1902 / 130 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 05 Jun 1902 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 186. Sißgung vom 4. Juni 1902. 1 Uhr.

Am Tische des Bundesraths: Finanz-Minister Freiherr von Rheinbaben, Staatssekretär des Reihs-Schaßamts Freiherr von Thielmann.

Die dritte Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die Abänderung des Branntweinsteuergeseßes, wird fortgeseßt bei dem § 41 der Kommissionsvorschläge, welcher von der Erhebung der Maischbottichsteuer und Materialsteuer handelt. Die Erhebung der Maischbottichsteuer erfolgt nah dem bestehenden Gesetz nur noch in den landwirtbhschaftichen Brennereien. Als solche gelten diejenigen, welche aus\shließlich Getreide oder Kartoffeln ver- arbeiten und sämmilichhe Rückstände selbst verfüttern. Aus- nahmsweise kann der Bundesrath einen Betrieb auch dann als landwirthschaftlichen behandeln, wenn eine vorübergehende Ver- äußerung von Schlempe oder Dünger erfolgt, oder wenn neben

Kartoffeln und Getreide im Zwischenbetrieb selbstgewonnene"

nichtmehlige Stoffe allein verwendet werden.

Die Kommission hat das Wort „selbstgewonnene“ ge- strihen und folgenden Zusaß beantragt:

„Brennereien, welhe nach dem 1. Juli 1902 betriebsfähig werden, gelten nur dann als landwirthshaftlide Brennereien, wenn die für die Brennereien erforderlichen Rohstoffe an Kartoffeln und Getreide, mit Ausnahme von Roggen, Weizen, Hafer und Gerste, in der Hauptsache von den Besigern der Brennereien selbst ge- wonnen sind. Bei Genossenschaftsbrennereien müssen die fo gewonnenen Rohstoffe in der Hauptsache von den einzelnen Theil- nehmern auch nach Verhältniß ihrer Betheiligung an der Brennerei geliefert und außerdem die sämmtlichen Brennereirüstände von den Theilnehmern in gleihem Verhältniß verfüttert werden. Der Bundesrath ist ermächtigt, im Falle von Mißernten Ausnahmen zu gestatten. Die Nückvergütung der Maischbottih- oder Brannt- weinmaterialsteuer soll nah den Kommissionsvorschlägen entsprehend dem inzwischen angenommenen Vorschlage zu § 1 für Branntwein, der zu wissenschaftlihen oder Heilzwecken Verwendung findet, nur noch insoweit stattfinden können, als folcher Branntwein in öffent- lichen Kranken-, Entbindungs- und ähnlichen Anstalten oder in öffentlihen wissenshaftlihen Anstalten verwendet wird.“

Der Abg. Wurm (Soz.) hat die Streichung des ganzen S 41 beantragt. : 4

Der Aba. Dr. Pachnicke (fr. Vgg.) will den oben mit- getheilten Zusaß, betreffend die nah dem 1. Juli 1902 be- triebsfähig werdenden Brennereien, beseitigt wissen.

Der Abg. Dr. Müller-Sagan hat denselben Antrag ge- stellt, s{hlägt aber außerdem folgende Eventualfassung des zweiten Saßes vor:

„Bei Genossenschaftsbrennereien müssen die so gewonnenen Rohstoffe an Kartoffeln und Getreide, mit Ausnahme von Roggen, Weizen, Hafer und Gerste, im Verhältniß der Betheiligung an der Brennerei geliefert und außerdem die \ämmtl'chen Brennerei-

rückstände von den Theilnehmern in gleihem Verhältniß verfüttert werden."

Abg. Fishbeck (fr. Volksp.): Die Beschlüsse der Kommission geben Haray! aus, die gutsherrlihe Kartoffel zu bevorzugen, die äuerlihe aber zurückzudrängen und zu diesem Zweck auh den Ge- nossenschaftsbrennereien möglichst viele Hindernisse in den Weg zu legen. In der Kommission hat besonders der württembergische Bundesrathsvertreter gegen diese Vorschriften Front gemacht, daß nur selbstgewonnene Rohstoffe verarbeitet werden und Mais über- baupt ausges{lossen sein soll; aber das ist auf die Mehrheit ohne Eindruck geblieben. Darüber, wie der Bundesrath die Befugniß, im Falle von Mißernten Ausnahmen zu gestatten, ausführen soll, wird nihts gesagt. Die Brenner werden also ganz in den guten Willen der Behörden gegeben. Bei den Genossenschafts. brennereien verlangt man fogar in Zukunft ein mathematisches Ver- hältniß zwishen dem Kapital und der Lieferung der Rohstoffe und auch der Ds der Nückstände; wo in aller Welt ist ein solhes Verlangen bisher gestellt worden? Es hieß, die Bestimmung müsse getroffen werden, weil die genofsenschaftlihen Brennereien vielfad reine fkapitalistishe Unternehmungen seien. Es ift aber keineswegs in dieser Allgemeinheit ein fraudulöses Ver- bâltniß vorauszusezen, daß im Mittelpunkte des Unternehmens ein Kapitalist stebe, dem fih die übrigen Genossenschafter bedingungslos unterworfen seben. Thatsächlißh haben fich kleine Landwirthe, namentlich im Westen, zusammengethan und \sih durch die Gründung solher Genossenschaften ein Mittel gesichert, um so gut, wie es geht, die Konkurrenz mit den ostelbishen Brennereien aufzunehmen. Wird die Gründung neuer Genossenschaften derart erschwert oder un- möglich gemacht, so giebt man doch erst ret die kleinen Bauern in die Hände der Kapitalisten. Wir {lagen Ihnen deshalb vor, den ganzen Passus zu streihen oder aber wenigstens bei denjenigen Brennereien, welhe Roggen, Weizen, Gerste und Hafer verarbeiten, die erwähnte mathematishe Verbältnißtheilung niht zu verlangen. In der baverishen Kammer ist auf Antrag von Zentrumsleuten, die aud zum theil diesem Hause angebören, beschloßen worden, auf die Umgestaltung der Vorlage zu Gunsten des kleinen Bauernstandes bin- zuwirken; hier aber wird von terselben Zentrumspartei die Ein- shränkung des Genossenschafts-Brennereibetriebes gefordert. Auch dur die weiteren Kommissionsbeshlüsse soll ja den Genossenschafts- brennereien noch von dem, was sie jeyt baben, genommen werden. Gs schecint mir, daß man zwar gern s{öne Reden halten mag für die fleinen und mittleren bäuerliden Besißer, aber bier, wo es zur That kommt, nihts mehr davon wissen mag i

Abg. Augst (d. Volkep.) bittet ebenfalls, den ganzen neuen Absay zu streichen, indem er sih besonders auf die Ackterbauverbältnisse Württembergs bezieht. Auf dem {weren Boden licken sich Kar- tofeln nicht anbauen. Die süddeutshen Brenner nflirten also {wer geschädigt, wenn die Maisbrennerei verboten würde 2 Bevollmächtigtec zum Bundesrath, Königlih württembergischer Direktor im Finanidevartement von Schneider bittet ebenfalls im Interesse der zablreihen kleinen landwirthschaftlihen Brenner Württembergs um Ablehnung der Beschränkung, welde nab dem Kommissionsvorshlag für die landwirtbschaftlichen und die Genossen- shaftsbrennereien Play greifen solle. Die im Interesse der Viehzucht mit Freuden zu begrüßende Entwicklung des Betriebes derselben würde durch diesen Vorschlag in unetrwünschtester Weise geschädigt werden. Die württembergische Landwirtbschaît werde in ibrer sammtheit von einer solhen Maßnahme bart betroffen werden.

Bevollmächtigter zum Buntesratb, Großherzoglih badischer Ministerialrat cherer (\{wer verständlich) spriht anscheinend gleidfalls gegen die vorgeshlagene Abänderung und für die Beis behaltung des bestehenden Zustandes

Abg. Dr. Hieber- Württemberg (nl) erklärt, dak im Falle der Annahme dicses Absayes er genötbigt wäre, gegen das ganze Gesetz zu ftimmen, da auf diesem Wege sowohl Produktion als Konsumtion oe! würden. Kartoffeln könnten auf dem \{chweren Boden

ürttembergs nicht gezogen wetden; es bleibe ter Landwirthschaft nihts ey als Mais unufaufen

Abg. Ze

; bunter (Zentr.) {licht sh als Badenser den Aus- führungen der Vorredner an.

Der Abg. S peck (Zentr.) beantragt, in dem in Frage pen Adjay ftatt 1. Zuli 1902 zu sehen „1. September

Abe. Dr. PachniXe: Wir stehen in einer eigenthümlichen Situation. - Vier e und wei BundesrathEmitglieder baben bereits egen den Antrag gesprochen, aber keiner der Mehrheits- vertreter läßt sich für denselben vernehmen : die Herren haben wobl sehr viel mehr Lust, zu dekretieren, statt zu disfutieren. Naddem ein Antrag auf namentliche Abstimmung hierüber bereits in Sit

gekommen - ist, werden die Herren sh do vielleiht noch be- wogen sehen, mit ihren Gründen herauszurüen. Die grundsäßlichen Bedenken gegen die Maischbottichsteuer überhaupt würden uns auch bei dieser elegenheit zu dem Antrage auf Beseitigung führen müssen, wenn wir nicht die {hon gestern hervorgehobenen (ese ordnungêmäßigen Bedenken dagegen hätten. Es muß aber aus- gespro werden, daß diese Steuer ihren Zweck verfehlt hat und nur eine Belästigung des einen, einen Sondervortheil des anderen Theils der 4 Betriebe bedeutet, welhe ihr noch unter- worfen sind. Thatsä&lich werden höchstens noch 11—12 A auf diesem Wege an Steuer ent1ichtet, während die Nükvergütung 16,01 M6. bei Export und Denaturierung beträgt; die Ausbeute ist von 8 auf 10 bis 12 9/ gestiegen, sodaß ein reines Staatsgeshenk von 3—4 M. pro Hektoliter ausgeführten oder denaturierten Alkohol gemacht wird. Diese Zuwendung ist heute niht mehr gerechtfertigt. Nur aus den erwähnten geschà ordnungsmäßigen Gründen begnügen wir uns für jeßt mit der Resolution, wie sie die Kommission vorgeschlagen hat, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, baldthunlihit dem Reichs- tage einen Gesegentwur| vorzulegen, durch welhen die Maisch- bottihsteuer aufgehoben und durch einen Zuschlag zur Verbrauchs- abgabe erseßt wird. Merkwürdig war in der gestrigen Rede des preußischen Finanz-Ministers für die ostelbishe Kartoffel, daß er seine Fachkenntniß so erfolgreih zu verbergen wußte, daß nichts davon zu Tage trat, vielmehr nur ganz allgemeine europäishe Redewendungen vernommen wurden, wie sie niht einmal in der „Kreuz-Zeitung“, sondern höchstens in der „Deutschen Tages-Zeitung“ zu finden sind. Von den deutschen Kartoffeln werden jahrlich nur 6 bis 7 9/9 für Brennereizweckde gebrauht. Die Kartoffelbauer sind felbst auf dem besten Wege, die Kartoffel auf andere Weise als dur die Brennerei nes r zu machen. Für die Züchtung einer jen Eßkartoffel möchte ich auch im Interesse der Großstädte ier éin Wort einlegen. Die Maischraumsteuer wird auch in konservativen und Zentrumskreisen kekämpft; Herr Müller-Fulda hat ihre Abschaffung ja prinzipiell gefordert. Mindestens muß das jepige Geseß nur ganz kurz befristet werden, damit man um so chneller wieder an die Materie herankommt. Herr von Rheinbaben hat wohl die Herren Agrarier wieder begütigen wollen, welche noch Tags vorher dem Ausspruh des Herrn von Wangenheim jubelnd zu- stimmten, daß in den legten Jahrzehnten das Vertrauen der Land- wirthschaft zu den Hohenzollern ins Wanken gekommen sei. An der Maischraumsteuer halten die landwirthschaftlihen Brennereien fest, weil fie eben nur 12 A beträgt und weil diese Brennereien die Verbrauchsabgabe nicht bezahlen; diese beiden Vortheile s{hlankweg den Genossenschaftsbrennereien nehmen zu wollen, ist denn doch ein starkes Stück; jedenfalls werden dem fleinen Besißer Bedingungen gestellt, die er als Nichtkapitalist unmöglich erfüllen kann. Gerade um den Agrariern Gelegenheit zu geben, ihr Interesse für den mittleren und kleinbäuerlichen Grundbesiß zu bekunden, beantragen wir nament- [iche Tos über diesen Absatz.

Abg. Speck empfiehlt scinen Antrag, der die Grünter einer neuen Genossenshaftsbrennerei vor Schaden bewahren wolle, wenn ihnen naher der Charakter einer landwirtbschaftlihen Brennerei versagt würde. Der Vorwurf, daß Redner und sein E Müller-Fulda in der Kommission die genossenshaftlihen Brennereien benachtheiligt hätten, werde vom Abg. Fisbbeck zu Unrecht erhoben, denn die Begünstigungen für die Genossenschaftsbrenner seien gerade auf ihren Antrag in die Kommissionsbeschlüsse hineingekommen; auch werde übersehen, daß die Brennsteuerskala eine andere geworden sei, welche eine Preiéste erung zur Folge baben werde, von der au die Genossenschaftsbrenner profitieren müßten. Was die genossenschaft- lichen Brennereien im allgemeinen betreffe, so seien so starke Miß- bräuche konstatiert worden, daß nothwendig etwas dagegen von Geseßtzes- wegen gesehen müsse, damit niht von einzelnen Kapitalisten ein Nonnen ers{lihen würde.

Abg. Wurm: Durh die Maischraumsteuer wird ein Theil der mittleren und kleinen Brennereien gel digt zu Gunsten der gebperes, den großen Brennereien wird dadur eine versteckte

evedgabe gegeben, die bei 1 Million Hektoliter Ausfuhr \ih auf 5 Millionen eläuft. Die Bauern können ih bei den Großagrariern wieder einmal dafür bedanken, wie ihnen gestattet wird, Spiritus zu brennen und Schlempe zu gewinnen. Man stellt die Genossenschafts- brennereien der Bauern unter Straf- und Ausnahmegeseze, wie in diesem neuen Absatz ein solches vorgeschrieben werden joll. Getreide zuzukaufen und Mais zu brennen, soll niht gestattet werden: der württembergishe Brenner \oll dem preußischen Kartoffel- \sprit nit mehr Konkurrenz maden. Wenn es gilt, dem Städter die Produkte zu vertheuern, dann ift die Unterstüßung des Bauern dem Großgrundbesißer recht, wie der Milchring beweist; aber wehe den Bauern, wenn sie den Grosen mit ihrer Konkurrenz ins Gehege kommen! Dem angeblichen lißtrauen gegen den Cbarakter der ge- nossenschaftlihen Brennereien als wirkliher Genossenschaftsunter- nehmungen kann man do sehr leiht entgegentreten, indem man nah dem Vorbilde der shweizerishen Geseygebung Vorschriften über die Zusammenseßung dieser Genossenschaften erläßt. Was unter dem „so gewonnenen Robstof“ zu versteben ist, ift auch nit aufgeklärt.

j Unter-Staatssekretär im Reichs-Schaßamt v onFischer: Es handelt sih um die Robstoffe an Kartoffeln und Getreite, mit Ausnahme von Roggen, Weizen, Hafer und Gerste, wie sh aus dem vorhber- gehenden Satze ergiebt.

Abg. Dr. Paa sche (nl.): Die ganze Beslimmung richtet \ich do nur gegen die neu zu gründenden Brennereien, die in erfter Linie nicht ihre eigenen, sondern fremte Robstoffe verarbeiten. Den berechtigten Bedenken der Herren aus Württemberg trägt der Antrag Speck, den 1. September einzusezen, Rechnung. Sie (nach links) thun so, als ob wir deu kleinen Bauern das Leben s{wer machen wollen. Das ist nicht der Fall. Die biëher bestehenden Brennereien werden ja nit geschädigt. Sie können nah wie vor Mais brennen. Kein Mensch bindert sie daran. Die Maischbottichsteuer bat nach meiner Meinung ihre Sculdigkeit gethan, sie hat erzieberish gewirkt. Sie könnte deshalb in Fortfall kommen. Doch s{heint mir der gegenwärtige Moment der dritten Lesung weniger geeignet, eine so grundstürzende Umgestaltung des ganzen Geseyes vorzunedmen, wie es die Beseitigung der Maischbottichsteuer mit sich bringen würde. Aus denselben taftishen Grünten bat sich auch die große Mehrheit der Kommission dagegen erklärt.

Abg. Dr. Semler (nl): Der Gegensay bei diesem Gesehe, das möchte ich Herrn Pachnicke erwidern, ist nicht etwa agrarish und nihtaararish, sondern ein wirtbschaftlicher und landschaftlicher, ob die Kartoffelbrennerei oder die gewerbliche Brennerei im Vordergrunde steben soll. Die Kontingentierung bleibt ja besteben, und weil sie be- stehen bleibt, muß ter Versuch gemacht werden, sie so gu gestalten, daß der der Vorlage auch erreicht wird. balb baben wir uns entschlossen, mit diesem Geseye auf kurze Zeit vorlieb zu nehmen. Die Auffassung der -Freilangen Zeitung, von meinen gestrigen Aus- führungen als bochagrarischen ist einfa findlih.

Abg. De. Pachnickde: Ich hade die Ausführungen des Vor- redners garnicht als agrarisch bezeichnet; das ist von anderer Seite geschehen. In der Kom t man Anträge auf theilweise Be- seitigung des Kontingents gestellt, aber nichts weiter zu ihrer Förte- rung getkan. Herr Paaidte thut so, als ob es sih hier um eine ganz nebensätliche Frage : es handelt sich dech aber um nichts Geringeres als um die Einschränkung einer Produktion, die bier durch das Eesey in die Wege geleitet werden soll.

Damit {ließt die Diskussion.

Der Anirag Speck wird angenommen, der Eventual- antrag Müller-Sagan adgelehnt, der ganze Absay in na- mentliher Abstimmung mit 31 gegen 71 Stimmen an- genommen Der Nest des 41 und der § 41 im Ganzen ge- langen mit derselben zur A e.

Der § 42 handelt von den gewerblichen Brennereien und den für diese geltenden St . Gewerbliche Brennereien haben nach dem von jedem Liter reinen

Auf Antrag sind auch landwirthschaftlihe und Material- brennereien von der Maischbottichsteuer bezw. Materialsteuer frei zu lassen, und es werden dann ebenfalls Zuschläge zur Verbrauchsabgabe für das Liter reinen Alkohols erhoben. Die Höhe dieser Zuschläge ist im Gescß verschieden bemessen: in sanhwirthlhafttichen Brennereien mit unter 100 hy Jahreserzeugung in den Monaten ohne Hefeerzeugung 12, mit Hefeerzeugung 16 F; bei unter 150 h1 Jahreserzeugung betragen die Säße 14 und 18, bei über 150 111 16, 18 oder 20 Z. Die Kommission hat die Säße für die Brennereien unter 100 h] auf 10 und 14, für diejenigen unter 150 h]1 auf 11 und 15 Z herabgesezt und drei weitere Staffeln hinzu- gefügt: für Brennereien unter 300 h1 12 und 16, unter 500 hl 13 und 17, über 500 hl 16 und 20 S. Entsprechende Herab- sezungen sind für die Materialbrennereien vorgesehen : von 8 auf 4 F für Brennereien unter 50 1 Jahresprodufktion reinen Alkohols, von 16 auf 8 Z für Brennereien unter 100 1 Jahres- produktion, ferner eine neue Staffel von 12 FZ für Brennereien unter 200 1, und 20 § für Brennereien über 200 1.

Der Paragraph wird ohne Debatte unverändert ange- nommen.

Der § 43a des besiehenden Gesetzes, am 1. Oktober 1901 außer Kraft getreten, s{hrieb die Erhebung einer besonderen Brennsteuer von allen Brennereien mit mehr als 300 h! Jahresproduktion in Form eines Zuschlags zur Verbrauchs- abgabe vor. Dieselbe stieg in 12 Stufen von 05—6 A. für das Hektoliter reinen Alkohols mit der Maßgabe, daß für die Brennereien mit 300—600 h] 0,50, für die Brennereien über 3000 hl 6 M pro Hektoliter zu entrihten waren. Diese Säße gelten für diejenigen landwirthschaftlihen und gewerblichen Brennereien, welche keine Hefe erzeugen, noch Melasse, Nüben oder Rübenjsaft verarbeiten; für die übrigen Brennereien werden die 12 Stufen so gebildet, daß das Maximum von 6 M. schon bei einer Produktion von 1700 h] erreiht wurde. Die Kommission will die Brennsteuer schon bei 200 h] Jahresproduktion und mit einem Mindestsaß von 2 sé. ein: führen, der in 9 Stufen bis auf 6,50 f bei 1800 1 Jahres- erzeugung steigen soll. Jn den ausschließlich Roggen, Weizen, Hafer und Gerste verarbeitenden Brennereien soll die Brenn: steuer bis zu 300 h] überhaupt niht und bis zu 600 h1 nur zur Hälfte erhoben werden.

Der Abg. Dr. Müller-Sagan will in vorstehenden Säßen hinter „Gerste“ eingeshoben haben: „sowie Wein und nichtmehlige Stoffe“; der Abg. Dr. Pachnicke will die Herab- sezung des Minimums von 300 auf 200 h] beseitigen und die Säße für 300 bis 1800 hl von 2 auf 6 M. steigen lassen.

In landwirthschaftlihen Genossenschaftsbrennereien, die schon am 1. Oktober 1895 bestanden haben, soll für den Um- fang des damaligen Betriebes 4/5 (früher 3/4) der genannten Säße erhoben werden. Jn Kartoffeln und Mais verarbeitenden landwirthschaftlichen Brennereien soll außerdem für jedes in der Zeit vom 16. Juni bis 15. September hergestellte Hekto- liter reinen Alkohols eine Brennsteuer von 83 6. erhoben werden. Die Steuer fällt weg, soweit für den Branntwein gushlag von mindestens 16 F zu entrichten ist. Jn Brennereien, welhe in der Zeit vom 16. Juni bis 15. Sep- tember der Maischbottichsteuer unterliegen, findet eine Er: mäßigung auf 2 und 1 M statt, sofern täglih während dieser eit nicht mehr als 30900 bis 1500 bezw. 1500 bis 1050 1 Bottichraum bemaisht werden. Die Brennereien mit täglicher Bemaischung von unter 1050 1 bleiben befreit.

Die auf den Sommerbrand gelegte Brennsteuer is au zu erheben, soweit der Betrieb vom 16. September bis 15. Juni 81/2 Monate überschreitet. Der Abg. Dr. Müller: Sagan beantragt, diesen Sah zu streichen.

Der Zuschlag von 15 H pro Hektoliter zur Brennsteuer soll für die nah dem 1. Juli 1895 neu entstandenen oder neu entstehenden Brennereien, welhe Melasse, Rüben, Rübensaft oder Zellstoff verarbeiten, für ihre gesammte Erzeugung (auch für diejenigen unter 200. hl) wieder in Kraft geseht, für die anderen auf 6 F ermäßigt werden. Der Abg. Wurm be- antragt die Streihung des ganzen § 43a, eventuell will er das Wort „Zellstoff“ aus dem vorstehenden Passus beseitigen.

Der Abg. Fischbeck hat nachträglich noch folgenden Antrag eingebracht:

„In [landwirtbschaftlichen Genossenschaftäbrennereien wird die Brennsteuer nur zu drei Vierteln der vorbezeichneten Sätze er boben.“

_ Abg. Dr. Pachnicke: Das Ergebniß der eben vollzogenen Ab stimmung ermutbigt uns ja nicht zur Fortseßung unseres Widerstandes weil tas Schicksal des Gesetcs damit entschieden erscheint. Wir können aber troydem niht umhin, unseren gruntsäßlihen Widerspru& gegen die Brennsteuer zu erncuern. Mit dem Gesey vo: 189% bat man die gewollte Eindämmung der Produktion niht erreidt und auch niht die Verbilligung des technischer Spiritus. Die Produktion namentlich der Karto#felbrennereicn hai noch zugenommen; die Verbilligung des tehnishen Spiritus ist immer noch Zukunstêmusik. Nach d jährigem Bestehen bat die Brennsteuc: versagt: au cine erböbhte Brennsteuer würde ihren Zweck nicht er reichen. Das ist der Aussprvch eines Sachverständigen von der Be deutung des Professors Delbrück. Der von mir eingebrachte Antraz bat den Hauptzweck, tie kleineren Brennereien bis zu einer jährlicher Frzengung vón 300 hi1 zu vershonen. Es wäre eine Unbilligkeit, bis jeyt gänzlich frei gebliebene Betriebe plöplich so stark zu belasten.

_ Abg. Dr. Müller-Sagan: Wir werden diesem Antrage troß seiner relativen Vorzüge nicht zuslimmen können, da wir die Brenr- steuer im Prinzip verwerfen.

Abg. Holy (Rp.): Die Organisation des Brennereigewerbes if dazu da, um mit Hilfe der Brennsteuer einen Fouds zu s{affen, ter dazu dienen soll, neben der Verbilligung tes tehnishen Spiritus tex Preis des Spiritus im allgemeinen zu steigern. Wie an den Vor- theilen, müssen alle Brennereien auth an der Belastung theilnehmer Dieses war der Zweck der Brennsteuer, und ih halte dafür, daß dicie wirthsaftliche Zweck voll erreicht (s. Die landwirthschaftliche: Mitltelbetriebe sind erbalten, die Produktion der gr und übet- großen Betriebe ist eingeshränkt worten. Die teuerung det größten Betriebe sollte ursprünglich bis auf 8 „4 gesteigert werder in der Kommission haben wir den entgegenstehenden Bedenken na& gegeben und tas Maximum nur auf 6,50 „« beraufgeseßt. bitte, die Anträge der Kommission, welche nah langer, gründlichster Be rathung und nah großen Opfern seitens der Rethten zu stande

gn A sind, anzune men.

urm: ir wollen den § 43a. gestrichen habe, weil er die dritte Lie be enthält, die den Brennern dur dat Se ausgeliefert wird. Daß das Gewerbe sich selbst besteuert, ist eir

âtchen, der Brerinet legt die Steuer aus, sie wird aber im Preise de Spiritus wiéder zurückgezablt, und zwar vom Publikum, welches dez Branatweia trinkt. Dié Liebesgabe beträgt 11—12 Millionen; dap fommên die 47 Millionen Liebesgabe bei der Kontingent und dic 5 bei der Maischraumsteuer; außerdem 130 Millione Steuer, mat Summa Summarum 190 Müllionena, welche tet fonsumierende Publikum tragen muß. j

j bestehenden Alkohols 0,20 & Zuschlag zur Verbrauchsabgade zu cntrichten

Ko s Holy soeben autdrückl de T E Produktion erbebl

L ies Gese alles verhindern, was ihnen abträglih ‘ist, darum in inv Ls die Melassebrennereien. Als ich Ihnen in der Fommission erzählte, daß man auch_ aus Torf Spiritus machen xnne, haben Sie oss die Zellstoe mit einer Strafsteuer von 15 Æ belegt. Alles, was das platte Land nicht begünstigt, wird verfolgt. Vor der Brennsteuer hatte \sih der Konsum von denaturiertem Spiritus bedeutend vermehrt, von 1896 war die Konsumsteigerung viel s{hwädcher. Die Nbg hat die Preise in die Höhe geshraubt, und die Strafsteuer hat denselben Zweck erreicht. Die Kartoffelbrenner denken auch nicht daran, die Rüben zu Spiritus zu verarbeiten, wodurch man einen billigen denaturierten Spiritus er- halten fönnte. Den Agrariern kommt es auf eine hohe Rente an, das erflärt Alles. Der Exportspiritus hat seine Rolle ausgespielt; den Erport dur eine Prämie künstlich zu unterstüßen, hat keinen Zwe, das Ausland produziert seinen Spiritus selber. Jeßt will man sogar die Kriegsschiffe mit Spiritus heizen; aber was wird das kosten ? Mollen Sie dem Volke eine billige Beleuchtungsquelle schaffen ? Keinesweg8s, Sie wollen die Beleuchtung vertheuern, und die Spiritus- motore sind den Gewerbetreibenden zu theuer. Das wird auh nicht anders werden, denn der E arbeitet auf eine E Oen hin. In den beiden leßten Jahren hat \sih der Verbrauch von denaturiertem Sviritus nur \cheinbar bedeutend vermehrt, denn es figurieren darunter 100 000 Hektoliter von Spiritus, die in der Zentrale als unverfäuflih lagern. Die Zentrale hat ihren Terrorismus bis auf die Inserate der Interessenten ausgedehnt. Anzeigen über ringfreien Spiritus sind von der Zentrale zurückgewiesen worden, und kein Staatsanwalt s{heint darin etwas Bedenkliches ge- funden zu haben. Auch die Essigfabrikation ist durch die Zentrale geshädigt worden. Der Spiritusring ist also ebenso shädlich wie jeder andere Ring, z. B. der Kohlenräng. Darum haben wir beantragt, diesen ganzen Paragraphen zu streichen. Die neue Brennsteuer wird das Publikum und die Industrie gleihmäßig schädigen.

Abg. Holy: Ich habe nicht gesagt, daß der Spiritusring den Zweck habe, den Preis zu steigern. Ich habe vom Verwerthungs- derband überhaupt nit gesprochen, sondern nur von einer indirekten Preissteigerung dur die Brennsteuer. :

Die vom Abg. Dr. Pachnicke beantragte anderweitige Fest- sezung der Skala wird abgelehnt und die von der Kommission vorgeshlagene Skala mit großer Mehrheit angenommen.

Die Diskussion wendet sih dann zu dem zweiten Absatz, der für die nur Roggen, Weizen, Hafer und Gerste ver- arbeitenden Brennereien die Brennsteuer für die Erzeugung bis zu 300 hl in Wegfall bringt und für die Erzeugung bis zu 600 hl nur die Hälfte erhoben wissen will. :

Abg. Dr. Müller - Sagan befürwortet hierzu seinen oben mit- getheilten Antrag, mit der Modifikation, daß es statt : „Brennereien“ heißen sofkle: „Matecrialbrennereien“. T A

Abg. Fit (nl.) spricht sich gegen diesen Antrag aus, weil die Weinbauer kein Interesse daran hätten, daß der Kunstwein zur Kognakfabrikation verwendet werde. s

Nach einer weiteren Auseinanderseßung zwischen den Abgg. Dr. Müller-Sagan und Fiß wird der Antrag Müller-Sagan abgelehnt und die von der Kommission vorgeschlagene Fassung angenommen. _ E n

Die Diskussion wendet sich dann den Sondervorschriften über die landwirthshaftlihen Genossenschaftsbrennerecien zu.

Abg. Fishbeck tritt für seinen Antrag ein, die Brennsteuer ganz & gemein von solchen Brennereien nur mit # der Normalsätze zu erheben. : -

Unter Ablehnung dieses Antrages wird der Vorschlag der M angenommen. Auch die übrigen zu diejem Pa- ragraphen vorliegenden Anträge Müller-Sagan und Wurm werden abgelehnt. L i U i

Nach Artikel TV sollen die Bestimmungen, betreffend die Brennsteuer für den Sommerbrand, sofort in Kraft treten, im übrigen tritt das Geseß mit dem 1. Oktober 1902 in Kraft. Die Bestimmungen über die Brennsteuer und über die Mo- dalitäten für die Entrichtung derselben sollen mit dem 30. Sep- tember 1912 außer Kraft treten. L s

Die Abgg. Wurm und Dr. Müller-Sagan wollen die Brennsteuer hon am 30. September 1905 außer Kraft treten lassen, während der Abg. Dr. Pachnicke die Gültigkeitsdauer bis 1908 ausgedehnt wissen wil. i

Alle diese Anträge werden abgelehnt; die von der Kom- mission vorgeschlagene Fassung gelangt zur Annahme.

Damit ist die dritte Lesung beendet. Die Gesammt- abstimmung wird in einem späteren Stadium erfolgen.

Die von der Kommission vorgeshlagenen Rejolu- tionen:

a. dem Reichstage baldthunlihst einen Gesegentwurf, betreffend die Aufhebung der Mai bottihsteuer und deren Ersaß dur einen Zuschlag zur Verbrauchsabgabe, vorzulegen, und b. dafür zu sorgen, daß das Mischen der Hefe mit Stärkemebl, Kartoffelmebl und Bierbefe und das Feilhalten solcher gemishten Hefe verboten werden,

werden angenommen. L

Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sizung Donnerstag 1 Uhr. (Vogelschußkonvention; dritte Lesung ‘des Toleranz- antrags; Petitionen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 81. Sizung vom 4. Juni 1902, 12 Uhr Ueber den Beginn der Sizung ist in der gesirigen Nummer d. Bl. berichtet worden. Es folgt die Interpellation der mas. von Pappen- heim und von Mendel-Steinfels (kon}.): i „Hat die Königliche Staatsregierung die Absicht, alsbald einen Ges

| iwurf einzubringen gegen den Kontraktbruch in Arbeitsverhältnissen?“

ur Begründung der Juterpellation erhält das Wort

Abg. von Pappenheim: Meine politishen Freunde legen Werth darauf, festzustellen, warum das Gese über den Kontraktbruh uns noch nicht vorgelegt ist. Das Haus E an dieser Ans feine Schuld. Es hat \chon vor zwei Jahren ofen au prochen, daß eine weitere Hinausschiebung im Lande s{hwer empfunden werden würde. Die Regierung hat seiner Zeit durch den Minister von Hammerstein die Vorlegung eines solchen Geseyentwurfs zugesagt 1901 is er richt erschienen, in diesem re au nit. Unsere Schuld ist das niht. Im vorigen re wurde uns mitgetheilt, daß wir uns die Mühe einer Inter- pellation ersparen könnten, weil das Gese fertig sei. Wir stehen

t vor dem Schluß der Session, und die Vorlage ift noch da. & von uy a wir À BL Too,

leppung verantwortlih sind. er Man ner r Gesehgebung bat das Verantwortlihkeitsgefübl der Arbeiter schwer

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verleyt. d den Arbeitern muß ihre Pflicht ein- gcihärft werden. Es die Achtung vor dom Sa fle sémwindet Tan: und u Achtung vor [es eten ¿G

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die en zu in der Revision des egierung ausdrûdfl k ay Entweder nimmt im Sid Meiaisierium nicht die

ü ein, um diese Sache durhzubringen, oder das nügen ese tenuna e “bie Sache für eine quantité négligeable. Ich bitte um eine bestimmte und klare Antwort.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Podbielski:

In gleicher Weise wie mein Amtsvorgänger halte auch ich es für wünschenswerth, Strafbestimmungen wegen Erschwerung des Kontraktbruchs ergehen zu lassen, aber nicht elwa gegen die Arbeit- nehmer, sondern gegen die Arbeitgeber, welche kontraktbrüchige Arbeiter in Beschästigung nehmen, und daß auf der anderen Seite die Ver- leitung zum Kontraktbruch unter Strafe gestellt wird. Nach dieser Nichtung hin erahte ih den Ausbau der Geseßgebung für nothwendig, und als ih im vorigen Jahre mein Amt übernahm, habe ich sofort die Vorbereitungen für eine Vorlage treffen lassen. Ich habe die Vorarbeiten vorgefunden, aber wie oft in \folhen Materien, und ih glaube, wie der Herr Antragsteller wohl auch in diesem Falle über- sieht, giebt es doch noh eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die zu überwinden sind, ehe eine Geseßesvorlage dem hoben Hause unter- breitet werden kann.

Ich kann also nur von seiten der Verwaltung erklären: Ich hoffe, in der nähsten Session, nahdem die Erhebungen beendet, die Sqwierigkeiten überwunden sind, dem hohen Hause eine solche Vor- lage, aber nur in der begrenzten Weise, wie “ich sie soeben bezeichnet habe, maten zu fönnen und damit eine Materie fo weiter zu führen, daß meiner Ansiht nah berehtigte Beschwerden der Landwirthschaft dadur behoben werden.

Auf Antrag des Abg. Lasa (kons.) tritt das pellation ein. R : Abg. Dr. Hir\ch (fr. Volksp.): Meine Freunde haben diese Interpellation und die Antwort der Regierung darauf nicht erwartet. Wir glaubten, E auch die Königliche Staatsregierung mit Rücksicht auf die Lage der Industrie darauf verzichtet habe, ein \olhes Geseß einzubringen. Weder der Interpellant, noch der Landwirthschafts- Minister hat irgend welhe Thatsachen angeführt. Der Interpellant hat gemeint, daß die Verhältnisse bezüglich des Kontraktbruchs auf dem Lande schlimmer geworden seien als je, ganz besonders bei den Arbeitgebern. Das is aber nur eine Behauptung. Ich würde sehr dankbar sein, wenn dieser Nachweis noch heute geliefert würde. Wenn es sich nur darum handelte, die Cinhaltung des eingegangenen Vertrags zur Geltung zu bringen, so wäre das gewiß ein berechtigter Wunsch. ch habe vom ersten Augenblick an, als ich die Anwaltshaft der deutschen Gewerkvereine übernahm, darauf gedrungen, nie etwas zu unternehmen, was dem Ge- ses und dem Rechte widerspriht. Thatsächlich hat man denn auch in unseren Kreisen uihts von Beschwerden über den Kontraktbruch gehört. Der fkontraktbrühige Arbeiter schädigt si selbst am meisten. - Wenn der Kontraktbruch auf dem Lande eingerissen ist, so ist das nur ein Beweis, daß die betreffenden Organe, namentlih die Kirche, nicht den Einfluß auf die Arbeiter baben, den man wünschen sollte, und daß Erziehung und Zucht auf dem Lande zu wünschen übrig lassen. Aber was nüßt denn dem Arbeitgeber diese ganze Sache, wenn Arbeitgeber E Arbeiter in Arbeit nehmen? Die Hauptshuld des Kontraktbruhs liegt bei den Arbeitgebern. Diese \{hicken förmlihe Werber herum, um die Arbeiter an sich -zu ziehen. Wunderbar_ ist es auch, daß die so viel gerühmten landwirthschaftlichen Organisationen der Arbeitgeber, die Vereine 2c., ihren Einfluß nach der _Richtung niht verwenden, um dem Unwesen Einhalt zu thun. Die Selbsthilfe ist bei den Herren der Landwirthschaft garniht vorhanden, sie appel- lieren immer nur an den Staat und den Gesetzgeber. Ih hätte ge- wünscht, daß die Regierung erklärt bätte, sie sei nit in der Lage, einen solhen Geseßentwurf einzubringen. Der Wortlaut der Inter- pellation beshränkt sich nit auf die ländlichen Arbeitsverbältnisse; man hâtte die Zweideutigkeit wenigstens vermeiden sollzn, als ob auch die industriellen Arbeitsverhältnisse gemeint seien. Die Be- strafung des Kontraktbruchs würde ein wesentlihes Moment sein, die Arbeiter der Sozialdemokratie zuzuführen. Warum foll denn gerade der Arbeiterkontraktbruch so shwer geahndet werden? Lebensmittel, Koblen, Materialien, Kleidung und andere Dinge sind ebenso noth- wendig wie die Arbeitskraft, und kommen nicht täglih Kontraktbrüche bei den Lieferungen dieser Dinge durch Handwerker und Lieferanten vor? Wem ist es niht hon passiert, daß ihn ein Handwerker 1m Stich gelassen hat? Eine Aufklärung der Arbeiter würde viel mehr nützen, als alle Bestrafungen. Wir sind für cine solhe Geseggebung nicht zu haben. Es ist sehr zweifelhaft, ob das gewünschte Gesey überhaupt einen Erfolg hat. Es ist {hon früher nachgewiesen, daß es z. B. außerordentlih s{hwer ist, einem Arbeitgeber nachzu- weisen, daß er einen Arbeiter zum Kontraktbruh angereizt hat. Hüten wir uns davor, immer mehr dur Strafgeseße soziale Schäden heilen zu wollen. - j i Abg. von Mendel-Steinfels (kons.): Diese Materie be- schäftigt uns seit Jahren, ih kann mich also auf das Wichtigste be- schränken. Ih danke dem Minister für seine Erklärung. Es ist dringend nothwendig, daß in dieser Beziehung etwas geschieht. Troß des jeßigen größeren Angebots von Arbeitern auf dem Lande dauert der Kontraltbruch noch immer fort. Unsere Interpellation bezieht sich selbstverständlich auf die ländlichen Arbeiter. Jch muß aber energisch da- gegen protestieren, daß der ländliche Arbeiter als minderwertbig, gewi?er- maßen als Arbeiter zweiter Klasse angesehen wird. Der ländliche Arbeiter, der in steter Füblung mit seinem Arbeitgeber bleibt, befindet sich allerdings in einem anderen Verhältniß als der Fabrikarbeiter, den der Fabrifherr selbst vielleiht wochenlang nicht zu sehen bekommt. Aber urücksezen darf man deshalb den ländlichen Arbeiter nicht. Die rbeiternoth frißt am Mark des bäuerlichen Besiyes noch viel mehr als an dem des großen Grundbesizes. Der kleine Landwirth hat viel \{werer gegen den Kontraktbruch zu kämpfen und darunter zu leiden. Die Bekämpfung des Kontraktbruhs geschieht also viel weniger im deren des Großgrundbesitzes als im Interesse des kleinen Besizes. er Kontraktbruch in Fabriken ist nicht derselbe wie in ländlichen Betrieben, wo die Arbeit, wenn die Ernte auf dem Halme steht, in wenigen Tagen gethan werdey muß. Wir wollen vor allem au, daß der Arbeitgeber bestraft wird, welher wissentlich mit Kontraktbruh belastete Arbeiter anstellt oder zu ihrer Verführung beiträgt, und daß der Vermittler oder Agent bestraft wird, welcher um Kontraktbruch verleitet. Fo Bezug auf die Selbsthilfe äßt sich die Landwirthschaft niht mit der Industrie vergleichen Jn ten Hunderttausenten von landwirthschaftlichen Betrieben, von denen jeder im en nblick auf das le für die Ein bringung seiner Ernte f ist eine Einig rniht mögli Was auf dem Verei geschehen kann, das ts geschehen Daß auch ein soziales Moment mitzusprechen hat, erfenne ih an, aber cin anderes soziales Moment, als Herr Hirsch sich denkt. Wir wollen die Arbeiter wieder an das Land fesscln und sie abhalten, in die Städte zu gehen. Wir Landwirthe find nun einmal Itealisten und wünschen, daß die Arbeiter mit uns leben. Jn Anhalt ift die bereits geseylich it. Wenn dort die Maßregel nicht wirk- am gen en ist, so liegt das erfláel Weise daran, daß An- halt als fleiner Staat ndig ven ums{lofien ist. Wir müssen vermeiden, dah sich in unserer Landwirth ähnliche Ver- tnisse cinburgern wie in der Industrie. h die ländlichen m Îr 1 (dleitter gei sind als die Judustriearbeiter, fan n mit Recht . Jh bitte Sie, unserea Wünschen Abg. Dr. Barth (fr. : ilt nicht unbestritten, eb L Ginzeficaien cin seiibes Gesep zu erlassen befugt find. ürst Bismarck versuchte schon in den 70er im Reiche

Dr. von Heydebrand und der aus in eine Besprehung der Jnter-

C Sre MIeEO pu die Verlage Lam aber nicht

tegela, 8 stande. Int war damals die Stellungnahme des preußischen

Sai, Eine Konferenz in diesem beschloß 1873, daß Strafbestimmungen gegen die D zur Arbeits- einstellung und gegen die O SONNER Arbeitgeber und Arbeit- nehmer nur im ege der Reichs-Gesetgebung erlassen werden könnten. Auch bei anderen Gelegenheiten ift diese Auffafiung zum Ausdruck ge- kommen. Im Ministerium achtet man ja jet besonders darauf, daß die Rechte des Reichs nicht verleßt werden, und ih hoffe deshalb auf besondere Beachtung dieses Umstandes. Es müßte also ein gemein- sames Recht für alle deutshen Staaten geschaffen werden. Es wäre ja ein sonderbarer Zustand, wenn die ländlihen Arbeiter in Preußen anders daständen als in den anderen Bundesstaaten. Eine solche Rechtsungleichheit müßte die größte Mißstimmung hervorrufen. Man meint, die Bestrafung des Kontraktbruches werde den Sontra es beshränken. Ich lasse keinen Zweifel darüber, daß es wünschenswert wäre, s der Kontraktbruh überhaupt aus der Welt geschafft würde. ir wollen alles thun, um Treu und Glauben aufrecht zu erhalten, und bedauern, daß man die Spißbuben an der Börse durch die agrarishe Börsengeseßgebung geradezu zum Wortbruch verleitet hat. Aber dur die Bestrafung des Kontraktbruhs ländlicher Arbeiter würde geradezu ein Ausnahmegeseß für die Arbeiter, und sogar nur für einen Theil der Arbeiter, geshaffen. Die ländlihen Arbeiter werden dadurch noch mehr in die Städte getrieben, wo sie unter einer besseren Nechtslage \tehen. Die \ozialdemoftratishen Agitatoren würden einen großartigen Agitations\toff bekommen, wenn he den ländlichen Arbeitern erzählen können, daß sie als Hörige anzusehen seien, während die industriellen Arbeiter besser dastehen. Die bisherigen Straf- bestimmungen gegen den Kontrattbruh haben garnichts genügt. Ein Arbeiter, der überhaupt ents{hlofsen ist, ein Arbeitsverhältniß illoyaler Weise aufzugeben, kann dem Arbeitgeber so viel Scherereien machen, daß dieser froh ist, ihn los zu werden. Die Bestrafung des Kontrakt- bruches würde \{ließlich politisch ausgebeutet werden gegen die Ur- heber dieser verunglückten Gesetzgebung.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Podbielsk1:

Ich gebe zu, daß der Herr Vorredner in seinen Ausführungen immer das Wort „wenn“ gebraucht hat: „wenn das Gesetz in Kraft tritt“. J glaube aber hier vor dem Hause nohmals konstatieren zu müssen, daß nah meinen Erklärungen das Gese sih lediglih gegen die Arbeitgeber, welche kontraktbrüchige Arbeiter beschäftigen, und gegen die Verleitung zum Kontraktbruch richten soll, und daß die Ausführungen des Herrn Vörredners, daß die Arbeiter in ein {lechteres Verhältniß gebraht werden sollen, nah meinen Erklärungen wohl nicht zus treffend sind. (Sehr richtig! rechts.) (Zuruf des Abg. Dr. Barth [Kiel]).

Abg. Goerdeler (freikons.): Der Kontraktbruh auf dem Lande hat immer weitere Fortschritte gemacht, und es muß deshalb auf ge- seßlichem Wege etwas dagegen geschehen, umsomehr, als gerade der kleine Besitzer darunter am meisten leidet. Wir wünschen, daß das preußishe Geseß von 1854 nicht nur aufrehterhalten, sondern noch weiter ausgebaut wird. Die Arbeitgeber, welche zum Kontraktbruch verleiten und fontraftbrüchige Arbeiter einstellen, müssen bestraft werden. Damit fallen alle Baelireénngeu des Abg. Barth für die Arbeiter fort. Ein solbes Geseß würde nicht gegen die Reichsgeseßz- gebung verstoßen, die Einzelstaaten sind berechtigt, solche Geseyze zu erlassen. Schwierig ist die Materie allerdings, aber da ein Nothstand vorliegt, muß sie geregelt werden. Ein Geseß, wie es der Minister andeutete, würde die Zustimmung der großen Mehrheit des Hauses finden und der Landwirthschaft zum Segen gereihen. Abg. Goldschmidt (fr. Volksp.): Die Herren auf der Rechten wollen do etwas anderes als allein die Bestrafung der Verleitung zum Kontraktbruch. Das sagen Sie (rechts) nur, um nicht ungereht gegen die Arbeiter zu er\heinen. Wenn die ländlihen Arbeiter gleihberechtigt werden sollen, so folgen Sie uns und heben Sie die Gesindeordnung auf. Wenn Herr von Mendel uns das patriarhalische Verhältniß in der Landwirthschaft schildert gegenüber der Industrie, so vergleicht er damit den fleinen Landwirth mit dem Großindustriellen. Wenn Sie abec den Großgrundbesißer vergleichen mit dem Groß- industriellen, so haben Sie genau dasfelbe Verhältniß; im Gegentbeil, der Grofgrundbesiter kümmert ih um seinen Betrieb und seine Ar- beiter noch weniger als der Großindustrielle. Im Gesey von 1854 liegt ja son eine Bestrafung des Kontraktbruhs. Wenn auch Anhalt ein solches .Gesey gemacht bat, sollen sich darum andere Staaten Anbalt anschließen? Was ist das für ein Idealismus, der nach der Polizei und dem Strafrichter ruft? Diese Sache ließe sih nur reihs- geseßlih regeln. Zunächst wollen wir abwarten, was die Regierung uns für einen Vorschlag machen wird. : L 5 A

Abg. Friten- Borken (Zentr.): Die Reichsverfa}sung steht dieser landesgeseßlichen Gesetzgebung nicht entgegen, die Fragen der Gesinde- ordnung find der Landesgeseygebung vorbebalten. Meine Freunde sind mit einem solchen Gesez nur in dem Sinne einverstanden, wie es der Minister andeutete, d. h. mit der Bestrafung der Verleitung ¡um Kontraktbruch und der Förderung desselben durch Arbeitgeber und Agenten. Gegen die Arbeiter felbst wünschen wir keine Ver shärfung der Bestrafung des Kontraktbruchs. E

Aba. Braemer - Kelmischkeiten (freikon?.): Vie Herren Linken sind nicht die richtigen Freunde der Landwirtbschaft. Osten bat vorwiegend konfervative Männer hierher geshickt , wir wissen am besten, was für uns von Vortheil ist. (Ruf links: Vas ist Ihr Idealiómus !) Wir wollen nicht, das unsere Leute verführt werden durch Sozialdemokraten und Liberale, die unseren ganzen Betrieben feindlich gegenüberstehen. Am Montag haben wir ia gesehen, wie Sie (links) zur Erklärung des Minister Präsidenten „Sehr richtig!“ riefen. (Ruf links: Warum soll denn niht cin Minister einmal etwas Richtiges sagen?) Sie kämpfen immer gegen den Großgrundbefih, aber der Großgrundbesiy arbeitet immer für den fleinen Mann. Wenn Jemand dem Bauern einen Wertbgegenstand vom Hof stiehlt, wird er bestraft; wenn aber Jemand dem Bauern die Arbeitskräfte entzieht, was viel s{limmer ist, !o fann ibm nidts geschehen. Das ist cin unhaltbarer Zustand, den wir

Feitigen munen.

N “Alba Gblers (fr. Vag.): Nach tiesen Ausführungen könnte man meinen, es bandle sich um ein Gesey gegen die bösen Sozial- demokraten und Freisinnigen. Ich bitte den Vorredner um Ênt- s{uldiguna, wenn wir auf seine Ausführungen nicht eingeben, das soll ¿ber keine Unböflichkeit sein, sondern nur Rücksicht auf die Zeit des Hauses: aber er soll nit denken, daß wir durch scine Rede überzeugt find. Im übrigen avvelliere ih an sein mensliches Verz, vielleicht wird er durh ein Studium des Liberalismus doch zu der Ansicht kommen. daß, wenn wir auch nit so vorzüglih find wie die Perren seiner Partei, wir doch nit so s{limm sind, wie er meint.

Damit schließt die Besprechung der Jnterpellation

Auf eine Anfrage tes Abg. Dr. von Hevdebrand und der Lasa über die Geschäftélage erflärt der Präsident von Kröther, daß er den vorliegenden Arbeitéstof möglichst schnell erledigen laßen wolle, dann cine Vertagung eintreten müsse und er das Haus wieder derufen werde, wenn aus den Kommissionen für die Vorlage über die juristischen Prüfungen, die Verrraltungsdienstvorlage, die lex Adickes u. \. w. weiterer Sten octomenes sei, A IOIO am Dienstag oder

ittwoh nähster W der Fall sein werde. L : m Abg. Friyen- Borken (Zentr.) bittet den Präsidenten, si mit dem Staatsministerium in Verbindung zu lezen, damit man wisse wann etwa der Schluß der Sesfion eintreten Tonne.

Abga. Schmidt - Warburg (Zentr.) bittet, möglichst bald auch die zahl Petitionen, nament id die ron Beamten, zu erledigen.

Omen von Kröcher sagt dies zu.

S&luß B/, Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag, 11 Uhr. (Polenvorlage; kleinere Vorlagen: Fleishbeshaugesey; Antrag, betr S chlactviehversiherung. )

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