1880 / 85 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 10 Apr 1880 18:00:01 GMT) scan diff

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 10. April. Fm weiteren Verlaufe der gestrigen (26.) Sizßung seßte der Reichstag die zweite Berathung des Geseßentwurfs, betreffend Ergänzungen und Aenderungen des Reihs-Militärgeseßes vom 2. Mai 1874 fort. Der Abg. Richter (Hagen) fkonstatirte, daß die erste Berathung des Etats und dieser Novelle wesent- lih unter dem Einfluß einer sehr pessimistishen Auffassung der auswärtigen Lage gestanden habe. Heute seien nun die Wolken niht mehr so s{hwarz, denn seitdem seien in so demonstrativer Weise zwischen dem Deutschen und dem Russi- schen Kaiser öffentliche Friedensversiherungen geweselt wor- den, daß heute auch die offizióse Presse nicht mehr die Unter- seidung zwischen persönliher und Staatspolitik aufrecht er- halten könne. Ja im Gegentheil sei ein Brief des Kaisers durch die Kontrasignatur des Reichskanzlers förmlih als Staatsakt er- shienen. Die französishe Regierung habe auch im Falle Pn gezeigt, daß sie die Möglichkeit einer Trübung des

erhältnisses zu Rußland gegen die Rücfsihten auf die inneren Parteikonstellationen zurückgeseßt habe. - Frankreich sei also von der Nüglichkeit einer Alliance mit Rußland keineswegs so überzeugt, wie die Pessimisten und Alarmisten in Deutschland es darstellten. Die Erklärung des Abg. von Bennigsen habe die Majorität für die Novelle bereits zur Evidenz festgestellt; die Kommissions- berathung habe sich also nur noch mit der Prüfung von Einzelheiten zu beschäftigen gehabt, wie mit der Verpflich- tung der Ersazreserve u. st. w. Die Opposition habe aber dergestalt um so mehr die Pflicht gehabt, sahliche Kritik zu üben, als die Minorität der Nationalliberalen und au ver- schiedene andere Gruppen in der Kommission unver- treten geblieben seien. Verschiedene Anträge, welche in der Kommission gestellt seien, unter anderen auch der, statt des Septennats die fünfjährige Periode einzu- führen, hätten niht die genügende Unterstüßung gefunden. Die Verhandlungen in der Kommission über die §8. 1 und 2 hätten sih daher im Wesentlichen auf statistishe Randglossen beschränkt, die allerdings vollständig klar gelegt hätten, daß der Abg. Graf von Moltke hier im Plenum unrichtige Ziffern und unrichtige Angaben vorgebracht habe. Bei der ersten Lesung habe er (Redner) den Historikern der „Preußischen Fahrbücher den Vorwurf gemacht, sie hätten die falshe Behauptung auf- gestellt, die französische Armee sei seit 1874 um 144 000 Mann in der Friedenspräsenzstärke erhöht worden. Nachher habe si der Abg. von Treitshke auf das Zeugniß des Abg. Grafen Moltke berufen, welches jene Behauptung glänzend be- stätige. Nun deckten si allerdings die beiden Ausführungen nicht, sondern der Aba. Graf von Moltke habe nur behauptet, die Präsenzstärke Frankreichs übertresfe die Deutschlands um 100 000 Mann. Jn der Kommission habe selbst die Regie- rung nur ein Mehr der französishen Friedenspräsenz von 30 000 Mann und der französishen Jnfanteriepräsenz, auf die cs hauptsächlich ankomme, von nur 8000 Mann behauptet. Dabei habe sie noch die Unteroffiziershulen und die Einjäh- rig: Freiwilligen außer Rehnung gelassen. Selbst nach der Statistik der Regierung erlange Deutschland jeßt wieder einen Vorsprung in der Jnfanteriepräsenz vor Frankrei. Viel- leiht vermehre nun wieder Frankreih seine Präsenz und so shraube sich denn ein Staat an dem anderen herauf. Er könne dem Beispiel des Abg. Graf von Moltke, auf sachlihe Ausführungen dex Gegner nicht einzuge- hen, nit folgen, weil ex nicht jene Autorität habe, für die es genüge, nur Behauptungen aufzustellen. Der Abg. Graf von Moltke habe auf die 38 FJnfanterie-Divisionen Frankreichs hingewiesen und habe daran die Behauptung ge- knüpft, daß Frankreich seit 1874 seine Kriegsformationen ver- doppelt habe. Nun habe aber Graf von Moltke selbst diese 38 Di- visionen schon 1874 im Reichstage ins Feld geführt, um eine Friedenspräsenz von 401 000 Mann zu rechtfertigen. Graf von Moltke könne also, da derselbe selbst hon damals diese Divisionen vorhanden gesehen habe, niht behaupten, daß ihr jeßiges Vorhandensein eine Verdoppelung der Heeresstärke seit 1874 bedeute und könne sich niht nochmals auf dieselben Divisionen berufen, diesmal für eine Präsenz von 427 000 Mann. Auch die Behauptung, daß Deutschland seit 1871 bei 1 Proz. der Bevölkerung stehen geblieben sei, erwecke einen falschen Eindruck. Erst seit 1871 umfasse das Heer 1 Proz. der Be- völkerung von Gesammtdeutshland. Demgemäß finde erst seit 1870 eine entsprehend starke Aushebung statt. Mit jedem neuen Jahrgang einer so starken Aushebung vermehre sich die Zahl der Kriegsdienstpflihtigen und erst im Fahre 1882 erreiche sie also shon auf Grundlage der bestehenden Drga- nisation das Maximum, Die Kommissionsverhandlungen hätten bestätigt, daß mit der größeren Zahl für den Krieg ausgebildeter Mannschaften auch jeßt wieder mehr Feld- formationen möglich seien, als 1874. Man habe dem Hause diesmal nit, wie 1874, eine Statistik der minimalen Kriegs- präsenz mitgetheilt. Der Militärverwaltung möge diese Taktik dem Auslande gegenüber richtig ersheinen. Aber wäh- rend man andererseits jene Maximalziffern veröffentliche, welche die französishe Ruhmredigkeit über die dortige Kriegspräsenz- stärke aufstelle, erhalte man in Deutschland einen falschen Ein- druck über das Verhältniß der beiderseitigen Kriegsstärke und komme sich {hwächer vor, als es wirklih der Fall sei, wodur man allerdings zu neuen Bewilligungen gelange. Fndeß der Schwerpunkt des Streites betreffe ja nicht die Kriegsstärke. Er habe das gleihe Jnteresse an einer starken Kriegsmacht. Er wolle nur nicht, daß für diesen Zweck im Frieden größere Opfer gebracht würden, als wirklich nothwendig seien. Er wolle nit, daß der Einzelne im Frieden länger bei der Fahne behalten werde, als für die Kriegsausbildung wirkli nothwendig sei. Auf die Friedenspräsenz Friedrihs des Großen und bis zum 30jährigen Kriege zurück sollte man sich nicht berufen. Denn Niemand werde doch die jeßige Kultur auf den damaligen Standpunkt zurückschrauben wollen. Dem preußishen Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht entspreche ein kleines Friedensheer im Verhältniß zum starken Kriegsheer. Abgesehen von den Jahren un- mittelbar nah 1815 und nah 1830 habe das preußische Heer niemals 1 Proz. der Bevölkerung erreiht und habe 1850, als zum ersten Male darlaîtértarisie Bewilligung erfolgt sei, 3/4 Proz. betragen. Die Gegenrehnung scheine die Militär- bevölkerung, also auch die Frauen und Kinder einzurehnen. Der Abg. Gneist habe Thatsachen mit einer Sicherheit be- hauptet, wie es nur Männern mäglih sei, die gewohnt seien vor einem Publikum zu sprechen, aus dem keine Widerrede begegne. Der Abg. Gneist könne, wie {hon der Kriegs-Minister von Roon einmal gesagt habe, Alles Caen was derselbe wolle und so habe derselbe denn auch bewiesen, daß die Mili-

tärlast jeßt 25 Mal so gering sei, als im vorigen Jahr- hundert und doppelt so gering als in Preußen. Die Zahlen des Abg. Gneist, daß das Militär 1000 Millionen, das gesammte Staatswesen 5000Millionen koste,seien ganz aus der Luft gegriffen. Nun werde immer auf Frankreih hingewiesen und man müsse hören, daß dieses Land eine viel stärkere Militärlast zu tra- en habe. Aber dieser Vergleich sei keineswegs zulässig. Dort eien viele Ausgaben im Militäretat aufgeführt, welche in Deutschland in anderen Etats untergebracht seien; z. B. figu- rirten dort im Militäretat 40 Millionen Franks für die Gensd’armerie Außerdem sei auch in Frankreih der Unter- halt des einzelnen Mannes viel theurer als in Deutschland. Auch sei zu berücksihtigen, daß in Frankreich die Friedens- Präsenzstärke durch zahlreihe Beurlaubungen fast immer um 30 000 Mann vermindert werde. Wolle man unter Berufung auf das französische Militärbudget etwa auch die Steuern, die hinter diesem Budget ständen, die Einführung des Tabakmonopols und Milliarden von Schulden bewilli- gen? Hier komme es vor Allem darauf an, eine Er- mäßigung der im Frieden so drücckenden Militärlast dur die Einführung der zweijährigen Dienstzeit herbeizuführen. Oesterreih habe diesen Winter auch 30 000 Mann beurlaubt unmittelbar nah der Allianz mit Deutschland. Er und seine Freunde wollten mit der zweijährigen Dienstzeit eine Ver- minderung der Friedenspräsenz um 50 000 Mann erzielen, indem nicht mehr wie jeßt 100 Mann pro Bataillon für das dritte Dienstjahr zurückbehalten werden sollten. Das Heer würde alsdann immer noch 360 000—375 000 Mann auf der Grundlage der vermehrten Cadres stark sein, also stärker noch, wie es bis 1875 thatsächlich gewesen sei. Gegen die zweijährige Dienstzeit habe der Abg. Graf von Moltke angeführt, daß dadurch die Cadres zu sehr geschwächt würden; aber derselbe berüdsichtige dabei nicht, daß die Cadres in Deutschland dann immer noch stärker seien als in Rußland und Frankreich. Jn dem Maße, wie die längere Dienstzeit in Deutschland zu- nehme, habe auch der Luxus zugenommen, den die Militärver- waltung mit Menschenkrästen treibe, der nicht mehr mit dem Werthe der Zeit im Verhältniß stehe und den zu beschränken man verpflichtet sei. Dahin gehöre die zwangsweise Verwendung der Mannschasten zu Offizierburschen, die von Fahr zu Fahr zunehme, zu Schreibern und zu Oekonomiehandwecrkern in den Werkstätten, was ih weder durch die Leistung, noch dur die Billigkeit rehtfertige, ebenso die Verwendung der Soldaten zu Küchendiensten, z. B. zum Kartoffelshälen. Der Luxus, der sih in Bezug auf die Spielleute der Regimenter einge- bürgert habe, und die Stärke der Musikcorps gehörten wahr- lih niht zur Wehrhastigkeit des deutschen Reiches. Auch die außerordentlihe Ausdehnung des Wachtdienstes müsse er moniren, das Aufgeben jedes einzelnen Ehrenpostens würde eine Verminderung der Präsenzstärke um 8 Mann zur Folge haben, und keine Bewachung sei weniger zuverlässig, dagegen fkosispieliger, als die durch die Wachtposten. Auch aus der Militärliteratur entnehme er, daß schon der Wegfall der Doppelgliederung, der für den Felddienst zweck- losen Dreigliederung, die Beschränkung auf die zwei Glieder, die Ausbildung wesentlich vereinfahen würde. Gewiß er- heishe das neue Gewehr besseres Zielen und Schießen, aber die Griffe seien dafür einfaher, wie vorx 40 Fahren. Grade Militärtehniker machten darauf aufmerksam, daß {hon eine 20 monatliche Dienstzeit genüge, wenn sie unter Benußung der günstigen Jahreszeit sich vom Februar bis zum September des - folgenden Jahres erstxecke. Dann erst stehe sie im. Verhältniß zur: einjährigen Dienstzeit der ge- bildeteren Klassen. Mit all dem wolle er nur darlegen, daß es auch auf diesem Gebiet keine absolute Wahrheit gebe. Man könne nicht sagen: Grade diese Friedenépräsenz- zier verbürge die nationale Existenz, während eine kleinere sie preisgebe. Ein Mehr oder Weniger sei hier miterheblihem Spielraum möglich. Hüte man sich, in so auswanderungslustiger Zeit die Militärlast noch mehr ohne Ausgleich zu steigern. Auf die unteren Volksklassen seien die neuen Steuern vorzugsweise efallen und falle die neue Militärlast fast aus\{chließlich. Die Zahl der Einjährigen bleibe dieselbe, aber wenn in einer Familie fh bisher noch zwei Söhne hätten freiloosen können, während der dritte gedient habe, so müsse vielleicht künftig auch der zweite Sohn 3 are dienen und der dritte werde als Ersaßtz- reservoist ausgebildet. Der Abg. Rickert wolle nah ihm, wie ihm gesagt wurde, besonders auf Frankreih hinweisen, welches ein weit schärferes Cadregese erlassen habe. Aber diese Analogie sei unzutreffend, weil dort die Exekutive in ganz anderer Weise beshränkt sei, als in Deutschland. Der Abg. von Bennigsen sei der Urheber des Kompromisses, welches das Septennat geschaffen habe und derselbe habe damals ausgeführt, daß es sich nur um die Konsolidirung der neu eingeführten Verhältnisse handele. Nun, um was handele es sih denn jeßt nah der Konsolidi- rung? Der Abg. von Bennigsen sage heute, daß aus Rück- siht auf die parlamentarische Lage die Bewilligung eintreten müsse. Was sei denn in dieser Beziehung für eine Ver- änderung erfolgt? Der Reichstag habe allerdings eine konser- vative Mehrheit. Erscheine etwa diese dem Abg. von Bennig- sen weniger zuverlässig? Oder etwa das Centrum? Der Papst habe ja erklärt, die Befolgung eines lebhaft bekämpf- ten Kirchengeseßes dulden zu wollen, Was noch mehr als die nachgiebige Haltung des Papstes ins Gewicht falle, das Centrum habe dem Reichskanzler im vorigen Jahre 130 Millionen neue Steuern und Zölle bewilligt. Das Ver- hältniß beider scheine also ein sehr gutes zu sein. Der Abg. Windthorst habe im vorigen Jahre geäußert, da die Nationalliberalen die Mehrausgaben bewilligt hätten, so sei seine Partei zur Vermeidung des Konkurses gezwungen, die Einnahmen zu bewilligen. Wenn sich die Herren nun weiter in die Arbeit theilten, Gelder zu bewilligen, die Einen zu den Einnahmen, die Anderen zu den Ausgaben, dann würde man in Deutschland jedenfalls weit kommen. Fn dem bekannten Briefe des Abg. Lasker heiße es, darin, daß in der nationalliberalen Partei die inhaltlihe Bedeutung der Sache urüdcktrete gegen die Taktik und im Bestreben, sich in der

ehrheit mit dem Reichskanzler zusammen zu finden, liege die gegen das vorige Jahr veränderte Stellung der national- liberalen Partei in der Steuerpolitik. Auch diese Kompromiß- taktik habe ja gewiß sahlihe Motive. Man wolle durch Kon- zessionen weitere Verluste von liberalen Errungenschafsten verhindern. Es sei also hier eine negative Kompromiß- taktik gegen die frühere positive, welhe liberale Ge- seße immer in kleinen Etappen habe herbeiführen wollen, die negative halte er (Redner) niht für rihtig, Der Abg. von Bennigsen sehe eben in der Politik nur die Kunst, das jedes- malige Fazit aus den Volksströmungen zu ziehen. Derselbe untershäße die Kraft der Ueberzeugung und das Gewicht

einer konsequenten Minorität. Er schäße eine über- eugungstreue Minorität viel höher; man brauche ja nur die

esultate zu betrahten, welhe das Centrum erzielt habe, Diese Frage sei darum keine Budgetfrage, sondern, wie der Abg. Frhr. von Stauffenberg sage, ein Merkmal in der kon- stitutionellen Entwickelung; und wenn sich auch viele Männer hier von der linken zur rechten Seite abwendeten, so ständen doch auch viele Namen von gutem Klange zu seiner Partei und das gebe ihm die Zuversicht, daß die Ansicht seiner Partei in weitere Kreise des Volkes dringen und schließlich zur Gel- tung kommen würde.

Der Abg. Rickert erklärte, obwohl es ihm widerstrebe, müsse er doh auf die leßten Worte des Abg. Richter kurz erwidern. Derselbe konstatire eine Veränderung in seiner (des Redners) Partei und finde in dem Briefe seines Freun- dcs Lasker den Schlüssel dazu. Der Leßtere werde es begreif- lih finden, wenn er auf diesen Brief hier nicht eingehe ; aber der Abg. Richter zwinge ihn, zu erklären, daß er die that- sählihe Unterlage dieses Briefes als richtig nicht anerkenne. Die darin aufgestellte Behauptung, daß die nationalliberale Fraktion des Reichstages in der Steuerpolitik ihre frühere Gesinnung geändert habe und daß in der Leitung eine Aende- rung eingetreten sei, stehe einfah im Widerspruch mit der Thatsache, daß alle Zölle, insbesondere diejenigen, die der Abg. Lasker nux im Auge haben könne, von zwei Drittel der Partei von vornherein abgelehnt seien, ehe noch der Francken- steinsc.e Antrag in Frage gekommen sei. Diesen Standpunkt habe die bedeutende Mehrheit der Partei während der gan- zen vorigen Session festgehalten. Die Sicherheit des Abg. Richter sei größer, als die Kraft der Ueberzeugung in feinen Ausführungen. Es sei eine unerhörte Behauptung, daß die inhaltlihe Bedeutung der Sache zurücktrete vor politischen Kombinationen, vor der Stellung der nationalliberalen Partei zum Reichskanzler. Mit] welhem Rechte habe der Abg. Richter einer Partei derartige Jnsinuationen ins Gesicht zu s{chleudern gewagt? Seine (des Redners) Partei wolle weder mit dem Abg. Windthorst um die Gunst des Reichskanzlers wett- laufen, no% mit dem Abg, MNithter um die Gun jener Kreise, an denen dem Abg. Richter mehr gelegen zu sein scheine, als an dem Beifall der nationalliberalen Partei. Die nationalliberale Partei werde sich freuen, mit der kon- servativen Parteien zusammen diejenigen Geseße zu Stande zu bringen, welche sie im Jnteresse des deutshen Vaterlandes für geboten erahte. Das werde die Politik seiner Partei in Preußen und dem Deutschen Reiche sein. Der Abg. Richter habe von der Grenze der liberalen Forderungen gesprochen. Wo fei denn diese Grenze? Wenn das Wesen des Liberalismus darin be- stehe, daß derselbe die Präsenzziffer auf 3 Jahre bewilligen könne, auf 4 Jahre nicht, so quittire er gern sein Mandat als liberaler Abgeordneter, das deutsche Volk werde darin den Unterschied zwischen ihm und dem Abg. Lasker nicht verkennen. Man habe schon am 6. April es in die Welt verkündet, daß er heute hier die Forderungen der Regierung vertreten werde zu einer Zeit, als er es selbst noch niht gewußt habe. Er halte es aber keineswegs für eine Schande, die Ansichten der ehrenwerthen Herren am Bundesrathstische zu vertreten, und er shäße sich glüdcklih, wenn er einmal in der Lage sei, mit dem Minister von Kameke übereinzustimmen. Wie wenig Gewicht der Rede des Abg. Richter beizumessen si, sehe man daran, daß der Abgeordnete seine die französische Heeres- verwaltung betreffenden Behauptungen nicht wiederholt habe, Es sei durch die offiziellen Mittheilungen des Ministers in der Kommission festgestellt, daß die französishe Kriegsarmee erheblich stärker sei als die deutshe. Es sei unbestritten, daß Frankreich finanziell und wirthschaftlih seine Kräfte anspanne und daß namentlih der Wille vorhanden sei, in kürzester Zeit aus dem französishen Volke das zu machen, was die deutsche Nation Gottlob schon sei, nämlih das Volk in Waffen, wel- he den heimatlichen Herd zu {hüten berufen sei. Die Aus- hebungen und Uebungen in Frankreich seien erstaunlih groß im Vergleich zu den deutschen. Deutschland habe im vorigen Jahre auf zwölf Tage 143 000 Mann zur Uebung einbe- rufen; Frankreih aber habe 213 000 Mann Reservisten auf vier Wochen und 149 000 Mann von der Territorialarmee U 18 Mode all0 200000 Mann mer als Deutschland einberufen. Dagegen sei die Forderung fein, Wenn no00 hi 120007. Mann CGLrsaL- reserve einberufen werden sollten. Der Abg. Richter lege den Nachdruck auf die dem Volke dadurch erwachsende wirthschastlihe Last. Wie stehe* das im Einklang mit dem Programm seiner Partei, welche sage: „Dieselbe wolle die volle Durchführung der allgemeinen Wehrpfliht mit mög- lihster Schonung der wirthschaftlihen und finanziellen Kräfte“. Die 12 000 Mann Ersatreserve seien nur eine bescheidene Annäherung an dieses Programm. Es sei überhaupt eine Jllusion, daß zur vollen Durchführung des Prinzips der allge- meinen Wehrpfliht niht größere Mittel nothwendig seien, als die jeßt für das Militär aufgewendeten. Er und seine Freunde und auch der Abg. Lasker seien der Ansicht, daß es für Deutschland nothwendig sei, jeßt den Anstrengungen Frankreihs und Rußlands zu folgen und dann sei es eine patriotische Pflicht, diese Vorlage zu votiren. Allerdings sei der deutsche Militäretat in 8 Jahren um ca. 80 Millionen er- höht worden, aber das sei nicht die Folge der großen Erweiterung der Cadres oder der Armee, sondern der N zum budget- mäßigen Standpunkte von dem der Armee s{chädlihen des Pauschquantums. Es sei eine Folge der gesteigerten Mate- rialienpreise, auf welche allein von 1874 bis 1879/80 421/, Millionen Steigerung komme. Eine ähnlihe Eischeinung zeige sih auch in den Civiletats und in jedem Privathaus- halt. Allerdings seien die 17 Millionen, welche jeßt mehr ge- fordert würden, eine große Last für das deutsche Volk und er bedauere, daß man bei den vorigen Wahlen Seitens der kon- servativen und der offiziösen Presse gegen die jehr energischen Proteste der national-liberalen Partei dem Volke das uner- füllbare Versprechen gegeben habe, man wolle die gesammten Mehreinnahmen aus der Steuerreform zu Steuererleihterun- gen verwenden. Ein solches Vorgehen sei durchaus nicht zu billi- gen. Die Steigerung der Militärlast in Deutschland sei verhält- nißmäßig bescheiden zu der in den übrigen großen Militär- mächten, da ja die deutshe Kriegsverwaltung in Allem sehr sparsam verfahre. Allerdings müßte man jeßt auh weniger luxurióös bauen. Frankreih habe für seinen Militäretat im Ordinarium im Jahre 1867 1340 Millionen, 1878 538 Millionen, 1879 553 Millionen, 1881 574 Millionen

ranken ausgegeben. Rußland habe für die Landarmee im ahre 1866 1161/2 Millionen Rubel, im © v ddt 1879 181 illionen Rubel, 1880 189 Millionen Rube M ubel.

also in 14 Jahren eine Steigerung von 70 Millionen Die gesammten Ausgaben für Landwehr und Marine betrügen

ausgegeben,

in Deutshland 1880/81 460 Millionen, in Frankreih 747 Millionen, in Rußland 664 Millionen Mark. Die Franzosen äben in den nächsten ahren ein paar Hundert Millionen ranken aus, um ihr Eijenbahnnez lediglih im militärischen nteresse strahlenförmig vom Centrum des Landes zur West- grenze zu führen, damit die erste Schlacht niht auf ihrem Gebiete geliefert werde. Dabei dürfe Deutschland nicht ruhig zusehen. Er versprehe sich von einem allgemeinen europäishen Areopag, der die Abrüstung beschließen solle, feine Resultate. Dagegen werde Frankreich mit seiner jeßigen Steigerung der Rüstungen bald an der Grenze seiner finanziellen Leistungsfähigkeit angelangt sein, eine sebr wichtige Thatsache für die allgemeine Abrüstung. Frankreich gebe außerdem für seine Schuldentilgung und Verzinfung so- viel aus, wie die ganze deutsche Armee koste. Deutschland habe fast gar keine Schulden, oder doch nur solche, welche dur das Aktivvermögen der Eisenbahnen gedeckt seien. Es sei unrichtig, daß die Steuerlast in Deutschland in den leßten Jahren in Folge der Militärentwickelung sehr gestiegen sei. Fn Preußen habe 1879/80 jeder Kopf der Bevölkerung eine Gesammt- belastung von 16—17 M, in Frankreich von 53 6 getragen. Warum sage man nicht auc diése Zahlen dem Volke? Frank- reih brauche einen großen Theil seiner Steuern zur Decung der für Militärzwede aufgenommenen Staatsschuld. So lange die Nachbarvölker ihre Nüstungen nicht eingestellt hätten, müsse Deutschland ihnen folgen im Jnteresse des Friedens selbst ; denn Deutschland werde für den Frieden nur wirken können, wenn hinter den Worten seiner Diplomaten sch{lagfertige Armeen ständen, die jeden Friedensstörer zur Ruhe bringen könnten. Fn wenigen Tagen könnte von einem solchen weit mehr vernichtet werden, als diese Mehr- belastung auf Dezennien dem Volke zumuthe. Die Ver- siherungsprämie, welche Deutschland zahle, gebe auch eine Gewähr dafür, daß Deutschland in der Stunde der Gefahr seinen Gegnern gewachsen sei. Die. wirthschaftliße Belastung sei au nicht so exorbitant, wie der Abg. Richter behaupte. 1815 habe das ershöpfte Preußen eine Friedenspräsenz von 1 Prozent der Bevölkerung, 1816 11!/, Proz., 1818 1,13 Pro- zent, 1822 1 Prozent, 1825 0,95 Prozent gehabt. Der Abg. Richter habe so sehr hervorgehoben, daß 1850 die Friedens- präsenz so heruntergegangen sei. Sei diese Zeit etwa das Ideal des Abg. Richter? Er und seine Freunde würden diese 17 Millionen bewilligen in der Hoffnung, daß der Kriegs- Minister auch davon überzeugt sei, daß die größte Krast einer Armee die ungeshwächte Finanzkraft des Vaterlandes sei. Deshalb würden er und seine Freunde in den kommenden Jahren durch ihre Beschlüsse beim Etat die Militärverwaltung zur größten Sparsamkeit nöthigen. Bei diesem Geseße sei das nicht möglich. Er wünsche mit dem Abg. Lasker, daß die Militärfrage recht bald aufhören möge, eine Parteifrage zu sein. Wünschens- werth sei ja fast allen Parteien die Herabseßung der Dienst- zeit erschienen ; aber die Regierungen würden einer Aenderung nicht zustimmen, und darum müsse man sich vorerst bescheiden. Sei denn nicht die ganze Geschichte des deutshen Volkes eine Reihe. von Kompromissen, habe denn jemals ein Einzelwille die Macht gehabt, Thatsachen zu ignoriren? Hätten nicht auch 1874 die Militär-Autoritäten erst nah langem Zögern die and zu dem Septennat, dem Kompromiß geboten? Stets werde ihnen dies zur Zierde, niht zum Tadel gereihen. Jm Jahre 1874 habe es der Abg. Richter als unerhört dargestellt, daß man die Präsenzziffer auf 7 Jahre festgestellt habe; so etwas sei in Frankreih, wie im ganzen übrigen civilisirten Europa unmöglih. Dieses Pathos habe heute gefehlt. Es habe si in Frankreih die Majorität gefunden, welche diese Unthat gegen den Konstitutionalismus begangen habe. Man habe dort noch viel mehr konstitutionelle Rechte geopfert, als jelbst diese Regierungsvorlage vom Reichstage fordere. Und in Frankreich sei doch der geseßgebende Körper souverän. Der Reichstag begehe also kein Attentat gegen die Volksrechte, wenn man in Anbetracht der gegenwärtigen politischen Lage eine siebenjährige Friedenspräsenzstärke bewillige, Er thue das niht auf die Aussage der militärishen Autoritäten, sondern nach seiner eigenen gewissenhaften Ueberzeu- gung. Diese Vorlage habe keinen aggressiven, sondern einen defensiven Charakter. Sie sei nothwendig für die natio- nale Stellung und Friedensmission Deutschlands, des Herzens Europas. Jn Deutschland existire keine Spaltung zwischen Soldaten und Bürgern. Das Volk sei entschlossen, was vor zehn Jahren mit so großen Opfern errungen sei, immer und gegen Jeden zu behaupten. Ueber die Mittel zu diesem Vin seien die Parteien verschiedener Ansicht, über das Ziel seien alle ca: Er aber glaube, daß diese Vorlage ein Mittel zu dem Ziele sei, den Friedensbemühungen des Deutschen Kaisers den rechten Erfolg zu geben. Das deutshe Volk werde diese Wünsche ratifiziren und mit dem Reichstage wie im Jahre 1874 auch diesem Septennate zustimmen. Er bitte, diese Vor- lage anzunehmen.

Der Abg. Dr. Lieber bemerkte, daß er nah dem brillanten Feuerwerk, welches der Vorredner soeben abgebrannt habe, wieder zur Sache zurückehren wolle; die Abgg. Rickert und Richter möchten ihren Streit unter sich ausmachen. Die Stel- lung seiner politishen Freunde zu dieser Vorlage sei dieselbe, wie zu der im Jahre 1874. Das Centrum werde sie ablehnen, nicht um die Wehrkraft des Reiches zu {hädigen denn der Abg. Rickert habe selbst anerkannt, daß es im Reiche keine Partéi gebe, welche die Armee schädigen wolle sondern weil seine Partei der Meinung sei, daß eine solhe Vermehrung des stehenden Heeres Angesichts der Stärke der deutshen Armee niht nothwendig und mit der C O Deutschlands nicht verträglih sei. Man habe als Hauptargument für die Vorlage angeführt, daß Deutschland bei seiner geographishen Lage einmal genöthigt sein könnte, nah mehr als einer Seite hin Front zu mahen. Das sei nur der Fall, wenn eine Koalition Deutschland angreifen sollte ; und er glaube nicht, daß die Militärverwaltung nah An- nahme dieser Vorlage die Garantie übernehmen wolle, daß die geplante Verstärkung ausreiche, auch einer Koalition gegen- über die deutshe Armee stark genug zu machen. Gegenüber einer Koalition werde man sich nur wieder durch eine Koa- lition shügen können und es werde Aufgabe der deutschen Ss sein, Deutschland eine solche Koalition zu sichern.

ieses Motiv, daß Deutschland nah mehrerenz Seiten Front machen müsse, sei also ohne Bedeutung. Daß Deutschland aber nach einer Seite stark genug sei, habe es im Kriege gegen Frankrei bewiesen. Das Deutsche Reich habe Elsaß-Lothrin- en annektirt, um sih gegen Frankreih zu s{hüßen; Deutsch- and habe die (bie Straßburg und Meh und troßdem sollte es sih vor Frankreich fürchten ? Da habe er nur die Ant- wort: „Bange machen gilt nicht!“ Wenn das Centrum die Vor-

lage ablehne, so dürfe man das nicht als Verleßung einer patrio- tischen Pflicht betrachten ; dagegen müsse er si E Die Vergleiche mit früheren Zeiten, in denen ein größerer Prozentsaß der Bevölkerung unter der Fahne gestanden habe, kämen eben so wenig in Betracht als die mit anderen Ländern ; man habe es mit den augenblicklihen Verhältnissen und mit den deutschen Verhältnissen zu thun, die allein maßgebend seien. Wenn das Centrum für die Steuervorlage gestimmt habe, so habe es dies gethan, weil es auf Kompensationzn gehofft habe, statt diesen seien aber Mehrforderungen im Militäretat ver- langt. Jm Jahre 1874 habe das Centrum auch einen Antrag eingebracht, die Friedenspräsenz in jedem Etat festzustellen, auf welche seine Partei auch die Einjährig-Freiwilligen anrechnen wollte. Das Centrum würde es, wenn man die jährliche Fest- stellung nicht erreichen könnte, vorziehen, für die dreijährige Feststellung zu stimmen, damit wonigstens jeder Reichstag ein- mal mit der Angelegenheit befaßt werde. Der Abg. Rickert sage nun freilih, man dürfe die Militärfrage nit zu einer Wahlsrage machen ; das deutsche Volk habe die Militärlast zu tragen, es müsse also auch befragt werden. Ebenso glaube er, daß die zweijährige Dienstzeit eine Forderung des deutschen Volkes sei, die befriedigt werden könne ohne Schädigung der Ausbildung.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath Staats-Minister von Kameke das Wort:

_ Meine Herren, ih. habe nicht die Absicht, in die Debatte so weit einzutreten, daß ich alle diejenigen Punkte, die hier gegen das Gesetz vorgebracht sind, widerlege. Ich würde damit Ihnen nur die Zeit rauben und denno viele Punkte gar nicht berühren könnén, weil sie zu zahlreih sind, Dagegen halte ih es für meine Pflicht, in Betreff zweier Dinge keinen Zweifel zu lassen, über die Art, wie die Regierung die Sachlage ansieht.

Erlauben Sie, daß ich zunächst einen Augenblick auf das ein- gehe, was'der Hr. Abg. Richter gesagt hat. Er hob hervor, daß die politische Lage seit der ersten Lesung sich so geändert hätte, daß die Stimmung, die damals für das Geseß sich geltend zu machen schien, jeßt nicht mehr in derselben Weise motivirt wäre. Dem muß ih erwidern, daß ih in dem erstzn Vortrage, mit dem ih das Gese hier eingeleitet, bereits ausgesprochen habe, daß nicht die augenblickliche politische Lage Veranlassung zu diesem Gesetz ge- geben, sondern die Voraussicht für die dauernde politische Lage, und für alle Situationen, in die unser Vaterland kommen könne. Jch gehe nit auf das ein, was der Hr. Abg. Richter über die Erspa- rungen, die zu machen wären, über die große Zahl der Wachen, der Musik u. \. w. gesprochen hat. Dies wird ja im Budget, weun dasselbe wieder zur Diskussion kommt, zum Austrag gebracht werden.

__ Dagegen hat der Hr. Abg. Richter von der Abkürzung der Dienst- zeit der Infanterie gesprohen und is ih hierin begegnet mit Aeußerungen des Hrn Abg. Lasker. Der Hr. Abg. Lasker sagt, daß nicht nur der Wunsch nah einer Abkürzung der Dienstzeit im Lande allgemein verbreitet sei was ih ja garz natürlih finde sondern daß sich durch alle Parteien bis in den rechten Flügel die Ueberzeugung verbreitet fände, man könnte die Dienstzeit der Infanterie abkürzen, ohne die Armee im Ganzen zu schädigen. Wie der Hr. Abg. Lasker sih ausdrückte, hindere nur ein mächtiger Wille daran. Dem gegenüber muß ih hier erklären, daß bei den Organen der Militärverwaltung die vollständige Ueber- zeugung besteht, daß eine Abkürzung der Dienstzeit der Fnfanterie nicht stattfinden könne, ohne die Armee zu {ädigen. Jch will Sie niht ermüden mit der Aufzählung der Detailgründe hierfür, ich Éönnte ja auch anfangen von einem Kolben der Soldaten vom Jahre 1815 und fortgehen bis auf das Gewehr, das wir jeßt haben; ich tönnte eine Menge Erfahrungen der neuesten Kriege ins Gefecht führen, es würde aber zu viel Zeit kosten, auch hier im Ganzen müßig sein, denn die spdes materiao für die Dienstzeit ist die Verfassungsurkunde, resp. das Geseß vom Jahre 1867, Eins muß ich aber sagen: der Herr Abg Richter führte für sich als Gewährsmann den französischen Kriegs- Minister an, der jeßt die fünfjährige Dienstzeit auf 40 Monate herabgeseßt hat. Die Sache liegt nicht ganz so. Der General Farre hat nicht die Dienstzeit herabgeseßt, sondern sein Vorgänger, der fortgegangene französische Kriegs-Minister hatte die Absicht, die Dienstzeit der Infanterie von 5 Jahren auf 2 Jahre 19 Monate herabzuseßen, also auf diejenige Zeit, die wir ja für diejenigen Leute, welche am längsten dienen, noch haben. Die Absicht is nicht zur Ausführung gekommen, und als man dem jeßigen Kriegs-Minister zumuthete, dies zu bewerkstelligen, hat er erklärt: ih kann einen Infanteristen in 3 Jahren nicht ausbilden, dazu brauche ih 3 Jahre 4 Monate, das ist das Minimum. Die première portion in Frank- reih wird also von jeßt ab 40 Monate dienen.

Nun sagt der Hr. Abg Richter, welcher sehr gut rechnen kann, wenn man hieraus eine Durcbschuittsdienstzeit berechnet, so wird sie kürzer als die in Preußen. Die deuxièm3 portion betrug nämlich in früheren Jahren eine große Quote. Bis zum Jahre 1877 betrug die première porsion 76 749 Mann und die deuxième portion 55 192 Mann. Rechnen Sie die erste mit 5 Jahren und die letztere mit 6 Monaten, so wird der Durchschnitt der Dienstzeit heraus- kommen. Jett hat abec der General Farre, nachdem die Abkürzung der Dienstzeit eingetreten ist, die Sache derart geändert, daß die première portion von 760C0 auf 116 426 Mann erhöht und die deuxième portion von 55 000 auf 18000 herabgeseßt worden ift. Wenn Sie nun erwägen, daß außerdem die deuxième portion nicht mehr wie früher 6 Monate, sondern 1 Jahr dienen muß, so werden Sie mir zugeben, daß dies nicht als Beispiel angeführt werden kann, wenn es sih darum handelt, die bei uns bestehende Dienstzeit zu bekämpfen. Nun, meine Herren, die zweite Sache, über die ih zu sprechen habe, betrifft das Septennat. Die Herren erinnern sih, daß im Jahre 1874 Seitens der Regierung für die Festseßung der Prozentziffer die dauernde Bewilligung d. h. bis zu einer Aenderung durch Geseß ge- fordert wurde. Auch jeßt noch steht die Regierung auf dem Stand- punkte, daß sie glaubt, die dauernde Festseßung wäre dem Institut der Armee am zweckentsprehendsten. Ein Organismus, wie unser Heer, darf auch in der Ziffer niht in unsicherem Zustande sein, Eine Unsicherheit darin erzeugt eine Minderung des Selbst vertrauens in der Armee, es hemmt jeden Sre und hindert die Verwaltung, zweckgemäß und mit richtiger Voraussicht zu wirthschaften; ferner kommt dazu, daß sie auch das Vertrauen des Volks in den Schuß, den ihm die Armee gewähren soll, mindert. Nur die dauernde Sicherheit des Bestandes vermag nach unserer An- iht der Armee innere Tüchtigkeit und Selbstvertrauen und die Ach- tung des Volkes zu geben. enn nun im Jahre 1874 die verbün- deten Regierungen auf das Kompromiß mit dem Septennat ein- gegangen sind, so ist es geshehen, um den konstitutionellen Bedenken eines großen Theils dieses Hauses gegen die ewige Präsenz- ziffer gerecht zu werden. Man ift das Kompromiß eingegangen, welches der Reichstag anbot, zwischen der geforderten dauernden und der von einigen Seiten vertretenen kürzeren Bewilligung.

In der jeßigen Vorlage, meine Herren, hat ih die Regierung genau auf den Standpunkt jenes damals ges{chlossenen Kompromifsses gestellt, ohne dadurch ausdrücken zu wollen, daß der Reichstag dur Versprechun-

en zum Halten des Kompromisses gezwungen ist. Die Regterung hat von jeder weitergehenden Forderung, die sie nach Ihrer Ansicht für richtig gehalten hätte, Abstand genommen, nun hofft fie aber allerdings, daß der Reichstag in dieser Richtung entgegenkommen wird, die Loyalität anerkennt und von der damals gemachten siehen- jährigen Bewilligung nit zurückgeht, umsomehr, weil in der levigen Weltlage keine Motive gefunden werden können, die eine kürzere Be- willigung irgendwie rechtfertigen. Danach, meine Herren, können die verbündeten salerungen nur in der Bewilligung der siebenjährigen F U Entgegenkommen des Reichstages erblicken, welches ec n en tand sett, die Wehrhaftigkeit des Vaterlandes aufrecht zu erhalten.

Der Abg. Frhr. von Lerchenfeld erklärte fi} Namens seiner Partei für die Vorlage, wie sie aus den Beschlüssen der Kom- mission hervorgegangen sei. Die großen Opfer, welche die Regierung für das Militär verlange, seien eine nothwendige Konsequenz der allgemeinen Wehrpflicht, Ersparnisse eintreten zu lassen, sei auch seine Partei bereit, und werde dies bei jedem folgenden Geseß thun; aber hier sei dies niht an der Zit. Die Dienstzeit in Frankreih betrage jedenfalls min- destens 3 Jahre; in Deutschland betrage sie faktisch nur 21/2

ahre. Das Experiment, die 2jährige Dienftzeit einzuführen, önne man jeßt nict anstellen, da den Reichstag Sachverstän- dige von der Nothwendigkeit überzeugt hätten, die Präsenz- der beizubehalten. Die Klagen über Nichteinhaltung der Versprechen auf Steuererlasse gehörten in die Einzellandtage, nihi hierher. Wären vom Reichstage alle Steuern, welhe die Regierung verlangt habe, bewilligt worden, so hätte man diese Versprehungen einhalten können. Wenn der Abg. Lieber meine, Deutschland. sollte. nur in eine solche äußere Politik einlassen, die gegen An- griffe mehrerer Staaten Verbündete sichere, so halte er das auch für wünschenswerth; ob es aber immer angängig sein werde, sei eine andere Frage. Das europäische Gleichgewicht 2s früher auf der Vorausseßung der Uneinigkeit Deutshh- ands beruht. Dieses Gleichgewicht sei jeßt gestört, darum könne man nit eher abrüsten, als bis man sich in Eurapa an die deutsche Einheit gewöhnt habe. Wenn die Rüstung von kom- petenter Seite für nöthig erklärt werde, so könne seine Portei finanzielle Rücksichten niht davon abhalten, denn ein ver- lorener Krieg koste mehr als alle Rüstungen. Die Festsezung der Präsenzstärke auf 7 Jahre enthalte kein Präjudiz; habe sih doch Niemand auf den Beschluß von 1874 als auf ein Prä- judiz bezogen. Die Hauptsache sei doch, daß das Haus sie nur auf Zeit bewillige; daß man es auf längere Zeit thue, sei durch die europäische Lage geboten, Eine Unterströmung im Volke zu Ungunsten der Bewilligung habe man nit zu fürhten, denn das Volk wisse, daß man hier im Reichstage nur beschließe, was auch. das Volk wolle. Er empfehle die Annahme der Vorlage.

Die Diskussion über 8. 1 wurde geschlossen. Persönlich bemerkte der Abg. Dr. Gneist, der. Abg. Richter habe in einem persönlichen Angriff, dessen Beweiskraft ihm übrigens bis jeßt unverständlich sei, ihm unrichtige und etwas unsinnige Zahlen in den Mund gelegt. Die älteren von ihm ange- führten Zahlen seien aus dem preußischen Archiv von 1866 vom Geh. Rath Riedel zusammengestellt, die neueren Zahlen aber, an welche der Abg. Richter anzuknüpfen scheine, aus dem Etat. Er habe sich vorsichtig an die Pauschquanta ge- halten, weil die Etats in den deutschen Staaten verschieden aufgestellt würden, indem man theils Brutto, theils Netto rechne, und dies immer eine Differenz von 10 Proz. und mehr ergebe. Um ihn nun persönlih anzugreifen, fingire der Abg. Richter, er hät!e statt 1 Million gesagt 1000 Millionen und statt 5 Millionen 500 Millionen. Das scheine ihm do wirklich eine Ungenauigkeit der Rechnung, wie sie einer Finanzautorität nicht vafiiben sollte, selbst dem Abg. Richter nicht, besonders wenn darauf angreife.

__ Der Abg. Richter erklärte, er habe die älteren Zahlen,

die der Abg. Gneist angeführt habe, überhaupt nicht ange- griffen, sondern nur gegen die Parallele oten der Zeit Friedrihs des Großen und der heutigen protestirt. Bezüglich der neueren Zahlen meine er, daß derselbe 1000 und 5000 Millionen gegenübergestellt habe 1 und 5 Millionen hätte ja gar keinen Sinn in Bezug auf das Verhältniß des Militäraufwandes in Deutschland zum Gesammtaufwande. Diese Rechnung aber könne nur dann zutreffen, wenn man die Betriebsausgaben der Eisenbahnen den Militärausgaben gegenüberstelle. Der Abg. Rickert habe von dem Programm der Fortschrittspartei nur die Worte „Entwickelung der vollen Wehrkrast des Volkes unter Schonung der wirthschaftlichen Jnteressen“ verlesen, aber das Folgende vershluckt: „Ver- minderung und - gleihmäßige Vertheilung der Militärlast durch Abkürzung der Dienstzeit und Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, jährlihe Feststelung der Frie- denspräsenzstärke durch den Etat.“ Das fei der Kern der Sache. Die Kommission habe kein positives Resultat, das gegen seine Berehnungen ausgefallen sei, festgestellt. Er habe vielmehr in der zweiten Kommissionssizung, der der Abg. Rickert nicht beigewohnt habe, eine Gegenberehnung vorgelegt, und ein definitiver Beshluß sei von der Gesammtheit der Kommission nicht gefaßt worden. Der Abg. Rickert scheine in etwas aufgeregter Stimmung ihn nicht vollständig gehört zu haben. Er konstatire, daß er nicht gesagt habe, daß die nationalliberale Partei aus Gunst für den Reichskanzler zu dieser Bewilligung komme, sondern umgekehri, daß es ihm nicht aeg d wie es in der Presse geschehen sei, irgend ein persönliches Motiv dem Abg. von Bennigsen und den National- liberalen unterzuschieben, sondern daß er ihre Motive für on halte. Diese sachlichen Motive habe er an der Hand es Laskerschen Briefes sahlich kritisirt. Um Uebrigen werde er auf die oftmals gehörte Behauptung, daß die national- liberale Partei die Schlaht bei Köni S gewonnen habe und die Fortschrittspartei die Einheit Deut)hlands gehindert hätte, bei einer anderen Gelegenheit zurückommen, da es bis- her gegen seinen Wunsch niht möglih gewesen sei.

Der Abg. Dr. Gneist bemerkte, der Abg. Richter habe wieder insofern eine Ungenauigkeit sich zu Schulden kommen lassen, als er von Ausgaben des Staats pro Tag gesprochen habe O er (Abg. Richter) von den Ausgaben des Staats pro Zahr.

O Abg. Rickert führte aus, er habe es nicht für nöthig gefunden, das Programm der Fortschrittspartei weiter zu ver- lesen, als er es gethan, weil au bei Erfüllung dieses Pro- gramms ein großer Militäretat nothwendig sei und nicht ein kleiner. Der Abg. Richter habe wörtlih gesagt, bei seiner (des Redners) Partei trete in leßter B die inhaltliche Be- deutung der Sache vor der Taktik der Partei zurück. Db das dasselbe sei, was derselbe soeben sagte, oder nicht, überlasse er dem Urtheile des Hauses. i

Der Abg. Richter replizirte, er habe die leßterwähnten Worte aus dem Laskerschen Brief zitirt und ausdrücklih hin- ugefügt, daß er der Taktik der Partei sahlihe Gründe zu- \äreibs und nicht persönliche.

Der Abg. Dr. Lasker erklärte, das Haus werde es be- greiflih finden, wenn er auf das außerhalb des d ein ver-

man Jemand persönli

öffentlihte, von ihm herrührende Schriftstücke niht eingehe; er habe das Recht auf Dinge, die von denen, die sie beträfen, selbst als s{hmerzlihe aufgefaßt würden, niht einzugehen. Der Referent Abg. Frhr. von Maltahn-Gülß erklärte, daß die von dem Abg. Richter vermißte Aufstellung der Kriegs-