1880 / 91 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 17 Apr 1880 18:00:01 GMT) scan diff

enommen hat. Was das hiesige Wilkelms-Gymnasium anlangt, fo bestanden an demselben im leßten Scbuljahre 17 Gymnasial- und 6 Vörschul - Klassen. Im leßten Sommer - Semester (1879) haben im Ganzen 946 Scüler die Anstalt besucht. 706 waren evangelishen, 1 anglikanishen, 33 römish - katholishen, 2 griewis{ - katholishen Bekenntnisses, 203 jüdisher Religion und 1 freireligiós, 27 waren auswärtige, 15 Ausländer. Im Wintersemester betrug die Gesammtzahl der Schüler 952, wo- von 718 dem evangelishen, 1 dem anglifanishen, 25 dem römisch- katholischen, 2 dem griecisch-katholishen Bekenntniß angehörten und 206 jüdischer Religion waren; es befanden sich darunter 31 aus- wärtige und 19 Ausländer. Am 1, März vorigen Jahres betrug die Gesammtzahl der Scbüler 944. Abgegangen sind bis 1. März dieses Jahres 168, gestorben 2, aufgenommen 165. Unter den Ab- CNaRIenen befanden sich mit dem Zeugnisse der Reife entlassene

biturienten : zu Ostern 1879 19, zu Michaelis 1879 11. Die Ge- fammtzahl derjenigen Schüler, welche die Anstalt mit dem Zeugniß T An verlassen haben, betrug bis Ostern dieses Jahres einschließ-

_— Indien in Wort und Bild von Emil v. Schlagiutweit Mit 400 Illustrationen. 8. Lieferung. Leipzig, Verlag von. Sch{midt & Günther. 12 # Diese Lieserung erthält 3 Vollbilder, welche interessante Gegenstände behandeln und zugleich. Meisterwerke der Holzschneidekunst sind. Das 1. Bild clt die Sockelbänder eines indischen Tempels dar, der si ebenso sehr durch den Reichthum der Ornamentik wie die meisterhafte Auéführung derselben aus- zeichnet. Das 2. Bild zeigt einen indishen Palast, das 3. einen Tempel in allec orientalischen Pracht. Der Text giebt die Schil- derung der Provinz Haidarabad mit ihren ganz eigenthümlichen Ein- richtungen, z. B. der eigenartigen Erwerbung von Grundbesiß, der fonderbaren Verfassung der Lorfgemeindea u. \. w.

Gewerbe und Sande.

Fn der vorgestrigen Generalversammlung der Provinzial- Diskonto-Gesell schaft in Ligu. berichteten die Liquidatoren über die bis zum Ablauf des verflossenen Jahres bewirkten Realisa- tionen und Kapitalrückzahlungen. Sodann wurde ein Abkommen mit der Diskontogesell schaft erörtert, nah welchem diese unter Uebernahme der noch vor handenen Aktiva die Verpflichtung eingeht, einen Liqui- dationsfaldo von 54 % = 33 M4 pro Aktie den Aftionären gegen Einreichung ihrer Interimsscheine sofoct baar auszuzahlen, und den Liquidatoren die Ermächtigung ertheilt, auf Grund eines vorgelegten Vertrag8entwurfs das desfallsige Abkommen perfekt zu machey.

Dem Geschäftsbericht der St. Petersburger Diskonto- bank für das Jahr 1879 entnehmen wir folgende Angaben: Der Reingewinn beziffert sich auf 2315759 Rbl. oder auf 23,15 %/; es werden hiervon zunächst 115 759 Rbl. als Gewinnreserve auf das Jahr 1880 Ee E alédann kemmen 240 000 Rbl. zum Re/erve- tapital, 240 (00 Rbl. werden als Tantiemen für den Verwaltungs- rath, den Direktor und die Beamten verwandt, und der Rest von 1 720 0C0 Rbl. kommt als 17,2 prozentige Dividende mit 43 Rbl. per Aktie zur Vertheilung unter die Aktionäre. Der Sesammtumsaß der Bank erreichte 5378 675563 Rbl. In der Kasse ginçen ein und aus 1887726575 Rbl.; im Giroverkehr wur- den umgeseßt 598 848320 Rbl, und der Bestand der Giro-Conten betrug am 1. Januar 1880 19607230 Rbl. Im Diskontogeschäft war der Bestand am 1. Januar 1879 7 416 195 Rbl. Es wurden dickontirt im Laufe des Jahres 1879 für 44 673 358 Rbl. Naluten, als Bestand verblieben 5 550 512 Rbl. Im Lombardverkehr

„betrugen am 1. Januar 1879 die Vorschüsse 19 299 200 Rbl.; ein und aus gingen 77 189 960 Rbl. resp. 78 076 029 Rbl, fo daß die Borschüsse am 1. Januar 1880 saldiren mit 18 413 131 Rbl., worunter 14 445 216 Rbl. Dazulehen on call, Das Effekten-Portefeuille end- ‘Ti bewerthete sich am 1. Januar 1879 auf 3914071 Rbl. und wurden im Laufe des Jahres 1879 angekauft für 156 319 722 Rbl., verkauft für 156 362282 Rbl.; das Portefeuille am 1. Jaruar 1880 steht zu Buch mit 4616 666 Rbl.

Srantsurt 0: M, 16. April. (W. T. B) Die Deutsche Effekten- und Wechselbank hat im Jahre 1879 einen Rein- 2a von 2338336 M erzielt. Vom Aufsichtsrath wird vorge- chlagen, zunähst eine Sprozentige Dividende zu vertheilen und dem Reservefcnds einen Betrag von 173 833 4. zuzuführen, welcher dessen Bestand auf 567 141 M erhöht. Ferner sollen gewährt werden an Tantièmen 231 344 4, an den Per sionsfonds 15 422 M, an den Aufsichtsrath 154 229 4 Hierauf soll eine Superdividende von 9309/0 vertheilt und der Rest von 23 505 # auf neue Rechnung vor- getragen werden. :

Paris, 15. April. (Fr. Corr.) Das heutige „Journal officiel“ veröffentlicht eine Statistik der Douanen, betreffend die Cin- und Ausfuhr während der ersten drei Monate dieses Jahres. Die Einfuhr beziffert fich auf 1134 026 000 und die Ausfuhr auf 752 217 000 Frs. Der Unterschied beträgt demnach 381 809 000 Frs. zu Gunsten der Einfuhr. Man hätte jedoch Un- ret, daraus zu s{ließen, daß die französische Industrie zurückgeht ; im Gegentheil kann man {hon aus dem Umstande, daß im März für 201 907 070 F18. fertige Waaren exportirt und nur für 42 549 000 Fréë. ähnliche Produkte importirt wurden, woraus sich eine Differenz von 159 358 000 Frs. ergiebt, während voriges Jahr der entsprechende Ecart nur 139 Millionen Franks betrug, ersehen, daß sie eher Fort- schritte macht. Allein die leßten Wein- und Getreide-Ernten in Frankrei waren so s{lecht, daß massenhaft Cerealien aus Amerika und aus Rußland und leichtere Weine aus Spanien und Italien

importirt werden. Verkehrs-Anstalten. St. Petersbur g, 17. April. (W. T. B.) auf der Newa hat heute früh begonnen. New-York, 16, April. (W. T. B) Ber Dampfer „Erin“ von der National-Dampfschiffs-Compagnie (C. Messingsche Linie) ist hier eingetroffen.

Der Eisgang

Berlin, 17. April 1880.

Die Blumen- und Pflanzenausstellung der Gesell- \ck{aft der Gartenfreunde Berlins ist heute in der Reitbahn des Kriegé-Ministeriums eröffnet worden. Die Ausstellung, vom Hofgärtner Link und Garteninspeïtor Wredow mit gewohntem Ge- \chick arrangirt, rechtfertigt auch diesmal den guten Ruf, dessen sich die Ausftellungen dcr Gesellschaft feit Jahren zu erfreuen haben. An der Hinterwand der Bahn, auf erhöhtem Podium hat die Gärtnerei des Kriegs-Ministeriums, “08 1A Elßholz, in prächtigen Farben die Milecarubpe arrangirt. cr ihr erhebt si, von R. Torlée (Kaiserhof) auégestellt, ein Obeliék, aus Immortellen gebildet, dessen Sockel auf mattgrünem Fond das Wappen in den deutschen Farben zeigt, während an der Vorderseite des Obelisken felbst das Bild Sr. Majestät des Kaisers in einem Kranz von Kornblumen und von der Umschrift umgeben: „Der Herr sei mit Dir“ angebracht is. Die übrigen Seiten des Sockels tragen die Inschriften: „Goltes Schuß“, „Vol- kes Lieb“, „Erinnerung an den 5. Dez. 1878“, die des ‘Obelisken „Heil dem Kaiser, den uns Gott erhielt“. Palmenzweige und blühende Blumen {müden außerdem Sockel und Obelisken. Zu beiden Seiten hat W. Harder mächtige, {chöngewachsene Lorbeerbäume und Wilh. Waldvogel (Eberswalde) Blumentopfkandelaber in Holz ausgestellt. Zu Seiten der Kaisergiuppe, nah den Fensterwänden zu, haben die Gärtner-Lehranftalt zu Potsdam und die Gräflich- Stolbergshe Gärtnerci, Obergärtner Oriese, Obst in zahlreichen Sorten ausgebreitet. Eine 4jährige S8parmannia afiicana flanfirt die eine, blühende Aepfelbäume, vom Obergärtner Driese ausgestellt, die andere Seite des erhöhten Podiums. Vor demselben gruppiren ih um einen kunstvoll ausgeführten Marhschen Spríngbrunnen die

osenfloren von A.Schiemann in Charlottenburg undWendt in der Hasen- haide. Beide Rosenkollektionen werden verbunden durch Späths reiches Sortiment von Ziersträuchern und Bäumen, das wieder manche Neu- heit darbieten, darunter der amerikanische Silberahorn, die. nah Dr. Bolle genannte Pyramiden-Silberpappel u. a, Den großen Mittek-

raum der Reitbahn, in dessen Mitte sich eine von Rud. Weidner ausgestellte Vase erhebt, die von Hortensien umgeben ift, füllen blühende Cinerarien, Maiblumen, Hortensien, Azalien u. a. Ebers-Charlottenburg hat cine in voller Blüthe stehende Magnolia au*gestellt. An der östlichen Fensterwand, zunächst dem Podium, hat derselbe seine blühenden Metrosideros, Otto Neumann-Schönewann außer zahlreihen Marktpflanzen treff- lih gezüchtet- Orangen mit Blüthen und Früchten, E. Mewes Hyacinthen, Joh. Bacher-Pankow Othonna crassifolia als Neuheit, und Torlée Kaiserhof ein Arrangement von abgeschnittenen Blumen ausgestellt. Die beiden Eckgruppen neben dem Eingange bilden Palmen und andere Blattpflanzen aus der Wendtschen Gärtnerei An der westlichen Fenfsterwand fallen besonders die abgeschnitte- nen Blumen ins Auge. Außerdem sind hier und im Vorhof Blumen, Sämereien, Gartengeräthe und Werkzeuge u. a. untergebracht. Der Ertrag der Aut stellung fließt dem Vaterländischen Frauenverein zu.

Bure Majestät die- Kaiserin sowie Se. Königliche Hoheit der Prinz Carl beehrten die Blumenausstellung kurz nah 1 Uhr mit Ihrem Besuche.

Die Mitglieder des Vorstandes des Unionsklubs besichtigten vorgestern die neue RennbahnzwischenLichterfeldeundLan k- wiß; ebenso haben die Vorstandsmitglieder des Traberklubs die Bahn besuht. Die Erdarbeiten, mit denen ca. 300 Arbeiter beschäftigt sind, werden in dieser Woche beendet; mit der Aufstellung des Zaunes ist bereits begonnen, der Vau der Tribünen, die für 300090 Personen berechnet find und deren Bau 275 000 4. erfordert, wird nächste Wodce in Angriff genommen werden. Bereits für dieses Jahr sind 30 Renntage in Aussicht gestellt Die ersten diesjährigen Renaen werden noch im Mai stattfinden.

Als Ergebniß einer im Auftrage des Königlich preußishen Mi- nisters der öffentlichen Arbeiten von dem Freiherrn von Weber im Jahre 1878 nach England ausgeführten Dienstreise ist jeßt im „Berliner Lith. Institut“ eine „Studie über die Wasserstraßen Englands“ erschienen. Der Verfasser hebt in einer „Vorbemerkung“ hervor, daß tas Studium der Verhältnisse der Wasserstraßen in Eng- land mit großen Schwierigkeiten verknüpft und weder mit dem der Cisenbabnen im Allgemeinen, noch mit dem der Kanäle 2c. in anderen Ländern zu vergleichen sei. Eine der Hauptschwierigkeitcn bereite zunächst das Alter, die in ferner Vergangenheit liegende Zeit der Entstehung der meisten Wasserstraßen. Mehrere der Flußregulirungen seien über ein halbes Jahrtausend alt, die Heritellung der weitaus meisten Kanäle falle in das vorige Jahrhundert, die der jüngsten be- deutenderen Kanäle in das crste Drittel des gegenwärtigen. Die Wasserstraßen seien in England nit wie die Cisenbahnen inmitten bereits mit andcren Kommunikationsmitteln reich ausgestatteter Län- der eutstanden, sondern ihre Herstellung sei dort der der Straßen vorausgeeilt; sie erfüllten das Amt, das heut zu Tage die Eisen- bahnen in Amerika und anderen neu zu erschließenden Gegenden haben; sie bildeten die ersten Kommunikationen in einem sich eben erft industriell entwidelnden Lande. Sie seien entstanden ohne jede Tendenz, sih zu einem wirklihen Verkehrsneße zusammen zu \chließen, als Resultate ganz lokaler Nothwendigkeit. Es sei so gut wie nichts über den Geschästsverkehr der Kanalgesellshaften, besonders in frü- heren Zeiten in die Oeffentlichkeit gedrungen. Noch mehr habe si die Kenntniß von den inneren Verhältnissen dieser Gesellschaften bei dem Wechsel von deren Besik, Ankauf von Linien durch andere und endlih dur die Eisenbahnen verwischt. Die 135 jeßt noch bestehenden Kanalgesell sbaften Englands hätten von einander keine weiteren Kenntnisse, als die wenigen, die zur Be- handlung der {wachen durchgehenden Verkehre gehören. So hätten sih die Schwierigkeiten der Erörterung der Wasserstraßen- verbältnisje in England so gehäuft, daß es bis jeßt niht möglich gewesen sci, zur Darstellung eines einigermaßen vielseitigen Bildes desselben zu gelangen. Nur durch das Zusammentreffen besonders günstiger Umstände. und den Beistand bedeutender Autoritäten im Bereiche des Kanalwesens und einflußreiher Körperschasten, unter denen die „Tetitntion of Civil-Engineers“ und des „General Railway Clearing House“ obenanfstehen, hätte es gelingen können, genügende Materialien zu einer, in dem Berichte über eine Studtenreise niederzulegenden, verständlichen Darstellung des englishen Wasser- straßenwesens zu sammeln. Obgleich nun auch diese, von der in der vorliegenden Schrift ein Auszug gegeben {ci, fern von wirklicher Voll- ständigkeit häite bleiben müssen, so dürfte sie doch das um- fassendste Bild der Gesammtheit der Wasserstraßenverhältnisse in England gewähren, welches es bis jeßt giebt. Der Inhal+ ist in folgende vier Abschnitte gegliedert: 1, Abschnitt: Geographisch-histo- rishe Entwickelung der Wasserstraßen; Il, Abschnitt: Finanz-, Eigen- thum8-, Betriebs- und Rechtsverhältnisse; II1, Abschnitt: Wechsel- wirkung zwisWen Wasserstraßen und Eisenbahnen; IV. Ab- s{hnitt: Technik. Eine beigegebene, sorgfältig gearkeitete Karte stellt ein klares Bild der künftlihen Wasser- straßen in Großbritannien, deren Lage und ihrer Eigen- thumsverhältnisse dar. Wir müssen «s uns wegen Mangels an Raum versagen, auf den reihen Inhalt der Schrift des Näheren einzugehen und beschränken uns darauf, aus dem ersten Abschnitte folgende kurze Mittheilungen hier folgen zu lassen: Die Fläche von England und Wales, auf der die bedeutsamste Entwickelung des Wasserstraßenwesens stattgefunden hat, vnd die zwischen dem Tweed und der Südküste liegt, wird durch sieben Flußgebiete in ebenso viel natürlihe Binnenschiffahrtsbereihe geschieden, zwishen denen nur in der Richtung von Nord naÿ Süd, in der Mitte der JInsel hin, Höhenzüge liegen, welche der Entwickelung und Manipu- lation der Wasserwege wesentliche Hindernisse bereiteten. Diese sieben Flußgebiete sind die der Themse mit 6160 engl. Qu.-Miles, der Gr. Ouse mit 2960 engl. Qu.-Miles, des Witham mit 1050, des Trent mit 4082, der Ouse mit 4290, des Mersey mit 1748, des Severn mit 8580 engl. Qu.-Miles Flächeninhalt. Die britishen Insela sind in allen ihren Theilen mit einem dihteren Neße von Gewässern bededt als irgend ein anderes Land von Europa (Schweden und Finnland ausgenommen) und deren Speisung durch die atmosphärischen Nieder- \chläge erfolgt gleihmäßiger während der verschiedenen Theile des Jahres, als in den meiften Gegenden dieses Welttheils. Die Speisung der britishen Gewäfserneße is daher, sowohl ihrer Qualität (Regel- mäßigkeit), als itrer Ouantität nach, eine genügendere, als dies in den meisten anderen, besonders kontinentalen Ländern der Fall zu sein pflegt. Nicht weniger begünstigt als durch den Reichthum der atmosphärishen Niederschläge und ihre hohe Wintertemperatur sind die britishen Inseln in Bezug auf ihre Binnenschiffahrt durch die Beschaffenheit ihres Littorals. England besaß daher bereits in sei- nen Fjorden, Aestuarien und den daran stoßenden \chiffbaren Theilen seiner Flüsse, selbst vor der Regulirung der lehteren, eine Binnen- \chifahrt, die nur einen verhältnißmäßig \{chmalen Streifen Land, mit zu Wasser unerreihbaren Punkten, zwischen ihren verschiedenen Wasserwegen liegen ließ. Fast sämmtliche, vom ersten Beginn der Pflege der Wasserstraßen im 15 Jahrhundert an, bis zum Ende des ersten Viertels des 18. Jahrhunderts in Groß- britannien zur Erscheinung kommenden geseßlihen und techniscben Institutionen bezichen sih auf die Wasserwege des älteren Kultur- distrikts Englands, der südöstlih zwishen der Quelle der Themse und der Mündung des Humber gelegen ist und dessen Civilisation cine \pezifisch landwirthschaftliche Basis hatte und zwar aut \chließlich auf S und Erhaltung der dortigen, in Flüssen und Aestuarien gegebenen natürlihen Wasserstraßen. Alle Wasser- straßenunternehmungen in England waren bis zum Jahre 1759 lediglich ahregulirangen in mehr oder weniger ausgedehntem Sinne. Die Schiffahrt auf diefen regulirten Wasserläufen war mit allen Nachtheilen der Flußschiffahrt verknüpft. Der erste wirkliche Kanal in England verdankt sein Entstehen, welches die ganze Aera der Ent- widelung des Kanalsystems eröffnete, dem Herzoge Francis von Bridgewater in Verbindung mit dem genialen Hydrotekten Brindley und dem Finanzmanne John Gilbert, Es handelte sih um den für dama- lige Zeiten unbegreiflich kühnen Plan, einen vollkommen horizontalen

Kanal. von den Worsley-Kohlengruben nach Manchester zu führen, und zwar auf des Herzogs Kosten ganz allein. Am 23. März 1759 erhielt der Herzog das Spezialgeseß, welches ihn zum Bau des Kanals ermäa, tigie und {on am 17. Juli 1761 wurde die Kanal. linie bis Manchester eröffnet. Gleich nach Eröffnung des Kanals fie[ der Preis der Kohle in Manchester um 40% und der Herzog bezog ton im zweiten Jahre der Benußung dessellen eine Revenue von 20%/9 des von ihm aufgewendeten Anlagekapitals von 260 000 £. Der günstige Erfolg dieser ersten kleincren Unternehmung ließ die Urheber derselben ihre Pläne {nell autdehnen. Am 24. März 1762 erhielt der Herzog das Spezialgeseß für die Herstellung eines Kanals zwischen Manchesler und Liverpool, im März 1766 die Ermächtigung, sein Kanalsystem durch das Herz von ganz Lancaster, bis hinauf nah Wigan, Charley und Preston autzudehnen und diese bedeutenden Pläße mit Manchester und Liverpool in Kanalverbindung zu bringen. Die Unternehmungen des Herzoas von Bridgewater leiten eine neue Epoche in der Technik des Verkehrëwesens ein, Während die E der Zeit vor 1759 in England ihre Thätigkeit auf Verbesserung der natürlichen Flußläufe beschränkt, den Wasserweg aber im großen Ganzen als an diese gebunden be- handelt hatte, löste die Tehnik James Brindley's die künstliche Wasserstraße gänzlich vom nalürlihen Wasserlaufe los. Dur diese dopvelte Befreiung vom lokalen Kapitale und dem natürlichen Wasserlaufe war der künstlichen Wasserstraße der Weg in fast be- liebiger Richtung geöffnet und, bei einigermaßen plausibler Lage des Unternehmens, das für dasselbe erforderlißhe Kapital ge- sichert. Schon das Jahrzehnt, in welchem der Bridgewater - Kanal entstanden war, rief allein neun Wasserstraßen - Unter- nehmungen ins Leben. Das nächste Jahrzehnt 1760-70 brachte chon 13, unter denen si{ch nur noch 5 Schiffbarmachungen befanden, Einen Rückschlag, der Zahl der Unternehmungen nah, zeigten die beiden folgenden Jahrzehnte mit 10 und 5 Unternehmungen, bis im N Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts die Fluth der Wasserstraßen-Unternehmungen mit 40 auf ihre Höhe îtieg, um dann von 180 an einen so raschen Abschlag zu zeigen, daß von da bis 1830 nur 29 neue Unternehmungen konzessionirt wurden. Es macht si hierbei offenbar {on der Einfluß der Eisen: bahnen in demselben Dienste bemerkbar, den früher lediglih die Wasser- und Landstraßen zu leisten hatten. Die Chronologie der Kanal- und Cisenbahnkonzessionen ergiebt ungefähr das Jahr 1820 als dasjenige, in welchem der Sieg des der kommenden Zeit gemäßen Berkehrssystems, der Eisenbahn, über dasjenige, welches den Be- dingungen der vergangenen entsprach, die Kanäle, sich entschied.

Dres den, 10, April. (Allg. Ztg.) Der auf der Münchener Kunstausstellung dur die goldene Medaille ausgezeichnete ,Gänse- dieb von Diez, cinem jungen hiesigen Bildhauer, ift seit einigen Tagen auf dem leider noch unvollendeten Brunnen des Fer- dinandplayes, für den das Werk in der dafür ausgeschriebenen Kon- kurrenz den ersten Preis errungen hatte, zur Aufstellung gelangt. Die Figur in Bronze gegossen ift stark bewegt, doch in- mitten dieser starken Bewegung zuglei durch die energische Wendung, die der Oberkörper um seine eigene Achse gemacht hat, zu einem nothwendigen Stillhalten gelangt, indem die Gans, die dem Langfinger durch die Beine ducchs{chlüpfen wollte, eben noch von seiner Linken am Flügel erwisht worden ist, während seine Rechte eine zweite Gans son glücklich an der Gurgel gepackt und vom Boden aufgehoben hat. Zwei weitere Gänse entkommen ihm schreiend und werden rechts und links als Wasserspeier ihre Rettung zu bezahlen haben. Die Gestalt des jungen Vaganten, der übrigens in fried- liheren Stimmungen dem Dudelsackblasen obliegt und sein Instru- ment um die Achsel hängen hat, ist eine s{chlanke und gefällige, so daß man, von dem originell genrehaften Stoffe zu dem ästhetischen Erwägen der Schönheitslinien des Werks zurückehrend, auch nah dieser Seite nicht unbefriedigt bleibt. Sein vornehmlicbes Verdienst ist aber jedenfalls die noch die Gränzen des in der Skulptur Zu- lässigen respektirende Vorführung eines volksthümlichen, leicht verständlichen und heiter anmuthenden WVorgangs aus dem Leben, und zwar mit ungezwungener Anlehnung an das Treiben, wie es wohl in der Nähe eines wasserspendenden Orts vorkommen kann. Dresden hat durch dieses Werk einen nenen populären Scmucck erhalten, und voraussichtlich wird der Gänse- brunnen bald so beliebt sein wie Walters bilderbogenartige Wand an der Augustusstraße mit dem s{mucklosen Fürstenzug und den Musikanten und Reisigen, in denen das Volk sich selbst mit Freuden wieder erkennt. Von demselben Künstler Diez wird übrigens au das für Braunschweig bestimmte Siegesdenkmal, von welchem der begabte Breymann durch den Tod abgerufen wurde, vollendet.

Kopenhagen, 16. April. (W. T. B.) Die „Vega“ ist in Begleitung einiger \chwedisher Dampfer gestern Abend auf der hie- sigen Rhede eingetroffen. Dieselbe wurde heute früh auf Königlichen Befehl als Kriegs\chiff salutirt, worauf sich eine Deputation, in der ih der Präfident der geographishen Gesellschaft und der Rektor der Universität befanden, zur Begrüßung des Professors Nordenf#kiöld an Bord begab. Professor Nordenskiöld wurde später von dem Könige und dem Kronprinzen empfangen.

Auf dem Programm der Singakademie standzn gestern Klaviervorträge von Hrn, Prof. Sigismund Blumner. Der künstlerish ernste Charakter derselben charakterisirte fi dur die Namen Seb. Ba, Mozart, Beethoven und Schubert. Ven entsprehender Gediegenheit war die Ausführung, die sih von virtuosenhafter Effekthascherei durchaus fern hielt, dafür aber dur Klarheit und Bestimmtheit des Ausdruckts, fein abgewogene Dynamik und durÞh eine gewisse vornehme Gemessenheit imponirte. Die kontrapunktisden Formenschönheiten der Werke Seb. Bachs gelangten durÞd Hrn. Blumners Spiel zu vorzüg liher, selbst für Laien klar verständliher Durchsichtigkeil. Freilih gehört dazu aber auch eine so eindringlihe Kenntniß der Werke des Altmeisters, dessen Orgelwerke er bekanntlih zum Theil selbst bearbeitet hat. Von lehteren führt- Hr. Blumner u. A. Präludium und Fuge in D-moll mit großer Meisterschaft vor. Daran reihte sich die Fantasie in F-wmoll von Mozart, bearbeitet von Reinecke, und die allbekannte große C-mclU- Sonate von Beethoven, welche die Vorzüge seines Spiels in besonders helles Licht seßte. Sehr interessant waren eine Gavotte und Bourrée von dem Vortragenden selbst, wenn sih auch bei der leh- teren eine etwas moderne Invention nit verleugnete. Von seiner großartig ausgebildeten Technik zeugten die Vorträge der Variatio- nen op. 35 sowie der Polonaise op. 75 von Schubert, beide von ihm selbs bearbeitet, noch mehr aber die der Vöglein-Etude von Henselt und des troß aller Schwierigkeiten nicht eben sehr dankbaren und darum selten gespielten Concert-Allegros von Chopin. Das Publikum folgte den Borträgen mit Interesse und spendete dem Concertgeber eine so reiche wie wohlverdiente Anerkennung.

Im Bellkealliance-Theater fiadet morgen bereits die 133, Aufführung -des Repertoirestüks „Der Rattenfänger von Hamel statt, Vor der Vorstellung soll bei günstiger Witterung im Sommergarten großes Konzert stin, zu welhem die Hauskapelle be- deutend verstärkt worden ist.

Redacteur: Riedel. þÞ Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner.

Fünf Beilagen (einschließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 17. April. Jm weiteren Verlaufe der gestrigen Gr Sißung genehmigte der Reichstag in dritter Berathung ohne Debatte 8. 4, sowie die Art. 11, 1. und IV. des Geseßentwurfs, betreffend Ergänzungen und Aenderungen des Reihs-Militärgeseßes vom 2 Mai 1874. Darauf wurde in namentlicher Abstimmung mit 186 gegen 128 Stimmen das ganze Gesetz definitiv genehmigt.

Es folgte die dritte Berathung des Antrags Windthorst und Genossen auf Aufhebung des Flachszolles. Der Antrag lautet : E

Der Reichstag wolle dem nachstehenden Gefeßentwurfe seine Zustimmung geben: ¡

Gesetz, betreffend die Abänderung des Zolltarifs des deutschen

Zollgebietes.

Wir Wilhelm 2c. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nah erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: E

Einziger Paragraph. Der Zolltarif zu dem Gese, be- treffend den Zolltarif des deutschen Zollgebiets und den Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer vom 15. Juli 1879 (Reichs-Geseßblalt Seite 207), wird, wie folgt, abgeändert ;

„Nr. 8 des Zolltarifs: Flachs und andere vegetabilische Spinnstoffe, mit Ausnahme der Baumwolle roh, geröstet, ge- brochen oder gehechelt, auch Abfälle frei.“

Für den Fall, daß dieser Antrag, wie anzunehmen sei, in dritter Berathung definitiv angenommen werde, beantragen die Abgg. Dr. Windthorst und Frhr. von Varnbüler die An- merkung zu a. der Nr. 22 des Zolltarifs „Jute, Manillahanf oder Kokosfasern roh, geröstet, gebrochen oder gehechelt fr.i“ zu streichen. i

Der Abg. Frhr. von Varnbüler befürwortete obigen Antrag. Er glaube, daß in der zweiten Lesung die Gründe für feinen Antrag hinreichend erwogen seien, und bitte den damals gefaßten Beshluß aufreht zu er- halten. Zugleich empfehle er für den T der Annahme noch den vorstehenden Zusaßantrag, welcher sih als Konsequenz des ersten von selbst verstehe. |

Der Abg. Staudy erklärte, die Frage sei für ihn dur das Votum, welches in zweiter Lesung durch eine so bedeutende Majorität abgegeben sei, erledigt, indessen wolle er doch noch betonen, daß ihm der Flahs im FJnteresse der natio- nalen Jndustrie und der Verhältnisse der kleinen Leute, den im vorigen Jahre beschlossenen kleinen Eingangszoll sehr wohl zu verdienen scheine. Auch darauf möchte er hinweisen, daß der Ostpreußische Nothstand in den sechsziger Jahren \cließlih besonders darum so bedeutende Dimensionen an- genommen habe, weil es an Arbeit gefehlt habe, und daß gerade der Flahs den armen Leuten auf dem Lande im Winter die gewünschte Arbeit liefere. Er erinnere nur daran und seinem Erachten nah könne man das nicht oft genug in diesem Hause sagen, daß die östlihen Provinzen des deutschen Vaterlandes und speziell die Provinz Ostpreußen nach solchen Richtungen ganz besondere Berücksichtigung verdienten. Es sei ja allgemein bekannt, daß in den östlihen Provinzen, nament- lih in Ostpreußen, die Jndustrie niemals wirkli erblühen könne ; welhe Schädigung nun für die Provinz darin liege, wenn sie zu den Schußzöllen beitragen müsse, ohne daß e berechtigten Jnteressen gewahrt würden, das sage sich Jeder wohl selbs. Er wolle weiter über diesen Gegenstand sich nit auslassen, wie gesagt, das Resultat in diesem hohen Hause stehe ja fest; nur noch einen anderen Gesichtspunkt wolle er hervorheben. Es habe der Abg. Lüders in der Rede, die derselbe in der zweiten Letuna gegen den Flachszoll gehalten habe, gesagt, daß eine Anzahl unter den Konservativen für die Fndustrie- zölle gestimmt habe, ohne ein wirkliches Herz für die e dustrie zu haben. Er glaube, daß niht mißzuverstehen sei, daß der Abg. Lüders damit die Landwirthe gemeint habe. Nun möchte er dem Abg. Lüders die Versicherung geben, daß die deutshen Landwirthe aus eigenem Jnteresse das wärmste Herz, das wärmste Jnteresse für die deutsche Fndustrie hätten; ex möchte dem Abg. Lüders aber au das vorführen, daß alle Diejenigen, welche der deutschen Jndustrie wohlwollten, ebenso ein Interesse für die deutshe Landwirthschast empfinden sollten. Die deutsche Landwirthshaft werde hwerlih ohne die deutsche Industrie prosperiren, aber fkeinesfalls werde in Deutschland die Industrie ohne die Landwirthschaft prosveriren , dazu möge die Yndustrie anderer Länder im Stande sein, etwa die Eng- 6 Amerikas, in Deutschland sei das vollständig un- möglich.

Der Aba. Stelltec bemerkte, er sei der Ansicht, daß es niht nöthig 8 die in zweiter Lesung vorgebrahten Gründe nohmals vorzutragen, das aber müsse er dem Vorredner ge- genüber do betonen, daß der Flachsbau in Mgi: troß aller künstlihen Gegenbestrebungen immer mehr zurüdgehe, weil der Landwirth gelernt habe, seinen Boden in lukrativerer Weise zu verwerthen. Er wolle noch darauf hinweisen, daß nicht allein Flachs, Hanf und Hede zur Leinenindusirie ge- braucht und deshalb eingeführt würden, sondern daß damit auch ein beträhtliher Transithandel stattfinde. Ueber Kö- nigsberg gingen im Durchschnitt jährlich 6—700 000 Centner Flachs, Hede und Hanf. Dieser Transithandel würde unter der Belastung mit solhen Zöllen sehr leideu. Der Reichs- kanzler habe im vorigen Jahre selbst anerkannt, daß der Transithandel zu s{honen sei, und man müsse vorsichtig sein, um nit Einrichtungen zu treffen, die diesen Handel schädigten. Noch andere Gründe könne ex anführen. Als er in voriger Session erwähnte, daß Libau Königsberg eine gefährliche Konkurrenz mache, sei gewissermaßen we werfend über diese seine Aeußerung gesprochen. Die Thatsachen hätten seine Aeußerung gerechtfertigt, denn der Export von Libau betrage in diesem Fahre drei Mal so viel als in früheren Jahren, troßdem in Rußland eine Mißernte gewesen sei. Er bemerke nur noch, daß der Ertrag des Flachszolls, der von einer Seite auf eine Million Mark angegeben fei, nah den statistishen Tabellen des Reichsamtes nur 430 000 4 sein könne, da in den leßten drei Jahren für den inländishen Gebrauh nur 43 Millionen Kilogramm eingeführt seien. Der Steuerbetrag

Erste Beilage zum Deutschen Reichs-Anze

M 91.

_Betlin, Sonnabend, deu 7, April

wäre also nur ein unerhebliher. Er beantrage deshalb die

Annahme des Antrags. i j :

Der Abg. von Ludwig erklärte, in der leßten Zeit habe man im Reichstage das pikante Schauspiel erlebt, daß sowohl der Bundesrath wie der Reichstag si beeilt hätten, ihre Reue über einen vermeintlich begangenen Fehler zum Ausdruck zu bringen. Ob ein solches Verfahren die Autorität dieser Kör- pershaften zu heben geeignet sei, bezweifle er. Die Motive, welche der Abg. Windthorst für die Aufhebung des Flachs- olles angeführt habe, seien nit rihtig und einander wider- Hrechetd. Er sei überzeugt, daß der Abg. Windhorst den kleinen Landbau \{chüßen wolle und do sage derselbe, der Flachszoll sei deshalb nicht nöthig, weil der Flahs nur von kleinen Leuten in geringen Quantitäten gebaut würde. Er bestreite, daß die Frage des Flachszolls bereits früher im Hause gründlih erörtert sei. Die jeßige Nr. 8 des Zolltarifs sei in keiner Kommission berathen und in der dies- maligen zweiten Lesung habe der Abg. Freiherr von Dw und er nur Monologe gehalten ; kein Mensch habe ihnen geantwortet. Das sei die gründliche Vorbereitung, auf Grund deren man der Landwirthschast die erste ihr gewährte Position wieder ent- ziehen wolle. Er glaube sogar, daß, wenn sämmtliche Abgeord- nete ein Referat über die Frage des Flachszolls und dessen nationalökonomishe Bedeutung ausarbeiten sollten, nur wenige das Prädikat „Gut“ bekommen würden. Die Landwirthschaft müsse zu Grunde gehen, wenn man sie nicht {hüße. Der hiesige Boden sei so sehr besteuert, daß derselbe nicht kon- kfurriren könne mit jenen Hinterländern, die nicht des Düngers bedürsten und die wenig Steuern bezahlten. Er berufe sih dafür auf das eug des Abg. Bamberger. Alle diejenigen Landwirthe, welche niht, wie dieser Abgeordnete, einen solchen Kapitalsstock hätten, die aber ihren Boden liebten und ihn ihren Kindern zu hinterlassen wünschten, würden bei einer fortdauernden Vernachlässigung der landwirthschaftlichen Fnter- essen Seitens der geseßgebenden Faktoren ihr Besißthum ver- kaufen müssen, selbst wenn sie ihr Geld darin mit pupillari- cher Sicherheit angelegt hätten. Er beantrage daher bei der Wichtigkeit des Gegenstandes, den Antrag Windthorst an cine besondere Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen.

Der Abg. Dr. Windhorst entgegnete dem Vorredner, daß er sih eingehend mit dieser Angelegenheit beschäftigt und dabei erfahren habe, daß die Verarbeitung des Flachses au den kleineren Leuten auf dem Lande meistens so wenig loh- nend erscheine, daß sie den Fla{hs lieber und mit mehr Nußen an die Spinnerei verkauften, als im Hause verarbeiteten. Der Zoll würde also den Flahsanbau nicht fördern, wohl aber die Leinenindustrie shädigen. Er hätte nichts gegen die kommissarische Berathung einzuwenden, indessen sei ja Allen die Sache völlig klar, in keiner Weise zweifelhaft, und zudem liege ihm daran, die Sache. möglichst s{hnell zum Abschluß zu bringen. Auch darauf möchte ‘er wiederholt hinweisen, daß die Lollpositionen der Garne, welche auf der ZoUufreiheit des Flachses beruhten, sämmtlih abgeändert werden müßten. Das wolle man doch gewiß nicht; er bitte deshalb, ledigli den Beschluß zweiter Lesung zu bestätigen.

Der Abg. von Sauckcn-Tarputshen erklärte, er müsse den Behauptungen des Abg. Staudy bezüglih Ostpreußens widersprehen. Es sei zweifelhaft, ob der Flahsbau der Landwirthschaft überhaupt vortheilhaft sei; derselbe bringe dem Boden nichts zurück und werde nur da mit Erfolg be- trieben, wo dem Boden durh Hülfsmittel das Genommene wieder ersezt werden könne. Der Flachszoll als Sporn für den Flachsbau s{chade, und seine Aufhebung alterire den Flachsbau der kleinen Leute in Ostpreußen nicht, dagegen mache sie deren Winterabendbeschäftigung, das Flachsspinnen, durch Verwohlfeilerung des Rohmaterials rentabler.

Der Antrag von Ludwig auf Verweisung des Antrages Windthorst in eine Kommission wurde hierauf abgelehnt, und nahdem der Abg. von Ludwig noch einmal in der Spezialdiskussion für den Flachszoll im Fnteresse der armen Leute gesprochen hatte, wurden die beiden Anträge Windthorst- Varnbüler angenommen.

Im Anschluß an diesen Gesehentwurf beantragte der Abg. Richter (Hagen) folgende Resolution :

Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuhen, dem Reichstage noch in dieser Session einen Geseßent- wurf vorzulegen, welcher den §, 7 des Zolltarifgeseßes vom 15. Juli 1879 in Nr. 1 und 3 in einer den Interessen der einheimischen Mühlenindustrie, des Handels und der Landwirthschaft entsprechen- den Weise abändert, insbesondere den Nachweis der Identität bei der mit Rücksicht auf die Ausfuhr gestatteten zollfreien Ein- fuhr von Getreide, insoweit erläßt, daß gestattet wird, soviel aus- ländishes Getreide auf die Transitläger bezw. in die Mühlen zoll- frei einzuführen, wie von denselben Stellen aus Getreide oder Mehl (leßteres dem Auébeuteverhältniß entsprehend) zur Ausfuhr in das Ausland gelangt.

Die Abgg. Graf zu Stolberg (Rastenburg), Freiherr von Heereman und von Kardorff beantragten dagegen :

Der Reichstag wolle unter Ablehnung des Antrags Richter beschließen: „den Herrn Reichskanzler zu erjuchen, dem Reichstage noc in dieser Session einen Geseßentwurf vorzulegen, welcher den 8 7 Nr. 3 des Zolltarifgeseßzes vom 15. Juli 1879 dahin ab- ändert, daß der Nachweis der Identität bei der mit Rücksicht auf die Ausfuhr von Mehl gestatteten zollfreien Einfuhr von Getreide insoweit erlassen werde, daß gestattet wird, so viel ausländisches Getreide in die Mühlen zollfrei einzuführen, als von denselben Stellen aus Mehl (dem Ausbeuteverhältniß entsprehend) zur Aus- fuhr ins Ausland gelangt“.

Die Abgg. Rickert u. Gen. wollten für den Fall der An- nahme des lehteren Antrages demsclben folgenden Zusaß bei- gefügt wissen:

„ferner einen Geseßentwurf vorzulegen, welcher den §. 7 Nr. 1 des Zolitarifgeseßes vom 15. Juli 1879 dahin abändert, daft der Nach- weis der Identität bei der mit Rücksicht auf die Ausfuhr gestatte- ten zollfreien Einfuhr von Getreide insoweit erlassen werde, daß gestattet wird, so viel ausländishes Getreide auf die Transitläger zollfrei einzuführen, wie von denselben Stellen aus Getreide zur Ausfuhr in das Ausland gelangt.“

Der Abg. Richter (Hagen) führte aus, sein Antrag be- handele zwei innerlih gleiharttge, aber do äußerlih unab- hängig von einander stehende Fragen. Die innerliche Gleich- artigkeit beruhe darauf, daß in beiden Fällen das ort- geschäft gegen die Einwirkungen des Getreidezolles geschüßt

iger und Königlih Preußischen Slaals-Anzeiger

1880.

werden solle, und daß eine Rücerstattung des Zolles auf aus- ländisches Getreide stattfinden solle, soweit es sich um Ausfuhr von Getreide oder Mehl handele. Der Antrag Stolberg und der Antrag Rickert beträfen je einen Theil feines Antrages, so daß, wenn beide Anträge angenommen würden, auch sein Antrag in allem Wesentlichen angenommen sei. Sein Antrag unterscheide sich von der Summe jener beiden Anträge nur xedaktionell, also was er in Bezug auf die Mühlen wolle, wolle der Antrag Stolberg und was er in Bezug auf das übrige Getreidegeschäft wolle, wolle der Antrag Nidert. Beide Anträge kämen daher nur dem Antrage auf getrennte Abstimmung über seinen Antrag gleih. Da die Herren ein- mal diese Form gewählt hätten und es ihm nicht auf die Etiquette, sondern auf die Sache ankomme, so sei es ihm au recht, wenn sein Antrag unter der Etiquette Stolberg-Rickert angenommen werde. Die deutsche Mühlenindustrie Have es dur Fleiß, Jntelligenz und Betriebsverbesserungen zu einem Mehlexport von 4 Millionen Centnern gebracht. Das Export- mehl werde hergestellt theils aus inländischem, theils aus auslän- dishem Getreide. Jn leßterer Beziehung sei es gewissermaßen ein Veredelungsverkehr, begünstigt durch die geographische Lage, wona Getreide aus Osten und Südosten in Deutsch- land zu Mehl für Holland, Skandinavien und England ver- arbeitet werde, obwohl dort auch ungarisches und französisches Mehl \charf konkurrirten. Die deutshe Müllerei ver- schaffe hierbei Deutschland Jndustrie De und Trans- portgewinn , sowie der Landwirthschaft Rückstände der Fabri- fation als Futtermittel. Auch sonst sei die deutsche Landwirth- schast an der Erhaltung dieses Exports mit interessirt, weil zum Export ausländisches, gemischt mit inländishem Getreide ver- mahlen werde, weil deutshes Getreide allein niht in dem Maße bacckfähiges Mehl gebe, da deutscher Weizen in Folge des deutshen Klimas und der längeren Blätterentwidelung der Pflanze stärkehaltiger, aber nicht ebenso stickstoffhaltig und flebrig sei, wie das aus der Vermischung von Getreide ge- wonnene Mehl. Da der Müller an diesem Exportgeschäft nur 2 Proz. verdiene, so könne derselbe niht 5 Proz. Zoll auf das ausländische Getreide dafür bezahlen. Die Bestim- mung des vorjährigen Gesetzes, welche eine Rüersiattung auf Getreidezoll gewähre, erweise sich nun praktisch nicht durchführbar ohne Ruin des Exportgeschästes. Das vor- jährige Geseß gewähre nur soviel Rückvergütung auf Zoll für ausländisches Getreide, als von diesem Getreide nah- weisbar zur Ausführung gelange. Der Nachweis der Jdentität bedinge aber eine Menge Kontrolen, welche die Einheitlich- keit des Mühlenbetriebes zerstören und in denselben so viel Anmeldungen, Unterbrehungen und Scheidungen einschieben würden, daß das Exportgeschäft sich niht mehr bezahlt mache. Dasselbe sei nur möglich, wenn möglichst viel Arbeitskraft und Lagerraum beim Mühlenbetrieb gespart werde. Demgemäß seien die Getreideläger nicht getrennt, sondern das Getreide werde mechanish gemisht und gelange kontinuirlih durch mechanische Vorrichtungen in die Mühle. Das Mischungs3- ree oi könne nicht vorher angemeldet werden, sondern müsse oft während des Mahlprozesses anders regulirt werden. Nach der rasch wechselnden Konjunktur richte es sih, ob das Mehl ins FJnland oder Ausland zu verkaufen sei. Nah seinem Antrag würden diese Ver- hältnisse niht gestört werden, sondern soviel werde an Zoll für das auf die Mühle gelangte ausländishe Getreide zurückvoergütet, wie aus dieser Mühle Mehl ins Ausland verkauft werde, möge letzteres nun aus inländischem oder ausländishem Getreide hergestellt sein. Bei der Rückvergütung könne also dana inländisches Getreide ausländisches in den Grenzen der Ausfuhr vertreten, soweit leßteres in derselben Mühle zum inländishen Konsum verarbeitet werde. Jm Uebrigen werde die Jdentität der Person und der Mühle im Gegensaß zum System der titres d’acquit aufreht erhalten. Bei den gegen- wärtigen Mehrheitsverhältnissen und handelspolitishen Grund- säßen der Mehrheit des Reichstages habe er nicht weiter gehen wollen, als das praktishe Bedürfniß schon jeßt für durchaus nothwendig erkläre. Noch in dieser Session müsse dies Ver- hältniß geändert werden, denn sei das Exportgeschäft erst ruinirt, so könne bei der scharfen Konkurrenz des Auslandes ein neues Gese es niht wieder lebendig machen. Die Frage habe nicht blos Bedeutung für große Mühlen, sondern interessire auch wesentlih die kleine Jndustrie. Denn wenn die Mühlen nicht mehr Exportgeschäste machten, wenn ihnen dieselben verkümmert würden, dann bleibe ihnen nichts Anderes übrig, als, um noch überhaupt eine gewisse Renta- bilität zu erlangen und ihre Kosten zu decken, sih um so mehr auf inländische Geschäfte zu werfen, für den inländischen Kon- sum zu mahlen und eine drückende Konkurrenz für die kleineren Mühlen hervorzurufen. Aehnlih liege die Sache in Bezug auf den Export gemischten Getreides. Die Vertreter der See- städte würden dies wohl des Näheren ausführen. Das Jn- teresse der Seestädte sei auh das Fnteresse der Landwirthschaft ihrer Hinterländer, welche ihr inländisches Getreide in derMischung mitausländisheman das Ausland wiederabseßten. Derinländische Getreidepreis rihte sich nach dem ausländischen zusäßlih des Zolles. Je mehr man bei der Rückvergütung auf dem Nach- weis verwendeten ausländischen Getreides bestehe, um so mehr seße man eine Prämie darauf, möglichst viel ausländisches Getreide in der Mischung zu verwenden. Jn den Eingaben der Königsberger Kaufmannschaft sei ausgeführt, daß man nicht jede Mischung bei der Zollbehörde anzeigen könne, weil oft ein einziges Haus an einem Tage 30—40 Mischungen vornehmen müsse. Reine Transitläger kämen ZOLI kaum vor, weil man bei der Lagerung nicht wissen könne, ob das Getreide ins Jnland oder Ausland verkauft werden solle. Auf genten Lägern brächten aber die Zollvorschriften alle jene mständlichkeiten hervor. Noch in dieser Session seien Aen- er eleg nothwendig. Ob das Haus nun seinen Antrag im Ganzen oder in den zwei Stückten des An- trages Stolberg und Rickert annehmen wolle, sei ihm gleich- gültig, er wünshe nur, daß das Haus so viel als mögli von diesen Anträgen annehme. Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Direktor im Reichs- [Gage Burchard, erwiderte, der ursprüngliche Antra auf ufhebung des Flachszolls, welcher ja einen auf mangelhafter

derungen