1880 / 143 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 21 Jun 1880 18:00:01 GMT) scan diff

rend dieser reagnerischen Zeit die Temperatur niht unb.deutend ge- hoben, so geschah dics in noch weit höherem Grade, als am 24. Mai das Barometer wieder zu steigen begann, als \sich eine sehr lebhafte äquatoriale Strömung erhob, der Himmel sich fast ganz ‘aufhellte und so die Sonnenstrahlen ihren erwärmenden Einfluß ungehindert geltend machen konnten. Am Rhein fiel, wie die unten folgende Uebersiht über die Wärme- verhältnisse zeigt, der höchste Stand, den im Mai das Thermometer erreichte, auf den 26., in den westlichen Prooiyzen im Allgemeinen, sowie in den mittleren auf den 27., jenseits der Oder aber auf den 28, Mai. Nur selten sind im Mai fo heiße und \{wüle Tage vor- gekommen, wie der 27. Mai ein solcher war, in Berlin z. B., wo derselbe eine mittlere Temperatur von 24 Grad hatte, in den leßt- verficissenen 32 Jahren nicht; das absolute Maximum dieses Tages, 31,6 Grad, ist in dem angegebenen Zeitraume nur einmal, am 22. Mai 1857, erreiht worden. Während der aht Tage vom 19. bis 27. Mai zeigte an den westlihen Stationen das Thermometer eine Schwankung von 29 bis 30, an einigen östlichen von noch mehr als 30 Graden. Fast überall \tellten sich am 28. Mai elektrishe Ent- ladungen ein, und die plöplich zum Theil mit großer Lebhaftigkeit auftretende nördlihe Windesstrômung führte eine \{chnelle“ Herab- minderung der Wärme herbei, so daß die leßten meist regnerischen Monatêtage 8 bis 10 Grade kälter waren, als die unmittelbar vor- hergegangenen. Mittlerer Barometerstand im Mai 1880 nebst den Ertremen, ausgedrückt in Millimetern. Mittl. Ba- rometer- Maximum Minimum Seehöhe stand Tag Stand Tag Stand Königsberg 22,6 (59,6 29 766,7 23 747,7 Lauenburg 29 4 59,5 29 67,4 23 46 6 Conigt 157 47,6 29 99,0 20 34,6 Bromberg 47 56,1 29 65,9 23 47,1 Breslau 147,4 48,6 29 56,3 6 40,6 Görliß 2162 42,4 29 11 34,3 Torgau 102 O27 29 23 43,8 Breitenba ch 06,6 29 3 698,6 Berlin 57,8 29 22 747,1 Putbus 20 OTL 29 23 45,5 amburg 61,2 30 22 49,9 A : 97,5 30 3 48,9 Emden 632 29 D 55,2 Münster ) 54,5 29 ) c 46,4 Cöln 58,5 29 48,3 Aachen 442 29 t c 34,5 Lier 5 48,0 29 j 38,3 Darmstadt 42,2 29 32,8 Hechingen 19/2 29 24,9 ¿ 06,2 In der folgenden Uebersicht ist die Anzahl der Frosttage nicht mit aufge|ührt, da von den angegebenen Stationen nur etwa die Hälfte dexen hatte. In Görliß und Berlin kam einer, in Königsberg, Bromberg und Münster kamen 2 u. \. w., ja in Lauen- bur 6, . in Großbreitenbach 7, in Screiberhau 8 Frosttage, d. h. Ste 0H, an denen das Thermometer unter den Gefrierpunkt her- absank. Mittlere Temperatur im Mai 1880 nebst den absoluten Erxtremen. Beigefügt sind die Anzahl der Sommertage und der Tage mit Gewitter, Maximum: Minimum: Mittlere S - Tem- S VErarur:

Glaufen .. 11,3 (12,0) Königsberg 10,1 (10,9) Hela 9,2 (38,5) Lauenburg. 9,8 (10,8) Gon. 105 013) Brom bera. 111 (125) Breslau 11,4 (13,3) Wand - (8,7) Görliß 25) Soda ... 3,3) Breitenba ch 10/2) Berlin 4. 3,1) PUIbUs 0,9) Bamburda 2,4) Hannover... 20) N Clausthal . E 2

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13,8 (14,6 26 119 Demwtnden,. Jo O 2 208 20 Unter Sommertagen find solche zu verstehen, an denen Thermometer über 25 Gr. C. steigt. Niederschläge im Mai 1880, ausgedrückt in Millimetern. Höhe der Größte Höhe Tage mit Heitere Trübe Niederschläge Tag Höhe Niederschl. Tage Tage Clalfen. . 939 (275) 16 180 21 10 Köntgs8berg 34,4 (444) 10 8,8 16 9 Hela ZO0L 10 598 9 9: Lauenburg. 24,4 (48,0) 10 11,2 11 9 Co. , 203 C19) 0 109 14 16 Bromberg . 39,5 (442) ©@ 1382 21 5 Oen, , 909 (48D) 929 19,8 20 Ad. . 2009 009) 31 D 21 s M O 7, 21 Soaaui …. . 200 (808) 24 11 Wrellenvav 212 (02) - 23 13 Derlin . . 101 Can 23 9 Pu 215 C20 28 5 Hamburg (55,7) 3 16 Unver (489) 28 11 TAUSIDAL (039) 24 12 mbe. (494) 24 14 Vrun iter. (046) 28 10 G B81 G - 28 5 Naben . . S Ba) 28 Se. 4 030) 250 WAaLmitadi. (66,4) 7 Hechingen (72,5) 7

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Internationale Fischerei-Ausstellung. Die beiden stammverwandten Nationen, Deutschland und Oesterreich, sind zusammen durch 551 Ausfteüer vertreten, von denen 535 auf unser Vaterland entfallen. Beide Länder sind es, die uns in reicher Menge auch lebende Fische vorführen, deren Ausstellung den meisten anderen Nationen dur die allzuweite Entfernung zur Unmöglichkeit gemacht war. Namentlich is es die Binnenfischerei, die si in hervorragen- der Weise an der Auéstellung frischer Fische betheiligt hat. Nicht an leßter Stelle ist hier Berlin und die Mark zu nennen; is doch der 2. Preis Sr. Majestät des Kaisers einer Berliner Fischereifirma, C. Lindenberg, zugefallen: wohl der befte Beweis, welche Stellung die Berliner Fischerei hon jeßt einnimmt und wie berechtigt die Er- wartungen find, die man von der Fischerei-Ausstellung gerade für Berlin begt. In 5 großen Bassins hat C. Lindenberg jene munkern Thiere unterge- bracht, die zunächst unserer heimischen Spree entnommen sind, Was Lindenberg im Fiscbhandel geleistet, hat A. Micha in Betreff des Krebshandels zu schaffen gewußt. Auch hier haben die Seen und

, Flüfse’ der Mark, nächst ihnen die Pommerns, Oft- und Westpreu-

n das Hauptkontingent gestellt. Die großen Anlagen Micha's in oppegarten, sowie mehr als 20 große Bassins, die durbsnitilich eine halbe Million Krebse beherbcrgen, find j1 bekannt weit über unseres Vaterlandes Grenzen hinaus; is doch namentlich Paris ein Hauptkonsument der Micha'sben Krebse, während England nur Krebsshwänze bezieht, von denen alljährlih mehr als 15 000 Schock von Mita rach London expedirt werden. Ein vicht kleiner Theil derselben kehrt in Gestalt englischer Kon- serven unter englisher Etiquette in unsere Heimath zurück. Bon den Berliner Fischern wollen wir noch A. Thiedecke & Sohn nennen, eine unserer ältesten und angesehensten Fischereifirmen, deren Produkte einen Theil des großen Neptunbeckens bevöikern. Eine Sammlung äller der Fische, welche in der Spree und in der Havel vorkommen, hat der Verein zur Hebung ter Fisbzucht im Regierungê- bezirk Potsdam ausgestellt, während der Lausigzer Fischerverein im Teich des Gartens Karvfen vorführt, deren einzelne auf ein Alter voy 24 Jahren zurückblicken können. Die Thüringer Fischer haben sich zu einer Kollektivausftellung vereinigt, die nameatli au die Forellenzucht berücsihtigt. Die größerenFischeaus bayerishenGewässern, die Gebr. Kuffer-München ausgestellt, haben ihnen 1ohlverdient eine goldene Medaille eingebracht. L. Scheuermann-Dinkelsbühl hat durch eine Reihe von Prachtexemplaren die Vortrefflichkeit seiner Goldorfen- zucht dargelegt, die auch die Jury durch Verleihung einer silbernen Medaille anerkannt hat. Die Donaufische hat nahezu vollzählig der Fishzuchtverein zu Straubing in Niederbayern hierher gesandt. Eine hohe Bedeutung hat die Ausstellung in Bezug auf die Lösung der sogenannten Aalfrage gehabt. Bis 1874 galt der Aal bekanntlich für einen Zwilterz; erst im genarnten Jahre gelang es dem Prof. Dr. Syrski in Triest, die männlichen Geschletöorgane des Aales auf- zufinden. Dem Direktor des Berliner Aquariums Dr. Hermes war es vergönnt, männliche Aale auf der Ausstellung vorzuführen, die fh bei der durch Prof. Virhcw u. A. vorgenommenen Sektion in der That als solche erwiesen. Der Umstand, daß die männlichen Gesc&lechtsorgane nur bei kleinen, nit über 44 cm langen Aalen aufgefunden worden sind, macht es erklärlich, daß die Thatsache von der Existenz zweier Geschlechter bei den Aalen den Forschern so lange entgehen konnte. Dazu kommt, daß fast alle in den Gewässern des Binnenlandes vorkommenden Aale weiblichen Geschlechtes sind, wäh- rend sich die Männchen in der See in der Nöhe der Flußmündungen oder in diesen selbst aufhalten. Aeußerlih sind sie von den Weib- chen {wer zu unterscheiden, und nur genaue Kenner vermögen mit einiger Sicherheit die Auêwahl zu treffen.

Der Verein für die Geschichte Berlins hat am Sonn- abend die Reihe seiner diesjährigen Wanderfahrien mit ciner Tour na dem Kloster Chorin eröffnet. Jn der Apsis nahm der Redner des Vereins, Hr. Budzies, Platz, um in kurzen Zügen die Geschichte des Klosters von seiner Gründung bis zu seiner Aufhebung vorzu- tragen. Die Stiftung des Klosters fällt dxnah in das Jahr 1273, also in die Regierungêzeit der Markgrafen Johann I. und Otto 111, die hon in Barsdin (Parstein) und Mariensee tlösterliche Anlagen hervorgerufen hatten. Mariensee, von Lehnin aus mit Mönchen und den erften Einrichtungen vetschen, ward zur oben angegebenen Zeit nah Chorin verlegt und bestapd hier 270 Jahre, ohne taß große Ereignisse dasselbe zu hervorragender Thätigkeit wach gerufen hätten. Die Aebte von Chorin gehörten zu den angesehensten Prälaten des Landes: der Abt Tobias nahm Theil an der Bei- legung der Aufstände von 1442 und 1448. Aber selbst die Schreken®- jahre des falshen Waldemar vermochten nicht, die Choriner Mönche zu persönlihem Hervortreten zu veranlassen. Um so größer war das Verdienst, welches sich die Choriner um Kultur und Germanisi- rung des Landes erwarben. Auf ihren Vesitßungen hatten fie überall Musterwirthschasten und erfreuten \sich der daueraden Gnade der Landesfürsten. Ihre Besißungen umfaßten eine Fläche von 6 Qua- dratmeilen. Markzraf Waldemar beschenkte den Orden noch am Tage vor seinem Tode und wurde hier bezraben. Auch die Hohenzollern gewährten dem Kloster Schutz und Gnade, und es ist daher anzuneh- men, daß dasselbe in behaglicher Ruhe fortlebte, bis es, unter jeinem 23. de as aufgelöst wurde. Nähere Nachritten darüber fehlen gänzlich. .

Den 2. Vortrag hielt an derselben Stelle Hr. Bauführer Rudolf Schulße. Er gab, nah einer längeren Einleitung über die Geschichte des Mönchswesens und der Ordenseinrichtungen überhaupt, interessante Bemerkungen über den Verfall von Chorin und dessen heutigen Zustand. An die Kirche legt sich südlich der Kreuzgang, der den viereckigen Klosterhof auf allen Seiten umgiebt. Von dem- selben sind nur noch 2 Seiten und diese ganz verbaut vorhanden. Um den Kreuzganz gruppiren fich die anderen Räume, durchgängig zweistöckig, in der Südwestecke das Pfortenhaus, jeyt eine Wasch- kücbe, mit noch erhaltenem, sehr \{önem Portale. Das Refektorium, nördlich davon, ist gänzli zerfallen. Das Abtshaus zeigt ein auf 2 Mittelsäulen ruhendes Kreuzgewölbe. Die _Klosterküche, jeßt cin Viehstall, befindet sih daneben. An der Ostseite des Kreuz- ganges lag _wahrscheinlich zunächst der Kirche der Kapitelsaal und im oberen Stock desselben der gemeinsame S{hlafsaal. Ein sehr \chöônes auf einer Säule ruhendes Gewölbe im ersteren Theil ziert noch jeßt den einen der zur Wohnung eingerichteten Räume; ebenso find die Gewölbe der Biblicthek noch wohl erhal- ten. Der Bau der Kirche hat 1262 begonnen und ist 1320 vsllendet worden. Sie bildet den Slanzpunkt des ganzen märkischen Ziegel- baues, So edle Verhältnisse, so geklärte Formen, eine solche Vollendung der Zeichnung findet man bei anderen Backsteinbauten nicht wieder, und ncch jeßt, wo die Kirche im Laufe der Zeiten ihre Ge- wölbe, die Ostkapellen, das südliche Nebenschiff und den größten Theil des so reizvollen Fenstermaßwerkes eingebüßt, gehört sle zu den be- wundertsten Resten des Mittelalters. Welche Schicksale hat die- selbe auch über si ergehen lassen müssen! 1635 dur die Schweden verwüstet, 1680 durch Wallonen besiedelt, 1706 als Invalidenhaus eingerichtet, durch Brand zerstört, zu Pferde- und Scbweineställen ein- gerichtet, ohne Fenstersceiben, ohne Dach, fand 1817 S c inkel den Vau vor und rettete die Bausubstanz, deren Perle die Westfront.

Ein Theil des Kirchenfußbodens ist noch, mit Brandschutt und Sand

bedeckt, vorhanden, ebenso die Fundamente der Kapellen, ein Stü eines zart gegliederten Mitielpfeilers und die gemauerten Altar- fundamente.

An die beifällig aufgenommenen Vorträge {loß fich nun unter Leitung des Ober-Forstmeisters Bando ein Rundgang durch die Kirche, durch die Baumschule, mit dem Monumente der im Kriege gefallenen Forst-Afademiker, durch einen \cchattigen Hohlweg hinauf zum Lärcwenberg, wo ein Rundblick über Berg und Thal, über Wald und Feld, über Land und Wasser die Gesellshaft für die Mühe des Steigens lohnte.

In der 24. Hauptversammlung des Vereins für deutscches Kunstgewerbe mahte Hr. Dr. Pabst Mittheilungen über die Zinnindustrie, welche, in älterer Zeit weit verbrektet und blühend, seit neuercr Zeit namentlich seit der allgemeinen Einführung des Porzellans nur ucch wenig betrieben wird und leider auch nicht viel Aussicht hat, jemals ihre frühere Bedeutung wieder zu erlangen. Ueber die alte Geschichte der Zinntehnik haben wir wenig Nachrich- ten; nur aus den Stempeln, welche den noch erhaltenen Geräthen aus früherer Zeit aufgeprägt sind, läßt sih entnehmen, daß in sehr vielen Städten Gießstätten befindlih waren, in denen jedoch immer nur handwerksmäßig gearbeitet wurde. Dem Namen nah kennt man als bedeutende Zinngießer den Nürnberger Caspar Ender- lein, von welhem das Taufbecken in der St. Lorenzkirche daselbst herrührt, und den Franzosen Fr. Briot; aber diese haben niht nach eigencn Entwürfen gearbeitet, sondern nach denen deutscher Klein- meister, welche freilih oft die {önsten Muster zeigen. Prächtige derartige Sachen mit s{chönen dekorativen Verzierungen befinden fich im hiesigen Kunstgewerbemuseum. Neuerdings werden recht gelungene, aber (in Rücksiht auf die Modellkosten) theure Zinnwaaren in Mün- hen und namentlich in Karlsruhe angefertigt. In Berlin ift diese Industrie zuerst wieder dur Hrn. O. Schulz belebt worden, und zwar

glei in hervorragender Weisz; ein von demselben hergestellter Zinn-

humpen kann als Meisterstück gelien. Ueberhaupt dürste gerade für Trink- gefäße das Zinn noch am besten Verwendung finden; Bierseidel- deckel aus diesem Material werden in Süddeutschland nach guten Modellen sehr hübsch ausgeführt. Hr. Levi befürwortete die Be, nußung des Zinns zur Montirung von Fayencegefäßen, wie solches in älterer Zeit vortheilhaft ges{ah. Ausgestellt waren ein für Amerika beftimmtes, meisterhaft ausgeführtes Album mit trefflicher Lederpressung von Hrn. Treue; eine zur Wanddekoration sich eignende treffliche Relieffholzschniberei mit der Darstellung einer häuslichen Scene („Daheim“) aus tem Atelier von E. Wendt u. Co. in Niesky; end- lih eine bedeutende Kollektion hervorragender geshmiedeter Eisen- arbeiten von E. Puls, darunter z. B. ein großer Kronleuchter, für das Reichsjustiz-Amt bestimmt, ein Kaminvorseßer für das Arkeits- zimmer Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen und zahlreiche kleinere Meisterstücke der Schmiedekunit. Diesen Arbeiten wurde die lebhafteste Anerkennung Seitens der Versammlung gezollt; na- mentlich folgte die leßtere mit großem Interesse der Scilderung des Ausstellers, wie derartige Arbeiten durch verschiedene Stadien der Behandlung sih aus einem einfaten Stück Eisen entwickeln. Zum Schluß wurde noch das im Lesezimmer aufgestellte neue Bücher- spind des Vereins, von Hrn. Pingel gefertigt, besichtigt und in sei- ner soliden, gediegenen Ausführung allgemein gewürdigt.

Dresden, 20. Juni. (W. T. B.) Die Zahl der in Folge des legten großen Wolkenbruchs in der sächsishen Ober- L umgekomm?nen Personen beträgt nah den bis jeßt gemach- ten Feststellungen 63.

Bäder-Statistik. Personen

aben bis 15, Sunt (Fremde Und Ku) 12819 Alexisbad (im Selkethal i. Harz, Anhalt-Bernburg) bis 15.

Juni (nebs}t 148 Durchreisenden) . C 28 Po O Burtscheid (Rheinprovinz) bis 15. Juni (eins{chl. der Durh-

O L Charlottenbrunn (Slesien) bis 15. Juni (nech} 26 Darh-

E C. 82 Cudowa (Grafsch. Glatz) bis 15. Juni (nebst 25 Durhhreis.). 223 Elmen (Soolbad bei Gr. - Salze, unweit Magdeburg) bis

10. Su (O 06 Elster (Königreich Sachsen) bis 16. Juni (756 Part.). . . 1056 Ems (Nassau) bis gegen Mitte Juni). . 180 Franzensbad (Böhmen) bis gegen Mitte Juni . O Wildbad Gattein (Ober-Desterreich) bis gegen Mitte Juni . 300 Gleichenberg (Steiermark) bis gegen Mitte U Dol Glücksburg (Dstsceebad in Swlezwig- Holstein) bis 17. Juni . 101 Goczalkowitz (Oberschlesien) bis 10. Iuni (nebst 12 Durch-

Ce Görbersdorf (Slesien) bis 15. Juni (eins{l. der Durhreis.) 388 Griesbach (bad. Schwarzwald) bis 15, Juni (nebst Dur(hreis.) 63 Homburg v. d. H. (Reg.-Bez. Wieébaden) bis 6. Juni E 1492 Sa MIDerg (Seebad in Were O 60 Marl eDa o (ome S egen e 8809 Kreuznach (Rheinprovinz) bis gegen Mitte Juni... , 699 Landeck (Grafschaft Glatz) bis 15, Juni (nebst 193 Durchreis.) 565 Langen-Scbwalbah (Nassau) bis 20. Juni (Fremde) , . . 928 Liegau (bei Radeberg im Königr. Sachsen) bis 15. Juni (65 Part.) 101 Marienbad (Böhmen) bis gegen Mitte Juni . 2 334

Marienborn (bei Camenz in Sacsen) bis 15. Juni (64 Part) 75 Münster am Stein (bei Kreuznach in der Rheinprovinz) bis

n e 201 Nauheim (bei Frankfurt a. M.) bis gegen Mitte Juni .. 349 Neuenahr (Rheinprovinz) bis 15. Juni (Fremde). . . . , 702 Oeynhausen (Westfalen) bis 18. Juni (nebst 342 Durchreisenden)

C E Dercrotbal Oa E U O PIrtont (Dae) S D U 29709 Me bura (Qannove) L O U ol Meiwenbal aver) vis gegen Vie 295 Reinerz (Grafsch. Glatz) bis 15. Juni (nebst 223 Durhreisenden)

E009 Salzbrunn (Schlesien) bis 15. Juni (nebst 387 Durchreisenden) 436 Schandau (Königreich Sachsen) bis 18, Juni (138 Part.). . 306 Smblantenbad Qa E u 2980 Soden (am Laus Maa B E U E 98 Suderode (am Harz, Prov. Sachsen) bis 14. Juni 249 Deplig:SMonau (Bobmen) s 1 Qu 120286 Sale (Drovinz Sabien) bis 9 Sur Gend 178 Warmbad (bei Wolkenstein im Königr. Sachsen) bis 17. Juni

C10 Weichselmünde und Westerplatte (Westpreußen) bis 10. Juni ca. 120 Ca Maa e e U Q 9 Weißer Hirsch mit Oberloshwißz (Kö. igreih Sachsen) bis

10 U O Da 494 Wiesbaden (Naffau) bis gegen Mitte Juni... , „19824 Zoppot (ODstscebad bei Danzig) bis 9. Juni (104 Familien) . 512

Emden, 16. Juni. Die Badesaison auf Norderney ist gestern in gewohnter Weise eröffnet worden. Der Dampfer „Norderney“ fuhr mit 62 Personen unter Böllershüssen und den Klängen der Königlichen Badekapelle hier ab und erreichte nach vterstündiger Fahrt die Insel, welche die beiden ersten Dampfer «Norderney und „Stadt Norden“, leßterer von Norddcich kommend, festlich geflaggt, ebenfalls mit Böllershüssen begrüßte. Heute Vormittag fuhr der Dampfer „Norderney“ nach Borkum, wcmit die Saison dort eben- falls eröffnet ift.

Homburg v. d. Höhe. Die Saison schreitet ungeachtet d-r ungünstigen Witterung in recht erfreulicher Weise vor. Außer Deutsch- land ist England {hon recht stattlih vertreten, zahlreiche Bestellungen auf Wohnungen sind erfolgt, und lebt Jedermann der festen Zuversicht, daß die dietjährige Saison eine recht gute werden wird, sofern uns das Wetier nur begünstigt. Der weite, große Park, überragt von den Höhen des Taunus, prangt im üppigsten Grün, und es ist von den während des vergangenen überaus strengen Winters entstan- denen Schäden nichts mehr zu bemerken. Die Wege sind auf das forzfältigste in Stand geseßt, und herrlihe Blumenbeete umgeben die in den Anlagen befindlihen Quellen. Seit dem 15. Mai spielt das Kurorchester dreimal täglich, Morgens an dem Elisabethbrunnen, Nachmittags und Abends im Kurgarten oder im Konzertsaal. Die eleganten, großen Säle des Kurhauses bieten gerade an kühlen Tagen, wo das Verweilen im Freien un- möglich ist, eine sehr erwünschte Unterkunft für unsere Kurgäste. Troß der Ungunst der Witterung ift die Gemeinde der Brunnen- trinker, welche den Elisabethbrunnen, den Hauptrepräsentanten uvserer Quellen, frequentirt, {on recht beträchtlib, Den bereits vorhan- denen Kurmitteln ist duxch die im vorigen Jahre getroffene Neu- einrichtung von Mocr®ädern ein äußerst \{ätenswerthes weite: es zugefügt worden. Für Unterhaltungen ist bekanntlih in Homburg aufs Beste gesorgt, und wird allen Anforderungen, welche nur an einen Badeort ersten Ranzes in dicser Hinsicht gestellt werden könner, genügt. So ift unter anderen far die Ausführung der Theater- vorstellungen (Opern) während der Sommersaison das gesammte Opernpersonal des Großherzoglih hessishen Hoftheaters zu Darm- stadt gewonnen, und werden die Vorstellungen am 26. Juni beginnen.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Vier Beilagen (einchließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

(6754)

Srste Beilage

zum Deulschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

£143.

Berlin, Moztag den 21 Jun

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ÉLE H tr: L IPYER

Nichkamklicßes.

Preußen. Berlin, 21. Juni. Jm weiteren Verlaufe der vorgestrigen (79.) Sihung seßte das Haus der Ab- geordneten die zweite Berathung des Geseßentwurfs, be- treffend Abänderungen der kirhenpolitishen Ge- seße, mit der Diskussion des Art. 2 fort. Nach dem Abg. Dr. Windthorst ergriff der Minister der geistlihen 2c. Ange- legenheiten von Puttkamer, wie folgt, das Wort:

„Meine Herren! Jch gehe auf eine no&malige Motivirung des Artikels 2 der Regierungê2vorlage nicht Ege Gta E als He: r Kommissarius dieser Aufgabe mit der erschöpfenden Sachkenntniß meiner Auffassung nach gerecht geworden ist, welche an ihm bekannt ist und ihn zu einem meiner gesbäßtesten Mitarbeiter mat.

Wenn der Hr. Abg. Dr, Windthorst mit setner gewohnten Meisterschaft versucht hat, um einen Ausdruck meines Herrn Kom- mil}jarius eine kleine dialektische Fessel zu {lingen und die ganzen Deduktionen meines Herrn Kommissarius an diesem Ausdruck ge“ wissermaßen fest zu nagen, so habe ich darauf zu bemerken, daß es in diesem Fall wie so häufig geht, daß es mancbmal besser wäre, an Stelle cincs fremden tormiaus technicus ein ehrlihes deutschcs Wort zu seßen. Hätte mein Herr Kommissarius, wie er ganz unzweifelhaft

beabsichtigt hat, gesagt: die preußische Einrichtung des recursus ah

abusu ift eine ganz außergewöhnliche, weitergreifende wie die in an- deren Staaten, fo hätte er damit ctwa3 vollkommen Zutreffendes und nur dasjenige gesagt, was er hat sagen wollen und was ihm nur in dem Ausdruck erxorbitant in einer gewissen prismatischen Weise das Licht gebrochen hat erscheinen lassen. Meine Herren, was den Effekt desjenigen Spruches, den der kirchliche Gerichtshof nach preußishem Recht thut, auszeihnet vor ähnlihen Institutionen in anderen Ländern, ist eben, daß seine kassatorishe Wirkung sehr viel weiter geht, wie die Wirkung äbnlicher Geseßzgebungen in anderen Ländern, indem sie den ganzen Inhalt der kirchlichen Vorentscheidung einschließli der rein kirlichen Elemente trifft. Dies ist auc in meinen Augen ein Mangel der preußischen Gesetzgebung, und ih {stehe gar nicht an zu sagen, daß, wenn wir an den Zeitpunkt cinmal kommen werden, wo man eine umfassende Erörterung über alle diese Dinge in organischer Weise wird vornehmen können, dies der Gesichtspunkt fein würde, an welchen ih anzuknüpfen geneigt sein E um eine Reform auf diesem Gebiete der Gesetzzebung herkci- zuführen.

Ich will mich noch an einige andere Aeußerungen des Hrn. Abg. Dr. Windthorst wenden, weil es mir wichtig ist, fie auf dem Fuße zu erwidern.

Der Hr. Abg. Dr. Windthorst sagt, wenn man diesen Artikel unter das Provisorium stellt, was ja wahrscheinlich in einem beson- deren Artikel 12 dem ganzen Absatz angehängt werden wird, dann könnte die Sache möglicherweise eine andere Physiognomie bekommen ; aber die Regierung hat sich die Vorlage gar nicht als Provisorium gedacht, und es liegt auch bis jeßt keine Aeußerung von ihr vor, daß fie von diesem Gesichtépunkte ausgehen würde. Ih bebalte mir über diese wichtige Frage das leßte Wort vor, wenn wir in der Diskussion des Gesetzes an die betreffende Stelle gelan-t scin wer- den; ih glaube, das Haus wird das gleichfalls für rictig halten, weil die Diekussion sonft ganz unrettbar sih vermengt und abspringt von dem Gegenftande, welcer augenblicklich zur Debatte steht.

Nun sagt der Hr. Abg. Dr. Windihorst, ih habe ja in der Kommission an den Vertreter der Staatsregierung die ausdrücliche Frage gerichtet: will man uns versprehen, daß nach An- nahme dieser Vorlage in einer oder der anderen Form neue Verhandlungen mit dem römishen Stuhl über einen Ausgleih angeknüpft werden sollen und kann eine Garantie dafür gegeben werden, daß diese Verhandlungen au zur Durchfüh- rung kommen. (Widerspruch.)

Meine Herren, so habe ih den Hrn. Abg. Dr. Windthorst ver- standen: Die Garantie, daß diese Verhandlungen bis zum Ende durgefüh:t werden. Jch habe darauf schon die Ehre gehabt, zu erwidern, und habe das gethan unter Vorlesung von Depeschen, der Depesche vom 14. Mai, daß der Gedanke keineswegs autge\{lo}en sei, na dem Zustandekommen dieser Vorlage neue Ver handlungen mit dem römischen Stuhl anzuknüpfen, eine Garantie für ihre wirk- lihe Durchführung kann ih in dem Augenblick in der That weder in Aussicht stellen noch übernehmen, ih denke, das wird Satte der Zukunft sein, und Niemand kann in diesem Augenblicke irgendwelhe Sicherheit hierüber bieten.

Der Hr. Abg. Dr. Windthorst hat dann ferner in Anknüpfung an eine von mir neulich citirte Aeußerung des verewigten Karkinals v. Geißel beweisen wollen, daß weine Auffassung der Aeußerungen dieses Kirchenfürsten nit die rihtiae sei, und kaß der Kardinal v. Seißel den recursus ab abusu grundfäßlich perhorreszirt habe. Wenn der Hr. Abg. Dr. Windthorst die Güte haben will, sih an meine damaligen Worte zu erinnern; so habe ih auch nicht behauptet, daß der ver- ewigte Kardinal von Geißel die Ansiht, die ic von ibm verlas, immer gehabt hat, er hat eben scinen Standpunkt gewcchselt. Was die Konferenz der Bischöfe im Jahre 1848 zu Würzburg anlangt, ja, das waren Forderungen, die eben erhoben wurden in einer Zeit, wo der Staat in Folge revolutionärer Bewegungen in voller Swäche ihnen gegenüber stand, und da füßbrte man von Seiten der hohen deutschen Prälatur allerdings eine von der des Jahres 1842 vollkom- men verschiedene Sprache. J bitte, das nicht so aufzufassen, als ob ih dem verewigten Kardinal von Geißel, den ich persönli zu kennen die hohe Chre gehabt habe, irgend einen Vorwurf 1hacben wollte, das liegt mir fern, aber ih glaube, ih bin birechtigt, mi an eine solche öffentliche Erklärung zu halten und sie mit späteren Erklärungen derselben Person zu vergleichen. zx Dann hat der Hr. Abg. Windthorst noch als besonders bedenklich im Art. 2 bezeichnet die Stellung, in welche der Ober-Präsident zu Denjeni- gen kommen würde, welche in die Lage gerathen, seine Hülfe anzurufen, und hac gemeint, daß wohl nur Diejenigen, welche sich etwa licbes Kind bei ihm machen könnten, sich die Hcffnung würden niachen können, daß nun wirklich in ihrem Interesse eintretenden- Falles der Nekurs an den Gerichtshof für kir&lihe Angelegenheiten eingelegt würde. Aber, so meint weiter der Abg. Windthorst, das ift noch niht cinmal das s{limmste, sondern die untersten Instanzen haben faktisch die Entscheidung darüber in der Hand, ob Thatsachen vor- liegen, welche geeignet sind, um den Ober-Präsidenten um Einlegung der Berufung anzugehen. Wenn diese Auffassung die richtige ift, dann frage ich, wo soll überhaupt einé Verwaltung die Gesichts- punkte und Motive für ih1e Entschließungen hernehmen? Daß die Lol’albehörden die naturgemäßen Träger der materiellen Nachrichten sind, auf Grund deren die Oberbehörden ihre Entschließungen fassen, das ist doch wohl nur naturgemäß und nothwendig. „Also, wenn der Bürgermeister derjenige Beamte unter Umständen ift, der pflicht- gemäß die Thatsachen sammelt, welhe dann dem Ober-Präsidenten als Unterlage für sein Urtheil dienen, so ist, glaube ich, dami? nur eine Uebung ausgesprochen, die ganz einfach einen nothwendigen Be- standtheil jeder geordneten Verwaltung bildet und ich denke, meine Herren, soweit wird es in Preußen niemals kommen, daß die „Frau Vürgermeisterin“ ein eutscheidendes Wort in terlei Fragen mitspricht.

Der Abg. Dr. von Cuny bemerkte, zu seiner Ueber- rashung habe das Beispiel des Abg. von der Neck über die Militärgerichtsbarkeit und die Unmöglichkeit, den General

unter den Kreisrichter zu stellen, den lautesten Beifall der Herrcn voin Centrum gefunden. Hätten die Herren denn ganz vergessen, daß beide, Militär- und Civilgerichtsbarkeit, vom Staate gehandhabt würden, daß der Staat die Grenzen beider festseße? Er halte das Centrum bei diesem Beispiel fest, die nicht wegzuleugnende Konsequenz desselben fei, daß über die kirhlihe und Civilgerichtsbarfeit der Staat zu ent- scheiden habe. Den Dank des Abg. Windthorst an die Konservativen habe namentlich der Abg. von der Reck verdient, niht durch seine Bemerkung über die Kreis- richter, sondern durch das originelle und geistreiche System, das derselbe vorgeschlagen habe, die Str-itigkeiten zwischen Staat und Kirche durch Austrägalgerichte zu entscheiden. Die Rolle des Schiedsrichters müßte ein Dritter, etwa ein Aus- länder, übernehmen. Komme kein Vergleih zu Stande, so gehe die Sahe nah Nom und an das Staats-Ministerium. Das sei die Theorie des Koordinationssystems zwishen Staat und Kirche. Dem gegenüber greife der Abg. von der Neck die Maigeseße als Werke des Liberalismus an; er bekenne si indeß gern zu diesem Werke. Der Liberalismus könne stolz sein, daß derselbe in den Maigeseten das Koordinationssystem aufgehoben habe. Wenn der Kultus-Minister den Standpunkt festhalte , zu dem derselbe sich eben bekannt habe, jo sei derselbe auch liberal. Es sei gesagt wor- den, die Berufung komme gar niht vor. Betreffs der evangelishen Kirche bestreite er diese Behauptung. Habe doch erst kürzlich ein bckannter Geistlicher, Hr. Mein- hold, die Berufung an den staatlichen Gerichtshof eingelegt und er glaube, dieser Herr stehe dem Abg. Stödker näher als dem Protestantenverein. Solle man nun in einem Momente, wo in den höheren Kreisen der evangelischen Kirche der Geist der Unduldsamkeit und der Keterrichterei wieder Plat greife, diesen Gerichtshof aufheben, welcher den einzelnen Geistlichen vor Uebergriffen {üße? Ér sympathisire sonst nicht mit der Richtung des Abg. Virchow, freue sich aber do, daß derselbe in erster Lesung die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gerichtet habe. Für die evangelische Kirche sei das Jnstitut der Berufung an den Staatsgerichtshof keines- wegs grundsäßlih so neu, wie man aus der Rede des Negie- rungsktommissars hätte entnehmen können : bis zum Erlaß der Kabinetsordre von 1822 hätten sür die protestantischen Pastoren die Bestimmungen des preußischen Landrechts gegolten. Dasselbe sage im §. 532, unter welhen Umständen die Entsezung eines Pastors stattzufinden habe, und 8. 533 besage, daß, wer sich dabei nicht beruhigen wolle, an einen staatlichen Gerichtshof Berusung einzulegen habe. §. 535 endlich bestimme, daß bei

katholischen Geistlichen die Berufung an das geistliche Gericht,

bei protestantischen an das Landes-Justizkollegium der Provinz zu richten fei. Für die evangelische Kirhe wäre es also ein Schaden, wenn auf den recarsus ab abüsu verzihtet würde. Der Regierungskommissar habe darauf hingewicsen, daß durch die bisherige Art der Berufungen jeden Augenblick Konflikte hervorgerufen werden könnten. Negierung habe niht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, wenn sich Mängel eines Gesetzes herausstellten, dieselben auf dem Wege der Geseßgebung zu beseitigen , nicht aber durch Uebertragung des Geseßes an den Over-Präsi- denten, denn wenn dieser von feiner Befugniß Gebrauch mache, so würden ja die Mängel immer wieder zu Tage treten. Nun heiße es, für das Uebergangsstadium sei die Uebertra- gung des Nekurses an den Ober-Präsidenten nothwendig. Es sei ein seltsamer Widerspru, einmal behaupte man, der recursus tomme in der katholischen Kirche ni&t vor, in dem- selben Athem sage man, derselbe könne in den nächsten 11/, Jahren zu zahlreichen Konflikten führen. Es möge ja selten von dem Rekurs Gebrauh gemacht werden. Der Abg. von Bennigsen habe aber {hon in der Kommission hervorgehoben, daß die prophylaktische Bedeutung desselben von hohem Werthe sei. Auch in Frankreih sei die praktische Bedeutung des Nekurses eine größere, als der Abg. Windt- horst glaube. Denn nur durch den weltlichen Arm könnten die Entscheidungen der kirchlihen Oberen vollstreÆt werden. In Frankreich bestehe der Rekurs scit Jahrhunderten; es hätte jeder, der sich von den kirhlihen Oberen verleßt glaube, die Entscheidung des Parlaments anrufen können. Die Bestim- mungen der organischen Artikel gingen genau so weit wie der S. 12 des Gesetzes über den staatlichen Gerichtshof betreffs der Berechtigung zur Einlegung des Nekurses. Er komme zu dem Schluß, daß der recursus für die evangelische Kirche eine große praktishe Bedeutung habe, sür die katholische jedenfalls eine prophylaktishe. Er und seine politishen Freunde wollten den Nechts\huß, welhen der Staat den einzelnen unterdrückten Geistlichen gewähre, niht aufheben und daher sei dieser Ar- tikel für seine Partei unannehmbar.

Der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte, daß der Abg. von der Neck lediglich in eigenem, niht im Namen der Partei gesprochen habe; daß demnach auch die Konsequenzen, die von jener Seite daran gekuüpft worden, hinfällig seien.

Die Debatte wurde hierauf geschlossen. Der Abg. Dr. Windthorst wies persönli darauf hin, daß er das, was er in Bezug auf den Ausdruck „exorbitant“ gesagt habe, au troß der Jnterpretation des Kultus-Ministers aufrecht erhalte. Er habe nicht, wie der Minister glaube, mit dialektisher Ge- wandtheit an den - Ausdruck „exorbitant“ des Regierungs- kommissars angeknüpft, er knüpfe an die Ueberseßzung des Ausdruckes, die der Minister gegeben, dieselben Schluß- folgerungen, und hoffe, daß |der Minister die rihtigen Kon- klusionen aus dem Ausdru ziehen werde.

Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa bemerkte, der Abg. Windthorst habe mit der gewohnten S(lagfertigkeit auch ihm einige Worte heute gewidmet, welhe seine Bemer- kung widerlegen sollten, daß er es für bedenklih halte, ein baufälliges Haus ruhig einstürzen zu lassen, ohne am geeigneten Ort und mit den geeigneten Mitteln es zu repariren. Troß der Autorität des Abg. Windthorst müsse er {hon im bau- polizeilihen Fnteresse bei seiner Ansicht stehen bleiben, und der Abg. Windthorst würde derselben Ansicht sein, weny. derselbe Amtsvorsteher wäre. Der Abg. Windihorst habe dann weiter seine parlamentarische reiche Erfahrung seinex (des Redners)

Gr. dente, die.

Er erkenne die reiche Erfahrung des Abg. Windthorst in vollem Maße an, aber die Jugend sei cie Ties n mit jedem Tage geringer werde und er habe sich häufig über- zeugen müssen, daß man auch im Alter leider nicht in allen Fällen das Nichtige treffe.

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, der Abg. von Heyde- brand habe sich durch die Erinnerung an die Jugend verleßt gefühlt; er wünschte, es könnte ihn Jemand an seine Jugend erinnern. Fern habe es ihm gelegen, denselben zu verletzen. Auch das Aiter irre zuweilen; im Allgemeinen habe es aber vor der Jugend die größere Erfahrung voraus. Sollte der Abg. von Heydebrand das bezweifeln, so wäre das allerdings eine jugendlihe Anschauung. :

Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa, bemerkte, er unterlasse es den Abg. Windthorst an seine Jugend zu er- innern, denn derselbe beweise tägli, daß er so fris fei, wie nur ein Jüngling sein könne.

Der Reserent Abg. Dr. Grimm sührte aus, der Antrag Brüel wolle in allen Fällen den recursus des Einzelnen be- seitigen, die Regierungsvorlage wolle aber nur nit, daß der Einzelne an den kirhlihen Gerichtshof refkurrire, sondern der- selbe solle die Beschwerde an den Ober-Präsizenten und even- tuell an den Minister rihten, welche prüfen sollten, ob ein öffentliches Fnteresse vorliege. Das sei der U schied zwischen dem Antrage Brüel und der Vorlage. Zn der Kommission hätten einzelne Mitglieder wegen des provisorischen Charaëters3 des Gesetzes die vorliegende Frage nicht regeln wollen, und gegen den Artikel gestimmt, obgleich sie der Sache nah damit einverstanden gewesen seien.

Hierauf wurde der Antrag Brüel und darauf der Art. 2 der Vorlage abgelehnt.

Art. 3 lautet nah der Negierungsvorlage :

In den Fällen des §. 24 im Gesetz vom 12. Mat 1873 fowie des §. 12 im Gesch vom 22. April 1875 ist gegen Kirchendiener fortan auf Unfähigkeit zur Bekleidung ihres Amts zu erkennen.

Die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung des Amts hat den Verlust des Amtseinkommens zur Folge.

Ist auf Unfähigkeit zur Bekleidung des Amts erkannt, so fin- den die Vorschriften des Geseßes vom 20. Mai 1874 (G. S. S. 135), des 8. 31 im Gese vom 12. Mai 1873 sowie der 88S. 13 bis 15 im Geseg vom 22. April 1875 entspre{ende Anwendung.

Der Abg. Stengel beantragte, diesen Artikel unverändert anzunehmen.

Der Abg. Dr. Brüel beantragte dagegen :

„Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: im Artikel 3 a. vor „Unfähigkeit“ im Alinea 1 und vor „Fähigkeit*® im Alinea 2 das Wort „rech!tliche“ einzushalten; b. an Stelle des Alinea 3 aufzunehmen: „Die ferner vorgenommenen Ämtshandlungen bleiben ohne rechtliche Wirkung, sind aber niht mehr strafbar. Dieselben Veto beten in den Fällen des 8§..21 im Geseße vom 11. Mai

0 C

Zwischen Artikel 3 und Art. 4 als Art. 3 a, einzuschalten: „Eine Vernichtung der anaefoctenen Entscheidung der fkirchlichen Behörde im Falle des §. 23 im Gesete vom 12. Mai 1873 ent- zieht dieser Entscheidung von selbst jede rechtliche Wirkung. Ein Zwang der kirchlichen Behörde im Verwaltungewege zur Durch- führung der Entscheidung des Staatsgerichtöhofes findet dabei nicht mehr statt.“

Die Diskussion über Art. 3 und der vom Abg. Dr. Brüel beantragten Art. 3 a. wurde vereinigt.

Der Abg. Dr. Brüel vertheidigte seine Anträge. Dieser Artikel habe eine organische Bedeutung, denn hier würden die Maigeseße dauernd und im Prinzip geändert. Es sei erfreu- lih, daß die Negierung dadurch anerkenne, hier habe die Mai- geseßgebung übergegriffen auf das eigentliche Gebiet der Kirche. Indessen habe sie in threr Vorlage diesen Theil der Maigeseß- gebung nur theoretish verurtheilt, praktishe Folge gebe erst jein Amendement der Ansicht der Regierung. Er wisse zwar sicher, daß sein Antrag nicht angenommen werde, in- dessen sei derselbe geeignet, die Jnkonsequenz und Halbheit der Regierungsvorlage klar zu zeigen, welche auf die Dauer unmöglih haltbar sei. Mit der Re- gierungsvorlage sei er insoweit einverstanden, als das Erkenntniß eines staatlihen Gerichtshofes die Abseßung quo ad sacra nit zur Folge haben könne, jedo stelle die Wort- fassung der Regierungsvorlage das nicht unzweifelhaft klar. Thatsählih habe aber der Minister in der Kommission auf seine Anfrage erklärt, daß die Bestimmungen des §8. 18 des Geseßes vom 11. Mai 1873, wonach ein verwaistes Pfarr- amt innerhalb Jahresfrist zu beseßen sei, auf diejenigen Fälle niht Anwendung finden werde, in denen auf Grund des Art. 3 gegen einen Geistlihen auf Unfähigkeit zur Bekleidung seines Amtes erkannt worden sei und zwar weil nah Art. 3 als Folge des Erkenntnisses nicht die Erledigung der Stelle eintrete. Darin liege der charakteristishe Unterschied zwischen dem Zustande, den Art. 3 schaffen wolle, und dem jchigen Rechtszustande. Sein Amendement solle dieser Ansicht einen präziseren Ausdruck in der Vorlage geben und außerdem noch die Strafbarkeit der nach dem staatlihen Erkenntnisse vorgenommenen geistlichen Handlungen aufheben. Der Regierungskommissar habe zu Art. 2 selbst anerkannt, daß man zu weit gehe, wenn man die kassatorishe Wirkung des staatsgerichtlihen Erkenntnisses au auf den rein kirhlihen Theil der angefochtenen kirhlichen Entscheidung erstreÆe. Für den Staat genüge es, wenn die rehtlihe Wirkung der kirhlihen Entscheidung eventuell kassirt werde. Diese Unterscheidung zu machen bezwedcke der von ihm. beantragte neue Art. 3A. Er empfehle dei Hause feine An3 träge zur Annahne. : /

Der Negierungskommissar Ministerial-Direktor Lucanus entgegnete, die Anträge des Vorredners gingen über die Re- gierungsvorlage weit hinaus. Die Regierung vermöge die Konsequenz aus ihrem im Artikel 3 eingenommenen Stand- punkte nicht zu ziehen, daß die späteren geistlißen Handlungen eines staatlich abgefeßten Kirchendieners sträfloz bleiben sollten. Dem Volke gegenüber kämen die geistlichen Amtshaudlungen viel mehr zur Geltung, als die etwaigen Handlungen wit bürgerlichen Folgen, welche ein abgeseßter Bishof vornehmen könne, und die Siraflosigkeit der ersteren würde 1e Achtung vor dem Gesegze im Volke wer schädigen. Jn dem vom Amende- mont Brüel ebenfalls erwähnten Falle des 8. 21 des Gesehes vom 11. Mai 1873, wo eine Zuchthausstrafe der die Aberkennung

jugendlichen / paxrlamentarishen Thätigkeit gegenübergestellt. { der bürgerlichen Ehrenrechte vorliege, sei ein Anlaß zu einex