1902 / 131 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 06 Jun 1902 18:00:01 GMT) scan diff

Nichfkamlliches. Deutsches Reich,

Preußen. Berlin, 6. Juni.

Jn der am 5. d. M. unter dem Vorsitz des Staats- sekretärs des Jnnern, Staats-Miniïers Hr. Grafen von Posadowsky-Wehner abgeha"enen Plenarsißung des Bundesraths wurden die Vor" agen, betreffend den Entwurf einer Bestimmung über die Be\häftigung jugendlicher Arbeiter in Hechelräumen und dgl., \o,cpie betreffend die Verleihung von Korporationsrehten an dit mit dem Sigße in Berlin gegründete „Deutshe Samoa-Gesellshaft“, den zuständigen ARGOUen überwiesen. Von der Mittheilung über Veröffentlichungen der Kommission für Arbeiterstatistik wurde Kenntniß genommen. Den Beschlüssen des Reichstages zu dem Entwurf cines Geseßes, betreffend die Abänderung des §8 7 der Straf- ' prozeßordnung, ferner den Ausschußanträgen über die Vor- lage, betreffend den Aufruf und die Einziehung der Noten der Bank für Süddeutshland in Darmstadt, sowie über den

Entrourf eines Gesezes wegen Aufhebung der außerordent-"'

lichen Gewalten des Statthalters in Elsaß-Lothringen wurde die Zustimmung ertheilt. Außerdem wurde über die Ver- gebung eines Arbeitsplaßes bei der zoologischen Station in ovvigno, über die Beseßung von Stellen im Aufsichtsamte für Privatversicherung, über die Neuwahl von Mitgliedern des Kuratoriums der Reichsbank, sowie über verschiedene Ein- gaben Beschluß gefaßt. Z Heute hielten die vereinigten Ausschüsse für Eisenbahnen, Post und Telegraphen und für Handel und Verkehr, sowie die vereinigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Justiz- wesen Sißung.

Im Anschluß an die Beschlüsse der Eisenacher Kirchenkonferenz hinsichtlich der Vorbereitung auf die Konfirmation und die religiös - sittlihe Bewahrung der konfirmierten Jugend wurde in der Sizung vom 3. Juni, wie nachträglich bemerkt wird, ein Antrag des Ober-Konsistorial-Prästdenten D. Buchner-Darmstadi an- genommen, dahin gehend, daß thunlichst allgemein der Beginn des Konfirmandenunterrihts durch einen besonderen Gottes- dienst für die Konfirmanden, deren Eltern und Angehörige hervorgehoben und dadurch der ganzen Vorbereitungszeit ein weihevolles Gepräge gegeben werde.

In der am 4. Juni abgehaltenen sechsten und lehten Sißung der Konferenz referierte der Vize-Präsident des preußischen Evangelischen Ober-Kirchenraths, Wirkliche Ober- Konsistorialrath D. Freiherr von der Golß über die Frage: „Empfiehlt es sich und unter welchen Voraus- seßungen bezw. iy welcher Weise erscheint es aus- führbar, die Fürsorge für die evangelishen Deut- shen im Auslande bezw. in den deutshen Schuß- gebieten in weiterem Umfange der Konferenz oder deren Organen zu übertragen?“ Die Konferenz L, uts dem Antrage des Referenten zu, daß die Betheiligung der Eisenacher Hanterets an der Fürsorge für die evangelischen Deutschen im Auslande unter den vorliegenden Umständen sih, wie bisher, auf Anregung und Vermittlung materieller Unterstüßungen an die genannten Gemeinden vorläufig zu be- chränken habe, und wiederholte den dahingehenden Tchluß

r Konferenz vom Jahre 1900:

„Die Konferenz erkennt die kirhlihe Versorgung der im Auslande wohnenden evangelischen Deutschen als eine durch neuere Ereignisse von Jahr zu Jahr dringlicher gewordene Auf- gabe der deutschen Landeskirhen an und hält zu deren Lösung die Gewinnung eines gemeinsamen Organs für geboten, welches die kirhlihen Bedürfnisse der ausländishen Diaspora zu ermitteln, deren Befriedigung zu vermitteln und bei den geeigneten Jnstanzen anzuregen hat.“

Der Präsident des Evangelischen Konsistoriums in Stuttgart D. Freiherr von Gemm ingen berichtete sodann über die Ver- hältnisse des „Allgemeinen Kirchenblattes“, dessen weitere Ver- breitung empfohlen wird.

Ueber die Einnahmen und Ausgaben der Konferenzkasse, deren Rechnung genehmigt wurde, referierte der Präsident des Königlich sächsishen Evangelisch-lutherishen Landes-Konsisto- riums von Zahn. 9

Darauf schritt man zur Vornahme der nöthigen Wahlen. Zu Mitgliedern des ständigen Ausschusses wurden wieder- gewählt: der Präsident des Landes-Konsistoriuums in Han- nover Voigts, der Präsident des Königlih sächsischen Evangelisch-lutherishen Landes-Konsijtoriums von Zahn, der Geheime Ober - Kirhenrah D. Bard-S@werin und der Ober - Konsistorialrath D. Kelber - München. Zu Stellvertretern der Mitglicder des Ausschusses wurden gewählt bezw. wiedergewählt: der Präsident des Evan- aelishen Konsistoriums in Stuttgart D. Freiherr von Gemmingen, der Großherzoqlih sähsishe Staats-Minister Dr. Rothe, der Prálat D. Helbing-Karlsruhe und der Ober - Konsistorialrath D. Zahn - Sondershausen. Die bisherigen Mitglieder der KommissionfürStatistik wurden wiedergewählt. Jn die Diaspora-Kommission wurden gewählt: der Vize-Präsident des preußischen*Evan gelishen Ober-Kirchenraths 1). Freiherr von der Golß, der Präsident des sächsishen Evangelisch - lutherishen Landes: Konsistoriums von Zahn, der Präsident des badischen Evan: gelischen Ober-Kirchenraths Dr. Wielandt und der Gencral- Superintendent 1). von Sandber ger-Stuttgart.

Nachdem die Auswahl der Themata für die Verhand- lungen der nächsten Konferenz dem ständigen Ausschusse über- wiesen worden war, \chloß der Vorsitzende die diesmalige Tagung der deutschen evangeliscken Kirchenkonferenz

Der Kaiserliche Botschafter in Konstantinopel Freiherr Marschall von Bieberstein hat einen ihm Allerhöchst be- willigten kurzen Urlaub angetreten. Während der Adwesenheit des Botschafters wirkt der Erste Sekretär der Botschaft,

Legationsrath Freiherr von Wangenheim als Geschäfts- träger.

Marienburg, 5. Juni, Ueder den weiteren Verlauf der gestrigen Feier meldei „W. T. B.“ Am Einaang tur Kirche würde Scine Majestät der Kaiser und König

|

| Ï

von der Geistlichkeit, darunter die General-Superintendenten Ober B t D. Dryander, D. Braun und D. Doeblin, empfangen, welche Allerhöchstdenselben nah dem Hochmeistersiß E auf dem ne Majestät und der Herrenmeister,

eine Königlihe Hoheit der Prinz Albrecht, Plaß

nahmen. Der Bläserbund intonierte Beethoven’'s „Die Himmel -

rühmen des Ewigen Ehre“. Nah dem Gemeindegesang und der Liturgie hielt der Ober - Hofprediger D. Dryander die Weiherede; an den Gesang der Gemeinde „Großer Gott, wir loben Dich“ [Boh fd der Weihc-Aft und ein Gebet, den Schluß machte das NieFWMändische Dankgebet. Darauf seßte der Bläserbund mit der Hymne von Stadler ein, und der Zug begab sich nah dem Kapitelsaal und von dort durh den Westkreuzgang, den Zwinger und über die Zugbrüce nah dem Hofe des Mittelschlo}ses. Fanfaren vom Thurm begrüßten hier den Zug; dieser bewegte sich dann durch die St. Bartholomäus- Kapelle nah den Gastkammern, wo das Dejeuner stattfand, bei welchem der Bläserbund die Tafelmusik ausführte. Während der Tafel brahte Seiné Majestät der Kaiser und König einen Trinkspruch auf die Ritter des Johanniterordens, welchen Seine E Hoheit der Prinz Albrecht mit einem Hoch auf Seine Majestät erwiderte, und sodann einen Toast auf die fremden Gäste aus, welchen der österreichische General der Kavallerie Freiherr von Bechtolsheim mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König, Jhre Majestät die Kaiserin und Köngin und das gesammte Herrscher- haus beantwortete. Nach der Tafel wurde Cercle gehalten. Dann unternahmen Jhre Majestäten ein-n Rundgang durch die Räume des Schlosses und besichtigten dabei das Münzkabinet und die zahlreichen, von Anschüß gefertigten Photographien der Burg. Um 41/7 Uhr traten Jhre Mazestäten die Weiterreise nach Cadinen an. Auf dem Wege nah der Haltestelle an der Nogatbrücke bildeten die Schulen und Kriegervereine Spalier, die Volksmenge brach in Hochrufe aus.

Ems, 5. Juni. Seine Majestät der König von Schweden und Norwegen ist heute Abend von hier nah Stockholm abgereist.

Bayern. Seine Königliche Hoheit der Fürst Nikolaus von Montenegro ist, wie dem „W. T. B.“ berichtet wird, gestern zu längerem Kurgebrauch in Kissingen eingetroffen.

Sachsen.

Jn dem Befinden Seiner Majestät des Königs ist, wie dem „W. T. B.“ aus Dresden gemeldet wird, seit gestern eine Vershlimmerung eingetreten. Jn der vergangenen Nacht ist der Ober- Hofmarschall Graf Vißthum nach Sibyllen- ort abgereist.

Ein weiteres Telegramm besagt, Seine Majestät der König habe gestern Abend einen neuen Anfall gehabt, welcher große Herzshwäche verursachte. Der Zustand sei Besorgniß erregend.

Jn Sibyllenort ist heute früh um 6!/z Uhr folgendes Bulletin aus egedeu worden :

Befin U Miel des. Sul insofern eine

erung a 1 roteder Cs

: o l ies Anfall von gestern Abend folgte tiefer

Schlaf, der mit en Unterbrc{chungen noch jeßt andauert. gemeine Shwächegefühl ist sebr bedeutend.

Dr. Fiedler. Dr. Selle. Dr. Hoffmann.

Seine Königliche Hoheit der Prinz und Jhre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Prinzessin Friedrih August sind heute Vormittag von Dresden nah Sibyllenort abgereist. Gestern Abend kamen Jhre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Johann Georg dort an: heute früh ist auch Seine Königliche Hoheit der Prinz Georg, von Posen kommend, in Sibyllenort eingetroffen.

Auf eine in der gestrigen Sihung der Zweiten Kammer cingebrahte Jnterpellation der Abgg. Vogel und Leu- pold, in welher angefragt wird, ob die Staatsregierung den Toleranzantrag auch in der nach den bis: herigen Berathungen des Reichstages in Frage kommenden Fassung abzulehnen gedenke, crklärte der Kultus-Minister Dr. von Seydewiß, dic Negierung beabsichtige, falls der Gesehentwurf, betreffend die Freiheit der Religionsübung, in der der zweiten Lesung entisprehenden Fassung vom Reichs- tage angenommen werde, im Bundesrath sih gegen diesen Antrag zu erklären.

8 all-

Oesterreich-Ungarn.

Die österreichishe Delegation nahm in der gestrigen Plenarsitzung, wie „W. T. B.“ berichtet, den Occupations- kredit mit den Nachtragskrediten an und begann die Berathuna des Heeresordinariums. Der Reichs-Kriegs- Minister Freiherr von Krieghammer erklärte bchuss Vermeidung von Mißperständnissen seiner im Budget- auss{husse abgegebenen Erklärungen, daß die Kriegs: verwaltung bezüglich der Hauditen die einheimischen Etablissements zur Lon ert EREIESER nicht habe auf- fordern können, weil dies fostspielige Einrichtungen und Adaptierungen ter betreffenden Etablissements vorausgeseßt haben würde, welche für die Beschaffung von Haubiyenrohren im Betrage von 2 100 000 Kronen nicht rentiert hätten. Dagegen konstatierte der Minister mit Genugthuung, daß sich die Kricgs verwaltung bezüglih der Marine-, Küsten- und Festungögeschüße, welche von der inländishen Firma Skoda bezogen würden, vom Auslande vôllig emanzipiert habe. Hinsichtlich der neuen Feldgeshüte dauerten die Versuche fort, sowohl mit Bronze- rohren eigener Erzeugung als auch mit ausländishen und beimishen Stahlrohren, welche lehtere bezüglih der Güte des Materials jenen des Auslandes, wenn sie sie nit über- träfen, do gewiß gleihwerthig seien. Jn der jüngsten Zeit hätten die Skodawerke die Kriegsverwaltung zu socben ah: geschlossenen neuen Versuchen über sprengsiheren Geschüh- stahl eingeladen, welher nach den vorliegenden Akten dem besten Geschötßstahl ebenbürtig, wenn niht überlegen sei. Die Versuche würden natürlih von der Kriecgsverwaltung überprüft. Der Delegirte Abrahamowicz erklärte, die Polen würden füx die Herre ornerungen, welche die Be- völkerung schwer belasteten, niht leichten Herzens stimmen Sie bewilligien sie, weil sie ein mäctiges, starkes Oesterreich wünschten, das immer in der Lage sei, seine Politik, ohne nah irgend einer Seite schen zu müssen, so einzurichten, wie dies den öfterreichishen Jnteressen entspreche. Deshalb bewilligten die Polen

dem Reiche die moralische Kraft, die einst in der Stunde der geshichtlihen Entscheidung shwer in die Waagschale fallen werde. Der Delegirte Kaftan erklärte, der Mangel an Ent- egenkommen seitens der Kriegsverwaltung und die übergroße Belastung der Bevölkerung durch die stets steigenden Militär- lasten veranlasse die Jungczechen, gegen das Budget zu stimmen. Der Delegirte Luksh griff den Kriegs-Minister heftig an und kündigte an, seine Partei werde namentliche Abstimmung über das Budget verlangen.

Die Hörer des Polytechnikums in Lemberg wurden neuerdings in nahdrücklichster Weise aufgefordert, unverzügli die Vorlesungen zu besuchen. Sollte dies bis Dienstag nicht erfolgen, so werde der Unterricht im Polytehnikum endgültig eingestellt werden, was den Ausfall der Prüfungen und die Nichtanrehnung des E Folge haben würde.

Die Bauarbeiter und Maurer in Lemberg haben gestern früh überall die Arbeit wieder aufgenommen.

Großbritannien und JFrland.

Ueber die gestrigen Sißungen beider Häuser des Parlaments berichtet „W. T. B.“, wie folgt:

Das Oberhaus bewilligte die Dotation von 50000 Pfund für Lord Kitchener und nahm einstimmig das Dankesvotum für das Heer. an. Der Premier - Minister Lord Salisbury zollte den c ca des Heeres warme Anerkennung und fügte hinzu, mancher habe behauptet, es würde besser sein, die Mannschaften für das Heer durch Aushebung zu gewinnen; „wir find aber stets damit zufrieden gewesen, daß wir unsere Truppen durch Gründe der Vaterlandsliebe und der Ehre heran- ziehen, und haben diese Wahl niemals zu bereuen gehabt.* Lord Salisbury hob dann die Loyalität der Kolonien hervor, die England in den Stand geseßt habe, der Bde und der Bosheit aller seiner Gegner zu troßen und den Krieg zu Ende zu führen. Jn den Augen der Welt stehe England stärker da als ie, und man habe sehen können, daß, obgleich das Land ganz von Truppen entblößt ge- wesen sei, Englands Suprematie zur See und seine Stellung in der Welt genügt hätten, das Land zu \{chüßen; England sei nie stärker gewesen als in der Zeit der größten Gefahr.

Im Unterhause seßte in Beantwortung einer Anfrage der Staatssekretär für die Kolonien Chamberlain auseinander, daß die Regierung nicht allen Buren, welche durch den Krieg Verluste erlitten hätten, Ersaß und Hilfe versprohen habe, sondern die Re- gierung habe versprochen, daß denjenigen Unterstüßung gewährt werden solle, welhe nicht im stande seien, sich das zur Wieder- aufnahwe ihres Gewerbes nöthige Werkzeug anzushaffen. Die von der Regierung versprochene Unterstüßung .für die Wieder- einsezung der Leute in ihre Heimstätten solle allen in den neuen Kolonien domizilierten Unterthanen des Königs zu theil werden Der Erste Lord des Schaßzamts Balfour beantragte hierauf die Bewilligung der Dotation von 50 000 Pfund für Lord Kitchener. Er betonte die Verdienste Lord Kitchener's und sagte, es habe in der Geschichte Englands wenige Generale gegeben, die mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hätten und mit größerem Triumph aus solhen S{wierigkeiten hervorgegangen seien. Der Antrag wurde von Sir Henry Campbell Banner- man in warmen Wgorten unterstüßt, von Dillon dagegen bekämpft. William Redmond bekämpfte den Antrag eben- falls und sagte, Lord Kitchener werde in der Geschichte als ein Mann dastehen, der gegen Frauen und Kinder Krieg geführt habe. Diese Bemerkung gab zu lautem Widerspruch von feiten der Liberalen wie der Konservativen Anlaß; als Redmond weiter sprechen wollte wurde der Lärm fo groß, daß der Redner fs niht mehr verständlich

konnte. Nachdem der ungefähr 20 Minuten angedauert hatte, wurde ein Antrag auf Schluß der Debatte mit 273 gegen 138 Stimmen angenommen. Die Dotation wurde dann mit 380 gegen 24 Stimmen bewilligt; dagegen stimmten die irishen Nationalisten und einige Radikale. Als der Erste Lord des Schaßamts Balfour hier- auf beantragte, den Offizieren und Mannschaften den Dank des Hauses auszusprechen, erhoben die irischen Nationalisten lauten Lärm, was dem Sprecher Anlaß zu der Aufforderung gab, im Interesse der Rede- freibeit Unterbrehungen zu unterlassen. John NRedmond erflärte, der Larm sei von den Nationalisten erboben worden, um gegen die William Redmond zu theil ge- wordene Behandlung Einspruch zu erheben, die irishen Nationalisten seien enregishe Beshüper der NRedefreiheit. Der Erste Lord des Schaßamts Balfour fuhr hierauf in seiner Rede fort und spra sih in anerkennendster Weise über die von den Truppen bewiesene Haltung aus. Derselbe erwähnte die von den Kolonialtruppen ge- leisteten Dienste und sagte, der Krieg könne als Beispiel dafür dienen, was vom rein militärischen Standpunkte aus das britische Reich zu leisten im stande sei, wenn alle einzelnen Theile tes E überzeugt seien, daß das ganze Reich sih in großer Noth befinde. Das Dankes- votum wurde bierauf mit 382 gegen 42 Stimmen bewilligt. Au eine Anfrage bezüglih der Arbeiten der Tarifkommission in Schanghai erwiderte der Unter-Staatssckretär des Aeußern Lord Cranborne: der britishe Spezialkommissar habe am 26. Mai be richtet, daß die Verhandlungen wegen Umwandlung des Werthbzoll- Tarifs in einen \pezifishen Tarif, welche befriedigenden Fortgang gt nommen hätten, eingestellt worden seien, bis die chinesis{en Kom- mifsare detaillierte Instruktionen erhalten baben würden. Die Ver- bandlungen, betreffend Abänderungen der Handelêverträge, ginge: langsam vorwärts, doch seien einzelne Punkte von den chinesische Kommisjaren bereits angenommen worden.

Frankreich.

Der Präsident Loubet empfing gestern Vormittag, wit „W. T. B.“ meldet, den Grafen Matzukata, den frühere: Minister:Präf:denten von Japan.

Der Senator Combes ist von dem Präsidenten Loubet! mit der Neubildung des Kabinets betraut worden. Derscelke hat den Auftrag angenommen

Gestern ereignete sich in dem 1X. Bureau der Deputirten kammer, welhes mit der Prüfung der Wahlen für dai Seine-Departement beschästigt war, bei der Erörterurs von Wahlaufrufen, welche für republikanishe Kandidaten be leidigend waren, ein überaus heftiger Auftritt. Jn cinem diess Aufrufe wurde unter Hinweis auf einen Brief des früheren Kricab Ministers Marquis de Galliffet das Ministerium Waldeéck Rousseau als ein Ministerium des Auslandes bezeichnet, it dem anderen das Ministerium beschuldigt, cinen Theil de von Frau Humbert ershwindelten Millionen zu Wabl zwecken verwendet zu haben. Der konservative Abg. di Largentaye erklärte, er billige diese Wahlaufrufe vol flúándig, und rief: „Die Republikaner sind Betrüger und Ve räther; fie stehen im Solde des Auslandes!“ Sodann stick Schimpfworte gegen den Präsidenten Loubet aus. De Zwischenfall erregtie unter den radikalen Deputirten lebhaft! Erbitterung. Später kam es in den Wandelgängen de Kammer zwischen den Radikalen und Nationalisten zu scharfe Auseinandersezungen und zu Thätlichkeiten.

Rußland. Wie dem „W. T. B.“ aus St. Petersburg mi getheilt wird, haben si der Kaiser und die Kaiserin n den Eroßzfürstinnen-Töchtern gestern von Zarskoje-Sselo nes

Peterhof zum Aufenthalt in Sommerresidenz Alexandt® begeben

Ftalien.

Jn der gestrigen Sißung der Deputirtenkammer erklärte, dem „W. T. B.“ zufolge, auf eine Anfrage des Deputicten Aguglia, ob der Minister beabsichtige, gegen

ewisse Urtheile Einspruch zu erheben, eide die ‘trkischen Behörden zum Nachtheil italienisher Reichsangehöriger in Tripolis gefällt hätten, der Minister des Auswärtigen Pri- netti, er habe durch Zeitungen etwas erfahren, aber er habe bisher noch keine Reklamation oder einen Bericht der italie- nischen Konsuln in Tripolis erhalten, wodur die Nachrichten bestätigt würden. Er habe indessen einen Bericht eingefor- dert. Der Minister betonte, daß Verträge beständen, welche den Schuß Ftaliens für seine Reichsangehörigen sficherstellten, und die Regierung werde den Verträgen dem Buch- staben und Sinne nah Achtung verschaffen. Nach dieser Antwort des Ministers ergriff der Deputirte Aguglia wieder das Wort und versicherte, man habe einen Jtaliener Namens Florio verhindert, weiter als eine halbe Stunde Entfernung von der Stadt Tripolis ins Jnnere zu gehen. Der Minister des Auswärtigen Prinett i erwiderte, er habe Florio am Tage vorher gesprochen und dieser habe ihm erklärt, daß die türkischen Behörden ihm widerrathen hätten, feine Reise aus Gründen der öffentlihen Sicherheit fortzuseßen. Dies habe mit einer Mißc.chtung der Verträge nichts zu thun. Er erwarte die eingeforderten Berichte, und, wenn eine Ver- lezung der Verträge vorgekommen sei, so werde die Regierung darauf bestehen, daß sie beachtet würden.

Der Pap|t empfing gestern eine Abordnung aus den Vereinigten Staaten, welhe eine Adresse sowie cin Glückwunschschreiben des Präsidenten Roosevelt zum Papstjubiläum nebst den literarischen Arbeiten des Präsidenten überreihte. Die Kommission hat mit dem Kardinal- Staatssekretär Verhandlungen über die Lage der Mön chs- orden auf den Philippinen angeknüpft.

Schweiz.

Der Nationalrath hat, ohne daß sih Zegen Wider- \spruch erhob, die vom Bundesrath beantragte Aenderung der Verfassung angenommen, wonach der Bund dbe- rehtigt sein soll, den Kantonen zur Unterstüßung. in der Er- füllung der ihnen auf dem Gebiete der Volksschule obliegenden Pflichten Beiträge zu verabfolgen.

Niederlande.

In der Zweiten Kammer interpellierte, wie „W. T. B,“ berichtet, gestern der Abgeordnete Melchers den Minister des Aeußern wegen der gegen zwei niederländische Arbeiter Broens und Hajee als lästige Ausländer verfügten Ausweisung aus Rheine (Westfalen). Er behauptete, diese Arbeiter seien feine Sozialdemokraten und beschäftigten sich niht mit Politik. Sie scien schon seit Jahren in Rheine wohnhaft, seien als gute Arbeiter bekannt und es liege nichts gegen ihre Führung vor. Der einzige Grund für ihre Ausweisung könne darin gefunden werden, daß sie die Korrespondenz mit dem Fabrikanten Vanheek in Enschede veröffentliht hätten, welher von den Arbeitern jeiner Fabrik verlangt habe, daß sie Arbeiter, welhe in den Aus- fand getreten seien, erseßen sollten. Der Minister des Aeußern erwiderte, er kenne weder die Ee noch den Grund der Ausweisung. Jede Regierung aber habe das souveräne Recht der Ausweisung Fremder und er, der Minister, erwarte zunächst den Bericht des niederländishen Gesandten in Berlin. Die Interpellation wurde darauf bis auf weiteres vertagt.

Entgegen der gestern mitgetheilten Nachricht des Brüsseler Journals „Petit Bleu“, daß der Präsident Krüger in Utrecht ernstlich erkrankt sei, erfährt das „Reuter'she Bureau“ von wohlunterrihteter Seite, daß der Präsident Krüger si guter Gesundheit erfreue.

Türkei.

Aus Konstantinopel vom gestrigen Tage meldet das Wiener „Telegr.- Korresp.: Bureau“, daß Fuad Pascha, welher im Februar Leute gegen staatlihe Sicherheits- organe bewaffnet und andere revolutionäre Handlungen begangen hatte, vom Kriegsgeriht zu lebenslänglicher Festungshaft, zur Degradation und zum Verlust aller Orden verurtheilt worden sei. 11 Offiziere und 3 Mann seien der Mitshuld angeklagt gewesen. Ein Kaiserliches Zrade bestätige das Urtheil bezüglich Fuad Pascha's, verfüge dessen Jnternierung in Damaskus und begnadige die Mit- Ichuldigen.

Amerika.

Wie dem „W. T. B.“ aus Washington gemeldet wird,

besagt ein Schreiben des Staatssekretärs Hay an den Gouverneur von Louisiana, nichts in dem eingeforderten amtlihen Berichte beweise, daß die Engländer im Hafen von Chalmette Leute für den Krieg in Süd-Afrika angeworben hätten. Das Lager bei Chalmette sei lediglich cine Schiffs- station, nicht aber ein militärishes Lager oder ein Sammel- punkt für Kriegsoorräthe gewesen. Eine in New York eingetroffene Depesche aus Port of Spain meldet, day Salas, der Befehlshaber der venezola- nischen Armee, dort angekommen sei, nachdem er cine Nieder- lage durch die Aussiändischen erlitten habe. Leytere hätten Ciudad Bolivar cingenommen und 2000 Gewehre sowie cine Menge Munition erbeutet.

___ Die „Times“ meldet aus Peking vom gestrigen Tage, dai die britishen Truppen in Tientsin täglih Befehle für die Herabsetzung ihrer Stärkeziffern erwarteten. Wie demselben Blatte weiter berichtet wird, geht der Streit zwishen England und Rußland um die Eisen- bahnausweichstelle in Tientsin einer freundschaftlichen Beilegung durch den britischen und russischen Konsul entgegen, die beide cingewill*gt haben, den Schiedsspruch Detring's anzunehmen.

Das „Reuter'she Burcau“ meldet aus Simla vom 9. d. M, der Antrag Turner zur Zuckervorlage, welher der Negierung die Vollmacht gebe, den bestehenden Zoll auf importierten Zucker zu verdoppeln, werde, wie fast mit Sicherheit anzunehmen sei, im gesehgebenden Rathe abgelehnt werden. Da der Ueberzoll in Deutschland 25 Fr., in Oesterreich 271/; Fr. auf hundert Kilo betrage, so werde der Kompen- sationszoll in dien auf 2 Rupien 13/4 Annas bezw. 3 Rupien P/, Annas per Hundredweight (50,8 kg) festgeseßt werden. Wahrscheinlich werde cin hierauf dezügliches Geset angenommen werden.

Afrika.

Das „Reuter'she Bureau“ meldet, de Wet sei, nahdem er seine höheren Offiziere nah der Oranjekolonie entlassen habe, nah Pretoria zurückgekehrt. Die übrigen Abgeord- neten der Buren haben Vereenigung verlassen, um ihre Kom- mandos aufzulösen. Der Burengeneral Smuts sei am Dienstag Abend in Middelburg (Kapkolonie) eingetroffen und habe eine Besprehung mit dem General Fren ch gehabt.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Berichte über die gestrigen Sißzungen des Neichs- tages und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

Das Haus der Abgeordneten nahm in der heutigen (83.) Sißung, welcher der Minister des Jnnern Freiherrn von Hammerstein beiwohnte, in zweiter und dritter Berathun den Gesezentwurf, betreffend die Bildung von Ges ammtverbänden in der evangeli- \hen Kirche des Konsistorialbezirks Cassel, und in dritter Berathung die Geseßzentw ürte, betreffend die Neu- A t der Vertragsverhältnisse der Main- Neckar-Bahn und die Abänderung von Amtsgerichts- bezirken, ohne Debatte endgültig an.

Alsdann folgte die Berathung des Anirags der Abgg. Dr. Barth (fr. Vgg.) und Dr. Wiemer (fr. Volksp.), die Staatsregierung zu ersuchen, eine Abänderung des Gesezes vom 27. Juni 1860, betreffend die Feststellung der Wahl[l- bezirke für das Haus der Abgeordneten, und des Ge- seßes vom 17. Mai 1867 entsprehend den in den leßten 40 Jahren eingetretenen Verschiebungen der Bevölkerung in die Wege zu leiten.

Zur Begründung des Antrags nahm das Wort

Abg. Dr. Barth: Wir sind entschlossen, diesen Antrag Jahr für Jahr zu erneuern, bis er eine Mehrheit im Hause findet. Auf die Zustimmung der Rechten rechnen wir allerdings nicht; sie ist gegenüber den Forderungen der Gerechtigkeit immer sehr harthörig, Wir hoffen aber, daß das Zentrum unseren Wünschen eher Gehör schenken wird; denn es hat von einer Neuregelung der Wahl- eintheilung eine Einbuße von Mandaten E zu befürchten. Jn Bayern hat sh vor kurzem das dortige Abgeordnetenhaus ent- blossen, eine Reform des bayerishen Wablrehts anzu- nehmen, die auch eine Neueintheilung der Wahlkreise ein- \{ließt. Diese Neueintheilung hat daë bayerische Zentrum mit bean- tragt. In Bayern liegen aber die Verbältnisse niht annähernd so \{hlimm wie in Preußen. Die Wahlbezirkéeintheilung in Bayern beruht auf der Volkszählung von 1875, die in Preußen auf der von 1858. Das will etwas heißen gegenüber dem „elendesten aller Wablsysteme“. Dieses System is eine Quelle der allerperfidesten Wahlbeeinflussung. Wenn das Zentrum dieselbe Reform wie in Bayern bei uns beantragen wollte, so würde jedes Mitglied der Linken diesem Antrage freudig zustimmen. Um den Gegnern eiuer gerechten Wahlübung keine Handhabe zu bieten, haben wir uns auf die Reform der Eintheilung der Wahlkreise beschränkt. Seit mehr als 40 Jahren herrsht dieselbe Wahlkreiseintheilung. Die Zahl der Einwohner hat si seit dem Gesetz von 1860 um 609%/% vermehrt. Der Kreis“ Bochum:Dortmund müßte statt 3 12 Vertreter haben, Berlin statt 9 24 Vertreter, wenn auf jeden Abgeordneten 80000 Einwohner kommen. Diese Be- nahtheiligung einzelner Wabhlkreise ist ein Schlag gegen das ODreiklassenwahlfvstem selbst, nah welhem die Ver- tretung sich nah der Steuerleistung richten soll. Dabei kommt in allererjter Linie Berlin sehr \{lecht weg. Es kommt hierbei eine Unwahrhasftigkeit zum Ausdruck, welche vollständig falshe Vor- stellungen erweckt von der wirklihen Vertretuna des Volks im Par- lament. Die Majorität im Parlament deckt sich nicht entfernt mit der Majorität im Volke. Infolge dessen hat das ganze varlamen- tarishe Wesen cinen Stich ins Unwahrkaftige erhalten. Die Kon- servativen haben, seitdem sie zur Regierung gekommen sind, nicht daran gedat, das zu ändern; sie repräsentieren eben niht die Mebr- heit des Volks. So kommt es, daß das, was das Volk wirklich wünscht, hier nit durchgebt. Die Kanalvorlage wäre zweifellos bei cinem NReferendum mit großer Mehr- heit angenommen worden. So gebt es bei jeder modernen Forderung des Volks. Im Reiche sind die Dinge allerdings allmäblih auch immer s{lechter geworden. Koniy - Tuchel und ähnlihe Wahlkreise mit ctwa 15000 Einwohnern haben dieselbe Vertretung wie ein Berliner Wablkreis mit mehreren Hunderttausead Wählern. Auch Zentrumékreise des Reichstages erkennen diese Inkongruenz als cine Ungerechtigkeit an. Herr Spahn hat eine Wablreform für noth- wendig erklärt. Diese Reform ist in Preußen am allerdringlihstona, und darum dürfen wir nicht länger darauf warten. Wir sind begierig zu erfahren, ob das Zentrum seine frühere Weigerung aufrccht erbalten, der Reaktion auch fernerhin den Steigbügel balten oder für Wahrheit, Freiheit und Recht eintreten will

Abg. F rigen - Borken (Zentr.): Die allgemeine Unaufmerksam- keit wird dem Vorredner bewiesen haben, daß sein Antrag diesmal auf einen fruchtbaren Boden nit gefallen ist. Jm vorigen Jahre baben wir ausführlih die Gründe entwickelt, weshalb wir dicsem Antrage niht beitreten fönnen. Diese Gründe bestehen noch fort. Wir sind im Abgeordnetenhause ni&t auétshlaggebend, und wenn je, so ist es im gegenwärtigen Augenblick inopportun, diese Frage zu be- rühren. Das platte Land würde dadurch gegenüber den großen Städten sehr benachiheiligt werden. Der Zolltarif hat diesen Gegensay auch so vershärft, daß wir es ablehnen müssen, diesen Gegensay neu zu beleben.

Abg. von Loebell (kons): ihre Stellung wiederholt dargelegt Ausführungen der Abgg. von Heydebrand und Graf Limburg und bitte, den Antrag abzulehnen

Abg. Noelle (nul.): Es if cine Forderung ter Gerechbiigkcit ten wirthschaftlichen Verschicbungen dur cine andere Wableintheilung gerccht zu werden und die Inkongruenz nah Möglichkeit zu be- seitigen. Wir stimmen tetbalb diescm Antrage zu. Die jeyige Bezirksbiltung muß unbedingt beseitigt werden. Wir haben so aroße Wahlkreise, daß es nicht möglich ist, die Wabl in richtiger Weise vorzunehmen. Im Wahlkreise Dortmund-Behum braucht man

Meine politisGen Freunde haben Ich beziehe mich lediglich auf die

30 Stunden, um die Wabl zu Ende wu führen, wenn au nur iwci | *

Parteien sich gegenüberstehen. E

Abg. Dr. Wiemer: Wenn die Herren unserem Antrage Aufmerksamkeit nicht zuwenden, so ist das ihre Sache. Das kann uns nicht abhalten, einen Antrag zu begründen, der der Forderung der Gerechtigkeit entspricht. Die Gründe der Rechten find nicht besser geworden. Der Widerspruch des Zentrums und der Rechen ift immer \Gwäher begründet worten. Was wir beantragen, iff nur der Anfang ciner Wablreform. Wir wollen das Reichstagkwahblrecht auch für den Landtag. Der gegenwärtige Zustand ist ein Auéfluß des Sapet Macht geht vor Neht. Eine mathematishe. \hematishe Richtschnur soll die Bevölkcrungszabl auch nah unserer Meinung nicht bilden, aber sie muß mehr beräcksictigt werden, als es seßt der Fall ist, Die Städte bringen 252 Millionen an Steuern auf, das platte Land nur 127 Millionen Mark. Die Steuerleistun ter Wahlkreiteintheilung mehr

zor Geltung, fommen. Wir be- dauern, dak die Mebrhbeit ih

des Hauses aiht entshlichen fann, auf unsern Antrag einzugehen und namertlih, daß Derr Frizen sich auf einen andern Stadtpunkt tellt, als die Aeußerungen tes Abg. Spahn im Reichstage vermuthen lichen.

ibre |

der Städte und Indusiriegegenten müssen bei |

Wann soll denn unser Antrag opportun sein? Der Einwand, daß die Zeit noch nicht gekommen sei, ist immer erboben worden, er hat einen beinabe fomishen Anstrich. Thatsächlih ist doch das Zentrum in dieser Frage im Abgeordnetenhause aus\hlag- gebend. Mit seinen Stimmen und denen der Nationalliberalen hätten wir die Mehrheit. Mindestens sollten die Herren ‘dafür stimmen, daß der Antrag einer Kommission von 14 Mitgliedern über- wiesen wird, was ich hiermit beantrage. Die Haltung der Konservativen wundert uns niht. Sie sind im Besiß und glauben darum im Rechte zu sein. Aber ebenso, wie alle alten Vorrete gefallen sind, wird auch in dieser Frage der Fortschritt der Zeit sich nicht aufhalten lassen. Die preußische Ne- gierung aber hâtte allen Anlaß, mit uns zusammenzuwirken, um durch eine bessere Wahlkfreiseintheilung ihre eigenen Anschauungen zur Geltung zu bringen. Sie hat die Betheiligung an der Berathung eines Antrags der Regierungépartei abgelehnt. Ich erinnere fecner an die Opposition der Rechten in der Zukerfrage.

(Schluß des Blattes.)

Statistik und Volkswirthschaft.

Betriebswerkstätten und Gewerbeaufsicht.

Der eben erschienene Jahresberiht der sähsishen Ge- werbeaufsichtsbeamten beleuhtet an mehreren Stellen die Mi5- stände, unter denen die Arbeiterinnen der Betriebswerkstätten, welche Konfektionswaaren herstellen, zu leiden haben. Die Kaiserlihe Ver- ordnung vom 31. Mai 1897 hat hinsihtlich der charakte- ristischen Merkmale, welche zutreffen müssen, damit eire Betriebswerkstätte der Gewerbeaufsicht zu unterstellen sei, und somit über ihren Geltungsbereih überhaupt Zweifel bestehen lassen. Die „weibliche Vertrauensperson* der Gewerbeaufsiht der Kreishauptmaunn- schaft Dresden hat sich troßdem-der Beobachtung der Arbeitsverhält- nisse, wie sie in den Betriebswerkstätten sh auszebildet haben, gewidmet und berichtet nun über dieselben, wie folgt:

„Soweit diese Betriebe in der Konfektions-Industrie dur die betreffende Kaiserli&e Verordnung getroffen werden, ift die Moöglich- keit gegeben, die Arbeiterinnen unter den Schuß der §8 135 bis 139 und 139b der Gewerbeordnung zu stellen. Da die genannte Kaiferlilße Verordnung \sich jedoch lediglich auf ole Betriebe erstreckt, die „im roßen“ und auf Lager arbeiten lassen, so bleiben hiervon die Werkstätten der Damenkleider- konfeftion, welhe auf Bestellung und nah Maß arbeiten, gänzli un- berührt; die Folge davon ift eine vollständige Willkür hinsichtlich ter Arbeitszeit und der für die Mahlzeiten bestimmten Pausen. Die der weiblihen Vertrauensperson seitens der Arbeiterinnen übermiitelten Klagen und Beschwerden enthüllten Mißstände, deren Fortdauer Ge- sundheit und Sittlichkeit der in der Konfektionsbranche beschäftigten weiblichen Personen auf das Schwerste gefährden. So soll z. B. oft wochenlang bis spät in die Nacht hinein gearbeitet und den entferrt wohnenden Arbeiterinnen bierdurch die Möglichkeit genommen worden sein, ihre Wohnungen durch Vermittelung der elektrischen Bahnen ¿u erreihen. Die Folge davon ift, daß sich insbesondere die jüngeren Mädchen scheuen, den oft weiten und sehr einsamen Weg nach ihrer Behausung zu Fuß zurückzulegen, aus Furt, unsittlihßen Belästigungen oder Bedrohbungen, ausgesetzt zu fein, und es daber lieber vorzieben, die Nacht bei Bekannten zuzubringen, wo si2 häufig nur mit einer Sovba- ecke oder cinem Stuhl als Nachtlager sih begnügen müssen. Ja einem Falle follen die Arbeiterinnen unter Androhung sofortiger Entlassung sogar gezwungen worden fein, zwei Tage und eine Nacht zu arbeiten und dies ohne wesentlihe Unterbrechung. Angestellte Erörterungen cer gaben allerdings feine genügenden Anhaltépunkte für die Waßhrbe diefer Behauptungen.

| hau Berüdctsichtigt man indessen, daß die Damen kleiderkonfeftion

niht zu den eigentlihen Saîtfonbetrieben gerehne wird und daß \ich infolge dessen die Ueberarbeit auf ziemli weite Zeiträume des Jahres erstreckt, so läßt fih leiht ermessen, welchen Schaden die Arbeiterinnen durch diese fortdauernde Ueberanstrengurg an ibrer Gesundheit erleiden.

Ein weiterer Uebelstand ist die zum theil mäßigkeit im Einkalten der Mittagspause, nah deren Aussage, oft bis 3 und 4 Ubr Nachmittags vorenthalten wird. Bleichsucht, Magen- und Unterlcibsleiden sind bei dieser Er- werbstbätigkeit häufig zu beobahten. Eine Ausdehnung des Ars beiterinnenschußzes auch auf diese Betriebe erscheint daber als unab- weisbare Nothwendigkeit.“

Den vorstehenden Ausführungen fügt dann der Gewerbeinsvektor noch hinzu, daß allerdings bezüglich des Geltungsbereiches der Kaiserlichen Verordnung noch Meinungsverschiedenheiten bestehen. Die Königliche Kreishauptmannschaft vertrat bisher die Anschauung, daß für in fabriks mäßigem Umfange betriebene Konfektionägeschäfte, auch wenn dieselben nur auf Bestellung und nah Maß arbeiten, die §8 135 ff. der Gewerbeordnung, we H auf den Schuy der Arbeiterinnen beziehen, in vollem Um- fang en. Die Königliche Staatsanwaltschaft brachte dagegen in

affalle, bei welGem es sih um cine Damenschneiderwerktätte

und 56 Arbeitern und Arbeiterinnen bandelte, die acstehend wiedergegebenem Beschluß enthaltene, abweichende Auf fassung zur Geltung:

„Die ob der Betrieb einer Damenschneiderei in dem Umfange, wie er bei der beshuldigten S. vorliegt, unter die Be- stimmungen der Reihs«Gewerbeordnung als Fabrikbetrieb oder unter die Vorschriften der Bekanntmachung vom 31. Mai 1897 falle, ift nicht zweifeléfrei.

Was Fabrik ist, was nit, ist reine Thatfrage das Blatt 6b/7

it ct

. vorhandene Unregels die den Arbeiterinnen,

n 00 ÆTageC,

Im Hinblick a

1? und auf die sonstigen Ecörterungsergebnisse (eigene Mitarbeit der S., Mangel

an durhgefübrter Arbeitëthcilung) kann nicht angenommen werten, tak

bier cin Fabrikbetricb vorlicgat. Würden lediglich die in der anacführten

Entscheidung des Königlichen Oberlandesgerichts aufgestellten Erforder

nifse für ausreichend erachtet werden müssen, um {on Fabrifbetricb

anzunehmen, so ift nit einzusehen, wie der Gesetzgeber dazu kommen

sollte, noch cine besondere Verordnung, wie die vom 31. Mai 1897, u

erlafsen. Für das Anwendungsgebiet dieser Verordnung ift auss{la2z-

in, der den Worten „im Großen“ (& 1) beigeleat wird.

î Bedeuten diese Worte „in Massen“ (so Bl. 5b

nd Kammergericht 1 Deut ibe

Zeitung 1899 S. 198 Nr. 21), so ist klar, daß der Betrieb

t darunter fällt, dedeuten fie aber „in großem Umfange“

des Oberlandesgerihts XIX September S. 493 bis 496),

Anwendung der V auf den vorliegenden Fall

unterliegen.

etere Auffassung theilt die Dreêôtner Kreiébauptmannichatt.

veil sie die ungenvungensie ist und ten Intentionen des

am meisten entspricht. D n nicht reSt vec-

dei sonsi gleichen Verdältnissen Arbeiter, die,

bier, jeder cin besonders gearteies, angemessenes Kleitunasstueck

derstellen, anders und ungünstiger behandelt werten sollen. als wenn ein jeder von ibnen ein Kleitungsitülk ganz derselben Art anfertigt

Objektiv würde sonach kein Bedenken vorliegen, die S. wr Strafe

zu ziehen. Allein der subjektive Thatbestand ist nicht gedeckt. Die S.

entlzstet sich damit, daß sie davon autgegangen sei, ibr Betrieb falle

nicht unter die Destimeznngen der Gewetdeordnung und der Verordnung

m

A s Tezemder 1898

He es 57. "L 2% L 1

vom 31. Mai 1897 : ibr Ebemann habe aud. um jeden Zweifel zu be- deben, Schritte gethan, um eine Entscheidung der Oberbedörde berbei zuführen. Das ift richtig. Jst nun cine Nechtsfrage so urveifelbaft, wie die bier vorliegende, und hat der bierüuber im Unklaren sich Be- findliche seinerseits alles gethan, um die Zrreifelsfrage autukliten. so fann, da ibm nicht von zuständiger Stelle cine \heidunag in theil geworden ift, nicht davon ausgegangen werden, daß er „vorsän- lih* gehandelt hat, wenn er bei der von ihm bisher vertretenen rets» irrigen Meinung derbleibt. Die Erörterungea sind deshalb unter Kostenüternabdmc cinzuitellen.*