1880 / 63 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 13 Mar 1880 18:00:01 GMT) scan diff

ro 1878,

mission, Grafen Loris-Melikoff, übergegangen, nachdem die Demission des. Generals von Drentelen unter seiner Ernennung zum Mitglied des Reichsraths angenommen worden ist. Der Graf Loris-Melikoff leitet in oberster Jnstanz die dritte Ab- theilung, deren Funktionen bestehen bleiben. i St. Petersburg, Sonnabend, 13. März. Der Eisen- bahnzug, mit welchem Se. Königliche Hoheit der Herzog von Edinburgh von hier abgereist ist, ist 400 Werst von St. Peters- burg mit einem Güterzuge zusammengestoßen ; zwei Waggons Ì aaias zerbrochen, ein weiterer Unglücksfall ist niht vorge- ommen.

Statistische Nachrichten. Dem uns zugesandten fünften Jahresberiht des deutsben Hülfsvereins zu Nizza für das Jahr 1879 entnehmen wir fol- gende Daten: Im Jahre 1879 gingen von 114 Mitgliedern und Ehrenmitgliedern Beiträge von 2471 Fr. ein; an freiwilligen Beis- trägen wurden von 99 Nichtmitgliedern (je unter 10 Fr.) 444 Fr. 50 Ct. gezahlt; die Einnahme von Zinsen und Coupons betrug 152 Fr. 15 Ct.; das Kapitalvermögen der Gesellshaft betrug am 31. Dezember 1879 haar 943 Fr. 80 Ct. und 3000 Fr. 5 9% Oblig. der Société générale. Unterstüßt wurden 436 Personen bis zur Höhe von 20 Fr. mit 1529 Fr. 15 Ct.; 14 Personen wur- den mit Reisegeldern im Betrage von 614 Fr. unterstüßt; 10 Dar- lehen wurden mit Verpflihtung der Rückzahlung gewährt mit 805 Fr. Die Ausgaben von Drucksachen, Porto und Ankauf von Bureau- materialien betrugen 254 Fr. 5 Ct. Es wurden unterstüßt von der Kafse des deutschen Hülfsvereins zu Nizza: Im Jahre 1875 129 Per- sonen mit 3841 Fr. 39 Ct.; im Jahre 1876 171 Personen mit 2879 Fr. 55 Ct.; im Jah e 1877 209 Personen mit 2837 Fr. 25 Ct. ; im Jahre 1878 288 Personen mit 2837 Fr. 30 Ct. ; und endli im Jahre 1879 461 Personen mit 3156 Fr. 40 Ct. Im Zweizvereine zu Cannes betrugen im Jahre 1879 die Beiträge 450 Fr.; das Kapitalvermögen betrug am 31. Dezember 1879 506 Fr, welche zu 5 9/0 belegt sind. Unterstüßt wurden 208 Personen, geg.n 102 Per- sonen im Jahre 1878. Es wurden an Unterstüßungen verausgabt: für Schuhe 306 Fr., für Hemden 129 Fr., für Strümpfe 14 Fr., für eine Blouse 2 Fr. 50 Ct.; ferner wurden für Verpflegung von Kranken an das Asile Evangelique 84 Fr. gezahlt.

Land- und Forstwirthschaft.

Die Kalisalze und ihre Anwendung in der Landwirth- chaft, von Dr. Max Maercker, Vorsteher der Versuchsstation und außerordentlicher Professor an der Universität zu Halle a. S. Berlin 1880. Verlag von Wiegandt, Hempel & Parey (Verlags- buchhandlung für Landwirthschaft, Gartenbau und Forstwesen). Die Staßfurter Kalisalze, deren Auffindung und begonnene Ausbeutung wan im Interesse der Landwirthschaft mit großer Freud2 und weit- gehendjten Erwartungen begrüßte, haben die ursprünglih auf fie geseßten Hoffnungen nicht in dem Maße, wie dieselben gehegt wurden, erfüllt, Der Verfasser seßt in diesem Buche eingehend die Gründe auseinander, weshalb die Hoffnungen der Land- wirthschaft auf die Kalisalze niht erfüllt werden konnten, und giebt den Landwirthen den Rath, die Kalisalze nicht ungemischt zu verwenden , sondern nur im Gemisch mit anderen stickstoffhaltigen Düngmitteln. Ein Gemisch von Kalisalz, Superphosphat und Chili- falpeter, jedes zu gleichen Theilen, hat sih nah vielen, in Waldau, Tharand u. \. w. angestellten Versuchen besonders für Zucker-

_rüben bewährt, während für Kartoffeln ein Gemisch von Kalisalzen und Knochenmehl zu empfehlen is. Da man zur Zeit der Einfüh- rung dies.r Salze im Beginn der sechsziger Jahre shon ausreichende Untersuchungen über das Nährfloffbedürfniß unserer landwirthschaft- lichen Kulturpflanzen ausgeführt, und das Kali, wie auch Prof. Justus v. Liebig bestätigt hatte, als einen der nothwendigsten Nährftoffe neben der Phoësphorsäure und dem Stickstoff kennen gelernt hatte, hoffte man, wie der Verfasser auéführt, Seitens der Landwirthe dur die Anwendung der neuen kalihaltigen Düngemittel ähnliche Ertrags- steigerungen, wie dur den Gebrauch stick{toff- und phoësphorsäure- baltiger, künstlicher Düngemittel erreichen zu können; auch Seitens der Staßfurter Kali-Industrie rechnete man darauf, daß sich die Kalisalze ebenso, wie Phosphate und die stickstoffhaltigen Düngemittel, namentlich überall da cinbürgern würd: n, wo man die Landwirthschaft intensiv betreibe, und daß sie in ebenso großen Mengen wie jene verwendet werden müßten. Aber kaum jemals sind die gehegten Hoffnungen \{chmerzliher enttäusht worden, als damals alle Welt versuchte die Anwendung der neuen Kalisalze, jedoch nur, um dieselbe na einigen beobachteten Mißerfolgen wieder aufzugeben, Nur unter bestimmten engbegrenzten Verhältnissen, z. B. im leichten Sand- und Moorboden, wurden sfsofort durbschlagende Erfolge erzielt, in Folge deren cs den Kalisalzen gelang, sih auf diesen Bodenarten als regel- mäßig zu verwendendes Düngemittel einzubürgern. Die intensiven Wirthschaften der besseren Bodenarten dagegen kamen fast ohe Auznahme wieder von der Anwendung der Kalifalze zurück, obgleih der ungünstige Ausfall der- angestellten Ver- suche vielfach auf eine falsche Anwendung derselben zurüczuführen ist, was der Verfasser in diesem Buche ausführlich darlegt. Derselbe stellt nah vielen angestellten Versuchen fest, daß das Kalisalz nur mit anderen ftickstoffhaltigen Düngemitteln zu verwenden ist, daß aber die Mischung mit diefen Düngestoffen das Kalisay für die Landwirthschaft werthvoll und zur Erreichung des intensiven Betriebes nothwendig macht.

Gewerbe und Handel.

Snhaltlih einer im „Helsingfors Dagblad“ vom 6. März 1880 Nr. 63 enthaltenen Notiz hat die Forsby Sägverksaktie- bolag am 5. d. M. Konkurs angemeldet.

Die Internationale Bank in Luxemburg vertheilt für das Jahr 1879 eine Dividende von 109%. Für das Jahr 1878 wurden nur 7# 9/9 vertheilt.

Der Geschäftsberiht der Cölnischen Privatbank für 1879 bringt zunächst die Mittheilung, daß durch Allerhöchste Kabinets- Ordre vom 15, Oktober v. I. die in der außerordentlicen General- Versammlung vom 8. März 1879 beschlossene Statutänderung ge- nehmigt und somit die Dauer der Konzession der Bank bis zum 1. Januar 1891 verlängert worden ist. Während in früheren Jahren der Bankzinsfuß für Wechsel nicht unter 4/0 betrug nur 1876 stellte si derselbe für eine kurze Zeit auf 34 °/o ging derselbe im vorigen Jahre auf 3% zurück, und während alle vorhergegangenen Sahre auch Diskontosäße von 5% und darüber nahweisen, hat das Jahr 1879 nur 43% als höchsten Say zu verzeihnen. Bei solben Zinssäten konnte eine Verminderung der Zinserträge nicht ausbleiben; wenn troßtem eine Dividende von 6% zur Vertheilung gelangt, fo ist dies nur dadurch möglich, daß die üÜberhobenen Zinsen tür die nah dem 31. Dezember verfallenden Wechsel si - erheblich niedriger als pro 1878 berehnen und das Gewinnergebniß durch eine Entnahme von 15000 A aus dem Delcrederefonds verstärkt wird. An Thalernoten standen am 31. Dezember 1879 noch für 5490 Thlr. aus. Die Geschäftsumsäße mit Einschluß des Verkehrs auf Girokonto bei der Reichsbank und auf dem Notenecinlösungskonto in Srankfurt am Main beziffern fih in Einnahme auf 105 505 370 M, in Ausgabe auf 105 454 954 4, zusammen auf 210 960 324 4; pro 1878 betrugen diesclben 222 998 150 F Die Notencirkulation |{tellte sich im Jahre 1879 durchschnittliÞch auf 2245 300 # gegen 2359 600 M pro 1878. Die Gewinnberechnung stellt sich wie folgt: Zinseu von Wechseln, der Lombarddarlehne, im Inkafsoverkehr, diverse Provisioucn, zusammen 296456 H, hierzu die über- hobenen Zinsen des Wechselbestandes vom 31. Dezember 1878 57081 M, in Summa 353538 Hiervon gehen ab: die verausgabten Zinsen bei Begebung der Wechsel auf auêwärtige Pläße 15767 Æ, die Zinsen der nach dem 31. Dezember 1879 verfallenden Wechsel 33 753 #4, mithin Ein- nabme an Zinsen und Provisionen 304017 # gegen 337 365 M

319 017 A Davon kommen in Abzug: die Verwaltungsunkofsten inkl. Steuern 45455 M, Zinsen der Depositenkapitalien 79 600 4, Uebertrag auf Banknoten - Anfertigungskonto 2000 H, bleiben 191 961 A Hiervon bezieht der Aufsichtsrath eine Tantième von 6% mit 11517 Æ; von den alsdann verbleibenden 180 444 M er- halten die Aktionäre 62/4 Dividende mit 180000 4, während über- \chießende 444 #4 dem Konto der unvertheilten Dividende zugeschrie- ben werden.

München, 11. März. (Allg. Ztg.) Für die aus Anlaß der Abhaltung des vierten Deutschen Brauertages im Juli d. Is. hier zu veranstaltende „Ausstellung von Brauerei- maschinen und Geräthshaften“ hat das Staats-Minifterium des Innern die Ueberlassung des Glaspalastes genehmigt. Die Aus- stellung wird von allen Seiten sehr zahlreih beshickt werden und so in ihrer Art sicherlih nicht geringes Interesse bieten; ebenso steht für die Versammlung des Brauertags aus allen Theilen Deutsch- lands eine schr zahlreiche Betheiligung zu erwarten.

Hamburg, 12. März. . T. B) Die Direktion der Hamburg-Amerikanishen Packetfahrt - Aktiengesell- \ a q hat in ihrer heutigen Sitzung die Dividende auf 63 9% fest- gefeßt.

London, 11. März. (Allg. Corr.) Die Liquidatoren der City of Glasgow Bank zeigen an, daß sie am 23. d. M. eine weitere Dividende von 1 éb. per Pfd. Sterl. zahlen, wodurh die bis jeßt E Gesammtdividende die Höhe von 16 [sh, pro Pfd. Sterl. erreicht.

Berlin, 13. März 1880.

Das am 10. d. M. in der berichteten feierlichen Weise enthüllte Standbild der Königin Luise erhebt sih gegenüber dem Denk- mal Königs Friedrih Wilhelm I1T, in jenem von Seen und Ge- wässern durchschnittenen Theile des Thiergartens, welhen Natur und Kunst, bildende, Landschafts- und blumengärtnerishe, zum s{önsten des ganzen Parkes machen. Hier ist der unvergeßlichen Monarchin \con bei ihren Lebzeiten, nah ihrer Rülkkehr ime Jahre 1809, von den Anwohnern des Parks ein einfahes sinniges Denkmal errichtet worden: jener Altar, der sih auf der hinter dem Standbilde liegenden, durch einen Wasserarm davon getrennten „Luisen-Jnsel“, unter Trauerweiden fast verbirgt und alljährlih am 10, März und am 19. Juli, dem Geburts- und Todestage der Königin, liebevoll mit Blumen geshmüdcktzu werden pflegt.

Auch das eben enthüllte Monument ist, wie jene beiden anderen, eine Widmung der patriotischen Bürgerschaft der Residenz, welche da- durch ihrer Treue und Anhänglichkeit zu unserem Herrscherhause ein bleibendes \chöónes Zeugniß gestiftet hat und der Gedanke dazu durch die hundertjährige Wiederkehr des Geburtstages der Königin, am 10. Mär; 1876, angeregt worden. Aus der ausgeschriebenen Konkurrenz ging der durch seine weiblichen Porträtbildnifse wohl- berufene Bildhauer Erdmann Encke als Sieger hervor, dessen nah der Skizze lebensgroß ausgeführtes Modell Sr. Majestät dem Kaiser an Allerhöchstseinem 80. Geburtstage in der Schloßkapelle vorgestellt werden konnte und dann auch zur Ausführung in Marmor genehmigt wurde. Gottcs Gnade aber hat die Hoffnung des allverehrten Morarchen, daß es Ihm vergönnt sein möchte, das Bildniß Seiner in Gott ruhenden Mutter Selbst zu enthüllen, in Erfüllung gehen lassen. Und so wandern denn an diesen hellen, sonnigen Frühlings- tagen Tausende hinaus, um das s{hône Werk in Andacht zu be- wundern.

Die ganze Aalage des Denkmals war durch das Drakeshe Mos nument König Friedrich Wilhelms TI1, zu dem es ein Gegenstück bilden sollte, vorherbestimmt. Wie jenes ist es in weißem Marmor ausgcsührt und erhebt sich auf einem runden Sockel, der von einem sinnreih erfundenen Hochrelief umgeben ist; auch das Größenver- bâltniß des Ganzen it entsprehend. Das Denkmal zeigt uns die Königin als die edle Dulderin, welche als Fürstliche Mutter mit ihren Kindern und ihrem Hause, als Landesmutter mit ihrem ganzen Volke die Leiden des Krieges trägt und in Demuth das Haupt, niht vor dem Eroberer, sondern vor dem Allmälhtigen becgt, der so harte Prüfung geshickt. Fröm- migkeit, Demuth und mütterlihe Liebe, das sind die LTu- genden, welhe uns in ihrer ungebrochenen, hoheitvollen Gestalt entgegentreten: es ist die ageshihtlihe Persönlichkeit, welche durch ihre Heldenmüthigkeit im Dulden den Befretungskrieg entflammte. Diese historishe Individualisirung erstr:ckt sich auch auf die Kleidung. Ein glattes kurzärmliges Atlasgewand im Kostüm der Zeit fällt in großen s{chönen Falten über den Rand des Sockels hernieder. Das in leiser Wehmuth gesenkte Haupt ist mit einem Diadem geschmückt, welches einen Spißenschleier hält. Die rechte Hand s{ließt denselben über der Brust zusammen, während der linke in {öner Linie herniederbängende Arm das Ende desselben aufhebt. Den Gürtel ziert eine erblühte Rose.

Das Relief am Sockel schildert in bewegten, vortrefflich kom-

ponirten Scenen den Auszug der Krieger in den Befreiungskampf und den Abschied von der Familie, die liebevolle Sorge der Frauen um Verwundete und Kranke, die Trauer der Braut um dea Ge- fallenen und die Freude über die Rüdcktkehr des Siegers. Der Gesammteindruck ist ein wirklih erhebender und wird noch mehr gewinnen, wenn das herrliche Werk sich erst von dem Grunde des grünen Lauktverks wirkungsvoll abheben und von jenen gärtneri- schen Anlagen umgeben sein wird, die bercits in Angriff genommen worden sind.

Gestern wurde in der Dreifaltigkeitskirße das Jahresfest des Berliner Missionsvereins gefeiert. Nach einem Choral- gesange hielt der Hofprediger und Garnisonpfarrer Frommel die Festpredigt, der er die Worte aus Ev. Lucä 19, Vers 29 bis 31 zu Grunde legte. Hr. Prediger Jentsch erstattete alsdann den Jah- 1esbericht. Es sei bekanrt, daß es in keiner Stadt verhältnißmäßig so wenig Kircen gebe als in Berlin. Im Jahre 1571 habe Berlin 12 000 Einwchner und 9 Kirchen gezählt. Erst nah 100 Jahren, im Jahre 1678, als die Stadt {on 20 000 Einwohner hatte, sei die zehnte Kirche gebaut worden. Im Jahre 1850 habe es in Ber- lin ca. 350 000 erwachsene evangelische Einwohner und 32 Kirchen nebst 67 Geistlichen gegeben, und jeßt führe die amtliche Kirchenliste 50 landesfirchlihe Gotteéhäuser auf, während höchstens 120 Geist- lihe das Wort Gottes verkündeten. Und gerade in den großen Vorstadt-Gemeinden, in denen zume.st die 25 Stadtmissionen arbei- teten, zeige sich die größte Kirhennoth. Im Jahre 1820, als Berlin 200000 Einwohner zählte, hätteen nach glaubwürdigen Berichten 20000 sfonntäglich die evangelishen Kirchen be- suht, im Jahre 1850, als Berlin 400000 Einwohner hatte, habe man au» vyur 20000 Kirchgänger gezählt und jeßt bei 1085000 Einwohner dürfte diese Zahl auch niht größer sein. Die Geistlichen an den Kirchen aber seien dur die Amts- ges@äfte so in Anspru genommen, daß ein Einfluß auf die Volks- menge unmöglich sei. Hingegen sei die Fülle der anderen geistigen Strömungen, der Einfluß der Presse, der Literatur und Kunst, die Thätigkeit von gewerblichen und politishen Vereinen \o groß, daß die Krast, welch2 die Predigt ausüben können, kaum dem großen und bewegten Leben eine erkennbare Färbung gebe. Mit dieser kirch- lichen gehe aber die geistige, fittlihe und leiblihe Noth Hand in Hand. Im Jahre 1879 hatten die 25 Stadtmissionare 3114 Kinder, die noch nicht getauft waren; 1348 von diesen Kindern konnte der Segen der heiligen Laufe zugewendet werden, Im Jahre 1843 sei von der Oreifaltigkeitskirhen-Gemeinde der erfte Kindergottesdienst eröffnet worden, jeßt beständen in Berlin {on über 50, darunter 11, die von der Berliner Stadtmission gehalten würden. Ja diesen elf Sonntagsschulen versammelten sich sonntäglih etwa 1500—200) Kin- der. Mit der Sonntagsschule sei in vier Fällen noch eine Gesang- ftunde verbunden, an der etwa 630 Kinver theilnähmen., Auch der

nungetrauten Paaren, die die Stadtmission im vergangenen Jahre ermittelt hätte, sei bei 151 gelungen, fie zur Trauung zu bewegen. Im vergangenen Jahre machten die Missionare 47168 Besube und 4429 Krankenbesuhe. Das von dem Evan- gelishen Verein zur Förderung der Berliner Stadtmission herausgegebene „Berliner Sonntagsblatt“ zähle nahe an 15 000 Abon- nenten, die „Blätter aus der Stadtmission* über 3000 Abonnenten. Im. Jahre 1879 seien von den Berliner Stadtmissionaren 42 900 Traktate, 466 Bibeln und 290 Gesangbücber vertheilt worden. Au der christlihen Armen- und Gefangenenpflege habe die Berliner Stadtmissioz im vergongenen Jahre ihre ganz besondere Theilnahme zugewandt. Die Gesammtéinnahmen im Jahre 1879 bectrucen 76000 Æ, die Ausgaben 70077 A Der Hofprediger Stöcker sprach alsdann das Sclußgebet und den Segen, worauf die Feier mit einem Choralgesange \{loß. :

Die Sitzung der „Cypria“ vom 16. Februar 1880 eröffnete der Präsident um 8 Uhr. Zu Punkt 3 der Tagesordnung übergehend, ertheilte der Präsident zunäst dem Schriftführer Beckmann zur Berichterstattung über die leßte Ausstellung das Wort. Redner be- tonte in längerer Ansprache, daß die gehegte Hoffnung, daß der Kasse des Vereins in Folge des sehr zahlreichen Besuches der Auéêstellung ein größerer Üebers{uß zufließen würde leider nicht in Erfüllung gegangen sei, da die Ausgaben in Folge der größeren Aus- ftellungêräume diesmal bedeutend größer gewesen seien als bei den bieherigen Ausstellungen. Der Schaßmeister Scbotte verlas hierauf den Kassenberiht. Die Einnahmen betragen 16 442 M 50 S, die Ausgaken 16 229 4 65 H, so daß, wenn die noch nadträglih an- gemeldeten Forderungen beglichen, wohl s{chwerlich ein Ueberschuß zu verzeichnen sein dürfte. Auf Wunsh des Präsidenten gab der Scriftführer Wagenführ Kenntniß von dem Resultate der leßten Verloosung, welche alljährlich unter den Vereins- mitgliedern stattfindet. Nach demselben waren 11 Paar Tauben im Preise von 508 Æ und 11 Stamm Hühner im Preise von 776 M zur Verloosung angekauft. Betreffs Verleihung der goldenen Staats- Medaille Sr. Majestät des Kaisers und Königs gelangte cin Schreiben desStaats-Ministers Dr. Lucius zur Verlesung, nach welchem diese Me- daille dem Kaufmann Rudolph Ortlepp in Magdeburg zuerkannt worden ist. Nachdem Seitens des Präsidenten noch der Ehrengabe (Tafelaufsaßz in Silber) des Hohen Protektors, Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Carl, welche dem Kaufmann J. Beckmann hierselbst zu- erkannt war, gedacht worten, begann die Verlesung der Namen Der- jenigen, welhen sowohl Staats- wie Vereinsmedaillen und Chren- diplome zuerkannt worden find und erfolgte alsdann die Verthei- [Tung derselben an die anwesenden prämiirten Aussteller 1nd Mit- glieder, unter entsprechender Ansprache durch Hrn. Dr, Bodinus.

Der Stenographenverband für Brandenburg, Pommern und S{lesien erklärt sich zur unentgeltlichen brieflihen Unterrichts- ertheilung in der vereinfachten Stolzeswen Stenographie bereit, An- meldungen sind an den Vorsißenden des Verbandes, Max Bäler, Berlin 8W., Simeonstraße 13, zu richten.

Im Königlichen Opernhause gelangte gestern die Oper „Carmen“ von dem verstorbenen Franzosen Georges Bizet zur ersten Aufführung. Das Textbuch ist von der bekannten Firma Meilhac und Halévy nah einer Novelle von Prosper Merimée verfertigt. Es führt uns in das romantische, wenn auch niedrig geartete Schmugg- ler- und Zigeunerleben Spaniens mit seiner glühenden Leidenschast- lichkeit und Rauflust. Carmen ift ein Zigeunermädchen von dämo- nischer unwiderstehlicher S{hönheit, aber eben so großer Leich lebigkeit, welche einen jungen braven Soldaten in ihre Neße zu locken weiß, ihn zur Desertion und zu dem unehrlichen Lebenswandel eines Schmugglers verführt, s{ließlich aber, seiner überdrüssig, fih von ihm wendet und einem gefeierten Stierkämpfer ihr Herz schenkt. Noch ehe sie sib jedoch mit diesem vereinigen kann, fällt sie von der Hand des Eifersüchtigen, in dem Augenblick, als der Sieger trium- phirend die Arena verläßt. Nur dieser tragishe Schluß ist es, der zu der Vezeihnung Oper berechtigt; im Uebrigen hat das Werk beinahe ganz die lkeichtfertigen Allüren der Operette mit gesprohenem Dialog. Gleihwohl is dem Komponisten innerhalb des Rahmens der cinfahen Handlung, deren Motive \sih eigentlich nur vom Standpunkte füdlihen LTem- peraments ganz verstehen lassen, uns Nordländern dagegen, namentlich was die tolle Leidenschaft des Sergeanten José zu dem verworfenen Geshöpf, der Titelheldin, betrifft, troß des Zaubermittels der behexten Rose, die es ihm angethan haben foll, mehr oder weniger räthselhait bleiben vollauf Gelegenheiten zur musikalischen Verwerthung von Soldaten- und Stierkämpferaufzügen, Chören von Cigarre1tenarbeiterinnen und Schmugglern, sowie anderen größeren En- sembles und Ballets gegeben. Der heitere Grundzug des ganzen Stoffes denn die einzigen tragishen Charaktere sind José und die nur oberflächlich behandelte Figur der von ihm verschmähten Micaëla fommt in vielen pikant rythmifirten, mit französisherWerve empfun- denen, wenn auch nicht immer originellerfundenenNummern zum Ausdruck. Im Uebrigen hat der Komponist dur offenbar nationalen spanischen Weisen nachgebildete Arietten, Romanzen 2c. dem Ganzen Charakter zu geben verstanden; leider sind einzelne dieser Nummern aber für unser Ohr etwas fremdartig, ein Eindruck, der durch die bizarre Vnslrumentation, die si häufig in geradezu ohrenquälerischen chro- matischen Pafsagen gefällt, noch verstärkt wird. Anderes ist wirkli wohlgelungen und ron frappantem Nationalkolorit, dürste aber doch in Paris, wo die Nachbarn von der iberishen Halbinsel ja jeßt be- sonders gern gesehen sind und ihre als Maler und Komponisten in neuester pee sehr regsamen Vertreter einen gewissen Cinfluß ge- wonnen haben, mehr Eindruck machen, als auf uns Fernerstehende. In der eigenthümlihen Rythmisirung und den originellen Melismen mancher Nummern ist das Vorbild des talentvollen Paladilhe unverkenn- bar, manchmal aber neigte der Komponist auch stark zum niedrigen Couplet- und Buffo-ODperettenstil. Eine außerordentliche Wirkung that die Romanze des Picador, welche, von Hrn. Krolop prächtig ge- fungen, da capo verlangt wurdez auch der Marsch nebst Knabenchor, die hübschen Ballets im 2. und 4. Akt machen vielen Effekt. Im Ganzen aber dürfte dieser eigenartige Versuch eines Kompromisses zwischen der großen Oper und. der leihtgeshürzten Operette als ver- fehlt zu betrachten sein.

Das Werk war von Hrn. Musikdirektor Kahl sehr fleißig ein- studirt und ging troß der für eine Spieloper unverhältnißmäßig großen Schwierigkeiten, die es sowohl den Solisten, wie dem Chore und dem Orchester bietet, sehr glatt von Statten. Jn der Titelrolle brillirte durch ihr degagirtes Spiel Frl. Tagliana, welche aber leider stimmlih nit recht disponirt \{hien. Frl. Bettaque fand als Micaëla vielen und wohlverdienten Beifall ; die junge, bescheidene Künstlerin hat sehr beachtenswerthe Fortschritte gemacht und scheint für dic Zukunft noch Besseres zu versprehen. Die Damen Horina und Lammert als kartenlegende Zigeunermädchen hatten ein seh: gefälliges hübshes Duett zu singen. Hr. Ernst machte aus seiner ziemlich undank- baren Partie des José‘das Mögliche. Noch mehr Beifall aber, wie {hon berichtet, erntete Hr. Krolop als L tierkämpfer Eéëcamillo. Die Ausstat- tung, besonders des Zuges der Stierkämpfer und der Ballets im leßten Akt ist außerordentlich glänzend und in den Nationalko\iümen von über- zeugender Echtheit. Von den Ballets übte namentli eine von Frl. e A und Hrn. Burwig graziós getanzte Manola cine elektci- rende Wirkung.

Der Vorstellung wohnten Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin bei.

Redacteur: J. V.: Riedel.

Verlag der Erpedition (Kessel). Druck: W. Elsuex,. Vier Beilagen

Berlin:

ierzu Uebertrag vom Delkrederekonto 15 000 # ergiebt

verwahrlosten Kinder nehme sih die Stadtmission an. Von 919

(eins{licßlich Börsen-Beilage).

Preußen. Berlin, 13. März. Jm weitexen Ver- laufe der gestrigen (17.) Sibung trat der Neichstag in die erste Berathung der Ergänzung des Entwurfs zum Reichshaushalts-Etat (Etat der Reichs-Post- u nd Tele- graphenverwaltung) für das Etatsjahr 1880/81 ein; 1n diesem Nachtragsetat werden 15 000 é Gehalt und 1500 M Wohnungzsgeldzushuß für einen dritten Direktor im Reichs- postamt gefordert. ie Debatte leitete der Bevollmächtigie zum Bundesrath, Staatssekretär Dr. Stephan mit folgenden

Worten ein:

J habe nicht um das Wort gebeten, meine Herren, um die übliche Einleitung zu geben, weil es einer solchen bei der Ciafächheit dieser Vorlage wohl nicht bedarf; dagegen liegt es mir daran, dem Bedauern Ausdruck zu geben, daß es nit möglich gewesen ift, diese Forderung gléih mit dem Hauptetat zu verschmelzen und daß wir in die Lage gekommen sind, einen besonderen Ergänzungketat für diesen Posten nachträglich einzubringen; es hat dies aber an Umständen gelegen, welche zu verhindern, außer der Möglichkeit der Regierung lag. Die Etats für die einzelnen Verwaltungen und insbesondere auch für die Betriebsverwaltungen, müssen ziemlich früh im Jahre aufgestellt werden; der Ihnen vorliegende Etat ist innerhalb der Post- und Telegraphenverwaltung bereits im August v. F. vorbereitet worden. Schon damals hatte sich das Bedürfniß nad einer Verstärkung der Arbeitskräfte und einer mehr organischen Glie- derung der Geschäfte im Reichépostamt durch Einrichtung einer dritten Abtheilung geltend gemacht, indessen hatte man geglaubt, noch ein Fahr stch behelfen zu können, weil es der Regierung daran lag, im Etat für die jezi;e Periode keine Mehrforderung anzumelden. In- zwischen aber mate sih mit dem Herannahen des Winters nicht allein die gewöhnlihe, sondern eine ganz außergewöhnliche Anschwellung der Geschäfte bemerkbar, welche wesentli „ihren Grund darin hatte, daß in einer Zeit, die mit der Rückehr des Herrn Reichskanzlers von Wien zusammenfiel, ein lebendigeres Vertrauen in der Geschäftswelt stch accentuirte, das auch sofort seinen Auédrut in dem steigenden Post - und namentli in dem zunehmenden Telegraphenverkehr fand. Es ift seit dieser Zeit eine ungewöhnliche Steigerung der Geschäfte eingetreten, der wir u. A. auch zu danken haben, daß der Abschluß der Postvcrwaltung, soweit er bis jeßt vorliegt, bis Ende Fanuac d. I. schr günstige Ergebnisse aufweist. Der Etat seßt bis Ende Januar aus einen Reinübershuß von 13 019131 M, es sind aber aufgekommen 15 173 862 4 Es ergiebt sich hieraus. daß die Verwaltung bis: Ende Januar einen Mehrüber|chuß gegen den Etat von 2 154 731 Æ aufgebracht hatte. Es kann das natürlich niht ohne eine erhebliche Steigerung der Gesäfte geschehen. Außerdem war erforderlich, daß diese Vorlage noch weitere Stadien als die sonsti-

en die Etatsberathung vorbereitenden Stufen zarückzulegen hatte; ie war nicht einzubringen ohne die besondere Genehmigung des Herrn Reichskanzlers, und dann mußte noch an die Allerhöchste Stelle berichtet werden. Hierin, meine Herren, und nicht in einer man- gelnden Rücksicht auf die dur die Zeit bedingten Ges&äftsverhältnisse des hohen Hauses liegt der Grund, daß es uns nicht mögli ge- wesen ist, diese Vorlage gleih bei dem Hauptetat mit einzu-

bringen.

S hoffe, daß Sckchvon der Nothwendigkeit überzeugt sein wer- den. und es bleibt mir {ließli nur noch übrig, mcinen Dank dafür auszudrücken, daß das Präsidium diesen Gegenstand mit der heutigen Tagesordnung, auf den auch der Postetat steht, verschmolzen hat und daß das Haus dieser Tagesordnung gestern seine Geneh- migung ertheilt hat.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, daß es allerdings auffallend sei, daß jeßt eine Veränderung vorgeschlagen fei, nachdem der Etat bereits aufgestellt gewesen sei. Bei der shon in den leßten Monaten des vorigen Jahres erfolgten Etats3- aufstelung müsse also das Bedürfniß nicht o dringend empfunden worden sein. Ob dieser neue Ministerial-Direktor mit der Reise des Kanzlers nah Wien in irgend einen Zu- sammenhang gebracht werden könne, sei ihm do zweifelhaft. Wenn man den Aufschwung, der sich gezeigt habe, mit der Reise nah Wien in Zusammenhang bringe, o fônne man das ebenso gut mit dem seitdem in Deutschland in manchen Gegenden ausgebrochenen Nothstand. Er halte Schlüsse nah der einen wie nah der anderen Richtung nicht sür angezeigt. Wenn aber wirklih eine bedeutende Vermehrung der Geschäfte im Postressort eingetreten sei, dann müßte sie doch vor Allem in den untersten Jnstanzen fühlbar sein, und er vermöge nicht einzusehen, wie diese Jnstanzen“ durch die Anstellung eines Ministerial-Direktors von ihrer zu großen Arbeitslast befreit werden sollten. Diese neue Stelle, sagten aber auch die Motive, sei darum nöthig, weil der Generalpostmeister um Staatssekretär ernannt sei. Das sei nun {wer ver- Kändlich, denn unter einem Staatssekretär könnten ebenso gut zwei wie drei Ministerial-Direktoren arbeiten. Er be- dauere au, daß der Titel „Generalpostmeister“, welcher alten deutshen Traditionen entsprehe, aufhören solle. Ueberhaupt ändere der Träger dieses Amtes seinen Titel so oft, daß ex um Entschuldigung bitten müsse, wenn er sich in der Bezeihnung irren sollte. Habe etwa die Erhebung des Postchefs in die Reihe der politi- \hen Minister eine politishe Bedeutung, so gefalle sie ihm noch weniger. Das Hineinziehen der Postverwaltung in eine politische Stellung sei weder sür die Politik noch für die Post von e Kun, denn eine tehnishe Behörde arbeite um so besser, je ferner sie der Politik stehe. Man habe es schon be- dauern können, daß das Stellvertretergeseß nah der Richtung eine Aenderung erfahren habe. Es gebe nun gen den obersten Chef dieser tehnishen Behörde gar keine Beschwerde- Instanz. Beschwerden gegen] die Post an den Reichskanzlex würden vcn dem Vertreter desselben, Stephan, eröffnet und seien natürlih wirkungslos. Jn dieser Lage befinde sih nicht nur das Privatpublikum, sondern auch die Ober-Rehnungs- kammer: erhebe sie Monita gegen die Post beim Reichs- kanzler, so bekomme sie vom Reichskanzler in Vertre- tung Stephan die Antwort, es sei kein Grund zu der Beschwerde. Am meisten gefalle ihm noch, daß mit der Titeländerung keine Gehaltserhöhung verbunden sei und in der Hinsicht sei er dankbar, knüpfe aber die Mahnung zur Vorsicht für das nächste Jahr daran ; denn in dem Augen- lick, wo die Regierung einen neuen Etat vorlege und eine Gehaltserhöhung nicht verlange, erkläre sie selbst, daß aus der Aenderung eine Gel altserhöhung von 24 000 auf 36 000

A | Erste Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Slaats-Anzeiger.

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Stelle, déren Nothwendigkeit er niht einzusehen vermöge, zu bewilligen. ' Der Abg. Dr. Lingens stimmté dem Abg. Richter in- allen Punkten bei und bedauerte, daß das Haus eines“ seirièr Mit- mf welches sih' dec Sens des Postetats mit großer iebe ‘zugewendet ‘habe, verloren häbe ‘(den Abg. Dr. Nieper); es wäré demselben 'vielléiht gelungen, au ‘in ‘diesem Jahre die Vorberathung des Etats der Post- und Télegraphenver- waltung in einer besonderen- Kommission zu! bewirken. Der Staatssekretär Dr. Stephan entgegnete, ‘er habe nicht gesagt, daß die Reise des Reichskanzlers näch Wien ‘ber Grund dées steigciiden Verkehrs * gewesen sei, sondern nur “daß die Steigerung ‘zeitlich ‘damit zusaminenfälle. Ob es besser ge- wesen wäre, diese Aeußerurg zu unterlässen, daxüber sei “er alléin ‘sein eigener Richter. Die Aenderung des Titels sei ledigli einé nominélle, in det ‘staatsrehtlihen und politishen Stellung des Chefs der Postverwaltung werde dadurch ‘its geändert. __ Damit {loß die erste Lesung. Jn der zweiten wurde die im Nachträgsetat gefsorderté dritte Direktorstelle mit 107 gegen 105’ Stinimen bewilligt. Es folgte der Etat der Reihspost- und Tele- graphenverwaltung und zwar zunächst ‘Einnahme, Kap. 3, Tit. 1, “Porto- und Telegrammgébühren 119 Millio- nen Mark. Die Kommission s{chlug durch ‘ihren Referenten, Abg. Frhrn. zu E, vor, * diese Summe auf 120 Millionen Mark zu erhöhen. Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, es verläute, daß die Postverwaltung damit umgehe,“ einé Einschränkung der Büief- bestelung am Sonntag in Berlin eintreten zu lassen. Er wolle sich R erlauben, ob’auch künstig die Sicherheit bestehe, daß in Berlin die mit den Nächtzügen ankommenden "Briese noch am Sonntag Vortmittäg béstellt würden. Der Bundeskommissar “Geheime Obér-Postrath Kramm entgegnete, és bestehe ‘die Absicht, die jeßt zweimalige Bries- béstellung am Sönntag | auf eine einmalige zu beschräüken. Das werde allerdings zur Folge haben, daß ein Theil“ der Briefe, die jeßt noch Sonntags in die Hände des Publikums gelangten, bis Montag liegen bleibe. Die mit den Nacht- zügen eingehenden Briefe würden zum größten Theil noch bestellt werden, nur die aus dem Westen kommenden Züge langten zu spät in Berlin an, so daß‘es nicht möglich sei, sie bei einmaliger Bestellung noch am Sonntag in die Hände des Publikums gelangen zu lassen. Jn dringenden Fällen könne ja die Zustellung in: Wege der Eilbestellung erfolgen. Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, er gönne den Brief- trägern jede Erleichterung und jedo Ruhe, besonders am

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1880.

Diese Exemplifikatiónen auf Hamburg und Altona seien daher, soweit er die Verhältnisse “kenne, : verfehlt. Die Herren in 7 der ‘Provinz sollten doch mit immer ihren Maßstab an größere ‘Verhältnisse anlegen. Diese Herren aus ‘der Provinz verkennten «die: Bedeutung des Handels und er habe hauplsählich deswegen däs Wort'er- griffen , um einmal hier frei: vonder Leber weg seinem Herzen Luft zu machen. Den: Herren möge die Sache lächerlih erscheinen, für ‘die von :‘solhen ‘Maßnahmen betroffene Geschäftswelt' ‘sei es niht lächerli, sondern; im höchsten Grade ernst, weil“es sich um ihre vitalsten Fnteressen ändele. Sodann möchte er-jezt an»die Postverwaltung die rage richten, ob eventuell’ und inwieweit dieselbe gesonnen ei, den 'Bestellverkehr“ und die Geschäfte der Post in Hamburg Potccaipgt vel damit man nöthigènfalls Schritte dagegen thun ine.

Der Bundeskommissar entgegnete, das Vorgehen der Postverwaltung beruhe lediglih auf einem Beschluß des Hauses, der aber nit mit erheblicher Mehrheit, sondern-nur mit 125 gegen 118 Stimmen gefaßt sei. Man könne sich nicht verhehlen, daß die Sache große Bedenken habe. Die aus dem Osten und Norden und über: Breslau mit den Nachtzügen-.an- kommenden Briefe würden am! Sonntag noch: bestellt: werden, nit aber die mit dem Zuge von Lehrte und Frankfurt a. M. ankommenden. Wenn das Publikum das wisse, glaube er, könne feine Unsicherheit entstehen. Die Sache sei nur ein Versuch, es werde sich ja “ergeben, ob man damit zurecht- fommen könne, oder ob eine große: Zahl von Beschwerden hervortreten werde, die eine erweiterte: Bestellung ‘als noth- wendig erscheinen lasse. / j

Der Abg: Stumm bemerkte, ganz so s{hlimm wie der Abg. Möring die Sache in den Provinzen vargestellt habe, seï- sie do niht. Jn sehr vielen Fällen sei der Geschäftsverkehr: in Provinzstädten bedeutender und wichtiger ‘als in mancher großen Stadt. Alle Achtung vor Berlin und Hamburg; aber die Handels- untd Verkehrsinteressen Londons ständen thnen doch gewiß glei, und in London-würden die Briefe auch nur einmal ausgegeben. Was für London genüge, sollte doch auch für Berlin hinreichen. -Es sei nicht möglich, die Rücksicht auf die Sonntagsfeier der Postbeamten und die Verkehrsinteressen absolut zu vereinigen, entweder werde man mehr nach/)der einen oder nah der anderen Richtung hinneigen. Jede Rüd- fiht auf die Sonntagsfeier der Postbeamten ‘werde den Ver- kehr schädigen ‘und umgekehrt. Es komme auf die richtige Mitte an. “Um der Postverwaltung nah. dieser Richtung hin eine Direktive zu geben, dazu könne der Dialog zwischen dem Abg. Richtér und ihm-ztithi-dienen. “Der Abg. Richter-miöge

Sonntag, und er- bedaure hur, daßdie Zahl der freien Tage jeßt eine geringere geworden sei, aber er wünsche dot, daß man die Rücksicht auf den Verkehr nehme, daß am Sonntag mindestens die mit den Nachtzügen bis 71/, Uhr Morgens eintreffenden Briefe zur Bestellung gelangten. Eine solche Maßregel, wie die einmalige Briefbestellung, werde au zur Sonntagsheiligung nichts beitragen, denn man werde jeßt in der Provinz viel eher geneigt sein, die Briefe am Sonniag zu schreiben und aufzugeben, weil sie ja doch erst am Mon- tag in Berlin bestellt würden. Es sei doch höchst bedenklich, wenn die Hauptstadt des Landes im Verkehr mit den Pro- vinzen um 24 Stunden zurückbleibe.

Der Abg. Stumm konstatirte, daß das Haus der Post- verwaltung nur dankbar sein könne, daß sie der im vorigen Jahre durch die Majorität des Reichstages gegebenen An- regung gemäß die nöthige Rücksicht auf die Sonntagsfeier der Unterbeamten der Post genommen habe. Wenn der Abg. Richter meine, daß dur die neue Einrichtung, welche die Post getroffen habe, die Sonntagsfeier geschädigt werde, weil das Publikum alsdann des Sonntags Briefe reibe, so sei das nicht zuzugeben, denn das Briefschreiben könne die Sonntags- feier niht shädigen. Wohl aber werde die Sonntagsfeier da- dur geschädigt, daß eine große Anzahl von Beamten nicht blos während des Gottesdienstes, sondern den ganzen Sonntag über sich im Dienst befinde. Die Sonntagsfeier werde un- zweifelhaft durch die Maßregel der Postverwaltung gefördert und dieselbe komme damit einem Wunsche des Hauses nach.

Der Abg. Dr. Lingens erklärte sih mit den Ausführungen des Vorredners einverstanden. Das Haus habe im vorigen Jahre mit großer Majorität den Beschluß gefaßt, daß die Post- verwaltung die Einrichtung treffen solle, dur welche unter Wahrung der Verkehrsinteressen den Unterbeamten der Post die Möglichkeit geschaffen werde, in weiterem Umfange als bisher zu einer Sonntagsfeier zu gelangen. So wie die Ein- rihtungen biéher bestanden hätten, sei ihnen diese Möglichkeit an einzelnen Orten vollständig benommen, namentlich in Hamburg und Altona. j

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, er habe nichts gegen eine Schonung der Beamten, es müsse aber-das Verkehrs- interesse dabei berücksichtigt werden. Es frage sich, ob, nicht in diesem Falle die: Jnteressen des Verkehrs und die Rücksicht auf die Beamten vereinbar seien. Man habe eine solche Ein- rihtung {hon früher gehabt und sei \{lecht dabei gefahren. Für Berlin liege eine besondere Ershwerung des Verkehrs darin, daß die mit den Nachtzügen ankommenden Briefe ‘nicht mehr am Sonntag bestellt werden sollten. Die Herren aus dex Provinz möchten die Sache leichter nehmen, weil die Be- stellung der Briefe in den kleinen Provinzialstädten ja leichter sei als in Berlin. | i

Der Abg. Möring erklärte, auch er stimme mit den Vor- rednern in dem Wunsche überein, daß nicht blos den Post- beamten, sondern thunlichst allen Staatsbeamten möglichst viele Zeit zur nöthigen Erholung unter einer Bedingung zu ge- währen sei, daß Handel und Verkehr nicht darunter litten. Jn keiner Weise dürfe man die Post ermuntern, nun über das gegebene Maß hinaus ihren Beamten éine übergroße Ruhe

u gewähren. Dem Abg. Lingens, der hier auf Hamburg und Altona exemplifizirt habe, erwidere er, daß, soweit ihm die Ver- hältnisse bekannt seien, in Hamburg keineswegs am Sonntag dié Qa auf dem Postamt die gleichen gewesen seièn und noch seien, wie an den Wochentagen. er in Hamburg lebe,

nit nothwendig zu folgern sei. Jndessen diese Dankbarkeit könne ihn nicht so rühren, daß er sich veranlaßt sähe, diese

wisse, daß an Wochentagen auf dem Hauptpostamt 5, 6 und fi alter mit Beamten beseßt seien, an den Sonntagen nur einer.

einen bestimmten Antrag stellen, und es werde. fich: dann fin- L ob ‘das Haus bei seinem vorjährigen Beschluß stehen eibe.

Der Abg. Dr. Lingens berief sih zur Begründung seiner Ausführungen bezüglich Altonas auf einen Bericht der sles- wig-holsteinishen Provinzialsynode. Der Bundeskommissar habe mit Unrecht an die Zahlenverhältnisse der vorjährigen Majorität einen kritishen Maßstab" gelegt, zumal doch heute der dritte Direktor nur mit zwei Stimmen Majorität be- willigt worden sei. i j

Der Abg. Sonnemann führte aus, eine Ausgleichung zwishen den Bedürfnissen des Publikums und der Fürsorge für die Sonntagsruhe der Postbeamten halte er dadurch für mögli, daß ctwa die bis 8 Uhr Morgens per Nachtzug' an- fommenden Briefe vertheilt würden, ev glaube, daß damit die große Mehrheit des Hauses einverstanden sei. Seines Wissens und er habe ‘viel Vérkéhr mit Postbeamten sei es für dieselben viel wünschenswerther, für den Sonntag Nahniiitag eine Stunde frei zu bekommen, wenn’ sie auch am Sonntag Morgen eine Stunde länger arbeiten müßten. Sodann möchte er den Staatssekretär fragen, ob derselbe geneigt wäre, ‘eine in anderen Staaten bereits bestens bewährte Einrichtung, die der verschlossenen Brieffächer oder boxes einzuführen. Diese inwendig von dér Post ges{hlossenen ‘und von außen vom Publikum zu öffnenden Fächer bedingten eine außerordentliche Zeitersparniß für das Publikum, welches jederzeit seine Post- sendungen abholen könne, ohne warten zu müssen. Jn-Nord- amerika habe man diese boxes zuerst eingeführt; die Schweiz und sogar Japan sei dem Staatssekretär mit dieser Reform voraus; er habe dieser Tage einen Bericht über japanische Posteinrihtungen gelesen, worin es heiße, daß in größeren Städten diese boxes eingerichtet seien. i

Der Bundeskommissar Geheime Ober-Postrath Mießner erwiderte, die hauptsächlich in Nordamerika eingeführten letter-boxes seien der Postbehörde wohl bekannt und auch in Bremen praktis eingeführt worden. Diese Einrichtung habe fs bis jeßt aber noch nmicht in dem* Maße bewährt, daß sie

ih zur allgemeinen Einführung empfehle. Die Verhältnisse im deutschen Reichspostgebiete seien' anderer Natur als die in Nordamerika, wo nur Briefpostgegenstände befördert würden, wo es sich also nur um das Abholen einfacher Briefe?* und Kreuzbänder handele, während in Deutschland au Geldbriefe und Werthstücke zur Abholung kämen. ‘Bei diesen leßteren sei es do zweifelhaft, ob man déren Abholung, sowie die der einfahen Briefe gestatten könne. Die Einrichtung in-Bremen sei allerdings ziemli leiht vom Publikum aufgenommen wor- den. Jedenfalls könne er die Versicherung geben, daß, wenn die Einrichtung sich so ausgezeihnet bewähren sollte, wie namentlih von den nordamerikanishen Letter-box-Fabrikanten behauptet werde, dieselbe ‘au in Deutschländ weiteren Boden finden werde. i i Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, er könne das vom Abg. Dr. Lingens über die Se Gesagte" nur ‘voll- ständig unterschreiben. Alléin fréeilih sei die Postverwaltung \{werlich im Stande, die Sache in- wünschenswerthér Weise zu ordnen. Es sei hohe Zéit, daß von der höchsten ' Autori- tät herab erinnert werde an das Gebot: „Gedenke des Sabbaths, daß Du ihn ‘heili “mt ‘Das sei der erste! und wichtige Gesichtspunkt, dem f die anderen unterordnen müßten, das Gebot stehe über jedet Majorität, dann':solle “der Sonntag ein Ruhetag sein. Die Ruhe werde aber den Postbeamten und einer - großen ‘Reihe anderer Beamten- kategorien niht gewährt; ähnlicher Unfug bestehe in Fabriken,