1880 / 42 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 18 Feb 1880 18:00:01 GMT) scan diff

Aus Stk. Petersburg is heute die ershütternde Nachricht von einem neuen furchtbaren Attentat gut Se. Aeu! den Kaiser von Rußland und die Kaiserlich russishe Familie eingetroffen. Die gnädig waltende Vor- Jehung Me au diesmal den verbrecherischen Plan zu Schanden werden lassen. Es ist kaum möglich, der Entrüstung über das frehe Bubenstück, welhem mehrere Menschenleben zum Opfer gefallen sind, hinreihenden Ausdruck zu geben. Die Freude über die Erhaltung des unserem Kaiserlichen Hause nahe verwandten Herrschers und feiner Familie wird in Deutschland einen lauten Wiederhall finden. :

Ueber das Attentat liegen bisher folgende telegraphische Meldungen vor:

St. Petersburg, Dienstag, 17. Februar, Abends. Jm Kaiserlichen Winterpalais hat eine Explosion stattgefunden. Von der Kaiserlihen Familie ist Niemand verleßt. Die Mine lag unter dem Wachzimmer; dieses befindet sich unter dem Speisezimmer. Von der Wachmannschaft sind 35 verleßt, darunter fünf bereits gestorben. (vgl. u.) Jn den Fußboden des Speisezimmers ist eine Oeffnung gerissen, 10 Fuß lang und 6 Fuß breit. Die Kaiserliche Familie war noch nit ver- sammelt in Folge einer zufälligen Verspätung.

St. Petersburg, Mitiwoch, 18. Februar, Vormittags. Der „Regierungsbote“ meldet: Äm 17. d. M., Nachmittags gegen 7 Uhr, erfolgte im Erdgeshoß des Winterpalais unter dem Hauptwachtzimmer eine Explosion, wobei von den auf der Wache aufgestellten Soldaten des finnländischen Leibz Garde-Regiments 8 Mann getödtet und 45 verwundet wurden. Die Diele des Wachtzimmers und mehrere Gasröhren sind be- schädigt. Die amtlichen Erhebungen sind im Gange.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesraths für andel und Verkehr und für Justizwesen traten heute zu einer Sißung zusammen.

In der heutigen (3.) Sißung des Reichstages, welcher mehrere Bevollmächtigte zum Bundesrath und Kommissarien desselben beiwohnten, theilte der Präsident unter anderen ge- schäftlihen Mittheilungen mit, daß der gewählte zweite Vize- präsident Abg. von Hölder die auf ihn gefallene Wahl abge- lehnt habe. Darauf trat das Haus in die erste Berathung des Etats pro 1880/81, welche beim Schlusse des Blattes der Unter-Staatssekretär Scholz einleitete.

Die Schlußberichte über die gestrige Sihung des Herrenhausés und des Hauses der Abgord- neten befinden sih in der Ersten Beilage.

In der heutigen (ea Sizung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Kriegs-Minister von Kameke, der Minister des Fnnern Graf zu Eulenburg, der Finanz- Minister Bitter, der Minister der geistlihen 2c. Angelegen- heiten von Puttkamer, dex Minister für Landwirthschaft, Do- mänen und Forsten Dr. Lucius und mehrere Kommissarien beiwohnten, trat das Haus in die Berathung des vom Herrenhause in abgeänderter Fassung zurückgelangten Ent- wurfs eines Feld- und For stpolizeigeseßes ein. Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa wies darauf hin, daß die vom Herrenhause beschlossenen Aenderungen vorwiegend re- daktioneller Natur, und daß auch die materiellen Aenderungen nicht so s{chwerwiegend seien, um dacum dieses nothwendige Geseß sür diese Session scheitern zu lassen. Dieses Resultat werde aber eintreten, wenn die Vorlage. in der jeßigen Form niht zur Annahme gelange. Der Abg. Dr. Windthorst machte sein Votum sür das ganze Geseß von der Annahme seiner Anträge zu §. 41 abhängig. Er bestritt au, daß-ein so leb- haftes Bedürfniß „nach diesem Geseze im Volke / empfunden werde. Aus seiner Heimath seien ihm die lebhaftesten Bedenken dagegen zugekommen. Der Abg. Schmidt (Sagan) vertrat im Ganzen den vom Abg. von Heydebrand und der Lasa eingenommenen Standpunkt und wies namentlih nach, daß der Antrag Windthorst, welchen das Herrenhaus abgelehnt An seinen Zweck, das Verbot des Beeren- und Pilzen- ammelns durch Polizeiverordnungen vorläufig unmöglih zu machen, nicht erreihe. Der Abg. von Ludwig bedauerte, daß dieses Geseh keineswegs den weitgehenden Ansprüchen der [leidenden Landwirthschaft genüge, und sprach die Hoffnung aus, daß der Minister in der nächsten Session einshneidendere Vorlagen machen werde. Redner ging dann auf den Werth des Parlamentarismus, das neueste russische Attentat und ähnliche vom Gegensiande fernliegende Dinge ein und wurde vom Präsidenten mehrfach zur Sache gerufen.

Der Staats-Minister Dr. Lucius erklärte, die Frage der Opportunität dieses der Landwirthschaft so nützlichen Gesebes nit mehr erörtern zu wollen, und wies darauf hin, daß die Regierung bisher einen sehr entgegenkommenden Standpunkt in dieser Frage eingenommen habe, daß aber für die gesammte Bevölkerung eine {lehtere Lage geschaffen würde, wenn jeßt die geseßliche Regelung dieser Materie unmöglich gemacht würde. Er bitte deshalb, die Vorlage in der Fassung des Herrenhauses arzunehmen.

Der Abg. Dr. Windthorst führte aus, sein Antrag wolle verhüten, daß durch Strafbestimmungen ein durch Her- Tommen und unvordenklihen Besiß geheiligtes Recht verkümmert werde. _ Dieses Reht sei ihm ebenso heilig, wie das Eigenthumsreht an Feld und Wald. Nachdem si en dem Ahg. Dr. von Cuny und dem Regierungskommiss ar Ober - Forstmeister Donner über den Gang der bisherigen Geseßgebung und deren Interpretation eine Debatte entsponnen hatte, legte der Abg. von Griesheim Protest gegen die Behauptungen des Staats - Ministers Dr. Lucius ein, daß in Hessen eine tendenziöse Agitation gegen die preußische Forstverwaltung getrieben werde. Der Minister ielt aber seine 'ufecer Behauptungen, gestüßt auf amt- ihe Berichte, aufrecht und ‘bezeichnete die Anträge Windthorst als unannehmbar, weil sie das Polizeiver- ordnungsrecht der Regierung beschränkten. Die Abgg. von Rauchhaupt und Schmidt (Sagan) empfahlen nochmals die Beschlüsse des Herrenhauses, welhe auch nah Ablehnung des Eventualantrages Windthorst der Prinzipalantrag war zurüdckgezogen worden angenommen wurden, und mit den- Jelben das ganze Geseg.

„Es folgte die Berathung des vom Herrenhause in abge- änderter Fassung zurücgelangten Gesetzentwurfs, betreffend die Bestreitung der Kosten für die Bedürfnisse der Kirhengemeinden in den Landestheilen des linken Rheinufers. Die Aenderungen erstrecken {sich nur auf §, 4, welcher die Regierungsvorlage wieder- herstellt, Der Abg. Dr. Windthorst erkannte an, daß die Konfervativen des Abgeordnetenhauses seinen Wünschen nah Kräften entgegengekommen seien. Anders sei es mit

das Bedürfniß des Friedens nicht so lebhaft, wie es nöthig sei, sich zeige, Nah den Veränderungen des Herrenhauses im Jahre 1872 sei das Haus nicht mehr geeignet, vor den radikalsten ngen zu s{hüßen. s sei denkbar, daß um deshalb in den Rheinlanden nit - gleihes Recht wie in den alten Provinzen geschaffen werden solle, weil dort die Kirchen meistens den Katholiken gehörten. Der Minister des Jnnern wies darauf hin, daß das Centrum die jeßt von ihm ge- riesene, von deu Abgeordnetenhause angenommene assung bei deren Berathung als durhaus un- genügend bezeichnet habe. Der Minister bestritt, daß er überhaupt in dieser Frage und speziell bei der Bekämpfung der Fassung des Abgeordnetenhauses irgend eine dem Centrum feindliche Stellung eingenommen habe, und wies dann die Angriffe des Vorredners gegen das Herrenhaus als durchaus unbegründet und unberechtigt zurüd. Es handle si hier um die Ausrehterhaltung eines seit 80 Jahren bestehen- den Rechtszustandes; das könne man nicht Revolution nennen. Es handle sich hier nur um eine unter- geordnete Zweckmäßigkeitsfrage, mit . deren Regelung m dexr jegigèen Fo O: dex Ober - E der Rheinprovinz einverstanden erklärt habe. Er bitte des- halb, die Vorlage in der Fassung des Herrenhauses anzu- nehmen. Diesen Wunsch unterstüßte der Abg. von Wedell- Piesdorf, da seine Partei an untergeordneten Differenzen das so nöthige Geseh nidt scheitern lassen wolle. Nachdem noch die Abg. Cremer (Cöln) gegen und der Abg. Dr. von Cuny für die Beschlüsse des Herrenhauses gesprochen hatten, wurden dieselben angenommen, und mit diesen das ganze Geseß, worauf sich das Haus um 122, Uhr vertagte.

Die Kaiserlihe Verordnung vom 4. Januar 1875 bestimmt, daß „künstlih bereitete Mineralwässer“ nicht zu den- jenigen flüssigen Arzneimishungen gehören, welche als Heil- mittel nur in Apotheken feilgehalten und verkauft werden dürfen. Ueber den Begriff der sonach dem freien Verkehr überlassenen „künstlih bereiteten Mineralwässer“ sind in den Kreisen der Sachverständigen bisher verschiedene Ansichten geltend gemacht worden. Während die Einen als fünstlih bereitete Mineralwässer nur die Nachbildungen be- stimmter, in der Natur vorkommender Mineralwässer an- gesehen wissen wollen, verstehen Andere unter künstlich be- reiteten Mineralwässern alle künstlih hergestellten Lösungen mineralisher Stoffe in Wasser, welhe bei innerlihem oder äußerlihem Gebrauche physiologishe Wirkungen auf den Körper zu üben bestimmt sind, gleichviel, ob diese Lösungen in der Natur wirklich vorkomuien oder nicht.

Die Streitfrage bietet niht blos ein theoretishes Jnter- esse, denn das Strafgeseßbuch bedroht das unbefugte Zubereiten, Feilhalten 2c. von Arzneien mit Strafe.

_ Thatsählih hat sich die Fabrikation der künstlichen Mineralwässer im Laufe der leßten 50 Jahre in Deutschland zu einem sehr bedeutenden Jndustriezweige entwickelt. An- fangs war das Bestreben nur darauf gerichtet, einzelne natürliche Mineralwässer möglichst genau nachzubil- den; dann ging man dazu über, sich von dieser einfahen Nachbildung frei zu . machen und auch solche Mineralwässer herzustellen, für welche die Natur Vorbilder überhaupt nicht bietet. _Bei Annahme der engeren Auffassung des Begriffs der künstlihen Mineralwässer hätte die Fabrika- tion und der Vertrieb derselben in ihrem bisherigen Umfange nicht bestehen bleiben kön. Auf der anderen Seite würde die unbeschränkte Freigabe der Zubereitung und des Vertriebes aller künstlih hergestellter Löfungèn mineralischer Stoffe in Wasser die Jnteressen dex öffentlichen Gesundheitspflege um- somehr gefährdet haben, als die Konkurrenz stets zur Her- stellung neuer Fabrikate drängt und keine genügende Sicher- heit dafür gegeben ist, daß hierbei die Rücksichten der Gesund- heitspflege unverleßzt bleiben.

__Die in Nr. 3 des diesjährigen „Reichs - Geseßblatts“ er- schienene Kaiserliche Verordnung vom 9. Februar d. J. hat nunmehr den Begriff der künstlihen Mineralwässer in einem Sinne festgestellt, welcher geeignet erscheint, den berechtigten Interessen der Mineralwasserfabrikation und des Publikums zu genügen, ohne die Schranken zu durchbrechen, auf deren Jnnehaltung vom Standpunkte der Sanitätspolizei Werth gelegt werden muß. Die Verordnung erkennt als künstlich ereitete Mineralwässer im Sinne der Verordnung vom 4, Fanuar 1875 niht nur diejenigen an, welche ih als Nachbildungen von natürlihen Mineralwässern darstellen, sondern auch andere künstlih hergestellte Lösungen mineralischer Stoffe in Wasser, wenn nur die Fa- brikate der leßtgedachten Art keine Stoffe enthalten, welche in den Verzeichnissen B und C zur deutshen Pharmakopde auf- gesührt sind. Die dort aufgeführten Stoffe sind nämli gif- tige oder doch stark wirkende Substanzen, hinsihtlih deren den Apothekern eine besonders sorgfältige Aufbewahrung zur Pflicht gemacht ist.

Durch die gedachte Verordnung ist den verschiedenen Jn- teressen, welche bei der vorlicgenden Frage in Betracht kom- men, Rehnung getragen. Die Fabrikation und der Vertrieb der künstlihen Mineralwässer bleiben in ihrem bisherigen Umfange, soweit si dies bis jegt übersehen läßt, fast unver- kürzt bestehen, und gleichzeitig erscheinen die sanitätspolizei- lihen FJnteressen gewahrt.

Der Bundesraths-Bevollmächtigte, Fürstlich \{haumburg- ae Geheime Regierungs - Rath Spring is hier ein- getroffen.

Bayern. München, 16. Februar. (Allg. Ztg.) Von dem Referenten der Kammer der Reichsräthe, Hrn. von Neuffer, wird auch bezüglih des zweiten Beschlusses der Kam- mer der Abgeordneten in Betreff einer Erhöhung der Eisen - bahn-Personentarife, resp. der Einnahmen aus den Eisenbahnen, die Ablehnung beantragt. Die Erste Kammer wird am Mittwoch hierüber berathen.

(Dï, J) In

Sachsen. Dresden, 17. Februar. der heutigen Sißung der Zweiten Kammer begründete zunächst der Abg. Ackermann in längerer Ausführung eine von ihm éingebrahte und von der rechten Seite dex Kammer unterstüßte Jnterpellation, dahin gehend, ob die Staatsregie- rung gewillt sei, zur Beseitigung der in Sachen des Vaganten- wesens zu Tage getretenen großen Uebelstände auf zweck- entsprechende Revision der einschlagenden reihsgeseßlichen Vor- schriften hinzuwirken, auc, sowcit möglich, im Wege der Landes- geseßgebung, E dur Verordnung die erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Der Staats - Minister von Nostiß - Wallwiß er-

bereit sei, Alles zu thun, was zur Milderung der Uebelstände geeignet sei. Der hauptsächlihste Theil der Abhülfe müsse allerdings von der Geseßgebung des Reiches erwartet werden und er zweifle, daß man schon für die nähste Zeit diese Ex: wartungen hegen dürfe. Vor Allem werde darauf Bedacht zu nehmen sein, das Fnstitut der Landarmen auf irgend eine Weise wieder zu beseitigen und die Strafen für das muth= willige VBetteln empfindliher zu machen, als sie nah der gegenwärtigen Geseßgebung seien. Speziell erfllärte der Minister unter lebhafter Zustimmung der Kammer, daß er für das mit Drohen ver: bundene Betteln die körperlihe Züchtigung für die einzig mögliche Strafe halte. Den vom Wanten gemachten Vorschlägen, auf dem Gebiete der Verwaltung und Verord- nung Abhülfe zu schaffen, sagte der Minister Erwägung zu, doch glaubte er nicht, daß auf diesem Gebiete von Seiten dex Regierung viel mehr werde geschehen können, als geschehen jei. Der Geseßentwurf über die gewerblichen Lehranstalten wurde nach kurzer Debatte mit einer Reihe von der Geseßgebungs- deputation beantragter Abänderungen, welchen die Regierung nicht entgegengetreten ist, gegen 13 Stimmen angenommen. Die Kammer beshloß ferner, anläßlih des Königlichen Dekrets, betreffend die Ergebnisse der bei der Altersrentenbank für den Schluß des Jahres 1878 vorgenommenen Inventur, auf Antrag der Rechenschaftsdeputation, der Staatsregierung zur Erwägung zu geben, inwieweit dahin gewirkt werden könne, die Altersrentenbank für die Arbeiterbevölkerung im Allge- meinen nußbar zu machen. Bezüglih des Königlichen De- rets, e die fortgeseßten Erörterungen über das Bedürf- niß eines dhe: ahn At beshloß die Kammer auf An- trag der bestellten Referenten, fich durch das Dekret für be- friedigt zu erklären und von weiteren in dieser Richtung fort- geseßten Erhebungen zur Zeit abzusehen, zugleih aber die Re- gierung zu ersuchen, dem Landeskulturrath Veranlassung zu geben, dahin zu wirken, daß durch das landwirthschaftliche Vereinswesen und durch die landwirthschaftlihe Presse auf den großen Werth einer guten rationellen Waldpflege hin- gewiesen werde. Zum Schluß wurde der Antrag des Abg. Kirbach, betreffend die Vorlegung einer Novelle zum Erh- schaftssteuergeseße, auf Antrag der Finanzdeputation (Abth. A.) der Staatsregierung zur Berücksichtigung überwiesen.

__Sessen. Darm|tadt, 17. Februar. (K. Z.) Der exinanzaus\{uß der Zweiten Kammer befürwortet ein- stimmig, der Regierung den zur Abwehr eines Nothstandes in den ärmeren Theilen des Landes geforderten Betrag von 100 000 6 aus den paratesten Mitteln der Hauptstaatskasse zur Versügung zu stellen, jedo foll der zum theilweisen Bau von Vizinalstraßen (Oberhessen, Kreis Büdingen) vorgesehene Staatszushuß von 20 000 4 nur geleistet werden, wenn und sobald die betreffenden Gemeinden sih bindend bereit erklären, die weiter erforderlichen zwei Drittheile der Gesammtbaukosten dafür aufzuwenden. Die am 14. d. M. stattgehabte Sißung der Zweiten Kammer bot in so fern ein weitergehendes FJnteresse, als darin übereinstimmend mit dem Antrage der Regierung und des Ausschusses beschlossen wurde, den Kaufpreis für den an Preußen ab- getretenen Antheil der Main-Weserbahn zunächst zur Tilgung der älteren Eisenbahnschuld, den Rest aber zum Rückauf von Obligationen des für die Erwerbung der Oberhessischen Bahnen ausgegebenen Anlehens zu verwenden. Auch verdient bemerkt zu werden, daß durch Annahme der Regierungsvorlage wegen Aufbesserung der älteren, d. h. der vor der leßten Ge- haltserhöhung der Beamten in Ruhestand getretenen Civil- pensionäre eine Angelegenheit ihre Erledigung fand, über welche auf den beiden leßten Landtagen ein Einverständniß zwischen Regierung und Ständen nicht herbeigeführt werden konnte. Die Zweite Kammer beschloß über die Beschwerde der Nechtsanwälte wegen der ihnen durh Verordnung auferlegten Amtstracht den Uebergang zur Tagesordnung.

Oesterreih-Ungarm. Wien, 16. Februar. Die Thätigkeit der Landtage soll, wie die „Pr.“ be- richtet, knapp nah der Reichsrathssession beginnen. Dem ge- nannten Blatte wird aus Prag telegraphirt, daß der böhmische Landtag für den 30. März einberufen werden soll.

Banus Mazuranics hat während seines jüngsten Aufenthalts in Wien seine Demission eingereiht. So meldet die „Bud. Corr.“ mit dem Zusaße, daß Se. Majestät noh keine Entscheidung getroffen habe und daß man als präsum- tive Nachfolger Viazuranics' den Grafen Ladislaus Pejacse- vics, eventuell den Minister Bedekovics bezeichne.

17 D (D B) N ciner Mile lheuung der „Pol, - Corr.“ aus Konstantinopel hätte die Pforte die Absicht, Montenegro außer Kucikraina, auch den von slavischer Bevölkerung bewohnten Theil des Distrikts von Gusinje, sowie einen Theil des Distriktes von Grudi und mehrere Ortschaften in der Ebene von Podgorißza anzubieten.

Schweiz. Bernck 17. Februar. (Cöln. Ztg.) Der Staatsanwalt wies in dem heute tegonnenen Stabio-Pro- zeß 20 liberale Geshworene zurück, wogegen die Vertheidi- gung protestirte und Wahl durchs Loos verlangte.

Großbritannien und Jrland. London, 17. Februar. (W. T. B.) Jm Oberhause erklärte heute Earl Beacons- field auf eine Anfrage Earl Granvilles: Er sei nicht bereit zu erkären, daß der Tripelvertrag zu bestehen aufgehört habe; wenn aber die Mitunterzeichner desselben England auf- fordern sollten, den Bestimmungen des Vertrags entsprechend zu handeln, so würde er erstens die in der Türkei stattge- habten Veränderungen und zweitens die vorliegenden Um- stände in Erwägung ziehen. i Jm Unterhause erwiderte auf eine Anfrage Dilke’s der Schaßkanzler Northcote, daß die Unterhandlungen wegen der Ernennung einer internationale Liqui- dationskommission für Egypten noch fortdauerten, und daß es daher unmöglich sei, zu sagen, ob sie erfolgreich sein würden oder niht. Der Unter-Staatssekretär Bourke er- klärte Simon gegenüber: Der Vertreter E-glands in Ma- rokko sei wegen des auf die Juden in Fez gemachten An- griffes vorstellig geworden; die englische Regierung habe dieses Vorgehen ihres Vertreters ge Die Frage wegen des Schußes der in Marokko lebenden Nichtmuhamedaner sei von mehreren Regierungen, welche deshalb mit der englischen in Verhandlungen siänden, in Erwägung gezogen worden. Die Resolution Meldons, auf Assimilirung des irischen

dem Herrenhause und dem Minister des Innern, bei denen

flärte, daß die vorhandencn Uebelstände der Regierung bekannt seien und voll gewürdigt würden, und daß die Regierung gern

Stimmrechts mit dem englishen und schottishen, wurde

mit 242 gegen 188 Stimmen verworfen. Die Liberalen stimmten mit den Jrländern. j

Nah Berichten aus Calcutta, vom 14. d., ist Ma- homet an, der Jnsurgentenführer in Ghuzni, noch immer bestrebt, die Mangols und Djagis zu einer bewaffne- ten Erhebung gegen die Engländer aufzuwiegeln. Er drängt sie, si für diesen Zweck am 27. d. zu versammeln.

Den „Daily News“ wird aus Lahore, vom 16. d. telegraphirt: :

Der Armee in Candahar is der Befehl zugegangen, An- fangs März auf Ghuzni votzurcken. General Roberts hat Mustafi Hadjibullah nach Ghuzni gesandt, um mit Mahomet Jan zu kon- feriren. In Cabul glaubt man, daß Ayub Khan und Gholam Hyder sich Abdul Rahman ans{ließen werden. Ein persischer Brief vom 4. d. besagt, daß Shahbaz Khan, dem von der britischen Be- hörde ernannt-n Gouverneur des afghanischen Turkestan, eine große Streitmacht gegenübersteht, und daß die \tädtishe Bevölkerung in diesem Monat oder Anfangs März einen Angriff Mahomet Jans

erwartet. : Aus Peschawur vom 14. d. erhielt der „Standard“

folgendes Telegramm: :

Im Hinblick auf den Ende dieses Monats erwaiteten Angriff auf unsere Truppen in der Umrunde von Kabul werden Vorbereitungen getroffen, um die ganze Division des Generals Bright in den Stand zu feten, zur Verstärkung von Sir F. Roberts leranzurückden. Die Reserve, die in diesem Falle Brights Division auf der Linie zwischen Peschawur und Kabul erseßen würde, ist jeßt nahezu zusammengezogen und in Bereitschaft für einen sofortigen Vormarsch. General Stewart wird mit Roberts durch eine Bewe- gung auf Candahar Îtooperiren. Die Kolonne - wird von 40 pfündi- gen Kanonen zur Einnahme von Ghuzni begleitet werden. Diese Bewegung wird Mahomet Jan zwischen zwei Feuer brinzen und ihm keine andere Alternative lassen, als Uebergabe oder Zerstreuung und Flucht über das Gebirge.

Italien. Nom, 17. Februar. (W. T. B.) Die Thronrede, mit welcher die Kammern heute wieder er- öffnet wurden, kündigt neben anderen Le die Geseß- entwürfe über eine stufenweise Aufhebung der Mahlsteuer und über die Wahlreform als die dringendsten Berathungs- gegenstände an. Jn der auf das Verhältniß Jtaliens zum Auslande bezüglichen Stelle heißt es: Wir haben gute und freundschaftlitze Beziehungen zu allen Staaten, und dieselben werden uns gegenüber von allen Stag- ten erwidert; sie befestigen die Ueberzeugung, daß die Unparteilichkeit und Loyalität der Regierungen das sicherste Mittel sind, das Einvernehmen unter den Völkern aufrecht zu erhalten. Die Erhaltung des Friedens is unser lebhafter Wunsch und von hohem FJnteresse für Jtalien. Für Jtalien ist daher eine skrupulöse Beobachtung des Berliner Vertrags etwas Natürliches, und ebenso ist es für Jtalien ein Leichtes, seine der Welt ertheilte Zusage zu erfüllen, daß Ftalien, wiederhergestellt in seiner Einheit, ein Element der Eintracht und des Fortschrittes sein werde.

Türkei. Skutari, 16. Februar. (Pest. L.) Mo ukhtar Pascha erhielt Befchl von der Pforte, die Garnison von Jpek zu verstärken, um die albanesishen Freiwilligen in Plava und Gusinje besser zu überwachen. Der Protest der albanesischen Liga gegen die Abtretung eines Tecritoriuums am Sem wurde gestern dem Gouverneur von Kossovo und dem italienishen Konsul hierorts übergeben.

(W. Pr.)

Serbien. Belgrad, 16. Februar. Die Regierung hat Herrn Marics beauftragt, Donnerstag, den 19, d., von Wien abzureisen, um hier zu referiren und Jn- struktionen zu empfangen. Die.Verhandlungen in Wien dürften frühestens am 28. d. fortgeseßt werden.

Nis, 16. Februar. Fn der fürstlihen Thronrede, mit welcher die Skupschtina geschlossen wurde, geschieht auch des beschlossenen Eisenbahn-Expropriations-Geseßes Erwähnung und wird daran die Hoffnung geknüpft, daß mit

ülfe desselben die für Serbien einshneidendste und wichtigste Ste des Eisenbahnbaues ihrer Lösung werde zugeführt werden.

Nußland und Polen. St. Petersburg, 17. Februar. (W. T. B.) Anläßlih des Vorschlages Englands wegen Bei- legung des englisch-türkischen Konfliktes schreibt die „Agence Russe“, daß jede Lösung dieser Frage, welche Griechenland konveniren könne, auch die Zustimnung Rußlands finden würde.

Amerika. Washington, 17. Februar. (W. T. B.) Der Finanzauss{chuß hat zu der in der Meldung vom 12, d. M. erwähnten Vorlage, betreffend die Ausgabe von Schatbillets, im Betrage von 2 Millionen Dollars den Antrag eingebracht, den Zinsfuß statt auf 4 Proz. auf nur 33. Proz. festzustellen. Die Vorlage wird demnächst an die Re- präsentantenkammer gelangen. j

New-York, 14. Februar. (Allg. Corr.) Ein verheeren- der Wirbelsturm hat die Staaten Kentuäy und Tennessee heimgesuht. Mehrere Menschen verloren dabei ihr Leben.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

„Johann Sebastian Bach“ von C. H. Bitter, König- lih preußischem Finanz-Minister. Zweite umgearbeitete und ver- mehrte Auflage. Mit einem Porträt vom Johann Sebastian Bach und zahlreichen Facsimilien, meist Kompositionen desselben darstellend. Groß Octav. Jn 25 Lieferungen, à 3 bis 4 Bogen Text enthaltend. (Preis für die Lieferung 1 4). Dresden, 1880. Wilhelm B'1ensch' Verlagéhandlung. Erste Lieferung. Johann Sebastian Bas Name ist und wird stets in allen gebildeten, nicht nur den musika- lischen Fachkreisen mit ehrfurchtsvoller Bewunderung ausgesprochen werden und jede literarische Erscheinung willkommen sein, welche das Verständniß diefes Meisters und seiner Schöpfungen fördert, zumal heute, wo die Ueberzeugung sich immer mehr Bahn bricht, daß eine Weiterbildung unserer deut|chen Kunst, der Form nach, nur auf der Basis der Errungenschasten des Bahschen Genius mögli sei. Schon beim Erscheinen der ersten Auflage des oben erwähnten Werkes ist allseitig von der Kritik anerkannt worden, mit welcher Klarheit, Objektivität und warmen Begeisterung für den Gegenstand der Herr Verfasser si demselben gewidmet hat, und in der früher erschienenen literarishen „Besonderen Beilage“ des „R, u. St.-A." diese PPli- kation, sowie die „Beiträge zur Geschichte des Oratoriums“ in mehreren Artikeln behandelt worden. Die mit der vorliegenden ersten Lieferung begonnene neue Auflage ift durch nang elen Forschung vielfa vermehrt und verbessert, sowohl was die Biographie des großen Tonmeisters, als was die Charakteristik seiner Werke betrifft, Die 1. Lieferung enthält nah einer allgemeinen, die Beder- tung Bachs würdigenden Einleitung eine sorgfältige Untersuchung über die Abstammung seiner Familie (dazu sein Porträt), die Darstellung seiner Jugend und ersten Lehrzeit und seines Aufenthalts in Arn- Be Mühlhausen und Weimar. Die typographische und illustrative

ut shattung ist gediezen und würdig. In Facsimile beigegeben sind

Gounods Meditation populär gewordene 1. Präludium. Monatli follen zwei Lieferungen ausgegeben werden.

Gewerbe und Handel.

Der Aussichtsrath- der Hibernia & Shamrock Berg- werksgesell\schaft hat die von der Revisionskommission geprüfte Bilanz festgestellt; es wird nah derselben eine Dividende von 31 °% zur Auszahlung gelangen, ferner ein Betrag von 3000 M den Ar- beiter-Unterstüßungskafsen der beiden Zechen überwiesen und der Rest- gewinn von 25524 # auf neue Rechnung vorgetragen. Der Aufsichtsrath des Magdeburger Bergwerks- vereins hat die Dividende für das abgelaufene Betriebsjahr auf 33 °/o festgeseßt. : S : Der Jahresbericht der Kommerzbank in Lübeck für 1879 bebt zunächst hervor, daß der überaus niedrige Diskontosaÿ des Jahres das Erträgniß des Geschäftes wesentlich geschmälert hat. Troßdem ist es möglich gewesen, einen Reingewinn von 152 473 46. einshließlich eines Gewinnvortrages von 1517 H zu erzielen, so daß die gleiche Dividende wie im Vorjahre 54 % in Vorschlag gebracht werden kavrn. Der Reingewinn des Jahres 1879 entspricht ziemliÞh genau demjenigen des Vorjahres, während die einzelne Ziffern des Gewinn- und Verlust-Conto'ss im Vergleich zum Jahre 1878 nicht unerhebliwe Abweichungen ergeben. Der Rein-Zinsenertrag beträgt 132 662 M gegen 147 205 6 im Vor- jahre, wogegen das Effekten-Conto mit einem Coursgewinn von 17986 M abschließt, gegen 8693 4G im Jahre 1878, Der Noten- Umlauf betrug im täglichen Durchschnitt 756 309 #4 gegen 787 600 „46 im Vorjahre. Der größte Umlauf war am 20. November mit 1 400 200 M. der kleinste am 22. August mit 526 700 6 Eine Banknotensteuer war auch für das verflossene Jahr niht zu ent- richten. Der tägliche durchschnittliche Kassenbestand incl. Guthaben bei der Reichsbankstelle betrug 768 000 46 Laut Beschluß der vorig- jährigen Generalversammlung follten etwa vorkommende Thaler- Noten noch bis spätestens Ende 1879 eingelöst werden. In Folge dessen wurden noch für 330 4 dieser Noten honorirt und dieser Be- trag aus den Mitteln des Reservefonds entnommen. Präkludirt sind hiernach Noten für 2490 Ct.-Thlr. = 7470 A Der Gesammt-Um- saß betrug im Jahre 1879 330,56 Millionen Mark gegen 267,62 Millionen Mark im Jahre 1878. Amiterdam, 17. Februar. (W. T. B.) In der heute von der niederländishen Handelsgesellschaft abgehaltenen Zucker- Auktion wurden 128 Faß Surinam zu 294 à 304 und 264 Fäßchen zu 297 à 303 verkauft. j j London, 17. Februar. (W. T. B.) Die heute eröffnete Wollauktion war sehr zahlreich besucht; angeboten waren 7996 B. Bei lebhafter Konkurrenz wurden australishe Wollen 10, Kapwolien ungefähr 5 %%/% höher bezahlt. : : New-York, 16. Februar. (W. T. B.) Weizen-Ve rschif- fungen der leßten Woche von den atlantischen Häfen der Ver- einigten Staaten nah England 54000, do. nah dem Kontinent 40 000, do. von Kalifornien und Oregon nach England 5000 Qrtrs., Visible Supply an Weizen 29 625 (00 Bushel, do. do. an Mais 14 187 C00 Bushel.

Berlin, 18. Februar 1880

Das Ober-Seeamt verhandelte unter dem Vorsitz des Ge- heimen Ober-Regierungs-Rathes Dr. von Möller in seiner Sißung am Freitag, den 13. d. M., über die Beschwerde des Reichskommis- sars, Kapitän z. S. a. D. Donner, gegen den Spruch des See- amtes zu Stettin vom 17. November v. J., betreffend den See- unfall der deutschen Bark „Ridderker f“ 1m bottnishen Meerbusen am 9. August v. J. Die genannte Bark hatte unter Führung des Schiffers Yioriß am 1. August v. I. eine Reise in Ballast von Wuylgast nach Haparanda angetreten, welche bis zum 9. August glücck- lih von Statten ging. An diesem Tage Nachmittags gegen 3 Uhr strandete das Schiff auf einer Untiefe in der Nähe des Feuerschiffes „Snipan“, wurde in Folge dessen wrack und ging tolal verloren. Ein Verlust von Menschenleben ijt bei dem Unfall nicht zu be- flagen gewesen. Das Seeamt zu Stettin hat diesen See- unfall untersucht, und hai der MReichskommissar im Laufe der Verhandlung den Antrag gestellk, dem Schiffer Moriß auf Grurd des Geseßes vom 27. Juli 1877 die Berechtigung zur ferneren Ausübung des Schiffergewerbes zu entziehen, weil er durch feine fehlerhafte Navigirung den Verlust des Schiffes vershulvet habe. In seinem Spruche erkennt das Seeamt diese fehlerhäfte Navigirung zwar ebenfalls an und tadelt dieselbe, lehnte aber den Antrag des Reichskommissars ab, indem es zur Entschuldigung des Schiffers eine Reihe von Gründen hervorhebt, welche geeignet seien, das Ver- \{ulden desselben in einem milderen Lichte erscheinen zu lassen. Gegen diesen Spruch hat der Reichskommissar die Beschwerde an das Ober - Seeamt eingelegt. Bei der Verhandlung vor demselben war als Beisland des Schiffers Moriy der Rechtéanwalt Ziemssen aus Stralsund zugegen. Derselbe gab in fcinen Ausführungen die fehlerhafte und wenig sorg- fältige Navigirung zu, betonte demnächst jedo, daß, wie es das Seeamt in seinem Spruche ausgeführt habe, zu Gunsten des Schiffers verschicdene Umstände sprächen, aus denen hervorgehe, daß der von demselben gezeigte Mängel an Vorsicht nicht ein derartiger sei, daß das öffentliche Interesse die Konzessionsentziehung erheische.

Nach längerer Verhandlung entschied das Ober-Seeamt: „Daß der Spruch des Seeamtes zu Stettin vom 17. November v. J. dahin abzuändern, daß dem Schiffer Moriß die Befugniß zur Ausübung des Schiffergewerbes zu entziehen, die Befugniß zur Ausübung des Steuermann®gewerbes zu belassen, und die baaren Auslagen des Ver- fahrens außer Ansatz zu lassen.“ :

Zur Begründung des Spruchs führte der Vorsißende aus: Hin- sichtlich des Mutsprucs über die fehlerhafte und unvorsichtige Navi-

irung sei den Ausführungen des Seecamtes beizutreten. Dagegen feièn die von demselben zu Gunsten des Schiffers hervorgehoktenen Entschuldigungsgründe nit \stichaltig. Die benußte Karte sei zwar in jeder Weise für die Navigirung in zwei engen Gewässern unzu- länglih gewesen; sie habe einen zu kleinen Maßstab gehabt, zeige au, wie dies leider vielfa bei Seekarten ter Fall sei, welche von Privaten herausgegeben, und deren Benußung für die Schiffahrt des- halb nicht selten gefahrbringend sci, an wichtigen Punkten wesentliche Abweichungen von der amtlih veröffentlichten \{wedischen Seekarte. So insbesondere - liege die Untiefe, auf welcher die Bark „Ridderkerk“ festgekommen sei, auf der vorgelegten Karte nit unerheblich näher dem Feuerschiffe „Snipan“, wie sie in der amtlichen Karte verzeichnet sei, Dieser leßtere Umstand spräche aber kTeine8wegs zu Gunsten des Schiffers, vielmehr hätte er auf Grund seiner Karte deshalb {hon früher Veranlassung zum Wenden gehabt, als wenn er die amtliche s{chwedische Karte benußt haben würde. Stromverseßung und Abtrist hätte der Schiffer ferner nicht außer Acht lassen dürfen, da er auf das Vorhandensein derselben, wenn ihm auch das genaue Maß nicht bekannt sein konnte, bei der herrschenden Windrihtung vorbereitet sein und seine Na- vigirung mit Rücksicht darauf bemessen mußte. Auch der Umstand, daß der Schiffer zum ersten Male in jenen Gewässern fuhr und zum erften Male ein größeres s{nellsegelndes Schiff führte könne ihm nicht zur Entschuldigung gereichen, hätte ihm vielmehr zu einer erhöhten Vorsicht Veranlassung geben müssen.

Wenn der Schiffer zu seiner Entschuldigung ferner hervorhebe, daß er den sütsöstlihen Cours so lange beibehalten habe, weil er aus der Bewölkung auf das Umspringen des bisher aus ostnordöstlicher Richtung wehenden Windes nah südlicher Richtung geshlofsen habe, und es fär ihn in diesem Falle am günstigsten gewesen sei, so weit als möglih nach Südost hin zu liegen, so hahe diese Entschuldigung aus technis{hen Gründen gar keine Berechkigung, da er, wenn der Wind wirklich nach Süd oder Südost herumging, direkten Cours

die Deviation seiner Kompasse in genügender Weise zu bestimmen, obgleich die Masten des Schiffes von Eisen gewesen sind und er wissen mußte, daß dieser Umstand den Kompaß wesentlich beeinflußt. Die in dieser Richtung im Hafen von Wolgast nur ganz oberflächlih angestellten Vergleiche mit den Kompassen von anderen neben dem „Ridderkerk“ liegenden Schiffen seien durhaus ungenügend gewesen. Es sei zu diesem Zweck vielmehr nöthig gewesen, das Schiff zu s{wojen; habe er hierzu im Hafen von Wolgast keine Gelegenheit gehabt, so hâtte si eine solhe bei tem s{chönen Wetter am ersten Tage der Reise in See geboten. Es sei anzunehmen, daß in Folge dieser Vernachlässigung die mit dem Komvaß genommenen Peilungen falsche gewesen und daß hierin mit ein Grund für den Verlust des Schiffes zu suchen sei; E

2) das Schiff, nachdem es festgekommen, ohne genügenden Grund längere Zeit verlassen hat, um, wie er angiebt, Hülfe herbeizurufen. Er hâtte selbst bei dem Schiffe so lange bleiben müssen, bis das Auf,eben desselben zur unabweiétlihen Nothwendigkeit geworden wäre. Die Hülfe hätte durch den Steuermann oder irgend einen Mann der Besatzung herbeigerufea werden können. Zwar stehe das WVer- lassen des Schiffes Seitens des Schiffers nicht in einem ursächlichen Zufammenhange mit dem Verluste desselben, wohl aber lasse dieses Verhalten des Schiffers gleihfalls auf den Mançeel an solchen Charafktereigenst- aften \chließen, welhe für die Ausübung des Schiffergewerbes erforderlich seien. .

Es sei deshalb wie geschehen zu erkennen gewesen. Die Berechtigung zur Ausübung des Steuermannsgewerbes fei dem Moriß deshalb zu be- lassen gewesen, weil kein Hrund zu der Annahme vorliege, daß er unter dem Kommando eines erfahrenen Schiffers nicht den Anforderungen ge- nügen werde, welche an einen Steuermann zu stellen seien.

Die baaren Auslagen des Verfahrens seien außer Ansaß zu lassen, weil die Beschwerde vom NReichskommissar eingelegt fet.

Die Generalversammlung der Steuer- und Wirth- \chaftsreformer nahm in ihrer gestrigen zweiten Sißung rück- sichtlih der Börsensteuer folgende Resolution an: , é

„1) Sollte eine Ge!eß:€vorlage auf Einführung einer Börsen- steuer, wie wir hoffen, noch in diesjähriger Session des Reichstages eingebracht werden, so wollen unsere Gesinnungsgenossen im Reichs- tage bei der Berathung mit allen Kräften dahin wirken , daß: 3, alle Börsenumsäte nah ihrem Proportionalverhältnisse, und zwar mit mindestens 1 pro Mille der umgeseßten Beiräge besteuert werden, und þ. die Erträge der ¿Börsensteuer vom Reiche den Einzelstaaten und von diesen den Provinzial-, resp. Kreis- und Kommunalverbänden überwiesen werden; 2) event. wollen unsere Gesinnung8genossen im Reichstage noch in laufender Session einz Gefeßesoorlage nach den angedeuteten Gesichtspunkten einbringen.“ Zum leßten Punkt der Tagesordnung, die Gewerbeordnung im Sinne der Wiedereinführung der Innungen zu rev wurden folgende Anträge angenommen: „1) Die Wiederherstellung obliga- toriscber Innungen, welchen jeder Handwerker, der selbständig sein Handwerk betreiben will, nach Ablegung eines Befähigungsnach- weises beitreten muß, ift das einzige Mittel, um der immer fort- \reitenden Auflösung des Handwerkerftandes entgegenzutreten, der jeßigen Not)lage desselben abzuhelfen. Sie ist die nothwendige ge- sebli&e Vorausseßung für die Ordnung der Handwerkerverhältnisse. Eintrittsgelder für die Innungen und etwaige Prüfungsgebühren sind möglichst uiedrig zu bemessen. 2) Jeder Gesell muß (nicht blos bis zum 21. Jahre) ein Arbeitsbuch führen, 3) Herbergen zur Hei- math sind dringend zu empfehlen, wünschenswerth wären kleinere fachverbändliche Herbergen mit christlibem Prinzip. 4) Das Verbot der Sonntagsarbeit if (nah dem Antrage Stumm) auch auf die Werkstatt auszudehnen: „Die Gewerbetreibenden können ihre Ge- sellen, Lehrlinge und Arbeiter an Sonn- und Festtagen nicht verpflich- ten; sie dürfen dieselben (dringende Nothfälle ausgenommen) an Sonn- und Festtagen in Fabriken, Werkstätten und bei Bauten nicht beshäftigen 2c." 5) Vor die Janung gehören in erster Linie die gewerblichen Streitigkeiten. Sie haben die Ordnung in den Gewerken aufrecht zu erhalten, die Ausbildung der Lehrlinge zu leiten, das Ver- mögen der Innungen zu verwalten, 6) Die Innungen haben neben den Sterbe-, Kranken- und Unterstüßungskassen für ihre Mitglieder - Kreditinstitute zu gründen (beshränkte Solidarhaft, niht nah Schulze- Lelibs{, sondern wie Westfälishe Bauernkassen und Handwerker- kreditfasse in Magdebura, wo auch an Stelle des Bürgen die In- nung eintreten kann). Als letztes Ziel is die Baarzahlung anzu- streben, damit das Handwerk mehr und mehr dahin kommt, weder Kredit zu begehren, noch zu gewähren.“ Hierauf {loß der Vor- sißende, Freiherr von Mirbach, die Sißung mit einem Hoch auf Se. Majestät den Kaiser.

Im Residenz-Theaier eröffnete gest.rn Fr. L:winsky-Preh- eisen vom Hoftheater in Cassel ein Gastspiel in einem vieraktigen Lustspiele „Die Junggesellensteueir“ von Julius Wolff, welches hier zum ersten Male in Scene ging. Der Verfasser, welcher sich bereits durch lyrishe und epishe Dichtungen, so namentlich durch seinen „Rattenfänger von Hameln“, vortheilhaft bekannt gemacht hat, - hat mit dem Stück in Rede den ersten Schritt auf die Bühne ge-

than. Das genannte Lustspiel soll hon mehrere Jahre alt sein, und ist nach Zeitungsnachrihten auf anderen Bühnen mit gutem Erfolge gegeben worden. In dem ganzen Bau des Stückes macht sich noch der Anfänger stark bemerkbar; für vier Akte fehlt eine ausreihende Handlung und das Episodenhafte nimmt einen zu breiten Raum ein. Die beiden Angelpunkte der Handlung bilden ein junges Mädchen, die Schwester eines Privatdozenten, und ein junger begabter Bildhauer, der zugleiÞß Dichter ist und durch dessen Gedichte vornehmlih die junge Dame zu etwas ver- \{hrobenen Ansichten über die Liebe gekommen ift ; sie verlangt für die Liebe volle Freiheit und hat sih daher fest vorgenommen, ihre Liebe nie durch eine Ehe zu binden. Im Grunde aber ist sie eine edle Natur und durch die wahre Liebe zu jenem jungen Bildhauer wird sie dann {ließlich auch von ihren verkehrten Ansichten bekehrt und beide werden ein Chepaar. Diese beiden Gestalten sind dem Ver- fasser am Besten gelungen und hatten in Fr. Lewinsky und Hrn. Keppler treffliche Gectteier : der Dialog ist in diesen Partien forg- fältig gefeilt und gewählt und stellenweise wirklih poetisch, anmu- thig sind ein Paar eingestreute Gedichte aus der Feder des Verfassers, welhe von Fr. Lewinsky mit vielem Ausdruck vorgetragen und lebhaft applaudirt wurden. Die Fizuren, welche der Verfasser neben jencm Paare auftreten läßt, sind nur sehr sfizzen- und s\cchablonenhaft behandelt und erheben sich nicht über das Niveau der vielfah gebrauhten Bühnen- figuren. Da ift ein Landralh a. D., welcher eifrigst darnah strebt, in den Reichétag gewählt zu werden, um dort in seiner Jungfernrede einen Antrag auf Einführung einer Jun gesellen- steuer zu vertheidigen. Er wird natürlich niht gewählt, dafür aber seine Gattin zur Vorsißenden irgend eines Wohlthätigkeitsvereins. Da ist ferner ein sehr zerstreuter Privatdocent, eine keineswegs neue Theaterfigur, welcher aber Hr. Beckmann durch seine wirksame Darstellung manchen interessanten Zug verlich, und weiter ein junges Ehepaar, ein Affsessor und seine Frau, welche durch Verwechfelung von Fächer, Blumen und einem Gedicht in Eifersucht gegen einander gerathen; dieses Paar wurde von Frl. Wienrih und Hrn. Haack recht beifallswerth gespielt. Was sonst noch von Personen in dem Stüde auftritt, ist vom Uebel; ein frömmelnde Köchin, die alle, welche mit ihr zusammenkommen, bekehren will, ist eine bei den aaren herbeigezogene geschma@cklose Karrikatur ohne allen Humor; ebensowenig einen erfreulichen Eindruck „mat die stark verzerrte Zeichnung zweier âlteren Fräulein, welche ohne allen Zweck für die Oekonomie des Stückes aus der Rumpelkammer alter abgenußter Bühnenschablonen hervorgesuht sind. Das glatte, fließende Zusammenspiel, dur welches sich das Residenz- Theater auszeichnet, brachte die lichten Theile des Stückes, die ein bemerkenswerthes Talent bekunden, zu voller Geltung, und erwarb

der Lieferung die Ueberschrift zu den „Jnventionen“, der kalligraphish ausgeführte Titel für das „Wohltemperirte Klavier“ und das dur

nach feinem Reiseziel n konnte. Das Ober - Seeamt legt dem Schiffer aber noch ferner zur Last, daß er 1) es unterlassen hat,

sich wiederholten lebhaften Beifall. Mit den Darstellern wurde au der Verfasser nach. dem dritten und vierten Akte gerufen.