1848 / 70 p. 3 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

Art zur Abstimmung zu bringen: der Vereinigte “Aus\chuß wolle erklären, daß er es als nothwendig erahte, es möge das Straf- geseßbuch nicht erlassen werden, bevor die neue Kriminal - Orduung vom Vereinigten Landtage berathen worden sei. Auf der Abstim- mung über dieses mein Amendement würde ih unter allen Umständen beharren. Jh muß dem Durchlauchtigsten Herrn Marschall anheim geben, welchen von beiden Anträgen er zuerst zur Abstimmung bringen will, Da ih der Erklärung der Abtheilung, mit Ausnahme des Schlußsazes, beistimme, so muß ih, falls mein Amendement nicht sollte angenommen werden und ih dann für den Antrag der Abthei lung stimmen sollte, mih dagegen verwahren, daß in einer Abstim- mung eine Bemerkung des Grundsaßes enthalten sein könne, daß das Strafgesebbuh dem Vereinigten Landtage nohmals zur Berathung müsse vorgelegt werden. Unter dieser Verwahrung würde ih even- tuell auch dem Antrage der Abtheilung beistimmen.

Abgeordn. Freiherr von Gaffron: Die im Gutachten der Ab- theilung von Seiten der Minorität entwickelten Gründe, sind theil- weise diejenigen, welche ih in der Abtheilung ausgesprochen habe und für welhe ih mi erklären muß. Jh kann mi der Ansicht nicht anschließen, die Emanation des Strafgeseßbuches von der gleichzeitigen Emanation der Strafprozeßordnung abhängig zu machen. Nach meiner Ansicht müssen allerdings Materie und Form in orgauischem Zusammenhange stehen. Das eine aber muß die Grundlage des anderen bilden, Die Materie is aber die Grundlage, denn die Form ist dasjenige Mittel, welhes die Materie praktis ins Leben über= führt. Wenn wir nun gegenwärtig uns der Berathung des materiellen Strafrechts unterzogen haben, wenn dasselbe alle Stadien der stän- dischen Wirksamkeit, der verfassungsmäßigen Berathung durchlaufen hat, indem es zuerst dem Provinzial-Landtage vorgelegt, sodann dem Vereinigten Ausschusse übertragen worden ist, so glaube ih, daß dem geseßlihen Wege vollkommen Genüge geschehen, daß im Wesentlichen auch dem Jnhalte der Petiton der Drei Stände-Curie bei dem Ver- einigten Landtage entsprochen worden is. Jch nehme feineswegs für das Resultat unserer Berathung den Stempel der Vollendung in An- spruhz ih weiß, daß der Entwurf dcs Strafgesebbuches, wie er aus unsern Händen hervorgeht, wie alles Menschenwerk, noch vieler Ver- besserungen fähig ist; glaube aber, daß wir sagen können, daß wir mit Pflichttreue und Gewtssenhaftigkeit dieser Angelegenheit uns unterzogen haben, und daß der Entwurf durch unsere Berathung manche Verbesserung und Vereinfahung erfahren hat, Jch gebe zu, daß, wenn dem Vereinigten Landtage der Entwurf zur nochmaligen Berathung vorgelegt werden sollte, noch einige Verbesserungen statt- finden könnten; wenn er aber nach einigen Jahren einer anderen ständischen Versammlung wieder vorgelegt werden sollte, so würde auch diese Etwas zu ändern finden. Eine Berathung aber muß denn doch den Schluß bilden, wenn nicht vor lauter Berathungen die Wirksamkeit des Geseves für“ längere Zeit suspendirt bleiben soll, Da die Prozeßordnung in Beziehung zu Personen- und Eigenthums- Rechten steht, \o wird sie der Berathung des nächsten Vereinigten Landtags unterbreitet werden müssen. Es finden zweierlei Fälle statt, entweder das Geseß is emanirt, oder es ist es nicht, J} es ema- nirt, so wird es als materielle Grundlage dem Vereinigten Landtage vorgelegt. Es schließen sich die Berathungen über die Prozeßordnung an die Vorlage an, und es wird unbenommen fein, was die Mino- rität au ausgesprochen hat, daß, wenn es der Vereinigte Landtag für nöthig findet, die einzelnen Bemerkungen zusammengestellt und einzelne Abänderungen beantragt werden können. Jst aber der Ent- wurf nicht emanirt, so wird es praftish unausführbar sein, daß der nächste Vereinigte Landtag sih nicht der Sache nochmals speziell und in extenso unterzieht. Jh glaube, daß dem nächsten Vereinigten Landtage so wichtige Vorlagen, so viele andere Gegenstände werden überwiesen werden, daß es wünschenswerth erscheint, daß er sich nur dem Nothwendigsten und Unerläßlichen unterziehe. Nach diesen Ent= wickelungen kann ih mich nur dafür erklären, daß der Strafgeseß= Entwurf in Folge unserer Berathung und unabhängig von der Prozeßordnung emanirt, die Prozeßordnung aber dem Vereinigten Landtage vorgelegt werde.

Korreferent Abgeordn. Freiherr von Mylius: Die Frage be= rührt zuerst und in erster Ordnung nur das Interesse der älteren Provinzen, und in zweiter Ordnung das Juteresse der Rheinprovinz. Die Hauptfrage is die, ob das materielle Reht im Zusammenhange mit dem formellen, oder ob, wie bereits beantragt worden ist, dasselbe außerdem diesem Zusammenhange emanirt werden möge. Jch glaube, daß diese Frage aus Gründen der Zweckmäßigkeit dahin entschieden werden muß, daß die Publication und Emanation des Geseßes nur in Verbindung des formellen und materiellen Strafrechtes zu einem Ganzen erfolge. Wir wollen, daß das mit gemeinschaftlichen Kräften erstrebte Recht nun au gemeinschaftlich durch alle Provinzen gelte, Das muß die Aufgabe der Gesebgebung sein. Es is schon oft der Rheinprovinz der Vorwurf gemacht worden, als sei dieser Aufgabe hemmend entgegengetreten, Ein s{chwerer Vorwurf, falls er gegrün- det wäre! Er ist es aber niht nur nicht, er is auch ungerecht. Wir wissen, daß auch unser materielles Ret der Verbesserung em- pfänglich is, das Strafrecht, welches wir besißen, wurde im Jahre 1810 unter Verhältnissen erlassen, denen wir längst fern stehen. Jn Frankrei selbst \ind die wesentlihsten Verbesserungen damit vorge- nommen. Wie sollte also die Rhein-Provinz Verbesserungen wider- streben wollen, wenn es nur wahre Verbesserungen sind, sollte die Rheinprovinz solchen entgegen sein? Muß sie niht vielmehr eifrigst bemüht sein, dem Guten, was sie besißt, auch in verbesserter Form die allgemeinste Anerkennung zu verschaffen, um des Guten willen sowohl, als um der Gemeinschaftlichkeit willen, zu welher wir alle verbunden sind. Aber etwas muß vorangehen, damit eine solche Gemeinschaftlichkeit erstrebt werde, die ins Volk eingreifend und lebendig is und nicht einer todten Gleichförmigkeit zum Opfer gebracht wird, Das, was vorausgehen muß, i ein gemeinschaftliches Ein- verständniß. Wir haben uns wohl alle gegenseitig überzeugt, daß wenn Differenzpunkte entstanden is, kein einziger des guten Willens einer friedlihen Ausgleihung ermangelte, aber ih frage, sind wir niht häufig in der Ausdrucksweise unserer Meinungen in getrennte Lager gegangen, und war es nicht zuweilen, als redeten wir in ver- chiedenen Sprachen? Dies geschah, weil der Ausdruck von der einen Seite niht immer von der anderen verstanden worden i. Aber ein solches Einverständniß muß und wird erreiht werden, wenn die Gleich- förmigkeit des Prozesses vorangegangen. Der Prozeß seht den Bürger in Verbindung mit dem, was der Richter aussprechen soll, und i glaube, daß gerade von dem Gesichtspunkte eines gemeinschaftlich erstrebten Rechtes aus, es nothwendig wird, mit dem Prozesse den Anfang zu machen, der nur auf dem Vereinigten Landtage berathen werden kann. Jch halte niht für nöthig, auf die einzelnen Bestim- mungen einzugehen, in welchen ein solher Mangel an Verständniß

ch kundgegeben hat. Jch will nur weniges erwähnen, die Bestra-

ung auf Antrag der rivatperson, nur den Punkt wegen entehrender und nichtentehrender Strafen, so vielfache Bestimmungen über Beweis= schriften aus dem Gesebbuche entfernt wissen wollten, während sie dem Interesse der Provinz wesentlich erforderlich shienen; die ge- trennten Ansichten über die Bedeutung des Zeugeneides und so vieles Andere, Ein Verständniß hierüber Kinü nur ein gemeinsamer Pro- zeß herbeiführen. Dieser kann aber nur erstrebt werden auf dem Wege wiederholter ständisher Diskussionen, Es bedarf nun allerdings unsere

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Geseßgebung noch mancher Diskussionen. Aber sind nicht die loh- nenden Früchte der Thätigkeit von 1843 bereits erfannt worden? Es liegen fünf Jahre zwishen dem Gesebentwurf von 1843 und heute, aber der Sache nah liegt dazwischen ein halbes Jahrhundert, so wesentli is die Verbesserung, die in der Zwischenzeit von 1843 und 1847 eingetreten ist. Nun wollen wir noch den kurzen Zeit- raum vergehen lassen, um wirklich etwas zu erhalten, woran die Nachwelt sich noch erfreuen kann. Es ist seitens des Herrn Mi- nisters gesagt worden, und kein Mensch zweifelt daran, daß es die Absicht sei, Aenderungen in der Kriminalordnung vorzunehmen, aber eben darum muß auch der Wunsch im Jnteresse Aller sein, daß eben diese Frist niht unbenubt vergehe, daß sie dem Werke, welches wir berathen, förderlih sei und zu gute kommt, und daß wir dessen inne werden, daß nur auf dem Felde einer umfassenden Diskussion, die wir vom Vereinigten Landtage erwarten, die Früchte reifen werden, an E die späte Nachwelt erkennen wird, ob wir zur Geseßgebung erufen.

Abgeordn. Graf von Zech-Burkersrode : Zunächst um meine Abstimmung zu motiviren, habe ich um’s Wort gebeten, Die Ma- jorität der Abtheilung \s{lägt uns vor, darauf anzutragen, daß der von uns berathene Strafgeseß-Entwurf uicht eher emanirt werde, als bis dem Vereinigten Landtage bei Berathung der Strafprozeß - Ord- nung Gelegenheit gegeben worden, den materiellen Jnhalt des Straf- geseßbuchs selbst noch einmal in nähere Berathung zu ziehen. Diesem Antrag kann ih mich nicht anschließen. Der Entwurf des Straf- gesebbuches hat, wie uns bekaunt is, alle geseßlihe Stadien der Berathung durchlaufen, ehe er dem Vereinigten ständishen Ausschusse vorgelegt worden. Dieser hat nah bestem Wissen und Gewissen, wir können uns, glaube ih, dies Zeugniß geben, den Strafgeseß-Entwurf nochmals berathen und Veränderungen darin beantragt, von welchen wir hoffen dürfen, daß sie den Wünschen des Landes und den Be- dürfnissen der Zeit entsprehen. Jh will hier nur erinnern an die beinahe einstimmig beantragte Abschaffung der körperlihen Züchtigung und der Vermögens-Confiscation. Vor zwei Tagen erst haben unserer Berathung S E itiongen vorgelegen, über welhe, des verschiedenen religiösen Standpunktes wegen, die Ansichten der Mitglieder dieser Versammlung nicht einstimmig sein konnten, über welches sie aus- einandergehen mußten. Wir haben die Einen wie die Anderen über diese Fragen nah unserem Gewissen gestimmt, und dürfen hoffen, daß die Eintracht dadurch unter uns nicht gestört worden. Wir dürfen hoffen, daß es der Regierung gelingen werde, diesen Bestim- mungen eine solhe Ausführung und Auffassung zu geben, daß von unseren katholischen Brüdern jede Besorgniß entfernt wird, als solle dadurch ihre Kirche irgend eine Becinträchtigu.g erfahren, Die Rechte ihrer Kirche sind uns so heilig, als die der unsrigen. Wir haben sieben Wochen hindurch den jeßt zum Schlusse gediehenen Be- rathungen obgelegen, und dabei, glaube ih, die Ueberzeugung gewin- nen müssen, daß noch ein viel größeres Zeitopfer erforderlih gewesen sein würde, wenn eine noch zahlreichere ständishe Versammlung als die unsrige zu diesen Berathungen berufen worden wäre, Wenn wir nun jevt erklären, daß unsere Berathungen nicht genügen, daß es einer nochmaligen Berathung Seitens des Vereinigten Landtages bedürfe, \o bin ih zweifelhaft, ob dies im Lande einen guten Ein- druck machen würde, im Lande, das schon lange eine Verbesserung seiner Strafgesebgebung erwartet. Man hat das Bedenken hervor- gehoben, man wisse niht, unter welhem Prozeßverfahren dieses Strafgesebbuch zur Anwendung kommen werde. Nun ich glaube, wir alle sind von der Ansicht ausgegangen, daß es nur unter einem mündlichen und öffentlichen Verfahren zur Ausführung kommen könne. Ein solches Verfahren is bereits hier in Berlin eingeführt worden ohne ständische Mitwirkung. Der Vereinigte Landtag hat dagegen einen Einspruch nicht erhoben, Daß die Regierung das mündliche und öffentliche Verfahren au in den Provinzen ohne ständische Mit= wirkung einführen wolle, haben wir jeßt noch feinen Grund voraus- zusebenz sie würde dieß auf ihre Verantwortung hin thun. Jh glaube nicht, daß es in der Stellung des Vereinigten Ausschusses liegt, einen Autrag in dieser Beziehung zu stellen. Wir haben kein Mandat von dem Vereinigten Landtage erhalten, seine Rechte zu wahren, er wird dies selbst zu thun wissen. Uebrigens würde ih dem Antrage des verehrten Mitgliedes von der Herrenbank aus Preußen beizu- treten weniger Bedenken haben. Dem Schlußantrage der Abtheilung aber auf nochmalige Vorlage des Strafgeseßbuchs selbst an dem BVer- einigten Landtage kann ih nicht beitreten. Es werden ernste und wichtige Arbeiten sein, zu denen der nächste Vereinigte Landtag berufen werden wird, Arbeiten, ernst und wichtig genug, daß über 600 Männer des Landes, die einflußreihsten und in ihren Provinzen am wenigsten entbehrlichen, sich hier zusammenfinden, um ihre Kräfte dem Wohle des Vaterlandes zu widmen. Und ich glaube, das Land wird von seiner reihsständischen Versammlung bei derem nächsten Zusammentreten etwas Anderes erworten, als daß sie einer noch- maligen Berathung den umfangreichen Geseß- Entwurf unterwerfe, der schon alle geseßlihen Stadien der Berathung durchlaufen hat. Meine Herren, es is uns unbekannt, ob der Augenblick mehr oder minder nahe is, wo die Weisheit unseres Königs die Stände des Reiches von Neuem um den Thron \haaren wird, Das aber, meine Herren, hoffen und wünschen wir gewiß Alle, daß Preußen Deutschland und Europa alsdann das erhabene Schauspiel geben möge eines mit seinem Volke einigen Königs und eines mit seinem Könige einigen Volkes. Die Gegenwart läßt an Deutschlands Fürsten und Völker einen Ruf, einen Schrei ergehen, der in Preußen, wie auf dem Throne so in der Hütte, ein lautes Echo gefunden haben möge. Es is der Ruf: seid einig, einig, einig!

( Bravoruf.)

Abgeordn. Camphausen: Meine Herren! wir haben von dem Herrn Landtags-Kommissar den Wunsch aussprechen hören, die Ver- sammlung möge der Regierung das Vertrauen schenken, daß sie den reten Zeitpunkt zur Publication des Strafgeseßes wählen, daß sie feine Uebereilung, aber auch feine unnöthige Verzögerung eintreten lassen werde. Der Antrag der Abtheilung geht nun aber dahin, daß bis zu einem gewissen Zeitpunkte die Regierung die Publication nicht eintreten lassen möge, und ih halte es um so mehr erforderlich , daß die Versammlung sich darüber ausspreche, daß sie sich namentlich über den ganzen Juhalt des Vorschlages der Abtheilung ausspreche, nah- dem ein Amendement seitens eines der verehrten Abgeordneten gestellt worden is , welches in Zweifel lassen könnte, ob die hohe Se lung einzig und allein wegen der Kriminal - Prozeß - Ordnung, oder ob jie auch wegen des Kriminal - Rechtes selbst und wegen der damit zusammenhängenden Verhältnisse den gemachten Vorschlag der Ab- theilung befürworte. Jch unterstüße diesen Vorschlag aus Gründen des Rechtes, aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Politik und aus Gründen der Billigkeit. Was die Rechtsgründe betrifft, so bemerke ih zunächst, daß Bedenken darüber bestanden und bestehen, ob nah Einführung der Allgemeinen Landstände ohne deren Beirath Gesebe noch erlassen werden dürften, die während der provinzialständischen Versammlungen die geseßmäßigen Stadien durchlaufen hatten, Der Standpunkt, von welchem aus diese Bedenken erhoben werden können, ist nah den Ueberzeugungen, welhe ih vertrete, dur die Bera- g N des Vereinigten Ausschusses nicht geändert, Entweder war die Regierung ermächtigt, vor Einberusung des Vereinigten Aus- schusses das Strafgeseßs ohne weiteren ständischen Beirath zu

erlassen, so ist sie es auch no jeßt in demsel : niht größerem Umfange, als A O sie ragt Boy M ermächtigt, dann is sie es auch jeßt nicht, Das die lehtere Ansicht im Lande au besteht, is bekannt; ihr würde entsprochen L wenn die Regierung auf den Antrag der Abtheilung einginge, und darin erkenne ich einen Grund, welcher den anderen Gründen ‘Wide zählt werden muß. Diejenigen Mitglieder der Majorität des Ver- einigten Landtages aber, welhe das Recht der Regierung zur Pu- blication des Strafrehtes nach Einführung der Allgemeinen Land- stände nicht bestreiten, behaupten dennoch und zuglei, daß dieses Recht nur insoweit bestehe, als das Strafgeseß von den Provinzial- ständen wirklich berathen worden, oder aus ihren Berathunçen her- vorgegangen is. Unsere Berathung hat dieses Recht nicht vermin- dern, aber auch niht vermehren können. Nun hat aber der vor- gelegte Strafrechts - Entwurf eine Menge Punkte enthalten, hinsit- lih deren eine Berathung durch die Provinzialstände nicht stattge funden hat, und welche au niht aus der Berathung derselben her- vorgegangen sind. Daß wir dafür nicht den ständischen Beirath sondern nur ein vorbereitendes Gutachten ertheilen fönnen, wird für alle diejenigen außer Zweifel sein, die mit mir der Meinung der über- wiegenden Majorität des Vereinigten Landtages treu geblieben sind daß diesem die aus den früheren Geseßen begründeten Rechte zustehen, und die mit mir der Regierung das Recht bestreiten, in Gesebe, die von den Ständen berathen sind, nachträglich völlig neue Bestimmungen ohne ständischen Beirath einzurücken und dadurch das ständische Berathungsrecht illusorisch zu mahen. Allerdings sind die meisten dieser neuen Vorschläge von der Versammlung verworfen worden. Einzelne sind au stehen gebliebenz ob sie aber angenom- men oder abgelehnt worden sind, in beiden Fällen betrachte ih unser Gutachten nicht als den ständischen Beirath, nicht als einen solchen, in dessen Folge nah der bestehenden Verfassung die Regierung er- mächtigt wäre, auch dasjenige, was die Majorität abgelehnt hat, zum Geseß zu erheben. Dieser Einspruch is niht durch die Ein= wendung zu entkräften, daß, wenn die Regierung auf die Anträge der Versammlung eingehe, doch nur Weniges oder Geringes im Strafgeseße neu sein werde, Es war die Frage, ob nah Einfüh- rung der Allgemeinen Stände allgemeine Gesebe obne Beirath des Vereinigten Landtages erlassen werden können und wenn diese Frage grundsäßlih und thatsächlih entschieden werden soll, so kommt es nicht darauf an, ob die augenblickliche Wirkung ihrer Bejahung oder Verneinung eine bedeutende oder nicht bedeutende ist, Jch muß daher auch dieserhalb mich dagegen erklären, daß das Strafrecht vor Au- hörung des Vereinigten Laudtages erlassen werde. /

Jch verlasse dieses Gebiet und gehe zu den Gründen über, welhe aus dem Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und Politik für den Antrag sprehen. Es sind deren bereits viele, namentli im Gutachten der Abtheilung, angeführt worden, insbesondere der innige Zusammenhang des Strafrechts mit dem Strafversahren, die Noth-= wendigkeit, den Richter und das Verfahren zu kennen, um die Höhe der Strafen und den dem Richter überlassenen Spielraum richtig würdigen zu können, dieselbe Nothwendigkeit hinsichtlih der Straf- vollstreckung, das theils aus den Vorschlägen der Regierung, theils aus den Anträgen der Versammlung hervorgehende Bedürfniß i vielen Zweigen der Geseßbgebung Aenderungen zu treffen, um sie mit dem Strafrehte in Uebereinstimmung zu bringen. Jch gehe nicht neuerdings auf diese Punkte ein, will hingegen darauf hinweijen, daß wir Alle wegen der Eigenthümlichkeiten unserer Stellung wünschen müssen, daß dem Vereinigten Landtage ließlich Gelegenheit gegeben werde, sich über das Resultat unserer Berathung zu äußern, Wenn das Jnstitut der vereinigten Aus\chüsse so allgemein nicht als zweck= mäßig erkannt worden ist, daß man beinahe die Einstimmigkeit des ganzen Landes für diese Meinung behaupten darf, so finden von den dafür bestehenden Gründen auf den gegenwärtigen Fall vorzüglich zwei Anwendung. Nämlich erstens, daß die verschiedenen Meinungen nit in dem gleichen Stimmverhältnisse im Vereinigten Landtage und im Vereinigten Ausschusse vertreten sind, daß daher die Beschlüsse des Vereinigten Landtages anders ausfallen können, und in manchen Fällen anders ausfallen müssen, als die des Vereinigten Ausschusses, daß die Regierung, wenn sie die Meinung des Landes durch eine centralständische Versammlung ermitteln will, dafür nicht zwei Versammlungen verwenden fann. Jch bin nun überzeugt, daß hinsichtlih mancher unserer Beschlüsse die Stimmenzahl auf dem Vereinigten Landtage sih anders vertheilt haben würde, wenn er sie zu fassen gehabt hätte, und es entsteht meines Erachtens ein unerfreuliches Verhältniß zwischen den Mit= gliedern des Vereinigten Landkages, welhe zum Vereinigten Aus= \husse gehören, und denjenigen, welche uicht zu ihm gehören, wenn nicht vor der schließlihen Entscheidung ter Regierung dem Vereinig- ten Landtage Gelegenheit gegeben wind, sich über unsere Beschlüsse zu äußern. Um \o mehr muß die hoße Versammlung dieses wünschen, als, wie bereits erwähnt, durh die Abstimmung vom 21, Mai des vorigen Jahres festgestellt wordeu ist, daß beim Vereinigten Landtage in der Drei-Stände-Kurie sich mehr als zwei Drittheile dafür aus=- sprachen, daß das Kriminal-Recht dem Vereinigten Landtage zur Be= rathung vorgelegt werden möge, nachdem vorher die Berathung durch einen Aus\huß stattgefunden haben würde. Auffallend und bedenf- lih würde es sein, wenn in dieser Versammlung sich nicht eine ein- fahe Majorität für einen“ Antrag fände, der am Vereinigten Land- tage mehr als zwei Drittheile der Stimmen für sich hatte, Der zweite Punkt is der, daß mit dem Erlasse der Verordnungen vom 3, Februar nothwendig im Volke die Vorstellung hat entstehen müssen, daß durch die dreifache Gliederung der ständischen Versammlungen, als Provinzial-Landtage, Vereinigter Ausshuß und Vereinigter Land- tag, eine Stufenfolge gegeben sei, von der der Vereinigte Landtag die höchste Jnstanz bilde, an welhe von den Entscheidungen der unteren Justanzen appellirt werden könne, und welche in allen hoch- wichtigen Dingen gehört werden müsse. Erlauben Sie mix ein Work zu wiederholen, was ih in Beziehung hierauf bei einer and-cel Veranlassung Ihnen vorgelegt habe: „Man kann in Zweifel ziehen, welhe Wirkung eine Umgestaltung der Vereinigten Ausschüsse und deren Erhebung zu Reichsständen vor dem 3. Februar 1847 gehabt haben würdez aber nahdem der Vereinigte Landtag einmal geschaffen ist, kann in Preußen feine große Negung zur Ruhe, feine große Frage zur Lösung gelangen, als pur den Vereinigten Landtag selbst, So is es, Unmöglich geworden, ist, es, daß, so lange der Vereinigte Landtag besteht, ein anderer ständischer Körper als Vertreter der öffentlichen Meinung M Lande angesehen werde ;

ögli i niht auch die Minorität im Lande onmöglih geworden is es, daß n V j uon dem Vereinigten Ausschusse an den Vereinigten Landtag appellire. Jh bin aber der Meinung, daß nicht nur viele unserer Beschlüsse eine starke Minorität im Lande finden, sondern daß Viele auch eine starke Majorität im Lande gege sih haben werden, und darin liegt für uns und für die Regierung ein Motiv, die Berufung an die leßte Jnstanz nicht zu versagen. Es wird verstärkt durch die Erwä- gung, wie große politische Bedenken es habe, beinahe unmittelbar nah Einführung der Allgemeinen Landstände ohne deren Beirath ein Geseb zu erlassen, welhes mit Ausnahme der Verfassungsgeseße das WiQigRe für die Volksrechte und Freiheiten ist, ein Geseb, welches ín

erbindung mit dem Gerichtsverfahren in dem Strasfprozesse je Erste Beilage

nah seinem Jnhalte sowohl die ö Freiheit fördern, als un- tergraben kann. Ein solches Gesez ohne Anhörung der vereinigten Stände des Landes zu erlassen, dazu kann ih der Regierung nicht ratÿyen. G Jndem ih nun noh die Billigkeit der Versammlung und der Regierung anrufen möchte, muß ih diesesmal vorzugsweise als Rhein- länder reden. e

Jch will nur im Allgemeinen nah demjenigen, was der Herr Korreferent bereits angeregt hat, noch Einiges anführen oder wie- derholen. Die Rheinprovinz wird mit dem Entwurfe, der uns vor- liegt, die Präzision und Schärfe des Ausdruckcks des rheinischen Ge- setzbuches vermissen ; sie wird bedauern, daß er sich mit Schwierigkeit dem rheinishen Strafverfahren anschließt, und daß er vieles aus- genommen hat, was der Strafprozeßordnung angehört, Man wird es niht billigen, daß dem Richter die Schärfung der Gefängnißstrafe, daß ihm die Wahl zwischen vielen Strafarten gestattet ist. Man wird tadeln die Ueberschreitung- der Gränzen des Strafrehts; die Verwechselung der Sünde mit dem Verbrechen ; die Erschaffung neuer strafbarer Handlungen ; die Strafart für die Geistlihen; die Ver- mehrung der strafbaren Fälle und der Gelegenheit zu Anklage und Verfolgungz die Härte in der Form der Milde durch Verringerung oder Wegsall des Strafminimums ; die vielfache Bestrafung der Ge- sinnungz die ungenügende Würdigung der Rechte des Staatsbürgers; die Anhäufung und die Schwere der Polizeigufsicht. _Besonders wird es den rbeinishen Rechtsbegriffen widerstreben, daß Privatpersonen das Recht haben sollen, die Bestrafung von Verbrechen zu verhin- dernz die Vollstreckung gerichtlicher Urtheile zu unt:rsagen; über den Verlust oder Fortgenuß der staatsbürgerlichen Rechte eines Mitbür-= gers zu entscheiden, selbst todeswürdigen Verbrechern den Fortgenuß der Rechte des Staatsbürgers und der Standschaft zu erhalten. Alle diese Punkte sind im Verlaufe unserer Verhandlungen erörtert wor- den, und wenn sie sämmtlich oder viele von ihnen der Versammlung nicht so wichtig erscheinen als uns, so bitte ih, mich noch in einigen Worten über dos Verhalten und die Stellung der Rheinländer zu ¡hrem Rechte aus\prehen zu dürfen.

Die Theilnahme an öffentlihen Angelegenheiten, zu welcher die Regsamkeit des Geistes und eine gewisse praktische Fähigkeit für das Leben den Rheinländer geeignet machen, is seit dem Jahre 1815 beinahe aus\ließlich dur die] Rechtsinstitutionen bes Landes genährt worden, Sie hat sich konzentrirt in der Oeffentlichkeit und Münd= lichkeit des Verfahrens, in der Thätigkeit und dem Richteramte des Bürgers bei Geschworenengerichten, so wie bei Handels- und Fabriken- gerihten, Die Kenntniß des Rechtes und des Verfahrens hat sich im Volke verbreitet, mit der Kenntniß die Anhänglichkeit, eine An- hänglihkeit, welhe erhöht wurde dur die eigene Mitwirkung an der Rechtsprehung und durch den Umstand, daß manche Länder um uns si der gleichen Güter nit erfreueten. Recht und Rechtspflege sind mit dem Rheinländer verwachsen, und um o lieber sind sie ihm geworden, als er beinahe unausgeseßt in der Gefahr ihres Verlustes gewesen is; denn ein Gut, welches man vertheidigen muß, wird theuerer mit jeder Anstrengung, die zu seiner Erhaltung gemacht wird, Bald nah unserer Vereinigung mit Preußen wurde eine Immediat - Justizkommission eingeseßt, mit der Weisung, daß in der Hauptsache die altländische Geseßgebung in die Rheinprovinz einge- führt werden solle, wenn auch das Gute überall, wo es sich finde, zu benußen und das Rechte anzuerkennen e UNO DaUeY Institute und Einrichtungen in der Justizverwaltung, welche aus der Lage der rheinischen Verhältnisse als nothwendig und über= wiegend nüßlich sich ergeben, deshalb, weil sie sich nicht in dieser Art in des Königs übrigen Staaten finden, niht zu verwerfen, sondern nur in eine solhe Richtung zu bringen seien, als sie der Zusammen- hang mit dem Ganzen vertrage.“ „Die Junmediat-Justizkommission, welde theils aus Beamten der Rheinlande, theils aus Beamten der älteren Provinzen zusammengeseßt war, begann im Jahre 1816 ihre Arbeiten und erließ eine Bekanntmachung, welche die lebhafteste Be- theiligung der Presse zur Folge hatte; sie {loß im Jahre 1818 ihre Arbeiten, indem sie sich einstimmig für Oeffentlichkeit und Mündlich- feit im Strafverfahren und für Geschworenengerichte aussprach. Diese Einstimmigkeit hielt von der beabsichtigten Einführung der altlän- dischen Geseßgebung ab z allein sie blieb uns in Aussicht. Die vielen rheinishes Recht und Verfahren beschränkenden Verordnungen und Re- sfripte in den nächsten Jahren bezeichnen den Rechtszustand am Rheine gewöhnlich nur als einen einstweiligen, vorläufigen, und im Jahre 1826 wurde von neuem ein Versuch gemacht, indem den rheinischen Provinzialständen die Absicht angekündigt wurde, im Laufe des Jahres 1828 in die Rheinprovinz einzuführen : Das Allgem. Landrecht mit Aus- nahme einiger Titel, die Allgem. Gerichtsordnung, die Kriminalordnung von 1805, die Depositalordnung von 1783, das Sportel-Kassenregle=- ment von 1782, die dur das Patent von 1815 bekannt gemachte Ge- bührentaxe, so wie alle diese Geseßbücher und Verordnungen abändernde ergänzende und erläuternde Bestimmungen. Die Erklärungen der rheinishen Provinzialstände verhinderten die Ausführung dieses Vor- habens, welches nah dem Jahre 1830 aufgegeben wurde. Dagegen wurde nun in einer Reihe einzelner Verordnungen, wie man glaubte systematisch, das rheinische Recht in seinen wesentlihen Grundlagen angegriffen. Jh vermeide es, ein Bild dieser traurigen Periode zu geben und will nur dessen gedenken, daß wir eine Wendung derselben der fraftoollen Fürsprache des Mannes zu verdanken hatten, den das Vertrauen des Königs als Vertreter der Regierung nun in unsere Mitte entsendet hat und dem dafür vorzugsweise die Rheinprovinz ein dankbares Andenken bewahrt. Der leßte wichtige Vorgang im Zahre 1843 is noch in Aller Erinnerung. Aus dieser fortwährenden Gefahr des Verlustes, der Beschränkung und Verminderung is die steigende und beinahe leidenschaftliche Liebe der Rheinländer für thr Recht zu erklären. Fortwährend hat das Schwerdt über unserem Haupte gehangen und ih darf es sagen wir sind geprüft worden, aber wir haben die Prüfung bestanden.

Berücksihtigen Sie nun, meine Herren, den Unterschied in un=- serer Lage. Für die Rheinprovinz ist der Entwurf, wie er vorliegt, nah der übereinstimmenden Meinung der Bevölkerung ein Rückschritt. Für die älteren Landestheile mag der Entwurf vielleicht ein Fortschritt sein; zum mindesten habe ih nur selten mit Lebhaftigkeit die Bestimmun- gen des Allgemeinen Landrechts gegen die neuen Bestimmungen des Ent-= wurfs vertheidigen hören. Die Klage habe ih vernommen, daß der Widerstand der Rheinprovinz den Fortgang der Da E in den alten Provinzen hemme. Aber aufrichtig und die Hand aufs Herz gelegt, ist denn der Widerstand der Rheinprovinz für die älteren Landestheile ohne Gewinn gewesen? Jh erinnere an den summa- rischen Prozeß, an das Geseß über die Nichtigkeitsbeschwerde, an die wichtigen Geseße des Jahres 1846, an den Unterschied zwischen dem Entwurfe von 1843 und demjenigen von 1847. Vor allen Dingen aber frage i, ob niht der Umschwung der öffentlihen Meinung in diesem Lande dem Widerstande der Rheinländer eine höhere Weihe verliehen hat. Auch gegenwärtig knüpfen sich Hoffnungen für Sie an einen weite- ren Aufschub, wenn im Interesse der Einheit des Rechts und des

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Verfahrens auch der wichtigste Bestandtheil des rheinishen Verfah- rens, das Geshwornengeriht, dadur allgemein wird. Und ist es nicht wahrscheinlich, daß dieser Aufshub nur ein kurzer sein werde; ist es nicht wahrscheinlich, daß, nachdem alle gestellten Bedingungen erfüllt sind, der König bald das Bedürfniß fühlen werde, die Stände des Landes um si zu versammeln, um in Eintracht mit ihnen und dadurch in Eintracht mit ganz Deutschland den Ereignissen entgegen- zugehen, die eine plötzliche und unerhörte Wendung der Weltge- \hihte vorbereitet? Wir wollen am Rheine keine Absonderung, wir wollen Einheit des Rechts im Staate; aber wir können nicht ohne Schmerz, nicht mit leichtem Sinn das Neue hinnehmen, und wir, die wir hier anwesend sind, können es nicht übersehen, daß wir nicht vollzählig waren, daß uns starke Hülfe fehlte, daß uns Stimmen fehlten, die häufig die Beschlüsse der Versammlung zu unscren Gunsten umgewandt haben würden. Können Sie uns noh einmal den osse- nen freien Kampf für unsere Ueberzeugungen im weißen Saale unter allen Vertretern des Landes, mit gleicher Vertheilung von Wind und Sonne; wenn wir auch dann in wichtigen Punkten unterliegen, o werden wir mit der einen Hand die Wunde verdecken, die andere den Freunden entgegenreichen und Jhnen zurufen: Nun is es Wohl- that, keine Wahl zu haben, und eine Gunst is die Nothwendigkeit. (Bravoruf.)

Jch finde mich ebenfalls veranlaßt, dem

Abgeordn. Sperling : : ina welcher dahin geht, daß das

Antrage der Abtheilung beizutreten , M. Kriminalgeseßbuh nicht eher publizirt werde, als bis der Vereinigte Landtag über eine neue Kriminal - Ordnung berathen hat , und daß demselben dabei Gelegenheit gegeben werde, sih über unseren Ent= wurf des Kriminalgesezbuches auszusprechen.

Was den ersten Theil dieses Antrages anbetrifft, so ist das for= melle Bedenken, welches der Königliche Herr Kommissar aus dem An- trage des Vereinigten Landtages hergeleitet hat, bereits dur ein geehrtes Mitglied des Herrenstandes erledigt worden. Der Verei= nigte Landtag hat auf eine Erweiterung des Gebiets der Verordnung vom 17. Juli 1846 nicht angetragen. Diese Verordnung würde das Land durchaus nicht befriedigen. Jhre Ausdehnung auf die anderen Landestheile würde vielmehr aufregen, wenn die Richter dabei in der Abhängigkeit erhalten werden sollten, in welche sie das Disziplinar=- gescß von 1844 verseßt hat. Die Gründe, welce für den Antrag der Abtheilung in dessen erstem Theile sprechen , sind von derselben vollständig angeführt worden. Jch bin niht im Stande, einen neuen Grund denselben hinzuzufügen. Jch wende, mih daher ohne Weite= res zu dem zweiten Theile des Antrages, wonach noch dem Vereinig- ten Landtage Gelegenheit gegeben werden soll, über das neue Kri= minalgeseßbuch sich auszusprechen.

Gewiß hat die Abtheilung nicht daran gedacht, und es wird auch Niemanden von uns in den Sinn kommen, dur diesen Antrag her= beizuführen, daß der Vereinigte Landtag das Geseßbuch von Anfang an bis zu Ende, \o wie wir es gethan haben, zum Gegenstande einer speziellen Diskussion mahe; vielmehr soll dem Landtage nux Gelegenheit gegeben werden, einzelne Bestimmungen , die er dem Volksgeiste, der sittlihen Bildung der Nation nicht entsprechend hält, herauszuheben und darüber Beschluß zu fassen, Diesen Antrag halte ih für rehtlich begründet wegen der vielen nenen Bestimmungen, die in dem Stuafgeseßbuche vorkommen. Wir haben freilih von dem Königlichen Herrn Kommissar bei anderer Gelegenheit gehört, daß das Gouvernement sich nicht verpflichtet halte, dem Gutachten der Stände bei neuen Geseßen unbedingt zu folgen, daß vielmehr die Praxis bezeuge, daß es an Geseten, welche den Ständen vorgelegt gewesen, ohne Rücksicht auf deren Berathung Aenderungen gemacht habe, und in der That ist es bisher so gewesen. Jedoch dürfen wir wohl hoffen, daß sol=- hes nicht mehr stattfinden werde z scitdem die Stände sich vereinigt aussprechen, dürfen wir wohl hoffen, daß fortan das Gouvernement auf die Wünsche der Stände Rücksicht nehmen werde, selbst wenn solche die Schanze der Z Majorität niht errungen haben, und kann, meine Herren, jener Einwand des Königl. Herrn Kommissars in dem vorliegenden Falle auch außerdem nit Platz greifen, weil es sih niht um Abänderung {hon berathener Gesetze, sondern um ganz neue Gesehe handelt. Nach der bestehenden Verfassung sollen alle Gesebe, die das Perjonenrecht betrefsen, den Ständen zur Berathung vorgelegt wer=

den, und zu denselben gehören anerkanntermaßen die Strafgesebe. aber nah dem gemeinen

Unter einem Strafgesebe versteht man I Sprachgebrauche, wie in der Wissenschaft, den verfassungsmäßigen Ausspruch des Geseßgebers, durch welchen eine Handlung unter Strafandrohung geboten oder verboten wird. Halten wir diesen Be= griff an die einzelnen Bestimmungen unseres Strafgesehß - Entwurfes, so werden wir finden, daß uter demselben sehr viele Strafgeseße enthalten sind, die bisher den Ständen noch nicht vorgelegen haben. Jch werde mir erlauben, auf einige aufmerksam zu machen. Es sind:

1) Das Geseh über den Landfriedensbruch, §. 111. 2) Das Geseh, nach welchem derjenige mit Gefängnißstrafe belegt werden soll, der Maßregeln der Verwaltung herabzuwürdigen

sucht, §. 125.

Das Geseh über die Verpflichtung zur Anzeige des Vorhabens

einer Desertion, §. 133.

Das Gesetz in Betreff der Aerzte und Wundärzte, welche dur

falsche Atteste die Befreiung vom Militairdienste bewirken,

C. 139.

Das Geseh in Betreff der Medizinalpersonen und ihrer Gehül-

fen, welche die in Ausübung threr Kunst ihnen bekannt geworde= nen persönlichen Verhältnisse offenbaren, §. 194, Das Geseß , welches Beamten die Theilnahme an Verbie- tungen, die von der Obrigkeit verboten sind, deren Dasein , Verfassung oder Zweck vor der Obrigkeit geheim gehalten werden soll, oder in welchen gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte unbedingter Gehorsam versprohen wird, unter Androhung der Amts-Entseßung untersagt, §. 141. Das Gesetz, welches diejenigen Gewerbetreibenden mit dem Ver= lust der Gewerbebefugniß bedroht, welche ihr Gewerbe zur An- fertigung oder Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen mißbrauchen, durch welche Religionsgesellschaften beleidigt werden, §. 149. y 8) Das Gesey, welches die Beamten von Actien-, Handels- oder anderen Gesellschaften wegen Untreue mit Strafe bedroht, g. 301. i 9) Das Geseh über unbefugten Fischfang, §. 338. 10) Das Gesetz, welches entlassene Beamte zur Amtsverschwiegen- heit bei Strafarbeit verpflichtet, §. 374; und 11) Der ganze Abschnitt iber Verbrechen der Inhaber von Ho- heitsrechten und Regalien, §- 408 ff.

Jch habe diese Geseße als neu erst im Laufe der Berathu"9 erkannt, weil mir der Strafgeseß-Entwurf zu spät mitgetheilt ist, als daß ih mi neben meinen gewöhnlichen Berufsgeschäften vorher damit hätte ganz vertraut machen können, Jh habe sie nur beispielsweise

Freitag den 10. März.

angeführt, und es würde mir gewiß gelungen sein, noch mehrere herauszuheben, wenn es mir darauf angekommen wäre, sie sämmtlich aufzuzählen. Jn Beziehung auf diese Geseßze aber haben wir, meine Herren, nit blos die Rechte des Vereinigten Bul zu wahren, wie sich die Minorität der Abtheilung in deren Gutah- ten ausgedrüct hat, sondern uns vorzusehen, daß wir nit în die Rechte des Vereinigten Landtages eingreifen. Dies würden wir thun, wenn wir den Antrag der Abtheilung verwerfen, wenn wir dur ein entgegengeseßtes Votum zur Sanction solher neuen Geseße mitwir= fen wollten. Außer diesen Gcundsäßen des Rechts aber habe ich ebenfalls, wie ein geehrter Redner vor mir, auch Gründe der Zweck=- mäßfigkeit, und ein solcher besteht hauptsächlich darin, daß der Aus= \huß niht als das Organ vom Volke angesehen wird, welches sih in seinem Namen über das Strafgeseßbbuch auszulassen hat. Die Gesetzgebung selbs kann, indem sie eine numerische Verschiedenheit zwischen den einzelnen ständischen Versammlungen aufstellte, es nur im Sinn gehabt haben, daß die wichtigeren Geseße der größeren Versammlung vorgelegt werden sollten, daß zu deren Berathung allein diese berufen sein solltez und welches Gesey könnte wichtiger sein, als dasjenige, bei welhem es sich um das Leben der Staats- bürger, um die höchsten Güter des Lebens, um Ehre und Freiheit, handelt? : :

Es if von einzelnen Mitgliedern der Abtheilung, und ih glaube, au heute von Rednern darauf aufmerksam gemacht worden, daß es darauf ankomme, das bisherige mangelhafte Strafgeseßbuh aufzuhe- ben und an dessen Stelle so bald als mögli ein besseres zu seßen. Jch räume ein, daß das Allgemeine Landrecht sehr viele Mängel hat, daß z. B. die Strafen desselben oft exorbitant sind. Aber haben wir nicht gestern hon von einem geehrten Redner viele Fálle anfüh- ren gehört, in denen das neue Kriminalgesezbuh mit dem Minimum der Strafe da erst anfängt, wo das Allgemeine Landrecht mit dem Maxi= mum derselben aufhört? Finden wir nicht ungeachtet unserer sieben- wöchentlihen Berathung noch viele Bestimmungen im Entwurfe, die allgemeinen Anstoß erregten, als sie zur Publizität kamen? Jh meine

1) Die Bestimmung über die von Ausländern gegen den preu=-

ßishen Staat und preußische Unterthanen begangenen Ver=

brechen. E 7

) Die Bestimmung, welche die Uebertretung obrigkeitliher Verfü-

gungen zu Kriminalverbrechen stempelt. E

Die Bestimmung über Ehrenkränkung verstorbener Mitglieder

des Königl, Hauses. 5

Die Bestimmung über den Hochverrath und Landesverrath ge=-

gen den deutschen Bund, : E

Die Bestimmung über die Beleidigung der mit dem preußischen

Staate in völkerrechtlihem Verkehr lebenden Regenten und de-

ren Gemahlinnen, L 2

Können wir das neue Strafgesezbuch für gut erflären, wenn wir uns erinnern, wie oft nah demselben {hon der Versuch als voll- endetes Verbrechen bestraft werden soll, daß felbst der blos objektive Thatbestand, ohne Rücksicht auf die Absicht des Thäters, zur Konsta- tirung des Verbrechens für hinreichend erklärt is, wie oft die härte- sten Strafen, Ehren=- und Todesstrafen, absolut angedroht sind? Also auch das neue Geseßbuch hat seine Mängel , und diese sind, meine Herren, von der Art, daß wir uns eine große Verantwortlichkeit auf= laden möchten, wenn wir nicht dem Vereinigten Landtage, einer Kör- perschaft, welche allein berufen ist, das ganze Land zu vertreten, Ge- legenheit geben wollten, sich darüber auszusprechen.

Und endlich, was hat es denn mit der Emanation eines neuen Strafgeseßbuchs für große Noth? Lassen Sie uns noch einige Zeit bei unserem Allgemeinen Landrechte verharren! Dasselbe hat länger als 50 Jahre ausgereiht, es wird auch noch einige Zeit ausreichen. Denn lange kann und wird es niht mehr dauern, fo hoffen, so wün-= hen wir es ja, daß der Vereinigte Landtag einberufen werden wird. Also schließen Sie sich meine Herren, dem Antrage der Abtheilung an. Jch fühle mich im Bewußtsein meiner Pflichten gegen das Va- terland dazu verbunden.

Abgeordn. Graf Renard: Jch trete insoweit der Ansicht des sehr verehrten Mitgliedes der Herren- Kurie bei, als auh ih den Antrag der sehr kleinen Majorität der Abtheilung in 3 Theile ge= trennt wissen will. Der Antrag zerfällt in folgende Fragen :

„Soll dieses neue Strafgeseßbuh sofort noch nicht erlassen wer= den?“ dann: „Soll eine Kriminal-Ordnung dem Vereinigten Land= tage vorgelegt werdenj?‘“ und endlich drittens, der Antrag: „Der Vereinigte Landtag möge sich auch auf das Strafrecht neuerdings in seiner Materie einlassen.“

Was die erste Frage betrifft, so glaube ich, daß der Aus\{huß vollkommen kompetent ist, darüber zu entscheiden. Mir erscheint die Frage als eine der Nüßlichkeit;_ die Frage steht einfach :

„Js es wünschenswerth, daß an die Stelle des alten Rechtes baldmöglichst cin neues trete?“

Was unsere geehrten Brüder vom Rhein betrifst, so mögen sie ein solches Bedürfniß nicht fühlen, sie scheinen zufrieden zu sein mit dem, was sie besaßen. Anders mag sih aber die Ansicht in den alten Provinzen gestalten. Jh meinerseits erkenne in dem neuen Entwurfe einen kolossalen Fort schritt in der Erweiterung des natur- gemäßen Rechts eines jeden Staatsbürgers, in der Ausdehnung sei- ner persönlichen Freiheitsrechte, durch das ihm wiedergegebene Recht der Nothwehr, durch das ihm gegebene Recht des Hausrechts einen psychologischen Fortschritt in der größeren Berüsichtigung der Jn- dividual;tät der Verbrecher. Jm Gegensaß mit der Ansicht des ge- ehrten Herrn Landtags - Kommissars, der wohl die Nüglichkeit, aber nicht die Nothwendigkeit eines bei Erlassung des Strafgesebes gleig zeitig geänderten Verfahrens ausgesprochen hat, muß id) eaten D erkenne in dem neuen Entwurfe die Nothwendigkeit, die geande

Beweistheorie, die Oeffentlichkeit und Mündlichteit, M Wegfallen der außerordentlichen Strafmittel einzuführen, L, Fen großen Vortheile erkenne und anerkenne, 10 o d 9 U D die Versammlung durch irgend ein Votum beschließt, A führung der neuen Geseßgebung in unbestimmte Ferne hinausz zi e Staatsbürger der Vortheile einer erweiterten persönlichen Freihei zu berauben. Was die zweite Frage Es: d s E „Soll eine Kriminal-Ordnung dem Deremit G 0

werden ?““ ; |

j diese Frage vor der Hand nichts an. Jh

so g ih, edt anslitung dahingestellt; ob das Gouvernement lajje Lie f ist, eine solche Kriminal-Ordnung dem Vereinigten Lands vas “legen oder nicht, dies hängt einzig und cillein von dem Ba ab "eb die Kriminal-Ordnung einen wesentlichen und gleitd- D L OL et Hitpfté Einfluß auf das materielle Recht über Cigen- R chb Personen übt; allein ih glaube, es is nicht unjere Sade, L Vereinigte Undtag bereits Gele

dpr E si auszusprechen z „wir greifen in jeme Prärogative, anb es liegt mir gänzlich fern, hier irgend etwas andern zu wollen.

Was den dritten Antrag betrifft: