Puritaner in Finanzsachen, die seiner Partei immer Jnkon- sequenz vorwürfen. Der Abg. Richter sage, die Konserva- tiven seien in einer Zwangslage, und zu dem, wofür sie sich engagirt, habe man sie im Reichstage gedrängt, gegen den Widerspru seiner Partei seien 8 Millionen mehr eingestellt und nun müßte seine Partei die Konsequenzen tragen. Als * eine wundervolle Wirthschaft im Reichstage werde die Ersparniß von 80 Millionen an Matrikularbeiträgen geschildert. Aber wie seien sie erspart? Es seien Abstrihe von einem Zahr auf andere gemacht und oft seien fie im folgenden Fahre bewilligt worden, nachdem sie früher abgelehnt worden. Und wie viel Reichsvermögen sei dazu hergegeben worden! Er shäme sich nit, mit der Offenheit seines Freundes, des Abg. von Heyden, hierzu wiederholen : seine Partei betrachte auch den Steuererlaß von 14 Millionen als eine demonstrative Maßregel, als Wegweiser, und er habe guten Grund, das ganze Ver- hältniß mit gutem Gewissen zu unterstüßen und zu inau- guriren; denn er habe eben das Vertrauen zu sei- nen Freunden im Reichstag, das, was an ihnen sei einzu- seßen, um zu verwirklichen, was man hier anbahne. Der Richtershe Antrag wider)prehe dem Verwendungsgeseß, stehe auch im Widerspruch mit den bisherigen finanziellen Prinzipien der Fortschrittspartei. Betreffs der Steuerreform sei es nicht rihtig, daß nah Ansiht der Konservativen die Gewerbesteuer unberücsichtigt bleiben solle. Der erfreuliche Erfolg der deutschen Finanz-Minister in Coburg sei der, daß ein Einverständniß darüber herbeigeführt sei, daß die aller- dings nöthig erahteten neuen Steuern den Einzelstaaten zu Gute fommen und zur gänzlichen Beseitigung alter Steuern verwendet werden sollten. Demnach käme es vor Allem darauf an, welche zur Zeit bestehenden Steuern in Preußen zu be- seitigen seien, wo die Steuergravation zu erleichtern. Ab- esehen von den vier untersten Steuerstufen, die vielleicht päter zu erweitern seien, komme da zunächst eine Er- leichterung des Grundbesißes in Betraht. Was die Wir- kung des Zolltarifs betresfe, so sei doch zu konstatiren, daß derselbe das Nö:higste bewirkt habe; derselbe habe Arbeit ge- schaffen: immerhin die erste Bedingung zum Gedeihen des Volkslebens. Er komme nun zum finanziellen Klagelied. Er seße voraus, daß die 14 Millionen Mark sih durch die lau- fenden Steuerquellen auch in Zukunst decken ließen, daß die 17 Millionen, die der Militäretat mehr fordere, auhch aus den steigenden Einnahmen der bestehenden Zölle gedeckt würden. Er könne auch nicht einsehen, wie beim Militär gespart wer- den könnte. Es handele jih also in Preußen um ein Bedürfniß von ca. 40 Millionen Mark nah seiner Rech- nung, und das auf das Reih Übertragen, würde ein Bedürfniß von 75—80 Millionen an neuen Steuern, wie er hier offen ausspreche, repräsentiren. Er sei für eine prozen- tuale Börsensteuer, für Brausteuer, soweit es nöthig für Branntweinsteuer, \{ließlich für Tabaksteuer, weil er meine, daß gerade hier im preußischen Landtage das Forum sei, um für Begünstigung der armen preußischen Provinzen zu sprechen. Am 3. Juni 1880 habe die „Provinzial-Correspondenz“ p 2 a0 Dal Die Uidirelten Steue den Slaar heljen jollten ohne das Drücllende der direkten Steuern. Das Bild des Abg. Richter vom Gläubiger und Schuldner, auf Staat und Regierung angewandt, sei ein überwundener Standpunkt. Die Ziele der Konser-
vativen seien keine Phantasiegebilde, welhe über Nacht ent- standen seien, dieselben gingen vielmehr aus von einer breiten, gesunden Bewegung, und würden auch mit gesunden Mitteln
erreicht werden. Heute bildeten wunderbarer Weise thatsächlich die Konservativen die Reformpartei! Was die geschäftliche Behandlung der Vorlage betreffe, so beantrage er, die Etats der direkten und indirekten Steuern, der allgemeinen Finanz- verwaltung, der Eisenbahnverwaltung und des gesammten Extraordinariums, sowie das Etatsgeses und den Antrag Richter an die Budgetkommission zu überweisen.
Hierauf ergriff der Minister für Landwirthschaft, Do- mänen und Forsten Dr. Lucius das Wort:
Meine Herren! Wenn auch die Spezialberathungen der meinem Ressort ange hörigen Etats noh Gelegenheit geben wird, versciedene Erörterunge:: herbeizuführen, so haite ih mi doch für verpflichtet, jeßt s{on auf eiuige Aeußerungen, die im Lanfe der Generaldebatte stattgefuntcen baben und maucbe Zahlen der Aufstellung des Etats b:treffen, richtig zu stellen. Es ist zunächst von einer S:ite hezwei- felt worden, ob die Höye der eingeseßten Zahlen des Forstetats im laufenden Jahre wirkli erreiht werden würde; diese Zweifel hbe- gründe? sh insofern, als in den leßten drei Jahren die Erlöse für Holzve: kauf die etatsmäßigen Anschläge nicht erreicht haben. In der That bildct auch der Ausfall bei den Holzverkäufen in dem vorleh- ten Jahre eizen wesentlihen LTheil der Mindereinnahmen NDeLOUE C nd im Babe 1519/00 die Einnabmen aus Holzverkäufen im Etat auf 45200000 # geschäßt wor- den, während die wirklichen Einnahmen blos 41 865749 M betrugen, s ist also hier ein Ausfall von rund 34009000 A Wenn troßdem in dem Etat pro 1881/82 die Summe von 44 246 000 M aufgenommen worden ist, so gründet sh diese Annahme auf die wirklichen Erträge des laufenden Jahces. In dem Jahre 1880/81 sind bis Ende September cingegangen an Holzerlösen 43 644 919 #, während der Voranschlag sih auf 44 Millionen beziffert. Es ist also bereits dur die Einnahme der crsten 9 Monate — die aller- dings die haup1säblichsten in sich fassen — der Voranschlag erreicht und mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß er sogar überschritten werden wird, Und wenn annähernd dieselben Pretisverhältnisse für Holzverkäufe des nächsten Jahres eintreten, ist die Annahme der Zahl, welche jeßt im Etat aufgenommen ist, als eine durchaus vorsichtige und berechtigte anzuerkennen. Sie entspricht in Sonderheit kaum der Fraftion der drei Vorjahre die im übrigen diesen Etats- säßen zu Grunde gelegt wurden. Jch glaube, dieser Aufshwung in den Holzpreisen ift alierdings zum großen Theil zurückzuführen auf den langen Winter des letzten Jahres; aber au% an dem Holzhandel an sich ist ein Aufshwung im leßten Jahre bemerkbar geworden. Mir ift wenigstens bei mciner Antwoesenbheit in Danzig versichert wor- den, daß das Holzgeschäft in diesem Jahre sehr wesentlich belebter gewesen ist, wie im Vorjahre. Jch bin weit entfernt, dies unmittel- bar dem Eintritt der Wirksamkeit der Holzzölle beizumessen, sondern der wesentlihste und unmittelbarste Erklärung?grund liegt in dem erhöhten Holzbedarf in England. Aber im Allgemeinen is eine Steigerung und Besserung der Verhältnisse auch auf dem Gebiete des Holzbhandels zu konstatiren.
Es ift daun von verschiedenen Seiten, anknüpfend an die Ikßnen vorliegende Na@weisung über die Verpachtung der Domären im leßten Iabre, ein Schluß gezogcn auf den Niedergang der Landwirth- schaft und die Gewärtigung weiterer Ausfälle, Es ist unzweifelhaft, daß die Landwirthschaft fi in einer großen und langea Krisis befunden hat; allein die Nachweisung giebt Söhnen in der That kein anderes Bild von den gegenwärtigen Verhältnissen, als wie sie seit Jahren bestandea haben. Wir haben zu beklagen, daß in einer größeren Anzahl von Fällen bei Ausbietung der großen Domänen Ausfälle entstanden sind. Aber der Grund liegt darin, daß bei den Verpachtungen die Leute sih über ihr Vermögen hinaus und über den Werth der Domänen hinaus gefteigert haben. Es ift aber die Regierung keineëwegs in der Lage, dem irgendwie zu begegnen. Sie kann nicht weitergehen, als daß sie die Solvenz a1d 5: virthz
\{aftli%e Qualifikation des bietenden Reflektanten prüft und nach diesem Befunde den Zuschlag ertheilt. I glaube au nicht, daß es zulässig ist, von diesem bis jeßt befolgten Prinzip bei Ausbietungen größerer Domänen im Wesentlichen abzugehen. Jh glaube, es würde geradezu eine Shwächung und Erschütterung unserer wirth- schaftlichen Moralität sein, wenn man diesen Ueberbietungen, die ja vielleiht beim Bieten stattgefunden haben, gegen- ber eine allzugroße Milde nachträgliþ üben wollte. Ich glaube, jeder Geschäftsmann muß sich seiner eigenen Verantwortli{keit bewußt sein, wenn er irgend ein Geshäftsverhältniß eingeht; man kann es bedauern, wenn die Reflektanten über ihr Vermögen hinausgehen, aber ändern kann man es nit. Man kann aber auch ferner nicht daraus folgern, daß die in der Uebersicht konftatirten Verhältnisse einen besonderen Rückgang darstellten, ih glaube sogar das Gegentheil. Sie werden aus der Nachweisung er- sehen, daß grade in der Hêlfte der Fälle — in 17 von 34 — gegen früher ein Mehrgebot erfolgt ist; bei 17 hat ein Rückgang statt- gefunden. Jedenfalls is für diese leßtern anzunehmen, daß das frühere Gebot ein zu hohes, oder daß die Fähigkeit, den eingegangenen neuen Verpflihtungen nachzukommen, bei den betreffenden Reflek- tanten nicht nothwendig war. Jedenfalls weist die Gesammtsumme der Erlôse doch au in diesem Jahre eine Steigerung der Gesammt- einnahme um 45 000 # nah, was allerdings nit erheblich ist. Wenn wir aber auch annehmen, daß im nächsten Jahre dieselbe Er- scheinung fich wiederholt, daß zu hohe Pachtungen zurüd- gehen — wir machen diese Erfahrung sogar in der landwirthscaft- lid höchst entwidelten Provinz — wie Sachsen — fo wird troßdem durch der. Zutritt derjenigen Verpachtungen, die aus älterer Zeit in ihren Erträgen verhältnißmäßig niedrig gewesen sind, der Gesammt- erlôs derselben sich in gleicher Höhe halten oder selbst steigen. Es ist dies durcbaus keine Sanguine, sondern eine zahlenmäßig begründete An- nahme. Die Domänenerträge haben in den leßten 30 Jahren, auf den Hektar reduzirt, — also, wenn man die großen Ländereien, die abgetreten sind zu Ablösungen von Servituten, die auf den Forftetat übergegangen sind zur Aufforstung und dergl., aus\{ließt, nach einer im vergangenen Jahre festgestellten Uebersicht sich fast verdreifacbt, sie sind gestiegen voñ 13 auf 39 „G pro Hektar. Man kann also sagen, daß die Zunahme der Erträge aus den Domänen eine stetige gewesen ift, und daß wir keine Veranlassung haben, zu befürchten, BaR An in dem nächsten Etat angenommenen Ansäße irgendwie zu och sind.
Insolvent geworden in dem leßten Jahre sind nach meinen UVebersihten nur 6 Pächter, was bei einer Gesammtzahl von 1000 Domänen kein übermäßig hoher Saß ist.
Berner ist bemängelt worden, daß die Erträge der Stundungen außerordentlich gestiegen seien. Ich kann auch dies nur innerhalb gewisser Grenzen zugestehen. Es waren beim Finalabschluß des Jahres 1879/80 insgesammt gestundet worden 513 416 „6, im lehten Jahre sind hinzugekommen 95017 #, das macht etwas über 600 000 e gestundete Pachtgelder für die größeren Domänen. Wenn Sie aber diesen Stundungen gegenüber stellen die Einnahme, die sich für die großen Domänen auf 13 074 541 H beläuft, für die kleine- ren auf 4 900 000 4, so werden diese Stundungszahlen ebenfalls nicht als ein Beleg für einen weiteren Rückgang angeführt werden können, weil erfahrungsmäßig die Mehrzahl dieser Beträge nachträglich ein- kommen, und weil ich allerdings der Meinung bin, daß man auf diesem Gebiet der Stundung, unter genauer Prüfung, natürlich der individuellen Verhältnisse in der That unverschuldeten und vorüber- gehenden Noth von Pächtern in günstiger Weise beikommen und ihr abhelfen tann. Ic glaube, daß auf diesem Gebiet bisher durchaus nicht zu viel geschehen ist, aber, wie ih hoffe, auch nicht zu wenig.
Der Hr. Abg. v. Minnigerode hat hingewiesen auf die Lohn- verhältnisse in der Landwirthschaft und er hat meines Gractens mit vollklommenem Recht hervorgehoben, .daß es nicht die Frage ift, ob höhere oder niedrigere Löhne, sondern ob überhaupt Lohn over kei- ner gezahlt werde; ob überhaupt die Möglichkeit verlangt Lohn zu verdienen, oder ob diefe Möglichkeit durch das gänzliche Darnieder- liegen der Landwirthschaft ausgeschlossen ist. Jn leßterer Beziehung kann man allerdings sagen, daß eine mäßige Steigerung und Hebung des landwirthschafstliben Gewerbes vorliegt. Es würde ja auch in der That wunderbar sein, wenn dur die außerordentlichen Aufwen- dungen, die in den leßten Jahren für Hebung unseres Kommunika- tionswesens und für große Meliorationsanlagen geschehen sind, nicht eine entschiedene, wenn auch langsame Besserung zum mindesten angebahnt wäre. Daß für die Landwirthschaft noch sehr viel zu wünschen übrig bleibt, und daß das, was zu wünschen übrig bleibt, wesentlich mit auf dem Gebiete der Steuer- reformgeseßgebung liegt, darüber bin ich mit dem Hen. Abg. von Minnigerode ganz einverstanden; ih glaube auch nicht, daß grade die Landwirthschaft irgend welche Veranlassung hat, fich über die neue Steuerreformgeseßgebung, wie sie bereits vorliegt und wie sie Seitens der Staatsregierung angestellt wird, irgend zu beklagen, ih glaube im Gegentheil, daß sie ein wesentlihes Interesse hat, die Regierung dabei zu unterstüßen, daß die gleichfalls von dem Hrn. von Minnigerode berührte Frage mit Ernst und Gründlichkeit geprüft werden wird, welche fie verdient. Ueber die Frage der Reform der Brannt- weinbesteuerung sind jahrelange Erörterungen gepflogen worden, und, foweit wie ih es übersehe, kann ich auch zur Zeit noch nicht sagen, daß alle die Bedenken, die einer Erhöhung der Branntwein- steuer an sich entgegenstehen, zur Zeit ohne Weiteres gehoben sind. Diese Fragen werden noch studirt, und werden noþ nicht in aller Kürze, nob nicht im Laufe dieses Winters zum Abschluß kommen, dessen bin ih bei der Schwierigkeit der Frage wohl gewiß. Wenn es so einfa wäre, daß man lediglich durch Uebergang zur Fahrikat- steuer der Sache beikommen könnte, um domit dem Staate große Erträge zuzuführen ohne die Landwirthschaft zu \{hädigen, so könnte man ja nicht zweifelhaft darüber, was zu theuer würde, sein. Das ist eben nicht der Fall, sondern bis jeßt sind alle Versuche, die Fabrikatsteuer einzuführen, soweit ich übersehe, gescheitert, fie sind gescheitert in erster Linie mit an der Schwierigkeit richtiger Kontrol- apparate, Oesterreich hat es versucht, die Fabrikatsteuer einzuführen, und hat es wieder aufgegeben, in Nvßland ist metnes Wissens der Versuch gemacbt, er hat aber nit zum Abs{luß geführt. Also ift diese Frage nicht gelöst, und wenn sie gelöst wäre, so würden alle diese großen Schwierigkeiten hervortreten, die in der großen Verschiedenheit der Produktionsverhältnisse der Monarchie in den einzelnen Provinzen liegen, an die si jeßt die Landwirthschaft in der Form der Maisch- steuer gewöhnt hat, und unter welcher unser Land einen außerordent- lih großen Aufshwung genommen hat. Noch im letzten Jahre hat Bayern unser Steuersystem bei sich im wesentlichen acceptirt, und aus diesem einfachen Faktum, glaube ih, wird man \chon \{lußfol- gern können, daß es nicht so leiht ist, eine Aenderung, eine Besse- rung dieses Systems herbeizuführen, sicher nicht so leiht, wie ein Theil der Presse sih die Frage maht. Jh kann also nur wieder- holen, daß diese Frage als eine für das Gedeihen der Landwirthschaft fundamentale, mit besonderer Vorsicht anzufassen sein wird, und wenn sie gelôst ist, so wäre zu erstreben, daß blos der Spiritus, welcher für den Konsum in den Verkehr übergeht, die höhere Besteuerung tragen wird; dies wäre sicherlich die wlnshen8wertheste Lösung des ganzen vorliegenden Steuerproblems.
Bieine Herren! Es hat im Laufe der Diskussion dieFrage der Ge- treidezölle, die Frage der diesjährigen Ernte eine erhebliche Rolle gespielt, und auch der Abg. Frhr. von Minnigerode hat auf mi provozirt, über das dietjährige Ernteergebniß womöglich cine Erklärung abzu- geben. Es sind zur Zeit die Ermittlungen insofern abges{lossen, also zu einem verhältnißmäßig sehr frühen Zeitraum, als durch landwirthscaftlihe Vereine der sämmtlichen Provinzen, wie ich glaube, recht zuverlässige Angaben eingegangen sind über das Ergebniß der dieëjährigen Ernte. Daß auch diese im wesentlihen Schätzungs- angaben sind, muß ich allerdings zugeben und insofern diese Zahlen mit Vorsicht mittheilen, mit der jede solche statistishe Ermittelung gegeben werden muß. Allein ic glaube, die Zahlen sind ungefähr jo zuverlässig, wie die amtliche Statistik überhaupt, auf die wir uns biéher gestützt haben. Jch kann zu meiner Genugthuung konstatiren, dß die Befürchtungen auf cine Mißernte durchaus nicht zutrcffen,
sondern daß die leßten Ernteergebnisse eine Mittelernte in vielen Provinzen nit nur erreiben, sondern sogar übersteigen.
Es ift allerdings ein Manko vorhanden — ich werde mir einige Zahlen naher noch mitzutheilen erlauben — in der Roggenernte aber auch dieses nur in bestimmten Regierungsbezirken. In Summa ist aber das Gesammtergebniß der Roggenernte ein erheblich höheres, als im Jahre 1879. Wenn man also die hohen Getreide- preise, die hohen Roggenpreise jeßt ansieht, so erklärt sich das ein- fach und naturgemäß aus den Ernteerträgen des Jahres 1879, wo eine sehr niedrige Roggenernte stattgefunden hat und des Jahres 1889. Es find also alle Sclußfolgerungen und Demonstrationen, als seien die Steigerungen des Rogaenpreises bedingt dur eine Veränderung “der Wirthscaftspolitik oder die Einführung der Ges treidezölle absolut unzutreffend. Die Preissteigerung ift eingetreten, obwohl wir in diesem Jahre eine Roggenernte haben , die wesentlich höher ift als im vorigen Jahre, sie is eingetreten, weil wir ein Defizit vom Jahre 1879 gehabt haben; und zweitens, weil die Haupt- roggenländer, und das ist für uns hauptsächlich Rußland, in sehr ausgedehntem Maße eine Mißernte gehabt haben. Also ist nit die künstlihe Verminderung des Imports der Grund, was zu der Argu- mentation passen würde, daß die Preissteigerung eine Folge des Getreides zolls wäre, sondern eine Folge der ganz naturgemäßen Konjunkturen, die sich einstellen in Folge von \{lech{ten Ernten. Jn jedem Falle ift durch die Produktion für den heimishen Konsum gesorgt, ja die Preissteigerung ist infofern indiferent, als der große Prozent- saß der ländlichen Bevölkerung, der ih auf 60 Prozent und mehr der gesammten Bevölkerung beläuft, den Roggen überhaupt in na- tura produzirt, welchen er genießt. Also für Jeden, der den selbst- gebauten Roggen konsumirt, ist die Preissteigerung überhaupt eine imaginäre, während sie nicht imaginär ift für Diejenigen, und das sind nicht allein die Großgrundbesitzer, sondern der ganze kleine Be- siverstand, der einen Uebershuß von Getreide produzirt und verkauft, für die ift die Preissteigerung eine für ihre finanziellen Verhältnifse jedenfalls förderlihe. Meine Herren, nah den vorliegenden Ernte- berihten — ih werde mir übrigens erlauben, dieselben vervielfältigen zu lassen, die Zusammenstellung is ausgearbeitet worden auf dem Statistishen Bureau, die Drucklegung wird im Laufe dieser Woche vollendet werden, bei dem großen Interesse aber, welche die Sache bat und mit welhem besonders in diesem Jahre die Ernteresultate verfolgt worden sind, halte ich es allerdings für zweckmäßig, die Resultate, soweit sie \{chon vorliegen, gleich hier zu geben. Also na den vorliegenden Erntetabellen — ih beschränke mich nur auf die Hauptfrüchte, indem ih die Winter- und Sommerspezies bei Weizen, Roggen und Gerste in eine Zahl zusammenfasse, weil diese zweite Fruchternte ja nur einen verhältnißmäßig kleinen Prozentsaß der Fruchtgattungen über- haupt bilden — also an Weizen sind geerntet worden im Jahre 1878 15 629 631 Doppelzentner — i gebe die Zahlen in Doppel- centnern —, im Jahre 1879 nur 12756 232, im Jahre 1880 sind 16 766 706 Doppelzentner geerntet worden. Es ist also in diesem Jahre gegen das Vorjahr eine Steigerung von 4010 474 Doppels zentner beim Weizen konstatirt, und arbaunt ist zu konstatiren, daß, wenn man eine Mittelernte, wie es jeßt geschieht, auf 16 307 631 für Preußen annimmt, so is selbst der Ertrag einer Mittelernte in diesera Jahre in Bezug auf Weizen überschritten. In Bezug auf Roggen sind im Jahre 1878 51 060 206 Doppel- zentner geerntet worden, 1879 is der Ertrag heruntergegangen bis auf 38924 779, also ein sehr erheblihes Manko; 1880 ift er wieder gestiegen auf 45515895, also um 6591116. Troßz- dem erreicht allerdings die diesjährige Ernte weder die Ernte von 1878 noch überhaupt eine Mittelernte, die man für Deutschland auf 98 284 555 Zentner annimmt. Der Ertrag, der für den Konsum minder wichtiger Nahrungsmittel, für Gerste, beziffert sich im Jahre 1878 auf 13 430743, im Jahre 1879 auf 10 459 420, 1880 auf 14412267, alfo eine Steigerung um 3 952 847 gegen das Vorjahr, die eine Mittelernte zu 13 967 602 angenommen um 444 665 über- steigt. Noch erheblicher “ist die Steigerung beim Hafer. An Hafer wurden im Jahre 1878 33 954825, im Jahre 1879 25 767 587 Doppelzentner geerntet, im Jahre 1880 36 837 475, also eine Stet- gerung fast um 50 °/0. In Bezug auf Kartoffeln — diese Ernte ist allerdings insofern noch nit zum vollständigen Abschluß gelangt, als sie nuoch nit in allen Landestheilen beendet ist und werde vielleicht noch einige Schädigungen durch ungünstige Witterung erfahren können — die Kartoffelernte würde unter günstigen Witterurgsverhältnissen im Herbst eine überaus günstige gewesen sein. Es sind im Jahre 1878 geerntet worden 171 548 021 Doppelzentner, im Jahre 1879 nur 119 667 411, im Jahre 1880 dagegen 178 805 473 Doppelzentner, also eine Ernte, die eine recht gute darstellt, und die des Vorjahres sehr erheblich um 59 138 062 Doppelzentner übersteigt. Die Roggen- ernte hat ein geringeres Ergebniß als im Vorjahre in den Regie- rungsbezirken Marienwerder, Berlin, Potsdam, Frankfurt a./O., Bromberg, Liegniß, Münster und Cöln; sämmtliche anderen Regie- rungs8bezirke haben eine höhere Grnte wie im Vorjahre, zum Theil übersteigt sie dieselbe um 50 und mehr Prozent. Ich glaube also, daß dieses Ernteergebniß ein solches ist, daß ein Grund zu irgend welchen Nothstandsbefürhtungen nit vorliegt, wenigstens nicht in höherem Maße, als in jedem Jahre in einzelnen Theilen der Mon- archie der Fall ist. E
Ich glaube mit dem Gesagten die Etatszahlen, die Ihnen vor- liegen, einigermaßen gerechtfertigt und motivirt zu haben, und auch motivirt zu haben, daß in diesem Augenblick weaigstens keine weitere Depression der Landwirthschast zu konftatiren ist, sondern eher eine Wendung zum Besseren.
Jch kann aber nicht s{ließen, ohne eine persönlihe Bemerkung zu machen gegen den Hrn. Abg. Richter.
Der Hr. Abg. Richter hat in seiner neulichen Rede eine frühere Rede, die ih im Reichstage gehalten habe, zitirt; er hat sie niht vollständig zitirt und hat fih auf meine Rechnung um eine Heiter- keit des Hauses bereichert. Jch werde mir erlauben, den Wortlaut meiner damaligen Bemerkung, die er zitirt hat, zu verlesen, und ich glaube, es wird daraus hervorgehen, daß ih in keinem Punkte in einem Widerspruch mit meinen früheren Aeußerungen gerathen bin, sondern im Gegentheil, daß die Regierung genau das eingelöst hat, was sie in einem früheren Falle versprochen hat, auf welchen sich meine damalige Erklärung bezog. |
Ich habe also im Reichstage am 10. Mai 1878 bei Gelegenheit der Berathung über das Tabaksfteucrgesey, d. h. über das Gesetz, welches bestimmt war, die Tabaksenquete vorzubereiten, indem ich widersprach, daß es berechtigt sei, der Regierung Mangel an bona fides zuzutrauen, wenn sie die Mittel zu Erleichterungen bei den direkten Steuern fordere, Folgendes gesagt:
Ich meine, wenn der Hecr Reichskanzler am 22, Februar erklärt hat, daß die Grträge, welche gewonnen werden, aus einer neuen Steuer benutzt werden zur Beseitigung der Matrikularbeiträge, und daß hinwiederum diese Beträge, die sih auf 50 Millionen Mark für dea Staat Preußen belaufen, und von einem geistes- kranken Ministerium zu etwas anderen bestimmt werden könnten, als zum Nachlaß an direkten Steuern oder zur Uebertragung von Steuerbeträgen an Kommunen, so meine i, liegt in solchen Ver- sicherungen doch auch eine gewisse Garantie und ih habe die Meinung, es ist unmögli, sih einfach ungläubig dagegen zu ver- halte, wenn ein Minister — in diesem Falle der Herr Reichskanzler — : — mit der Genehmigung seines Souveräns hier derartige Er- klärungen abgiebt. Es is doch in der That nicht möglih, daß der preußische Minister-Präsident im preußischen Abgeordneten- Bau desavouiren wollte, was er hier als Reichskanzler er- ärt hat,
Gine Pointe liegt doch nur dayn vor, wenn ein Widerspru zwisden dem jeßigen Verhalten des Ministeriums, dem ih also an- gehöre, und meinen damaligen Aeußerungen läge. Das gerade Gegentheil ist der Fall, das Ministerium ist fast weiter gegangen, als es verpflichtet war zu gehen. : l S
Der Abg. Richter hat dann über mich in einer Versammlung in Erfurt eine Aeußerung gethan, auf die zu antworten ich keine
Veranlassung und auch \{werlich das Ret haben dürfte, aber ic Tonftatire hier, daß mit dem, was jeßt durch die Vorlage desselben geschieht, indem die Regierung einen Steuererlaß an den direkten Steuern über 14 Millionen proponirt, sie damit lediglih ihr früher gegebenes Wort einlöst und zwar in einer Weise, die weiter geht, als vielleiht eine ganz vorsihtige Budgethandlung erlaubt. Es ist also der Regierung niht Mangel an bona fides vorzuwerfen, sondern im Gegentheil anzuerkennen, daß sie das früber gegebene Wort in der loyalsten Weise eingelöst hat, und die Regierung kann nach diesem Vorgange, nachdem das e s madgeses die konstitutionel- len Rechte des Abgeordnetenhauses vollkommen ficher stellt, allerdings das Vertrauen im Lande und in der Landesvertretung beanspruchen, daß sie, wenn sie sagt, unser Weg geht bei der weiteren Steuerreform darauf hinaus, durch Steigerung der indirekten Einnahmen eine Ermäßigung der direkten Steuern herbeizuführen, — i sage, daß fie dann Glauben findet, weil sie ihre Worte dur die That belegt hat.
Wenn der Abg. Richter damals in der Erfurter Versammlung noch eine ganze Reibe von persönlichen Jnsinuationen geäußert hat, die er, glaube ih, \sich {euen würde, in diesem Hause zu wieder- holen (hört! höôrt! rechte, Abg. Richter: Jeden Augenblick !), fo würde ich auch kaum in der Lage sein, in parlamentarisher Weise darauf zu antworten. J kann ihn nur auf das hinweisen, was ih bei einer früheren Gelegenheit in meiner Eigenschaft als Abgeordneter auf ähnliche Angriffe geantwortet habe; es giebt Angriffe von einer Natur, auf die zu antworten ein Gentleman verschmäht, auch wenn ec nit Minister ift.
Der Abg. von Benda erklärte im Namen seiner politischen Freunde, daß seine Partei sich dem aufgestellten Programm nicht verschließe, aber der Meinung sei, daß man die Entwickelung der Finanzreform erst abwarten sollte, ehe man sich zur Bewilligung neuer Steuern entschließe. Er halte es sodann nicht blos im Jnteresse der Regierung, sondern auch der Landesvertretung für geboten, die mittel- baren Verheißungen so bald wie möglih in Erfüllung gehen u lassen, aber er habe nicht vorausgeseßt, daß man sich ent- \hließen würde, Steuererlässe aus Anleihen zu machen. Sollte sich herausstellen, daß ein Gleichgewicht zwischen Ein- nahmen und Ausgaben nicht vorhanden Fei, so würde er für einen Steuererlaß nur dann stimmen, wenn auf dieses Gleichgewicht in der nächsten Zeit mit Sicherheit gerechnet werden könne. Der Finanz-Minister habe in dieser Be- ziehung die größte Zuversicht, aber ex (Redner) konstatire, daß der Minister sich nur in allgemeinen Betrachtungen bewegt habe; freilich hätten diejenigen Herren, welche denselben zu widerlegen gesucht hätten, das gleiche gethan. Die Zeit, um die Wirkungen des neuen Zollgeseßes beur- theilen zu können, halte er noch für viel zu kurz und die vor- liegenden Urtheile widersprächen fih. Wenn er nun auf das dem Hause vorgelegte Material sehe, so müsse er dem Abg. Rickert darin Recht geben, daß der Abschluß pro 1879/80 herzlih schlecht sei; dagegen weise das erste Semester des aufenden Etatsjahres einen wesentlichen Fortschritt sowohl im Forstetat als im Bergwerks- und im Eisenbahnetat nah. Auch die Einwände, welche von Seiten der Abgg. Rickert und Richter mit Bezug auf die unzureichende Dotirung der Erneuerungs- fonds erhoben worden seien, bedürften einer schr vorsichtigen Beurtheilung. Schon die bestimmten Angaben des Eisenbahn- Ministers hätten dies bewiesen. Auch in früheren Jahren sei ein ähnliher Vorwurf gegen die Regierung aufgetauht, der jedoch bei sorgfältiger Prüfung in der Budgetkommission \ih als völlig unbegründet herausgestellt habe. Das Haus möge also auch diesmal der Budgetkommission vertrauensvoll die Prüfung überlassen. Der Antrag des Abg. Richter sei jeden- falls verfrüht, denn derselbe seße niht blos die Wahrschein- lichkeit, sondern die Gewißheit einer wirthschaftlihen Besserung voraus. Ohne eine sichere Grundlage sei dieser Schluß sehr bedenklih, denn wenn man jeßt den Steuererlaß dauernd feststelle, so komme man, wenn man sich in seinen Er- wartungen geirrt habe, in die üble Lage, entweder neue Steuern bewilligen oder Anleihen aufnehmen zu müssen. Die Hoffnung, daß eine solhe Zwangslage zu einer Herabminderung der Militärausgaben nöthigen würde, halte er für sehr unbegründet. Troß der heftigen Angriffe der Abgg. Richter und Rickert müsse er erklären, daß die Grundlagen der preußischen Finanzverwaltung noch felsenfest und unerschüttert ständen.
preußischen Finanzwirthschaft, zum großen Theile trage aber die leidenschaftlihe Agitation gegen die Zollgeseßgebung die Schuld hieran. Aus den vorangegangenen lebhaften Debatten werde die Budgetkommission Veranlassung nehmen, mit dop- peltem Fleiß, Eifer und Gewissenhasftigkeit an die ihr über- tragene Arbeit zu gehen.
Der Abg. Hobrecht erklärte, er habe sich eigentlich nicht |
zum Worte melden wollen, doch müsse er dem Abg. von Minnigerode entgegnen, daß er sih nicht s{heue, das, was er
für recht halte, hier überall offen auszusprechen, und so er- | Tläre er denn, daß, wenn er sich an die Stelle des Finanz: |
Ministers verseße, er die Verantwortung für diesen Steuer- erlaß nit würde übernommen haben. Er gestehe, daß er am allerwenigsten erwartet hätte, daß eine solche Gesinnung, eine
solche Auffassung, noh dazu, wenn man sie aus Rücksicht auf |
die allgemeine Lage nicht ausspreche, gerade in der konserva- tiven Partei auf Widerspruch stoßen würde. Er habe geglaubt, erade in der konservativen Partei müßte die Auffassung be- ehen, daß aus finanzwirthschaftlihen Rücksichten der Erlaß nicht gerechtfertigt sei, eine Begründung desselben habe er vom Abg. von Minnigerode nicht gehört. Er bedauere, daß solche Gesinnungen in der konservativen Partei herrschten und daß solche Wahlsignale gegeben würden; freilich habe die konser-
vative Partei es damit {hon auf 107 Mitglieder gebracht und |
käme vielleiht bald durch solche Reklame auf die goldene 110. Den Steuercrlaß könne er aus folgenden Gründen nicht be- fürworten. Man habe den Steuerlaß begründen wollen dur die gesteigerten Mehreinnahmen aus dem Reich und dur die
eregelten Ausgaben in Preußen, die diesen Erlaß ermöglichten, |
r glaube aber gar nicht, daß Preußen vom Reich wirklich Geld überwiesen erhalten werde, Beträge, die der Reichstag arbiträr aus den neuen Zöllen herausgerechnet habe; diejer Ertrag habe cxklusive Tabaks- steuer circa 70 Millionen Mark Ueberschuß betragen, betreffs des Tabaks habe die Regierung selbst einen sehr geringen Ertrag angenommen, nämlich 40 Millionen Mark, d. h. einige zwanzig Millionen Mark Uebershuß über die frühere Ein- nahme; das seien also im Ganzen präter propter 100 Millio-
ne nen Mark Mehreinnahme; nun seien etwa 50 Millionen Mark |
über die Voranschläge zu erwarten, das Reih habe aber erklärt, es wolle den Einzelstaaten zurüczahlen, was es über 110 Millionen Mark einnähme, denn so viel ge- brauche es selbst; also, von diesem geringen Uebershuß wolle man für PreußenZ 14 Millionen Steuern erlassen? Wenu das Haus also auf diese Rehnung einen Erlaß gründen wolle, so müsse es auf Mehrbewilligungen ih gefaßt machen,
: Auch er bedauere freilih den | Mangel an Stetigkeit und die beständige Unruhe in der |
Er erinnere das Haus an die |
Der zweite Grund für den Steuererlaß habe in der verbef}ser- ten Finanzlage des Staates gelegen, es sei ja nun möglich, und er glaube au, daß derartiges in Preußen eintreten könne, aber vorläufig sei es noch nicht der Fall, der vorliegende Etat wenigstens zeige nihts davon und was in einer Reihe von Jahren vielleiht eintreten werde, darüber könne man do niht jeßt {on disponiren; vom volkswirthschaftlichen, also vom Standpunkt der Vorsicht sei der Erlaß von Steuern zu verwerfen ; dieselben Bedenken habe er natürli noch dringen- der gegen den Antrag des Abg. Richter zu machen. Er habe nie gesagt, daß die Uebershüsse in den Einnahmen zu Steuer- erlassen zu verwenden seien. Er würde Alles, was er früher geaen, verleugnen müssen, wollte er sagen, daß er der [nsicht sei, der dem Antrag zu Grunde liegende Gedanke sei rihtig; es sei vielmehr dringende Veranlassung vorhanden, für stärkere Einnahmen für die Zukunft zu sorgen. Er sei für die Erleichterung der direkten Steuer dur Erhöhung der indirekten, aber er wolle auch hier wie früher die festen Gren- zen festgestellt haben und das müsse man abwarten. Wenn das Haus jeßt ein Gese zu Stande bringen sollte, welches bestimme, daß jeder Pfennig neuer Reichssteuern zum Erlaß eines Pfen- nigs direkter Steuern verwendet werden solle — nebenbei ein sehr unvorsihhtiges Geseß — so gebe er zu, daß nach einer Nich- tung hin die Zweifel und Bedenken beseitigt seien. Der Reichs- tag sei außer Stande, über eine demselben vorgelegte Reichs- steuer ein gewissenhaftes Urtheil abzugeben , ohne zuglei zu prüfen, ob die Art der Verwendung nah Ueberzeugung des Reichstags auch die richtige sei; aber auch dies Haus sei zu derselben Prüfung genöthigt. Es sei kein Einziger in diesem Hause , der die Ermäßigung der direkten Steuern für so un- erbittlih halte, um fast jede beliebige Reichssteuer in den Kauf zu nehmen. Die Schwierigkeit bestehe nah wie vor darin, daß zwei Körperschaften über die einzelnen Theile desselben Werkes selbständig und unabhängig von einander beschließen sollten und keine Mittel hätten , zusammen zu kommen und sich zu verständigen. Die Lösung der Schwierig- keiten liege darin, daß innerhalb der Regierung ein und dieselbe verantwortliche Person dem Reichstage wie dem Land- tage gegenüberstehe, ein und dieselbe Person , die lebendig an den Verhandlungen beider Körperschaften theilnehme, die aber auch in der Lage sei, mit der verfassungsmäßigen Macht eine zustimmende oder ablehnende Erklärung so ab- geben zu können, daß man wisse, sie sei verbindlich und wirk- sam, eine Person, die so ganz den Gegenstand beherrsche, daß sie Besorgnisse zerstreuen und Fragen, die an sie gerichtet würden, beantworten könne. Er wolle die Homogenität des nisteriums nicht bezweifeln; aber man könne doch dem Reichskanzler nit zumuthen, daß derselbe neben seinen vielen anderen Aufgaben auch diese shwere Funktion noch hinzu- nehmen solle. Man habe auch kein Recht dazu , eine Verfassungsänderung dahin zu verlangen, daß ein selbst- ständiger verantwortlicher eihs - Finanz - Minister dem Reichstage gegenüvertreten solle, der natürlih zuglei preußischer Finanz-Minister sein müßte. Ex wisse nicht, ob es möglich wäre, für diesen besonderen eine solche Stellung vorübergehend zu schaffen. Aber solle das Werk gründlich und befriedigend gelingen, sei etwas der- artiges nöthig; ohne eine solhe Verbindung befinde man sich auf einer s{hwankenden, unsiheren Basis, man könne die Wirkung der Beschlüsse im Abgeordnetenhause und im Reichs- tag nicht mit voller Klarheit übersehen ; man sei gedrängt und getrieben, diplomatische Wahrscheinlichkeitsberehnungen anzu- stellen und das politische Leben der Nation würde durch die Fortdauer dieses unsicheren Zustandes geschädigt. Hicrauf nahm der Finanz-Minister Bitter das Wort. Meine Herren! Jch bin dem Hrn. Abg. Hobrecht sehr dankbar für die Bestimmtheit, und ih kann auch sagen für die Form, in der er seine Nichtübereinstimmung mit dem Verlangen der Regierung ausgesprochen hat, nah welchem ein Steuererlaß von 14 MiUtonen bewilligt werden soll. Er wird, glaube id, mir und der Staats- regierung die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß wir alle die Be- denken, die er seinerseits vorher ausgesprochen und zum Theil in Zahlen dargelegt hat, uns auch vergegenwärtigt haben, und wenn nichtsdestoweniger die Regierung zu dem Ents&luß gekommen ist, diesen Steuererlaß in Vorschlag zu bringen, so darf er si überzeugt halten, daß die Regierung die Verantwortlichkeit nicht blos für diesen Vorscblag, sondern auch für die Vorausseßung über- nimmt, daß dieser Steuererlaß, soweit irgend absehbar, dauernd werde bewilligt werden können. Jch beabsichtige nicht, auf die Ein- zelheiten der Zahlen einzugehen, welhe theils genannt \ind, theils do nur auf einer unsiheren Basis beruhen. Jh möchte do aber an eins erinnern. Der Hr. Abg. Hobreht hat erklärt, daß er von diesem Plate aus wiederholt und beftimmt darauf aufmerksam emacht habe, daß die Erträge der Reichssteuern, soweit sie an Preu- Sen gelangen, vorzugsweise im Interesse des Landes, zu denjenigen Zab- lungen verwendet werden sollen, die das Land in seiner fortschreiten- den Entwicklung verlangen müsse. Jh kann das ja nur als eine Thatsache anerkennen, die gar nicht zu bestreiten ist. Wenn aber daraus die Folgerung gezogen wird, daß die Staatsregierung nun- mehr vielleiht wohl das Recht, wie es vorhin ausgedrückt ist, nicht aber eine gewisse Pfliht habe, mit der Steuererleichterung vorzu- gehen, dann muß ih doch sagen, stehe ih auf einem anderen Stand- punkte. Wenn ich in dieser Frage damals die Ueberzeuguna hätte haben müfsen, daß noch auf lange Jahre hinaus von einer Steuer- ermäßigung nicht die Rede sein könne, daß vielmehr alle Ueberschüsse, die das Reih an Preußen etwa abgeben möchte, immer nur Ver- wendung finden würden im Junteresse der Verwaltung des Landes und der fortschreitenden Entwicklung desselben, dann würde ich meiner- seits auch darauf gedrungen haben, daß im Gesetz und in den Re- | folutionen nach keiner Seite hin die StenerortiMiatne in Aut sicht gestellt würde. Denn, meine Herren, sobald man die Steuer- ermäßigung in Verbindung mit den Reichsmitteln in solhe Aussicht stellen wollte, gab man, nah meiner Auffassung wenigstens und na der Auffassung der Königlichen Staatsregierung, der Nation das Ret, zu verlangen, daß nun auch an Steuermäßigungen gedacht werde. Es ist meine Ueberzeugung, daß der Moment dazu schr wohl gegeben war in der Etatlage und in den allgemeinen Verhältnissen des Lan- des, und ih bleibe bei meiner Auffassung, daß die Bewilligung dieses Steuererlasses nicht blos im Interefse des Landes sei, fondern daß sie auc in ihrer unmittelbaren Verbindung mit derselben, auch wenn eine bindende Verpflichtung für die Regierung nicht ausgesprochen ift, erwartet werden dürfte. Jh kann dem Hrn. Abg. Hobrecht auch | nit auf den Weg folgen, welcher vorausseßen läßt, daß gewisser- maßen die preußische Landesvertretung in ihrer Stellung ganz ohne Fühlung und ohne Verbindung mit dem Reichstag sein werde. Eine sehr große Anzahl der Herren Mitglieder dieser hohen Versammlung sind gleichzeitig Mitglieder des Reichstags. Wie der Reichstag in | dieser Frage entscheiden wird, is hier gar nicht zu dis- kutiren, Wenn Hr. Hobrecht aber verlangt, daß disselbe Person, die diese Fragen hier zu vertreten hat, sie auch | im Reichstag vertrete, so würde da allerdings vorher eine Verfassungsveränderung vorgehen müssen, welhe doch ihre sehr große Schwierigkeit haben dürfte. Wenn man meint, daß eine solche Ver- ! fassungsänderung ad hoe stattfinden könne, so würde dies vielleicht doch als ein sehr bedenklihes Manöver betrachtet werden müssen. I würde meinerseits zu einer solchen Verfassungsveränderung um “ fo weniger rathen können, als das Reih in seinem Schaßamt die
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verantwortliche Behörde für seine Finanzverhältnisse befißt, und als wenigstens bis jeßt der Reichskanzler die einzig dem Reichs- tage verantwortlide Person i. Zhm sind alle Reichs- vorstände unmittelbar verantwortlih und die Verantworilikeit vor dem Lande und dem Träger der Reichsgewalt ift ihm bis jeßt, wenig- stens formell, allein überwiesen. Es kann also auf diese Frage, wie Sie Alle wohl anerkennen werden, hier nit eingegangen werden.
Der Hr. Abg. v. Hüne hat vorher seine Rede damit ges{lofen, daß er den Wuns aus\prach, das Haus möge den Antrag der Re- ferung auf Steuererlaß entweder einstimmig annehmen oder ein- timmig ablehnen. Jch kann nur anerkennen, daß dieser Wunsch ein sehr berechtigter ift, und ib hege nah wie vor die Ueberzeugung, daß, wenn das hohe Haus den Steuererlaß au nicht einstimmig annimmt, es ihn doch mit sehr großer Majorität bewilligen wird. Das ift die Hoffnung, die ih habe, die Hoffnung, in der ich mich auf dem
oden befinde, von dem aus der Steuererlaß überhaupt in Vor- \{lag gebracht ift.
Hierauf wurde die Debatte geshlo\sen. Es folgte eine Reihe persönlicher Bemerkungen. ge)GtoN folg „_ Der Abg. Richter bemerkte, der Minister Lucius habe ihm zunächst den Vorwurf gemacht, daß er seine (des Mini- S Aeußerung vom 10. Mai 1878 unvollständig wieder- gegeben habe. Er (Redner) habe aber dasselbe vorgelesen, was der Minister vorgelesen. Er habe dem Minister nicht einen Widerspruch vorgehalten, sondern umgekehrt wörtlich bemerkt, daß derselbe sich in Konsequenz und unter dem Drucke seiner damaligen Aeußerung: „nur ein geisteskrankes Ministerium könne die Ersparnisse an Matrikularbeiträgen anders verwenden“, jeßt wenigstens partiell, nachdem eine solche Ersparniß von 34 Millionen Mark eingetreten, sich zu einem Erlaß von 14 Millionen Mark verstanden habe. Während er (Redner) nun derart eine parlamentarische Aeußerung des Ministers zum Gegenstande einer Be- merkung gemaht habe und um dem Hause selbst ein Urtheil über das Zutreffende seiner Bemerkung zu ermöglichen, seine damalige Aeußerung wörtlih vorgelesen habe, so habe sih der Minister nicht anders zu revanchiren gewußt, als daß derselbe über eine von ihm außerhalb des Hauses gehaltene Rede, welche er übrigens jeder Zeit vertreten werde, die aber dem Hause nicht vorliege — die Rede hake namentlich die seit 1875 vollzogene Umwandlung des Ministers vom radikalen R d zum Schußzöllner pointirt — in einem wegwer- enden Urtheil an das Haus appellirt, ohne das Haus durch die geringste inhaltlihe Mittheilung in den Stand zu seßen, sih über das Unzutreffende der Bemerkung des Mini- sters selbst ein Urtheil zu bilden. Die Gentlemen, welche thm bisher vom Ministertische oder aus dem Hause entgegen- getreten seien, hätten es nicht für angemessen erachtet, zu ihrer Vertheidigung ein solches, der ganzen parlamentarischen Sitte widersprechendes Verfahren einzuschlagen.
Der Abg. Freiherr von Minnigerode bedauerte aufrichtig, wenn durch seine Aeußerungen, die nur ganz nebenbei ge- fallen seien, der Abg. Hobrecht Grund gehabt habe, eine Em- pfindlic;keit darüber zu empfinden. Er habe nach seiner Auf- fassung nichts weiter gethan, als daß er auf Grund einer Zeitungsnotiz etwas ausgesprochen habe, was später der Mi- nister bestätigt habe, nämlich seinen Widerspruch gegen die 14 Mil- lionen Steuererlaß, und er habe auch keinen Grund, gegen den Abg. Hobrecht empfindlih zu sein. Wenn der Abg. Hobrecht dann, wie er annehmen dürfe, von ihm und seinen politischen Freunden gesagt habe, seine Partei hätte es bald zur goldnen Hundertzehn gebracht, so brauche er nur zu erklären, daß seine Partei niht handele und daß sie nur auf den Mann, nicht auf das Kleid sehe.
d Aan nahm der Staats - Minister Dr. Lucius das ort:
Ich habe Anstand genommen, mich zu einer persönlichen Be-
merkung zu melden, weil mir bekannt ist, daß dadurch die Diskussion wieder eröffnet ist, ih will aber in der That nur cine kurze persôn- liche Bemerkung machen, zu der mich die leßten Aeußerungen des Herrn Abgeordneten verpflichten. __ Der stenographische Bericht über die Rede des Hrn. Abg. Richter liegt noch nicht vor, was mir allerdings auffällig ift, ich habe also so citirt, wie ih ben Hrn. Abg. Nichter hier verstanden habe, und darnach hat er den zweiten Saß nit vorgelesen, den ic heute vor- gelesen habe; ich kann mich nur auf mein eigenes Gedächtniß dabei verlassen, ich habe den zweiten Saß nicht von ihm damals ge- hört, worin ih gesagt habe, „es wäre eine Unmögli(hkeit, daß der preußishe Minister - Präsident das desavouire, was er als Reichskanzler im Reichstag gesprochen habe“, und das ift ein sehr wesentlicher Punkt in meiner Ausführung ge- wesen. Was die weiteren Ausführungen von thm betrifft, so möchte ih nur ihm gegenüber konstatiren, daß ih ein enragirter Freihändler meines Wissens nie gewesen bin. JIch bin wie wahrs- sceinlich die meisten gleihaltrigen Personen in Freihaundelstheorien aufgewacbsen, auf deutshen Hochschulen gab es damais gar keine anderen Theorien; in meinem parlamentarishen Wirken aber habe ih mi immer als Finanzzöllner bekannt und in verschiedenen Reden, die der Hr. Abg. Richter auc citirt hat, anderwärts auédrücklich be- merkt, daß einmal es sehr s{chwierig sei, zwishen Finanzzöllen und zwishen Schußzöllen zu differenziren, daß die meisten Finanzzölle in der Regel auch als Schuyßzölle wirken; ih habe dabei sogar den Kaffeezoll genannt als Schutzoll für Cichorien und außerdem hinzu- gefeßt, was ih auch nachweisen kann, daß es mir durchaus nicht unangenehm sei, wenn ein Finanzzoll {Üüßend für die heimiscke Fn- dustrie wirke. J bin also au in dieser Beziehung durchaus nit in Widerspruch zu meinem früheren Verhalten getreten.
Auf die übrigen Bemerkungen habe ich keine Veranlassung ein- zugehen.
Das Haus {loß hierauf von Neuem die dur die Rede des Ministers wieder eröffnete Diskussion.
Es folgten noch weitere persönlihe Bemerkungen.
Der Abg. Rickert erwiderte dem Abg. von Minnigerode, daß, was seine Bemerkung über seine Steuerbelastung betreffe, es sich um Kreis- und Ortskommunalsteuern handele. Bezüg- lih seiner Aeußerung über die „schöne Wirthschaft“ auf den Kreistagen bemerke er, daß er dieselbe gerade mit Rücksicht auf den Abg. von Minnigerode sofort gegen jede Mißdeutung dahin esihert habe, daß er dieselbe niht in Bezug auf die Per- Cie. sondern bezüglich der künftigen Reform habe verstanden wissen wollen. Er verstehe nicht, wie troy dieser sofortigen Richtigstellung der Abg. von Minnigerode jene Aeußerung heut doch anders habe auslegen können.
Der Abg. Richter bemerkte, er habe den Zettel, wona er die Aeußerung des Ministers von 1878 am Freitage ver- lesen, noch vor sich liegen (Redner verlas die Stelle und be- merkte, daß dieselbe Alles enthalte, worauf es ankomme). Nach- dem der Minister selbst hier seine Beziehung zum Freihandel s) Sprache gebracht — er selbst hätte dazu keine Veranlas- ung gehabt — habe er doch zwei Thatsahen zur Be- urtheilung des Ministers zu konstatiren. Erstens habe der Nane des Ministers Lucius im Jahre 1870 unter einem Aufrufe für Freihandel und freihändle- rishe Agitationen des Herrn Prince-Smith gestanden während er (Redner) damals die Unterzeihnung tie es Aufrufes ab