeben worden und wird zur Zeit von 10 Damen bewohnt, denen fich demnächst 7 wei- tere zuzesellen werden, fo daß das Haus alsèann zur Hälfte besetzt sein wird. Die Baukosten ketrugen 134 000 4; davon sind 110 000 A L riet daß eine Schuldenlast von nur 24000 (4 auf dem Haus noch haftet.

Der Deutsche Nautische Verein ist auf den 23., 24. und 25, Februar hierher (Restaurant Beyer, Friedrichsstraße 231) zur Fahresversammlung einberufen worden. Auf der Tagesordnung steht u. A. für den zweiten Tag ein Vortrag des Hrn. H. Dahlström aus Hamburg über den Nord-ODstsee-Kanal.

London, 11, Januar. (W. T. B.) Der wegen des Mord- versuchs gegen den katholischen Geistlihen von St. Peter in Hatton Garden am 10. Januar angeklagte Alexander Schossa ist zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurtheilt worden.

Der heutigen Nummer d. Bl. liegt eine Ankündigung des Werkes: „Vom Kurhut zur Kaiserkrone, Bilder aus der Geschichte der Hohenzollern“ (Verlagsbuhhandlung von Carl Meyer [Gustav Prior] in Hannover) bei, auf welche wir aufmerksam machen.

Im Residenz - Theater gelangte g:stern das vieraktige Drama: „Une séparation“ von Erneste Légouvé, unter dem Titel; „Trennung“ von D. Duncker ins Deutsche übertragen, zur ersten Aufführung. Die dramatische Literatur der Franzosen beschäftigt sich seit längerer Zeit mit den sozialen Folgen, welche aus der Un- lösbarkeit der Ebe, der Saßung der katholischen Kir he, in dem modernen französischen: Leben resultireu. Viele hervorragende Bühnenschrift- steller, urter ihnen Augier, Sardou, Dumas, haben dieses Thema verschiedentlich zum Vorwurfe einer dramatischen Behandlung ge- macht, und noch jüngst hat Dumas eine eigene Abhandlung über diesen Gegenstand veröffentliht. Auch Légouvé hat für das gestern hier aufgeführte Stück dieses Motiv gewählt. Hr. Delpierre denunzirt einen russischen politishen Verbreher der russishen Regierung und erhält für diese Denunziation eine bedeutende Summe Geldes. Seine Gattin erfährt davon und ist über diese ehrlose Handlung ihrcs Ge- mahls so empört, daß sie sih von ihm trennt. Zwischen ihnen steht der einzige Sohn, zur Zeit der Trennung der Eltern noch ein Kind. Nah 10 Jahren kommt die himpfliche Handlung des Vaters an das Tageslicht; der Vater, um Frau und Sohn nicht zu kompromittiren, s{hießt fih eine Kugel durch den Kopf. Dies in aller Kürze der Inhalt des Stückes. Gegenüber den Arbeiten ähnlihen Jnhalts von Augier, Sardou und Dumas erscheint dasselbe matt, es zeichnet sih weder dur die glänzende Technik noch dur die bestehende Eleganz des Dialogs aus, welche man jenen Stücken, auch wenn man erhebliche sittlihe Bedenken, die sie hervorriefen, nicht untcrdrücken konnte, nahrühmen mußte. Bei dem Légouvé’schen Stücke hat man überall das Gefühl, Augier, Sardou und Dumas haben das Alles viel wirksamer, fesselnder und dramatischer gemaht. Ohne diese Eigenschaften ift freilid auch diese Arbeit nicht, sie laborirt wohl am Meisten an der Ueber- sättigung, welde das so häufig von der französiswen Bühne aus variirte Thema, das doch für deutsche Verhältnisse ein nur mehr akademisches Jnteresse besißt, hervorgerufen hat. Volles Lob muß man der Daritellung zollen, welhe das Stück gestern im Residenz-Theater fand. Die beiden Diver aal wurden von Fr. Marie Seebach und Hrn. Keppler in treffliher Weise verkörpert und auch die Nebenrollen hatten in den Herren Patonay, Paul, Beckmann und

aadck treffliche Vertreter. Ebenso verdient das abgerundete, fließende usammenspiel die lebhafte Anerkennung, welche von dem anwesenden ublikum durch wiederholten Beifall bezeugt wurde.

Belle-Alliance- Theater. Die Einnahme der 70. Auffüh- rung des „Rattenfängers von Hameln," welche übermorgen stattfindet, ist zum Benefiz für die Lehrer-Wittwen und -Waisen des Pestalozzi-Vereins bestimmt. Die Direktion hat im Interesse des guten Zwecks für diese Aufführung die Darstellung neuer leben- der Bilder, sowie im 11. Bilde eine neue Gesangs8einlage arrangiren

Zwei weitere Arbeiten, eine lateinishe von Schonaeus, Rektor in Haarlem (1595) und eine deutshe von Samuel Israel von Straß-

lafsen.