1881 / 32 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 07 Feb 1881 18:00:01 GMT) scan diff

sürwortete Freishule veranlassen würden, unerschwinglich. Er werde deshalb diesem neuen Finanzvrogramm entgegentreten aus Patriotismus, weil er fürchte, daß in diesem Programme eine vollständige Verrückung derjenigen Begriffe liege, die bis- her in der preußischen Finanzpolitik rnaßgebend gewesen seien, daß nämlich die Steuern einerseits nah der Leistungsfähig- keit, andererseits nah dem Maßstabe der Leistungen vertheilt würden, welche der Einzelne von seinem Staate und von seiner Kommune dafür erhalte. Er hoffe, daß aus demselben Grunde die Majorität dieses Hauses mit ihm gegen das Ge- seß stimmen werde.

Der Finanz-Ministcr Bitter erklärte, er habe um das Wort gebeten, um einen Punkt in der Rede des Abg. Riert richtig zu stellen, der Veranlassung zu ‘Mißverständnissen geben könnte. Der Abg. Rickert habe davon gesprochen, der Reichs- fonzler hätte sich in Bezug auf die Gebäudesteuerveranlagung gegen ihn (den Minister) gewandt. Der Reichskanzler wisse genau, daß ex weder mit dem Geseße über die Gebäudesteuer- veranlagung, noch mit dem über die Gebäudesteuerrevision den allergeringsten Zusammenhang gehabt habe. Der Reichskanzler wisse wohl, daß er bei dieser ganzen Frage nichts gethan habe, als die Beendigung der Ausführung jener Ge- seße; der Reichskanzler wisse aber auch, daß die Ge- bäudesteuerrevision auf geseßlihen Bestimmungen beruhe. Der Reichskanzler habe ausdrücklih erklärt, daß er in einem Punkte, in dem er sonst Beschwerde geführt haben würde, sih nicht beshwert habe, weil er abgewiesen worden wäre. Von einer Differenz zwischen dem Reichskanzler und ihm (dem Redner) könne also hier nicht die Rede sein.

Der Regierungskommissar Generaldirektor der direkten Steuern Burghart bemerkte, der Abg. Rickert habe gewiß höchst Beachtenswerthes auf dem Steuergebiete vorgetragen. Ganz erstaunt sei er aber über den Schluß, den derselbe ge- macht habe. Die Anklage, daß die gegenwärtige Steuerpolitik des Reichs, die dahin gehe, die allein durch das Reich flüssig zu machenden Mittel der indirekten Besteuerung auch wirklich in vernünftigen Grenzen auszubeuten und dadur dem nothleiden- De GIaat ¿11 De U On, Nord Und SUd zerreißen müsse, üÜbersteige do Alles, was bisher gesagt fei. Dann würde ja die gegenwärtige Politik des Reichskanzlers, der doh auch ungefähr davon etwas verstehe, was dem Reiche und dessen Entwickelung gut sei, in Grund und Boden ver- urtheilt fein. Nichts könne ja diametraler gegen die Absich- ten, die der Reichskanzler verfolge, cehen, als ein Steuer- system, das Nord und Süd zerreiße. Diese Ausführung be- ruhe auf einem vollständigen Jrrthum. Es liege durchaus nicht in oen Zwecken der Reichspolitik, auf dem Steuergebiete vom Neich aus, wie der Abg. Nichter gesagt habe, für alle Be- dürfnisse der Kommunen zu sorgen. (Zuruf des Abg. Richter: Das hat der Reichskanzler gesagt!) Das habe der Neichs- kanzler niht gesagt. Es sei ja fehr leiht möglich, daß cine einzelne Aeußerung mißverstanden werde. Was denke man sich überhaupt darunter, für alle Bedürfnisse der Komr1unen dur Neichssteuern zu forgen? Das heiße also sämmtliche Steuerbedürfnisse, die Staat, Kommunen und Reich hätten, in die Neichskasse fließen zu lassen und die Kommunen und Staaten gewissermaßen zu apanagirten Prinzen des Reichs zu machen. És sei ja sehr leiht, ein Phantom aufzustellen und dann anzugreifen. Das have der Reichskanzler nit ge- wollt. Auch in der von dem Abg. Rickeri dem Reichskcnzler untergelegten Aeußerung, derselbe fasse einen Zustand ins Auge, bei dem der Grundbesiß in den Kommunen keine Zu- schläge mehr zu tragcn habe, fei der Reichskanzler nicht rich- tig verstanden worden. Er (Redner) habe sih bei seinen Worten, die er auh die Ehre gehabt habe zu hören, ge- Dai: De Magetanzler wolle m0 daß die ganze Grund- und Gebäudesteuer in ibrer gegenwärtigen Höhe, nach Ueberweisung der Hälste an die Kommunen, die Basis für die Zuschläge sei. Auf der rehten Seite dieses Hauses habe das die crheblihsten Bedenken hervorgerufen. Man glaube, daß die Ueberweisung der Hälste der Grund- und Ge- bäudesteuer sür den Grundbesiß theilweise 1llusorisch sein würde, wenn dabei die ganze Grund- und Gebäudesteuer doh wieder die Basis des Zuschlags bilde, Das sei vollkommen begründet. Der Reichskanzler werde sich cinen Zustand vorstellen, der dem- nächst die Basis der Grunt- und Gebäudesteuer in derselben Weise ermäßige, indem nur die Hälfte bei der Berehnung von Zuschlägen berücksichtigt werde. So habe er den Reichskanzler verstanden, und so sei es etwas durchaus n der Mialur dev Sae Liegendes Es leide diele Debatte wesentlih mit unter dem Uebclstande, daß die ganze Reform nicht mit einem Schlage vorgelegt werden könne, Fn- dessen habe der Reichskanzler die Unmöglichkeit davon auf das Schlagendste entwickelt. Es sei kein Kopf da, der das mit einem Male vollständig darlegen könnte; man müsse sih hier, wie überall, auf die Zukunft verlassen. Die Abgg. Richter und Rickert hätten auf die Entbehrlichkeit dieses Gesches hin- gewiesen. Die Regierung habe dasselbe aber keineswegs im Snteresse der Gegner der Steuerreform eingebracht, sondern im Gegentheil, um die beabsichtigten weiteren Fortschritte der Steuerreform im Reiche zu stärken und zu erleichtern. Es sei also nichts erklärlicher, als daß die Herren, die sagten : keinen Pfen- nig indirekter Steuer mehr an diesem Gesetze keinen Ge- fallen fänden und von vorn herein erklärten, dasselbe sei überflüssig. Das Verwendungsgeseß vom vorigen Fahre mache diese Vor- lage nicht entbehrlih, die sich von jenem in zwei bemwerkein8- werthen Punkten unterscheide. Während jenes Gese die Ga- rantie der Verwendung zu Steuererlassen nur relativ und bedingt statuire bedingt dadurch, daß man eben im Staate das Geld niht brauhe, um anderen staatlihen Bedürfnissen u genügen gebe das vorliegende diese Garantie ganz un- edingt. Kein staatlihes Bedürsniß könne, so lange nicht eine Aenderung des Gesetzes erfolgt sei, sih vordrängen und einen Anthcil an den Revenuen aus den neuen Reichssteuern ver- sangen, sondern diese gingen den Wea, den das Geseh ihnen weise, Der Abg. Rickert meine, die Negierung könnte das Land nicht davor s{hügen, daß im Reiche neue Matrikularbeiträge kämen. Dadurch werde doch aber zunächst seine Behauptung nicht entkräftet. Zweitens habe mar. zwar selbstverständlih die Entschließung des Reichstages und des Bundesrathes hier niht in der Hand, könne aljo keine Ga- rantie für Matrikularbeiträge übernehmen ; aber es liege doch in diejem Geseße ein auch vom Standpunkt des Steuerzahlers gewiß nicht gering anzuschlagender Antrieb zur Sparsamkeit un Reich. Ein fernerer Grund dafür, daß dieses Geseh durch das vom vorigen Jahre nicht überflüssig gemacht werde, liege darin : als das lehtere gemacht sei, habe man, um die Garantie der Verwendung zu Steuererlassen zu geben, das Steucrsystem nehmen müssen, wie es gelegen habe, und es sei nichts übrig geblieben, als in einer ziemlich rohen Weise einen Ver-

wendungsmodus herzustellen und sogar die fünf untersten Slufen der Einkominensteuer und die Klassensteuer nach einem gleichen Maßstabe zu behandeln. Das sei hon damals in diesem Hause sehr angegriffen. Die Regierung habe Werth

darauf gelegt, die Ziele, die sie verfolgte, so weit es möglich, |

vor dem Lande klar zu stellen. Darin

liege keine Ent-

wickelung eines vollständigen Steuerprogramms, wie es hier | von verschiedenen Seiten des Hauses aufgestellt sei, und mit |

deren keinem sich die Regierung identifiziren könne. Der Abg. Richter habe in seinen Aeußerungen dezüglih des Programms der konservativen Partei t1e Kapitalbesteuerung als eine sehr übershäßte Revenue dargestellt. Was der Abg. Richter in dieser Beziehung übér England gesagt habe, beruhe wohl auf einem Zrrthum. Die angegebenen Zahlen möchten ja rihlig sein; der Abg. Richter übersehe aber, daß Das, was er als Kapitalbesteuerung hinstelle, ausschließlich die Einkünste an Leibrenten, Zinsen und Dividenden aus öffentlichen Kassen darstelle. Der Hauptschwerpunkt der Ka- pitalbesteuerung liege aber bekanntlih in der Besteuerung des Kapitals, das in der Landwirthschast in den rückständigen Kaufgeldern, in Hypotheken und was in den Gewerben, in den Betriebskapitalien u. dgl. stecke, Er (Redner) habe das Pro- gramm der konservativen Partei nicht so verstanden, daß sie die Nevenuen, die etwa aus ciner Kapitalbesteuerung kämen, nun noch zu denen, die jeßt shon vorhanden seien, zuschlagen und die Gesammtsumme darum erhöhen wolle. Recht verstan- den gingen diese Jdeen wohl dahin, eine gerehte Aus- gleihung der Besteuerung zu schaffen. Die Konversativen sagten, das Kapital sei bis jeßt bevorzugt, was gewiß rihlig sei, und wollten also eine Form finden, daß das fundirte Einkommen nicht blos, wenn es aus Grund- oder Gebäudebesiß komme, sondern auch das aus Kapitalien ent- springende gerechter getroffen werde. Die auf diese Weise ge- wonnenen Revenuen wollten sie zux Herabseßung der Ein- kfommensieuer in dem Prozertsaße verwenden, als die Reve- nuen aus dieser Ausgleichung entsprehend stiegen. Darin träfen ja die Herren mit dem Abg. Richter zusammen, der auch ein sehr großer Freund von schr niedrigen Einkommen- steuerprozentsäßen sei. Jn der Vorlage sei das Reformpro- gramm der Regierung nicht enthalten; dasselve liege noch einen Schritt weiter zurück und werde also frühestens im nächsten Jahre dem Hause vorgelegt werden. Gleichwohl glaube die Regierung, daß ihre Vorschläge die Zustim- Ung Ie Dae Un aUO De Mera keit des Landes verdienten. Die Regierung habe den dringenden Wunsch, daß eine Vereinigung der Stimmen dieses Hauses in dieser Angelegenheit eintrete. Um zwei Punkte handele es sih: zunächst um die Zurückziehung der Steuergrenze für Personalsteuern von der gegenwärtigen Ausdehnung, ein Retranchement, eine Einschränkung dex Grenze der dircklen Vesteuerung. Diese Vorlage sei durhaus nichts Jmprovisirtes. Derselbe Vorschlag sei in der hon vor Fahren aufgestellten Denkschrift enthalten und rehtfertige sich in erster Linie als eine Forderung der Gerechtigkeit. Man möge über das gegenwärtige Zollsystem der Tabaksbesteuerung denken wie man wolle, so werde man der Regierung doch Recht geben müssen, daß ein Land, welches sich in hervorragender Weise auf die Erträge der indirekten Steuern stüße und zwar solcher, die jedenfalls bis in die untersten Stufen dex Bevölkerung herunterreichten, fehr vorsichtig sein müsse in der direkten Belastung der unteren Stufen. Das sei eine Forde- rung ersten Nanges der Gerechtigkeit, die kein geordnetes Staatswesen von sich abweisen könne. Außerdem habe diese Maßregel aber die Bedeutung, die schwachen Steuerkräfte aus dem Bereich der Staaissteuer zu entlasten und sie der Be- steuecung der Kommunen zu entziehen. Ferner sei es eine eminente Forderung einer Einkommenbesteuerung, daß die Grenzen mt zu tief gezogen würden. Wenn man die Mil- lionen erst mit ins Spiel ziehe bei einer Einkommensteuer, so werde man in den Forderungen, wie dieselbe auszugesialten sei, sehr nachsichtig sein müssen, während raan, wenn inan die Grenzen nicht zu niedrig ziehe, in der Lage sci, die Ein- fommenbesteuerung selbst auf einen hohen Grad der Vollk:w- menheit zu bringen. Das sei keine blos theoretishe Erwägunz. Es räche si s{chwer, wenn man eine Steuer mit der Aufgabe hinstelle, oyne ihr die Mittel zu geben, diese Aufgabe weaig- stens bis zu einem gewissen Grade zutreffend erfülle zu können. Die Aufgabe der Regierung sei bisher eine uner- hörte gewesen; es gebe kein Stcuersystem, das, wie das oreu- ische, bis in die untersten Stufen he-cunter cine unmittelbare direkte Erfassung des Einkommens den Organen der Stever- verwaltung zugemuthet hätte. Es gebe kein Steuersyst:m, tas mit dies.r Ausgabe noch die weitere Erschwerung vcrbinde, ter Verwaltung alle geshulten Organe zu entziehen, fie aus- \chließlid, auf die Benußung von Gemeindeorganen hinzu- weisen, und was das heißen wolle, wüßten die Herren, die die Art der Gemeinden, beispielsweise in den lit- thauishen, posenshen und ober‘hlesischen Bezirken keizinten. Der zweite große Gesichtepankt der Vorlage sei die Ueberweisung von Staatssteuern zur Dotation öfjentlicher Verbände zum Zroeck der Erleichterunç der Kommunallesleue- rung. Dieser Gedanke sei himmelweit davon verschieden, daß die Geschäste der Kommunen vom Staate besorgt werden sollten. Der Aba. Richter habe gestern eine Definition von Selbst- verwaltung gegeben, die er (Redner) selbst vor 20 Fahren auch in diesem Hause fast mit denselben Worten gegeben habe: Selbstverwaltung sei eben, daß man das, was man selbst verwalte, ouch selbst bezahle. Bei genauer Ansicht der Sache sei das doeh nicht ausreil;,end. Es lasse sih sehr gut denken, daß die Mittel zur Bezahlung dessen, was die Kom- munen ausführten, zum Theil aus anderen, höheren Ver- Länden ihnen zuflössen, Ex zrocifle nicht, daß wenn das Haus den Vorschlag der Regierung annehme, die Kreise mit Mitteln zu dotiren, es dann der Gesetzgebung gelingen werde, diesen fruchtbaren Theil demnächst weiter zu gestalten. Au, würde man nicht zu besorgen haben, daß Znteressenkämpfe niederer Art die Maßregel in ihr Gegen- theil verwandeln würden. Das Kommunalsteuergeseß sei nur eine sehr unvollklommene Hülfe für die Gemeinden, indem es ihnen nur sehr wenig oder gar keinen materiellen Nußen ge- währe. Die gegenwärtige Vorlage habe sich nun gerade die Erleichterung der Gemeinden zum Zweck geseht und biete dazu die verschiedensten Wege, und zwar e:stlih die {on erwähnte Ueberlassung der Klassensteuer zur ausschließlihen Besteuerung dur die Kommunen. Die Vorlage biete dem Hause aber zweitens den Anfang eines Systems ver Fundi- rung von Kommunalverbänden höherer Art, aus denen die Kommunen enllastet würden. Sie biete aber drittens die Garantie einer Reform der direkten Stenern. Die Regierung theile ourhaus niht den Standpunkt, daß nach einer jeßt

: mehrfach vertretenen Schablone die Kommune sich auf die | Liegenschaftssteuer und der Staat auf die Gebäudesteuer zu beschränken habe und daß das Reich die ‘indirekten Steuern | habe. Die Regierung könne nur wiederholt bitten, dieser Vorlage in der Kommission eingehende Aufmerksamkeit zu | widmen. Die Kommission werde die Regierung bereit finden, in jeder Hinsicht die etwaigen Mängel der Vorlage, die der Abg. Rikert etwas {hroff hervorgehoben habe, auszugleichen. Wenn man \ih beshwert habe, daß keine ausführliche Statistik beigegeben sei, so sollten auh nicht die Schwierig- feiten untershäßt werden, die mit der Aufstellung der ver- langten Statistik verknüpft seien.

Der Abg. Frhr. von Hammerstein wandte sih gegen die Ausführungen des Abg. Ridckert, wie könne der Abg. Rickert, der selbst auch Landwirth sei, den Landwirthen rathen, die Körnerwirthschast durch intensive Viehwirihschast zu erseßen, die mit viel weniger Menschenkrästen betrieben würde! Da- durch würden ja 100 000 von Arbeitern brodlos werden und das schlage der Abg. Rickert im selben Augenblick vor, wo er an die Krawalle der Königsberger brodlosen Arbeiter erinnere. Wern diese Maßregel den Landwirthen etwas nüßen sollte, so müßten vor Allem die Massen des Volks konsumtions- fähiger geworden sein, denn die animalishe Nahrung sei theurer als die vegetabilishe. Und doch behaupte der Aa. Maler, die Arbeitérbevolkerung \&@ weniger kfonsumtionssähig geworden. Nicht vom finanz- und steuertehnischen Standpunkt, fondern vom allgemcin poli- tischen Standpunkt aus müsse man das Geseß beurtheilen. Bon diesem Standpunkte aus finde er nun im direkten Gegen- saß zum Abg. Nickert, daß die weitere Verfolgung der jezigen Zoll- und Steucrpolitik des Reichskanzlers ein wesentlicher Kitt sein werde für das Deutsche Reih. Der Hauptwerth der Vorlage liege in der „unverkürzten“ Verwendung zum Steuer- erlaß. Die übrigen Bestimmungen halte er vou vornherein in allen Punkten für diskutabel und würde nicht darauf eingehen, wenn der Finanz-Minister nicht gesagt hätte, die BOrIage Dae aUO) den Set de Biele Der GSleuer: reform klar zu stellen, und wenn der Abg. Richter nicht behauptet hätte, die Konservativen befänden sih in dia- metralem Gegensaßze zu den Plänen * des Reichskanzlers. Mit einer gewissen Rührung habe ex gestern den Abg. Richter als Vertheidiger des Reichskanzlers gegen die bösen Konservativen und der Grundbesißer gegen die soge- nannten Grofgrundbesißer oder die Junkerpartei gesehen. Der Bersuch, in diescr Frage eincn Keil zwischen die Konservativen und die Regierung zu treiben, werde dem Abg. Richter nicht gelingen. Die Konservativen befänden sich in überwiegender Mehrzahl in so grundsäßlichem Einverständniß mit den großen allgemeinen Zielen des Reichskanzlers in seiner neuen Wirth- schastspolitik und der Reichskanzler sei sich darüber so voll- ständig klar, vaß derselbe diese Ziele nux in Gemeinschast mit den Konservativen erceihen könne, daß über Detailfsragen eine Verständigung auf ernste Hindernisse niemals stoßen werde. Die Aeußerungen der Abgg. von Wedell und von Rauchhaupt s{chlössen die Bewilligung neuer Steuern nicht aus. Die organische Steuerreform habe mit diesem Beseß gar nichts zu thun, deshalb behalte sih die Regierüng in den Motiven auch eine spätestens in der nächsten Session einzubringende Vorlage über die organische Umgestaltaig der einzelnen direkten Steuern vor. Auch seine Partei wolle ein organisches Geseß behufs anderweitiger Vertheilung der direk- ten Steuern und glaube, daß die Regierung im Einverständ- niß mit seiner Partei bei dieser neuen Vertheilung die Prä- gravirten erleichtern und die Begünstigten höher belasten wolle. Fn Bezug auf die Personalsteuern werde dies durch dieses Geseß und den angenommenen Antrag von Minnige- rode erreich, Dann bieibe also nur die stärkere Pro«ression der Besteuerung des cine gewisse Höhe übersteigenden Einkom- mens und die anderweite Vertheilung der Ertragssteuern. Hier müßte das bisher begünstigte Kapital stärker heran- gezogen, die bisher prägravirten Objekte aber, der Grundbesiß und das fleine Gewerbe erleichtert werden. Dieses Ziel scheine ihm nah den Ausführungen des Kon-missars auch die Regie- rung zu verfolgen, da derselbe in Aussicht gestellt habe, daß die Grund- und Gebäudesteuer als Basis der Kommunal- besteuerung von selbst fortfallen werde. Vielleicht nach den Ausführungen des Kommissars glaube er es niht meinte aber die Regierung dieses Ziel ohne Bewilligung von Staats- mitteln erreichen zu können. Er theile in der Beziehung den Optimismus des Abg. von Wedell niht. Die Steuern von den übrigen Kapitalsrenten würden nicht annähernd das bringen, was man brauchen werde, um die anderweite Vertheilung hervorzubringen. Das Wort „unverkürzt“ im 8.1 scheine aber darauf hinzudeuten, als soilten die Ueberschüsse aus den indirekten Steuern ausschließlih zu den in den 88. 2 und 4 bestimniten und nicht auch zu diesem, soeben von ihm erwähnten Zwedke verwendet werden; darum habe seine Partei von vornherein vie Frage ventilirt, ob es niht zweckmäßig sei, im Artikel 1 den Gedanken zum Ausdruck zu bringen, daß es dem preußi- schen Staate freistehen solle, auch für solche Einnahmefälle, die demselben aus einer im Wege organischer Steuerreform eingesührten Erleichterung an direkten Steuern erwüchsen, in den Ueberschüssen Deckung zu suchen. Eine weitere Ent- widllung der indirekten Steuern sei nun für diese orga- nishe Ausgleihung der direkten Steuern au nöthig. Der Staat verliere durch die Ausfälle der untern Klassen- steuerstufe 20 MWVillionen, dur die weitere Ermäßigung nah dem Antrage von Minnigerode 14 Millionen, durch die Ermäßigung der halben Grund- und Gebäudcsteuer 331/» Ptéillionen und endblih durch die Ermäßigung der kleinen Ge- werbetreibenden 21/4 bis 3 Millionen, im Ganzen 70 Villionen. Wenn nun auch die erwähnten 14 Millionen durch die Kapi- talrentensteuer gedeckt würdin, so blieben noch 56 Millionen für Preußen. Das seien 76 Millionen für das Reich zu be- schaffen. Damit sei aber für die Erleichterung der Kommunen noch gar nichts geschehen, Wein man auch eine gerehtere Grundlage für die KommunalLcesteuerung finden sollte, so werde cs den Kommunen doch sehr {wer fallen, allen ihren Aufgaben nur mit den direkten Steuern gerecht zu werden. Die Ueberweisung von Mitteln an die Kommunen müsse daher fest im Auge behalten werden. Dieses Geseh möge dann freilich nicht als Grundlage dazu geeignet erscheinen, da man die hier als Maßstab genommene Klassensteuer in nicht allzuferner Zeit vielleiht überhaupt niht mehr haben werde. Man werde also wohl bestimmte Beträge überweisen müssen. Jedenfalls aber müsse man dieses Gesez \o behandeln, daß es für eine spätere Steuerreform nit präjudizirlih werde. Wenn nun der Abg. Richter gemcint

abe, der Großgrundbesizer werde durch diese Reform zur Ein- i Wecteribiiere stärker herangezogen werden, so leugne er das

ar nicht. Er venke auch gar nit daran, den Großgrund-

besiver besser stellen zu wollen, als den Großkapitalisten, Auch die Sorge, daß das Kapital auswandern werde, schrecke ihn von einer stärkeren Belastung desselben nit zurück. Das Kapital befinde sich in Preußen fo wohl, daß die stärkere Besteuerung keinen einzigen Kapitalisten aus dem Lande treiben werde. Den fleinen Grundbesißern werde die konservative Reform ebenfalls nüßen, da ja die gleichzeitige Befreiung der unteren Stufen der Klassensteuer au sie treffe, und auch die Neform der Gewerbesteuer ihnen zu Gute komme. Die Ermäßigung der Grundsteuer sei nur die im Ge- seh vom 21. Mai 1861 hon in Aussiht genom- mene Aufhebung einer Ungerechtigkeit, welhe der Grund- besiß damals in patriotischer Würdigung der zwingenden Gründe habe über si ergehen lassen. Der Abg. Lasker habe in einer Sißung des Ausschusses für Handel und Verkehr im Fahre 1868 anerkannt, daß die Geseße den Handel zu Un- gunsten des platten Landes beförderten, und die Verarmung des Grundbesißes in gewissen Provinzen von dem unverhält- nißmäßig belastenden Steuermodus herrühre. Das erkläre auch die fortwährende Abnal,me der Steuerleistung auf dem platten Lande und ihre Zunahme in den Städten, ganz ab- gesehen von der Aushebung der Mahl- und Schlachtsteuer. Er meine also, die Landleute würden die Vertheidigung ihrer Jnteressen durch den Abg. Nichter wenig zu würdigen wissen.

Die Diskussion wurde geschlossen. Persönlich bemerkte der Abg. von Meyer-Arnswalde, der Abg. Rickert habe dem Hause mitgetheilt, in Folge seiner (des Redners) Freihandels- ideen sei er der treue Bundeëgenosse der Abgg. Richter und Rickert geworden, er sei im Bunde der Dritte und ihre Freundschaft werde ewig dauern. Er beklage lebhaft, daß er Heute niht zum Worte gekornmen sei, dann wäre gleich die Probe auf ihre Freundschaft gemacht worden; wenn er sih entpuppt hätte als Verehrer des Tabaks8monopols und der Börsensteuer troß seines Freihandels. Er werde vielleiht Ge- legenheit haben das später zu thun. Er hoffe, daß die beiden Herren ihn dann doch milde beurtheilen würden ; sie würden dann oielleicht sagen: dergleichen klcine Differenzen seien „unter Kameraden ganz egal““,

Der Abg. Richter (Hagen) betonte, er habe gestern über- sehen, das Mißverständniß des Reichskanzlers zu berichtigen, als ob erx mit demselben der Absicht sei, die Shulen von dem Einfluß der Gemeinden zu befreien. Er have nur gesagt, daß, wenn man in Preußen einmal die Mittel habe, den unteren Klassen etwas zuzuwenden, er die Aushebung des Schulgeldes der Aufhebung der untersten Klassensteuerstufen vorziehen würde. Er habe nicht, wie der Regierungskommissar meine, dem Reichskanzler falsche Absihten in Bezug auf Centralisation unterge)hoben, sondern derselbe habe, wie der Wortlaut seiner gestrigen Rede bestätige, jene Aeuße- rung auf der parlamentarishen Soirëe wahrgehalten, wonach derselbe darauf ausgehe, die Polizei-, Armen- und Schulkosten insgesammt durch Staatskosten aufzu- bringen. Die Regierungskommissarien seien ja allerdings in einer shwierigen Lage, wenn plößlich cin neues, allen his- herigen Traditionen widersprehendes Programm aufgestellt werde, zumal wenn ihnen dasselbe noch nicht aktenmäßig vom Reichskanzler mitgetheilt worden sei. Aber die Regierungs- kommissariea sollten die Verwirrung der Situation, in der man fi ohnehin befinde, niht noch vergrößern, indem sie ihre Bedenken gegen folhe neuen Prograinme an die Adresse des Hauses, stait an die des Reichskanzlers richteten. Der Abg. von Hammerstein habe die Gemeinschast der Konservativen mit dem Reichskanzler seiner Partei gegenüber betont. Er brauche nux hervorzuheben, daß der Reichskanzler mit naten Worten seine Aeußerung als richtig, anerkannt habe, daß das aa Pragramm sein eigenes Programm mitten entzwei Mage.

Dex Abg. Rickert bemerftte, er habe nicht, wie der Abg. von Hammerstein gesagt habe, den Landwirthen den Rath gegeben, eine neue Bewirthschafstungsmethode zu versuchen, nämlich den Kornbau einzuschränken und dafür Weidewirth- schaft einzuführen. Denn niemals werde er es wagen, sich oen Herren gegenüber als rathgebender Landwirth aufzu- spielen. Er habe tem Hause nur den Nath hervorragender Landwirthe vorgelesen; ob die Landwirthe ihn befolgen würden oder nicht, sei ihre Sache.

Das Geseg wurde darauf einer besonderen Kommission von 28 Mitgliedern überwiesen.

Es folgte die zweite Berathung des Entwurfs eines Ge- seßes, beireffend die Bewilligung von Staatsmitteln Ur QeouUng der mir WmartliGen Lage in den nothleidenden Theilen des Regierungsbezirks Dppeln.

8. 1 lautet in der Fassung der Kommission :

Der Staatsregierung wird eine Summe bis zu 16 Millionen Mark zur Verfügung gestellt, um Behufs Hebung der wirthschaft- lien Lage in den nothleidenden Theilen des Regierungsbezirks Dppeln

1) zur Ausführung von Ent- und Bewässerungen,

2) zur Regulirung von Flufßläufen,

3) zur Fôêrderunz der Folge-Einrichtungea bei Gemeinheits- theilungen u-d Zusammenlegungen, y 4) zir Förderung einzelner laudwirthshaftliher Kulturzweigz, inébesondere des Flabsbaues, zur Förderuug des gewerblichen Un- terrihts und der Hausindustrie,

5) zue leibteren Befriedigung des Kreditbedürfnisses der klei- neren Grundbesitzer,

__6) zur Begründung neuer Sculst-ellcz und“zu Beihülfen für S@{u!-Yeu- und Erweiterungsbauten,

7) zu Zuschüssen an die Obersclesish? und die Rechte Oder- Ufer-Cisenbahngeselshaft nach Ausführung der Cisenbabnlinien von d.r Wilhelmsbabn unweit Rybnik oder Oczeshe nah Sohrau, von der Wilhelmsbahnu unweit Rybnik nad Loslau und von Creuzburg über Lubliniy nah Tarnowit,

8 zur theilweisen Bestreitung der Grunderwerbs?osten für die Eisenbahn von Creuzburg über Lubliniy nah Tarnowihz

die Mittel zu gewähren.

Das Haus diskutirte zunächst die Nr. 1 (zur Ausführung von Ent- und Bewässerungen) und die dazu gehörigen, die Ausführungsbestimmungen enthaltenden 88. 2, 3, 4 und 5, Na 8. 2 sollten die Kosten der Vorarbeiten auf die Staats- kasse übernommen werden; zur Ausführung der Drainage würden im 8. 3 10 Millionen Mark? bestimmt; die 88. 4 und 5 enthaiten die Verzinsungs- und Nückzahlungsbedingungen. Zu 8. 4, welcher bestimmt, daß die Darlehne mindestens nah Ablauf von 5 Freijahren durch jährlihe Zahlung von 5 Pro- zent der ursprünglichen Darlehnssumme verzinst und getilgt werden müssen, beantragte der Abg. Conrad (Pleß), die an- gegebene Frist auf 8 Jahre zu verlängern.

Ferner lag ein Antrag des Abg. von Ludwig vor, welcher | 1) vorschlägt, die Ueberschrift des Geseßes wie folgt zu fassen: ! „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Bewilligung von Staatsmitteln zur Hebung der wirthschaftlihen Lage in den wirthschastlih s{wächsten Theilen der Monarchie“ und 2) dieser Ueberschrift gemäß die in der Vorlage beantragte Summe nicht auf den Regierungsbezirk Oppeln beschränkt wissen will, sondern eine iährlihe Bewilligung jener auf alle Theile der Monarchie zu vertheilenden Summe verlangt.

Der Referent Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa wies auf einige wichtige Petitionen hin, die nah Feststellung des Berichts eingegangen seien. Die eine von dem Kreis- aus\huß des Kreises Oppeln und der1 Magistrat zu Krappiß ausgehend, fordere die Staatsregierung auf, eine Subvention für den Bau einer festen Oderbrücke bei Krappiß zu bewilligen. Man mache geltend, daß früher im Landesvertheidigungs- interesse die Brücke dort abgebrochen sei, daß momentan der Verkehr dur eine Schiffsbrüccke hergestellt sei, die für einen Theil des Jahres nicht benußt werden könne, daß fie erseßt werde durch eine Fähre, die mit dem Eisgang außer Gebrauch trete, daß dann aber jeder Verkehr stockle, gerade an einem Punkt, wo zahlreiche Chausseen zusammenträfen, wo überhaupt der Frachtverkehr ein fehr reger sei. Die dafür ausgeworfene Summe solle 210 000 # betragen und man behaupte, daß die Leute in der Gegend ebenfalls von dem Nothstand betroffen worden seien und daß es ihnen daher shwer falle, diese Summe aufzubringen. Da nun. die Petition nicht in den Rahmen des Gesetzes absolut gehöre, obwohl sie mit dem Nothstand in ge- wisser Verbindung stehe, so sei die Petition der Petitionskom- misfion überwiesen. Eine zweite Petition gehe von der Stadt Landsberg aus, die sich allerdings an die Vorlage anschließe und darum bitte, entweder die Bahn Kreußburg - Rosen- berg-Lubliniß über Lanbsberg zu führen, oder, wenn das nicht möglich sei, eine Flügelbahn von Kreußburg nah Landsberg zu bauen. Schon früher habe man über dies Projekt im Staats-Minisierium verhandelt, ohne jedoch zu einem Abschlusse zu kommen. Hätte die Petition bereits der Kommi}sion vor- gelegen, so wäre sie jedenfalls der Staatsregierung zur wohl- wollenden Erwägung überwiesen worden. Zu dem Antrag von Ludwig, der e'gent [ih das Prinzip des Geseßes, der mo- mentanen Hülfe, thatsächlih negire und der Kommission nicht vorgelegen habe, Stellung zu nehmen, sehe sih der Referent in keiner Weise veranlaßt.

Der Abg. Sombart empfahl die für Drainagen aus- geworfenen 10 Millionen Mark nicht hauptsählih für dieje koslspielige, einer fortgeschrittenen Landwirthschaft zukom- mende und die Jndustrie Oberschlesiens nicht beschäftigende Art der Entwässerung zu verwenden, sondern lieber die Wiesenkultur, besonders die Vewässerung der Wiesen zu pflegen, mit der der auf niedriger tehnisher Stufe stezen- A overscchlesishen Landwirthschast schnell geholfen werden önne.

Der Abg. Dr. Holze bemerkte, gegen die Besälüsse der Kommssion habe er keine Einwendungen zu machen und be- \chränke sih darauf, dem Antrage des Abg. von Ludwig ent- gegenzutreten. Derselbe habe cinen sehr großen und weit- tragenden Gedanken ausgesprochen, der nicht so nebenbei bei diesem Nothstandegesez erledigt werden könne. Er habe bei der ersten Lesung ertläri, seine Partei würde erforderlichen Falles bereit sein, jedem anderen nothleidenden Landestheile zu Hülfe zu kommen, er habe aber gleich gesaat, die Frage müßte immer von Fall zu Fall entschieden werden. Nun komme der Abg. von Ludwig mit einem Antrage, von dem man sagen müsse, das Beste sei des Guten Feind; dnn dex Antrag sei ganz geeig- net, das Zustandekommen der Vorlage zu verzögern. Der Abg. von Ludwig schlage vor, mit 16 Mill. jährli Nothstände zu züchten und gewissermaßen eine Prämie auf den Nothstand auszuseßen. Es sei behauptet worden, daß schon der Noth- stand in Oberschlesien übertrieben sei; gezüchtet sei berselbe aber doch sicherlich nit. Woher follten denn auch die 16 Mill. jährlih kommen, nadtdem ein Steuererlaß von 14 Mill. be- \chlossen sei? Er bitte den Antrag abzulehnen. i

Dex Abg. oon Ludwig betonte, wenn er au gegen die

Vorlage gemeldet sei, so liege es ihm doch fern, den ober- \clesishen Brüdern einen Pfennig der für sie bestimmten Summe abziehen zu wollen. Er gebe zu, daß sein Antrag Großes verlange, wer aber gestern den Reichskanzler gehört habe, der werde sih überzeugt haben, daß den Landwirthen geholfen werden müsse und, daß die bisherigen Maßnahmen dazu niht ousreichten. Jn anderen Ländern geschehe viel mehr; in Oesterrcih bemühe man sich, alle Hypothekenshulden vom Grundbesiß abzulösen, in Jndien und Kanada verbiete man bereits, Hypotheken auf Grund und Boden aufzunehmen. Sein Vorschlog treffe ganz den gestrigen Gedanken des Reichskanzlers über di: gesammte Wirthschaftspolitik. Es handele sih ja in Oberscklesien jeßt auch nicht um ein2 momentane Noth, son- dern um Präventivmaßregeln, weil die natürlihen Boden- verhältnisse dort jeden Augenblick einen Nothstand möglich machten. Wenn das der Grund der Vorlage sei und man den Grundsatz billige, was dem Einen recht sei, sei dem An- deren billig, jo müsse man auch Gegenden, in denen ähnliche Verhältnisse besiänden, zu Hülfe kommen; er erinnere nur an den Wefsierwald, an die Eifel, einzelne Theile des Riesen- gebirges und des Glayer Gebirges. Er bitte also, den Antrag nicht kurzweg von der Hany zu weisen und denselben der Budget - Kommission zur DVorbe- rathung zu übergeben; die Berathung der Vorlage werde dadurch nicht verzögert werden. Der Abg. Sombart tadele an der Vorlage, daß man der Drainage ein zu aroßes Feld einräume und die Bewässerung von Wiesen beschränke, der Abg. Sombart übersehe aber, daß 10 Millionen zur Ent- und Bewässerung ausgeworfen seien. Dann habe der Abg. Sombart ein unglückliches Rezept damit vorgeschlagen, daß derselbe in höherem Maße die Pflege der Viehzucht empfohlen habe. Oberschlesien leide an nage Boden, auf solchem wüchsen aure Gräser, die ein wahres Gift für Milchkühe seien. Daß in Folge der Drainage der Boden auch mehr Dünger brauchen würde, sei rihtig, darum habe er noch den Antrag ge\tellt, zur fkostenfreien Ps von käuflichen, leiht transpor- tablen Dungmitteln, besonders Knochenmehl und Fäkalstoffe der großen Städte Mittel zu bewilligen.

Der Abg. Zaruba stimmte der Vorlage aus vollem Her- zen zu. Auch im Kreise Ratibor gebe es eine Menge kleiner Ackerbürger in traurigster Lage, denen nur durch zweck- entsprehende Bodenmeltoration geholfen werden könne. Er bitte, über die Ausführung der Drainarbeiten eine sachver- ständige Kontrole zu üben und denselben einen einheitlichen Plan zu Grunde zu legen. Vor allen Dingen müsse man die Unternehmer dazu verpflihten, die Erdarbeiter bei den Drainarbeiten aus den Nothstandsdistrikten felbst zu entneh-

ia, damit die sehr nothwendige Arbeitsgelegenheit geboten werde.

Der Staats-Minister Dr. Lucius erwiderte, es habe ihn gewundert, daß ein der Landwirthschaft so kundiger Mann, wie der Abg. Sombart, die Vorlage habe so mißverstehen können ; es sei natürlih immer Be- und Entwässerung in Aussicht ge- nommen, wäre es anders, so wäre es auch wunderbar. Autz über das Verhältniß der Wiesen- zur Getreidewirthschaft sei keine Diskussion mehr nöthig, sondern das Richtige sei völlig festgestellt. Ebenso selbstverständlich sei es, daß Praktiker und Techniker zu der Sache zugezogen werden müssten; felbsiver- ständlih sei es ferner, daß die Arbeiten von dot ansässigen Arbeitern ausgeführt würden, denn gerade deswegen bringe die Regierung ja das Geseß so s{hnell ein, und deshalb empfehle er dem Hause auch die beshleunigte Annahme, damit den dortigen Nothleidenden s{chnelle Arbeitsgelegenheit gegeben würde; auch die Drainröhren müßten möglicherweise dort verfertigt werden, und werde es Sache der Ausführungs- kommission sein, dazu die passenden Stellen zu suhen. Was den Antrag von Ludwig betreffe, so möchte er der eigenen Ueberlegung des Abg. von Ludwig empfehlen, ob derselbe dadur die ganze Vorlage nicht gefährde; derselbe würde besser thun, den Antrag besonders einzubringen, als bei Gez legenheit einer lokalen Unterstüßungsvorlage. Was den An- trag Conrad betreffe, so glaube er nur anführen zu dürfen, daß auch diese Sache bereits in der sehr gründlihen Kom- missionsberathung weislih überlegt sei, und die Kommission sih entschlossen habe, bei der Regierungsvorlage zu bleiben, im Anschluß an andere Nothstandsvorlagen, wie die oftpreu- Fischen. Er bitte also das Haus, die Vorschläge der Kom- mission anzunehmen.

Der Aa von dem Knesebe@ orie feine Were wunderung darüber aus, daß nach Beseitigung des eigent- lichen Nothstandes noch so bedeutende Mittel für Oberschlesien aufgewendet werden müßten. Der Weg, den die Regierung damit betrete, sei ein ganz neuer. Er wolle ihr aber auf dem- selben nicht entgegentreten. Nach seiner (des Redners) Auf- fassung sei der Grund des Nothstandes die Vernachlässigung von Bildung und Kultur und die Oppelner Regierung seï gewiß nicht frei von Schuld. Sie habe sih um die Bevölkerung weniger getümmert, als sie hätte sollen. Nicht nur für Drainage, sondern für Schulzwecke müsse man das viele Geld verwenden, damit die Bevölkerung erst begreifen lerne, welche Wohlthat man ihr erweise. Ein großer Mangel sei der Rückgang der deutschen Sprache. Ob die Bevölkerung wirklih daran denke, die Dar- lehne zurückzuzahlen, scheine ihm zweifelhaft. Jedenfalls werde man die Regierung dafür verantwortlih machen, Alle \chlesishen Abgeordneten müßten sich bemühen, den Oberschlesiern zu Gemüthe zu führen, daß es deutsches Geld sei, welches sie bekämen, daß auf den Thalern der preu- ische Adler und das Bild des Deutschen Kaisers geprägt ]eî. Das werde dazu beitragen, daß die Oberschlesier sich mehr in ein gutes Verhältniß mit der deutschen Nation seßten. (Zwischenrufe.) Er höre eben, die Oberschlesier seien gute Patrioten. Er freue sich darüber. Gute Soldaten seien es, wie er aus eigner Erfahrung wisse. Es sei ein gehorsames Volk, aber nur unter deutschen Offizieren.

Der Abg. Conrad (Pleß) bedauerte, daß nicht 1 bis 2 Millionen zur Verbesserung der Vizinalwage ausgeworfen seien. Er vezweifle, daß die Kreise, die man eben erst vom Hunger gerettet habe, und die eine übergroße Steuerlast tragen müßten, hon nach 5 Jahren im Stande sein würden, Zinsen und Kapital abzuzahlen. Er bitte daher, seinem An- trage gemäß, die Frist auf 8 Jahre zu verlängern.

Der Abg. Dr.-von Heydebrand und der Lasa erwiderte dem Vorredner, daß die Bewässerungen, die in unmittelbarem Zu- fammenhange mit der Drainage ständen, in der Vorlage be- rüdsichtigt seien, daß eine Bewässerung ver außerhalb der Drainage liegenden Wiesen niht Sache des Staates sei. Der Abg. von dem Knesebeck wundere sih mit Unrecht darüber, daß jeßt für Dberschlesien so große Summen ausgeworfen würden, denn in den Jahren 1867/68 seien für Königsberg und Gumbinnen 15 840 000 A bewilligt, 1873 für Pommern 7 500 000, 1876 für Caub 6 Millionen. Ferner bemerke er dem Abg. von dem Knesebeck noch, daß in Oberschlesien überhaupt fein anderer Adler gelte als der preußische und deutsche und die Awtung vor der Autorität in Oberschlesien in überaus hohem Maße vorhanden sei.

Hierauf zog Abg. von Ludwig seinen Hauptantrag zurü; sein Antrag, betreffend die Dungmittel, wurde ebenso wie der Antrag Concad abgelehnt, §. 1 Nr. 1 und §8. 2—5 nach den Vorschlägen der Kommission angenommen.

Zu 8. 1 Nr. 2 und 8. 6, welcher zur Regulirung von Flußläufen 8009 000 s ‘verwenden will, bemerkte der Abg. Münzer, daß ihm diese Summe zu gering scheine, nament- lih im Verhältniß zu den großen Summen, die man zu Drainirungszwecken für die Kreise Pleß und Rybnik aufwen- deri wolle.

Der Regierungsfkomnmissar Landrath Dr, von Bitter er- widerte, mit den 800 000 f sollten nur die Kosten der Regu- lirung der Oder und Olsa in den Kreisen Ratibor und Cosel destritten werden. Es würden davon noch 200 000 Æ übrig bleiben, um den Durchstih oberhalb und unterhalb Ratibors durchzuführen. Die Regierung hade damit nur einen Dispo- sitionsfonds gewollt, um die erheblihen Mißstände zu beseiti- gen. Das \Ÿwierige Projekt der vollständigen Oderregulirung habe in der kurzen Zeit niht zum Abschluß gebracht werden nen, Die Verhandlungen darüber s{chwebten noch.

Der Ahg. Schröder (Lippstadt) bemerkte, man sage çe- wöhnlih, weil der Kulturzustand des oberschlesishen Distrikts etwas zurückgeblieben sei, so müsse man die Leute erst aus der geistlihen Knechtlschaft befreien. Ein Artikel der „Bossischen Zeitung“ habe sich dahin ausgedrüdt, daß die römische Propa- ganda, das revolutionäre Polenthum die an Leib und Geist

hülflosen Oberschlesier heruntergebraht habe. Er vermuthe mindestens, daß der Verfasser des Artikels Plattfüze besitze. Dcr Verfasser sollte sich einmal die oberschlesischen Grenadiere hier in Berlin anschen, dann würde der- selbe eine andere Meinung von den am Leibe hülf- losen Menschen bekommen. Wenn der Abg. Richter immer so gegen „die verlogene offizióse Presse“ losziehe, dann jollte derselbe ¿rfi bei jeiner eigenen Parteipresse an- fangen, Ein folhes Gegeneinanderheßen der Nationalitäten, wie es Seitens des Abg. oon dem Knesebeck beliebt worden, führe jedenfalls nicht dazu, die Leute an Deutschland zu fesseln. Er bitte, die Ausgabe für die Flußcegulirung nicht zu versagen. 7

Der Abg. Dr. Meyer-Breslau erklärte sih ebenfalls für die Bewilligung der Ausgaben für die Flußcegulirungen, er hoffe aber, daß es der Regierung gelingen werde, auch die