1924 / 248 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 20 Oct 1924 18:00:01 GMT) scan diff

în beg auf die Verfügung über die öffentlichen Wohnungsbaumittel n ßch birgt. Jch bitte das hohe Haus noch einmal dringend, hier eine Nachprüfung vorzunehmen.

Die Verhältnisse auf dem haben sich in den leßten Wochen leicht gebessert. Der Pfandbrief- absaß hat sich gehoben, wenn auhch in bescheidenen Grenzen. Das Sparkapital sucht also diese Kapitalsanlage wieder auf, troß der \chlechten Erfahrungen der Jnflationszeit. Tatsächlich sind auch die Goldpfandbriefe bei zeitgemäßer Verzinsung heute mit die sicherste Kapitalsanlage für die sparenden Schichten unseres Volkes. Die Hypothekenbanken geben allerdings das ihnen aus dem Pfandbrief - absaß zufließende Kapital nur sehr vorsichtig und in beschränktem Umfange auf städtishe und vorstädtishe Wohnungsbauten. Sie be- vorzugen vielmehr die landwirtscaftlide und Jndustriebeleibung und Hypotheken auf andere bevorzugte Objekte, Lurusvillen und dergleichen. Hier zeigt es sih, wie wichtig die Errichtung der Preußi- schen Landespfandbriefanstalt gewesen ist, die vorbildlih und zurzeit in lebhaftem Geschäft die Wohnunganeubauten an Klein- nd Mittelhäusern fördert. Sie betätigt sich damit als ein wichtiger Negulator im Hypothekengeschäft, wofür sie auh bei ihrer Gründung n Aussicht genommen war. Auch für die Zukunft wird ihr jede mögliche staatliche Förderung zuteil werden müssen. Jhr Betrieds- ‘apital ist noch s{wach, und Reserven hat sie noch kaum bilden fönnen. Anderseits reicht der staatliche Zwischenkreditfonds nicht entfernt an die tatsählihen Bedürfnisse heran. Hier gilt es vecht- zeitig mit staatlihen Mitteln einzuspringen. (Abgeordneter Meyer [Solingen]: Deshalb haben wir den Antrag gestellt!) Durchaus mnerkennenswert, Herr Kollege Meyer.

Auch die Stadt schaften arbeiten verdienstlih in denjenigen Provinzen, wo sole gegründet sind. )

Aber auch sie leiden empfindlich untér dem Mangel an Betriebs- fapital. Ihnen aus dieser Lage herauszuhelfen; ist freilich nicht Sache des Staates, sondern Aufgabe der Provinzen. Der Staat ist geseßlich zwar dazu berufen, die Gründung von Staädktschaften zu fördern. Jst die Gründung vollzogen, so sind die betreffenden Anstalten, sobald sie nicht selbs vorwärtékommen können, auf die Stüßung durch ihre Garaniieverbände, die Provinzen, angewiesen. Hter kann aber den Gemeinden, in deren Bezirken sich Stadtschaften betätigen, nur dringend empfohlen werden, ihre Aufmerksamkeit diesem hohen, wirt- schaftlich wichtigen Zwecke zuzuwenden. Einen staatlichen Druck auf die privaten Hypothekenbanken auszuüben, dahingehend, sich in stärkerem Maße in den Dienst der Aufgaben der Verwaltungsressorts zu stellen, halte ih im Augenbli, wo die Banken schwer darum fämpfen, sih den in der Irflationszeit ohne ihr Verschulden ver- sorengegangenen Fundus wieder aufzubauen, nicht für ratsam. Jmmer- hin sind die Kredite, die die Hypothekenbanken jeßt vorzugsweise anderen volfêwirtschaftlihen Zwecken zuleiten, der -Gesamtheit von Nußen. Die Staatsregierung wird zu géeigneter Zeit, wenn die Hypothekenbanken, was mit Sicherheit zu erwarten ist, demnächst wieder festen Boden unter den Füßen haben werden, eine stärkere Berücksichtigung derjenigen Zwecke fördern, die bei normaler Wirt- ‘haftêlage zu verfolgen die eigentlibe Aufgabe der Hypothekenbanken ift. Sogenannte zweite Hypotheken sind heute überhaupt nicht zu haben, weder von Banken, noch von anderen Kreditanstalten, noh aus Privatband. Die Hypothekenaktienbanken dürfen ohnehin auf Brund des Hypothekenbankgeseßes nur erste Stellen beleihen; ander- eits geben die öffentlih-rechbtlihen Realkreditanstalten, soweit fie nach ihrer Sabung auch die zweite Stelle finangieren dürfen, nur bei besonders günstigen Objekten Darlehen, die über die normale Grenze einer ersten Hypothek hinausreihen. Diese Zurückhaltung kann bei den beutigen Verhältnissen auf dem Baumarkt, insbesondere bei der Schwierigkeit, einwandfreie Grundstükstaren zu gewinnen, wie ander- seits im Hinblick auf die ihnen aus dem Pfandbriefabsaß nur be- schränkt zufließenden Gesamtimittel nur gutgeheißen werden. Die zweite Stelle wird deshalb bis auf weiteres mit der Hauszinssteuer- Hypothek und aus eigenen Mitteln des Bauherrn zu finanzieren sein.

Was nun die Wohnungszwangswirischaft anbetrifft, so ist die Frage ihrer Beibehaltung gerade in den leßtèn Monaten in der breitesten Oeffentlichkeit eingehend und nachdrücklih erörtert worden. In der Presse ist bereits für die allernähste Zeit die völlige Auf- hebung der Wohnungszwangswirtschaft in Aussicht gestellt und da- dur in die Mieterkreise die größte Beunruhigung hineingetragen wörden. (Sehr richtig! links.) Aus diesem Grunde halte ich es für meine Pflicht, bei meinen Ausführungen gleich zu betonen, daß ih an eine völlige Beseitigung oder auh nur an eine weitgehende Locke- rung der Wohnungszwangswirtschaft so lange nicht denken kann, als die Nackfrage na Wohnungen gegenüber dem Angebot in einem so augen Mißverbältnis steht, wie es zurzeit bedauerlicherweise, be- sonders in den ditbevölkerten Teilen Preußens, noch der Fall ist. (Abg. Ladendorff: Dann können Sie die Wohnungszwangäwirtschaft überhaupt nie aufheben!) Herr Ladendorff, Sie gestatten, daß ih darüber anderer Ansicht bin. (Abg. Ladendorff: Das gestatte ih!) Das ist schr nett von Ihnen. Anderseits bin ih durchaus bereit, eine allmählihe Loderung der Wohnungszwangswirtschaft auf einzelnen Gebieten vorzunehmen, soweit ih sie unter Berücksichtigung der all- gemeinen wirtscbaftlihen Lage für vertretbar halte. Jch glaube vor allem, in Vebereinstimmung mit der Reichsregierung und den Regie- rungen der übrigen Länder, für eine Aufhebung der Bewirtschaftung móöblierter Näume, soweit sie an Einzelpersonen vermietet sind, in denjenigen Gemeinden eintreten zu können, wo, z. B. wie jeht in Berlin, das Angebot die Nachfrage erheblich überstekgt. Damit wird den Wohnungsämtern eine weitere Aufgabe genommen.

Seit langem bin ich der Auffassung, daß bei den Wohnungs- ämtlern es versucht werden müß, sogleih mit der Einschränkung der Aufgaben eine verständige Verminderung des Personals, insbesondere unter Aus\schaltung m?nderwertiger Kräfte, in erhöhtem Maße durth- zuführen, Jch habe deshalb bereits durch Erlaß vom 4. März 1924 die Gemeindebehörden angewiesen, mit allem Nachdruck bei dem durch die Finanznot gebotenen allgemeinen Personalabbau ganz besonders auf einen entschiedenen Abbau der von ihnen eingerihteten Wohnungs- ämter bedacht zu sein und diesen Abbau, zum mindesten entsprechend der Verminderuag der von den Wohnungsämtern zu erledigenden Ge- schäfte, mit tunlihster Beschleunigung zu betreiben. Nah den mir zugegangenen Berichten der Regierungspräsidenten hat auch überall ein Abbau stattgefunden, und zwar in den meisten Orten bis zu 40 und 5% Prozent. Dem weiteren Abbau und der Tätigkeit der Wohnungsämter überhaupt werde ih auch in Zukunft mein besonderes Interesse zuwenden.

A1s wichtigsten Teil der Wohnungszwangswirtschaft sehe ih den Mieterschuy an. (Sehr richtig!) Ob es zweckmäßig und son heute angebracht erscheint, das Mietershuggeseß in einzelnen, nicht

Nealkreditmarkt

grundlegenden Bestimmungen abzuändern, i eine Frage, die augen- blicklich bei den zuständigen Stellen erörtert wird. Angebot und Nachfrage müssen, ebenso wie bei der Raumbverteilung, fo auch bet der Mietpreisgestaitung für Wohn- und Geschäftsräume berücksichtigt werden. Gerade der von mir vor einem Jahre gemachte Ver]uch der völligen Herausnahme der reinen Geschäfts- und Industriehäuser aus der Zwangsmiete hat gezeigt, daß eine solche jedenfalls zurzeit auch von den wirtschaftlichen Jnteressenkreisen noch nicht getragen werden fann. (Sehr richtig !) 7 Selbstverständlich muß die geseglihe Miete den Bedürfnissen nach ordnungémäßiger Instandhaltung der Häuser, soweit es die allgemeine wirtschaftliche Lage irgendwie gestattet, Nechnung iragen. Fch verkenne nicht, daß der \{ledte baulihe Zustand der Häuser durchaus nicht immer dem bösen Willen der Hausbesißer zuzuschreiben ist. Das Bauverbot während des Krieges und die Schwierigkeiten der Materialbeschaffung, ferner au die jegliße Bewirtschaftung auf weitere Sicht verhindernde Jnflation machte es bis zum leßten Jahre außerordentlich schwierig, erheblihe notwendige Reparaturen auszu- führen. (Sehr richtig!) Es ist deshalb alsbald nach der Stabilisierung der Währung mein Hauptbestreben gewesen, dem Hausbesitzer, foweit wie irgend von der Allgemeinheit traghar, diejenigen Mittel an Hand zu geben, die ihm eine ordnungsmäßige Instandhaltung seines Haufes ermöglichen. Zwar hatte ih bereits, um der fortschreitenden Kaufkraftentwertung der Papiermark Rechnung zu tragen, dur Grlaß vom 9. Juli 1923 die Gemeinden ermächtigt, die Zuschläge für laufende und große Instandsezungsarbeiten zur Grundmiete jeweilig in dem Vérhältnis allmonatlich zu erhöhen, wie sich der Tarifstundenlohn eines Maurers (Vollarbeiter über 19 Jahre) in dem für die Gemeinde în Frage kommenden Tarifgebiete seit der leßten Fest)lezung der Mietzuschläge erhöht hatte. Leider aber wurde auch diese Maßnahme im Herbst 1923 durh den kfatastrophalen Sturz der Mark ihrer prafktischen Auswirkung beraubt. Eine dauernde Regelung konnte ich erst nach Stabilisierung der Währung im Januar dieses Jahres schaffen. Ih habe dann auh durch Erlaß vom 12. Januar 1924 für alle Gemeinden Preußens eine gleihmäßige geseßzlihe Miete in der Weise festgeseßt, daß zu der leider damals mit Rücksiht auf das NMeichsgeseßp noch nicht zu eliminierenden Papiermarkgrund- miete nunmehr „sogenannte Goldzushläge für Verwaltung und Zinssteigerung, für laufende Instandhaltung und Betriebskosten traten. Dieses System der Mietzinsbildung, das auf dem Neichs- mietengesey beruhte, zwang zu einer weitesten Zulassung von Umlagen, um den. Hauswirt in denjenigen Gemeinden, die unverhältnismäßig Hohe Betriebskosten forderten, schadlos zu halten. Mein Bestreben nach Vereinfachung der Berechnung- der geseßzlihen Miete konnte ih endlich im April d. J. verwirklichen, nachdem mir durch die inzwischen erlassene Dritte Neichssteuer- notverordnung die Möglichkeit einer Aenderung des Meichsmieten- geseßes hinsihtlih der Meietzinsbildung von Landes wegen er- möglicht war. Die nux noch formale, prafktisch völlig über- holte Papiermarkgrundmiete wurde beseitigt und die geseßliche Miete nunmehr lediglich in ein Verhältnis zur reinen Friedensmiete gesezt. Während bis zum 1. Juli hierbei die einzelnen Bestandz teile der Miete nebeneinander tin einem bestimmten Hundertsaßz der Friedensmiete festgestellt wurden, is mit diesem Verfahren vom 1. Juli d. J. ab im Interesse der weiteren Vereinfachung gebrochen worden und die geseßliche Miete nunmehr wieder für ganz Preußen in einem einzigen bestimmten Hundersaß der Friedensmiete festgeseßt worden, indem neben den Kosten für die Verwaltung, dein Zinsendienft, den laufenden Instandsetzungsarbeiten und den Betriebskosten auch die großen Instandseßungsarbeiten berüksihtigt worden sind. Das Ver: fahren der Sondexfestsezung eines Zuschlags zur Beschaffung von Mitteln zur Verzinsung und Tilgung für große Instandsezungs- arbeiten dur das Mietseinigungsamt ist beseitigt worden, weil dieses sich in der Praxis nicht bewährt und vielfach nur unnötige Kosten verursacht hat. (Sehr gut! links.) Weiter habe ih, ausgehend von dem Grundsatze, daß in der Friedensmiete sämtlihe \teuerlihe Belastungen enthalten waren, auch die Hauszinssteuer in den einheitlichen Mietjatz mit aufgenommen, so daß nunmehr au das Umlageverfahren für die staatliche Hauszinssteuer, wie es bis zum 1. Juli bestand, in Fortfall gekommen ist. Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände und insbesondere in dem Bestreben, dem Hausbesitzer die für die Jn- standseßzung notwendigen Mittel, soweit sie von der Allgemeinheit irgendwie tragbar sind, in steigenden Maße zu gewähren, habe ih am 1. Juli den einheitlichen Mietsay auf 62 vH der reinen Friedensmiete festgeseßt. (Abg. Ladendorf: Einschließlih der Hauszinssteuer ? Einschließlich der Hauszinssteuer. In _ diesem Satz sind vor allem die Kosten für Instandhaltung mit etwa 19 und diejenigen für die damalige staatlihe Hauszinssteuer mit etwa 18 % in An- rechnung gebracht worden. Eine Umlagemöglichkeit habe ich nur noch ausnahmsweise da zugelassen, wo örtlihe Verhältnisse es unbedingt geboten. Das gilt von dem bekanntlich nicht von allen Gemeinden gleichmäßig erhobenen besonderen Gemeindezuschlag zur Grundver- mögenssteuer und dem weiter zulässigen gemeindlihen Zuschlag zur Hauszinssteuer in Gemäßheit der Zweiten Preußischen Steuernotver- ordnung. Weiter habe ih ausnahmsweise, um in jedem Falle auch auf diesem wihtigen Gebiete wegen der tatsählihen Unkosten den Vermieter shadlos zu halten, diesem ein Wahlrecht hinsichtlich des Wassergeldes gewährt dahin, daß er entweder sih mit dem ein- heitlichen Zuschlag von 62 9%/%% auch für das Wassergeld als abgefunden ansieht, oder aber dieses in voller Höhe auf die Mieter umlegt, dafür aber dann den allgemeinen Sat von 62% um 3 9/9 auf 59 %/à, kürzt. Für die Monate August und September habe ih die Miete unver- ändert belassen, im Oktober aber wegen der Erhöhung der Hauszins- steuer die mir zurzeit als höchstens tragbar ersheinende Hinaufsezung auf 66% vorgenommen. Wenn Sie dagegen die fast überall, wenigstens in den größeren Orten, mehr als 4 9%%% betragende Haus- zins\steuer umgerechnet betrahten, und zwar für die besondere gemeindlihe Hauszinssteuer, so kommen wis auf einen tatsächlich ge- zahlten Mietpreis von 74 bis 75 %%. (Sehr richtig !) m Auch für die Zukunft werde ich mir bei der Festseßung der geseßlihen Miete die Möglichkeit der Instandhaltung der Häuser, so- weit es die allgemeine Lage zuläßt, ganz besonders angelegen fein lassen. Die Befürchtung, daß die Hausbesizer die ihm in der Miete für die Instandhaltung seinès Hauses zufließenden Mittel nicht für diesen Zweck verwenden könnte, erscheint mir nicht gerechtfertigt, nach- dem ih durch § 11 meiner Anordnung vom 17. April 1924 die Mieter in die Lage verseßt habe, bei der Gemeindebehörde die in diesem Paragraphen vorgesehenen Zwangsmaßnahmen gegen den Ver-

mieter in Gang zu bringen, falls der Vermieter einmal seine Pflicht

und Schuldigkeit auf diesem Gebiet nicht tut. (Abg. Ladendorf, Sehr richtig!) Jch glaube also, daß diesem Einwand dadurch Genüg geschehen ist. Ich sage noch einmal: einer |ofortigen Aufhebung k Zwangswirtschaft könnte ih unter keinen Umständen zustimmen.

e T abet m e ait "e Uin DEUtschen ReichSanzeigee und r. 248.

“glaube, Fhnen an Hand meiner Darlegungen für 1924 jedenfalls

nachgewiesen zu haben, foweit es irgend die allgemeinen wirt|chaftlig,, Verhältnisse gestatten, auf einen vernünftigen Abbau dieser Zwang, wirtschaft hinzuarbeiten. :

Wenn ih mir dann noch kurz einige Bemerkungen über dl Arbeiten meiner Abteilung für die allgemeine Völk, wohlfahrt erlauben darf, so möchte ih darauf hinweisen, daß in verflossenen Jahre diese Arbeiten an Umfang und Bedeutung nig nur nicht abgenommen, sondern noch zugenommen haben, insbesouden deswegen, weil das ]eßte Jahr ein rehtes Notstandsjahr war. Die

Währungskrise war die Ursahße allgemeinen wirtshaftlihen Nied,

gangs. Die Folge davon war, daß die Zahl der Kranken uy Schwachen, der Verarmten und Erwerbslosen, der Obdachlosen uy Verwahrlosten sih zunächst noch vergrößerte. Ihren Nöten in h, friedigender Weise abzuhelfen, verbot leider der traurige Stand dg Staatsfinanzen. Aber was nur irgendwie geschehen konnte, um ih zu helfen, ist zum mindesten von uns versucht worden. .

Glücklicherweise haben die leßten Monate doch eine Besseruy der Gesamtlage gebracht. Das gilt besonders von den Erwerhz, [lofen.

Die allgemeine Besserung der Arbeitsmarktlage hält an, besonde in den vorwiegend landwirtschaftlihen Bezirken. Eine rüläufy Bewegung ist hier allerdings sehr bald zu erwarten. Daneben si aber au in rein industriellen Bezirken Besserungsanzeichen erkennby, Jnwieweit die verbesserte Arbeitsmarktlage in der Industr, besonders im Rheinland, von Dauer sein wird, läßt sich noh nig übersehen. Jch glaube aber immerhin, daß Anzeichen dafür vorlie, die darauf {ließen lassen, daß man mit einer dauernden Besseruy

“renen kann.

Die Zahl der Hauptunterstüßzungsempfänger hat bereits mit tey 1. September d. F. mit rund 362000 ihren Höhepunkt überscritlz und ist am 15. September auf rund 359 000, am 1. Oktober aj rund 325 000 gefallen. Von diesen Erwerbslosen wird fast j Hälfte länger als drei Monate, davon wiederum etwa die Hilf länger als sechs Monate unterstützt.

Beachtlich ist, daß bei einer durchs{nittlichen Erwerbslosenzift von rund 9/4 der Bevölkerung bezw. etwa 2,7 % der Kranfkenktasn mitglieder die Erwerbslosenzahl für das beseßte Gebiet die gleiß Höhe wie im gesamten unbeseßten Gebiet aufweist. (Lebhaftes hört! link.)

Eine verhältnismäßig geringe Erwerbslosigkeit, und zwar zwis 0,7 und 59/4 der Bevölkerung weisen auf: Grenzimnark, Ostpreußw, Brandenburg, Pommern, Schleswig-Holstein, Hannover und Nied \{lesien, überwiegend landwirtschaftlihe Bezirke; eine mäßige zwis 8 und 10 9% der Bevölkerung: Oberschlesien, Provinz Sawsh Berlin; darüber hinaus Hessen-Nafsau 10 °/4, Westfalen 14%, ul \chließlich das Nheinland 19 °%9o- (Lebhaftes hört, hört!)

Bei Pflichtarbeiten, kleinen und großen Notstandsarbeiten find ü Preußen rund 25,8 %/= rund 93 000 Erverbslosfe beschäftigt gegenibl einem Neichsdurchschnitt von 24,3 9%». j

Veber die Erfalrungen mit der Pflichtarbeit und klein Notstandsarbeiten, d. h. solchen, die vom Verwalttngsautsh| des zuständigen Arbeitsnachweises hauptsächlich mit den Beiträgen i Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach der Mittelaufbringungsverordnit finanziert werden, kann ein abschließendes Urteil noch nicht geg werden, obschon die Erfahrungen nah den vorliegenden Berichten d im allgemeinen befriedigend zu bezeichnen sind. * (Zuruf links: M könen wir nicht behaupten !)

Der Gefahrenautgleih hat sich inzwischen erfreuliherweise dai ausgewirkt, daß zurzeit und voraussihtlich au für die nädi Monate die Nachschußpfliht von Neichh und Staat in der ul stüzenden Erwerbslosenfürsorge sich erübrigt. /

Bereits mit Erlaß vom 12, April d. I. sind die Oberpräsideil angeregt worden, für den Notfall Aufstellungen über s bezw. in absehbarer Zeit greifbare zu|äßlihe Arbeitsgelegtl heit zu machen. Die Berichte liegen größtenteils gesichtet wobei es sich insgesamt vorbehaltlih ihrer Finanzierung um 7 M lionen Tagewerke handelt, d. h. es können rund 50000 Erwerb für ses Monate be\chäftigt werden. |

Daneben sind bereits eine Reihe von Notstandsa rbeit im Gange, die fi infolge der Entlastung der produktiven Ent [osenfürssrge dur Pflichtarbeit und kleine Notstandsarbeiten d wichligere Maßnahmen erstreckden konnten. Es ist gelungen, 18 anderen, zum Teil volkswirtshaftlich bedeutsaméèn Arbeiten 1 weniger als rund zwei Drittel der verfügbaren Mittel Arbeiten ders produktion (Meliorationen) und einem Teil des Schlüsselgewe (Landarbeiterwohnungen) zuzuwenden. Erwähnt seien melt Meliorationsaktionen, Beleiligung am Reichskulturwerk, an | deutschen Oedlandkulturgesell|haft und eine umfangreiche Aktion! Herstellung von Landarbeiterwohnungen. Jnsgesamt bis Al dieses Haushaltjahres find rund 15 400ck Landarbeiterwohnungen * stellt. Aussührlihe Angaben über diese Aftionen sind in Artikelserie der „Volkswohlfahrt“, unseres VeröffentlichungsblW vom 15. Oktober enthalten, die denjenigen, die sich dafür essieren, gern zur Verfügung gestellt werden kann. y

Aufgabe der produktiven Erwerbslosenfürso! wird es sein, mehr noch al1s bisher neben der Bekämpfung per! wiederkehrender Arbeitslosigkeit sich der dauernden Erwerbslosen infolge weitgehender Veränderungen unserer Wirtscha{tsverhäll" berufsüberzählig geworden sind, und ihrer Umstellung anzuneh!"

(Fortseßung in der Ersten Beilage.)

Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr. Tyrol, Charlottenb!

Verantwortlich für den Anzeigenteil: Rehnungsdirektor M e n g erin in Berlin.

Verlag der. Geschäftsstelle (Mengering) in Berlin.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstall, Berlin, Wilhelmstr. 32.

Zwei Beilagen und Erste und Zweite Zentral-Handelsregister-Beilagt.

(Fortsezung aus dem Hauptblatt.)

Die Fürsorge für die fonstigen Notlkleidenden sid) dur das Inkrafttreten der Fürsorgepflilßtverordnung gegen- c dem Vorjahre erheblih geändert. Ueber die Durchtührung der oidnung läßt fih zurzeit ein abs{ließendes Urteil naturgemäß t abgeben. Die vom Reiche vorge}ehenen endgültigen Grund)äße

Voraussezung, Ärt und Maß der öffentlichen Fürsorge werden diesen Tagen durch den Reichsrat beraten. Bis zu ihrem Erlaß de ich, wie bisher, bemüht fein, den Fürsorgebedürftigen ausreichende \erstigung zu sichern. (Bravo !)

Die staatlihe Wohlfahrtspflege bedarf, um ihre Ziele völlig zu hen, ciner verständnisvollen Mitarbeit der Kräfte, die in den 1nsgfaltigen Organisationen der freien Wohlfahrtspflege fam sind. Eine planmäßige Ergänzung der öffentlichen Fürsorge- juahmen durch private Liebestätigkeit ist gerade jegt um so un- vehrlicher, als die wohlfahrtépflegerischen Leistungen der öffentlichen rperschaften unter dem Zwange zu äußerster Sparsamkeit hinter an sih wünschenswerten Maß vielfach leider weit zurückbleiben sen, Aus dieser Erkenntnis heraus hat fih das Ministerium für (féwohlfahrt angelegen sein lassen, bei jeder si bietenden Gelegen- } die Arbeit der freien Wohlfahrtsorganisationen anzuregen und fördern, sie unbeschadet ihrer Selbständigkeit mit den Einrichtungen fentlihen Wohlfahrtêpflege in Verbindung zu bringen und durch planmäßige Zufammenfassung, die unwirtschaftlicher Kräfte- vlitterung vorbeugen follte, zu stetiger Wirkung zu führen. Weittragende Aufgaben auf dieiem Gebiete traten an das nisterium heran, als die Besetzung des Nuhrgebiets und ihre wirt- itlichen Folgen Massennotstände von einem bisher nicht gekannten fang zunächst nur im beseßten Gebiet selbst, bald aber auch in übrigen Landesteilen heraufführten. Neben die staatlichen Hilfs- snahmeu trat alsbald die fih überall in erfreulicher Weise regende vate Hilfstätigkeit, die in dem „Deutschen Volksopfer" eine auf itester Grundlage ruhende Zusammenfassung fand. Aus den Er- hen der Sammlungen, die das „Deutsche Volksopfer" allenthalben unbeseßten Gebiet durchführte, fonnten bisher über 10 Millionen ldmark, berechnet nach dem Lebenshaltungsindex, der bedrängten mark zugetührt werden. Jch glaube, daß das doch immerhin ein ultat ist, daß fih neben den sonstigen Maßnahmen sehen lassen n. Bei der organisatorishen Durchführung der Sammlungen ie bei der Verteilung der Sammlungserträge hat das Wohlfahrts- isterium weitgehend mitgewirkt.

Im Spätherbst des vorigen Jahres is das Hilfswerk des eutschen Volksopfers" umgestaltet und erweitert worden zu der )eutshen Nothilfe“, die sich die Linderung der Not im unten Neichsgebiet zur Aufgabe setzt, dabei aber auf das beseßte iet nal wie vor ihr besonderes Augenmerk richtet. In der ¡tien Nothilfe ist ebenso wie im Deutschen Volksopfer der danke der Arbeitsgemeinschaft zwischen öffentlicher und freier Wohl- t8pflege verwirkliht, und zwar sowohl in dem örtlihen Unter- wie in den Spitzen. Auch an der Arbeit der Deutschen Nothilfe, namentlih im vorigen Winter sehr wertvolle Dienste geleistet hat d voraussitlich im kommenden Winter vor sehr umfangreichen fgaben gestellt sein wird, nimmt das Wohlfahrtsministerium fort: fend tätigen und regen Anteil,

Jufolge der Finanznot konnten im laufenden Etatsjahr für die terstüzung der öffentlihen und privaten Wohl- hrtspflege sowie zur Kinderverschickung auf das Land und in olungsheime nur außerordentli geringe Mittel zur Verfügung ellt werden. Dank der vom Neich gewährten Uebergangsmittel § 61 des Finanzausgleichsgeseßes ist es gelungen, Wohlfahrts- alten wesentliche Beihilfen in Form von Zuschüssen oder Dar- en zu bewilligen. Obwohl der § 87 des Neichsmonopolgeseßzes gchoben ist, hat doch die Reichsregierung in dankenswerter Weije Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs eine größere Summe in den t eingestellt. Ein großer Teil dieser Mittel wird den großen ibänden zur Bekämpfung der Trunksucht, der Geschlechtskrankheiten ) der Tuberkulose zur Verfügung gestellt, der Nest nah Abzweigung s Reservefonds beim Neichsministerium des Innern auf die Länder teilt, allerdings nur in Natex. Bei der Verwendung dieses Be- js hat cin besonderer Beirat mitzuwirken, der in nächster Zeit zu- inentreten wird.

Auf dem Gebicte der Fürsorgeerziehung stehen wir te, nah dem Inkrafttreten des Neichsjugendwohlfahrtsgeseßes, des ußischen Ausführungsgeseßes dazu und der Ausführungsbestim- gen, einer völlig veränderten Nechtslage gegenüber. Träger der tsorgeerziehung sind nunmehr aus\chließlich die Kommunalverbände, früheren Ortsarmenverbände und auch die Polizei sind von der. tentragungspflicht befreit, und es steht daher zu hoffen, daß nicht ’r aus finanziellen Gründen die Fürsorgeerziehung unterbleibt, wo für das heranwachsende Geschlecht noch der einzige Weg ist, aus Zögling ein nüßlihes Mitglied der Gesellschaft zu machen, (s hat cine starke Bewegung eingeseßt, die Fürsorgeerziehung leinen Selbstverwaltungsangelegenheit der Kommunalverbände zu Ven, Auf die Rechtsfrage, ob die Fürsorgeerziehung bislang (bstvenvaltungsangelegenheit oder Auftragssahe gewesen ist, ih mi in diesem Augenblick nicht näher einlassen. Ich ie nur betonen, daß denn doch das Interesse, die heran- sende Jugend vor der sittlichen und körperlichen Verwahrlosung ügen, weit über den Nahmen der Kommunalverbände hinaus- t und niht nur ein Necht, sondern auch eine Pflicht des \atöministeriums ist, (Sehr richtig! im Zentr.) Dieser Pflicht nag das Staatsministerium aber nicht nachzukommen, wenn es erlei Einfluß auf die Ausführung der Fürsorgeerziehung hat. Mir int auch der Streit um das Prinzip, obF ü rsorgeerziehung iragsangelegenheit oder Selbstverwaltungs- He ist, nicht das Bedeutungsvollste. Wichtiger ist meiner Ansicht " wohl die Frage: wie dienen wir am besten dem Wchl unserer der. Der Weg, der als der beste anerkannt wird, soll und muß ?elhlagen werden, und das Staatsministerium wird keinen Augen- audern, wenn bessere Wege gezeigt werden, diese zu beschreiten.

Erste Beílage

Z Berlin, Montag, den 20. Dfttober

Auch in dem letzten Jahr sind mir bezüglih der Fürsorge-

erziehung mancherlei einzelne Beschwerden zu Ohren gekommen. Die von mir angestellten Nachprüfungen haben ergeben, daß die Be- schwerden in allen Fällen übertrieben, meist aber fogar grundlos waren. Wo Mißslände tatsächlich bestanden, sind sie sofort beseitigt worden. Jch benuge die Gelegenheit, um Klarheit über meine Auffassung über die Fürforgeerziehungsarbeit im allgemeinen zu schaffen. i Wenn immer wieder behauptet wird, der Geist in den Er- ziehung8ansftalten fei rüständig, fo kann dem nit entschieden genug entgegengetreten werden. Es geht niht an, Einzelfälle als Be- urteilungsmaßstab für das gesamte Erztehungswesen anzuwenden. (Sehr richtig! rets.) In einer ganzen Reihe von Provinzen haben in den legten Jahren zahlreiche Besuche von Erziehungsanstalten durch Personen der verschiedensten Stände und Parteien \tattgefunden, bei denen überall zugegeben wurde, daß über die Erziehungsanstalten nach allen Nichtungen hin, über ihre äußere und innere Beschaffen- heit, über die. Behandlung, Erziehung und Ausbildung der Zöglinge vielfa falsche Vorstellungen geherr\cht haben.

Zu dem Personal in den Erziehungsanstalten be- merke ih folgendes: Die weitüberwiegende Zahl der in der Für- forgeerziehung tätigen Perfonen bei den provinziellen und privaten Anstalten besteht aus vorgebildeten Kräften der inneren Mission und der geistlihen Orden sowie aus ausgesuchten Handwerksmeistern und Landwirten. Die Zahl der Erzieher mit dem Zivilversorgungs\chein macht felbst bei den provinzialeigenen Anstalten einen ganz geringen Prozentsaß, nicht einmal 5 % aus. Ich möchte mir aber dann auch die Bemerkung dazu gestatten, daß im übrigen der Zivilversorgungs- schein feinen Besißer doch auch noch nicht zu einer idealen Berufs autfassung und zu pädagogishem Geschick unfähig macht, (Sehr rihtig!)) Alle Besircbungen zur Ausbildung und Fortbildung des Personals werden von der Staatsregierung und den Pro- vinzen gefördert. Es gibt genau so wle in anderen Berufégruppen vielleiht auGß unter den Snhabern eines Zivilversorgungsscheins Leute, die vielleiht niht allen Anforderungen entsprechen; aber das kommt doch nicht nur da vor, sondern auch bei anderen. Deshalb möchte ih dringend bitten, diese Verallgemeinerung zu unterlassen. Nah den Untersuhungen und Ergebnissen in den Anstalten, die ich au persönli angesehen habe, muß ih tas unter allen Umständen aufrecht erhalten.

Wenn von Ausbeutung der Kinder gesprochen wird, so muß leider gesagt werden, daß auf Seiten mancher Eltern dahin ge- sündigt wird. Bei manchen Anträgen auf vorzeitige Entlassung aus der Fürsorgeerziehung habe ih feststellen können, daß die Eltern vor- wiegend darum die Entlassung erstrebten, weil sie die Kinder zur wirtschaftlichen Tätigkeit heranziehen und deren Verdienst für \ich verwenden wollten, die Frage aber, ob auch die Vorausseßungen einer guten Erziehung gegeben seien, für fie keine oder nur eine unter- geordnete Nolle spielte.

Zu der vielfach aufgestellten Behauptung, daß die An- stalten durch die Arbeiten der Zöglinge erhalten werden, bemerke id, daß die Zöglinge auc unserer Ansicht nah nit müßig gehen follen (fehr richtig! im Zentrum) sondern, um aus- gebildet werden zu können, mit Arbeit, und zwar möglichst mit produktiver Arbeit beschäftigt werden müssen, und zum anderen, daß die hohen an die Anstalten zu zahlenden Pflegegelder beweisen, daß eine Erhaltung der Anstalten durch die Arbeiten der Zöglinge mit Sachkunde wohl kaum behauptet werden kann. Daß si, wie auf allen Gebieten des Lebens, so auch bei der Fürsorgeerziehung in einzelnen Fällen einmal Mißstände zeigen, wird sih kaum vermeiden lassen, Man darf aber darüber niht die Anerkennung für das ver- gessen, was bisher unter den denkbar s{chwierigsten Verhältnissen in diesen Anstalten geleistet worden ist, Die warme, aufopfernde Liebe, mit der die an der Fürsorgeerziehung Beteiligten ständig und durchgängig bestrebt sind, Segen zu schaffen, verdient Anerkennung und Dank, und ih glaube, den will auch das hohe Haus diesen Leuten, die diese Arbeit machen, nicht vorenthalten, (Sehr richtig!)

Auch für die sonstige JFugendfürsorge hat das Neichs- jugendwohlfahrtêgeseß mancherlei Aenderungen gebracht. Ueber die Durchführung des Gejetzes liegen abschließende Ergebnisse zurzeit noch nicht vor, Es \cheint aber, daß fast überall die Gemeinden und Kreise mit Eifer und bestem Willen an die Errichtung von Jugend- ämtern oder jugendamtlihen Stellen herangehen und die Erflillung der im Geseß vorgesehenen Aufgaben im Rahmen des Möglichen in Angriff nehmen. Die Zahl der Anträge auf Befreiung von der Amtsvormundschaft, auf Herabseßung des Pflegekinderalters und auf Befreiung von den Aufgaben der Jugendgerihtshilfe ist nach den bisher vorliegenden Berichten erfreuliherweise int ganzen nur gering.

Daß die Durchführung eines organisatorisch für die Selbstverwaltung so bedeutsamen Gesehes, wie es das Neichs- jugendwohlfahrtsgeseß ist, niht überall ganz ohne Härten und Schwierigkeiten vor sih geht, ist selbstverständlih, Diese Fälle sind aber cerfreulicherweise nux vereinzelt, Bedauerlih und eine gewisse Härte war die durch das Geseß gebotene Kündigung der bisher mit der Pflegekinderaufsiht bei der Polizei beschäftigten Halte - finderdamen, Seitens des Wohlfahrtsministeriums is von Anfang an alles geschehen, um hier eine Milderung herbeizuführen, Es kann heute mitgeteilt werden, daß von den 35 zum 1. April in Berlin gekündigten Damen jeßt nur noch 11 als unterstüßungs- bedürftig bezeihnet zu werden brauchen. Ein Teil der Damen hat au anderer Stelle im Polizeipräsidium, ein Teil an Berliner Bezirks- ämtern oder in der freien Wohlfahrtspflege oder anderwärts Be- schäftigung gefunden; ein Teil bezieht Witwenpension oder hat unter- stübungspflihtige und -fähige Angehörige. Für die hilfsbedürftigen elf Damen ist beim Finanzministerium von mir die Bewilligung einer möglichst hohen laufenden Unterstüßung beantragt worden, Die Entscheidung des Herrn Finanzministers steht noch aus. Leider sind ja mit Nücksiht auf die finanzielle Notlage des Staates ‘die für solhe Zwecke in den Etat eingestellten Mittel nur beschränkt,

Veber die Wirkung der Einführung des Neichsjugendwohlfahrté- gesehes läßt sih allgemein wohl jeßt schon sagen, daß sie in weiten

T

Preußischen Staatsanzeiger

1924

Kreisen unseres Volkes, namentlih in denen der freien Wohlfahrtss pflege, ein starker Ansporn zu vermehrter Fürsorge und Arbeit an unserer Jugend geworden ist. Jun bezug auf die Zusammenarbeit von öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege können wir, glaube ih, mit bestem Vertrauen in die Zukunft sehen. Beide Teile sind sih klar, daß sie notwendig einander brauchen, und fast überall besteht auf beiden Seiten der ehrlihe Wille, gut miteinander zusammen- zuarbeiten.

Auch für die Aufgaben auf dem Gebiete der Fürsorge für die sittlih gefährdeten Frauen und Mädchen zeigh sih ein steigendes Verantwortungsbewußtsein in der öffentlichen unt privaten Wohlfahrtspflege. Jh gebe der Hoffnung Ausdru, daß hier weiterhin vorbeugende wertvolle Arbeit geleistet und dadurch unser Volk vor shweren gesundheitlihen und sittlihen Schäden bes wahrt wird. Von meinem Ministerium wird jedenfalls nach wie vor allen diesen Bestrebungen der Fürsorge für unsere gefährdete Jugend allezeit die tatkräftigste Hilfe zuteil werden.

Darüber, daß für die Erhaltung und Wiederhers- stellung der Gesundheit unseres Nachwuchses alles nux Erdenkliche geschehen muß, sind wir sicher alle einig. Die Kinderspeisung in weitestem Maße unterstüßt von dem Auslande, namentlich Amerika, wofür wir sehr dankbar sein müssen wird auch weiter fortgeseßt werden müssen. Allerdings fließen die Mittel hierzu aus dem Auslande nur noch spärlich; aber bis zum 31. März 1925 ist die Speisung von etwa 300 000 Kindern dank der Auslandsmittel noch gesichert, Man wird Mittel undi Wege finden müssen, um auch diese Speisungen weiterhin fortzus- seßen; demn es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß die Not der Kinder ihr Ende noch nicht erreicht hak.

Den fortgeseßben Bemühungen ist es gelungen, auh in diesen Jahre eine große Anzahl von Kindern auf dem Lande undi in Heimen unterzubringen, und zwar sind in einzelnen Familien nach den Schäßungen eine ganz genaue Statistik konnte _noch nicht aufgenommen werden eiwa 200 000 Kinder unter- gebracht, in Erholungsheimen und Heilstätten 80 000 Kinder; das Ausland hat über 45 000 Kinder aufgenommen. Hierbei sind die Kinder aus den beseßten Gebieten besonders berücksichtigt wordem. Wer gesehen hat, wie gekräftigt an Leib und Seele die Kindeu zurückkommen, wird nur mit Dankbarkeit aller derer gedenken können, die sih um die Aufnahme der Kinder im Julande und Auslande ver- dient gemacht haben. (Zuruf bei den Kommunisten.) Das hat mik Paradies nicht das geringste zu tun, Herr Abgeordneter Hoffmann. Aber wenn jemand Gutes an unseren Kindern tut, wollen wir das gern und dankbar anerkennen. (Sehr richtig!)

Die im Hauptauss{chuß angeregte Frage der Schaffunq eines großen Kinderheimsin Preußen, ähnlich wie auf dem Heuberg, in Wöllershof, in Hammelberg und auf der Wegs scheide, ist zurzeit Gegenstand eingehender Erwägung, Manche auf dem Gebiete der Kindererholungsfürsorge Sachverständige sind der Ansicht, daß kleine Heime den Vorzug verdienen. (Sehr richtig! beil den Sozialdemokraten.) Jedenfalls aber würde die Beschaffung eines so großen Heimes erhebliche Kosten verursachen, und ih glaube, daß weder in diesem noch in den nächsten Jahren die Möglichkeit vorliegt, große Beträge dafür bereitzustellen. Immer mehr gehen Städte, Kreise und Vereine dazu über, selbt solche Erholungsheime und Heil- stätten einzurichten, wie sie au seitens einzelner Arbeitgeber bereits geschaffen worden sind ein Zeichen, daß weite Kreise von den Notwendigkeit überzeugt sind, nah Kräften für die Erholungsfürsorge der Kinder zu sorgen.

Den kinderreihen Familien konte das Ministerium Unterstübungen leider nur in beschränktem Umfange gewähren. Die kinderreihen Familien fanden aber bei dex Entsendung von Kindern zum Landaufenthalt weitgehende Berücksichtigung. Jch möchte mich nun noch kurz zur Pflege der schulentlassenetn Jugend wenden, deren körperliche, geistige und sittliche Ergichung zu fördern ih nach wie vor als eîne meiner vornehmsten Aufggben betrachte.

Hierbei möchte ih zunächst hervorheben, daß das Neichsjugend- wohlfahrtsgeseß die Wohlfahrt der s{hulentlassenen Jugend als Auf- gabe der Jugendämter nennt, aber nur als Kann-Aufgabe und an Leßter Stelle. Die Jugendämter sind schon mit einer Fülle jugende fürsorgerischer Aufgaben bedacht, so daß es ibnen oft schwer werden wird, diesen in vollem Umfange gerecht zu werden. Sie werden dahen vielfach nicht über die nötigen sahkundigen Kräfte verfügen, um auch die mannigfachen Aufgaben der Jugendpflege zu übernehmen. Des» wegen habe ih mich in meinen Grlassen vom 8. und 19. April d. J, dafür eingeseßt, daß die bestehenden Orts-, Kreis- und Bezirks» ausschüsse für Jugendpflege aufrechterhalten bleiben, zumal bei deu Uebernahme der Jugendpflege durch die Jugendämter leicht eine Bürg- fratifierung der Jugendpflege und ihre Zurückdrängung zugunsten den Jugendfürsorge bei den stark belasteten Jugendämtern eintreten kanm Dieser Standpunkt wird, wie ih betonen möchte, von den Jugend- verbänden selbst geteilt. Jhnen voran ging die #Arbeiterjugend“, die sih in der Reichsausschußsizung in Leipgig ausdrülich für die Aufrechterhaltung der bisherigen Ausschüsse aus- gesprochen hat. (Hört, hört! rechts und im Zentrum. Zuruf bei der Sozialdemokratischen Partei.) Ja, das ist streitig, wer das noch nicht begriffen hat (Heiterkeit); das läßt sich so genau im einzelnen noch nicht feststellen. . Unserer Ansicht nah ist die Jugendpflege für die schulentlassene Jugend in den freien Ausschüssen viel besser auf- gehoben (sehr richtig! im Zentrum und rechts) als in der bürokratischen Bevormundung durch Aemter und beamtete Personen. (Zurufe links.)

Das troh alledem hier und da ein Beamter die Hauptaufgaben er» füllen kann, wie das in größeren Städten der Fall ist, das ist uns nicht unbekannt. Aber im großen und ganzen liegt die Jugendpflege besser in Händen der freien Vereinigungen, die sich in den Orts-, Kreis- und Bezirksaus\chüssen zusammentun und lieber dorthin ihre Vertreter entsenden als in amtliche Stellen. (Erneute Zurufe bei dew Sozialdemokraten.) Sie sehen, daß die Meinungen darüber aus- einandergehen; aber die Jugendverbände selbst sind jedenfalls unserer

Auffassung, (Sehr richtig! im Zentrum und rets.) Außer den