1924 / 134 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 07 Jun 1924 18:00:01 GMT) scan diff

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Herr v. Graefe, daß ih ein derartiger Dileitant bin, daß ih nicht versucht hätte, diese Erklärung der englischen Regierung zu benußen, um eine andere Erledigung dieser Frage herbeizuführen, als die bedingungslose Aufgabe des passiven Widerstandes? Aber wir haben damals erlebt, und ich glaube, wir werden das immer erleben, daß England, so sehr es in gewissen Momenten sein Statement vor

. der ganzen Welt kund tut, niht die Absicht hat, unserthalben oder

wegen seiner theoretische Eirstellung so weit zu gehen, etwa die Entente und sein Verhältnis zu Frankreich aufs Spiel zu seßen. (Sehr richtig! in der Mitte.) Wir haben die englishe Regierung aufs dringendste um Unterstüßung bei der Auf- gabe des passiven Widerstandes ersucht. Jh habe nie geglaubt, daß eine Situation kommen könnte und würde, bei der wir gezwungen wären, den passiven Widerstand bedingungslos aufzugeben. Diese Bestrebungen sind vergeblich gewesen. Ih weiß auch nit, ob eine andere Regierung dabei mehr Erfolg gehabt hätte. Wir haben die bösen Worte gehört, die im englishen ODber- haus Lord Curzon ausgesprohen hat, daß wir s{chuld wären, wenn wir den passiven Widerstand bedingungslos hätten aufceben müssen, weil wir den Widerstand tórihter Weise zu lange hingezogen hätten. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das waren die Worte, die ih damals hier verlesen habe, die Worte the passive resistance was foolishly postponed. I halte sie nit für richtig, ih halte sie auch im Gegensaß stehend zu den Erwartungen, die damals aus dieser Denkschrift naturgemäß für uns entstanden; aber sie waren eine Tatsache, an der wir niht vorbeigehen konnten. Wenn mir damals vom verstorbenen Kollegen Helfferih immer gesagt wurde: warum haben Sie nit ganz stark auf diese Erklärung abgehoben und gehen nicht mit dieser englishen Erklärung gegen Frankrei vor, so möchte ih Ihnen, da Sie zu mir ein verhältnismäßig geringes Ver- trauen baben, das eine sagen: als ih damals die Reichskanzlerschaft und das Außenministerium übernahm, habe ih selbstverständlih mit dem zurücktretenden Außenminister Herrn v. Rosenberg über diese Dinge mi eingehend unterhalten, habe ihm diese Erklärung Englands vorgelegt und mit ihm besprochen, da er bis dahin alle diese Dinge in der Hand hatte, wie sie parlamentarisch zu verwerten wäre. Er hat mir ausdrücklich gesagt, worin ih völlig mit ihm übereinstimme: nichts ist törihter und hat uns mehr geschadet als die Art, wie Deutschland bei vershiedenen außenpolitishen Gelegenheiten sich an die Seite Englands gedrängt hat, als wenn England der gegebene Sekundant Deutschlands wäre, und dadurch England seine Stellung gegenüber der Entente geradezu ershwert hat. (Sehr richtig! in der Mitte.)

Infolgedessen war es ganz klar, daß wir alles versuchen mußten, die damalige Erklärung in praktishe Hilfe umzumünzen, Daraus ergaben sih die Tatsachen, die bei unserer ganzen Finanzlage, die bei der Zerrüttung der damaligen Verhältnisse des pafsiven Widerstandes selbstverständlih waren. Daraus ergab sich aber eines nit: es ergab sih daraus nicht, wie viele Æute heute ebenso törihterweise meinen, daß der Ruhrwiderstand an sih falsch gewesen wäre, daß er niht seine große Bedeutung für Deutshlands Außenpolitik gehabt hâtte. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) Er hat seine große Bedeutung für Deutschlands Innen- und Außenpolitik gehabt, troß der Passivität, die Sie (nah rets) so oft hier kritisierten. Gr hat einmal gezeigt, wie eng das Rheinland und die Ruhr mit Deutsch- land verbunden sind. (Lebhafte Zustimmung und Beifall.) Er hat dadurch allen denjenigen französishen Tendenzmeldungen, die in der Welt bis dahin geglaubt wurden, den Boden entzogen. Wenn Sie heute ein Zusammentreten von Sachverständigen sehen und wenn man dort an die Spibe gestellt hat, daß Deutschland die Souveränität über sein ganzes Gebiet, die wirtshaftlihe und finanzielle Einheit wieder- haben müsse, so danken Sie das den Menschen, die damals unendlich viel gelitten haben, auch wenn sie nicht vom passiven zum aktiven Widerstand übergegangen sind. (Erneute lebhafte Zustimmung.)

Ich darf deshalb sagen darin unterscheide ih mich ja grund- säßlih von dem Herrn Kollegen v. Graefe —, daß ih-in dem Sach- verständigengutahten, ja zunächst einmal in dem Zusammentreten der Sachverständigenkonferenz eine große Entspannung der we [t- politischen Lage sehe. (Zuruf von den Kommunisten: Fragen Sie doch einmal die Arbeiter, Angestellten und Beamten!) Jch sehe darin den Sieg des Gedankens, für den wir gekämpft haben, auch unter Regierungen, die von der Rechten unterstüßt wurden. Denn es ist doch klar, daß bei der weltpolitishen Lage, in der wir uns befinden, bei der Madtlosigkeit, in der wir sind, von unserem Standpunkt aus alles begrüßt werden muß, was diese Fragen aus der Machtatmosphäre herausnimmt und was sie in die Atmosphäre der wirtschaftlichen Ver- nunft hineinstelli. (Abgeordneter Laverrenz: Das ist eine ewige Jllusion!) Dann hat diese ewige Ilusion auh Herr Professor Hoebsch gchabt, dann haben diese ewige JUusion sehr viele Leute gehabt, die Jhnen sehr nahestehen. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volks- partei.) Wenn ih den Namen des Herrn Professor Hoesch genannt habe, so deshalb, weil ich. gerade darauf hinweisen will, daß keiner fo stark wie er die große weltpolitische Tatsache unterstrihen hat, daß heute die Vereinigten Staaten von Amerika mit in das Interesse für die Regelung der europäischen Dinge eingetreten sind. (Sehr gut! in der Mitte.)

Darf ih Sie an die Zeit von Dezember 1922 erinnern, an die Nede, die Hughes in New Haven gehalten hat. Mit vollem Recht hat der damalige Reichskanzler Cuno in seiner Silvesterrede in Hamburg die sofortige Zustimmung Deutschlands dazu erklärt. Wer hat sih denn gegen diese Anregung von Hughes gewandt? Herr Poincaré hat sih dagegen gewandt, und von Paris aus ist das Wort gefallen: wir haben niht die Absicht, uns die Früchte der Siege durch internationale Bankiers aus den Händen cœißen zu lassen.

Das war die Situation. Auf der einen Seite Machtpolitik, die sagt: wir behalten, was wir haben. Auf der andern Seite der Appell an die wirtshaftlihe Vernunft. Was haben wir denn über- haupt, wenn wir ein waffenloses Volk sind? Welche Waffen hat denn ein Außenminister, Herr v. Graefe, wenn er diese Waffen nicht besißt? Er kann einmal an das Interesse appellieren, das die Melt an der Erhaltung der deutshen Konsumfkvaft hat. Er hat die Waffe der Eingliederung seines Volkes in die großen welkwirtschaft- lichen Verhältnisse, er kann geltend machen, daß der Untergang seines Volkes andere mit in diesen Untergang hineingieht. Schließlich sind doch die Gedanken dieser Sahverständigenkonferens keine anderen als die, daß die Welt niht uninteressiert ist, ob Deutschland zugrunde geht. Ich glaube nit an die Aenderung der Atmosphäre, ih glaube nit, daß Außenpolitik? aus Liebe oder Interesse oder Sympathie gemacht wird. Nein, sie wird gemacht aus eigen verstandenem welt- wirtsaftlihen Intersse, und dieses eigen verstandene weltwirt- shaftlihe Interesse, das zu dieser Sachverständigenkonferenz führte, nit zu benibhen, nit zu begrüßen, wäre ein totaler Fehler, wäre

Dilettantiêmus ohnegleihen. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei den Sozialdemekraten.)

Gewiß auch das möchte ich Jhnen sagen, Herr v. Graefe es gibt au ein anderes Mittel, daß der Außenminister eines waffen- losen Staates hat. Das ist der einheitlihe nationale Wille seines Volkes über alle Parteien hinweg (sehr richtig! bei den National- sozialisten), der im gegebenen Moment Unerträgliches zurücckweist. (Sehr richtig! bei der Nationalsozialisten.) Herr v. Graefe, wenn Sie diesen Willen eines Volkes einstellen wollen, dürfen Sie aber nit vorher anderen Parteien die politishe Ehre absprehen. (Leb- hafte Zustimmung in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Dann müssen Sie troßdem anerkennen, daß, auf welhem Wege au immer der eingelne seinem Vaterlande nußen will, er jedenfalls von dem Gedanken ausgeht, daß er genau so das Gute für sein Volk will, wie Sie das für sih in Anspruch nehmen. (Bravo! in der Mitte.) Nichts stört die Zusammenfassung eines Volkes zu einem solchen Einheitävillen in Ehrenfragen, um die wir kämpfen und die wir so durhseßen müssen, wie wir shon einmal die Nichtauslieferung der sogenannten Kriegsverbreher durchgeseßt haben, nichts stört diese Einheitsfront mehr als die Reden, die Sie (zu dem Abgeord- neten v. Gvaefe) gestern hier gehalten haben, und der Geist, aus dem diese Reden geboren sind. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, ih bin bei der Frage des Sach- verständigengutahtens, zunächst des Zusammeniritts der Sach- verständigenkonferenz, davon ausgegangen, daß die große Bedeutung dieses Zusammentritts der Sachverständigen darin lag, daß es nicht eine europäisde Konferenz war. Nicht die Entente stand uns mehr gegenüber. Einst, kurg nach dem Kriege, war in den Vereinigten Staaten von allen Parteien das eine Schlagwort ausgegeben: No European troubles! Nie wieder sih einmishen in europäische Dinge. Das war unser Verhängnis jahrelang aus dem Grunde, weil ja doch shließlih die Vereinigten Staaten, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, der gegebene ehrlihe Makler in bezug auf die europäischen Verhältnisse waren. - Sie sind zu rei, um an der Schwächung Deutschlands interessiert zu sein, Sie haben eine ge- nügend weite Distang, um die Dinge klar zu übersehen. Ich messe Shnen aber ebenso und das erkläre ih noch einmal ausdrüdlih ih messe all den Herren, die bei diesem Sachverständigengutachten mitgewirkt haben, die volle Objektivikät zu, das ehrliche Bestreben, zu einem guten Ergebnis zu kommen. (Abgeordneter v. Graefe [Mecklenburg]: Auch den Franzosen?) Herr v. Graefe, Sie kennen ja gar nit die Einzelheiten der Verhandlungen, Sie wissen ja gar nicht, wie wenig bei diesen Verhandlungen eiwa nach Nationen abgestimmt ist, Sie wissen ja gar nicht, in welhen Momenten auch Männer der französischen Nation für geringere Belastungen ein- getreten sind als Leute aus anderen Nationen. Wir haben ja da einen Klub von businessmen gehabt, die von ihrem Standpunkt aus diese Dinge angesehen haben.

Fnfolgedessen sage ich Ihnen im vollen Einverständnis auch mit Ausführungen, die der Außenpolitiker der Deutschnationalen Partei in bezug auf diese Persönlichkeiten gemacht hat: keiner, der diese Verhandlungen im einzelnen kennt, ist der Meinung gewesen, daß man hier sih hätte leiten lassen von politischen Gesichtspunkten, sondern zuerkennt den Männern, die hier mitgewirkt haben, daß sie von ihrem wirtschaftlichen Standpunkt aus die Dinge versuht haben objektiv zu regeln. (Abg. v. Graefe [Mecklenburg]: Von ihrem!) Gewiß, von ihrem Gesichtspunkt aus. Sehen Sie, Herr v. Graefe, Sie sind innerhalb Deutschlands genau so intransigent wie nah außen und glauben, Sie können Außenpolitik treiben, wenn Sie alle anderen Leute als \{lechte Kerle und Verbrecher hinstellen. (Sehr rihtig! in der Mitte.) Glauben Sie mir, dieses ganze Sach- verständigengutahten wird \{ließlich in seinem Effekt abhängen von dem Geist, in dem es durchgeführt wird, von den Persönlichkeiten, die darüber mit zu entsheiden haben. Jch glaube nicht, daß es in diesem Geist liegt, wenn Sie sih mit diesem Lächeln darüber hinweg- seßen, daß Männer anderer Nationen au objektiv. denken können. (Abg. v. Graefe [Mecklenburg]: Siehe Versailles!) Nein, seit Versailles bis zu diesem Tag ist eine Entwidelung vor sih gegangen, die Sie belieben zu negieren. Damals hat si kein Mensch auf den Standpunkt gestellt, daß nur aus dem Ueberschuß Deutschlands deutsche Leistungen ins Ausland kommen sollen. Damals hat man uns die Substanz, die Werkzeuge weggenommen. (Zuruf des Abg. v. Graefe [Melenburg].) Sie haben ja anscheinend das Gutachten gar nicht gelesen, dann brauhe ich mit Jhnen ja gar nit zu sprechen! (Entrüsteie Zurufe von den Nationalsozialisten.) Meine Herren, es ist etwas ganz anderes, ob uns die Handelsflotte weggenommen wird oder ob diejenige Verwaltung der Eisenbahnen einseßt, die hier in diesem Gutachten genannt ist. (Zuruf von den Nationalsozialisten.) Nein, i bin in diesen Dingen gar kein JUusionist, sondern sehe sie rein wirischaftlich an. Jch bin sehr gern bereit, mit Jhnen au einmal über die Angelegenheiten der Eisenbahnen sahlich und wirtschaftlich zu sprehen. Sehen Sie sich doch einmal an, Herr y. Graefe, welhe Summen des Ertrages der deutshen Eisenbahnen der Reichsverband der deutshen Industrie seinerzeit genannt hat, als es sih um das Cunosche Angebot handelte, vergleichen Sie damit die Ziffern der Sachverständigen und fragen Sie si, ob das nicht sogar vom deutshen Standpunkt aus objektive Ziffern sind. (Abg. v. Graefe [Mecklenburg]: Na, ih danke!) Jh weiß nit, Herr v. Graefe, wie Sie sih überhaupt einen Weg der Außenpolitik nah Jhren Empfindungen denken. Ih möchte Sie auf folgendes hin- weisen: Der Reichslandbund gehört doch wirklih niht zu den An- hängern des Sachverständigengutachtens. Er lehnt es ab, weil er es nicht für annehmbar hält. Aber an die Spiße seiner Erklärung hat er zwei Säße gestellt, die hoffentlih die genügende Beachtung ge- funden haben, weil sie in brutaler Weise aussprechen, was ist:

Der Reichslandbund erkennt an, daß Deutschland heute wehr- los ist und daß alle Macht bei der Entente liegt. Daraus folgert der Reichslandbund, daß Deutschland an die Sieger Kriegs- fontributionen zu zahlen hat bis zur Grenze des Möglichen. Von dieser Situation kann niemand abgehen.

Und nun bitte ih Sie, Herr v. Graefe, eiwas ins Auge gu fassen, was bei Ihrer Kritik des Sachverständigengutachtens ganz verschwindet. Vergleichen Sie den gegenwärtigen Stand der deutshen Belastung mit demjenigen nach dem Sachverständigengutachten. Bei der auf Jhrer Seite üblichen Kritik könnte man nämlich denken, bisher ruhten überhaupt feine Lasten auf uns, und nun beabsihtigt eine verant- wortungslose Regierung, die leßten Güter des Volkes dem Feinde binzugeben. Wie liegen denn die Dinge jeßt? Jch will vom Wirt- schaftlichen zuerst sprechen, obwohl das Politische vielleiht wichtiger ist. Was heute durch die Micum-Verträge aus dem Ruhrgebiet

herausgequetscht wird, ist von Sachverständigen auf die Summe ven 12 bis 1,4 Milliarden Goldmark pro Jahr ges{chäht worden. (Abgeordneter v. Graefe [Meelenburg]: Das habe ich au nie gebilligt! Große Heiterkeit.) Das ist ja sehr liebenarärdig, Herr v. Graefe, daß Sie das nit gebilligt haben. Jch glaube aber nit, daß das zur Beruhigung im Ruhrgebiet beiträgt. Kein Mensch hat das als rechtmäßig angesehen. Aber wollen Sie diejenigen Leute schmälen, die unter der Wucht der Gewalt, die ihnen angetan wurde, diese Lasten auf sih genommen haben? Haben wir niht heute schon Negiezehen? WoUen Sie durch eine einfahe große Geste, dur einen Brand von Moskau, die leßte Quelle deutscher Kraft, die uns da geblieben ist, auch noch der Vernichtung anheimgeben (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien), anstatt die Politik zu machen, die die Männer im Rukbrgebret gemacht haben: zunächst sih in das Unver- meidliche fügen, aber in der Erwartung, daß die Regierung alles iut, um die Situatión zu bessern? Zu diesen Lasten, die heute ge» tragen werden müssen und die dazu geführt haben, daß jeßt die Bergwerke aus der Substanz leben müssen, daß sie nicht in der Lage sind, die geringsten Reparaturen anzubringen, kommen die 380 Millionen Besabungskosten, die hoffentlich nicht auch hier im Hause etwa der Kritik unterliegen werden, die wir während des Wahlkampfes so oft draußen gehört haben. Man hat es so hin- gestellt, als seien auch diese Zahlungen nur Zeichen der Schwäche der Regierung, ihrer Unfähigkeit, si gegen ungehörige Anforderungen zu wehren. Wir haben einmal die Herren aus dem beseßten Gebiet gesprochen, und ohne Unterschied der Partei haben sie uns gegenüber erklärt, daß sie von jeder Regierung verlangen würden, daß sie diese Besaßungskosten bezahlt, und zwar als selbstverständlihes Aequivalent gegenüber denjenigen, die so unendlich Vieles in diesen Jahren im beseßten Gebiet haben durhmachen müssen, so daß sie zum mindesten verlangen können, daß nicht diese Kosten auf ihnen liegen bleiben. Dem wenn wir nit zahlten, wäre die Geste schr s{hön, aber die ganzen Schläge dafür hätten die Menschen auszuhalten, die da drüben bisher die Leidtragenden gewesen sind. Zu diesen Kosten, die nit irgendwie wegzunehmen sind kommen die Reparationsabgaben. (Zu- rufe bei den Nationalsozialisten.) A, meine Herren, zu all diesen Berufungen auf das beseßte Gebiet und dessen Stimmung möchte ih nur das eine sagen: Ih habe oft die Empfindung gehabt ih fomme auch viel durch Deutschland —, als wenn die großen Gesten, die großen Worte gegenüber dem, was wir für das beseßte Gebiet tun sollten, proportional sind der Entfernung des beseßten Gebietes. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei der Deutschen Volks» partei, dem Zentrum, den Demokraten und den Sozialdemokraten. Gegenkundgebungen bei den Nationalsozialisten.) Da wo man in die Nähe der wirklichen Kampfzone kommt, haben die Leute ein ganz anderes Gefühl für die Außenpolitik, wie wir sie gegenwärtig zu führen haben. (Erneute Zustimmung. Zuruf bei den Kom- munisten.) Zu Ihnen werde ich niemals gehen; ih halte Sie nicht für Leute, die die Dinge von unserem Standpunkt ansehen.

Dazu kommen die Kosten für die Kommissionen, dazu kommen die Reparationsabgaben, obwohl sie im Laufe der leßten Monate, während deren wir nah Herrn v. Graefe von Katastrophe zu Katastrophe eilen, von 26 auf 5 % herabgeseßt worden sind. Man fann sagen, daß auf diese Weise unsere heutigen Leistungen eiwa auf 1,8 bis 2 Milliarden Goldmark anzuseßn sind.

Demgegenüber wollen Sie do vielleiht die Güte haben, auch einmal festzustellen, daß das Sachverständigengutachten, bei dem Sie den ausländishen Sachverständigen jede Objektivität absprechen, in dem Saße mündet, daß Deutschland überhaupt nicht zugemutet werden Fönne, gegenwärtig und im ersten Jahre der Geltung des Gutachtens au nur einen Pfennig aus seinem Budget zu zahlen, auch nur einen Pfennig an- das Ausland zu geben. (Widerspru bei den National- sozialisten.) Gewiß ist das rihtig. Ich kann nur wiederholen, daß Sie das Sachverständigengutachten nit gelesen haben, wenn Sie auch das bezweifeln. Es heißt ausdrüdlich an den verschiedensten Stellen, daß der Stand der deutschen Währung die deutshe Negierung veranlassen müsse, niht jeßt irgendwelche Leistungen an das Ausland zu machen. (Zurufe bei den Nationalsozialiften.)

Wenn Sie von der moralischen Kriegsschuldlüge sprechen, so war eine der {limmsten Kriegs\{uldlügen, die auf uns gelastet hat, die von dem betrügerishen Bankrott Deutschlands, die Lüge, Deutschland könne, aber wolle nicht zahlen. Das war die Lüge, die davon spra, daß wir allen unseren Verpflichtungen uns entziehen wollten. Diese Lüge hat doch vor allem Herrn Poincaré dazu gedient, die Beseßung des Ruhrgebiets der Welt plausibel zu mahen. Er hat doch erklärt, er müsse das Ruhrgebiet beseßen, weil ein Volk, das zahlen könne, nit zahlen wolle. Wenn nun hier zum Ausdru @* bracht wird, dieses Volk könne jeßt niht zahlen und es habe recht, werav es seine Währung shüße, dann bricht damit auch der moralische Grund für die Ruhrbesetzung überhaupt zusammen. Und die heutigen und die früheren Regierungen sind gerechtfertigt in ¡hren Erklärungen, daß sie nit in der Lage wären, Leistungen nah außen hin zu übernehmen. (Lebhafte Zustimmung bei den Mittelparteien.)

Das zum Ausdru zu bringen, habe ih alle Veranlassung. Dena die Frage der Aufrechterhaltung der Ruhrbeseßung ist \hließlih die wichtigste Frage, um die es sih bei diesen Dingen handeln wird. (Abgeordneter v. Graefe [Mecklenburg]: Glauben Sie daran, daß es nicht beseht bleibt?) Ih werde auch darauf zu sprehen kommen.

In diesem Sachverständigengutachten sind drei Perioden deutscher Leistungen unterschieden. Die erste Periode Fann ih nennen die Zeit eines mittelbaren Moratoriums, die zweite die sogenannte Uebergangs- zeit und die dritte die Zeit, von der aus die normalen Leistungen beginnen sollen.

Jch bin nun mit den Kritikern des Gutacbtiens vollkommen darin einig und habe gar kein Hehl daraus gemacht bei allen Unterhaltungen, die ih hierüber mit fremden Diplomaten gehabt habe, daß die Sah- verständigen die deutschen Leistungen vom Jahre 1928 an in wesent- licher Weise übershäßt haben. Jch bedauere außerordentli, daß die Ziffer von 1750 Millionen, die zunächst bei den Sachverständigen- besprehungen genannt wurde, nit an die Stelle der Ziffer gekonimen ist, die heute dort genannt ist. Wenn es überhaupt möglich ist, fich unter diesen Umständen mit dem Sacbverständigengutachten einverstan- den zu erklären, so ist aber aus dem Grunde, weil hier das halte

ih für den Kern des Sacverständigengutachtens in der Bestim-

mung über die Transferierung deutscher Leistungen nah dem Auslande

gewissermaßen der Hebel einseßt gegen die Folgen, die sih aus einer solhen Uebershäßung der Leistungsfähigkeit Deutschlands ergeben müssen.

Meine Herren! Ich darf vielleicht hier einmal statt meiner, der ja der heftigsten Abneigung des Herrn v. Graefe und anderer begegnet, das sagen, was ein führender deutshnationaler Politiker über diese und

andere Bestimmungen des Gutachtens gesagt hat. Zunächst erklärt er | im Einverständnis mit dem, was ih über die politische Situation sagte, daß das Gutachten der Sachverständigen unter maßgebendem Einfluß der Amerikaner zustande gekommen ist. Die Bereitwilligkeit Amerikas, Europa mit Anleihen und Krediten unter die Arme zu greifen, sei aus- gesprochen. Jm Anschluß an die Rede Coolidges sagt er: „Eine der ganz großen Drehungen in der Konstellation der Weltmächte, die nötig sind für die Revision des Ver- sailler Friedens, beginnt sih damit zu vollziehen.“ (Hört, hörti in der Mitte und links.) Das ist das Urteil des Herrn Professor Hoebsch über den politischen Teil dieser Dinge. Es ist gestern gesagt worden, Herr Professor Hoebsch beziehe s nur auf die Tatsache des Eintritts der Vereinigten Staaten in die europäischen Dinge. Aber, Verzeihung, ausdrüdcklih ist hier gefagt „und mit Ret: „Unter maß- gebendem Einfluß amerikanisher Sachverständiger ift das Gutachten zustande gekommen.“ Jh darf Ihnen eines sagen: die öffentlice Meinung in Amerika sieht heute in dem, was sie den Dawesreport nennen, die wirtshaftlihe Bibel der Gegenwart, eine Auffassung, die fh dort leiht in Sclagworte faßt: wir haben den Krieg ent- schieden, wir haben jeßt au den Frieden gemacht. Wer si dem ent- gegenstelt —ich sprehe jeßt nur negativ muß mit dem einen renen, daß er damit auch diese größte der Weltmächte vollkommen gegen sih aufbringt, während andererseits ein gewiß niht links stehen- der Politiker in diesem Eingreifen der Vereinigten Staaten eine der gang großen Drehunzen der Weltgeshihte mit vollem Recht sieht. (Zuruf von den Deutschnationalen: Er nimmt das Gutachten aber doch niht en bloc an!) Herr Kollege Hergt, ih komme ja dazu. Jch Tomme zu dem, was uns eint, und zu dem, was uns trennt; alles nacheinander. Es kommt eben davauf an, ob man eine der ganz aroßen Drehungen der Weltgeshihte mitmacht oder sich ihr entgegenwirft. Da werden sid die Wege teilen. (Zuruf von den Deutschnationalen.) Es handelt sih doch auch darum, Herr Kollege Hergt, ob es möglich ist, mit dem Sachverständigengutahten auch die Chrenfragen zu regeln, aub Fragen, die im Zusammenhange mit unserer politishen Freiheit stehen. Davon ist Ihre Stellung abhängig, davon ist die Stellung meiner Freunde abhängig, davon ist die Stellung der Regierung eben- falls abhängig. Lassen Sie uns doch die Dinge zu Ende denken und zunächst das eine beantworten, ob das Sachverständigengutachten eine Arbeit ist, die uns zu Sklavenhaltern macht, oder eine Arbeit von Leuten, die objektiv denken können. (Unruhe und Zurufe rets.)

Meine Herren! Jn dem Aufsaß des Herrn Professor Hoebsh wird folgendes über den Inhalt des Gutachtens gesagt:

„Endlich wird einmal anerkannt, daß ohne Stabilität der deutshen Währung an dauernde Reparations- zahlungen nicht zu denken ist. Endlich wird einmal anerkannt, daß dauernde Reparationszahlungen größeren Stils nur mögli sind aus dem Ueberschuß der deutshen Ausfuhr. An- erkannt sei, daß das Gutachten mit Nahdruck die Wiederher- stellung der Einheit des deutshen Reiches in seinen jeßigen Grenzen als Kardinalvorausseßung fordert. Und ebenso bedeutet die Bereit- willigkeit, eine Anleihe unter all diesen Vorausseßungen zu be- haffen, einen Fortschritt, so wie das ganze große Kapitel über den Transfer, das die Ueberführung von Werten aus einer Volkswirtschaft in die andere dur die Devise hindurch verlangt, eine or iginelle, von volkswirtschaftliher Einsiht getragene Regelung ist. Hier wird von höchsten Sachver- ständigen und erfahrenen Männern der Finanzwelt ein Versu gemacht, den Ausgleich und die Saniecung gefährdeter Währung mit der Lösung des Reparationsproblems und dem wirt- \aftlihen Aufbau zu verbinden.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Trohdem lehnt er es ab!) Das ist es eben, was i nit verstehe. Herr Kollege Hergt, ih polemisiere jeßt gar nit gegen Sie, sondern gegen den Herrn Abgeordneten v. Graefe, der erklärt hat, daß er allen diesen Sachverständigen Objektivität nicht zutraue, der gelaht hat darüber, daß ih von dieser Obzjektivität sprach. Jh stelle dem gegenüber dieses Urteil, das doch zweierlei zeigt: ein- mal, daß niemand daran zweifeln kann, daß hier in der Tat aus dem ausgetretenen Gleise des Versuchs der Reparationélösung neue Wege gesucht worden sind, wie sie bisher noch niemals uns gegeben waren, um gleichzeitig zwei Dinge zu vereinigen, einmal das Recht Frankreichs auf Reparationsleistungen, zweitens aber, die Pflicht Deutschlands zu begrenzen. (Zuruf von den Nationalsozialisten.) Sie lehnen jede Kriegsentschädigung ab. Damit kann ih nichts anfangen. (Erneuter Zuruf von den Nationalsozialisten: Auf Grund der gestrigen Erklärung, die sih auf die Schuldfrage und die Schuldlüge bezieht!) Verehrter Herr, darf ih Ihnen eins sagen: wir kämpfen in der Schuldfrage um unser moralishes Ret. Daß wir den Krieg, auch wenn wir nicht shuldig waren, verloren haben, an dieser Tatsache werden wir leider nicht vorbeikommen und werden au die Konsequenzen daraus jederzeit zichen müssen. (Zustimmung in der Mitte und links. Zuruf von den Nationalsozialisten.) Jn Hannover habe ih mich gegen die Sguldlüge gewandt. Aber niemals bin ih so tôriht gewesen, anzu- nehmen, daß die Erledigung dieser Frage zuglei die Kriegskostenfrage erledige. (Erneute Unterbrehung bei den Nationalsozialisten. Glode des Präsidenten. Zuruf von den Nationalsozialisten: Sie suhen nur das Güte aus dem Gutachten heraus! Lachen.) Nein, ih komme jeßt zu dem Schlehten und ich wäre ohne Ihre Zwischen- rufe {on längst dabei. Das eine ist in keiner Weise zu verkennen, daß hier mit einem System gebrochen wird, das unser Unglüd, die Snflation und alle die Begleitersheinungen der Inflation hervor- gerufen hat: das war die rüdcksichtsloseste Auspowerung der deutschen Substanz. Das ist das gewesen, was bisher erfolgt ist, und wenn jeßt nah diesen Vorschlägen der Sachverständigen deutsche Satleistungen an das Ausland, Uebertragung von Gold und Devisen an das Ausland nur dann erfolgt, wenn es ohne Gefährdung der deutschen Währung geschehen kann aus dem Uebershuß der deutschen Wirtschaft, dann ist das der Bru mit dem bisher uns gegenüber vertretenen System. (Lebhafte Zurufe bei den Nationalsozialisten: Ungklaublih! Eine Frisieruñg des Sachverständigengutachtens! Glocke des Präsidenten.)

Herr Abgeordneter v. Graefe evregt sih darüber, daß hier ein deuischer Minister die Vorteile des Sachverständigengutachiens er- órteri. Herr v. Graefe, sind Sie denn der Meinung, daß Sie mit der veralteten Diplomatie hier weiterkommen und ledigli durch irgendeine Art von Vorbehalt und einseitiger Darstellung irgend eiwas auf einem Gebiete erreihen, wo es sich nicht um Politik, sondern um nüchterne Wirtschaft handelt und wo jeder einzelne im Ausland diese Dinge nahprüfen kann? (Zurufe rets.)

Gestern hat der Abgeordnete Graf Westarp die Abhilfe verlangt aus der Kreditkrisis Er hat auf die Micum-Verträge hin- wiesen. Mit vollem Recht! Die Kreditkrisis ist nah wei RNich-

lungen hin eine außerordentli bedenkliche Krisis. Einmal sind

durch die Verhältnisse der Unübersichtlihkeik, ob das Gutachten an- genommen wird oder nicht, stagniert worden die Verhandlungen mit privaten aué!ärdishen Kreditgebern. Zweitens kommt folgendes in Betracht: Der Angelpunkt des Gutachtens, von dem überhaupt seine Durchführung abhängig ist, ist das Zustandekommen der inter- nationalen Anleihe von 800 Millionen Goldmark, die für das erste Fahr den Hauptteil der deutshen Leistungen deen soll. Diese §00 Millionen Geldmark fließen der deutshen Währungsbank zu. die darauf Noten ausgeben kann, die das Dreifache dieser Summe ausmachen. Wenn Sie sich einmal die heutige Situation in der Landwirtschaft, in der Wirtschaft ansehen, wenn Sie nicht in dieses vollkommen ausgedörrte Flußbett jeßt fremde Gewässer hineinleiten, so werden wir alle mit verdorren mit dem Zusammenbrucch der deutschen Wirtschaft. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und links.) Jnfobgedessen kann man diese Dinge wirklih nit so darstellen, wie sie vielfa dargestellt werden: als Abhängigkeit vom internationalen Kapital. Ach, meine Herren, wenn Sie während des Krieges nur ciwas mehr von diesem ausländischen Kapital abhängig gewesen wären (erneute lebhafte Zustimmung in der Mitte und links; Zurufe reis), dann wäre vielleicht auh manche andere Einstellung der Welt gegenüber dem Ausgang des Krieges gewesen. (Sehr richtig! in der Miite.)

Darf ih auf eines hinweisen, meine Herren, die Privatkredite, um die wir beute kämpfen, sind naturgemäß von der Konsolidierung der deutschen Verhältnisse abhängig. Sie werden nicht erwarten Fönnen, daß die Bestrebungen für die Erlangung solcher Kredite leichter werden in einer Zeit, in der wir in Deutschland ohne feste Grenzen, ohne Souveränität dastehen, und in der dasjenige Bild der deutschen Wirtschaft si ergibt, das wir heute haben.

Ich darf Sie auf ein Lebtes hinweisen. Sn einem Telegramm des Oberpräsidenten der Rheinprovinz Fuchs ist hingewiesen worden (Zuvuf rechts: Bestellte Arbeit!) Ich habe es nicht bestellt. Jch glaube au nicht, daß es irgendein anderer bestellt hat. Jch glaube, Sie verkennen wiederum vollkommen die Stimmung des beseßten Gebietes (lehafte Zustimmung im Zentrum und links). wenn Sie glauben, daß ein Mann wie der Oberpräsident Fuchs etwas Derartiges sagen darf, wenn er niht sicher wäre, die Stimmung wiederzugeben, die hinter ihan steht.

Aber ih will auf eines hinweisen. Wir haben im Herbst 1923 tine außerordentlich ernste Situation im Rhein- land erlebt, die eine shwere Belastung der Erhaltung der Reichs- einheit darstellte. Wir haben Bestrebungen erlebt, si zunächst wirtschaftlich zu verselbständigen gegenüber Deutschland. Dieser wirtscaftlihen Verselbständigung wären vielleiht andere Verselb» sändigungen gefolgt Heute ist das zurückgetreten, heute ist das ge- däâmpft, weil alles auf das Zustandekommen dieser Verständigung hofft. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und links.) Eine Ent- tuschung dieser Hoffnung aber könnte auh gleichzeitig die aller- shwersten innerdeutsen Folgen haben. (Sehr richtig! in der Mitte und links.) :

Gegenüber dem, was hier in diesen Bestimmungen des Gut- ahtens unzweifelhaft ein Plus gegenüber der heutigen Lage ist, stehen

diejenigen Bestimmungen, die die neu zu gründende Bank, die die

neue Reichseisenbahn in eine Verwaltung bringen, bei der wir einmal um das Uebergewicht des deutschen Einflusses zu ringen haben, bei der wir weiter dafür Sorge zu tragen haben, daß nicht einmal jene Bestimmungen Plaß greifen, die in dem Annex 4 des Sach- verständigengutahtens zum Ausdruck gekommen sind und dem Kom- missar das Recht geben sollen, einzelne Teile der Reichsbahn oder die ganze Reichsbahn zu verkaufen, wenn Sie nicht dasjenige er- bringt, was in den einzelnen Jahren an Erträgnissen verlangt wird. Es wird dieser Fall, in den ersten Jahren nicht praktis zu werden brauchen, nit praktisch werden können. Er wird zu einer Gefahr werden können in dem sogenannten Normaljahr und darüber hinaus, dann nämli, wenn bei uns selbst anormale Zustände der Wirt- schaft sind und infolgedessen die Summe, die der Reichsverband einst nannte, zwischen 500 Millionen und 1000 Millionen Mark, nicht herausgewirtshaftet werden kann. Es ist deswegen gerade in den leßten Tagen bei den Verhandlungen der Regierung der größte Wert darauf gelegt worden, diese Bestimmung niht in dieser Härte be- stehen zu lassen, mindestens dafür zu sorgen, daß, wenn die deutsche Eisenbahn die erwähnten Erträge nicht herauswirtshaftet, das Deutsche Reich sie aber aus anderen Quellen det, ein derartiges Recht des Kommissars nicht in Frage fommen fann. Sie werden in dieser Beziehung selbstverständlih die Reichsregierung an der Seite aller derjenigen finden, die in dieser Beziehung eiwas durh- seßen wollen, auch in bezug auf die Wahrung der Rechte der Länder bei dem Uebergang der Reichseisenbahn in ihre neue Organisation, und ih begrüße durchaus die Anregung, daß die Führer der Parteien zusammen mit der Reichsregierung über die Gestaltung des Bank- wesens und der Reichseisenbahn verhandeln wollen.

Wenn aber diese Dinge ausgeräumt werden können, bletbt zweierlei, bleibt tiefste Beeinträchtigung in bezug auf Bankwesen, in bezug auf Eisenbahn, ein Einfluß internationaler Gewalten, die natur- gemäß hier niht in der Weise deutsche Eisenbahnpolitik treiben, wie wir fie vom deutshen Standpunkt aus früher haben treiben fômnen. Es ift das tiefschmerzlich, in dem Sachverständigenbericht zu lesen: die einstige deutsche Eisenbahnpolitik und die, die uns jeßt aufgezwungen wird. Einst die deutschen Eisenbahnen als Faktor der Reichswirtschaft, um unserer Wirtschaft zu helfen, heute die Eisen- bahn einfach als Träger einer Verzinsung, die herausgewirtshaftet werden muß. Aber ih frage mi das eine: wären wir niht auch ohne Sachverständigengutahten aus unserer allgemeinen Finanznot heraus gezwungen worden, eine andere Eisenbahnpolitik zu treiben? Wir hätten uns den Luxus dieser früheren Eisenbahnpolitik nit mehr leisten können. (Zurufe rechts.) Von der habe ih ja ge- sprochen! Ich habe doch gesagt, daß ih das als das Allershwerste an- sehe, die Aufgabe der Souveränität! Immerhin halte ich es nicht für unmöglih, daß die deutschen Vertreter im Verwaltungsrat der deutschen Reichsbahn, soweit diese über die genannten Summen hinaus Erträgnisse erzielen kann, von diesem Augenblick an auch wieder eine Eisenbahnpolitik alten Stiles werden treiben fönnen. Aber bei dem heutigen Stande glaube ih nicht, daß wir bald dazu gelangen werden. Hier liegen eben die großen Debetseiten des Sachverständigengut- ahtens.

Zum Dritten liegen sie in den Summen, die von dem Normal- jahr 1920 an genannt sind. (Zuruf rechts: Also annehmen!) „Also annehmen“ sagen Sie. Nein! Aber deshalb ist jeder, der die Verantwortung mitträgt und dazu gehört meiner Meinung nah auch jeder Abgeordnete verpflichtet, sich zu fragen, ob man des-

wegen alles aufs Spiel seßen kann, einmal das, was das Gutachten unzweifelhaft an Vorteilen gegenüber dem jeßigen Zustande bringt, und zweitens is zu fragen, wie die weltpolitishe Situation aus- sehen würde, wo wir die ganze Weltkonstellation gegen uns haben, wenn wir uns dazu entschließen, das Sachverständigengutachten abzulehnen.

Nun hat der Herr Abgeordnete Graf Westarp gestern gesagt, es sei notwendig, daß zunächst die politishen Fragen eine Regelung er- fahren. (Zuruf rets.) Jch glaube, Herr Dr. Quaay, bei jeder Frage handelt es sich darum, die Vorteile und Nachteile gegen- einander abzuwägen und dann die Entscheidung zu treffen! Mit dem einfahen Ja oder Nein kommt man allerdings sehr schnell aus, wenn man diese Einzelheiten niht nachprüfen will. Also der Herr Ab- geordnete Graf Westarp hat gestern zum Ausdruck gebracht, daß zunähst die politishen Fragen eine Regelung erfahren müßten, ehe man das Sachverständigengutahten annähme. Ich glaube, Herr Graf Westarp wird mit mir zwei Arten von politischen Fragen unterscheiden. Einmal handelt es sih um die politische Frage dec Wiederherstellung der wirtshaftlihen und finanziellen Einheit des Reiches. Ih bemerke dazu ausdrücklich, daß zwar an einzelnen Stellen des Sachverständigengutahhtens der Ausdruck „finanzielle und wirischastlihe Einheit“, an einer anderen Stelle aber auch ausdrüdcklich der Ausdruck von der „Souveränität des deutshen Reiches“ sich findet, und ih kann weiter als Auffassung der Regierung zum Ausdruck bringen, daß wir der Meinung sind, daß die Wiederherstellung der deutshen Verwaltungshoheit implicite in diese Wiederherstellung der deutshen wirtschaftlichen Souveränität einge\S&!ossen sein soll. (Sehr wahr! bei den Mitielparteien und den Sozialdemokraten.) Wir können nit die Gewähr für eine vernünftige Steuerpolitik im beseßten Gebiet übernehmen, wenn nicht die Verwaltungs- hohbeit in unseren Händen is, und wir können niht die Gewähr für eine ungestörte Produktion übernehmen, wenn nicht die Ver- waltungshoheit in unseren Händen ist. (Erneute Zustimmung.) Diese Dieg gehören zum Gutachten, diese Dinge wären also auch gedeckt bei Annahme des Sachverständigengutachtens.

Wenn aber die Kritik des Herrn Grafen Westarp sih etwa darauf beziehen sollte: wie sollen sich die Dinge in der Praxis vollziehen? wird niht Frankreih zwar unserer Leistungen nehmen, aber mit seinen eigenen Leistungen in Verzug bleiben? so darf ih fagen (Zuruf rechts) das ist eine Zweifelsfrage, die auch bei mir aufgekommen ist —, daß wir von anderer Seite folgendem Vorschlag begegnet sind. Jch nehme einen Termin, den ich willkürlih seße: Annahme der vorgeshlagenen Geseßze von Deuischland am 1. Juli, Aufhebund der Bestimmungen Frankreihs in bezug auf die Zollinie und allex Bestimmungen des Sachverständigengutachtens innerhalb 14 Tagen bis zum 14. Juli, Inkrafttreten des Gangen einen Tag nah Zurück- ziehung sämtlicher französishen Verordnungen, die sich darauf beziehen. Es ist ganz selbstverständlih, daß wir nicht vorleisten, daß wir keine Leistungen übernehmen, ehe wir wissen, daß diese Vorausseßungen auch für uns sicergestellt sind. (Zuruf rets.) Aber, lieber Herr Kollege, das ist doch wirklih gang selbstverständlih! Jh darf au das eine sagen, selbst auf die Gefahr hin, damit die höchste Gr- regung des Herrn v. Graefe herauszufordern: ih bin der festen Veberzeugung, wenn die französishe Regierung das Gutachten ans nimmt, daß wir dann auhch erwarten können, daß die franzöfische Regierung ihrerseits die Konsequenzen aus dem Gutachten zieht. (Zustimmung bei den Mittelparteien. Lachen rechts.) Ich glaubes nah der Richtung hin wird {ließlich die Mitwirkung aller an diesem Sachverständigengutachten beteiligten Nationen eine Garantie sein, wie sie in dieser Stärke bisher in der Welt wohl nicht gewesen ist, (Zurufe rechts.) Ganz recht, Herr Graf Westarp; aber ih habe ja gerade darauf hingewiesen, daß der Eintritt der Vereinigten Staaten hier tatsählih ein Novum ist, und ih glaube, Sie werden mir zugeben, ohne daß ih das im einzelnen ausführe, daß die Vers einigten Staaten mehr Mittel haben, ihrer Antipathie gegen eine Nichtausführung des Sachbverständigengutachtens praktisch Ausdruck zu geben, als irgendeine andere Macht der Welt. (Sehr richtig! beë der Deutschen Volkspartei.)

Dann kommt eine zweite Reihe von Fragen: das ist erstens die Frage der Gefangenen, zweitens die Frage der Aus- gewiesenen, drittens die Frage der militärisben Räumung des Ruhrgebiets.

Meine Herren, die Fragen 1 und 2 Gefangene und Aus gewiesene sind in dem Sachverständigengutachten niht behandelt, komten in ihm niht behandelt sein, da das Gutachten sih ja aus drücklih auf wirts{aftlihe Fragen beschränkte. Es ist die Aufgabe der Regierung, die Durhführung beider Forderungen zu sichern, und die Nacbrichten, die die Regierung über diese Fragen hat, über die sie seit Wochen nun mit den übrigen Regierungen in Verbindung steht, lassen erkennen, daß die Forderung der deutshen Regierung auf Frei. lassung der Gefangenen und Ausgewiesenen auf allseitiges Vers ständnis bei den anderen Nationen gestoßen ist, Hier scheint mir die Sicherung deshalb durhaus möglih zu sein

Was die militärishe Räumung betrifft, so ist diese im Gut» achten mittelbar erwähnt. Es ist an der Stelle, die im englischen Text die Ueberschrift trägt: „Military Aspects“, davon gesprochen, daß die Sachverständigen keine andere Kontrolle zulassen könnten als diejenige, die sie selbst in diesem Gutachten genannt hätten Das bedeutet im Zusammenhang mit der Ueberschrift, daß sie eine militärishe Kontrolle, ein militärishes Eingreifen in die wirtschaft- lien Verhältnisse niht zu billigen vermögen.

Diese Erklärung der Sachverständigen ist aber ledigli darauf abgestellt, daß eine verbleibende militärishe Beseßung in die Produk- tivität und Wirtschaft nicht eingreift. Sie ist in keiner Weise und das konnten die Sachverständigen auch niht tun eine Erklärung, daß die militärishe Beseßung selbst aufhören muß. Deshalb ist nah Meinung der Regierung darauf hinzuwirken, daß ein bestimmter Endtermin der völligen militärishen Räumung des Nuhrgebiets terminmäßig oder sahlich in Aussicht stehen muß. Wenn ih sage „sahlih“, so meine ih damit etwa eine Formulierung, die, ohne sih an bestimmte Termine zu binden, von der Durhführung bestimmter Geseße, von der Durchführung bestimmter Leistungen diese militärische Näumung abhängig maht. Gibt die Annahme des Sachverständigeno gutahtens Frankreih die Garantie bestimmter Leistungen, so muß es au auf alles verzihten, was die deutsche Produktivität schädigt. Zu dieser Schädigung der deutschen Produktivität gehört unzweifelhaft au das Fortbestehen der militärishen Besaßung des Ruhrgebiets. (Sehr richtig!) Der Block der Linken, der ja wohl gegenwärtig in Frankreich zur Herrschaft kommen wird (na! nal! rets) ih habe gesagt: der ja wohl zur Herrschaft kommen wird; ih glaube, das isf