1880 / 117 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 21 May 1880 18:00:01 GMT) scan diff

toren, mit denen man einmal gesiegt habe, pflegten von anderen Armeen fofort nachgeahmt ju werden, man könne deshalb für die Zukunft nit dieselben Erfolge von ihnen erwarten. So habe Napoleon I. 1813 einer ganz anderen preußishen Armee gegenüber gestanden, wie 7 Jahre vorher, 1806. Bei seinen takti- scben Betrachtungen folgt der Verfasser im Wesentlichen der chrono- logischen Reihenfclge des Generalftabswerkes, das als ein integrirender Theil der Betrachtungen angenommen wird. Zur Orientirung giebt der Verfasser eine kurze Uebersicht der Begebenheiten und beschäftigt fih vorzugéweise mit den Momenten des Infanteriegefechts, wo eine Aenderung der bisherigen Taktik wünschenswerth erscheine. Bevor er auf die S{lacht selbst eingeht, erörtert der Verfasser mit Rück- siht auf die seit 1870 erschienenen taktishen Schriften, die das Jn- fanteri: gefewt behandeln, furz die Frage: Wie steht unser Cxerzier - Reglement zu den heutigen taktis&en Anforderungen ? Mehr und mehr breche sich in der eins{lägigen Literatur die UVeberzergung Bahn, daß die durch das Exerzier-Reglement gegebenen Gefechtdirektiven genügten zur Anbahnung der nothwendigen taktischen Reformen. Bei dem großen Spielraum, den das Reglement für die Anwendung der tafltishen Formen gestatte, sei es aber unvermeidlich, daß fich in der Praxis Gewohnheiten bei der Darstellung von Gefechts- formen einshlihen, die den heutigen taftishen Anforderungen durchaus nicht entsprächen. Diese Gewohnheiten stammten theils aus dem Bes streben, abgestorbene @efehtsformen mit den neueren Vorschriften des Reglements über das Gefeht der Compagniekolonnen zu verwertben, theils aus iudividuellen excentrishen Ansichten. Die taktischen Schriften stellten nun einerseits Studien an im Sinne des Reglements, ande- rerseits wünschten sie die Ueberreste der alten Fechtweise aus dem Reglement zu beseitigen und eine \{härfere reglementarische Begrenzung des Spielraums der ‘taktischen Gefehtsformen herbeizuführen. Er- freulih sei aber die Anerkennung, der sib der Verfasser an- schließt, daß das Reglement durchaus kein Hinderniß biete für eine rationelle Taktik, Die taktishen Schriften wendeten ih vielmehr gegen eine verkehrte Auffassung des Reglements. Sache der Praxis, namentlich der Besichtigungen sei es, die Anwen- dung der vom Reglement gestatteten Formen zu regeln und so eine richtige Grundlage für das Gefecht zu s{hafen. Es müsse fich hier eine ebenso feste Norm bilden, wie sie bei unserem Schul- exerzieren bestehe und früher bei der Darstellung der jeßt veralteten Gefehtsformen bestanden habe. Habe si diese feste Norm in der Praxis gebildet, so werde das Reglement, wie {on öster, folgen mit Ausmerzung der nicht mehr nothwendigen, \{härferen Bestimmung der für das Gefecht anzuwendenden Formen. Je mehr si die tak- tishen Ansichte.1 klärtin, desto s{chneller werde sih diese wünschens- werthe Norm sowohl für Einübung und Darstellung der Gefe:4ts- formen als für ihre Anwendung im Terrain finden. Zu dieser Klärung könnten taktishe Schriftsteller viel beitragen, indem sie verschiedene Ansichten über unwesentlihe Punkte bei Seite ließen und übereinstimmend das Wesentliche bervorhöben. Durch die in der vorliegenden Schrift angestellten taktisc:en Betrach- tungez hat der Verfasser in eng gezogenen Grenzen einen Versuch nach dieser Richtung gemabt. An einem konkreten Falle will er als Beispiel die Kunst der Truppenführung zeigen ; aus dem Gange der vorgeführten Schlacht selbst die taktishen Grundsäße entwickeln. Indessen bemerkt der Verfasser felbst, daß die Erscheinungen einer Schlacht nur beshränkte Erfahrungen liefern und den Gegenstand nicht erschôpfen, deshalb können sie auch nicht typisch für das ge- ammte taktifhe Gebtet sein.

Der „Haus-Secretair“ von Schmalz (Carl Hey- manns Verlag in Berlin W.), welcher in einem Zeitraume von 60 Jahren in 17 starken Auflagen vergriffen ist, er- scheint jeßt in einer achtzehnten vollständig umgestalteten und mit Rücksicht auf die neueste Geseßgebung hergestellten Auflage. An dem bewährten Plan, welcher diesem Volksbuche einen so an- dauernden Erfolg verschafft hat, nämlich das umfangreiche Matertal praktis zu zergliedern und übersihtlih anzucrdnen, alles Unwesent- liche wegzulassen und das Wesentliche klar zu erläutern, ist auc bei dieser gänzliÞh neu hergestellten Ausgabe festgehalten worden. Auf Grundlage desselben ist das Gesammtwerk in 4 Theile eingetheilt, und zwar: I. Vaterländisches (Deut- ses) Geseßbuh. 1. Abth.: Verfassung und Verwal- tung des Deutschen Reichs. 11. Vaterländisches (Deutsches) Gesetz- bu: 2 Ab1h.: Deutsches Reichsreht. 111. Preußisches Gesetzbuch. IV, Familien- und Geschäftsbriefsteller, welche nah dem Prospekt ca. 30 Lieferungen von je 3 Bogen Umfang ergeben werden. Wöchentlich foll eine Lieferung in groß Oktav auf gutem Papier zum Preise von 50 ausgegeben werden, so daß also das Werk noch im Laufe dieses Jahres ¿um Abschluß gelangt. Die bis jeßt ershienenen Lieferungen geben Zeugniß von der sorgfältigen und zweckmäßigen Bearbeitung, welce die möglichste Vollständigkeit und Zuverlässigkeit erstrebt. Selbstverständlih wird in dem Werke auch das scit dem 1. Oktober 1879 in Kraft getretene Prozeßverfahren Ene bereits aus der Praxis geshöpfte Darlegung und Erklärung inden.

„Indien in Wort und Bild“ vonEmil SwHlagintwe it. Mit 400 ZUustrationen. 9.—10. Lieferung. Leipzig, Dérlaa von Schmidt & Günther. à 14 4 Diese beiden Lieferungen erwecken durch ihre Jllustrationen: Bauwerke und Landschaften aus dem süd- lihen Indien, ter Provinz Madras, veranschaulichend, besonderes Interesse. Sie fiellen die eigenartigen Riesen-Pyramiden zu Tandschor, Kombakonam, Tritcinapalli und die Tempel zu Kondscheweram, Tschedambaram, Gharispur dar, Architekturbilder, welche auc für den Architekten Werth haben, da diese eigenartig reizvollen Architekturen wen noch wenig bekannt sind, obwohl sie ein eingehendes Studium verdienen.

Land- und Forstwirthschaft.

__ Breslau, 19, Mai. (Schles. Ztg.) Nachdem gestern noch bis \pât Abends der Zutrieb der Schauthiere stattgefunden hatte, welche aus allen Theilen der Provinz größtentheils mit den Eisen- bahnzügen angelangt waren, wurde die Schlesische Provinzial- Thierschau heute früh programmmäßig eröffnet. Troß der nicht freundlichen Witterung war die Ausstellung ziemli lebhaft besucht, namentlich am Nachmittage, an dem eine Militärkapelle auf dem Playe konzertirte, und die zur Schau gestellten Pferde vorgeführt wurden. Von Berlin war der Königliche Staats-Minister und Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Dr. Lucius, zum Besuch der Provinzialschau eingetroffen und besichtigte leßtere in allen ihren Abtheilungen auf das Eingehendste. Auch der Ober- Präsident von Seydewiß, sowie der Präsident des landwirthschaft- lichen Ce. tralvereins, Graf von Burghauß waren im Laufe des Vormittags erschienen. Was nun die Schau anbelangt, so ist nicht nur die internationale Schafshau, sondern auch die Pferdeshau und die Rinderschau ganz außerordentlich rei beschidckt, während die S{weineschau nur eine geringere Anzahl von Thieren aufweist. Auf der Schafshau finden wir, daß die An-' sihten über die Züchtungérichtungen ganz außerordentli ausein- andergehen. Bei ¡den Tuchwollshafen finden wir \{lesi\{e Electoral ausgestellt, unter den Kammwollschafen überwiegend fran- zösishes Blut vertreten. Bei den Fleishschafen sind zum größten Theil englishe MRacen ausgestellt. SchließliÞh seien noch die vier kurdisben Fettschwanzscbafe und 4 Fettshwanzschafe, Kreu- zung mit Southdown - Müttern, erwähnt, ausgestellt von Casimir v. Chlapowski-Kopaszewo (Posen). Schweine sind, wie bereits bemerkt, nicht fehr zahlreich vertreten, sie lassen aber in Bezug auf die Qualität der ausgestellten Exemplare Nichts zu wünschen übrig. Namentlich unter den englischen Racen finden fich

Practexemplare.

_— Aus Frankfuxt a. M. geht uns folgender, vom 21. d. M. datirter Saaten stanvsbe rit zu: Der anhaltende Nordostwind ruchtgattungen sehr zurück und fängt be-

hält die Vegetation aller reits an, denselben s{chädlich zu werden; insbesondere ift bei \{chwerem Es bewährt \ich

Grundsatze beruhen,

ftellte Herbst- und Frühjahr-Aussaaten si besser gestalten, als die späteren. Folgendes ist über den Stand der einzelnen Früchte zu be- rihten: Raps ist an mehreren Orten ausgewintert; der noch vor- handené hat dur die Käfer und geringeren Ansaß der Schoten gelitten. Bei Weizen hat die frühe Herbstbestelung günstigeren Stand als die spâte Aussaat; leßtere wird sih bei anhaltender Trocknung wenig bestocken können. Das Gleiche ist von Gerste zu berihten. Da Dee bei günstiger Bestellung mehr Trockenheit vertragen kann, o ist sein Stand noch günstig. Ein trauriges Bild geben die Obstbäume, da dieselben durch den tiefgehenden Froft erfroren find, besonders in den Tiefungen. Der Klee ift durch den sehr dichten Stand noch gut, wird aber bei anhaltender Dürre nothleiden, na- mentlih der zweite Schnitt. Die Wiesen haben auf höher ge- legenen Gegenden sehr gelitten.

s Gewerbe und Handel.

Die Liquidation der Baltishen Waggonfabrik- Aktiengesfell\chaft ist nunmehr völlig zu Ende geführt worden. Für die Aktionäre diescr im März 1872 mit einem Aktienkapital von 1650000 Æ gegründeten Gesellschaft hat die Liquidation nichts ergeben; dagegen sind die Gläubiger durch Ueber- lassung der Forderungea, welche die Baltis%e Waggonfabrik an die Berliner Nordbahn und die Pommersche Centralbahn hatte, befrie- digt worden.

In der Generalversammlung der Rumänischen Bank vom 14, d. M. wurde die Vertheilung einer Total-Dividende von 30 Francs auf die mit 200 Fraycs eingezahlten Aktien beschlossen.

London, 20, Mai. (W. T. B.) Bet der gestrigen Woll- auktion waren australis{e Wollen williger.

Havre, 20. Mai. (W. T. B.) Wollauktion. 2316 Ballen angeboten, 217 Ballen verkauft. Geschäft unbelebt, Verkäufer halten fest an ihren Forderungen.

Verkehrs-Anftalten.

New - York, 20. Mai. (W. T. B) Ver Dampfer „Grin“ von der National -Dampfs\chiffs - Compagnie (C. Messingsche Linie) ist hier eingetroffen.

Berlin, 21. Mai 1880.

__ Verein für Geschichte der Mark Brandenburg.

Sißung vom 14. April 1880. Im zweiten Bande der von Montan jüngst in s{wedisher Sprache herautgegebenen Tagebuchaufzeichnun- gen des Freiherrn von Ehrensvärt finden sich 14 Depeschen, die dieser als s{chwedischer Gesandter in Berlin vom August 1782 bis zum Februar 1783 an seinen Hof geschickt hat. Hr. Oberlehrer E. Meyer machte die Anwesenden mit dem Inhalt bekannt, der freilih wenig bedeutend ist, da, wie Ehrensvärt selbst wiederholent- li agt, der große König seine Regierungsgeschäfte in undurhdring- lichem Geheimniß zu führen verstand. __ Veranlaßt durch die Mittheilungen, welche Hr. Geh. Arhiv-Rath Hassel in der leßten Dezembersißung aus dem Reisetagebuhe des Levin von der Schulenburg (1602 ff.) gemacht hatte, und um aufs Neue zu zeigen, wie wünschenswerth eine Sammlung derartiger Auf- zeichnungen sei, legte Hr. Oberlehrer E. Fischer die von Hrn. Pro- fessor Knothe in Dresden veröffentlichten Auszüge aus der Beschreibung vor, welche Michael Frank, Pastor in der Lausitz, von seinen Reisen als fahrender Schüler (1586—1592) handschriftlic E hat. Die auf märkisce Orte bezüglichen Stellen wurden vorgelesen.

In der Maisizung beshloß der Verein, in seinen „Märkiscen Forschungen“ eine Sammlung von Shriftdenkmälern und seltenen Drucken zu veröffentlichen, welche fih auf die gesellschaftlichen, literarishen und künstlerishen Zustände der Mark Brandenburg in den älteren Zeiten beziehen, Da es sih nur um Aufzeichnungen von Zeitgenossen über selbsterlebte und selbstgeschene Dinge handelt, so werden ältere Versuche, die heimische Geschichte darzustellen, wie solhe in Chroniken von Städten und Familien nicht selten unge- druckt vorhanden sind, keine Aufnahme finden, außer so roeit sie Gleichzeitiges behandeln; dagegen gehören in erster Linie hierher Tagebücher, wie solhe zumal auf Reisen häufig geführt wurden, Schilderungen von Orischaften und Gegenden, RNeisebeschreibungen und Reifehandbücher, Briefe, umfangreicbere Eintragungen in Kalender oder in Hausbibeln 2c. Der Begriff der Mark Brandekburg ist dabei im weitesten Sinne zu fassen. Einleitungen und Anmerkungen werden beigefügt werden, sich jedoch auf das zum Berständniß Noth- wendigste beschränken.

Verein für deutsches Kunstgewerbe zu Berlin. In der 23, Hauptversammlung wurde vom Vorsitzenden Prof. Vogel zu- nächst die Neuwahl einer Kommission angeregt, welche Behufs der seit längerer Zeit geplanten, für das Kunstgewerbe äußerst wichtigen Gründung einer Zeitschrift in Berathung treten soll, Gegenwärtig vorliegende günstige Verhättnisse lassen hoffen, daß das fo bedeu- tungêvolle Unternehmen in nit ferner Z:it gesichert sein wird.

Hr. Bildhauer Wiese las über die Proportionslehre des mens{lihen Körpers und erläuterte seinen Vortrag dur während desselben ausgeführte Skizzirungen, sowie dur Vorzeigung verschie- dener Abbildungen und Bronzefiguren. Zu allen Zeiten hat man sih_ bemüht , den so geheimnißvollen Begriff der menschlichen Swönheit auf bestimmte Maße zurückzuführen. Es is dies ins- besondere wichtig für das Kunstgewerbe, welches fo häufig figürlihe Darstellungen anzuwenden hat und welches dabei, im Gegensaße zur reinen Kunst, sich mehr an bestimmte Formen binden muß. Uralt ist die Wechselwirkung zwischen dem Stil in der Architektur und der Ausbildung figürlicher Darstellungen, wie z. B. ein Vergleich zwischen den griechis{chen Säulenordnungen, den romanischen und gothishen Bauwerken mit den betreffenden Bildhauerarbeiten dieser Epochen darlegt. Das heutige Kunstgewerbe, welches mit Vorliebe“ die Muster der Renaissance adoptirt, muß demgemäß auch in seinen figürlichen Arbeiten die entsprebende Rich- tung verfolgen, welche sih einigermaßen der Antike nähert. Um eine proportionirte menschliche Gestalt zu entwerfen, ist es nötbig, die richtigen Verhältnisse einer solchen zu kennen; diese müssen auf Grund einer Maßeinheit berechnet werden. Verschiedene Systeme sind zu diescm Zweck aufgestellt: das älteste ist das des Polyklet, welcher bereits im Jahre 420 v. Chr. ein Lehrbuch über Proportionen verfaßte; Dürer leate dem seinigen das Quadrat zu Grunde, während Horace Vernet die mens{hlide Kopflänge als Maßeinheit aufstellte, ebenso Schadow in seinem berühmten Werke : „Polyklet", Neuerdings hat Bochaneck in der Zeitschuift des deutschen Graveurvereins die schr alte, bereits von Euklid in Au- wendung gebrachte Lehre vom goldenen Schnitt empfohlen. Der Vortragende nimmt die zehn Mal in der mens{lichen Figur exthaltene Kopflänge als Einheitsmaß an und egte auf Grund langjährigen Studiums, wie beinahe sämmtliche Verhältnisse des Köryers auf diesern l si aus demselben konstruiren und mittelit des Dezimalmaßes auf jede beliebige Größe reduziren lassen. Allgemeines Interesse erregte bei der Versammlung eine Ausstellung von kantig profilirten Säulen aus der Werkstatt der Hrrn. Zinngiebel u. Co. Nachdem man sich seit dem vorigen Jahrbundert bemüht hat, nit nur runde, sondern auch eckige Säulen auf der Orehbank in Majjen herzustellen, is es genannter Firma neuerdings gelungen, diese Aufgabe in einer allseitige Anerkennung findenden Weise zu lôfen. Vie Vorrichtung ift so einfa, - daß sie sich an jeder Drehbank anbringen;läßt. Sie liefert z. B. von einer vorgezeigten \{chöôn profilirten kantigen Säule in kürzester Frist fünfzig absolut korrekt ausgeführte, gleichmäßige Excmplare, und zwar nach jeder

Boden die Ackerkrume {on sehr ausgetrocknet, diesem Frühjahr wieder dic alte Erfahrung, daß früh und günstig be-

Die von Hrn. Bette ausgestellten Heliogravüren des Makart- {hen Wiener Festzuges sowie mehrere neue Pracbtwerke aus dem Verlage von E. Wasmuth nahmen ebenfalls das Interesse der Ver, sammlung längere Zeit in Anspru.

Nach dem KXRI. Jahresbericht des Deutschen Vereins zux Verbreitung gemeinnüßtziger Kenntnisse in Prag auf das Vereinsjahr 1879 hat der Verein auch in diesem Zeitraume wieder erfreulihe Resultate zu verzeichnen. Im Laufe des vergangenen Jahres sind 468 ordentliche Mitglieder beigetreten, so daß ter Verein am 31. Dezember 1879 die Zahl von 4433 ordentlichen und ftiftenden Mitgliedern aufwies, Die Einnahmen beliefen si auf 8101 fl. 81 fr, während die Ausgaben 6878 fl. 35. kr. betrugen, so daß am 31. De- zember 1879 ein Kassabestand von 1223 fl. 46 kr. aus\chließlich der dem Reservefonds angehörigen 700 fl. Nominal-Papier-Rente sid vorfand. Dem Reservefonds wurden, abgesehen von den obens- genannten 700 fl. Papierrente, noch 1005 fl. 50 kr. zugewiesen, \o daß derselbe bereits die Höhe von 1705 fl. 50 kr. erreicht. Außerdem besißt der Verein eincn Vorrath von seinen eigenen Publikationen im Werthe von wenigstens 9000 fl. Troßdem, daß der Verein Ende 1878 bereits 572 Scul- und 32 Volksbibliotheken aufgestellt, hatte derselbe in dem „verflossenen Jahre wieder 9 Schul- und 5 Volks, bibliotheken zu liefern, so daß sih die Gesammtzahl der von ihm aufe gestellten Schulbibliotheken auf 581 und die der Volksbibliotheken auf 37 beläuft. Außerdem hatte der Verein noch eine stattliche Reihe der von ihm früher gelieferten Bibliotheken zu ergänzen und zu erweitern. Das vom Vereine zusammengestellte zoologishe Wandermuseum hat im verflossenen Jahre feine Wanderung durch das westlihe Böhmen gemacht; dasselbe wurde während der Zeit vom 1, März bis 31. Dezember 1879 von 9643 Personen besichtigt. Die günstigen Erfolge, die mit diesem Bildungsmittel erzielt wurden, haben den Aus\ch{uß veranlaßt, die Anschaffung eines zweiten solchen Museums zu beschließen, und wird dasselbe bald seine Wanderung im Süden und Osten von Böhmen antreten können, während das erste seinen Weg durch den westlihen und nördlichen Theil des Landes fortseßt. Wie in den früheren Jahren war der Ausschuß haupt- sächlich bestrebt, durch die Herausgabe und Verbreitung von Druck- schriften zu wirken. So wurden im verflossenen Jahre Vorträge und Werke, deren Bogenanzahl die Ziffer 186 000 erreicht, von dem Vereine veröffentliht. Der „Deutsche Volkskalender“ hat sich troß der auf diesem Gebiete während der leßten Fahre entstandenen Große artigen Konkurrenz auf seiver Höhe erhalten. Die Reihe der Volks- lehrbücher wurde durch einen weiteren Band: „Die Oberfläche der Grde“ von I. Lippert, T. Theil, erweitert. Der zweite Theil dieses Werkes wird in der ersten Hälfte des Jahres 1880 erscheinen. Ge- leitet „von dem Gedanken, daß nur ein richtiges Verständniß der vaterländischen Gesetze die nothwendige Grundlage der auf innerer Ueberzeugung beruhenden Anhänglichkeit an Gese und Obrigkeit bilden, hat der Verein den schon in siebenter Auflage erschienenen Katechismus der Verfassung herausgegeben. Der dadur erzielte Er- folg und die Erkenntniß der Nothwendigkeit einer allgemeinen Kenntniß von Recht und Geseß von Seiten der Staatsbürger und des dadurch zu fördernten Sinncs für Geseßlichkeit hat den Avs\chuß bewogen, die Bearbeitung einer populären Gesectzeëkuande zu vere anlassen, die im Laufe des Jahres 1880 erscheinen wird. Die „Sammlung gemeinnüßiger Vorträge“ wurde auch im verflossenen Jahre durch folgende Hefte, die an Mitglieder unentgeltlich vertheilt wurden, verm:hrt. 1) Nr. 47. Ueber den Einfluß von Schreiben und Lesen auf den menschlichen Körper. Von Dr. F. Renk. 2) Nr. 48, Die neuen Wunderdinge der Erfindung. Das Lelephon, Mikrophon und der Phonograph. Von B. Esmarch. 3) Nr. 49. Ueber den Einfluß des Alkohols auf den Menschen. Von Dr. F. Gang- hofner. 4) Nr. 50, Die deutshen Personennamen. Von Prof. A. Hrushka. 5) Nr. 51, Das Börsenspiel im 17. und 18. Jahre hundert. 6) Nr. 52, Ueber Lebensdauer und Beruf. Von Dr. M, Popper. 7) Nr. 53, Wie die Menschen kochen lernten. Von F. Lippert. 8) Nr. 54. Unsere nächste Volkszählung T. Gescbichts- abriß und Grundfragen. Von Dr. Vincenz John. Daß der Verein mit seinen Publikationen den rihtigen Weg eingeshlagen hat, dafür bürgen ihm auch die verschiedenen im Laufe des verflossenen Iahres zu Theil gewordenen Auszeichnungen. Es wurden dem Vereine zue erkannt : von der „Jury der Pariser Weltausstellung“ die „Mention honorable ; von der Allgemeinen Auéstellung von Erzeugnissen der Kunst, Wissenschaft und Industrie für die Jugend, in Dresden, der erste Preis (eine silberne Medaille) „für das sehr anerkennent- werthe Streben dur gute Bücher gemeinnüßige Kenntnisse zu ver- breiten ;“ und endlich von der Teplißer Gewerbe- und Jndüstrie- Ausstellung die goldene Medaille und der silberne Staatspreis (Ghrenpreis) „für die Publikation und Verbreitung populär- wissenschaftliher Vorträge und Abhandlungen.“ Auße1dem wurde dem Vortrage Nr. 47 die besondere Aus eihnung zu Theil, daß das Königlich bayerische Staats-Ministerium für Kirchen- und Scul- angelegenheiten denselben mit Erlaß vom 27. Wai 1879 zur Anschaffung für die Bibliotheken der Lehrer un Lehrerbildungs- anstalten, dana der Lehrerfortbildungêcourse als voiuziglih eignend empfohlen hat.

Die Internationale Hundeausstellung, die der Verein „Hektor“ auf Tivoli veranjtaltet hat, ist heute Vormittag durch den Hohen Protektor des Vereins, Se. Königliche Hoheit den Prinzen Carl eröffnet worden. Höchstderselbe ecshien, von Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen Friedrich Carl erwartet, kurz nach 10 Uhr in dem großen Saale, wo der Direktor Bodinus das Wort ergriff, um dem hohen Protektor den Dank des Vereins aus- zusprechen und den Staatsbehörden, sowie den Ausstellern für die der Ausstellung bewiesene Unterstüßung zu danken. Im Auftrage des hohen Protektors erklärte sodann Direktor Bodinus die Ausstellung für eröffnet, und der Nundgang dur die einzelnen Abtheilungen nahm seinen Anfang. Die Auésteliung ist auf dem großen Plateau des Tivoli - Etablissements errichtet. In 16 lang- gestredten Reihen sind die mehr als tausend größeren und fklei- neren _Boxes geordnet, in denen etwa 1200 Hunde aller Racen vorgeführt werden. Die berühmtesten englischen und deutschen Züchter haben Prachtcxemplare ihrer Zuchten ausgestellt.

Bu Cloppenburg (Großherzogthum Oldenburg) ist in diesen Tagen ein Erdstoß verspürt worden. Man \chreibt darüber von dort der „Old. Ztg“: „Ein eigenthümlihes Ge- rüht war am Sonnabend hier verbreitet, dem wir Anfangs keinen Glauben \chenkten. Heute wird dasselbe iudessen von so fkompetenter Seite bestätigt, daß man dasselbe nicht wohl mehr mit Stillshweigen übergehen kann. In der Nacht vom Freitag auf Sonnabend will man nämlich hier einen Erdstoß verspürt haben. (s wäre interessant zu erfahren, ob au in avderen Städten des Landes ein Gleiches beobahtet worden. Nach heute eingezogenen Er- kundigungen ist die Bewegung durh den ganzer Ort kemerkt worden.

In der: Nacht vom Mittn-o% zum Donnerstag ist das Pal- menhaus auf der Pfauenizjel gänzlih niedergebrannt. Die sämmtlichen prächtigen Palmen sind ein Opfer des verhcerenden Elementes geworden.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Drei Beilagen (eins{ließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

beliebigen Zeichnung ohne daß der die Maschine bedienende Ar- beiter irgend eines Handwerkzeuges bedarf. MNAE FENEReNDe Ms

Erste Beilage

zum Deutscheu Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Slaats-Anzeiger.

M 117.

Bi D Fi Bata riik a E E A IE L E E

Landtags- Angelegenheiten.

Diedem Gesehentwurke, betreffend Abänderungen derkircen- politischen Gesetze, bezügli der einzelnen Artikel beigegebene Begündung lautet folgendermaßen:

Der Wunsch, den aus den kircenpolitiswen Wandlungen der leßten Jahre hervorgegangenen Beschwerden der katholischen Bevölke- rung Abhülfe zu hafen, ist bei der Königlichen Regierung schon lange rege gewesen. Sie hat deéhalb den Versuch gemact, dur eine ruhige, im Geiste der Versöhnlichkeit längere Zeit hindur ge- führte Erörterung dieses Ziel zu erreicen, si aber davon überzeugen müssen, daß die Verhandlungen bei ihrer Fortseßung stets zu den Anfängen unantegeglichener Gegensäße zurückgeführt hab?n.

Die Königliche Regierung hat fich deshalb entschlossen, das her- vorgetretene Bedürfniß, soweit es ohne Gefährdung der staatlichen Interessen möglich erscheint, durch einen Akt der Lande8geseßgebung zu befriedigen. :

Dies ist der allgemeine Zwek der gegenwärtigen Vorlage, zu deren einzelnen Bestimmungen Folgendes bemerkt wird.

Art. 1. Nächst der Erledigung der Mehrzahl der Bischofssiße empfindet die katholische Bevölkerung in Preußen als das größte Uebel die Verwaisung einer {on jetzt sehr erheblichen, von Tage zu Tage sich mehbrenden Zahl von Pfarreien. Denn die längere Fort- dauer dieses Zustandes müßite mit Nothwendigkeit in nicht ferner Zeit zu solchen Lücken im Bestande der mit der Seelsorge betrauten Geistlichen führen, daß die regelmäßige Befriedigung des kirlichen Bedürfnisses in immer weiteren Kreisen ernsilih gefährdet erscheinen würde. Eine der hauptsähli{sten Sorgen bei den zur Wiederanbah- nung regelmäßiger kirchlicher Zustände zu treffenden Maßnahmen wi:d daher die Ausfüllung jener Lücken bilden müssen. Diesem Zwecke dient wesentlih der Art. 1, indem er insbesondere für die Üeber- gangsperiode nach zwei Richtungen die Möglichkeit saft, im Wege der Ertheilung von Dispensationen von den für die Beklei- dung eines geistlihen Amts geseßlih aufgestellten Erfordernissen auch ohne die Erfüllung der leßteren dem augenkblicälich herrschenden Mangel an Geistlichen abzuhelfen. i; j

I. Das Geseg vom 11, Mai 1873 über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen hat bestimmte Bedingungen aufgestellt, von welchen die Bekleidung eines geistlihen Am1s oder die An- stellung an einer kir{li&en Anstglt abhängt, die der Vorbildung der Geisilichea zu dienen bestimmt ist.

Diese Bedingungen find, wenn von dem Einspcuchsrecht des Staats (§. 15 ff.) abgesehen wird, zweifaher Art. Der Anzu- stellende muß 1) das deutshe Indigenat besißen (§. 1) und hat 2) seine wissenshaftlihe Verbildung a. durch Ablegung der Ent- lassungsprüfung auf einem deutshen Gymnasium, b. durch Zurück- legung eines dreijährigen theologischen Studiums auf einer deutschen Staatsuniversität oder auf einem der Universität gleihgesteliten Klerikal- seminar, c. durch Ablegung einer wissenschaftlihen Staatsprüfung nachzuweisen (88. 1 und 4 ff.). : S

Zur Anstellung an einem Knabenseminar oder Knabenkonvikt ift außerdem d. die Fzhigkeit zur éntsprechenden Anstellung an einem preußiswen Gymnasium, zur Anstellung an einem Klerikalseminar e, die Befähigung erforderli, an einer deutshen Staatsuniversität in E Disziplin zu lehren, für welche die Anstellung ezfolgt (§8. 10 und 11).

Diávensatignen von den obigen Erfordernissen sind nur in dbe- \{chränktem Maße zuläsfig. i

Von dem deutschen Jndigenat (Nr. 1) und den besonderen Quali-

fikationen der Nr. 2 d. und e. kann überhaupt kein Nachlaß bewilligt

werden. Hinsichtlih der Nahweise unter Nr. 2 a. bis e. ist aus- \chließlich für Auéländer eine volle Dispenfation vorgesehen (F. 26 Abs. 3). Für Inländer greift leßtere nur insoweit Play, als die betreffenden Personen bereits vor Verkündigung des Geseßes in ihrer Vorbildung zum geisilihen Amt vorgeschritten waren (S. 26 Abs. 2), Sonst kann einem Inländer ledigli für das vorgeschriebene akademische Triennium (Nr. 2 þ.) eine Erleichterung gewährk, d. h. unter geseßlich fest bestimmten Voraussezungen (Studium einer an- deren Wissenschast, Studium auf einer außerdeutschen Universität, besonderer Bildungêgang) ein angemessener Zeitraum erlassea wer- den (S d).

Die” Swranken, welche damit dem Dispensations8reht gezogen find, haben \sich {on im Verlauf der E MY Jahre mehrfach als zu eng erwiesen. Seitens der kirhlichen Behörden ift wiederholt die Nothwendigkeit betont worden, für außerordenilibe Fälle die Mög- lihkeit zum Erlaß der Maturitätéprüfung zu eröffnen. Mißstände find ferner in den Grenzparochieen, resp. in folchen preußischen Kirchen- gemeinden hervorgetreten, welche von auswärtigen oder ausländischen Geistlichen bedient werden, und deren anderweite kirhlicde Versor- gung nah Lage der lokalen Verhältnisse nit zu erreichen ist. Unter derartigen Verhältnissen lassen \sich die absoluten Vorschriften des Geseßes, welches die Autübung eines geistlihen Amts innerhalb der Monarchie ausnahmslos vom Erwerb des deutschen Indigenats, bezw. von dem zwingcnden Nachweise einer von Haus aus nuc für preußische Geistliche berebneten Vorbildung abhängig maten, für die Dauer ohne Nachtheile für das kir{liche Leben in einzelnen Grenzdistrikten nicht durchfübren. Es bedarf vielmehr einer Er- leichterung, welche die Möglichkeit bietet, einer kir{lihen Verwaisung der betreffenden Gemeinden mit Erfolg zu begegnen. S

Diese Fälle treffen das {on unter normalen Verhältnissen fi{ geltend machende Bedürfniß. In verstärktem Maße aber wird sich außerdem mit Rücksicht darauf, daß zahlreih kirhlihe Seelsorze- ämter in den katholisWen Diözesen erledigt sind, und daß der Kreis von solchen Geistliwen, welce hinsichtlich ihrer Vorbildung den ge- seßlicen Erfordernissen überall entsprechen, fich in der leßten Zeit stetig vercngt hat und noch fortdauernd verengt, die Nothwendigkeit ergeben, den Uebergang in geordnete Zustände durch Digspensationen zu vermitteln. Es erscheink weder geboten, noch thunlich, die Vor- ausfeßungen, unter welchen lehtere zu gewähren, von vornherein ge- seßlih zu firiren. Vielmehr dürfte es rathsam sein, die Feststellung der Grundsäße, nah welchen das Dispensakionsre{t von der refsort- mäßigen Stelle im einzelnen Falle auszuüken sein wird, in die Hand des Staatsministeriums zu legen, bei der Wichiigkeit des Gegen- lanves aber für diese Entschließungen königliche Geneimigung vor- zubehalten.

II. Die Ablegung einer besonderen wissenschaftlichen Staaits- prüfung, welche das Geseg vom 11. Mai 1873 §8 4, 8, 27 für die Anstellung im geistlichen Amt erfordert, soll eine Garantie dafür bieten, daß die Geistlichen eine genügende allgemeine wissen- \haftlihe Bildung erhalten. Durch spezielle Aufzählung derjenigen Disziplinen, auf welche sich die Prüfung zu erstrecken hat (Philo- sophie, Geschichte und Deutsche Literatur), ist Gewähr dafür geleistet, daß die Prüfung nit in das theologishe Gebiet übergreift.

Inwieweit den Beschwerden, welche gegen diese Einrichtung kirh- licherseits insbesondere dahin erhoben worden, daß eine, neben der kirhlihen Fachprüfung herlaufende besondere Staatsprüfung die Theologen mit doppelten Examina und doppelten Kosten belastet, eine gewisse Berechtigung zuzugestehen, kann hier unerörtert bleiben. Jedenfalls treffen sie nur die Art und Weise, mittelst deren der Staat den erforderlichen Nachweis über die allgemeine wissenschaftliche Bildung der Geistlichen geführt zu sehen verlangt, nicht den Gedanken, welcher dem Gesetz selbst zu Grunde liegt. Jener Nachweis aber läßt fich au auf anderen Wegen erbringen. Bis zum Jahre 1848 unterlagen in Preußen die Vawprüfungen der katholischen Theo-

Berlin, Freitag, den 21. Mai

logen der Aufsicht der Oberpräsidenten, und Leßtere waren befugt, diejenigen Kandidaten, welhe außer Landes ihre theologischen uad philosophischen Studien gemacht hatten, in Beziehung auf allgemeine wissensaftlihe Bildung noch einer besonderen Prüfung zu unter- werfen (Dienstinstruktion für die Provinzialkonsistorien vom 23. Okto- ber 1817 §8. 4 Nr. 5 (G. S. S. 237) und Staatsministerial- Erlaß vom 21. Juli 1829 Nr. 6 [von Kampyz: V. 622]).

In der oberrheinishen Kirchenprovinz wohnte früher der kirhlichen Fachprüfung ein landesherrliher Kommissar bei, welcher sich die Ueberzeugung zu vershaffen haite, daß die Kandidaten den Gefeßen und Vorschriften des Staats Genüge geleistet und nah Betragen und Kenntnissen der Aufnahme würdig feien (Edikt rom 30. Januar 1830 §. 29, Erlaß vom 1, März 1852 §. 8). Dem entspcidt im Wesentlil;en noch das heutige Net in Württem- berg und für gewisse Fälle auch das Verfahren im Königreiche Sachsen (Geseß vom 23. August 1876 §. 22), während sich_ in Baiern die Einrichtung einer gemeinschaftliwen Prüfungskommission von Staats- und Kirchendienern (Staatsministerial-Entschließung vom 8, Ayril 1852) bewährt hat.

Grundsägli dürfte hiernach kein Bedenken dagegen obwalten, eine anderweite Regelung der Materie in Aussicht ¿u nehmen, welche die berectigten kirhlihen Wünsche mit den maßgebenden Interessen des Staats in Einklang seßt. Da es sch hier um Vorschriften han- delt, deren praktische Durchführung von einer positiven Mitwirkung der kirhlihen Organe abhängt, fo ist zur Zeit eine im Einzelnen bestimint formulirie Aenderung des Geseßes ausges(lossen, Sie wird erst, wenn durch das Entgegenkommen der betheiligten Kreise der nolhwendige Boden für eine entsprehende Einrichtung gewonnen ist, erfolgen können. E o

Aus diesen Gründen empfiehlt es si, wie für die grundsäßliche Regelung des Dispensationsrechts (Nr. 1.) auch hier den Weg der geseulihen Vollmacht zu betreten, gleichzeitig aber dur Erweite- rung der leyteren Vorkehrung zu treffen, daß Personen, welcke ihre Ausbildung auf solc(en ausländischen Anstalten suchen, deren Leitung in ciner fstaatsgefährlihen Richtung erfolgt, von der Anstellung im preußisben Kircendienst ferngehalten werden können. Hierauf bezliglihe Vorschriften haben bereits früher in der Monarchie gegolten. L

Art, 2, Das Geseß vom 12. Mai 1873 über die kirliche Dis- ziplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofs für kfirchlide Angelegenheiten hat die Berufung an den Staat gegen Disziplinar-Entscheidungen der kic{lichen Behörden der Art gestaltet, daß, wo das Rechtêmittel mit Erfolg eingelegt wird, ein prinzi- pieller Gegensaß in die Erscheinung tritt. Denn der Gesetzgeber hat si richt darauf beschränkt, nah dem Vorgange des französi- \chen Nets den cas d'abus theorethisch feststellen zu lassen, oder, wie dies in dem Großherzoglich hessischen Geseß vom 23. April 1875 Art. 10 geschehen, einer von den kirchlihen Behörden aus8gesproce- nen Entfernung aus dem Kirhenamt unter Umständen die vermö- gensredtliche Folge zu versagen. Nab §8. 21 und 23 des preußi- schen Geseßes wird vielmehr „die Vernichtung der angefochtenen Entscheidung“ ihrem ganzen Umfange nach ausgesproben, auch der geistlihe Obere zwangsweise angehalten, „die Aufhebung der Bollstreckung zu veranlassen und die Wirkung der bereits getroffenen

Annalen

Maßregel zu beseitigen“. Der kafsatorisde Spruch der Staatöbehörde | ; Sedisvakanz ohne Neuwahl ges{haffen werden, so betarf es eines

erstreckt fi Hiernach auf fämmilie Rechtsfölgen der ergangenen Entscheidung ohne Unterschied, ob dieselben auf staatlicem oder auf kirhlihem Boden liegen. :

Bei der über den einzelnen Fall hinau8gehenden Tragweite der Berufung an den Staat erscheint es nicht ohne Bedeaken, daß dieses Rechtsmittel außer der Staatsbehörde auch jedem Kircendiener (den clerus minor ecingeschlessen), gegen welchen eine Disziplinar- Entscheidung «rganzen ist, zusicht. Dem politishen Charakter des recursus an den Staat, wie der Eigenartigkeit der in Betracht kom- menden Verhältnisse entspriht es daßer mehr, wenn die Einlegung des NRechtsmittels auf solche Fälle beschränkt wird, in welchen nicht tlos cine Schädigung von Privatrehten, sondern zuglei eine die staatlihen Interessen gefährdende Verleßung der öffentlihen Rechts- ordnung in Frage kommt. Demgemäß wird die Einlegung des Rechtsmiitels aus\{lißlich in die Hand des Dberpräsidenten zu leger, ihm auv das Recht, von der weiteren Verfolzung dcs Rechts- mittels Abstand zu nehmen, beizulegen sein.

Art. 3. Nach §. 24 des Geseßzes vom 12. Mai 1873 können Kirchendiener, welche die auf ihr Amt oder ihre geistlihen Amts- verri{tungen bezüglichen Vorschriften dex Siagats3geseße oder die in diefer Hinsicht von der Obrigkeit innerhalb ihrer geseßlichen Zustän- digteit getroffenen Anordnungen so {wer verleßen, daß ihr Verblei- ben im Amte mit der öffentlichen Ordnung unverträglih erscheint, auf Antrag der Staatsbehörde durch gerichtliches Urtheil aus ihrem Amte entlassen werden. Die Entlassung aus dem Amte hat die rechilihe Unfähigkeit zur Ausübung des Amtes, den Verlust des Amiseinkommens und die Erledigung der Stelle zur Folge.

Ein gleihes Verfahren ist in den §8. 12 und 13 des Gesehes voim 22, April 1875, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholishen Bisthümer und Geist- lichen, gegen diejenigen Personen vorgesehen, welhe die von ihnen {riftli erklärte Verpflichtung, die Gesehe des Staates zu befolgen, widerrufen oder der von thnen übernommenen Verpflichtung zuwider die aus ihr Amt oder ihre Amtsverrichtungen bezüglichen Vor- {riften der Staatsgeseze oder die in dieser Hinsicht von der Obrigkeit innerhalb ihrer geseßlihen Zuständigkeit getroffenen An- ordnungen verleßen,. :

Diese Vorschriften haben lebhafte Angriffe erfahren, indem na- mentlih mit besonderem Nachdruck gegen sie geltend gemacht worden ist, daß ebenso wie die Beseyung kirdlier Aemter aus der staat- lichen Sphäre herausfalle, auch die Entlassung aus denselben fi der Zuständigkeit des Staates \{le{chterdings entziehe: der Staat könne nit nchmen, was er nicht verliehen habe, Manu kann zu- geben, daß, da die Besetzung der kirchlichen Aemter grundsäßlich der Kirchengewalt gebührt, folgeweise au die Entziehung derselben resp. die sörmlihe Amtêéentlassung von Kirchendienern nicht in die ftaat- liche Zuständigkeit fällt. Von diesem Gesichtspunkte aus hatte be- reits bei Berathung des Gesetzes vom 11. Mai 1873 die ursprünglice Fassung des §. 21, wonach die Verurtheilung zur Zuchthausstrafe, die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter den „Verlust des geistlihen Amtes“ zur Folge haben sollte, im Landtage Anstoß erregt, weil damit der Schein erweckt werden könne, als wolle der Staat dur staat- liche Autorität eine Beendigung des kirhlihen Amts aussprecen, welches doch nur von der Kirche verlichen sei (Bericht der XIV. Kommission des Abgeordnetenhauses S, 34), und eine ander- weite Redaktion des §. 21 veranlaßt, welbe die Rechtsfolgen der ge- rihtlihea Verurtheilung auf die als Entziehung des staatliden Exequatur harafterisizte Erledigung der Stelle, die Unfähigkeit zur Ausübung des geistlihen Amts und den Verlust des Amtsein- kommens beschränkt. N

Es ist eine Konsequenz der damals gebilligten Auffassung, wenn nunmehr au für das Einschreiten der Staatsbehörde in Gemäßheit der Geseße vom 12, Mai 1873 (8. 24) und vom 22. April 1875

(8. 12) die Grenzlinie zwischen Staat und Kirche dahin berichtigt werden soll, daß tünftig niht mehr die Entlassung „aus dem kir- lien Amte guszusprehen, sondern uur auf Unfähigkeit zux Beklei-

dung des Amts mit dem Verlust des Amtseinkommens als Rer, (18° folge zu erkennen ist.

Fär den Bereich der staatlihen Interessen wird dur die beck absihtigte Einschränkung eine Aenderung in den Wirkungen des Ur- theils nit herbeigeführt. Demgemäß {ließt die Abeckennung der Fähigkeit zur Bekleidung des Amts in gleiher Weise wie die förm- lie Amtsentlassung das Ret zur ferneren Vornahme von Amts- handlungen unter der Strafandrohung des §. 31 im Gefeß vom 12. Mai 1873 aus und begründet in den Fällen des Gescßes vom 22, April 1875 nah §. 13 die Einstellung der Staatsleistungen resp. der Verwaltungsexekution. Ebenso finden, sofern das gericht- lihe Urtheil gegen einen Bischof ergeht, die Vorschriften des Gesetzes vom 20. Mai 1874 wegen Einleitung einer kommissarischen Vers mögensverwaltung bier enisprewende Anwendung, nur daß, weil fortan eine Entlassung aus dem Amte nicht mehr erfolgt, mithin auch keine cigentlihe Sedisvakanz geschaffen wird, die auf die Wieder- Beseßung des bishöflih:n Stuhls abzielenden Bestimmungen (8. 6) außer Anwendung treten.

Daß im Uebrigen au sol{e Kirchendiener, gegen welche eine gerichtliche Gntscheidung gemäß Art. 3 ergeht, unter die Vorschriften des Reich8gesetes vom 4. Mai 1874, betreffend die Verhinderung der untefugten Ausübung von Kircenämtern, insbesondere des 8. 1 daselbst, fallen, kann nah den Absihten und der Entstehungs8geschichte dieses Geseßes um so weniger einem begründeten Zweifel unter- liegen, als das in seinen Motiven speziell angezogene badische Gesetz vom 19. Februar 1874 bei gerichtlihen Entscheidungen der beregten Art gleichfalls nur auf Aberkennung der Fähigkeit zur ferneren Bekleis dung des Amts und den Verlust des Amtseinkommens tenoriren läßt.

Art. 4, Um die Wiederherstellung geordneter Diözesanverwal- tungen zu erleichtern, muß in erster Linie auf eine Beseitigung der Sedisvakanzen Bedacht genommen werden, welche feit dem Aus- bruch des firchenpolitishen Konflikts in der Monarchie ein- getreten find.

In den Diözesen Fulda, Trier, Osnabrück und Paderborn, wo die ehemaligen Bischöfe mit Tod abgegangen find, kann nah Maß- gabe des älteren, noch heute geltenden Rechts die Wiederbeseßung ter bishöfliGen Stühle erfolgen, ür diejenigen Diözesen dagegen, hinliSilih deren Absezungsurtheile des Königlichen Gerichtshofes für Tirlihe Angelegenheiten erlassen find (Gnesen-Posen, Breslau, Münster, Cöln, Limburg), wird ih die prinzipielle Schwierigkeit, ob die Erledigung der Stellen auc kir&licherseits als vorhanden anerkannt wird, thatsählidy dadura, lösen lassen, daß entweder auch auf fkic{lihem Wege eine Erledigung des bischöflichen Stahls herbeigeführt, oder daß auf staatlihem Wege die Rückkehr der verurtheilten Bischöfe in ihr früheres Amt ermöglicht wird.

Was die leutere Alternative ase, so steht es außer Zweifel, daß die rectliche Unfähigkeit zur Ausübung des Amts, welhe na 8. 24 dcs Gesetzes vom 12. Mai 1873 eine Recbtsfolge der Amts- entlafsung bildet, dur einen Allerhöchsten Gnadenaft wieder beseitigt werden kann, daß mithin ein begnadigter Bischof von Neuem fähig wird, ein preußisches Bisthum zu erlangen. Ob aber auc sein unmittelbarer Wiedereintritt in das frühere Amt in gleicher Weise zu ermöglichen, erscheint um des8willen nit ohue Bedenken, weil das Gesetz neben den subjektiven Stiraffolgen für die Perso des verurtheilten Kirchendieners zugleiÞh das von ihm bekleideie Amt seibst auedrückli für erledigi erklärt.

Soll daher die Möglichkeit zur Beseitigung einer staatlich bewirkien

legislativen Akts, welcher den Allerhöchsten Träger der Krone speziell ermächtigt, einem durch gerichtliches Urtheil aus dem Amt entlassenen Bischof die staatliche Anerkennung als Bischof feiner früheren Diözese roieder zu ertheilen und damit die Nückehr in das ketreffende Amt zu gestatten. : :

Árt. 5 bis 8. Die Artikel 5 bis 8 sind dazu bestimmt, das Bedürfniß zu befriedigen, welches für eine freiere Handhabung des Geseßes vom 20. Mai 1874 über die Verwaltung erledigter katho- lischer Bisthümer, fowie des Gesehes vom 22. Aptil 1875, betreffend die Einstellung der Leistungeu aus Staatêmitteln für die römisch- katholischen ‘Bisthümer und Geisilihzn, {hon während der letzten Jahre in nicht seltenen Fällen merklich geworden ist und mit vem Wachsen gegenseitiger Verständigung vorauésihtlich mehr und mehr hervortreten wird. : :

Es handelt stch hier nur um einen weiteren Schritt auf dem von der kirchenpolitishen Geschßgebung felbst von Haus aus einge- \{lagenen Wege beziehungswelse um eine umfassendere Ausgestaltung des dort bereits an zahblreiwen Stellen (Geseß vom 11. Mai 1873 88. 13, 14, 16, 18, 26, Geseß vom 12. Mai 1573 8. 8, 9, 12, Geseh vom 209. Mai 1874 §8. 8, Gese vom 22. April 1875 88 6, 9 bis 13, Geseß vom 31. Mai 1875 8. 2) zum Ausdruck gelangten Gedankens: die Scärfen und Härten der gefseßliden Vorscbristen dur die im Geseß selbst gegebene Möglichkeit ihrer Nihtanwendung oder beshränkter Anwendung auszugleihen oder zu mildern, ohne darum das Geseß selbst außer Kraft seßen zu müssen. ;

Die Vollmacht, welche speziell der Art, 5 zu diefem Zweck in Aussicht nimmt, soll für diejenigen Fälle Vorsorge treffen, in welchen die Besetzung eines erledigten Bischofsskubls noch nit ausführbar erscheint, wo mithin nur eine einstweilige Verwaltung der verwaisten Diözese dur) einen kirchlich dazu Beauftragten nah Maßgabe der 88. 2 und 3 im Geseß vom 20. Mai 1874 in Frage kommen kann. Was bisher den Eintritt ciner solhen, vom staatlihen wie vom firhliden Gesichtspunkt aus gleich wünschenswerthen Eventualität verhindert hat, ist die eidlihe Verpflihtung auf die Staatsgeseye, welhe nach §. 2 Lc. dem Bisthumsverweser obliegt. Jm Hinblick auf die Eniwicklung der Cidespraxis in den deutschen Staaten (z. B. Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Dldenburg) erscheint eine befriedigende Lösung diefer Frage für die Zukunft nicht ausge- \{lossen. Zur Behebung der gegenwärtig bestehenden Schwierigkeiten wird es indcssen für zulässig zu erahten fein, die Möglichkeit einer Dispensation von der Eidesleistung zu schaffen, zumal die Staat8- regicrung iu der Lage if}, unter Umständen auch auf anderm Wege sih darüber zu vergewissern, daß der in leitende Stellung tretende S scin Amt im Einklang mit seinen staatsbürzerlichen

ichten führen werde.

M Auf diesen Erwägungen beruht der Vorschlag des Art. 5, welcher das Staats-Ministerium ermächtigt, nah Lage des konkreten Falls die Ausübung bischöfliher Rechte und Verrichtungen auch ohne eine vorangegangene eidlihe Verpflichtung des Bisthumsverwalters zu geflatten. L Mrd

Art. 9, Abweichend von dem ‘in andern Ländern, beispielsweise: in Oesterrei, befolgten System, hat die kirhenpolitishe Geseßgebung, Preußens e Dn ihrer Vorschriften durch Strafbestimmungsen

er zu stellen unternommen. ¿

By Aus as Geseß vom 11. Mai 1873 kommen hier die ZS 22 bis 24, aus dem Gese vom 12, Mai 1873 der §. 31, aus dem Geseg vom 13. Mai 1873 der §. 6, aus dem Geseg vom 20. Mai 1874 die 8 4 und 5, aus dem Gesch vom 21, Mai 1874 der Art. 2, aus dem Gese vom 22. April 1875 der §. 15 in Betracht.

Da den betheiligten Behörden die Pflicht der Sastertegu obliegt, so ist, sofern eine in jenen Gejeßen unter Strafe geste",te Handlung begangen wird, die Einleitung des Verfahrens gegey. den Beschuldigten ot uigatorisch, und felbst in solchen Fäüen, wo ‘die Er- bebur,g einer Anklage dem öffentlihen Intere nit entspri&t, Fem Mittel gegeben, um von der stre.sgerib{1ihen Ver*olgung at-

* zusehen,