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aus welchem das Gutachten die Verhältnisse der posener Juden be- handelt zu sehen wünsht. Jh bin im Allgemeinen bei dem vorlie- genden Geseß - Entwurfe, das kann ih nicht leugnen, in einem ge- wissen Zwiespalt mit mir gewesen, weil ich Bedenken gehabt habe, einem Volksstamme, aus denen viele weise und gute Männer hervor= gegangen sind, meine Anerkenuung dadur zu versagen, daß ih mich habe dagegen erflären müssen, ihnen die volle politische Geltung ein- zuräumenz in Beziehung auf die posener Juden, welche als nicht naturalisirt bezeichnet worden- sind, befinde ih mich jedoch in einem solchen Zwiespalt nicht. Jch würde es sehr bedenklich finden, wenn wir -nah dem Gutachten der Abtheilung diese Klasse der Juden, bei= läufig ein gutes Drittel sämmtlicher Juden der Monarchie, 65,000 an der Zahl, sofort emanzipiren wollten. Es 1} bisher mit einer gewi)- sen Vorsicht verfahren worden. Die Zahl der emanzipixten Zu den in Posen beträgt gegen 14,000; dies hat aber die Folge gehabt, daß sie sich in großer Zahl in die angrâu- zenden Provinzen vertheilt haben. Ii Der Denkschrift it E sagt worden, daß die Auswanderung gegen 600 betragen habe. Ah gestehe, daß ich mi veranlaßt jehen dürfte, darüber nähere Erläuterung von dem Herrn Kommissar zu erbitten. Ich erinnere mich sel-r wohl, daß in den ersten Jahren nah der Publication ‘des Edikts von 1833 gegen 100 Familienhäupter in die Kreise der Neu= mark einwanderten, und jedes solches Familienhaupt zog unter ge wissen Modificationen eine gewisse Anzahl von anderen Juden nach sich. Diese Einwanderung wurde damals als große Kalamität be

trachtet, weil sich die Bevölkerung nicht überzeugen konnte, daß den Leuten derjenige Grad von JTntelligenz und Tüchtigkeit, den wir bei unseren einheimishen Juden gewöhnt sind, beiwohnen. Noch viel-= mebr aber würden wir diese Kalamität vermehren, wenn wr jener Klasse ter nichtnaturalisirten Juden des Großherzogthums Posen obne Weiteres die Freizügigkeit, die nothwendiger Weise nt Der Gleichstellung mit der übrigen hristlihen Bevölkerung zusammenhinge, einräumen wollten. Nun muß ih bemerken, daß Fälle vorgekommen sind —— ih erinnere nur an Einen berühmten Vorfall, der sich vor 10 oder 12 Jahren zugetragen hat daß ganze Ortschaften im Großherzogthume Posen, welche von Juden bewohnt waren, weil man den dortigen Behörden nicht zutrauen dürfte, daß sie mit der gehörigen Energie verfahren würden, cernirt, plößlich von den Lan

desbehörden umstellt, ein großer Theil der Einwohner auf gehoben und zur Kriminal . Untersuchung gezogen wurden. Ich frage, ob es im Juteresse einer weisen Politik, im Juter esse der Gerechtigkeit gegen die christlihe Bevölkerung wäre, wenn aus gewissen anerkfennungswerthen, aber meines Erachtens doch mißverstandenen philanthropishen Ansichten eine solhe Volksmasse ih auf die übrigen Provinzen ausgießen sollte. Meine Herren! Jch lege auf Popularität sehr wenig Werth, aber ih glaube, daß wir unsere Popularität dur eine solche Maßregel verlieren würden, und zwar mit Recht. Jch appellire also an Sie im Namen ihrer Volks

thümlichkeit, im Namen der Gerechtigkeit, daß Sie reiflich erwägen mögen. ob dem Gutachten der Abtheilung in dieser Beziehung unve= dingt beizutreten sein möge. Ob auf der anderen Seite aber gewisse Erleichterungen eintreten sollen, ob man das Gese von 1833 oder das Gesetz, wie es hier im Augenblide vorliegt, für unbedingt zweck= mäßig hält, ist eine andere Frage. Aber gegen die unbedingte Aus-= gießung dieser Klasse der Bevölkerung auf die übrigen Provinzen würde ih mich entschieden erklären. Man kann \agen, daß in einer solchen Beschränkung eine Ungerechtigkeit gegen das Großherzogthum liege; in einer gewissen Weise erkenne ich dies vollständig an, auf der anderen Seite aber fragt es sih, ob es weise ist, eine Krauk= heit, welche auf einem gewissen Theil des Körpers haftet, über den ganzen Körper zu verbreiten, in der Vorausseßung, sie dadurch zu heilen ?

Abgeordn. von Brodowski: Meine Herren! Jch habe mi bisher bei der Berathung des Gesebes jedes Wortes enthalten, weil dessen Gegenstand mit so vieler Gründlichkeit, Beredtsamkeit und Herz- lichkeit beleuchtet worden is, daß ich blos mcine innigste Freude über die berrlihen Gesinnungen der Humanität , des Fortschrittes und der Nächstenliebe, die sih vou der großen Majorität ausgesprochen haben, ausdrücken fann. Jch bin überzeugt, daß diese menschenfreuudlichen Gesinnungen Anklang finden werden bei den Besseren im ganzen civi= lisirten Europa.

Jch habe mich in meinem Amendement den Anträgen der Ab-

theilung angeschlossen und würde es nicht nöthig haben, zu vertheidi-

gen, wenn ich nicht so eben vernommen hätte von einem Gegner, daß man ein Volk, welhes in einer Provinz der Monarchie lebt, aus= schließen will von den Geseßen, welche für die übrigen Provinzen gelten sollen, Jch kann überhaupt die Ansicht uicht theilen, daß ein Aus-= nahme-Geseß für eine Provinz, im Verhältniß zu anderen Provinzen, nüßlich oder zweckmäßig sein könnte, und ih muß mich um so mehr wundern, daß dieses Ausnahme-Geseß erschienen ist, als auf dem posener Provinzial-Landtage vom Jahre 1845 guf vi:l größere Fort- \hritte Anträge gemacht worden sind, als sie den Juden durch den allgemeinen Geseß-Entwurf zu Theil werden sollen. Das Groß- herzogthum Posen hat ausdrücklih gebeten, und zwar einstimniig, Se. Majestät den König zu bitten, das Geseß vom 11, März 1812 auf seine ursprüngliche Bestimmung wieder zurückzuführen, also alle seitdem ergangenen beschränfenden Bestimmungen aufzuheben und das neue Geseß auf alle Judeu, also auch auf das Großherzogthum Po-= sen, in Anwendung bringen zu lassen. Die Provinz Sachsen ha

dehnt sich der Entwurf auch auf

nicht darum gebeten, und dennoch Sasen aus. Jch kann hierbei meinen tiefen Schmerz nicht unter-

drüden, daß das Großherzogthum Posen mit so viel Ausnahme=Ge- seßen überlästigt wird und mit exceptionellen beschränkenden Verord- nungen, welches Vergnügen die übrigen sieben Provinzen nicht haben, worum dieselben uns hoffentlih niht beneiden. Wenn von mehreren Seiten der Einwand gemacht worden und auch in der Denkschrift angegeben ist, daß man für Posen noch nicht in derselben Weise wirken könne, wie sür die anderen Provinzen der Monarchie, so kann ih diese Ansicht nicht theilen, Unsere Geschichte lehrt, daß unter freisinnigen Gesebßen die sittlihe Bildun des Volkes vorangeschritten ist, und wenn nicht die Gesebgebung seit den leßten 50 ahren in Polen fortwährend {chwankend und abgeändert worden wäre, so wür- den die Juden in Posen auf dieselbe Bildungsstufe gelangt sein, wie jene in Preußen, wohin doch drei Kreise des ehemaligen Herzogthums Warschau geschlagen worden sind. Jch glaube also, wenn bei der Vereinigung des Großherzogthums Pojen mit der Monarchie man den Juden dieser Provinz dieselben Garantieen gegeben hätte, wie sie in dem Edikt vom Jahre 1812 enthalten sind, so wären die Juden in Posen zu derselben Bildungsstufe gelangt, wie jene. Man hat ihnen aber damals dies verweigert, wozu ih freilih feinen Grund einsehe. Jch sehe feruer feinen Grund ein, warum heute noch, dg wir doch die Ausbildung begünstigen wollen, dem Streben der Juden nah Fortbildung und nah geistiger moralischer Entwickelung nicht gern die Hand bieten wollen, Wenn sie nah achtzehn Jahrhunderten noch immer unter drückenden und beshränkenden Gesetzen stehen, so wäre es wohl an der Zeit, diesen Dru aufzuheben und nicht noch fernere Jahr-= hunderte fortbestehen zu lassen. Die Geschichte des Landes, dem ich an- gehöre, giebt seit Jahrhunderten das Zeugniß von der höchsten Toleranz gegen Andersgläubige. Wenn man den Einwurf gemacht hat, daß die Juden in Posen einen besonderen Stamm bilden und gleichsam

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als Fremde zu betrachten seien, so kam ih diese Ansicht nicht thei- len. Ursprünglich sind sie nicht aus ihrem Mutterlande in E eingezogen, sondern aus dem westlichen Europa und vorzugsweise aus Deutschland. Unter der Regierung des großen Königs Kasimir hat man ihnen in Polen {hon im ten Jahrhundert ein freundliches Asyl gestattet, und diejenigen, die aus anderen Ländern verdrängt wurden, aufgenommen und ihnen die ganz freie Ausübung ihres Glau- bens, so wie Gleichheit vor dem Geseß, verliehen. Jm 16ten Jahr- hundert, als das Licht der Reformation sich weiter ausbreitete, wur=- den freilih von gewisser Seite wieder Rükschritte beabsichtigt, wobei aber niht dem Volk die Schuld gegeben werden konnte, sondern aus- wärtigen Einflüsterungen und besonders gewissen heiligen und \hlauen Brüdern, die zwar den Namen unsercs Heilandes auf dem Schilde haben, aber die wahre Christuslehre, Nächstenliebe und Licht über die ganze Welt auszubreiten, nicht sonderlich übten. Als diese dem

nig Stephan Bathory die dringendsten Vorstellungen machten, daß er die Ausbreitung der Juden einstellen möchte, daß er die Einwan

derungen aus Deutschland, das Fortbauen anderer als fatholischer Kirchen und Schulen nicht gestatten möchte, indem dadurch der

misch-katholische Glaube gefährdet werde, damals hat dieser große König, der das Licht eben so wenig scheute, als er das Schwert kräftig gegen die Feinde seines Landes zu führen wußte, erwiedert : „Meine Herren! Das Volk hat mi auf den Thron erhoben, und unter Gottes Beistand i mir die Krone aufgeseßt worden. Gott aber hat sih drei Dinge vorenthalten, über die ich nicht zu gebieten vermag. Diese sind: Aus nichts etwas zu hafen, die Zukunft und die Gewissensfreiheit ; ih als König will und darf also nicht über das Gewissen der Menschen herrschen, und ich werde keine Beschränkungen eintreten lassen.“ Später haben freilich wieder Reibungen und Bedrük- fungen stattgefunden, namentlich gegen das Ende des 18ten Jahr= hunderts. Daß aber auch damals das polnische Volk dessenungeah- tet stets treu an den toleranten Grundsäßen seiner Väter bielt, das beweist das Constitutions-Geseß vom 93. Mai 1791, das sich über die Toleranz in folgender Weise ausspricht : „Die herrschende Reli= gion soll zwar nach wie vor die römisch-fatholische bleiben. Da uns aber dieser heilige Glaube Nächstenliebe gebietet, so soll allen An

derêégläubigen, sie mögen zu einer Konfession gehören, zu welcher sie wollen, die freie, unbeschränkte Ausübung ihres Glaubens gestattet und ihnen der Schuß gleicher bürgerliher Rechte gesichert werden.“ Leider war dieses Geseß nicht von langer Dauer. Die politische Lage der Dinge hatte sih so gestaltet, daß diese herrlichen Grundsäße nicht zur Geltung kamen. Jch weiß nicht, ob man die Schuld den Juden oder den Christen zuschreiben soll, wenu behauptet wird, was ich aber in der Mehrheit niht anerkennen kann, daß sie in der Bildungsstuse zu weit zurügeblieben sind, da doch schon seit so vielen Jahrhun- derten die Juden von den Christen beherrscht werden. Es sind ge stern noch in dieser Versammlung manche Ansichten kundgegeben wor den, die leider von einem gewissen Widerwillen gegen die polnischen Juden zeugen und große Besorgniß darüber beurkunden, wenn die Juden Antheil an dieser Versammlung nehmen oder ein richterliches Amt bekleiden sollten. Diese Furcht kann ich nicht theilen und bedaure, daß noch Vorurtheile stattfinden, die leider nicht von Nächstenliebe zeugen. Von einer anderen Séite is die Furcht vor der Niederla)- sung der Juden in solche Kreise, wo jeßt gar feine ansässig sind, wie vor dem Feuer ausgesprochen worden. Zur Beruhigung des verehrten Redners sei mir erlaubt, zu sagen, daß da, wo solche Furcht und solche Grundsäße vorherrschend sind, sich die Juden nicht hindrängen wer- den. Jch glaube vielmehr, sie werden da zurückbleiben, wo freisinni- gere Gedanken und Gefühle ausgetauscht werden. Ich frage Sie aber, meine Herren, wenn man dergleichen Ansichten iberall in der Welt gegen die Juden geltend machen wollte und ihnen in allen Kreisen der Erde die Niederlassung verbieten wollte, wo sie dan wohnen sollten? Etwa im Monde? Und ih kann es gar nicht tadelu, daß sie mit so viel Treue an dem Glauben ihrer Väter halten. Es ist von dein Fortschritt der Juden in der Bildung die Rede gewesen, und von einem verehrten Mitgliede der Stadt Berlin haben wir gehört, daß es hier sehr gebildete, vortreffliche und tugendhafte Juden giebt. Wir haben in unseren Provinzen ebenfalls gebildete, moralisch gute und auch weniger gebildete Juden ; dasselbe findet aber auch unter den Christen statt. Jch bitte deshalb die hohe Versammlung, mei- nem Amendement, was beinahe ganz den Anträgen der Abtheilung entspricht, insofern beipflichten zu wollen, daß, wenn eine völlige Eman- zipirung für alle Juden der Monarchie ausgesprochen werden sollte, die Provinz Posen gleich den übrigen sieben Provinzen zu behandeln sei. Jch beshwöre Sie dabei, meine Herren, auf die höchste Lehre Christi Rücksicht zu nehmen, die da heißt: „Was Du nicht willst, das man Dir thue, das thue auch keinem Anderen !

Abgeordn. Frhr. von M anteuffel 1: Meine Herren! Fch \chicke voraus, daß ih nichts weniger als ein Gegner, ein Feind der Juden bin. J bin vielfach in geschäftlicher Verbindung mit ihnen gewesen, ich habe dabei ihre sehr guten Seiten achten gelernt, aller dings auch sehr besondere Eizenthümlichkeiten bei ihnen wahrgenom men. Jm Ganzen gönne ih thnen von Herzen alles Gute. Ves balb habe ih bei dieser Debatte nur dann das Wort ergrissen, wenn ih glaubte, es sollte ihnen einer der von dem Geseße thnen zug dachten Vorzüge entzogen werden. Jch habe mich 3+ B. dahin er= flärt, daß ihren religiösen Gemeinschaften die Rechte moralischer Per sonen zugestanden werden sollen, wie es die Absicht des Geseßes ist. Allerdings aber glaube ich, daß die Sitte durch die Religion bedingt werde, und daß das Recht im gewissen Sinne ein Theil der Sitte sei, daß also auch die Geseße, welche das Recht se|tjeBen sollen, von der Sitte, vou der Religion sich nicht entfernen dürfen. Es 1f wohl ein {ön flingender Saß, den man hier so oft ausgesprochen hat : gleihe Rechte, gleiche Pflichten. Jndessen darf man hierbei doch die thatsächlichen Verhältnisse, auf welche dieser Saß angewandt wer= den soll, niht außer Augen lassen, und gerade auf die thatsächlichen Verhältnisse möchte ich Sie bei der gegenwärtigen „zrage hinweijen. Die Juden in dem Großherzogthum Pojen sind allerdings, das fann man gar nicht in Abrede stellen, in wesentlich anderen Verhältm)jen, als die Juden in den übrigen Theilen der Monarchie. Das einfache Zahlen-Verhältniß giebt das fund, ihre äußere Erscheinung, thre Le- hensweise geben das fund. Ju welcher anderen Provinz findet sich eíne Stadt von mehreren Tausend Einwohnern, wo _die Juden die größere Hälfte der Einwohner bilden, Dergleichen Städte giebt es im Großherzogthum Posen. Die Religionsgebräuche der Juden die- ser Provinz weichen noch wesentlih ab von denen der Juden in den übrigen Provinzen. Jch darf mi da, glaube ih, auf den Herrn Referenten selbst beziehen, welcher nir einraumen wird, daß in der Stadt Königsberg eine Differenz darüber stattfindet, daß die dortigen Juden gewisse Religionsgebräuche, welche seitens der polnischen Ju- den gehandhabt werden, nicht als richtig betrachten, daß diese Religionsgebräuche sie abschrecken. Will man nun eine solche Be= völkerung, die selbst in der Weise von den Juden im Jnlande ab= weicht, eines Prinzips wegen ganz allgemein allen übrigen Un- terthanen gleichstellen? Das scheint mir aus den Gründen, die hon ein geehrter Abgeordneter aus der Provinz Brandenburg vor mir entwickelt hat, höchst bedenklich. Es is in einem Theile des Gut= achtens gesagt, man solle nur versuchen; man habe es ja eben so mit den Juden im Inlande versucht, die durch das Geseß von 1812 volle politische Rechte erhalten hätten, Jndessen der Fall is doch ein

* anderer, eine solche jüdische Bevölkerung, wie sie in der Provinz Po-

sen sich findet, gab es im Ganzen in der Monarchie nach ihrem damali= gen Umfange in der That niht. Es is uns so eben von einem ver- ehrten Mitgliede der posenschen Ritterschaft gesagt worden, daß den Juden in Polen vollkommene religiöse Freiheit, vollkommene religiöse Duldung zugesichert gewesen sei, daß sie sie in längerer Zeit genossen hätten. Nun frage ih: Giebt es deshalb keine polnischen Juden? Sie haben sich ihre Eigenthümlichkeit bewahrt und legen dadurch das Zeugniß ab, daß sie zu dem Fortschritte noch nicht reif sind. Man wolle doch nicht die Früchte, welche die Zeit trägt, vor der Reife einsammeln! Jch glaube, da schadet man der Sache. Jch erlaube mir darauf aufmerksam zu machen, daß in dem Großherzogthum Po- sen ein großer Andrang der Juden dahin stattfindet, naturalisirt zu werden, weil ihneu dadur gewisse Rechte zukommen. Gleichwohl ist noch nicht ein Viertbeil der dortigen Juden in diesen Zustand getre ten. Würde man also auf einen Schlag diese drei Viertheile, welche in dem Großherzogthum Posen noch nicht cinmal die Rechte der Na- turalisation sich erworben haben, mit den übrigen Juden ganz gleich- stellen, ih glaube, es würde eine Ungerechtigkeit gegen die übrigen Juden sein, die posener Juden würden namentlich die Mark in einem hohen Grade übershwemmen, und ih zweifle nicht, daß die Residenz selbst würde ihren zahlreichen Besuch zu gewärtigen haben. Jch bitte daher die hohe Versammlung, sie möge nach Anleitung des Geseb= Entwurfs noch gewisse Restrictionen für die posenshen „Zuden stehen lassen, Glaubt man fünsftig, die Zeit sei gekommen, mehr zu gewäh=- ren und nachzugeben, so thue man es. Jch will dann gern dasur stimmen; aber mit einem Schlage des Prinzips wegen eine Sache aus- zuführen, deren Folgen faum zu übersehen sind, halte ich für bedenk= lich und möchte davor warnen. i | / (Von einigen Seiten : Bravo)

Abgeordn: Naumann: Meine Herren! Es i nicht mehr die Aufgabe, darüber zu berathen, ob fiberhaupt die Juden emanzipirt werden \ollen ih will mich diejes allgemeinen Ausdrukes hier bedienen sondern es handelt sih tarum, ob die Juden in einem bestimmten Landestheile der ist das Großherzogthum Posen derselben Rechte theihaftig werden sollen, welche den Juden in den übrigen Provinzen des Staates eingeräumt werden. Ein verehrtes Mitglied dieser Versammlung hat sih gegen diese Gleichstellung ausgesprochen. Das Juteresse, welches dasselbe geleitet hat, scheint mir wesentlich das zu sein, daß es fürchtet, die Juden aus dem Großherzogthum Posen würden in die benachbarten Kreise der Neumark eindringen. Jch folge dem geehrten Mitgliede in seinen Aeußerungen nicht; ich halte mich

an das, was es zuleßt ausgesprochen hat. Es sagte, es würde eine Ungerechtigkeit für das Großherzogthum Posen darin liegen, wenn man gus den von ihm angführten Rücksichten sie in diese Provinz bannen wollte. Jch hege zu dem verehrten Mitgliede das Vertrauen, daß es seinem Gefühle der Gerechtigkeit, welches es selbst durch sein Votum für verleßt erachtet, nachgeben werde und von dieser Tendenz, die Juden länger zurückzuhalten, weil möglicherweise Unbequemlichkei- ten für die benachbarten Kreise erwachsen könnten ich sage: m ög- liherweise erwachsen könnten abgehe und nicht aus diesen Grün- den der Gerechtigkeit werde zu nahe treten wollen. Wenn es sich darum handelt, ob man den Juden in dem (Großherzogthum Pojen gleiche Rechte geben wolle und könne, wie den Juden in den übrigen Provinzen, \o kommt es doch wesentlich auf die Frage an, ob den die posener Juden gegen die Juden in den anderen Provinzen so be deutend zurückstehen, ob sie so sehr in ihrem Kultur Zustande ver schieden sind von den Juden in anderen Provinzen? Jh muß das vollständig in Abrede stellen, und ich bitte, namentlich nicht die |0g€= nannten polnischen Juden mit den Juden im Großherzogthum Posen zu verwechseln, wie es im gewöhnlichen Leben wohl der Fall ist. Das Großherzogthum Posen hat allerdings unter feinen Einwohnern eine bedeutende Zahl Juden, das 1st wahr, aber der Kultur-Zustand dieser Juden hat si unter den milderen Geseben der Neuzeit bedeutend gehoben, und ich kann keinen Unterschied sin= den zwischen den Juden des Großherzogthums Posen und den .Ju= den in den übrigen Provinzen, namentlich denjenigen, welche in dem Regierungs-Bezirke Marienwerder und 11 Schlesien , namentlih 1in Ober-Schlesien, lebeu- Die Bejorgni))e, welche gehegt werden, es fönnten die Juden des Großherzogthums Posen von dieser Provinz qus unter dem Einflusse der Emancipation sich über die anderen Provinzen ausf\chütten, theile ih aus dem einfachen Grunde nicht, weil ja die milde Geseßgebung und insbesondere die Freizügigkeit noch nicht die Veranlassung gegeben haben, daß die Juden aus West= preußen und aus den übrigen Theilen des Landes, wo sie in größe=- rer Zahl sih befinden, nach anderen Provinzen hinüber gezogen sind. Jch will aber ferner von der Frage abgehen, ob überhaupt ein Un= terschied zu machen sei, ih will fragen, ob die Mittel, welche gegen- wärtig durch die Verordnung vom 1. Juni 1833 angeordnet, und welche im Wesentlichen in den vorgelegten Geseß-Entwurf wieder aufgenommen sind, ob diese Mittel dahin führen, um die Juden in dem Großherzogthum Posen weiter heranzubilden, ob sie überhaupt geeignet sind, eine solche Kategorisirung der Juden, wie sie der Ge= sez-Entwurf festsett, als wünschenswerth und nothwendig erscheinen u lassen. Das Geseß verlangt von dem posener Juden, wenn er überhaupt emancipationsfähig sein soll: 1) festen Wohnsiß. Jch frage, ob man bei einem Christen, der einen festen Wohnsiß nicht hat, voraussett, daß er zu den besonderen Rechten, zu denen die Emancipation führt, zugelassen werde? So wenig wie der Christ, so wenig wie der Jude in den anderen Provinzen ohne seten Wohnsiß auf eine besondere Prärogative Anspruch erhält, eben jo wemg kann der posener Jude, das gebe ih zu, diese besonderen Rechte erlangen. Ker keinen festen Wohnsiß hat, der ist im geseblichen Sinne ein Vagabund, und in diesem Sinne kanu füx den pojener Juden nichts Besonderes gesetlich vorgeschrieben werden. Jch sehe keinen Effekt von einer solchen Bestimmung. Die zweite Bestimmung für die Eman- cipation is vóllige Ünbescholtenheit. Für Jemand, der im Staate politishe Rechte ausüben will, das gebe h Q muß Unbescholtenheit da seinz ih weiß aber nicht, warum man bei

den posener Juden die Unbescholtenheit als eine besondere Bedin- gung hinstellt, wonach folgerichtig bei den übrigen Juden angenom= minen werden fönnte, man abstrahire von dieser Ünbescholtenheit. Ich sehe keinen Grund, für die posener Juden diese {p zzielle Bestimmung zu geben, Das Geseß verlangt weiter 3) die Fähigkeit und die Verpflichtuug, sich der deutschen Sprache zu bedienen. Jch bemerke hierbei, daß alle posener Juden der deutschen Sprache mächtig sind. Ob sie unter sich in dem jüdischen Fargon sprechen, darauf kommt es nicht anz ih glaube, daß dies eine Eigcnthümlichkeit nicht allein der posener Juden, sondern auch derjenigen ist, die in anderen Provinzen und Ländern sich befinden. Endlich verlangt man von den posener Juden 4) die Annahme eines bestimmten Familien-Namens. Das ist eine fo allgemeine Bestimmung für das staatliche Leben, daß nichts dagegen einzuwenden ist; aber ih sehe niht ein, warum man sie ge- rade den posenschen Juden noch als eine besondere Verpflichtung auflegen will. Nun geht indeß das Geseß weiter. Man sollte an= nehmen, daß es für Leute, die nach diesen Bedingungen als ehrliche Leute dastehen, abgemacht wärez aber nein, das Geseß verlangt noch, daß die Juden in der Provinz Posen, die emanzipirt werden sollen,

Zweite Beilage

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1245 Zweite Beilage zur Allgemeinen Preußischen Zeitung.

„ih einer Kunst oder Wissenschaft widmen und solche dergestalt be- treiben, daß sie von ihrem Ertrage sich erhalten können.“ Es ist also ein Unterschied zwischen der Möglichkeit gemacht, sich selbststän- dig zu erhalten oder nicht, d. h. zwischen der Wohlhabenheit und Armuth. Ferner: „oder ein ländliches Grundstlick von dem Umfange besißen und selbs bewirthschaften, daß dasselbe ihnen und ihrer Fa- milie den hinreihenden Unterhalt sichert.“ Auch hier ist von einer gewissen Wohlhabenheit das Recht abhängig gemacht. Ferner: „oder în einer Statt ein nahrhaftes, stehendes Gewerbe mit einiger Auszeihnung betreiben.“ Auch hier muß die hohe Versammlung anerkennen, da von der Wohlhabenheit das Recht abhängig gemacht wird. Fer= ner: „oder in einer Stadt ein Grundstück von wenigstens 2000 Rthlr. an Werth \huldenfrei und eigenthümlich vesißen.““ Alle diese Be=- stimmungen gehen wieder darauf hinaus, die Juden zu stimuliren, si in den Besi von Vermögen zu seßen. Die Juden sagen : Ihr Chri= sten weist uns immer darauf hin: schaffet Geld! für Geld is Alles feil. Ju diesem Geldsinne sehe ih gerade mit den Grund des nie= dergedrückten Kulturzustandes der Juden, und dessenungeachtet kommt die Geseßgebung mit Bestimmungen, die diesem Triebe der Juden wiedex freies Feld bieten, sie gewissermaßen in dieselbe Richtung hin- eintreiben.

Es kommen andere Bestimmungen hinzu, gegen die ih natürlich nichts haben kann. Es sind die, daß, wer der Heerespfliht genügt oder dur patriotische Handlungen sih Verdienst um den Staat er= worben hat, den Juden in den übrigen Provinzen gleichgestellt wird. Jch habe gesagt, gegen diese Bestimmungen kann ih an und für sich nichts haben aber i1ch habe auf der anderen Seite gegen diese Be-= stimmungen als Bedingungen für die Emancipation das einzuwenden, daß für die posener Juden im Gegensaße zu den Juden der anderen Provinzen verlangt wird, sie sollen dur besonderen Patriotismus hervorragen oder der Heerespfliht genügt haben. Jch sehe nicht ein, wie man in diesen Bestimmungen für die posener Juden eine Bedin- gung finden will, sie der Emancipation sich würdig machen zu lassen. Die lebte Bestimmung, das muß ich gestehen, paßt nun gar nicht in das Gesel, sie drickt gewissermaßen der Ungerechtigkeit den leßten Stempel auf. Sie sagt: Juden, die aus anderen Provinzen in das Großherzogthum Posen kommen, sind eo ips0 emanzipirt. Also bei den Juden, die aus anderen Provinzen hereinkommen, abstrahirt man von allen Bedingungen, die in dem Gesebe den posener Juden gestellt sind. Jch muß bekennen, ih sehe keinen Grund zu allen den Bestimmungen, welche für die Juden im Großherzogthum Posen vor- geschlagen worden, und so lange ih einen Grund für das Geseh nicht sehe, so lange kann ich das Gefeß nicht für angemessen halten, zumal ein Ausnaßme-Geset, wie es hier gegeben werden soll. Die- \es die Gründe, welhe mich veranlassen, für das Gutachten der Ah- theilung zu stimmen, welches dahin geht, daß man für das Groß- herzogthum Posen ein Ausnahme=- Geseß nicht gebe und die ‘jebige Ausnahme aufhebe, daß die Juden im Großherzogthum Posen unter dieselben Gesebe gestellt werden, welche für alle übrigen Juden im preußischen Staate gegeben und geltend sind.

Abgeordn. von Patow: Meine amtliche Stellung hat mir Veranlassung gegeben, mich mit den Verhältnissen und der Lage der Juden in der Nicderlausiß genauer bekannt zu machen. Jch habe fast 20 Jahre den Kreis verwaltet, in welchem, nah den gegenwär- tig noch geltenden sächsishen Bestimmungen, die Juden in der Nie- derlausiß sich nux aufhalten dursten. Sie waren dort auf eine kleine Stadt, Friedland, beschränkt und durften in feinem anderen Orte der Niederlausi sich niederlassen, falls ihnen nicht, was nur in seltenen Fällen ge\chah, besondere Erlaubniß dazu von dem Geheimen Kon=- «ilium in Dresden ertheilt wurde. Sie dürfen nur Handel betreiben, fein Grundstück besißen und befinden si demnach in einer sehr ge=- drüdten Lage. Dessenungeachtet muß ih anerkennen, daß die Juden in der Niederlausiz von einer guten Seite sih gezeigt haben, ih muß ihnen ofen hier die Gerechtigfeit widerfahren lassen, daß sie stets ihre Pflichten als Unterthanen erfüllt haben. Mit Freuden habe ih daher meine Zustimmung dazu gegeben, sie in eine bessere Lage zu verseßen. Sie werden in eine weit bessere Lage kommen durch das Gesel, wie es von der hohen Versammlung beliebt worden De werden sich aber auch schon sehr glücklih preisen, wenn ihnen das gewährt wird, was das Gesetz, wie es von der Regierung vorgelegt worden i}, enthält. Nachdem ih \o meine Ansicht über die Eman- cipation der Juden im Allgemeinen und insonderheit der nieder- lgusißer ausgesprochen habe, muß ih mit voller Ueberzeugung dem Vorschlage entgegentreten, die posener Juden in ein gleiches Verhältniß zu verseßen. Meine amtliche Stellung hat mir auch Gelegenheit verschafft, mit posener Juden Bekanntschaft zu machen, und ich habe in dem 20jährigen Zeitraume meiner Amtsführung vorzüglich damit zu kämpfen gehabt, daß posener Juden in die Niederlausibß eindringen wollten. Jch habe, weil die Lage der niederlausiper Juden eine so beschränkte und un- glüklihe war, es für Pflicht gehalten, dem Eindringen fremder, na- mentlich posener Juden mit aller Kraft entgegenzutreten, und ich be- rufe mich auf das Zeugniß der niederlausizer Juden darüber, da diese mich dringend gebeten haben , feine fremden Juden zuzulassen. Jch glaube dadurch den Beweis geführt zu haben, daß, wenn die posener Juden in ein gleiches Verhältniß mit den übrigen Juden ge- stellt werden, viele in die Niederlausiß eindringen werden. Jch habe kein günstiges Bild von den nicht naturalisirten posener Juden er- langt, die sich in der Lausib aufhalten, und die mau auf jedem Jahr- markte erblickt, wo sie sih zu 30 bis 40 befinden, und da auf der Erde ihre wenigen Waaren, in Bändern, Tüchern und anderen dergl. bestehend, ausgelegt haben. Ich glaube, daß man nicht behaupten fann, daß diese posener Juden auf dem Kulturzustande der übrigen Zuden des Staates stehen. Jch wenigstens muß dies durhaus ver= reinen und kann versichern, daß sie in keinem guten Rufe stehen und in den Annalen der Justiz-Behörden vielfah wegen begangener Ver= brechen vorkommen. Sollten nun diese Juden in der Weise emanzi- pirt werden, wie es bei den übrigen Juden der Fall sein wird, \o nuß ih die lebhaftigste Besorgniß für die Niederlausiß hegen. Aber ih finde in dem Gesebe den Weg angebahnt , sie zu einem besseren Zustande zu führen, und ih glaube, daß, wenn dieser Weg verfolgt wird, diese Juden im Verlauf einer Reihe von Jahren dazu geeignet sein werden , die Rechte zu erlangen , die jegt im Allgemeinen den übrigen Juden gewährt werden. Jch bitte daher die hohe Versamm-= lung, mit einigen Modificationen, die sich vielleicht im Laufe der De- batte ergeben werden, bezügli der posener Juden, den Geseßvorschlag anzunehmen.

Abgeordn. von Puttkammer aus Stettin: Jch betrete die- sen Plaß, um mich dem Gutachten der Abtheilung anzuschließen und mich dafür zu erklären, daß die Juden in dem Großherzogthum Po- sen nicht nur derjenigen Rechte theilhaftig werden, welche den Juden in den übrigen Provinzen eingeräumt Knd und eingeräumt werdeu sollen, sondern um mich auch dafür auszusprechen, baß sie hinsichtlich der Freizügigkeit keinen anderen Beschränkungen unterworfen werden, als denen, die dem Gesebe vom 31, Dezember 1842 über die Auf= nahme neu anziehender Personen aufgestellt sind, Jch betrachte dies

nicht als eine Konzession oder eine Aeußerung der Toleranz, sondern als einen Akt der Gerechtigkeit gegen die Juden im Großherzogthum Posen und auch gegen die christliche Bevölkerung desselben. Jch will nur einen einzigen Grund hervorheben, der mi dabei leitet und mir die Ueberzengung giebt, daß man diesen Juden die Freizügigkeit und die Rechte, welche die Juden in den übrigen Provinzen erhalten, au gewähren muß. Jh gründe diese Behauptung nämlih auf die Ver- ordnung vom 31. Dezember 1845, wonach die Juden in dem Groß- herzogthum Posen gleich allen übrigen Staatêbürgern der Militair- pflicht unterworfen sind; diese wird aber auch, wie zugegeben werden muß, die Waffenehre mit sih führen, und ein Jude, der mit seinem hristlihen Bruder der Woaffenpflicht genügt, muß auch der Waffen- ehre theilhaftig werden, da er in Hinblick auf den Krieg, aus wel= chem man doch eine Armee betrachten muß, dieselben Gefahren theilt, wiesein christlicher Mitkämpfer. Jh folgere hieraus, daß die pose- ner Juden das Recht haben müssen, ihren Wohnsiß da zu wählen, wo sie es wünschen und wo ihnen nicht geseßliche Bestimmungen ent- gegenstehen, denen auch alle anderen unterworfen sind. Aus diesem Grund und ih halte ihn für durhgreifend glaube ih, daß den Juden aus dem Großherzogthume Posen dieselben bürgerlichen Rechte ertheilt werden müssen , wie sie die Juden in der übrigen Monarchie genießen und bekommen sollen.

Abgeordn. von JFaraczewski: Jh bin kein besonderer Ver- ehrer des Judenthums, die Juden aber betrachte ich als Menschen und folglich als Mitbrüder. Wenn man nämlich die Geschichte dieses merkwürdigen Volkes verfolgt, so muß man die Kraft einer Verfassung bewundern, welche Jahrtausende und fast alle Verfassungen überlebt hat, diese cinzige im Namen eines zwar unerbittlichen Gottes geschrie- ben blieb unversehrt. Die Juden, sowohl zur Zeit ihres Glanzes, als zur Zeit ihres Falles, ließen sich sowohl mit den überwundenen als mit den benachbarten Völkern in gar keine Gemeinschaft einz; die Besiegten verstanden sie nur auszurotten, wußten aber nicht, dieselben sich zu assimiliren. Dieselbe Ursache, die jeßt ihrem Untergange und ihrer Verschmelzung im Wege steht, hat sic behindert, je groß und mächtig zu werden. Jeder Feind \cleppte ste in Gefangenschaft , in welcher sie immer fanatischer und rachedurstiger als sonst wurden. Die Juden, die zur Zett der babylonishen Gefangenschaft in diesen entfernten Ländern verblieben und unter dem Namen Karaiten noch dort leben, sind gutmüthige und wenig fanatische Leute, aber außer der Schrift soll ihnen der Talmud und die rabbinistishen Schriften, die Áteratur der Unterdrückung gar nicht bekannt sein. Wenn aber die Juden in dem ersten Theile ihrer Geschichte uns mit Grausen er- füllen, so müssen wir ihnen unsere Bewunderung zollen, als sie allein, dur Vaterlandsliebe geleitet, eine Handvoll heroische Verfechter die heiligen Mauern ihrer Vaterstadt gegen die Allmacht Roms zu wah- ren sich erdreisteten. Das Volk, mit welhem wir uns heute beshäf- tigen, ist immer der unglücklihe Stamm, der, aus seiner Heimat vertrieben, jahrelangen Druck verträgt. Alle seine \cchlechten Eigen- schaften sind die Folgen des leßteren, und wahrlich für seine Jntole- ranz ist er s{recklich bereits seit 18 Jahrhunderten bestraft worden. Uneingedenk der Worte unseres Erlösers: „Vater verzeihe Jhnen, denn sie wissen nicht, was sie thun,“ strafen wir ohne Maß nicht bis zur zehnten, sondern bis zur sechzigsten Generation.

Aber auch Druck erzeugt Haß. Die Juden, von aller Mitwir= fung an dem Leben der christlichen Staaten fern gehalten, haben sich der meisten Kapitalien bemächtigt; bei jeder Veranlassung, bei jedem Kriege, leihen und zahlen sie den Christen Geld, damit sich diese ge- genseitig ausrotten möchten. Wir dürfen uns uicht verhehlen, daß sie uns, hassen und daß wir den rehtshaffeneu Boog der Bibel in den rachedürstigen Shylock des Shakespeare verwandelt haben. Die Juden, die aber durhgängig sih der deutschen Sprache bedienen und ohne Ursache polnische Juden genannt werden, besißen die Ei- genshaften ihrer westlichen Brüder in stärkerem Grade. An der äußersten Spihe der Civilisation, nach Osten zu, waren wir Polen zu schr mit Kriegen beschäftigt, um uns mit systematischer Organisation dieses Volkes beschäftigen zu können. Versuche sind jedoh gemacht worden. Unter Kasimir dem Großen bereits im 1Âten Jahrhundert sind den Juden Freiheiten bewilligt worden; wenn hierüber auch Manche sagen, daß es der s{chönen Esther wegen geschehen sein solle, so muß ich dieses bestreiten, weil derselbe große Fürst auch den Na-=- men cines Bauern-Königs sich erworben hat. Unter Stanislaus Au- gust Poniatowsky ging der Bekehrungseifer so weit, daß manche Fa milien, die christlich wurden, den Namen und das Wappen ihres Tauf- pathen, auch den Adel erhielten. Obgleich“ nur Wenige da- von Gebrauh machten, der gute Eindruck zur Zeit des Großherzogthums Warschau blieb niht ohne Erfolg; viele Juden kämpften in polnishen Reihen und hatten das Recht, auch Offizier= stellen zu erwerben; die posener National-Garde, meistens aus Juden bestehend, schlug sich 1809 bei Peisern, und der Tod des Oberst- Lieutenant Berek bei Kock wurde von der ganzen Armee betrauert. Jedoch eine durchgreifende Maßregel ist mit diesem Volke nie durh- geführt worden, Schmach, Verfolgung, Ungerechtigkeit haben sie er- tragen und sind unbeweglich geblieben, die heiligen Waffen der Gleich- heit und der Liebe hat man dagegen gegen sie bis jeßt unbenußt ge- lassen. Nach dem neuen Gesebvorschlage will man die Juden im Großherzozthum Posen nicht gleichmäßig mit den anderen behandeln, sondern beschränken und absondern. s is} traurig, zu Gottesge- \höpfen zu sagen: „seid Christen oder seid reich, dan werdet ihr ers Menschen.“ Nach den anderen Theilen des chemaligen Polen dürfen sie nicht gehen, was bleibt ihnen also überlassen, wenn man ihnen die freie Bewegung in den anderen Provinzen des preußischen Staats abkürzt? Volle und gleiche Rechte mit allen anderen Bür- gern, wenn sie uns nicht die Anhänglichkeit der der bisher Bedrückten sichern, wenigstens sollen sie allen Grund zum Hasse entfernen. Meine Herren, erlauben Sie mir, mit einem einfachen Beispiele von einem Landmanne zu schließen. Wir Landwirthe, wenn wir Wasser haben, was durch Aufstauung sumpfig und uns gefährlich werden könnte, suchen dies durch Graben zu durchschneiden und abzuleiten, um dasselbe der gesunden Luft, den segnenden Sonnenstrahlen auszu- seßen. Das Wasser verliert dann seine \chädlihen Eigenschaften, eignet si die guten an. Thun wir in der moralischen Welt dasselbe mit den Juden, entziehen wir dieselben der segnenden Einwirkung der Civilisation nicht; im Gegentheil, lassen wir sie sich frei unter uns bewegen, damit, wie alle Gewässer im Been des großen Oceans, wir ohne Haß und Neid hier leben und in der Ewigkeit uns begeg= nen mögen.

(Bravo! Ruf zur Abstimmung.)

Abgeordn. Siegfried: Meine Herren! Es ist vorhin von einem geehrten Deputirten aus der Mark Brandenburg gegen das Abtheilungs - Gutachten gesprochen worden z ih erkläre mih für das= selbe und will einigen Gründen entgegentreten, die der genannte Ab- geordnete vorhin ei Diese bezogen si auf faktische Verhält- nisse. Es führte der\elbe Beispiele an, daß in Folge einer Unter=- suhung im Großherzogthum Posen ein oder mehrere Orte, in wel- chen Juden wohnen, cernirt seien, Solche Beispiele dürften nicht viel

Donnerstag den 24 Juni.

besagen; dem Eindruck von jenen möchte ih aber entgegne ir e di oder mehrere Orte bekannt s von Christen E werden, die auch cernirt sind. Wenn also dort ein Christ mit einem Juden zusammenkommt, so is der Christ der Cernirte. Etwas mehr von Bedeutung war der Grund, den der geehrte Redner angab, daß zwei Drittel sämmtlicher Juden des preußischen Staates im Groß- herzogthum Posen wohnen, daß also diese Provinz unverhältnißmäßig viel jüdishe Bevölkerung in sich habe und besonders betheiligt sei. Das isst etwas; indessen fragen wir do vorzugsweise die Bewohner von Posen. Die vielen Sprecher, die wir von dorther gehört haben, erflären sich nur dahin, daß den Juden in Posen doch nicht dieselben Rechte vorenthalten werden möchten, die den Juden in anderen Pro- vinzen gegeben werden. _ i Jch selbst wohne in einem Kreise, in dem vor zehn Jahren noch fein Jude ohne ausdrüdckliche Legitimation erscheinen durfte, es ist die Gegend, wo der Bernstein vorzugsweise ans Land kommt. Zu jener Zeit E: auch ih, der ih nur eine halbe Meile von der See wohne, niht ohne Erlaubniß an den Seestrand kommen, selbst nicht, wer unmittelbar an die See angränzte. Der Staat hatte damals das Bernstein - Regal und nußte es früher durch Verwaltung, später dur einen Pächter, dem solche Beschränkung gestattet warz jeßt haben die Strandbewohner selbst die Pacht, und diesen, nameuntlih den Land= gemeinden, denen auch ih zugehöre, wurde das nur möglih dur die Juden, weil diese mit den geforderten Geldbeiträgen zut Hülfe famen, um vom Staate die Pacht erlangen zu können. Der Kreis is sehr zufrieden damit, daß jeßt Juden in demselben niht nur si bewegen, sondern auch wohnen dürfen. Noch Eins: Jm leßten Winter, als große Noth unter den arbeitenden Leuten war, hat ein Jude eine Arbeitsstelle errichtet und den Arbeitern einen so hohen Lohn gegeben, als er selbst dur den Gewinn des Bernsteingrabens nicht gewinnen konnte, während diese Gräbereien besser im Sommer zu betreiben sind. Jch erkläre mich für das Gutachten der Abthei=- lung und ersuche die verehrte Versammlung, vorzugsweise auf die Deputirten von Posen zu hören. (Vielfaher Ruf nah Abstimmung.) Abgeordn. Freih. von Manteuffel Il: Jch glaube, daß wir Alle darin einverstanden sind, es sei Pflicht der Geseßgebung, bei dem Erlasse neuer Gesetze dieselben gemäß dem sittlihen Znstande derer zu geben, welche diesen Geseben unterworfen werden sollen. Das thema probandum der jeßigen Debatte dürfte sih also darum drehen, ob die Juden in Posen in ihrer Allgemeinheit in demselben Zustande sittlicher Bildung si befinden, in welchem die Juden sind, die den übrigen Theilen der Monarchie angehören. Jn dieser Be= ziehung hat nun zwar der verehrte Vertreter der Stadt Posen si hier dahin ausgesprochen, daß er den posener Juden diesen Stand der Bildung im Allgemeinen vindiziren müsse, indessen, so hoh wie ih die Stadt des Äbgeordneten achte, können mir doch nicht dadurch diejenigen Eindrücke verwischt werden, die si andererseits durch die Erfahrungen für mich geltend gemacht haben, und welche ih selbst in den leßten Jahren unseres Staatslebens gesammelt habe. Es ist meiner Ueberzeugung nach durchaus nicht abzuleugnen, daß der größte Theil der posener Juden sich allerdings auf einem tieferen Stand= punkte befindet, als die Juden in den übrigen Theilen unserer Mo- narchie, und ich glaube, daß wir den verehrten Vertretern der Pro= vinz Posen nur insofern beipflichten fönnen, als allerdings unter den po- sener Juben'auch einzelne oder ich will sagen ein Theil sich befindet, welche in der Bildung den übrigen Juden vorausgeeilt sind. Jm Gesetz ist aber gerade auf diese Juden Rücksicht genommen worden, und es findet sih für diese eine Berücksichtignng insofern, als sie dur be- stimmte Akte der Administrativ - Behörden dahin kommen fönnen, den Juden der übrigen Monarchie gleichgestellt zu werden. Jh muß da= her dabei bleiben, daß wir selbst eine Ungerechtigkeit, so möchte ich es nennen, gegen die hiesigen Juden begehen würden, wenn wir dur) Verwerfung des Abschnittes des Gesebes, der den posener Juden besonders gewidmet ist, aussprehen wollten, daß die Judenschaft der übrigen Monarchie nicht um eine Stufe höher stehe, als die Mehrzahl der posener Juden. Es ist andererseits gesagt worden, man dürfe auh schon deshalb nicht exceptionelle Gesehes = Maßregeln für die posener Juden belieben, weil sie sonst nie zu dem Standpunkte ge=- langen würden, welcher ihnen noh fehle; ih halte indessen doch dafür, daß eine Erziehung durch die Gesebgebung höchst bedenklich is, in- sofern als diese Erziehung dadurch herbeigeführt werden soll, daß die Gesetzgebung dem wirklichen Bedürfnisse vorauseilt und dadurch erst die Heranbildung derer bewirkt werden soll, für welche das Geseß gegeben wird. Jch haite ein solhes Erziehungs = Erperiment, gerade den posener Juden gegenüber, für sehr bedenklih, weil ih nah meiner Erfahrung aussprechen muß, daß sie für Erziehung überhaupt höchst unzugänglih sind. Jch berufe mich deshalb auf die Geschichte niht allein des Großherzogthums Posen, sondern des ganzen Königreichs Polen, darauf, daß die cristlihe Bevölkerung des König= reichs Polen vor Jahrhunderten den übrigen Völkern als ein Muster dastand, daß diese Bevölkerung in der Höhe der Jutelligenz den übri= gen Völkern vorausgeeilt warz ih berufe mich darauf, daß der christ-

liche Theil der Bevölkerung Posens auf gleicher Stufe in jeder Be- ziehung mit den übrigen Bewohnern christliher Staaten noh jest steht, und daß gleichwohl diese sittliche Präponderanz der christlichen Einwohnerschaft nicht dahin hat führen können, daß sie den größten Theil der posener Juden von threr bisherigen untergeordneten Stel= lung im sittlichen Leben befreite. Jh erkenne daher eine abgeson- derte Gesebgebung für die posener Juden nicht für eine Ungerechtig- feit gegen diese Juden an, wohl aber möchte sich fragen lassen, in- wiefern es nicht eine Ungerechtigkeit gegen die christlihen Bewohner der Provinz Posen sei, daß diese aus\chließlich den dort für jegt do- mizilirenden Theil der Judenschaft behalten sollen. J glaube in- dessen, wenn diese Ungerechtigkeit anerkannt werden sollte, daß die= selbe feineêweges dadur gehoben werden darf, daß man sie auch über die übrigen Provinzen ausgießt. Jh erkenne in diesem Ge- seß einen wesentlihen Werth und Vortheil darin, daß das Geseß die Tendenz befolgt, die posener Juden nah und nach zu der Stellung zu führen, auf welcher die übrigen Juden der preußishen Monarchie sich befinden, und ich würde nur wünschen, daß ein Zusaß gemalt werde, wonach gesagt würde: nah 20, 25 Jahren behalten wir uns vor, zu prüfen...

(Aufregung.) ob das Gesey auch dann noch auf Posen Anwendung finden kann. Dadurch würde man die Jsolirung beseitigen und den posener Juden den besten Sporn geben, den übrigen Juden an Bildung gleich zu fommen. (Mehrfacher Ruf : Abstimmung !)

Wenn übrigens vorbin von einem Abgeordneten aus Posen die Jreisinnigkeit des Kreises angegrisfen worden ist, dem i vorzusteben die Ehre habe, so bemerke 1, daß es si hier nicht um diesen ein- zelnen Kreis handelt, jondern in der Lage, in der si dieser Kreis befindet, sich noch viele Theile der Monarwie befinden. Es befinden

sich den Juden im Allgemeinen gegenüber in derselben Lage Neu-