1847 / 170 p. 3 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

öffentlichen Schule zu bedeutungsvoll für die Gemeinde sei, als daß er dem Vorstande allein überlassen werden könnte.

Marschall: Es fragt sich, ob Jemand das Wort über den Antrag der Abtheilung begehrt? Wenn nicht, so frage ih, ob dem E beigetreten werden \oll, wonach der Paragraph also lauten

ürde:

„Eine Absonderung von den ordentlichen Ortsschulen fönnen die jüdischen Glaubensgenossen nicht verlangen; doch is es den - Juden gestattet, in eigenem Interesse auf Grund diesfälliger Ver- einbarungen unter sich, mi? Genehmigung der Schul - Behörden,

Privat-Lehranstalten nach den darüber béstehenden allgemeinen Be-

stimmungen einzurichten.“

Dann würde natürlich. alles Uebrige wegfallen. i

Regierungs-Kommissar Brüggemann: Das Motiv, das da- hin geführt hat, auch den jüdischen Glaubensgenossen das Recht zu gestatten, in besonderen Fällen ausnahmsweise öffentlihe Schulen zu errihten, habe ih bereits vorher erwähnt, als die Verhandlung über 8. 25 an der Reihe war; daher will ich nur kurz nohmals darauf hindeuten, daß es nicht beabsichtigt worden ist, durch das Geseß das Entstehen solcher Schulen zu befördern, sondern nur unter besonderen Verhältnissen die Berehtigung der jüdischen Glaubensgenossen ein- treten zu lassen, au öffentlihe Schulen einzurichten, wenn sie als zweckmäßig erkannt und ein allseitiges Einverständniß darüber vor= handen sein sollte.

_ Wenn im Abtheilungs-Gutachten gesagt ist, daß bei der Anlegung der Ortsschulen auf die verschiedenen Bekenntnisse der christlichen Kir= en nicht geschen würde, so kann ih, da ich mich auf eine weitläu= fige Widerlegung nicht einlassen will, nur anführen, daß dies aller= dtngs der Fall ist. Jn der Rhein-Provinz z. B. is zwar die Unter- haltung der Elementar-Schulen bereits in Folge der Geseßgebung der Fremdherrschaft eine Last der bürgerlichen Gemeinde; aber dessenun= geachtet hat diese Bestimmung nie dahin führen können, den kou- fessionellen Charakter der Elementar-Schulen zu verwishenz vielmehr sind neben den bestehenden fatholishen Schulen bei eingetretenem Be= dürfnisse auh evangelische Schulen auf Kosten der bürgerlichen Ge- meinde errichtet worden, und in anderen Fällen in gleiher Weise ka- tholische Schulen.

Der erste Fall der scit der Verfassung vom Jahre 1842 erfolg- ten Einrichtung einer öffentlichen jüdishen Schule i in der Stadt Aachen vorgekommen, wo, im Einverständniß der städtischen Gemeinde zit fet jüdishen Glaubens - Genossen, eine solche Schule entstan=

en ist.

Marschall: Der hohen Versammlung is der Vorschlag der Abtheilung verlesen worden. Jch werde ihn also zur Frage stellen, und bitte, daß diejenigen, dic dafür stimmen wollen, aufstehen.

; (Es erhebt sich eine Majoritäl dafür.) __ Wir kommen nun zu dem Vorschlage, der gemacht is, auch die übrigen Paragraphen bis 33 wegfallen zu lassen.

Referent Sperling: Das würde nicht gut gehen z sämmtliche Paragraphen würden nicht fortfallen können, namentlih son wegen dessen, was wir bei §. 28 beschlossen haben, Solches mußte slehen bleiben. Es berührt die Juden ganz allein.

__ Marschall: Jh will fragen, ob der Antrag Unterstüßung findet, und bitte Diejenigen, die ihn unterstüßen, aufzustehen, i: (Der Antrag wird uicht unterstüßt.)

Referent (verliest):

34

11S: E:

Nach vollendeter Schulbildung der jüdischen Knaben haben die Vorsteher der Judenschaft unter eigener Verantwortlichkeit dafür zu sorgen, daß jeder Knabe ein nüßlihes Gewerbe erlerne oder sich auf wissenschaftliheu Lehranstalten einem höheren Berufe widme, und daß feiner derselben zum Handel oder Gewerbebetrièbé im Umherziehen gebraucht werde. Sie haben sich deshalb zunächst mit den Vätern oder Vormüindern zu vernehmen; wenn aber auf diesem Wege der Zweck nicht erreicht wird, so haben sie ihre Anträge an den betref- fenden Magistrat, resp. an den Kreis-Landrath zu richten, welcher die Väter oder Vormünder, Lehtere unter Vernehmung mit der oberen vormundschaftlichen Behörde, anzuhalten hat, daß den Knaben die erforderliche Vorbereitung für einen wissenschaftlichen oder künstleri= hen Beruf, oder für den Betrieb des Landbaues oder eines anderen stehenden Gewerbes zu Theil werde.“

_Veber diesen Paragraph spricht sich die Abtheilung in folgender

Weise aus:

_ Nach der Disposition dieses Paragraphen soll der Vorstand dafür sorgen, daß die jüdischen Knaben nah vollendeter Schul- bildung einen gemeinnüßigen Lebensberuf erwählen und sih nicht dem Handel oder einem anderen Gewerbebetriebe im Umherziehen ergeben. Diese Verpflichtung des Vorstandes kann ihre guten Folgen haben, so wie jede Vormundschaft dieselben hat, wenn sie gewissenhaft verwaltet wird. Jndeß is es augenfällig, daß der Vorstand bei seinen sonstigen Geschäften derselben wegen ihres Umfanges vollständig zu genügen außer Stande ist, und wenn in Pojen diejenigen günstigen Erscheinungen eingetreten sind, welche man beabsichtigte, als man in der Verordnung vom 1. Juni 1833 dem dortigen - Judenschafts - Vorstande eine gleihe Verpflichtung auferlegte, so können solhe auch wohl in anderen Bestimmun- gen der gedachten Verordnung und in anderen Verhältnissen, als gerade in dieser den Vorständen angewiesenen Thätigkeit, ihren Grund gehabt haben. Abgesehen von der Zweifelhaftigkeit des Erfolges dieser in Rede stehenden Bestimmung, führt dieselbe zu Eingriffen in die väterliche Gewalt, welche dem Vater zunächst das Recht giebt, auf den Lebensberuf seiner Kinder einzuwirken. Außer- dem erscheint es auch als hart, die Vorsteher dafür, daß jeder jüdische Knabe ein Gewerbe erlerne oder sich auf wissenschaftlichen Lehr - Anstalten einem höheren Berufe widme, verantwortlich zu machen , da ihm, um diesen Zweck zu erreichen, kein anderes Mittel zustehen soll, als Rücksprache mit den Vätern oder Vormündern und Anträge bei dem Magistrat und Kreis - Landrath. Aus vor- stehenden Gründen exflärten einzelne Mitglieder eine Umarbeitung dieses Paragraphen für nothwentig, so daß die Vorsteher nur eine moralische Verpflichtung ( ohne besondere Verantwortlichkeit ) träfe, auf die Wahl des Lebenéberufes {ischer Knaben einzuwirken, und auh dies ‘ihnen nur in Beziehung auf solche Kinder zur Pflicht gemacht würde, deren Eltern der fortschreitenden Gesittung geradezu entgegenstreben. Í

Andere Mitglieder gingen aber weiter, indem sie anführten, die allgemeinen Geseze aeben schon hinreichende Mittel an die Hand, die heranwahsende Jugend zu nühlihen Staatshürgern heranzu- zuziehen. Sei der Vater niht am Leben, so stände es bei der vormundschaftlichen Behörve, tüchtige Vormünder zu bestellen und dieselben in Erfüllung ihrer Pflichten zu überwachen. Lebe der Vater, so sei es allgemeine Obliegenheit der Polizei-Behörde unt und jedes rechtlichen Mannes, sobald der Fall eintritt, daß der Vater seine Obliegenheiten gegen seine Kinder vernachlässigt, der vormundschaftlichen Behörde davon Anzeige zu machen und dieselbe zur Bestellung eines Kurators für die Kinder zu veranlassen. Die in Rede stehende Bestimmung würde mit der Stellung des Vor- standes, welche sich auf die Kultus-Angelegenheiten beschränken soll, unvereinbar sein. Durch dieselbe werde er gewissermaßen

di einem

polizeilichen Organ des Staats gestempelt, Jndem die Bestimmung

1188

allgemein laute, und jeden jüdischen Familienvater ohne Ausnahme der Ueberwachung des Vorstandes in Betreff der Kinder-Erziehun unterwerfe, kränke sie zugleich das Ehr efühl der Juden, welche t ihrenBildungszustand weit über die Nothwendi Feit einer solchen Ueber= wachung hinaus sind, und könne in ihrer Allgemeinheit nur s{häd- lih, niht vortheilhaft wirken. Sie sei geradehin eine Schmach, welche den Juden neu angethan werde, statt daß sie dem Zeitgeiste und der allgemeinen Volksstimme gemäß derjenigen Fesseln, in wel- chen sie verrostetes Vorurtheil bisher gehalten, entledigt werden sol- len. Die gedachten Mitglieder hielten den gänzlichen Wegfall die- ses Paragraphen für nothwendig, und bei der vorgenommenen Ab- stimmung erklärten sich von zwölf Anwesenden für diese ihre An- sicht sieben, für die oben angedeutete bloße Umarbeitung des Pa- ragraphen nur fünf Stimmen.

Abgeordn. v. Donimierski: Jh kann mich bei diesem Para- graph nur für die Minorität erklären. Es is nit zu verkennen, daß der Referent und die Majorität der Abtheilung sich mit vieler Wärme für die Ausdehnung der Rechte der Juden aussprechen, aber in diesem Punkte gehen sie zu weit, wenn sie behaupten, daß die Ehre der Juden durch diese Bestimmung gekränkt werden würde. Jch glaube, daß in manchen Gegenden diese Vorschrift nüßlich und wohlthätig wirken könne. Die Worte, „daß keiner derselben zum Handel oder Gewerbebetrieb im Umherziehen, gebraucht werde“, ver- Ne ih nur \o, daß die Knaben nicht zum Schacher der sogenannten

ündeljuden verleitet werden sollen. Jn den westlihen Gegenden, wo vielleicht diese Art von Juden gar nicht vorhanden ist, mag dieser Paragraph überflüssig erscheinen, wo sie aber in großer Masse noch vorkommen, würde sie gewiß sehr wohlthätig wirken. Es ist von mehreren Rednern schon bei der Diskussion über den allgemeinen Theil ganz richtig erwähnt worden, daß die Schattenseite des Cha- rafters ‘der Juden gerade in diesem Schachergeist liege, und ih meine, daß dieser Paragraph gerade den Zweck hat, diesen Geist zu vertilgen und die Sache an dem rechten Ende anfängt, nämlich mit der Jugend. Darum würde ih nicht dafür stimmen, diesen Para- graph zu streichen, sondern mih der Minorität anschließen, daß er anders gefaßt würde, Denn ih kann mih mit den Worten „unter eigener Verantwortlichkeit“ nicht einverstanden erklären; man kaun den Vorstehern nur eine moralische Verpflichtung auferlegen. Jeden- falls kann aber diese Vorschrift zur sittlichen Hebung der ärmeren Klasse der Juden beitragen, aus dem Grunde bin ih für die Bei- behaltung dieses Paragraphen.

Abgeordn. Dittri ch: Für den Wegfall des Paragraphen stim= mend, führe ih als Grund an, daß er etwas Abnormes bestimmt, was in Bezug auf die christlichen Einwohner nicht stattfindet, und da in Bezug auf die Christen eine solhe Bevormundung nicht nöthig ist, weil die Bestimmungen des Landrechts ausreichen, so bedarf es eines Partikular-Geseßes für die Juden hierüber eben so wenig.

Referent Sperling: Jh schließe hieran die Bemerkung, daß der Paragraph nicht nur etwas Abnormes, sondern auh etwas Un- nüßes enthält. Denn, wenn auch der Vorstand die Erziehung zu überwachen verpflichtet werden sollte, so werden wir doch nicht die Hoffnung hegen können, daß er bei seinen übrigen Geschäften jedem Knaben nachgehen und zusehen würde, ob ihm eine moralische Erzie- hung wirklich zu Theil wird. Es würde außerdem diese Beaufsichti- gung der Erziehung einé Kränfung für den gebildeteren Juden sein, und, wenn wirklich die Juden in einer Provinz im Allgemeinen nur eine geringe Bildung haben sollten, so i dies doch keinesweges in den übrigen Provinzen der Fall, um so allgemeiner diese Kränkung.

Eine Stimme (vom Pl«h):

(Konnte wegen der größen Entfernung nur in abgebrochenen Säßen von’ dem Stenographen verstanden werden.)

Abgeordu. von Puttkammer: Jch halte dafür, daß der Zweck, den die Minorität erreichen will, auf ganz anderem Felde zu erreichen wäre, und dies liegt in dem Hausir-Reglement. Wenn die Bestimmungen des Hausir-Reglements beschränkt würden, würde di? Neigung der Juden zu diesem Handel beschränkt werden können. Das is freilich ein Gegenstand, der jeßt nicht vorliegt, aber da liegt der Punkt, wo man einschreiten müßte.

Abgeordn. Graf von Schwerin verzichtet auf das Wort.

Marschall: ‘Der Vorschlag der Majorität der Abtheilung geht dahin, den Paragraphen wegfallen zu lassen. Diejenigen, die für den Wegfall stimmen, bitte ih, aufzustehen.

(Es erhebt sich cine Majorität dafür, jedoch is uicht ersichtlich, ob es zwei Drittel der Stimmen sind.) :

Jch bitte die Ordner, zu zählen, da, wenn es niht zwei Drittel der Stimmen sind, auch die Gründe der Minorität angeführt wer-

den müssen.

Das Ergebniß der Abstimmung is folgendes :

Die Frage is mit 254 gegen 127 Stimmen bejaht, es sind also die nöthigen zwei Drittel der Stimmen gerade vorhanden.

(Bravo !)

Referent (liest vor):

19. 39.

Zu unmittelbaren Staats - Aemtern sollen die Juden insoweit zugelassen werden, als sie sih durch den Dienst im stehenden Heere verfassungsmäßig Civil-Versorgungs-Ansprüche erworben haben und mit den ihnen zu übertragenden Civil- und Militairdiensten “nicht die Ausübung einer obrigkeitlihen Autorität verbunden ist,“

E Gutachten zu §. 35.

Abschnitt 1. Was der Ausdruck: „obrigkeitliche Autorität ‘““, bedeuten soll, is niht ganz klar. Jm Allgemeinen is man geneigt, ein jedes Staatsamt für ein obrigfeitlihes und als mit einer obrig- feitlihen Autorität verbunden anzusehen. Doch ergiebt der ganze Juhalt des in Rede stehenden Abschnitts, daß der Ausdruck in einer engeren Bedeutung zu verstehen sei, und diese lernte die Abtheilung aus einem von dem Ministerial - Kommissarius ihr mitgetheilten Mi- nisterial - Reskripte vom 21, März 1846 kennen, welches ad pass. concern. dahin lautet: „daß unter der ausshließenden obrigfeitlichen Autorität jedes richterlihe oder polizeiliche und jedes mit einer exe- futiven Gewalt verbundene Amt verstanden werden muß, vermöge dessen der Beamte mit dem Publikum in unmittelbare persönliche Be- rührung tritt, Es werden sonach Juden zu den Stellen der Regi-= stratoren, Kanzlisten, Kalkulatoren und Boten, sofern Leßtere nicht etwa zu gleicher Zeit als Exekutoren fungiren und dergleichen Stellen nicht den Militair-Juvaliden ausschließlih vorbehalten sind, zugelassen werden können. ;

Um Mißdeutungen zu vermeiden, schien es der Abtheilung wün- \chenswerth, daß der Ausdruck nah Inhalt dieses Reskripts in dem Geseß - Entwurfe erläutert würde, wenn leßterer zum Geseße erhoben werden sollte. ;

Was díe Bestimmung selbst anlangt, so fehlte es nicht an Mit- gliedern, welche sie für angemessen erklärten. Dieselben hielten da- für, daß der im §. 9 des Edifts vom 11. März 1812 ausgedrüdte Vorbehalt : ;

,„Inwiefern die Juden zu anderen öffentlichen Bedienungen und

Staats-Aemtern zugelassen werden können, behalten wir uns vor,

in der Folge der Zeit geseßlih zu bestimmen“, dur solche seine Erledigung erhalte, und sie auszudehnen bei dem zur Zeit noch niedrigen Standpunkte der Sittlichkeit, auf welchem sich ein großer Theil der Juden befinde, nicht räthlih erscheine, Í

Dieser Ansicht konnte der übrige größere Theil der Mitglieder nit beitreten; vielmehr wurde von deren Seite Folgendes entgeg= net: ob und inwieweit die Juden“ sch auf einer “niedrigen Bil- dungsstufe befinden, sei gleihgültig, weil, wenn au ihre Zulassun zu Staatsämtern ällgemein ausgesprochen werden sollte, daraus no nicht folgen würde , daß jeder Einzelne von ihnen dazu gee müßte; dies Emer nur unter denselben Bedingungen und Voraus- seßungen höherer Bildung geschehen würde, unter welchen Christen zu Staatsämtern gelangen. Was der Geseß-Entwurf den Juden in Beziehung auf den Civil - und Militairdienst gewähre, würde viel- leiht unmittelbar nach dem Erscheinen des Edikts genügt haben, fönne aber jeßt, nach Verlauf eines mehr als dreißigjährigen Zeitraumes, niht mehr genügen, nachdem die hristlihe Be= völkerung sih daran gewöhnt hat, die Juden in verschiedenen praktischen Fächern thätig zu sehen, nahdem die Erfahrung gelehrt hat, daß Juden in Gemeinde-Aemtern, zu denen sie durch das Vertrauen ihrer Mitbürger berufen wurden, gleih jedem Christen sich tüchtig gezeigt, daß sie im Freiheitskampfe von 1813 bis 1815 gleich diesen für das

Vaterland gefochten und geblutet haben. Jeßt würde die Bestimmung

des Entwurfs ein Rückschritt gegen bestehende Zustände sein, da die Juden der in der Denkschrist S. 38 gemachten Angabe entgegen Staatsämter, mit denen obrigkeitliche Autorität unzweifelhaft verbun- den ist, wie z. B. das Amt eines Königlichen Bau - Jnspektors und eines Gendarmen, bereits befleidet haben und im stehenden Heere zur Zeit noch als Offiziere zur Zufriedenheit ihrer Vorgeseßten dienen.

Daß überhaupt des Militairdienstes in diesem Geseße und nur so beiläufig gedaht worden, war den Vertretern der vorstehenden Ansichten nicht anders erklärlich, als daß solches nur der Konformität wegen geschehen. Dieselben glaubten sich der Vorausseßung hinge= ben zu dürfen, daß, wenn die in Rede stehende Bestimmmung des Ent-= wurfs in Beziehung auf den Civildienst aufgehoben würde, in Betreff des Militairdienstes es bei den darüber bestehenden, feine Beschränkung für die Juden enthaltenden allgemeinen Gesehen von selbst verbleiben würde und ging zur Erörterung der Frage über , in welchem Um- fange den Juden die Civil-Staatsämter zugänglich zu machen seien ? Ju dieser Beziehung theilten sie sih in zwei Parteien; die Einen be= haupteten , daß die Juden in Beziehung auf die Staatsämter selbst noch nicht eine völlige Gleichstellung mit den Christen fordèrten, viel- R zufrieden wären, wenn in dieser Hinsicht vorerst ein Uebergang zur Gleichstellung vermittelt würde, un) mit Rücksicht auf die Vorur=- theile, die unter den Christen gegen Juden hin und wieder noch be= ständen, es angemessen erscheine, dieselben niht nur von den Aem- tern, welche mit Kultus - und Unterrichts - Angelegenheiten der Chri= sten in Verbindung stehen , sondern auch von den Dirigentenstellen der Verwaltungsbehörden und dem Richter - Amte auszuschließen, das Leßtere hauptsächlich wegen der vorkommenden Eides - Abnahmen, welche einem jüdischen Richter, einem Christen gegenüber, nicht füg-= lich überlassen werden fönnten und Verlegenheiten herbeiführen E ten, wo nicht eingerichtete Richter-Kollegien existirten und eine Su stitution stattfinden könnte. Die Anderen hielten diese Ausnahme nicht für motivirt, weil es dem Gouvernement immer freistehen würde, in jedem einzelnen Falle die obwaltenden individuellen und loka=- len Verhältnisse zu berücksihtigen und Juden da ‘nicht hin- zustellen, wo sie Einzeln - Richter sein bder als Dirigenten mit Erfolg “niht würden wirken selben“ glaubten viel=

-

fönnen, Diesel ten mehr, daß es dem Gemeinwohle des Staates entsprechend sein möchte, alle in dem Kreise seiner Unterthanen sich entwickelnden Kräfte, auch die der Juden, zum Triebwerke des Ganzen, wo es nur irgend möüg= lih, heranzuziehen und mitwirken zu lassen und fanden, von diejem Gesichtspunkte ausgehend, für die Zulassung der Juden zu Staats= mtern feine andere Schranke, ‘als welche sh, wie bei den Kirchen=- und den mit diesen in Verbindung stehenden Aemtern, aus ihrer Re= ligion unmittelbar ergebe. Sie wünschten, daß Juden zu allen Staats-Aem= tern zugelassen werden, welche nicht ihrer Natur nach das christliche Glau» bens-Bekenntniß vorausseßen, indem sie dem Einwände, daß die Be= stimmung in diesen Ausdrücken zu allgemein und für das Gouverne= ment zu wenig leitend sein werde, um so weniger Raum geben zu können glaubten, als die Praxis in anderen Ländern längst darüber entschieden habe, inwieweit die Verwaltung eines Amtes mit dem Glauben zusammenhänge. : Demnach waren über den in Rede stehenden Abschnitt überhaupt drei verschiedene Ansichten laut geworden, und bet der Abstimmung erklärten sih dafür, —— j daß die Disposition des Geseß-Entwurfs, wie sie lautet, beizube= halten sei,

vier Mitglieder, dafür: : | daß die Juden zu allen Staats=-Aemtern zuzulassen seien, mit Aus=- nahme der Aemter, welche mit den Kultus- und Unterrichts-Ange= legenheiten der Christen in Verbindung stehen, des Richteramtes und der Dirigentenstellen der Verwaltungs-Behörden,

fünf, und für die Bestimmung endlich : daß die Juden zu allen Staats - Aemtern zuzulassen seien, welche nicht ihrer Natur nach: ein christliches] Glaubensbefenntniß voraus- seßen, A

wiederum vier Mitglieder,

Jch gehöre zu denjenigen, welche sih dafür ausgesprochen haben, daß die Juden zu allen Staatsämtern zugelassen werden, welche nicht ein ristliches Glaubensbekenntniß voraussebßen, und bin daher gegen die Beibehaltung des verlesenen Passus des §. 35, und zwar jeßt um so mehr, als ih mich bei näherer Erwägung überzeugt habe, daß den Juden darin eigentlih gar nichts oder nur scheinbar etwas be= willigt würde. Es is nämlich aus dem beigebrachten Ministerial Reffkripte zu ersehen, in welcher beschränkten Sphäre die Juden zu den Beamtenstellen zugelassen werden sollen. Es würden nur solche Juden, die sih auf den unteren Stufen der Ausbildung befinden, sich zu den ihnen vorbehaltenen Aemtern überhaupt melden, nicht die Gebil- deten, die es eben ihrer Bildungsstufe zuwider halten möchten, einen solhen Posten zu bekleiden. Gerade diejenigen Juden also , welche dem Staate vorzugsweise nüßen könnten, sind von den Aemtern aus= geschlossen. Außerdem ist aber noch ins Auge zu fassen, daß auch die wenigen gebildeten Juden in der ihnen. angewiesenen beschränkten Sphäre nur dann eine Anstellung erlangen sollen, wenn sie sith durch den Militairdienst Ansprüche auf Civil - Versorgung erworben haben, und ih glaube, daß kein Jude es dahin bringen werde, diese An- sprüche zu erwerben, weil es dazu gehört, daß er 12 Jahre im stte= henden Heere dient, Er soll weder im Militair noch im Civil ein Amt bekleiden dürfen, mit welchem eine obrigkfcitliche Gewalt verbun=- den is. Js} aber die Schildwache nicht ein solhes Amt? Ein Jude würde also nicht. im Stande sein, Schildwache zu stehen und dadurch sein Ehrgefühl so gekränkt werden, daß er 12 Jahre beim Militair nicht aushalten und also auh nicht Civil-Versorgun s-Ansprüche si erwerben würde. Daraus ziehe ih eben den S luß, daß den Juden

in diesem Abschnitt nichts “rad ist,

Landtags-Kommissar: Jh will mih keinesweges auf eine

weitere Erörterung der Frage einlassen, die andèrthalb Sißungen hin= dur die Versammlung beschäftigt hat, ih meine die Frage über voll ständige Emancipation der Juden, dur deren Bejahung die Juden

Erste Beilage

befähigt sein würden, alle Staatsämter ohne Ausnahme zu bekleiden. Nur die von einem Theile der Abtheilung ausgesprochene Ansicht, daß der Geseß - Entwurf in Beziehung auf die Anstellungsfähigkeit bei Staatsämtern keinen Fortschritt, sondern einen Rüfschritt euthalte, muß ih entschieden widersprehen. Nach dem Geseße vom Jahre 1812 war die Bestimmung vorbehalten , inwiefern die Juden zu Staatsämtern zugelassen werden sollten; die Praxis aber hat sich da- hin gestellt, daß sie zu feinem solhen Amte zugelassen sind, wobei nicht bestritten werden soll, daß in den Freiheitskriegen einige Juden zu Offizieren avancirt sind, Ob wirklich, wie behauptet worden, ein- mal ein jüdischer Bauinspektor existirt hat, weiß ih nicht; zuverlässig aber is es, daß der Regel nach keiner eine |\taatsamtliche Stellung erhalten fennte, bis Se. Majestät der jeßt regierende König iu neue- ster Zeit zu bestimmen geruhte, daß den Juden, wenn sie sich durch den Militairdienst Ansprüche auf Civilversorgung erworben hätten, sie dieser theilhaftig werden sollten, unter dem Vorbehalt jedoch, daß mit einer solhen Anstellung feine obrigkeitliche Function verbunden sein dürfe. Diesen Grundsatz hat das neue Geseß aufgenommen und also einen offenbaren Fortschritt gegen den Zustand gewährt, der von dem Zahre 1812 bis zum Erlasse der neuesten Bestimmungen bestanden dat. Wenn aber dieser Fortschritt als illusorish bezeichnet wird, sto is auch dies irrig, Es haben bereits Juden als Unteroffiziere #o lange gedient, um sich Anstellungs-Ansprüche zu erwerben, und wer- den jeßt, wo ihnen die Anstellungs-Ansprüche verliehen sind, gew!þ mehrere den Versuch machen, solche zu verwirklichen, Die Sphäre, in der sie angestellt werden köunen, ist allerdings beschränkt, aber sie umfaßt do den größten Theil der Aemter, worauf Unteroffiziere nach zwölfjähriger Dienstzeit überhaupt Anspruch haben. Wenn uun her- vorgehoben ist, daß nach dem Geseß- Entwurf Juden uur durch den Heeresdienst zu solchen Aemtern gelangen können, so muß ih dies anerfennen, aber bemerfen, daß hierin eine sehr wesentliche Beschrän- kung nicht liegt, weil die Aemter dieser Art überhaupt der Regel nach den Militair-Anwärtern vorbehalten sind und nux in einzelnen Aus= nahmefällen auch auf anderem Wege dahin zu gelangen ist. /

Welches demnach auch die Wünsche der Versammlung in Bezie- hung guf die Ausdehnung der Anstellungs - Befähigung sein mögen, fo bitte ich doch die Ansicht festzuhalten, daß die Bestimmung des Geseß- Entwurfs auh in diesem Punkt keinen Rückschritt, sondern einen Fortschritt - in Beziehung auf die Verhältnisse der Juden ent- halte,

Abgeordn, von Gaffron: Jch will mich in Beziehung quf die- sen Paragraphen der Fassung anschließen, welche von fünf Mitglieo dern beantragt worden ist, nämlich: daß die Juden zu allen Aemtern zuzulassen sein würden, mit Ausnahme u, st. w.

(Liest vor.)

Kas die mit dem Kultus verbundenen Aemter anlangt, so spricht die Ausnahme für sih selbst, für die Ausnahme des Richter-Amtes sind die Gründe in dem Gutachten entwickelt, und was die Dirigen=- tenstelle anlangt, so glaube ih, daß dieser Vorbehalt dadurch motivirt wird, daß im Allgemeinen ein großer Theil unserer Bevölkerung, und zwar ein höchst achtbarer, sih noch nicht daran gewöhnt hat, die Juden in höheren amtlichen Stellungen zu sehen, und wenn nicht ein successiver Uebergang stattgefunden, so möchte dieser plößliche Ueber- gang im Volke Mißfallen erregen. Jh werde jeßt nicht weiter dar- auf eingeben, aber später, wenn von den ständischen Befugnissen die Rede sein wird, auf diesen Gegenstand zurückklommen.

Abg. Wodiczka: Jh gehöre zu denjenigen Mitgliedern der Abtheilung, welche der Ansicht sind, daß die Juden zu allen Staats- Aemtern zuzulassen seien, mit Ausnahme der Aemter, welche mit den Kultus- und Unterrichts-Angelegenheiten der Christen in Verbindung stehen, des Richter-Amtes und der Dirigentenstellen der Verwaltungs- behörden, und daß ihnen auf Universitäten das Defkanat, Recto- rat oder Prorektorat nicht übertragen werden könne. Diese Ansicht stübt sich auf das mosaische, auf das geoffenbarte Geseß der Juden selbs, und mehrere Bestimmungen dieses Gesebes sind feinesweges als Aberglaube zu erachten, wie ein Abgeordneter der schlesischen Ritterschaft ansührte, namentlich sind dies die Bestimmungen wegen der strengen Feier des Sabbaths und wegen der religiösen Beschäf- tigungen und Waschungen u, st. w. Es legen viele Redner und Juden darauf Gewicht, daß einzelne Juden, wenngleich zu ihrer Zahl in einem sehr geringen Verhältniß, Kriegsdienste geleistet und sogar am Sabbath gefochten haben, Dies haben sie aber uur in Folge eines Dispenses gethan, welchen ihnen ihre Synagoge und Rabbiner gegeben haben, Dieser Dispens kann aber widerrufen werden, und ein Dienst, der widerrufen werden kaun, is prekär und eigentlich, da ihn das göttliche Geseß verbietet, unsittlich. Uebrigens weiß ich ganz genau, daß ein Dispens zur Verwaltung von Civil-Staats- ämtern gar nicht vorhanden ist, und wenn man aach annehmen fann, daß der Staat Kriegsdienste zu verlangen berechtigt ist, so folgt daraus noch nicht, daß die Juden Civil-Dienste in Anspruch nehmen fönnen, zu denen sie auch gar nicht einmal fähig sind, wenn man bedenkt, daß die Juden den Sabbath streng feiern sollen und die meisten Juden auch so streng sind, daß sie am Sabbathe nicht ein- mal ein Licht anziinden, sondern es von einem christlichen Dieust- boten anzünden lassen, wenn sie es brauchen, Die Waschungen und die übrigen Gebräuche nehmen den gewissenhaften Juden so viel Zeit weg, daß *; des Jahres gewiß darauf hingeht, so daß sie diese Zeit uicht für den Staatsdienst würden benußen können, Cs giebt zwar einige Juden, die sich um diese Gebräuche nicht füm- mern und den Sabbath nicht vorschriftsmäßig feiern, aber was thun diese? sie thun weiter nichts, als daß sie ein göttliches Geseß übertreten. Kann aber ein Jude, der ein göttliches Gesetz übertritt, ein ruhiges Gewissen haben? Wird er die weltlichen Geseße halten? Jch, für meinen Theil, würde einem Menschen, der ein göttliches Geseß des Privat-Vortheils wegen übertritt, kein Amt auvertrauen, und der Staat wird wohl daran thun, den Juden solche Aemter zu entziehen , welche sie veranlassen oder verpflichten könnten, die göttlichen Gebote zu übertreten, Was insbesondere das Richter- Amt anbetrifft, so können die Juden, besonders so lange noch Cinzel- Richter bestehen, solches nicht verwalten. Wie fann bei einem Vor- mundschafts-Gerichte ein Jude ein Amt erhalten, wo er mit darauf zu achten hat, daß die Kinder christlich erzogen werden? Wie kann er bei einer Ehescheidung, die zwischen christlichen Eheleuten stattfinden soll, ein Urtheil sprehen, wenn er die Prinzipien der ristlihen Re- ligion nicht. in sich hat? Daß ein Jude einen christlichen Eid abnehme, halte ih ebenfalls für bedenklich, obgleich Viele von der Ansicht aus- gehen, daß es ganz gleich sei, wer den Eid abnimmt , und daß es nur auf die Gesinnung desjenigen ankomme, welcher ihn leistet, Wenn ein Jude das weltliche Gesey bei Verwaltung eines Amtes vollstän- dig erfüllen würde, so würde er nur dem Scheine nah ein Jude sein, denn ein Jude, welcher das mosaische, göttliche Geseß gänzlich auf- giebt, wenn es dem bürgerlichen hindernd in den Weg tritt, is nur ein Schein-Jude. Dieser ist aber, glaube ih, tadelnswerther , als der zum Christenthume_ getretene Jude. Dieser wird von den meisten Juden nur für einen Schein-Christen erklärt; aber diejenigen, welche

1189 Erste Beilage zur Allgemeiuen Preußischen Zeitung.

ih fenne, die von dem Judenthume zum Christenthume übergegangen sind, sind mir als ehrenwerthe Männer bekannt und sind keine Schein=- Christen. Jch wiederhole meine Meinung, daß den Juden nicht alle Aemter übertragen werden können. |

Abg. von Borries: Meine Herren! Wenn wir bei der Beurthei- lung der vorliegenden Frage die Gefühle und Ausichten des Volfes zu Rathe ziehen, so werden wir uns schwerlich für die unbedingte Zulassung der Juden zu Staats-Aemtern aussprechen können, Denn, seibst nach demjenigen, was mehrere Emancipations -Mäuner bier vorgetragen haben, unterliegt es wohl feinem Zweifel, daß bei der großen Masse des Volkes keine Sympathieen für die Juden vorhanden sind, daß vielmehr zwischen beiden Theilen ein Mißtrauen besteht, welches selbst ein langjähriges Zusammenwohnen nicht zu verwischen vermag. Dies gilt insbesondere für den Landestheil, dem ih augehöre, für Weslfa lenz hier hegt namentli der Landmann ein solches Mißtrauen gegen die Juden, daß ein unpartetischer Beurtheiler sich unit verhehlen fann, daß zwischen der christlichen und jüdischen Bevölkerung noch eine große Kluft, eine große Scheidewand besteht, welche sih nicht durch einige Federstriche beseitigen läßt. Beispielsweise führe ih nur an, daß der Landmann bei uns den Juden nur mit „Jude“ und „Du“ anredet. Dieses „Du““ ist aber uicht das zutrauliche „Du““ iniger Gemeinshast, denn das „Dubßen““ is bei unseren Landleuten im Allgemeinen niht gebräuchlich fsoudern es ist der \sprehende Be- weis, daß die Juden noch als eine besondere Menschenkaste angesehen werden,

Jch bin jedoch weit entfernt davon, die yox populi stets als eine vox dei anzusehen, und fann namentlich für den vorliegenden Fall die Volksstimme nicht als eine Gottesstimme anerkennen; ih glaube viel- mehr, daß die gegen die Juden herrschende Antipathie zum Theil auf angeerbten Vorurtheilen berubt, wenn sich gleich andererseits leider nit verkennen läßt, daß diese Antipathie zum großen Theil auch ihren Grund hat in dem frassen Separatismus, den die Juden in der Regel in allen Lebersverhältnissen gegen Nichtjuden beobachten, und in der Art und Weise, wie namentlich die Landleute in ihrem Handelsverkehre mit Juden von lebteren behandelt werden. Jch räume indessen, wie gesagt, gern ein, daß die Antipathie gegen die Juden zum großen Theil auf Vorurtheilen beruht, Wenn ich nun auch feinesweges die Ansicht hege, daß wir, die Vertreter des Volkes, bei unseren Berathungen in allen Fällen den Ansichten des Volkes Folge zu leisten haben, vielmehr glaube, daß wir uns über Vorurx theile, welhe etwa noch im Volke herrschen, erheben und durch weise Gesebe und Einrichtungen diese Vorurtheile nah und nach zu besei tigen suchen müssen, so werden Sie mir doch gewiß einräumen, daß wir bei dieser Prozedur mit großer Vorsicht zu Werke gehen und uns sehr hüten müssen, mit dem Volksgeiste uiht in direkten Wider- spruch zu treten, indem - wir alsdann nicht allein das Vertrauen des Volkes verscherzen, sondern auch leicht Uebel würden hervorrufen fönnen, welche bei weitem sch{chlimmer sind, als diejenigen, gegen welche wir fämpfen. Es ist eine alte bekannte Rechtéweisheit, daß die Geseßgebung sich auf den Kulturzustand des Volkes gründen muß, und daß Gesezgebungen, welche nicht in den Sympathieen und Ge- fühlen des Volkes wunrzeln, welche nicht volksthümlich sind, nicht als zweckmäßige und nüßliche erachtet werden können. Die Geschichte liefert insbesondere viele Beispiele, daß Geseße, welche den Kultur- zustand des Volkes nicht gehörig berücksichtigten, sondern _ihm voraneilten, mehr geschadet als geht und den “beabsichtigten Fort- \chritt sie lange Zeit sogar unmöglich gemacht haben, Wir werden daher bei Beurtheilung der vorliegenden Frage sorgfältig zu prüfen haben, ob die gegen die Juden herrschende Antipathie schon jeßt die unbedingte Zulassung derselben zu Staats-Aemtern gestattet, /

Diese Frage muß aber, so gern ih mich auch dem allgemeinen Rechtsprinzipe anschließe, daß im Staatsverbande gleiche“ Pflichten auch gleiche Rechte zur Folge haben müssen, indem sonst gewisser= maßen eine societas leonina bestehen würde, meines Crachtens ver- neint werden, Denn \o lange noh eine solche Scheidewand, ausge- bauet aus gegenseitigem Mißtrauen nud Autipathieen vielerlei Art, zwischen der christlichen und jüdischen Bevölkerung besteht, wie sie wenigstens in meiner Heimat noch vorgefunden wird, muß ih einen Schritt für sehr bedenklih ha!ten, welcher, die Gefühle und Ansichten des Volkes verlebend, die gegen die Juden bestehenden Antipathieen leiht noch würde verschärfen fönnen. Die nächste Folge einer unbe dingten Zulassung der Juden zu Staats-Aemtern wird ohne Zweifel sein, daß sich eine Menge Juden der Beämten-Carrière widmen, daß sehr bald sowohl in die Verwaltung, als in den Richterstand jüdische Beamte einriüicken werden. Denn ih kann nicht einem verehrten Redner vor mir beistimmen, daß zwischen Zulässigkeit und Zulassung zum Staatsdienste ein großer Unterschied stattfinde. Vielmehr wird die Zulässigkeit die Zulassung immer nothwendig zur Folge baben. Denn sobald die Juden einmal anstellungsfähig geworden sind, würde es eine offenbare Ungerechtigfeit sein, wenn man sie bei nachgewiese= ner Civilifation zum Staatsdienste uicht zulassen wollte. Bei den Antipathieen und dem Mißtrauen, welches im Allgemeinen noch gegen die Juden herrscht, würde aber durch die Zulassung derselben zu Staats = Aemtern das Vertrauen des Volkes zum Beamten - Stande \{chwerlich vermehrt werden. Jch bin vielmehr überzeugt, daß in vie- len Fällen, z. B. bei der Anstellung eines jüdischen Einzeln - Richters auf dem Laude, die größten Mißstände hervorgerufen werden würden, indem sie bei dem Volke nicht das zu einer gedeihlihen Wirksamkeit uöthige Vertrauen besißen würden, Deshalb glaube ih, mich gegen eine unbedingte Zulassung der Juden zu Staats - Aemtern und für, den vorliegenden Gesetz - Entwurf aussprechen zu müssen. i

Es is zunächst Sache der Juden, ihren Partikularismus und Separatismus aufzugeben und durch ein näheres Anschließen an die christliche Bevölkerung die Antipathieen der lebteren nach und nach zu beseitigen. Erst wenn sie hierdurh bewiesen haben, daß ihnen wirflih eine innigere Verschmelzung mit der christlichen Bevölkerung am Herzen liegt, wird weiter darüber zu berathen sein, ob ihnen die höchsten politischen Rechte eingeräumt werden können. i M

Abgeordn. Graf v. Schwerin: Ver Königliche Kommissar hat den allgemeinen Gesichtspunkt der Frage noch einmal ins Auge ge faßt und die Behauptung aufgestellt, durch die Bestimmungen des Gesetz = Entwurfes seien die Juden gegen den früheren Zustand nicht deterioris conditionis geworden; es sei also in dem Geseb-Cnt- wurfe kein Rücschritt, Jch habe mr gejtern erlaubt, die Ansicht auszusprechen, daß ih darin nux eimen Rückschritt erblicken fönnte, und ih muß zu meiner Rechtfertigung mir gestatten, dies näher zu motiviren.

§6. 7, 8 und 9 des Gesehes von 1812 disponiren :

„§+ 7. Die für Juländer zu achtenden Juden hingegen sollen, insofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bür- gerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.

g. 8, Sie können daher akademische Lehr- und Schul=, auh Ge- meinde-Aemter, zu welchen sie sich geschickt gemacht haben, verwalten.

§. 9, Jnwiefern die Juden zu anderen öffentlichen Bedienungen

Montag den 21êÞ Juni

und Staats - Aemtern zugelassen werden können, behalten Wir Uns vor, in der Folge der Zeit geseßlich zu bestimmen,“

Dieser Vorbehalt is jeßt verwirktliht worden, aber in einer E . i , , ,

Weise, die den Hoffnungen, die die Juden berechtigt waren zu hegen nicht entsprechend ist. Die Juden durften hoffen, nachdem sie für Staatsbürger erklärt wurden, daß man, in weiterer Anerkennung dieses Grundsabes, sie im Laufe der Zeit auch zu allen Staats- Aemtern zulassen werde; während der Geseß - Entwurf aus\pricht : sie sind zu feinem Amte befähigt, welches eine obrigfeitliche Autorität in sich begreift. Die Abtheilung hat aber bereits ausgeführt, daß ihnen damit fast alle Befähigung abgesprohen ist, Es ist nur ein sehr enger Kreis, in welchem sie sich bewegen fönnen.

Indem also der Geseß - Entwurf die Erwartungen uicht erfüllt, zu denen das Geseß von 1812 berechtigte, ja, eine ganz andere Basis legt, muß ich dabei stehen bleiben, daß die Juden dadurch be= deutend deterioris conditionis geworden sind. Hiernah und nach dem, was ih früher als meine Meinung ausgesprochen habe, wird es der Versammlung wohl nicht zweifelhaft sein, daß ih derjenigen Ansicht mich zuzähle, die den Juden alle Staatsämter zubilligt, welche nicht mit dem Kultus in nothwendigem und unmittelbarem Zusam- menhange stehen, aus dem einfahen Grunde, weil ih für die Basis des Staates nur Geseß und Recht anerkenne, und weil ih glaube, daß ein Jude sich innerhalb der Schranken des Geseßes eben so be- wegen fann, wie der Christ, insofern er sich den gleihen Bedingun- gen zu unterwerfen bereit is, Der Staat kaun kein anderes Recht gelten lassen, als daß er von einem Jeden die nah dem Gesebe er- forderlihe Befähigung verlangt, und daß er sich den Bedingungen unterordnet, die die Ausübung des Amtes unmöglich machen. Wie er sich in dieser Beziehung zu seinen Religionssaßungen stellen will, ist feine Sache. Der Staat is niht der Wächter der Gewissen der Juden, Aus diesem Grunde bin ich dafür, daß die Juden zu allen Aemtern zugelassen werden, die uicht in direkter Verbindung mit dem Kultus stehen. Jch bin aber nicht für die Fassung, welche die Mi- uoritäs - Mitglieder angenommen wissen wollen, weil mix darin eine Unbestimmtheit gelassen zu sein scheint, Es heißt:

„Die Juden jollen zngelassen werden zu allen Staatsämtern, welche uicht ihrer Natur nah ein christlihes Glaubensbekenntniß vor- ausseßen.““

Ja, meine Herren, das is die Verschiedenheit der Meinungen ; eben diejenigen Mitglieder, die con der Idee des christlihen Staats aus die Befähigung der Juden zu den Aemtern bestreiten, thun dies, weil sie annehmen, es sei christlihes Glaubensbefenntniß zu jedem Stagatsamt mit obrigkeitliher Autorität erforderlih. Wir würden daher hier wieder keinen bestimmten Boden haben, es würde eine Definition hinzutreten müssen, wix würden sagen müssen, welches Amt ift ein solhes, das die christliche Religion nöthig maht? Jch würde aus diesem Grunde den zweiten Saß für viel prägnanter hal- ten, wenn man sagte:

„„daß Juden zu allen Stgatsämtern zuzulassen seien, mit Ausnahme derjenigen , die mit den Kultus - und Unterrichts - Angelegenheiten der Christen in Verbindung stehen.“

Dies heißt, meiner Meinung nach, ganz klar ausgesprochen: sie vürsen nicht Geistliche, nicht Lehrer der christlichen Religion an Schu- len und nicht Minister des öffentlichen Unterrichts und der geistlichen Angelegenheiten sein.

Abgeordn, Graf von Helldorff: Meine Herren! Jh bin aus einem Lande, wo keine Juden sind, Ob dies ein Vortheil oder Nach- theil sei, dies will ih meinerseits nicht entscheiden, und glaube ih woll, daß hier in der Versammlung Mehrere sind, die es gründlicher zu beurtheilen verstehen, wie ih. Jedenfalls ist es aber meine An- sicht, daß es die Pflicht unseres Jahrhuuderts sei, die Unbill früherer Jahrhunderte zu sühnen. Wenn ih auch nicht der Ansicht bin, daß die Juden zu allen Aemtern jeßt schon zuzulassen seien, so möchte ich doch mein Einverständniß mit derjenigen Fraction der Abtheilung er= flären, welhe die Juden zu allen Staatsämtern zulassen will, mit Ausnahme der Aemter, welche mit den Kultus- und Unterrichts-An- gelegenheiten der Christen in Verbindung stehen, des Richter = Amtes und der Dirigenten-Stellen der Verwaltungs-Behörden. Jh möchte mir erlauben, diesen Aemtern noch eine einzige Kategorie hinzuzufü= gen, dies wäre die der Landräthe, E 4

Abgesehen davon, daß die Landräthe doch so manche ständische Functionen auszuüben haben, wozu ih die jüdische Bevölkerung aus so manchen triftigen Gründen zur Zeit noch mt geeignet halte, müssen wir doch auch, wie schon von einem Abgeordneten aus West- falen erflärt worden is, die Ansichten und Meinungen der großen Masse der Bevölkerung, seien diese auch wirklichals vorgefaßte und von Vorurtheilen nicht ganz freie zu bezeichnen, billigermaßen berüd- sichtigen. Jch halte es übrigens auch gar nicht für eine so stringente Zurückseßung der jüdischen Bevölkerung, wenn sie nicht auf einmal in den Besiß aller Rechte kommt; sie möge sich jeßt der ihr zu Theil werdenden Begünstigungen würdig machen, sie möge ihre Ansprüche auf noh höheres Hinausfsteigen und noch weitergehende Emancipation wahrhaft begründen, und sie wird dann derselben zweifelsohne im Fortschreiten der Geseßgebung auch theilhaftig werden. Es heißt: „ohne Kampf kein Sieg“, und so wünsche ih von Herzen, daß die Juden in diesem Kampfe siegreich bleiben mögen.

Abgeordn, Dittrich: Dem Antrage des geehrten Abgeordne- ten aus Pommern mich anschließend, den Sab der Fraction der Ab- theilung von fünf Mitgliedern, mit Ausnahme des leßten, welcher wegzulassen sein dürfte, anzunehmen, erlaube ih mir, einige Einwen- dungen, die gegen die Zulassung der Juden zu Staatsämtern ge- macht worden sind, in Folgendem zu beantworten, Zuerst sagt man, es sei nur ein allmäliges Fortschreiten nothwendig; nun sind aber seit 35 Jahren allmälige Fortschritte eingetreten, und es fragt si, ob die Juden die ihnen bis jeßt übertragenen Aemter shlecht ver- waltet haben? wenn das nicht der Fall, wie ih doch annehmen muß, so folgt daraus, daß wir noch eine Stufe weiter gehen müssen, baß wir ibnen uach den Subalternen - Aemtern, zu denen man sle bis jeßt verstattet hat, auch zu den höheren und edleren den Weg erschließe, um alles Unwürdige in. ihnen zu ertödten, namentlich ie von dem unglücklihhen Schacher abzubringen, welcher, beiläufig erwähnt, durch das allzuweit zulässige Hausiren begünstigt wird, _welches Haujiren jedenfalls der Einschränkung zu bedürfen scheint, Wenn ih also da- für stimme, daß die Juden zu -den höheren Aemtern, zugelassen wer- den mögen, so muß ih noch einige Einwendungen widerlegen, die sich in Bezug auf diese Aemter geltend gemaht haben. Die Haupt-Einwendung ist, daß ihüen die Richter-Aemter und insbeson- dere die Functionen, welche unmittelbare Beziehung auf die Religion haben, niht übertragen werden könnten. Ich stimme damit überein, daß solche Functionen ihnen nicht übertragen werden ; aber der Staat fann sehr wohl Fürsorge treffen, daß da, wo Einzel-Richter sind, die Juden nicht in solchen Beziehungen fungiren dürfen. Indessen hindert das nicht ihre Befähigung zu Richter-Aemtern im Allgemei- nen, eine Nichtbefähigung folgt daraus keineêweges. Außerdem ist noch der frühere Einwand wiederholt worden, daß wir den Ansichten