1880 / 255 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 29 Oct 1880 18:00:01 GMT) scan diff

wurde vorgenommen und ergab im ersten Wahlgange 325 abgegebene Stimmen ; davon waren 22 Zettel unbeschrie- ben. Von den 303 gültigen Stimmen fielen auf von Köller 276, auf Dr. Hänel 22, auf von Bennigsen 4, auf Frhr. von Heereman 1 Slimme. Hr. von Köller ist demna gewählt und nahm die Wahl mit Worten des Dankes an. (Schluß des Blattes.)

Nach einem Cirkularerlaß des Ministers des Fnnern vom 31. Juli d. J. betrug die Zahl der verwahrlosten Kinder, welche Teit dem Jnkrasttreten des Geseßes vom 13. Mörz 1878 zum Behuf der Zwangserziehung in Familien oder in Erziehungsanstalten untergebraht worden sind in den sämmtlichen Provinzen der Monarchie bis zum 1. April d. Js. 612. Es lasse sich niht annehmen, daß diese Zahl aus dem Grunde eine so geringe sei, weil es an Kin- dern fehle, die der Zwangserziehung bedürstig sind. Die Zahl der wegen Vergehen und Verbrechen zur Untersuchung gezogenen Personen jugendlichen Alters sei von 6615 im Jahre 1869 auf 13318 im Jahre1878, also in 10 Jahren um mehr als 100 Prozent gestiegen. Daneben mehrten sich in besonderem Maße diejeni- gen Uebertretungen der Strafgeseße, welhe in Rohheit der Sitten und im Mangel an Achtung vor den Geseßen und der öffentlihen Ordnung ihren Grund haben. Während der 8 Jahre von 1871 bis 1878 habe die Zahl der strasgericht- lihen Untersuhungen zugenommen, bei den Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit um 148 Prozent, wider die öffentlihe Ordnung um 67 Prozent, wider das Leben um 45, wegen Körperverleßungen um 143 Prozent. Jn einem Gefängnisse seien von den dort detinirten 836 Sträf- lingen 364, in einem anderen von 1671 Sträflingen 707, also über 42 Prozent der Gesammtzahl, wegen Körperverlezungen und Brutalitätsvergehen verurtheilt. Die Zahl der Rückfälligen in den Zuchthäusern betrage gegen 80 Prozent der Kopfzahl. Die Erkenntniß, daß hier geholfen werden müsse, brehe sich .in immer weiteren Kreisen Bahn, und ihr verdanke auch das Geseß vom 13. März 1878, be- treffend die Unterbringung verwahrloster Kinder, seine Ent- stehung, welches den öffentlihen Behörden die Befugniß gebe, überall einzushreiten, wo es darauf ankomme, Kinder, die in der Verwahrlosung leben, durch Unterbringung in recht- schaffenen Familien oder in Rettungshäusern vor der Verbrecherlaufbahn zu bewahren und sie zu nügßlichen Mitgliedern der bürgerlihen Gesellshaft zu erziehen. Die Förmlichkeiten, welche das Geseß vorschreibe, seien ohne Schwierigkeit zu erfüllen, und der Kostenpunkt sei so geregelt, daß die Unterbringung verwahrloster Kinder für die Gemeinden nicht zu einer Belastung, sondern meisthin zu einer Erleichterung in der Armenpflege führe. Troßdem sei das Gesetz bisher in so beschränktem Maße zur Anwendung ge- kommen, daß die Zahl der zur Untersuchung gezogenen Per- sonen jugendlichen Alters um mehr als das Zwanzigfache die Zahl der verwahrlosten Kinder übersteige, für deren Unter- bringung gesorgt worden sei. Das Jnstitut der Zwangs- erziehung könne zu einem Segen werden für eine große Zahl von unglücklichen Kindern und zu einem Schußmittel gegen die mit jedem Jahre steigende Fluth des Verbreherthnms. Dazu gehöre aber, daß die Polizei- und Gemeindebehörden nicht in jedem Falle abwarten, bis förmliche Unterbringuugsanträge bei ihnen gestellt werden, sondern daß sie von Amtswegen behufs Herbeiführung eines vormundschaftsgerich-lihen Be- \hlusses auf Zwangserziehung (8. 3 des Geseßes vom 13. März 1878) einschreiten, wenn und wo die geseßlichen Vorausseßungen dazu vorliegen und es darauf ankomme, verwahrloste Kinder aus der Umgebung zu wvéètlen, in“ der sie dem Laster und der Schande entgegernwachsen. Wohlwollende Privatpersonen und vor Allem die mit den Zu- ständen unter der Jugend vertrauten Geistlihen und Lehrer würden gewiß überall gern hülfreihe Hand leisten, um bei der Herbeiführung sowie bei der Einleitung der Zwangs- erziehung, wo sie Noth thue, mitzuwirken, und der Erfolg werde nicht ausbleiben, wenn die Behörden von der Befugniß, wel e das Geseg vom 13. März 1878 ihnen gewährt, in vollem Umfange Gebrauch machen. Nach den bisherigen Er- fahrungen könne der Minister niht umhin, anzunehmen, daß es vielfsah an dem erforderlihen Nachdruck und an ernster Befl'ssenheit in Anwendung der Mittel des Gescßes vom 13. März 1878 gefehlt habe, und daß die Behörden \sih nit überall der Verantwortlichkeit bewußt gewesen seien, welche sie treffe, wenn durch Verabsäumung der gebotenen Aufsicht und der gegebenen Mittel und Wege der Besserung Kinder in der Verwahrlosung verkommen, die durh Unterbringung in reht- schaffenen Familien oder in Erzichunc shäusern \sih und der bürgerlihen Gesellschaft hätten gerettet werden können. Eine erneute Hinweisung auf die große Bedeutung des Gegen- standes werde hinreichen, das volle Jnteresse für denselben an- zuregen, und den Regierungen werde bei umsihtiger Ein- wirkung auf die zunächst zur Fürsorge für die verwahrlosten Kinder verpflichteten Lokalbehörden und bei nachhaltiger An- wendung ihres Einflusses gelingen, das Geseß vom 13. März 1878 zur vollen Geltung zu bringen.

Erhält Jewand von einem Anderen einen Wesel zur Verwerthung mit dem Auftrage, den Erlös des Wechsels an ihn (den Auftraggeber) oder an einen Dritten sofort abzu: liefern, so begeht, nah einem Erkenntniß des Reichsgerichts, Feriensenats, vom 7. September d. F, der Beausftragte durch die Verwendung des Geldes in seinem Nutzen eine Unter- schlagung.

Nach §. 2 der Strafprozeßordnung können zusam- menhängende Strafsachen, welche einzeln zur Zustän- digkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, verbunden bei demjenigen Geriht anhängig gemacht werden, welhem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. Beispielsweise kann das einen Hochverrath oder Landesverrath begleitende andere Vergehen zugleich mit dem Verrath bei dem Reichs- eriht anhängig gemacht werden. Jn Bezug auf diese gesehz- iche Bestimmung hat das Reichsgericht, T. Straffenat durch Beschluß vom 20. September d. «F. ausgesprochen, daß der erste Strafsenat des Reichsgerichts, bei we chem cine Vor- untersuhung wegen Hochverraths und eines damit verbunde- nen anderen Vergehens \{webt, falls er den Beschuldigten wegen des Hochverraths außer Verfolgung sett, hinsichtlich des Vergehens die Voruntersuchung vervollständigen und die Eröffnung des Hauptverfahrens unter Bestimmung des er- kennenden Gerichts beschließen kann.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Herzoglich

Der Kaiserliche Botschaster Graf zu Mün ster ist nach

nommen.

S. M. S. „Vineta“, 19 Geschüße, Kommandant Kapitän

und ging am 6. dess. Mts. nah Chefoo in See.

S. M. Kbt. „Hyäne“, 4 Geschüße, Kommandant Kapitän- Sena von Glöden, ist am 6. August cr. in Apia ein- getroffen.

S. M. Kbt. „Fltis“, 4 Geschüße, Kommandant Kapitän- Lieutenant Klausa, traf am 19. September cr. in Singapore ein und ging am 23. dess. Mts. nah Hongkong in See.

S. M. Kbt. „Wolf“, 4 Geschüße, Kommandant Kapitän- Lieutenant Strauch, ist an 22. August cr. in Chefoo ein- getroffen.

T E Er B E R Ée

Sessen. Darmstadt, 27. Oktober. Sicherem Ver- nehmen nah wird, so meldet die „Darmst. Zig.“, Se. Königl. Hoh. der Großh erzog am nächsten Freitag einer Einladung Sr. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen entsprechend, einen Besuh in Wiesbaden abstatten.

Si nt M 4

Mecklenburg - Schwerin. Schwerin, 27. Oktober. (Lpz. Ztg.) Vorgestern ist der Fürst Hugo Windis\ch- grä ÿ mit seinem Sohne, dem Prinzen Hugo, gestern Vor- mittag der Großfürst Wladimir von Rußland und die Großfürstin Marie Paulowna in Ludwigslust ein- getroffen.

Die in den leßten Jahren mit städtishem Rechte bedachten medcklenburgishen Ortschaften Ludwigslust und Doberan treten jeßt auch in den ständishen Verband ein, um auf den Landtagen als Mitglieder der Landschaft ihre Jnteressen vertreten zu sehen. Was Ludwigslust betrifft, so ist die Aufnahme der Stadt in den ständishen Verband be- reits eine vollendete Thatsache, und der Bürgermeister wird schon auf dem in einigen Wogen zu eröffnen- den Landtage erscheinen können. Wegen der Aufnahme Doberans fanden am 22. und 23. d. M. hier Konferenzen unter dem Vorsiße des Vorstandes des Ministeriums des JZnnern, Staatsraths Dr, Wetell, statt. Wie man hört, sind die Berathungen erfolgreih gewesen, und es wird, wenn das Werk der Konferenz von den Kommittenten, d. h. vom Groß- herzoge, von den Ständen und von der Stadtvertrctung Do- berans genehmigt wird, Doberan mit dem 1. Zuli k. J. als Mitglied der Landschaft an den ständischen Rechten und Pflichten Theil haben. =*i

U Aa E ite ca f o E Ae A I S ITA T C O E A; M N S 2 I O A M N C5 6 E A B ET V I 7PM Ne v TADE C 4 As 20 Mae "äl I S

Oesterreich-Ungarn. Wien, 27. Oktober. Der Erz- herzog Albrecht ist, der „Pr.“ zufolge, mit dem Herzog von Württemberg gestern Abends in Arco angekommen. Der Minister-Präsident Graf Taaffe ist heute Morgens aus Pest hier èingetroffen. ia

29, Oktober. (W. T. B.) Der Genetalrath der österreihisch-ungarischen Bank hat die Vóörschläge der ungarischen Regierung bezüglih der Korrespondenzen der Bankanstalten mit den Behörden Ungarns, Kroatiens und Slavoniens unverändert angenommen und ferner die vorüber- gehende Erhöhung der Gesammtdotation der ungarischen Bankanstalten um drei Millionen Gulden und die Errichtung einer Banknebenstelle in Rzeszow genehmigt.

Linz, 27. Oktober. Der deutsch-konservative NPRar- teitag in Linz findet, wie man der „Pr.“ meldet, definitiv am 22, November statt.

Olmüß, 27. Oktober. Bei der Beseßung der Dom- herrenstellen hält, wie das „Mährische Tagblatt“ meldet, die Regierung die folgenden Bedingungen ein: 1) Doktorat einer öôsterreihishen Universität; 2) daß die Domherrenstellen nur dur Priester der Olmüßer Diözese beseßt werden.

Lemberg, 27, Oktober. Der hiesige Gemeinderaths- auss{uß wird dieser Tage eine Zwanziger-Kommission unter Führung des Bürgermeisters wählen, die Vorschläge zu er- statten hat, in welher Weise die Hauptstadt die Ver- mählung des Kronprinzen zu feiern hätte.

Pest, 28. Oktober. (W. T. B.) Der Aus \chuß der ungarischen Delegation berieth heute das Budget für das Ministerium des Auswärtigen. Jm Laufe der Berathung beantwortete der Minister des Auswärtigen, Baron von Haymerle, die in der Generaldebatte gestellten Anfragen und bemerkte zunächst, daß die Flottendemon stration auch ohne Theilnahme Desterreih-:Ungarns stattgefunden haben würde. ODesterreih habe sich deshalb mit der Flottendemon- stration einverstanden erklärt, unter der Bedingung, daß eine Aktion nur von der Seeseite aus erfolgen solle, das Bombar- dement Dulcignos geradezu ausgeschlossen sei, und daß die Aktion sich niht gegen die Türkei, sondern gegen die renitenten Albanesen rihte. Der Minister hob hervor, wenn nach end- liher Regelung der militärishen Bedingungen für die Ueber- gabe Dulcignos und nah dem Abzuge der Türken Montenegro nicht innerhalb einer gewissen ganz kurzen T die Beseßung des strittigen Gebie'es vorgenommen hätte, jo würde auch die Mission der Flotte faktish ein Ende gefunden haben. Die neuesten Vorschläge Englands lägen zwar vor, doch könne er sih über dieselben jeßt nicht äußern. Nur im Allgemeinen wolle er bemerken, daß die österreichish-ungarishe Regierung gegen jede Betheiligung bei irgend einer Maßregel sei, welche in ihrer weiteren Entwickelung Oesterreih-Ungarn zu irgend einer kriegerishen Aktion gegen die Pforte führen könnte. Jn Bezug auf die griehische Frage \chickte der Minister die Bemerkung voraus, daß in der Aktion der Mächte gegenüber den noch \{chwebenden orientalischen Fragen über- haupt ein etwas langsameres Tempo eintreten dürfte. Augen- blicklih handele es sih um diese Frage niht. Bindende Er- klärungen über ein weiteres Vorgehen in dieser Frage seien unzwcckmäßig. Jn Bezug auf die serbische Frage und die Donaufrage wiederholte der Minister die in .der Sitzung des Ausschusses der österreichischen Delegation abgegebenen Erklärungen und fügte bezüglih der Donaufrage nodck hinzu, daß sih die Angelegenheit in der leßten Zeit zum Be eren gewendet habe. Hoffentlih werde auch Rumänien einer besseren Einsicht Naum geben. Wenn Jemand durchden Einfluß Oesterreich- Ungarns zu gewinnen habe, so sei dies sicherlich Rumänien. Ebenso wiederholte Baron von Haymerle bezüglich der Donau - festungen seine vorgestrigen Erklärungen, Jn Betreff der

sachsen-meiningensche Staats-Minister von Giseke ist von Berlin wieder abgereist.

Zollverhandlungen mit Deutschland bemerkte der Minister, er hoffe, daß die kommerziellen Beziehungen zu

London znrückgekehrt und hat die Geschäfte wieder über- | | stellung

S. M. Kbt. „Cyclop“, 4 Geshüge, Kommandant | [Fewtert Kapitän - Lieutenant von Shuckmann I., verließ am 2. Sep- | wenn einmal ein tember cr. Shanghai und traf am 8. dess. Mts. in Chefoo ein. |

Deutschland {hon in der nächsten eit dur einen Tarif- vertrag geregelt werden dürften. Die Ansicht, daß die Macht- Oesterreih- Ungarns im Orient sich ver-

habe, fönne er s{lechterdings niht gelten es werde sich vielmehr das Gegentheil zeigen, entscheidender Moment eintreten sollte. Daß die Pforte Truppen nah Ostrumelien habe senden wollen

zur See Zirzow, traf am 3. September cr. in Nagasaki ein | und daran gehindert worden wäre, sei ihm nicht bekannt. Jm

weiteren Verlaufe der Rede erklärte dér Minister auf das Be- stimmteste, daß er den Bestand der Türkei innerhalb der von dem Berliner Vertrage vorgezeihneten Grenzen aufrichtig wünsche, und daß er auch an die Möglichkeit eines solchen Bestandes glaube, wenn nur die Pforte das für die Verwirk- lihung dieses Glaubens Erforderliche thun wolle. Bezüglich der handelspolitishen Beziehungen Oesterreih:Ungars zum DVrient, bemerkte der Minister, daß er nirgends Enttäuschungen zu entdecken vermöge. Die Diskussion wurde hierauf ge-

\chlossen.

Grsfßbritannien und Jrland. London, 29. Oktober. (W. T. B.) Die „Times“ bespricht die Lage der Regie- rung und meint: es sei kein Anzeichen dafür vorhanden, daß die Volksmassen, welhe Gladstone die bedeutende Majorität verschafften, im Allgemeinen ihre Meinung ge- ändert hätten. Jhre Begeisterung möge sich abgekühlt haben, allein ihr Vertrauen hätten sie der Regierung nicht entzogen.

(Allg. Corr.) Vom Kap der guten Hoffnung erhielt die Union Steamship - Company dur ihren Agenten in Durham eine Depesche des Jnhalts, daß die Telegraphen- verbindung zwischen genannter Stadt und der Kapkolonie unterbrochen sei, da die Landdrähte von den Basutos zerschnitten worden. Der Londoner Korrespondent des „Manchester Courier“ telegraphirte seinem Blatte am Montag Abend:

„Ich erfahre soeben, daß sehr alarmirende Nachrichten aus Natal cingelaufen sind, denen zufolge eine Anzahl Europäer, darunter ein hochstehender Beamter, von Eingeborenen in einer in einig:r Entfernung von Pietermarißburg gelegenen Ortschaft nieder- gemeßelt worden. Die in ansfehnlicer Stärke zusammevgerotteten Cingekborcnen find in offener Empörung und vollständig Her en der Situation. Sie haben arge Ausschreitungen verübt und alles ges plündert, was ihnen in die Hände kam. Verstärkungen sind anzeblih driogend erforderli. Jch werde auch unterrichtet, daß den neucsten Nachrichten z'folge die Zustände am Kap der Kolonialregierung rasch über den Kopf wachsen, und daß, wenn nicht bald eine fried- liche Wenduvrg eintritt,* Beistand aus England erforderlich sein wird.“

Frankreich. Paris, 28. Oltober. (W. T. B.) Der Ministerconseil beshloß in seiner heute Vormittag statt- gehabten Sißung, gegen den General Charette aus Anlaß der von demselben bei dem legitimistishen Banket in Roche- sur-:Yon gehaltenen Rede die gerihtlihe Verfolgung wegen des Vergehens der Aufreizung zum Bürgerkrieg ein- leiten zu lassen.

Türkei. Der „Agence Havas“ wird aus Ragusa vom 27. d. gemeldet, der türkische Abgesandte, welcher cine Proklamation, in der zur Unterwerfung aufgefordert wurde, überbrachte, sei in Dulcigno ermordet worden. Riza Pascha verhandele persönlich mit Montenegro. Die Ermordung des türkishen Abgesandten dürfte die Pforte zu energishen Maßregeln veranlassen. Die Uebergabe Dul- cignos werde vorauns\sichtlich am 1. November erfolgen. Die englische Mittelmeerflotte solle auf 18 Schiffe verstärkt werden. Demselben Blatte wird weiter berihtet: Mon- tenegro habe es abgelehnt, die Verhandlungen mit den türkischen Delegirten nah Kunia zu verlegen, Bedri Bei sei deshalb abgereist. Die Verhandlungen mit Riza Pascha würden fortgeseßt.

Bulgarien. Sofia, 28. Oktober. (W. T. B.) Die Nationalversammlung ist heute durch den Minister- Präsidenten Zancoff eröffnet worden. Jn der Thronrede spriht der Fürst d.r Nation seinen Dank aus für die ihm dargebrachten Gesinnungen der Treue, aus denen er in einem so ernsten Augenblicke erneute Kraft höpfe. Bei seiner An- wesenheit in St. Petersburg anläßlich des Ablebens der Kaiserin von Rußland habe der "Fürst neue Be- weise des lebhasten Jnteresses des Kaisers Alexander für Bulgarien erhalten. Die Thronrede betont die Sympathie und das Wohlwollen der europäischen Mächte für Bulgarien, sowie die guten Beziehungen mit den Nachbarländern, erinnert an den sympathischen Empfang des Fürsten Seitens der servishen Fürstenfamilie und des ser- bischen Volkes, in welchem eine feste Garantie für die freund- schaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Völkern desselben Stammes liege. Die gute Haltung der Truppen und der einberufenen Reservisten beweise, daß das Land auf sie rechnen kónne. Sodann kündigt die Thronrede verschiedene Gesehz- entwürfe an und empfiehlt die Prüfung der wichtigen Eisen- bahnfrage, welche mit den Lebensinteressen des Landes im ernsten Zusammenhange stehe. Die Regierung werde die hier- über stattgehabten Verhandlungen, sowie die Bulgarien auf- zuerlegenden Verpflichtungen seinerzeit bekanntgeben.

Amerika. New-York, 26. Oktober. (Allg. Corr.) Die aus Colorado eingehenden Berichte deuten an, daß die Schwierigkeit mit den Ute-Jndianern ohne Revolte bei- gelegt werden wird. Die Fndianer sind nah einer neuen, von der weißen Ansiedelung entfernten Position übergesiedelt.

Asien. Persien. (Allg. Corr.) Eine Depesche aus Teheran vom 25. ds. bestätigt die Meldung, daß die Kur- den ihren Raubzug plößlich wieder begonnen haben.

Sie umzingelten die Stadt Ürumiah und forderten dieselbe auf, binnen drei Tagen zu fapituliren. Der englische Generalkonsul, Mr. Abbes, bemüht sih eine Verlängerung der für die Kapitulation an- beraumten Frist zu erlangen, um das fürchterliche Blutvergießen ab- zuwenden, das eintreten dürfte, wenn die Stadt erstürmt wird. Timar Pascha und Ihab Pascha, sowie mehrere angesehene Khans rücken an der Spiye der Asharstämme zum Entsatze von Urumiah heran. Eine noch größere Kurdenstreitmacbt befindet sich auf der anderen Seite tes Sees in den Distrikten Sandjbulak und Maragha. Chtimah Sultanah, der Befehlcehaber der Gar- nison in Tabriz, beshoß die Verschanzungen der Kurden in Binab bei Maragha und zwanz die Rebellen, dieselben zu räumen, aber cs mangelte ißm an den nöthigen Truppen, um die dur sein Geschüßfeuer erzielten Vortheile auszubeuten, Hafsamali Khan, früher persisher Gesandter in London und Paris, ist mit Verstärkungen von Gerrus abmarschirt, wo Hishmêt Derclah, der persische Generalissimus, angekommen ift. Er hat mit der türkischen Regierung das Abkommen getroffen, daß sie dur Entsendung von Truppen aus Van mit den persischen Streitkräften gegen die Kurden operiren, Der Scheikh Abdul!ah hat sch als unabhängiger Herrscher auêrufen lassen und eine Proklamation erlassen, die eine absolute Vereinigung aller türkischen und persishen Kurden als eine Nation

unter seiner Herrschaft drtngend empfiehlt.

Ueber den Kurdenaufstand in Persien wird den „Daily News“ aus Teheran unterm 2. d. gemeldet:

„Die Kurden sollen 15 000 Mann ftark und in drei Divisionen eingetheilt sein, von denen zwei im Osten von dem See Urumiah stehen, und die dritte im Westen. Sie besitzen keine Artillerie, aber eine beträchtliche Anzahl Martinigewehre von großem Kaliber. Die erste Division befindet sich 30 Meilen von Tabriz. Die persischen Truppen bestehen gleichfalls aus drei Divisionen außer den lokalen irregulären Reitern. Die erste 2550 Mann starke Division rückt von Makor gegen Oroomiah vor; sie if ohne Artillerie. Die zweite steht zwishen Tabriz und Maragha, is 3000 Mann ftark, und hat 6 Geschüße. Die dritte aus Teheran befindet sich jeßt in der Nähe von Zenjah und besteht aus 3500 Mann mit 12 Kanonen. Tabriz ist in Gefahr; die Einwobner ergreifen Ver- theidigungsmaßregeln und verbarrikadiren die Straßen. Urumiah soll von ten Kurden dicht umzingelt sein und ist zur Uebergabe bin- nen 3 Tagen aufzefordert worden. Die Kurden verüben Mafßacres und andere Grausamkeiten, wobei die Christen besser behandelt wer- den als die Mohamedaner. Der einzige Kampf hat in Myandeab stattzefunden. Die Perser wurden theils getödtet, theils zersprengt; die Stadt fiel der Plünderung anheim, und viele Einwohner wurden niedergemetelt. Die Dörfer sind niedergebrannt werden. Die neueste Meldung von einem persishen Siege ist unbestätigt." i

(W. T. B.) Dem Reutershen Bureau wird aus Teheran, vom 28. d., berihtet: Nah Gerüchten aus Tabriz haben die Kurden unter dem Scheik Abdullah Urumiah genommen. Von dem englischen Konsul in Urumigah, Abbott, ist keine Nachricht eingegangen. Die telegraphische Verbindung nach Khoi is seit drei Tagen unterbrochen. 3000 s{l-cht bewaffnete Personen sind zur Vertheidigung von Tabriz aufgeboten worden.

Den „Daily News“ wird aus Meshed gemeldet: 20 000 Kurden unter dem Scheik Abdullah marschiren auf Tabriz zu; sie metelten die Bevölkerung von Sudschbulak nieder.

Statistische Nachrichten.

Nach Mittheilung des statistischen Bureaus der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Weche vom 17. Oktober bis inkl. 23. Oktoker cr. zur Anmeldung ge- kommen : 309 Gbeschließungen, 807 Lebendgeborene, 30 Todtgeborene und 564 Sterbefälle.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Veber die Rechtsmaterie des Güterrehtes und Erbrechtes der Eheleute nah dem brandenburgischen Provinzial- recbte dürfte den betheiligten Kreisen eine neue Publikation wohl erwünscht sein. Seit von Scholz-Herm?nsdorf seinen Entwurf eines brandenburgishen Provinzial- Geseßbuches abgefaßt hat, ist unseres Wissens keine bedeutendere Arbeit über das brandenburgische Fa- milienrecht erschienen und sind feit j-ner Zeit die Quellen desselben immer ferner gerückt. Der Text der Joachimica und des Erbschafts- ediktes und die Werke der älteren brandenburgishen Juristen wie Sweplit, Kohl, Stryk, Seyd.l u. A., welche zur Feststellung des rezipirten Rechts nicht entbehrt werden können, dürften sich nur noch im Besitze einzelner Juristen befinden und auch nur in wenigen Bibliotheken der brandenburgishen Gerichtshöfe rollständig vor- handen sein. Jn einer im Verlage von I. Gultentag (D. Colin), Berlin und Leivzig, vor Kurzem veröffentlihten Schrift hat nun der Landgerichtsdirektor L. Korn den Text der ersteren und die Aue- sprüche der Letteren ausführlich wiedergegeben und damit einem Be- dürfnisse der Praxis entsprochen. / :

In demselben Verlage erschien: „Die Schieds8manns-Ord- nung vom 29, März 1879, mit Ergänzungen und Erläuterungen herausgegeben von W. Turnau, Kammergerichts Rath“. Der Ver- fasser leitet seine Schrift mit einer instruktiven Abbandlung ein Über die Anfäi ge und Entwickelung des Schiedemanns-Junstitutes, den Charakter desselben, die Funktionen der Sciedêmänner, die Be- rathung der Schiedsmannés-ODrdnung in den beiden Häusern des Landtages, sowie über das Verhältniß der bitherigen Verordnungen zur Schiedsmanns-Ordnung und die Literalur über den behandelten Gegenstand und giebt dann den vollständigen Tert der Schiedêmanns8- O. dnung vom 29. März 1879 mit fortlaufendem Kommentar, der dem Praktiker jedenfalls von Nuyen sein wird. Ein beigefügtes Sachregister erleichtert den Gebrauch des Buches. : E

Von dem im Verlage von F. Dörner hierselb erschienenen Büchelen : Das Gast- und Scchankwirthscbastsrecht im Deutschen Reiche von Dr, B. Heßlein, Redacteur der deut- {en Gasthauszeitung, ist jeßt die dritte Auflage ausgegeben worden. Dasselbe bildet bei dem billigen Preise von 1 ein zuverlässiges Nachshlagcbuch für das betheiligte Publikum, wie für die betreffenden Beamten über die einschlägigen Gesetze uzd Verordnungen und empfiehlt sih {on durch die Thatsache, daß jeßt eine dritte Auflage nothwendig geworden ist. : S :

Berthold Auerbach schreibt gegenwärtig an einer neuen

Erzäßlung aus dem Schwarzwald, welhe den Titel „Unter Fichten“ führen soll und in seinen bei Bielefeld in Karlsruhe erscheinenden „Deutschen illustrirten Volksbüchern®“ ver- öffentlicht wird, auf welche wir bereits beim Erscheinen des ersten Heftes aufmerksam gemacht haben. Hzute liegt uns nun die zweite Lieferung dieses neuen Unternehmens vor. Dieselbe ist mit 14 fast durchzehends von Thumanns Meisterhand gezeichneten reizenden Bildern ges{mückt. Der Preis der Lieferung stellt sih auf nur 30 Pf.; das ganze Werk ift auf 30 wöchentliche Lieferungen be- rechnet. E Die Nr. 1948 der „Jllustrirten Zeitung“ (Leipzie, Verlag von J. J. Weber) enthält folgende Abbildungen: Fer- vanda Tedesca, Violinvirtuosin. Die „Ulte Liebe“ in Curhafen. Originalzeihnung von F. Lindner. Vom 2. Deutschen Schrift- stellertag. Das Fest auf der Wartburg. 2 Abbildungen, Original- zeihnungen ron Woldemar Friedrih: 1) Las Festspiel in der Sängerlaube. 2) Im großen Saal. Die Halle des neuen An- halter Bahnhofs in Berlin, entworfen von Baumeister Fr. Shwech- ten. Origiralzei@nung von G. Theuerkauf. Bilder aus St. Pe- tersburg: Einseznung des Obstes an der Spaßkikirwe. Nach ciner Zeichnung von G. VBrolirg. Bilderprobe aus dem von Gustav Dotré illustrirten Prachtwerk „Der rasende Roland“ von Ariost, über- seßt von Hermaun Kurz. Pr. Martin Luther. Faksimile nach dem von Lukas Cranach gezeichneten und von Resch ausgeführten Holzschnitt aus dem Jahre 1535. Katharina von Bora, Dr, Mar- tini Lutheri Ehefrau. Faksimile eines Sticks na einem von Lukas Cranach gezeihneten Porträt aus dem Jahre 1535, Luthers Testament. Faksimile des eigenhändig von Luther geschriebenen, im Pester National-Museum aufbewahrten Originals. Polytech- nische Mittheilungen : Neuer Schuhverschluß. 2. Fig. Badetisch für Kinder im ersten Lebensjahr. Erinnerungémedaille der Berliner Fischerci-Ausftellung. z

Kopenhagen, 27, Oktober. Das Königliche Museum für die nordischen Alterthümer hat vor einiger Zeit eine 45 Zoll hohe römische Bronze-Statuette des Jupiter erworben, die auf der Wel Fühnen beim Aus\{hachten eines Grabens gefunden worden if] Jupiter ist nackt dargestellt, mit lockigem Haar und in kämpfender

Haltung; der re{chte Arm ist gekrümmt und die Hand umsthließt den |

Donnerkeil, der linke Arm ift s{chwach gekrümmt und ausgestreckt. Der linke Fuß steht eiwas vor dem rechten, grade ausgestredtea. Die Stellung ist natürlich und frei; im Uebrigen läßt die Statuette er- kennen, daß sie aus der Zeit des Verfalls der klassishen Kunst her-

Intercsse, weil dergleichen römische Alterthümer auf der Jnsel Füh- nen sehr selten sind.

Gewerbe und Sandeï. Antwerpen, 28. Oktober. (W. T. B.) Sthluß der Woll- auktion fest; 1945 Ballen angeboten, 15€8 Ballen verkauft.

Verkehrs-Anftalten.

Triest, 28. Oktober. (W. T. B.) Der Lloyddampfer „Diana“ is heute Nachmittag aus Konstantinopel hier ein-

getroffen. Southampton, 28. Oktober. (W. T. B.) Der Dampfer

des Norddeutschen Lloyd „Neckar“ ift hier eingetroffen.

Berlin, 29, Oktober 1880.

Cöln, 29. Oktober, 1 Uhr 6 Minuten früh. (Tel.) Die englische Post vom 28. Oktober früh, planmäßig in Verviers um 8 Uhr 21 Minuten Abends, ist ausgeblieben. Grund: Der Zug von Ostende hat den Anschluß in Louvain nicht erreicht.

Von dem Grimmschen Wörterbuche (Leipzig, Verlag von

S. Hirzel) liezt nunmehr die 6. Lieferung des VI. Bandes vor.

Dieselbe is von Dr, M. Heyne bearbeitet und reiht von „Liebe-

wonniglich" bis „Lorzen“. Die in der vorhergehenden Lieferung be-

gonnene Reihe der Composita mit „Liebe“ und „lieb* seßt sh auch

noch in dieser fort. Wir finden hier u. v. a. die mit vielen Citaten

illustrirten Artikel „Liebhaber“, „liebkosen“, „lieblih“, „Liebling“

nebst den Zusammwmenseßzungen wiederum aus legterem _Worte.

Interessant i} der Pflanzenname „Liebstödel". Derselbe ist, na

Heyne, cine Umdeut|chung ron ursprünglichem Liguticam (fo ge»

heißen nach seiner Heimath Ligurien), das \{chon mittellateinish in

Levisticum, Li'isticum, Lukisticum 2c. entstellt erscheint, an welche

Formen die deutschen in großer Mannigfaltigkeit sich anschließen :

althochdeus{ch „Lubistechal“ 2c., mittelhochdeutsh : „Lübestecke“, „Lüb-

sto“ 2c., seit dem 15. Jahrhundert auf „Lieb“ bezogen: „Liebstück“, „Liebstödel“. „Licbwerth“, ein Lieblingswort Goethe's in seinen

späteren Schristen, ist heute so gut wie veraltet, „Lied“,

aitus, membrom, ahd. lit, ist heute durch Glied (Ge-lied)

erseßt; noch ein andercs „Lied“ = Deckel, ahd. hlit, ist noch in

„Augenlied“ (lid) erhalten. „Lied“, cantus, ift ahd. liod, eLicderjahn“

ist entstanden aus „liederlibcr Jahn (Johann)“. Das Wort „lieder-

lih“ {eint der leßte Nachklang eincs {on althohdeutsch seltenen, mittelhohdeutsch ausgestorbenen Substantivs hliodar, liodar zu sein, welches die Bedeutung des lauten, jubelhafsten Gebahrens gehabt haben muß; hieran anschließend wird „liederlih“ zunächst bezeichnet haben : jubelridem Treiben gemäß, fröhlich, lustig. Im 18. Jahrhun-

dert verschaffte sich sodann die Umdecutung „lüderlih“ Geltung, als ob das Wort von „Lutter“ herkäme. Es folgen dann Zusammen- seßungen mit „Lied“ (in der Bedeutung „Gesang“ und „Glied“). „Liedlohn“, welches scheinbar dazu gehört, hat nichts damit zu thun, sondern das darin enthaltene althochdeutshe „lid“ bedeutet Gang, Wanderung (womit auch „ledig“ zusammenhängt); „Liedlohn“ iit daher eigentlich der Lohn, den man einem zahlt, wenn man ihn aus seiner Stellung verabs{iedet, gehen läßt, dann im Allgemeinen Ge- sindelchn, Dienst-, Arbeitslohn (so noch heute im Alemannischen, Bayrischen, Fränkischen, in Obersachsen und Niederdeuischland). „Lieferant“, eine Bildung der kaufmännischen Sprache, wurde zuerst von Adelung verzeichnet. Jn dem Artikel „liefern“ wird die Redens- art „geliefert sein“, d. h. „verloren, dem Unglücke, Tode verfallen sein“ so erklärt: „einen licfern“ hieß soviel wie „einen Gefangenen, Verbrecher an die zuständige Obrigkeit abgeben“ (Schiller, „Räuber“ : Wer den großen Räuber lebendig liefert) zur \chweren Bestrafung. Umfangreich ist der Artikel „Liegen“. Dieses Zeitwort wird mit griechis{em 7 in 22efáuny, ih legte mich, 2705s, Bett, latei- nishem lectus zusammengesteUt. Die Schreibung „liegen“ mit deh- nendem „e“ für das miitelhocdeutshe „ligen“ ist erst im 16. Jahr- hundert aufgekommen. In der bergmännishen Sprache ist das „Liegende“ die untere Seite eines Ganges und was sich darunter befindet, im Gegensaß zum „Hangenden“. Es folgen dann u. a, die interessanten Artikcl „Liesh“ (Riedgras), „Lieles (in sehr verschieden- artiger Bedeutung), „Lieutenant“, „Lilaps*, „Lilie“ (vom lat. lilium) mit vielen Bildungen damit, „Limbel“ (Lederstrei'), „lind“ und „Linde“. Bei „lind“ heißt es: „Zusammengestellt wird lind mit lateinischem lentus und littauishem lëtas, blóde, dumm, einfältig; ob mit Recht, steht dahin. Eher möchte das littauishe slidus, glatt, blank, \{lüpfrig, als verwandt heranzuziehen und Zusammenhang von ahd. lindi mit ahd. slindan anzunehmen sein, als dessen Grundbedeutung ja tas \{lüpfen oder gleiten lassen hervortriit. Denn es \ceirt sicher, daß der eigentliche Begriff von lind sich auf den Tastsinn be- zieht; lind ift das, was sich glatt oder weich anfühlen läßt und bildet ursprünglih den Gegensay zu rauh“. Die „Linde“ (tilia) muß in engiter Beziehung zu dem Neutrum „Lind“, Bast, stehen, w'gen Verwendung der Rinde des Baumes zu Flehtwerk. Luther sagt von der Linde: „Wenn wir Reuter sehen unter den Linden halten, were es ein Zeichen des Friedes, denn unter den Linden pflegen wir zu trinken, tanzen und frölih scin, nit streiten noch ernsten, denn die Linde ist bei uns ein Friede und Freude Baum“. Welche Rolle dieser Baum bei den Minnesängern, den Lyrikern und im Volkeliede spielt, zeigen die mitgetheilten Citate. _eLinden- stadt" wird, in Ueberseßung des ursprünglich slavischen Namens, Leipzig von neueren Dichtern genannt. Dann folgt „lin- dern“ und „Lindwurm“. Das leßtere ist cine tautologische Zusammen- seßung, in welcher das {hon im Altbochdeutschen sehr jeltene eia- fache „lint“, Schlange, dur „Wurm“ in eben derselten Bedeutung crklärt wird. „Lingen“ ist heute nur noch in „gelingen“ erhalten, früher in der Formel „einem lingen lassen“, das vorwärts kommen angelegen sein lassen, etw46 zu teshleunigeu traten, nicht selten: im Verner Oberlande und in Bünden lebt noch „lingig“ für gelin- gend, fertig. „Linie“ ist dem lateinischen linea entlehnt und hat si an Stelle der einheimisben altkochdeutschen Wörter zila, reiza, rizza, spratta 2c. aus den Schreibstuben der Klöster heraus in die Sprache des gewöh-lihen Lebens Eingang verschafft; anderer- seits nahmen Schiffer und Fuhrleute das lateinishe Wort in der Bedeutung der langen Sch{nur, des dünnen Seiles- herüber, und so wird althochdeutsch „lina“, neuhochdeutsw „Leine“ ent- standen sein. Jn nicht weniger als 17 Abschnitten wird der mannigfach verschiedene Gebrauch des Wortes verzeichnet. Es felgen „lintk" und Composita. So wie das Wort im parlamen- tarischen und politischen Leben gebraucht wird, ist er aus dem französischen der Restaurationézeit übernommen, wo in den Kammern die Oppositions- partei ihre Siße zur Linken des Präsidenten wählte. Unter den Kompositen wird auch das volksthümlih spottende „Linksanwalt

(Bezeichnung eines trügerishen oder Winkeladvokaten, im Gegensaß zu „Rechtsanwalt *) aufgeführt. „Linnen“, die niederdeutsde Form jür das hocbdeutsche „Leinen“, gilt heute sogar für gewählter als das leßtere. „Linse* ist dem lateinischen lens entnommen. „Lippe“ steht als nieder- und mitteldeutshes Wort dem oberdeutschen „Lefze

gegenüber und ift erst durch Luthers Bibelüberseßung in die Schrift- sprache und so nach vnd nach auch in das Oberdeutsche gedrungen, jo daß man heute „Lefze" nur von Thieren braucht. Zahlreiche Dicbterslellen illustriren den vielfältigena Gebrauch des Worts, Die zurückweisende Interjektion „lirumlarum* is von dem Ton der Bauernleier hergenommen. „Liêmen" ift ein alemannisches Wort | für „striden“, entsprehend dem niederdeutshen „knütten“. Darauf TPLOEN D U n. Leßteres Wort i} eine Bildung zu dem gothishen Verbum leisan und bedeutet zunächst allgemein das Erfahren, Kennen oder die

stammt; dieselbe dürfte kaum älter sein als aus dem 3, Jahrs hundert n. Chr. l : ( auf cinem Wagen angebracht gewesen, in vorgebogener Stellung die angespannten Pferde lenkend. Der Fund hat um detwillen großes

Allem Anschein nah i} die Figur ursprünglich |

Kenntniß; von dem ursprünglichen Begriffe des Nachgehens, Spürens, der jenem Verbum eigen gewesen zu sein s{heint, hat sich derselbe dann ähnlich wie beim griechishen z¿é8oéoç zu dem der Forschung,

wickelt. In früherer Zeit zwiegeshlechtig gebraucht (noch bei Luther), erlangte im 17. Jahrhundert das Femininum in der Striftsprache die Alleinherrschaft. „Liste“ ift eines jener vielen Worte, die wir verstoßen haben, um fie später, nabdem sie in den romanischen Sprachen Bürgezrecht gefunden, als Fremdlinge wieder gern auf- zunehmen. Es f\ammt nämlich von dem althobdeutschen lîsta, welches einen \{chmalen, bandförmigen Streifen be- deutete (womit „Leiste“ zusammenhängt) und in der Form lista, listra ins Italienische und Portugiesische, liste ins Französische aufgenommen wurde. Aus dem JItalienishen kam es dann im 17. Jahrhundert als ein Wort der Buwhaltung in der verengten Be- deutung des fkolumnenförmigen Verzeichnisses von Personen oder Sadwen wieder in das Deutsche zurück. „Litanei“, der große Bitt- gesang der Gemeinde bei Prozessionen und in der Kirche, ift aus dem griechischen 4eraveia herübergenommen. „Lit“, Laune, Eigenart, lebt noch heute mundartlich im bayeris&en Sprachgebiet und an- grenzenden Theilen. „Liße“, Scnur, entstammt dem spanischen lizo, Aufzugsfaden, aus dem lateinischen licium und hat sich mit der maurischen Webekunst von dort in die nördlichen Länder verbreitet. „Lißenbrüder“ heißen die eine Bruderschaft bildenden Ballenbinder, Padknechte und Ablader in Hamburg und Lübeck, von den Shnüren, die sie zu ihren Verrichtungen brauchen. „Lob“ wird Mi dem Adjektiv „lieb“ als ablautend zusammengestellt. Ein turch die Tradition sanktionirter Irrthum ift es, wenn man unter dem „gelobten Lande“ das „gepriefene“ Land versteht; die bezügliche Bibelstelie aber (2. Mos. 3, 17) meint damit das Land, welches Gott „verheißen“ hat (von dem Verbum „ge- loben“). Auf einem Mißverständniß beruht wohl auch die sprüchwörtliche Redensart: „Jeder Krämer lobt seine Waare“, denn man sagte: „Wie theuer lobst du deine Waare?“ d. h. wie hoch s{hägest, wie theuer verkauft du sie? Kulturßistorisb interessant ist der Artikel „Lobetanz“. „Lobhudeln“ ift ein erft in diefem Jahrhundert auf- gekommenes Wort. Auf die zahlreichen anderen Zusammenseßungen mit „Lob“ folgt dann der Artikel „Loh“. Dieses Wort hat eine besonders paradoxe Atleitung: es hängt mit dem Verbum „luhhan“, eltohhan“ (ahd.), „li.hen“ (mhd. und nhd.), \ch{ließen, zusammen. „Liechen" aber bezeichnet nur eine besondere Art des Schließens, mehr ein Zusp-.rren durch Keil oder Balken, und gerade hiervon geht das Substantivum „Loch“ sehr bestimmt aus: cs bezeichnet zunächst einen derartigen Verschluß und dann das derartig vershlossene; noch das heutige englische lock, welches sonst das Thürschloß bedeutet, erinnert an den alten Sinn. Eine Begriffswandelung des Wortes stellt sich im hochdeutshea Sprachgebiet {hon seit alter Zeit ein, da es nur selten mehr das Mittel des Verschließens oder Sperrens, sondern vielmehr den so gesperrten Raum ausdrückt. „Loe“ und „locken“ spielen, wie die vi.lcn eingestreuten Dichterstellen bezeugen, in der Poesie ihre Rolle. Groß is auch die Zahl der Ableitungen und Zusammenseßungen. Auf diese folgt u. a. „Lode“ und „lodern“. Dieses gehört als Iterativbildung zu jenem Substantiv (in der Bedeutung „Flode“, „Zotte“) und ist voa derselten Anschauung aus gebildet, die sür das wabernde Feuer das Verbum „flocken“ gebrauchte, welches M wieder mit „flactern* berührt, „Losfel", alf „Let, HEDas Instrument zum „laffen“, s{lürfen, und wenn „Löffel“ in der Bes deutung „Narr“ als ein völlig anderes Wort angesehen werden muß, das zunächst „Laffe“ zur Vorausseßung bat, so wird jenes immerhin von Einfluß auf dieses gewesen sein, insofern sich in der Sprache allgemein das Bestreben zeigt, Shimpf-, Schelt- und Fluchworte durch Anleh- nung an ähnlich flingende unshuldiger Beutung etwas zu verhüllen. Der Löffel in seiner ältesten und einfachsten Form war hölzern, wie altnord. srânar, spônn, angels. spôn, englisch spoon auf den Begriff des Holzspahns zurückgeht. Mannicfaltig ift die sprüchwörtliche und redensartlihe Anwendung dieses Wortes. Ueber die Redensart : „über den Löffel barbiert werden" heißt es: Dorfbarbiere des vorigen und noch dieses Jahrhunderts hatten den Brauch, die eingefallenen und faltenreihen Wangen der Bauern für das Bartscheren dadurch zu glätten, daß sie an die Innenseite der Wange das Hohlrund eines Löffels führten und so die Wangen aufblähten. Die Redensart geht also von der Vorstellung aus: wie ein Bauer behan- delt werden, ohne Umstände und nicht zart, und ver- liert h dann in den Begriff des WBetrogenwerbens. „Loh“ (maëc.), Wald, Holz, das althohdeutsche l1ôch, lacus, lebt, außer als zweiter Theil zahlreiher Ortsnamen auch noch muadart- lih in der Bedeutung Busch, kleines Gehölz 2c. Das gleihfals nur noch mundartliche Femininum bedeutet eine Sumpfwiese, sumpfige Stelle. Wenn die beizende Eigenschaft des Moorwassers, das folche Sümpfe vielfah haben, den Namen bestimmte, so kommt er als näd:ster Verwandter zu dem Femininum „Lohe“ (cortex coriarius). Mit „Lohe“, wallende Gluth, in genitiver Zusammensetzung entstand „lichterloh“, eigentli „liter Lohe“. „Lohen*, „Löher“ ist eine ältere Form für „Lobgerber“. Viel Juteressantes bieten die Arlikel „Lohn“ und „lohnen“ mit ihren Derivaten und Kompositen. „Lolch“ ist das lateinische lolium. „Lö“, „Lölle“, Dummtkopf, Thor, au trâä- ger Mensch, findet sih noch im s{chweizerishen „Löhl“, in der Gegend von Falieréleben als „Lulei“, auch hängen die althohdeutschen Eigennamen Lollo, LuUo, Lullius 2c. damit zusammen, ebenso wie der Spottname „Lollhart* (vgl. „lallen“). Der e Lorbeer-Baum“, ahd. lorvaum, vom lateinischen laurus, cmpfing seiaen Namen mit Rücksicht auf die früher in Küche und Apotheke viel benußte Frucht. Der Name aber wurde shon im 16, Jahrhundert zu „Lorbeer“ gekürzt, so daß die Frucht aub den Baum bezeihnen mußte (ähnlich wie bei Maulbeere). Die zweite Silbe hat übrigens die Neigung tonlos zu werden, und darum die häufige Schreibung, namentli neuer. r Schriftsteller: „Lorber“ ; ja, es kam sogar die Form „Lorberbeere“ auf. Auf die zahlreichen Zusammenseßungen mit.,Lor“ (darunter „Loröl“, ein früher beliebtes Linderungsmittel in Fieber- und Nervenkrankheiten) und „Lorbeer“ folgen u. A. „Lorenz“ in der niederdeutshen Anwendung: der krumme Lorenz, d. i. eine Verbeugung, Reverenz; „Lori*, Koseform von Lorenz, „Lörlein“, Narr, ungesLiXter Mensh, und endlich „lortshen“ und „lorzen“, ein gewisses Bretspiel spielen, mit welchem leßteren Worte die Lieferung \chließt.

Gestern Abend verhandelte der Kongreß für Handels- geographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande über die Begründung und den Nuyten eines handelsgeographishen Museums. Als Referent fungirte Hr. Rob. Gellert. Nach der Erneanung eini- ger Chrenmitglieder erklärte der Vorsitzende Dr. Jannas die Sizun- gen dis Kongresses für geschlossen. Heute Abend 8 Uhr tretea die Mitglieder zu einem gemeinsamen Festmahl im Englischen Hause zu- fammen.

«Vega"-Erpedition

(H. Gesammtkosten der j

betragen 419 177 Kronen. Die Staatskasse hat hierzu 59 957 Kronen beigetragen, während Köniz Oétkar und die Herren Dr. O, Dikson und Sibiriakoff je 120 000 Kronen beigesteuert haben.

C) Vie

Lüttich, 28, Oktober. (W. T. B.) Unweit Her ftal sind ein Güter- und ein Personenzug zusammengestoßen. Der Personenzug wurde {wer beschädigt; 7 Personen sollen todt, eine Anzahl anderer verwundet sein. Detaillirtere Nachrichten fehlen noch.

Met, 29, Oktober. (W. T. B.) Auf der Mosel ist _ in Folge von jenseits der franzésishen Grenze niedergegangen Wolken- brüchen abermals Hochwasser eingetreten. Das Wasser hat den in den Tagen vom 22. bis 24. d. M. erreichten höchsten Stand in der vergangenen Nacht noch überschritten.

Am 6. November beginnt Hr. Hofkünstler Bellachini in der Kaisergalerie einen Cyklus von Vorstellungen auf dem Gebiete der neuesten Salon-Magie. Hr. B. ift wohl unbestritten der bedeutendste der lebenden Prestidigitateure und speziell in Berlin seit Jahren bee liebt; es wird daher seinen Vorftellungen gewiß auch dieêmal der

der Kunst und \{ließlich der Stlauheit und Täuschung weiter ent-

reiste Zuspruch von Seiten des Publikums nicht fehlen.