1902 / 245 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Oct 1902 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 195. Sißung vom 16. Oktober 1902. 1 Uhr.

Ueber den Anfang der Sißung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Entwurfs eines Zolltarifgeseßes.

Reichskanzler Graf von Bülow:

Meine Herren! Ich möchte zunähst den Mitgliedern der Zoll- tarif-Kommission den Dank der verbündeten Regierungen aus\prechen für die hingebungs8volle Arbeit, der sie \ich mit der eingehenden Durchberathung des Entwurfs zu einem Tarifgeseß und zum Tarif selbst mit seinen 946 Positionen unterzogen haben. Auch wenn man mit den Ergebnissen dieser Arbeit niht in allen Punkten einver- standen ist, verdient die Arbeit selbst doch volle Anerkennung. Um so mehr hoffen die verbündeten Regierungen, daß diese Arbeit keine vergebliche sein wird, sondern daß sie die Basis bilden wird für eine Verständigung zwischen den verbündeten Regierungen und diesem hohen Hause über die künftigen Grundlagen unserer Zoll- und Wirthschaftspolitik. Wir stehen vor der zweiten Lesung der Tarifvorlage, die voraus\ichtlich im wesentlichen entscheidend sein wird für die endgültige Gestaltung der- selben. Ich will deshalb nochmals im Namen der verbündeten Re- gierungen und unter ihrer ausdrücklichen Zustimmung auf die Gesichts- punkte hinweisen, welche für die geseßgeberische Aktion der verbündeten Regierungen maßgebend gewesen sind und maßgebend bleiben. Ich weiß wohl, daß über ein so gründlich und so vielfa erörtertes Thema si nit viel Neues sagen läßt, und ich will mich möglich\t kurz fassen.

Am 31. Dezember 1903 tritt der Zeitpunkt ein, zu welchem die wichtigsten Zoll- und Handelsverträge des Deutschen Reichs mit anderen Staäten gekündigt werden können. Damit bietet si für uns die Möglichkeit, unsere handelspolitischen Beziehungen zum Auslande neu zu regeln. Hierbei glauben die verbündeten Regierungen nach wie vor, zwei Gesichtspunkte in den Vordergrund stellen zu müssen. Dasjenige Glied an unserem volkswirthshaftlihen Organismus, welches nah der Ansicht der verbündeten Regierungen noch immer am meisten leidet, ist die Landwirthschaft. Deshalb wollen die verbündeten Regierungen diesem für unsere ganze Volkswirthschaft hohwihtigen Erwerbszweige einen erhöhten Zollshug angedeihen lassen, sie wollen der Landwirtl; schaft in ihrer \{wierigen Lage helfen und damit zugleich den inneren Waarenabsay steigern. Die verbündeten Regierungen wollen aber gleihzeitig unserer hohentwickelten Industrie niht nur den inländischen Markt gegenüber dem Andrängen fremder Waaren erhalten, sondern ihr taneben auch diejenigen Absazgebiete, welche sie unter dem Schuß unserer bisherigen Wirthschaftépolilik erobert hat, sichern und thunlichst erweitern. Damit glauben die verbündeten Negierungen auch unserem Binnenhandel und Außenhandel werthvolle Dienste zu leisten.

In diesem hohen Hause sind die Ansichten darüber getheilt, ob das vom Deutschen Reiche während des lezten Dezenniums verfolgte System der Handelspolitik ih meine das System der gebundenen Tarife im Gegensay ¿um System ter Tarifautonomie für uns das richtige ist. Ih möchte hier auf diefen Streiipunkt nicht näher ein- gehen. Aber daran möchte ih doch erinnern, daß während der ersten Lesung der Tarifvorlage auch Anbänger der Tarifautonomie si unter gewissen Bedinzungen mit dem Abschluß von Handelsverträgen, und zwar für längere Zeit, einverstanden erklärt baben. Sie haben das gethan, weil unsere Industrie langfristige Handelsverträge braut, weil sie eine solche Stabilität des Absayes ihrer Produkte nach dem Aus- lande für eine fundamentale Bedingung ihres Gedeihens cractet. Auf diesem Standpunkte stehen auch die verbündeten Negierungen. Sie halten den Abs{luß langfristiger Handeléverträge für unsere wirtbsaftlihe Fortentwickelung für wünschenswerth und für erstrebens- wertb, und war nit allein für Industrie und Handel, sondern au für die Landwirthschaft. Aber selbstverständlich wollen die verbündeten Regierungen nicht Handelsverträge um jeden Preis, sondern nur auf einer für uns annehmbaren Basis, auf der Basis voller Gegen- seitigkeit und unter Wahrung unserer berechtigten Interessen. Um aber mit Aussicht auf Erfolg in Handelsvertragsunterhandlungen eintreten zu können, wollen wir füc solche Verhantlungen eine geeignete Grundlage schaffen. Deutschland hat die Zölle in seinem autonomen Tarif mit wenigen Autnahmen auf dem Stande von 1879 belafsen. Es sind sogar eine gewisse Anzahl Zollpositionen in späteren Handelsverträgen herabgeseßt worden, insbesondere die Ge- treidezölle im Verglcih zu den Säyen ron 1887. Dagegen haben sich in anderen Staaten, mit denen wir im Handel Evertragéverbältniß oder do wenigstens im Meisibegünstigungöverbältniß stehen, wesent- liche Verschiebungen in der Gestaltung ihrer Tarife vollzogen. Rußland und- Italien haben durch die Bestimmung, daß die Zölle dort in Gold zu entrichten sind, thatsählih cine Erböhong ihres Zollschußes vorgenommen, und sie baben auh eine Reihe anderer Positionea, die in dea geltenden Handelöverträgen ni&t ausdrücklich gebunden sind, direkt erhöht, darunter auh solche, an denea unsere Autfahr nicht unwesentlich betheiligt ist. Amerika hat 1897 den Dingley-Tarif mit seinen hohen Zollschranken errichtet. Die Schweiz haite {hon 1891, vor dem Atschluß ihres Handelövertrages mit uns, ibren autonomen Tarif fast durchweg erheblich erhöht, und sie hegt jeyt im Hinblick auf die kommenden Handeltvertragtunterbantlungen die gleiche Absicdt

Oesterreich-Ungarn sckickt si an, seinen ZolUltarif hinaufzuseyen. Dasselbe hat Numänien {hon im Beginn der neunziger Jahre, während ih tie Ehre hatte, das Reich in Bukarest zu verireten, mil einer großen Arzahl seiner Zollpofitionen gethan.

Auch soust haben sich die wirthschaftlichen Verhältnisse vielfach geändert. In manten Läntern, z. B. in Rußland, auch in der Séweiz, ift während des letten Dezenniums die einheimische Jn- dustrie erslarft. Man wird, dem allgemeinen Zuge der Zeit folgend, dort mchr als früber bestrebt sein, den inländishen Markt der jaläntishen Industrie zu erhalten. Wir werden also in diesem Fle fár die Zulassung unserer Waaren größere Zugeständnisse zu biatan baben, als sie vor 10 Jahren von uns gefordert wurden. Ua fo mebr ift cs geboten, tal wir unser handelöpolitisihes Rüstzeng verlän, can wir als cherbürtige Gegner auf dem Kampfplay erscheinen weller.

Za diesem Zweck haben die verlündeten Negierengen deu Ent- warf zu ciner ueuea autonemen Tarif aufgestellt, der sowohl hin- sichtlich ter Zaherea Anorttnung wie in der Höhe der einzelnes Positiznea viclsa eon hem alien Tarif abweicht. Dee reue Tarif

unterscheidet sich von dem alten Tarif zunächst dur: seine der Ent- wickelung unserer Industrie folgende größere Spezialisierung, durch die Zerlegung einer großen Anzahl von Sammelpositionen in Einzel- positionen. Ich wiederhole nochmals, daß das nicht einen Bruch mit den zollpolitischen Grundsäßen bedeutet, die vor zehn Jahren zum Abschluß von Handelsverträgen geführt kaben, sondern die größere Spezialisierung soll eine wirksame Waffe für die Vertragsverhand- lungen bieten.

Abgesehen von diesem veränderten technishen Aufbau, enthält der Entwurf noch eine größere Anzahl erhöhter Positionen, namentli bei den handelépolitisch wihtigen Waaren, die bei den bevorstehenden Vertragsverhandlungen voraus\ihtlich eine Rolle spielen werden. Denn Handelsverträge können doch nur so zu stande kommen, daß die unterhandelnden Staaten sih gegenseitig etwas zu bieten haben. Deshalb sind ‘die zollpolitisch verwerthbaren Positionen so bemessen, daß dem betreffenden Artikel ein erhöhter Zollshuß gesichert bleibt, au wenn im Vertrag8wege Zugeständnisse gewährt werden. Bei der Aufstellung tes Tarifs ist sorgsam darauf geahtet worden, daß folche Positionen für Handelsvertragsunterhandlungen einen hinreichenden Spielraum bieten. Ob bei den von der Kommission vorgenommenen Veränderungen diesen Gesichtspunkten überall Rechnung getragen worden ist, erscheint den verbündeten Regierungen zweifelhaft.

Die einzige Ausnahme in dem System des Jhnen vorgelegten Einheitstarifs bilden die Zölle für die vier Hauptgetreidearten : Weizen, Roggen, Gerste und Hafer. Für diese sind, einem dringenden Wuns(e unserer Landwirthschaft entsprechend, Marimal- und Minimal- zöôlle eingescßt worden. Keine Position im ganzen Tarif ist der Gegens stand so lebhafter Angriffe gewesen wie diese, mit welchen dies hohe

Haus die zweite Lesung der Tarifvorlage zu beginnen soeben bes{lossen

hat. Die Einen behaupten, die Getreidezölle seien viel zu hoch ge- griffen, sie enthielten eine unerträglihe Belastung der nothwendigsten Lebensmittel und bedeuteten durh die dadur bewirkte Vertheuerung der Arbeitslöhne eine {were Schädigung für unsere Export- industrie. Andere umgekehrt sind der Ansicht, die Getreidezölle seien zu niedrig normiert; noch Andere erblicken in der Durbrehung des Systems des Einheitstarifs durch Marximal- und Minimalzölle für die Cerealien eine ungerehtfertigte Bevorzugung der Landwirthschaft, welhe dahin führen ?!müsse, das Zustandeklommen von Handels- verträgen unmöglich zu machen. Die verbündeten Regierungen halten in ihrer großen Mehrheit diese Befürchtung nicht für begründet. Die verbündeten Regierungen glauben, daß die Höhe der Getreidezölle gerade richtig bemessen is, um unsere Landwirths{haft in ihrer bisherigen Intensität und ihrem bis» berigen Umfange zu erhalten und andererseits den Abschluß klang- fristiger Handelsverträge noch möglich erscheinen zu lassen. (Hört, bört! links.) Daß, meine Herren, die Landwirtbschaft eine {were Krisis durchgemacht hat und zum theil noch durhmaht, .das fann nit ernstlih bestritten werden. Es kann nicht bestritten werden, daß die Landwirthschaft, welche cine gewaltige Produktion ist, die der industriellen Produktion mindestens gleihwerthig ist, daß diese ge-

‘waltige Produktion troß eines großen Aufwands an Produktionskraft,

an ebrlicher und fleißiger Arbeit mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Und auch das kann gerehter Weise nicht bestritten werden, daß es die Pflicht der verbündeten Regierungen wie dieses hohen Hauscs is, tér Landwirtbshaft zu kelfen, soweit das im Rahmen des Gesammtwobls möglich ist, d. h. ohne unbillige Schädi- gung anderer Erwerbsstände und ohne den Abs{luß langfristiger Handelsverträge unmöglih zu maden. In diesem Rahmen wollen die verbündeten Regierungen der Landwirthschaft helsen, nicht, wie behauptet worden ist, nur wegen des Großgrundbesiyes, auch nicht allein wegen des mittleren und kleinen Besißers, so sehr uns gerade tessen Schicksal am Herzen liegt, sondern im Hinblick auf das nationale Gesammtinteresse. Dieses nationale Gesammtinteresse macht es uns zur Pflicht, die Ernährung des deutshen Volkes nah Möglichkeit vom Auslande unabhängig zu stellen. Das nationale Gesammtinteresse gebietet uns, den so 1ablreihen und sozialpolitih so wichtigen Theil der Bevölkerung, welcher die Scholle bebaut, in seiner Leistungtfäbigkeit zu stärken, ihn lebensfäbig und produktiv zu erbalten. Das ist nur möglich durch eine veiständige Schutzollpclitik, und deshalb haben die verbündeten Regierungen JIhuen cine Er- böbung der Getreidezölle vorgeschlagen.

Gegenüber den Angriffen, die gegen eine angebli zu niedrige Bemessung der Getreidezölle çcerihtet worden sind, will ih zunächst nur darauf hinweisen, daß der Landwirthschaft durch die Festlegung einer Mindestgrenze für tie vier Hauptgetreidcarten ein Vorzugbörc(ht eingeräumt worden ist, welches keinem anderen der bei der Revision unserer Zollgeseßgebung betheiligten Jnteressenten zu theil geworden ist. Ich möthte ferner darauf hinweisen, daß die Mindestsäge des Gatwurfs im Vergleich zu ten bestehenden Vertragtsäyen schr erheb- liche und sehr wesentliche Erhöhungen enthalten. Gegen diesen Tarif- entwurf mag mit mehr oder weniger Grund dieser oder jeaer Vor- wurf echoben weiden, Mangel an Weblwollen für die Landwirtb Gast kann ibm niht vorgeworfen werden. (Sehr richtig! links.) Gegen die Erhöhung der Getreidezölle ift inobesoudere der Umsland ins Treffen geführt worden, daß dadur die Lebenéhaltung der arbeitenden Klassen ungebührlich vertheuert werden würde, solche Ver- s{hiebungen im Haushalt des Arbeiters inúßten dann wiederuin durh eine Steizerung ter Löhne ausgeglichen werden, dur diese würden der Industrie ihre Produktiontkosien erhöht und ihr der Wettbewerb auf dem Weltmarkt erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht werden. Die verbündeten Regierungen, denen die fortschreitende Hebung der Lebenthaltung unserce arbeitenden Klassen ebenso schr am Herzen liegt wie die Erhaltung der Konkurrenzsähigkeit der teutschen Industrie, halten gegenüber den von ihnen borgeshlagenea Erböbungen der Getreidezólle diese Eiawänte nicht für begründet. Die Ein- tährung ter Eetreitezölle im Jahre 1879 und ihre spätere Erböbung hat seiner Zeit keine Steigerung der Preise für Kora zur Folge ge- habt. Im Gegentheil landen in Deutschland vor der Einführang der Getreidezólle die Kornpreise höher als später, und sie sind seit- dem troy allmählicher Erhöhung der Getreidezölle, wenn au mit einigen Sehwoanfungen, gefallen. Die Brotpreise folgen nicht unmittel. bar dea Geireidepreisen, sondern die ersteren shwänken, wie die

Statistik lehrt, im Verhältaiß zu den leyteren fortgeseyt hia und ber,

Für eine mehr oder weniger e:sprichliche Entwickelung unserer Ja-

dustrie sind andere Momente ausschlaggebend als cine Erhöhung der Getreitezólle in dem von den verbündeten Regierungen rer

geschlagenen Umfange. Unsere Industrie hat si glänzend entreiFelt in cinem Zeitraum, ia welhem auf die aóthigstea Lebenémittel Zélle

gelegt und erhöht worden find. Deshalb glauben die verbündeten Regierungen, daß dur eine Erhöhung der Getreidezölle in den Grenzen des Entwurfs kein anderer Berufsstand geshädigt wird. Zu einer solhen Schädigung würden die verbündeten Regierungen auch nie ihre Hand bieten können; denn die deutsche Wirthschaftspolitik hat mit den Interessen unserer hochentwickelten und leistungsfähigen Industrie nit minder zu rechnen wie mit denjenigen des landwirthschaftlichen Berufss\tandes.

Für unsere Industrie kommt es haupt\ächlich tarauf an, daß wir ihr einen gesicherten Absaß ihrer Produkte nah dem Ausland erhalten durch angemessene Normierung und vor allen Dingen dur die Bin=- dung der Eingangszölle derjenigen Länder, wohin unsere Ausfuhr geht, daß wir ihr thunlichst neue Absaßzgebiete ershließen, daß wir fie nah Möglichkeit bewahren vor plößlichen Preisshwankungen, wie sie nicht durch die allgemeine Marktlage, sondern durch Veränderungen in der Zollgesezgebung anderer Länder herbeigeführt werden fönnen, und endli und vor allem, daß wir diesen für ihre gedeihlihe Entwickelung nothwendigen Zustand für eine längere Zeitdauer festlegen. Eine solche für eine stetige und günstige Entwickelung von Industrie und Handel unerläßlihe Vorbedingung können wir hafen durch den Ab- {luß langfristiger Handelêverträge unter Bindung der Tarife.

Wenn hier und da behauptet wird, die Landwirthschaft Habe an solchen langfristigen Handelsverträgen kein Interesse, so können die verbündeten Regierungen das nicht zugeben; denn eine blühende In- dustrie ist für die Landwirthschaft einer der besten Abnehmer, und auch die Landwirthschaft hat ein Interesse daran, daß die Industrie sih entwidelt und kaufkräftig bleibt. Wir bestreiten aber nicht, daß das Hauptinteresse der Landwirthschaft \ich darauf kTonzentriert, für ihre Produkte gegenüber der Konkurrenz des Auslands einen erhöhten Zollshuß zu erlangen.

Hier, meine Herren, entsteht nun «der Konflikt zwischen diesen beiden Haupterwerbsgruppen, und damit erwächst für die verbündeten Regierungen die Pflicht, ausgleichend einzugreifen und zwischen diesen verschiedenen und an sih berechtigten Interessen die mittlere Linie zu finden. (Heiterkeit links.) Wenn, wie ich aus Ihrem Widerspruch entnehme, den verbündeten Regierungen noch immer ein Vorwurf daraus gemaht wird, daß sie diese mittlere Linie nicht verlassen wollen, \o erwidere ih darauf, daß die verbündeten Negierungen sid durch keinerlei Angriffe, weder von links, noch von rechts, von der Linie abdrängen lassen werden, deren Einhaltung ihnen im Interesse des Staatswohls geboten erscheint. Denn die Wahl dieser Linie be- ruht nit auf Laune, beruht niht auf doktrinärer Vorliebe für dieses oder jenes System der Handelspolitik , sondern beruht auf zwingenden Gründen der Staatsraison, auf der gebieterischen Noth- wendigkeit, zwishen den vitalsten Interessen der verschiedenen Ere werbsstände im Deutschen Reich einen Ausgleich zu schaffen. Deutsch- land ist man hat es {hon oft ausgesprochen, aber es kann niht oft genug wiederholt werden weder ganz Agrar- noch ganz Jn- dustriestaat, sondern Deutschland is Agrar- und Industriestaat. Beide Erwerbsstände und ebenso unser blühender überseeischer Handel verlangen bei der Neuregelung unserer Handelsbeziehungen zum Aus- land die größtmöglichste Wahrung ihrer Interessen. Diese Wahrung findet für jede dieser Erwerbsgruppen ihre Schranken in der Rücksicht auf die beiden andern Erwerbszweige und auf die Allgemeinheit. Dieses Ziel kann nur dadur erreicht werden, daß ein Ausgleich dieser Interessen auf einer mittleren Linie geschaffen wird. (Zwischen- rufe links.)

Diese Linie ist eben der Ihnen vorgelegte Zolltarif. Mit diesem Zolltarif glauben die verbündeten Regierungen das Richtige getroffen und in gleihmäßiger und gerechter Weise die Interessen der Land- wirthschaft wie diejenigen der Industrie und der in ihr beschäftigten Arbeiter wahrgenommen zu haben, die auch Ansprv auf staatlichen Schutz und Fürsorge haben. Für den Arbeiter steht in erster Reibe nit das Interesse an billigem Brot, sondern die Hauptsache für ibn ist das Vorkbandensein einer sicheren und lohnenden Arbeitsgelegenheit. (Sehr richtig! rets.)

Ebenso wenig hat unsere Industrie Anspru darauf, mit so billigen Arbeitslöhnen zu arbeiten, daß tarüber die das Brot- getreide erzeugende Landwirthschaft zu Grunde geht. Hier muß ein Ausgleih geshaffen werden. Für unsere Industrie ist die Hauptsache, daß ihr cin gesiderter Absay ihrer Produkte im In- und Autland erbalten bleibt durch einen angemessenen Schuhe zoll und dur eine rihtige Handelépolitik. Dieses Ziel zu er- reichen, ist der Zweck ter Aktion der verblindeten Regicrungen- Von einer Erböbung der Agrarzëlle in den von den verbündeten Regierungen vorgeschlagenen Grenzen steht nah der Ansicht der ver- bündeten Regierungen eine Benachtheiligung unserer Industrie ridt zu erwarten. Wir haben in den Jahren 1887 bis 1892 einen Zoll von 5 M auf Noggen und Weizen gehabt, ohne daß die Entfaltung unserer Industrie tadurch gehemmt worden wäre. Wenn wir mit Weizen jeßt um 50 höher, also bis 5,50 „4 geben, so ist davon cine Schädigung der Lebenthaltung unserer arbeitenden Klassen farm zu besorgen, zumal Weizen niht die Hauptbrotfrucht des deutihea Arbeiters ift.

In Frankreich existiert seit dem Anfang ter neunziger Jakre, wenn i nicht irre, seit 1894, ein Weizenzoll von 5,60 (Zuruf bei ten Sozialdemokraten), und ih wüßte mih nicht zu erianern, ta die Minister, die sehr ausgezeichneten Minifter, die, aus den Reiben der sozialdemokratishen Partei hervorgegangen, während der leyten Jahre in Frankreich im Amte gewesen sind, die Beseitigung dieses Weizen zelles durchgeseyt oder auch nur angeregt bätten. (Sehr richtig! rets ) In England, dem größten Industricland der Welt, hat man feia Betenken getragen, zu einem Zoll auf Weizen yrd Mebl zurückzufehtes- Die Erfahrung hat in Deutschland wie in Frankreich gezeigt, tof Zölle auf Bretgetreite in der Höhe ven 5 bis 5,50 nit is siante gewesen sind, die Bewegung der inläntishen ESetreidertcise unabhängig zu gesiallen von der Preisbewegung des Weltmat!tet- Nur ganz vereinzelt und vorübergehend haben Abweichungen fiat gesunden; im Großen und Ganzen war bei dieser Höke ter Ectreit® zôlle der inländishe Getreitepreis denselben Schwankungen unle® worfen, die der Weltmarktprcis durchzumachen hatte.

Unsete Industrie würde also bei einer sollen Höhe der Getteit& jêlle, sowtit die Versorgung der Arbeiter mit Brotgetreite in raf fommt, im wesentlichen noch zua denselben Bedingungen arbeite wie das Ausland, wenngleich sie den Betrag des 3-10 natúrlih besonders in Nechaung stellen muß. Je böber aber dn Eetreidezoll bemessen wird, um so mehr wächst die Mdgliktit einer vom Weltmarkt unabhängigen Bewegung der Ectreiterreát

nnerhalb des zollgeshüßten Jnlands. Dadurh entsteht wieder die Gefahr, daß der dur den Getreidezoll gesteigerte Getréidepreis in Riderspruch tritt mit dem Ernährungsinteresse der arbeitenden Flasse. Ein solcher Widerstreit muß nah der Ansicht der verbündeten Regierungen vermieden werden. Hier zieht die Rücksicht auf die Konsumenten und insbesondere auf die lohnarbeitende Bevölkerung eine unübersteiglihe Schranke gegen eine zu hohe Beméfsung der Getreidezölle.

Ebenso läßt sich ein hoher Getreidezoll {wer aufrecht erhalten gegenüber einem infolge geringer Ernten in den Hauptproduktions- ländern stark gesteigerten Weltmarktpreis, denn in diesem Fall steigert ein verhältnißmäßig hoher Schutzoll zu sehr den Inlandspreis. Jch erinnere in dieser Beziehung nur an die Erfahrung des Jahres 1891. Das Preisniveau für Getreide war damals ein hohes, infolge dessen entstand, wie wir uns alle erinnern, im ganzen Lande eine lebhafte Agitation zu Gunsten einer zeitweisen Aufhebung der Getreidezölle. Die verbündeten Regierungen haben damals diesem Drängen nicht nachgegeben. Eine weitschauende Wirthschaftspolitik wird die Getreide- zôlle aber nit so hoh bemessen dürfen, daß mit der Möglichkeit einer zeitweisen Suspendierung derselben im Fall eines .plöglihen Empor- \hnellens der Getreidepreise gerechnet werden muß, denn derartige plögliche Eingriffe in die Zollgeseßgebung würden niht nur in den Getreidehandel, sondern auch und vor allem in die Staatsfinanzen ein bedenkliches Moment der Unsicherheit tragen. Die Erfahrungen des Zahres 1901 haben gezeigt, daß in dieser Richtung Zölle in Höhe von 5 M bis 5,50 Æ die äußerste Grenze bezeichnen, bis zu welcher mit einer Erhöhung der Zölle auf Brotgetreide gegangen werden kann. Und endli, meine Herren, würde ich sage das in voller Kenntniß der Tragweite meiner Worte eine Erhöhung oder Erweiterung der Mindestzölle das Zustandekommen von Handelsverträgen unmöglich maden (hört, hört! links) unmöglih machen! Die verbündeten Regierungen sind in puncto Mindestsätze bis zu der äußersten Grenze gegangen (hört, hört! links), wo das Zustandekommen von Handels- verträgen noch mögli erscheint.

F will, meine Herren, hier auf die viel erörterte, die viel um- strittene Frage nicht näher eingehen, ob Deutschland in absehbarer Zeit im stande sein wird, seinen Bedarf von einheimishem Getreide selbst zu erzeugen. Gegenwärtig haben wir für die Ernährung des deutschen Volkes jedenfalls noch eine Zufuhr von Nahrungsmitteln nothwendig, und wir werden derselben bei der stetigen und raschen Zu- nahme unserer Bevölkerung voraussihtlich noch lange bedürfen. Des- halb haben auch diejenigen Staaten, die für ihren Uebershuß an Ge- treide auf die Ausfuhr in unser Zollgebiet angewiesen sind, ein Inter- esse daran, für die Zulassung ihres Getreides auf unseren Markt nach den Säßen unseres Minimaltarifs uns Zugeständnisse zu machen in ihrem Zolltarif für die Einfuhr unserer Industrieerzeugnisse in ihr Zollgebiet. Diejenigen Staaten, mit denen wir im Handelsvertrags- verbältniß stehen, haben das gleihe Interesse an der Erhaltung des deutshen Marktes, dieses für ihre Ausfuhr an Getreide, für ihre Ausfuhr an allen sonstigen Rohstoffen so hohwihtigen Absay- gebietes, das wir daran baben, uns unsere bisherigen Absaßzquellen für unsere Fabrikate auch ferner ers{lossen zu sehen. Aber höher und weiter dürfen wir mit den Mindestsäßen nicht gehen. Dieser Tarifentwurf, meine Herren, ist das Ergebniß eines Kompromisses, nah langen und mühevollen Berathungen unter den verbündeten Regierungen. Bei der Aufstellung des Tarifentwurfs ist von den ver- bündeten Regierungen als Hauptgesihtépunkt daran festgehalten worden, daß dieser Tarif ein Mittel, ein Instrument sein soll, um wieder zu Handelsverträgen zu gelangen. Von diesem Gesichtspunkt aus war von mehr als einer Seite tie Einfügung von Mindestsägen in den Tarifentwurf als ein erschwerendes Moment für Handels- verträge bezeihnet worden. (Hört, hört! links.) Die verbündeten Kegierungen sind troydem in dieser Richtung den von mir vertretenen und befürworteten Wünschen der Landwirthschaft entgegengekommen, aber mit dem Vorbehalt, daß dadurch der Abs{hluß von Handels- verträgen nicht vereitelt werden dürfe.

Es ist, meine Herren diesen Punkt möchte ih noch in aller Kürze streifen —, vielfa gesagt worden, die Industriezölle des Ent- wurís seien im Verbältniß zu den Agrarzöllen zu boch gegriffen. Durch die dadur bewirkte Preissteigerung für Maschinen, Geräthe und sonstige Bedarfsartikel würden die Produktionskosten für die Landwirthschaft unverhältnißmäßig erhöht, und die Landwirthe fänden in den 1 niedrigen agrarishen Zöllen hierfür keinen genügenden Ersay. Meine Herren, es ist ja richtig, daß die Zölle auf einzelne Jndustricerzeugnisse, in denen" viel Arbeit und infolge dessen ein hoher Werth steckt, bedcutend erhöht worden sind. Es handelt si& aber doch da um Artikel, die bisher zum Schaden der betreffenden Industrienwecige zu niedrig tarifiert waren. Im allgemeinen ist es nicht der Zweck dieses Tarifentwurfs und das ist ja auch in seiner Begründung autdrücklih hervorgehoben worten —, der Industrie einen erböhten Zollshuy zu gewähren, der im Gegentheil vorzugtweise der Landwirthschaft zu gute kommen soll. Die Sthuy- ¡jôlle für die Industrie sollen nur den Veränderungen angepaßt werden, die sich während des leyten Dejenniums auf industriellem Gebiet voll- zogen haben. Vor allem aber bildet cin großer Theil der Erhöhungen der Industriezölle eben doch Tarifzushläge, die, wie ih son vorhin angedeutet habe, bei den bevorstehenden HantdelsEvertragk-Unterband- lungen als Komvensationsobjekt zu dienen bestimmt sind. Ein klares, übersihlliches Bild über die Höhe der Jndustriezölle läßt sich meines Erachtens zur Zeit überhaupt noch nit machen, daß aber die Industrie- ¡êlle im Vergleich zu den Agrarzöllen durchweg zu hoh gegriffen wären, erscheint den verbündeten Regicruagen nicht richtig.

Meine Herren, die verbündeten Regicrungen sind überzeugt damit fehre ih zurü zum Ausgangtpunkt meiner Ausführungen —, daß dieser Tarifentwurf im wesentlichen eine richtige Abmessung der berehhtigten Forherangen enthält, die unsere drei Haupterwerbsgweige, Landwirthschaft, Industrie und Handel, an die Zollpolitik des Reichs vater den gegenwärtigen Verhältnissen und unter Berüsichtigung ibrer gegenseitigen Jateressen stellen können. Die verbündeten Negierangen hoffen, dah es auf ter Grundlage der in diesem Tarifentwurf enthaltenen Zollsähe gelingen wird, eine Einigung herbeizuführen. Auf cine Erhöhung der Mindesisähe bei den Eetteitezóllen können dic verbündeten aus den von mir wie don meinen Her ren Stellvertretern mebr wie ein Mal bervorgebcbenen Gründen ebenso wenig eingehen wie auf eine Austehnung terselben aztf andere Artikel des Tarifs als auf die vier Hauptgetreidearten. (Hërt! hört! links. Bewegung rechts.) Wenn ten verbündeten Re- Eteagen, wischen denen ia dieser Bezichang volle Einigkeit herrscht

(hört! bört! links), hierauf von Freunden der Landwirthschaft erwidert werden ollte: dann lieber den ganzen Zolltarif ablehnen, oder: dann lieber zurück zum reinen Freibkandel, so ist das eine Argumentation, die nah der Ansicht der verbündeten Regierungen für jeden {wer verständlih sein muß, der \sich in den Wirren des Tages und in dem Hader der Parteien kaltes Blut und damit die Möglichkeit bewahrt hat, sachlihe Fragen sachlich ¿zu nehmen und ein einfaches Rechen- exempel anzustellen. Die Mindestzölle des Entwurfs erhöhen den Zoll für die Tonne Weizen um 20 4, für die Tonne Roggen um 15 4, für die Tonne Gerste um 10 #4, für die Tonne Hafer um 22 (4 Das sind do reht wesentliche, ret erbebliche Erhöhungen. (Sehr wahr! links.)

Wenn der Tarifentwurf abgelehnt würde, so bliebe den ver- bündeten Negierungen nur übrig, entweder, wenn möglich, die bis- berigen Handelêverträge \tillschweigend fortbestehen zu lassen oder auf Grund des alten Tarifs in Handelsvertragsunterhandlungen einzus treten. (Sehr richtig! links.) Auh im leßteren Falle würden die verbündeten Regierungen nah Kräften bemüht sein, die Jnteressen der Landwirthschaft wahrzunehmen. Daß ihnen das aber auch beim besten Willen lange ‘nit in dem Maße möglich sein würde wie auf der Basis des neuen Tarifs, das brauche ih wohl nicht auszuführen.

Das sind, wie mir scheint, do sehr naheliegende und recht {chwer- wiegende Erwägungen, und deshalb richte ih an diejenigen Parteien, denen der Schuh der Landwirthschaft besonders am Herzen liegt, im Namen der verbündeten Regierungen die Aufforderu::g, nicht zu ver- eiteln, was die verbündeten Regierungen in mühsamer Arbeit für die Landwirtbschaft erstreben, die Landwirthschaft niht um die Vor- theile zu bringen, welche die verbündeten Regierungen ihr zugedacht haben, ih auf dem Boden der realen Thatsachen zu halten. Und an die andere Seite dieses hohen Hauses möchte ih im Namen der verbündeten Ne- gierungen die ebenso ehrlich gemeinte Aufforderung richten, den Gang unserer Verhandlungen nicht durch künstliche Mittel aufzuhalten oder in die Länge zu ziehen. (Lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ih kenne in der parlamentarischen Geschichte kein einziges Beispiel, wo die Obstruktion, möge es sih nun um offene oder um versteckte Obstruktion handeln, nicht shädigend auf das An- sehen, die Stellung, das Schwergericht der Parlamente, auf die parla- mentarischen Institutionen eingewirkt hätte. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen. Große Unruhe und Zurufe links.) Es heißt und ih werde später vielleiht auf diese meine Worte einmal Bezug nehmen es heißt die Axt an die Wurzel des Parlamentarismus legen, wenn eine so wichtige Vorlage wie die Tarifvorlage nicht in rein sahliher und ganz loyaler Weise behandelt wird. (Zuruf links.) Für alle Theile aber ist es hohe Zeit, daß endlich Klarheit geschaffen wird über die künftigen Aussichten unserer Handelspolitik, damit unser Erwerbsleben weiß, woran es ist, und damit der Druck der Ungewiß- heit beseitigt wird, der auf Handel und Wandel lastet. Die ver- bündeten Regierungen hoffen, daß der Ihnen vorliegende Entwurf im wesentlichen in der von den verbündeten Regierungen ihm gegebenen Gestalt die Zustimmung dieses hohen Hauses finden wird. Die ver- bündeten Regierungen glauben, daß das Zustandekemmen des Tarifs für die innere und äußere Woblfahrt des Reiches förderlih sein wird. Sie alauben, daß ein Nichtzustandekommen des Tarifs für alle Er- werbsstände und insbesondere für die Landwirtbschaft wie für unsere Beziehungen zum Auslande mannigfache Mißstände und Unzuträglih- keiten nah \sich ziehen wird. Die verbündeten Regierungen hoffen, daß sie nicht vergeblih an tie Einsicht, an die oft bewährte Einsicht und Vaterlandéliebe dieses hohen Hauses appellieren. Dann werden und können wir auch zu einer Verständigung kommen, wie sie dem

Gesammtinteresse des Landes entspricht. (Bravo! bei den National- liberalen.)

Berichterstatter Abg. Speck (Zentr., {wer verständlich) be- {ränkt si auf eine puxe Empfeblung der Kommissionsbeshlüsse, nah denen die Mindestzölle für Roggen und Weizen gegen die Vorlage von 5 und 5,50 & auf 5,50 und 6 4 erhöht worden sind. Die Zölle des autonomen Tarifs von § A für Roggen und Weizen sind în der Vorlage auf 6 benv. 6,50 Æ erhöht. Die Kommission bat eine Erböbung auf 7 bezw. 7,50 M bes{lossen. Von den Abgg. Freiherr von Wangenhbeim- Pyriy, Dr. Roesi cke- Kaiserslautern und Dr. Ha hn liegt der Antrag vor, auch die Mindestzölle für Noggen und Weizen auf 7,50 K festzuseßen.

Abg. Graf von Schwerin-Löwih (d. konf.) referiert über die Verbanvtungen und Beschlüsse der Kommission zu den Nummern 1 und 2 des Tarifs „Noggen“ und „Weizen“. Auch die Ausführungen dieses Nedners kommen im Zusammenhang auf der Journalisten- tribüne nit verständlih zu Gehör.

Abg. Gotbein (fr. Vag.): Der Reichskanzler hat die Notb- wendigkeit, die Industrieshuyzélle zu erhöhen, mit dem gleichartigen Vorgehen der außerdeutshen Staaten begründet. Zu mcinem Er- staunen führte er die vcn Rußland getroffene "Maßnahme der Grbebung der Zölle in Gold an. anz ewiß; nur erfolgte diese Maßnahme lange vor dem Abschluß des russischen Gantdelévertrages, und durch diesen wurden die Zölle, die für Deutschlands Einfuhr vorwiegend in Frage kommen, herab- gesezt. Die S@weiz hat ihren autonomen Tarif ichon 1891 auf- estellt. Der schweizerishe Bundetrath begleitete damals seine Vor- age mit der Autfübrung, doß die Shwelz, von Schußzollsiaaten um-

n, an ibrem bisherigen Tarif nicht festhalten könne, sondern eine Revifion eintreten lassen müsse, um für die neuen Vertrags-

verhandlungen ein Kompensationtobjett zu haben.

Der neueste schweizeris@e Tarif ist noch nicht E lef jetenfalls unterliegt er noch dem Reserentum. Jn Oesterreih dat eine vollständige Um- arbeitung des dortigen neuen Tarifentwurfs stattgefunden, nachdem man von dem neuen deutshen Tarifentrourf Kenntniß eclangk batte. Das sind dech Alles Beweise dafür, daß Deutschland selbit nicht ganz uns{huldig daran ist, wenn die anderen Staaten mit einer Erböbung ihrer Zölle vorgehen. Der Hinweis auf Rumänien hat wobl nit allzuviel zu besagen, weil es dort an einer eigent- liden Industrie bisher noh feblt. Jh befürchte mit weiten Kreisen des Hantels und der Indusirie, daß mit diesem Zolltarif ein Nüstze ichaffen wird, so , es das Kämpfen er- \{rwrert. e Höbe der Getreidezölle soll nah Ansicht des Reichskanzlers den Adibluß von Hantdelsverträgen gerade noch möglich erscheinen lassen. Nun \ind auch Mindestzólle Dorgeichlagen ; eine Aenderung, die zum ersten Male im deutschen Zolltarif eintritt. Die Kommissi ist dem s{leckten Beispiel sofort getolgt und hat die vier Miadesisäye bercits auf neua erhöht. fommt au garnicht daráuf an, für wie- viel Pesitionen man e sondern auf tie Bedeutung der Nummern, und es wird dech nicht werden, daf die be- troffenen Positionen zu den wichtigsien des Tarifs überhaupt gedêren, denn sie maden 134% ter Ginfuhbr und 27 ®% der ge- sammiecn zollpflichtigen Einfubr aus; für Rußland fieigt die Zahl auf 45% ter gesammten Einfuhr, bei Dänemark, die Min bzólle der Kommission berücksichtigen, logar auf 62 % fällt h dabei \sonterdarer fe bei seinem ganz veralteten Zollsvslem ganz wohl. Der neue macht 50% vom Weride aus; der von 5,50 t ctra 43%, ter Seer von 3 M 27, der Haferzoll von S M 38 bis 43% des Werthes; das sind toh ganz exotbilante

Zahlen. - Der Reichskaniler meint, der Roggenpreis habe \ich nicht wesentlih verändert, als der 5 M- oll. bestand. Der damalige Reichs- fanzler Fürst Biéêmarck motivierte die Erböbung des Roggenzolls aus- drücklih au damit, daß man ein Kompensationsobjekt für die Handels- verträge haben müsse. Tropdem war Fürst Bismar bereit, für fünftige Handelsverträge bis auf 1 46 herabzugehen; das ist unwidersprochen mitgetheilt und von zuverlässiger Seite bestätigt worden. Auf Bis- marck’\che Handelspolitik follte man also nicht zurückgreifen, ohne auh dieses Umitandes zu gedenken, denn ihm haben doch gewiß die Inter- es der Landwirtbschaft am Herzen gelegen. Der Reichskanzler hat aber weiterhin selbst auf die E ahrungen von 1891 hingewiesen und erflärt, dieser Saß sei der äußerste, ter fich noch mit der Volfs- ernährung vertrage. Das Jahr 1891 war ein Nothstandsjahr, die Getreidepreise waren unershwinglih. Einen nachhaltigen, dauernden Aufschwung von Handel und Wandel haben wir erst mit und nah dem E der Handelsverträge eintreten sehen. In dem Moment, wo die Unsicherheit über die künftige Gestaltung der Handelsverträge beginnt, muß die Neigung zu In Abschlüssen sinken, das hat man jeßt selbst in hoGshußzöllnerischen Kreisen anerkannt. Es ist do eine naive Auffassung, anzunehmen, wenn wir „die Exportartikel des Auslandes erhöhen, daß dann das uéland liebens- würdig diese Maßnahme mit einer Ermäßigung seiner Zölle für unsere Ausfuhrartikel beantwortet. Daß davon keine Rede ist, hat Rußland ja bereits mit aller Deutlichkeit erklärt. Man will die Kompensationen erlangen durch Ermäßigung unserer Industriezölle, die man vorher nell erst noch fünstlih erhöht. Wenn wir feine oder \{chlechtere Verträge als die jeßigen bekommen, \o leidet die Industrie natürlich wer, denn sie leidet ja {hon unter der jegigen Unsicherheit; aber bis zu einem gewissen Grade hat sie das auch verdient durch das Eingehen auf die durh nichts berehtigten Sonder- wünsde der Agrarier. Der Reichskanzler meint, die Er- shwerung der Produktionsbedingungen durch Steigerung der Löhne würde nicht eintreten; aber die Erfahrungen von 1887—92 prechen nicht dafür. Die Erhöhung der Getreidezölle erhöht die Eo U ahn für die Industrie. Diese Erhöhung der Produks tionskfosten besteht schon jeg und wird nicht erst eintreten, wenn man den Zoll etwa von 5_auf 5,90 4 erhöht. Erfreulich ist ja die Er- flärung, Ae Sgeitern des Tarifs entweder versucht wird, die bestehenden Verträge zu verlängern, oder daß auf Grund des alten autonomen Tarifs neue Verhandlungen angebahnt würden. Die lang- fristige Verlängerung der bestehenden Verträge ist demnach viel leichter als die ereinbarung neuer; Rußland wird keine Schwierig- feiten machen, und au in Oesterreich, Jtalien und der Schweiz wird man damit zufrieden sein. Es wird so dargestellt, als sei der Zoll- {uy absolut nothwendig; die Noth der Landwirthschaft gilt als Arxiom, von ihr wird immer gesprochen, wenn man die shwierige Lage einiger Großgrundbesiger meint. Jedenfalls aber ist die Behauptung, der intensive landwirtbschaftliße Betrieb sei zurückgegangen, ganz unhaltbar und das Gegentheil richtig. Der beste Beweis dafür ist doh die Erhöhung des Viehbestandes. Ebenso steht es mit dem os auf die Rücckgänge der Domänenpachterträge. Es ommt doch dabei sehr viel auf die Persönlichkeit des \ädters an. Die liberalen Landwirthe Pommerns haben durchweg erklärt, fie brauchen höhere Zölle niht. Wie kommt das ? Sind sie alle wirthschaftlih so viel besser veranlagt als ihre fonser- vativen Erwerbsgenossen, oder welhe Gründe hat es sonst? Die Landwirthschaft blübt lhatsählih in den Ländern ohne Shuy am meisten, so in L Eine Enquête über die

ollsäße für die

»olland und Dänemark. Lage des Grupdbesißes hat man ja nicht beliebt ; der Wirthschaft- liche Ausshuß war einseitig zusammengeseßt. Erfreulicherweife scheint man jeßt bei solhen Erhebungen etwas weniger engherzig zu Werke zu gehen, denn über die Frage der Kartelle und Trusts sollen ja auch Sozialdemokraten gehört werden. Man müßte doch klar schen, in welhen Betrieben und in welchen Produktionszweigen der Landwirthschaft wirklih ein Nothstand besteht. Redner gebt sodann auf die Methode der rationellen Bewirthshaftung des Landbesitzes unter Anführung von Beispielen lo ausführlih cin, daß er von dem Präsidenten Grafen von Ballestrem ersucht wird, beim Getreidezoll zu bleiben; zum Thema zurückkebrend, fährt er dann fort: Wir dürfen unsere Volkswirthschaft nicht tadurch stören, daß wir die Ernährung unseres Volkes ersweren, Der Brotpreis geht allerdings niht immer parallel mit den Getreidepreisen, denn bei der Preis- bildung spielen auch noch andere Faktoren mit, aber die mustergültige Statistik in den Städten Berlin und Breélau hat unwiderleglih naG- ewiesen, daß die Brotpreise sich doch nah den Getreidepreisen richten. Fürst Bismarck hat auch mit dem Argument operiert, daß die Bäcker den Vortheil der Preiserböhung bätten, aber sind denn die Bäder alle reih geworden? Mit solchen Dingen kommt man immer wieder, obwobl sie durch die Wissenschaft längst widerlegt sind. Die Tu- berkulose ist unsere Nationalkrankheit: woher kommt es, daß man in England diese Krankheit nicht kennt? Das liegt an der besseren Er- näbrung. Ich wünsche nicht, daß diese Vorlage zu stande kommt. Wenn eine sol&e wichtige geseßgeberische Maßnabme getroffen werdcn soll, hat das Volk ein Recht, mit zu entscheiden. Als dieser Reichs- tag gewäblt wurde, bat niemand eine Abnung gebabt, daß ein sol(der Marximal- und Minimaltarif vorgelegt werden würde. Im Interesse eines gesunden Parlamentarismus liegt es, daß über dicse Vorlage nicht dieser Neichôtag, sondern ein anderer entscheidet. Abg. von Kardorff (Rp.): Der Ahg. Gothein hat ein wunder- bares Konglomerat volkêwirthschaftlidder Ansichten vorgetragen. Es ist längst nachgewiesen: steigende Preise für Grund und Boden und sleigende Löhne sind Keichen der Prosperität des Landes. Herr Gotbein sieht die ganze Industrie viel zu schr vom Standvunkt der reinen Exportindustrie aus an. Wir meinen, durch ein solches Zollsystem wie das vorlicgende wird die Industrie, was sie an Ausfuhr verlieren müßte, reihlich und zebnfah im JIn- lande wieder gewinnen. Das sind die Erfahrungen, welche die scupzöllnerischen Staaten gemalt haben, oder bhalt-n Sie (links) etwa die Franzosen für so thöricht . . . (Abg. Gothein: Frankreich ist ruiniert!) . . . eine Nation, die in den lezten Jahrzehnten an Ruf:land 7 Milliarden borgen konnte, ohne es recht zu merken, gedt toch niht wirthshaftlih und finarztell zurück! Jst denn Amerika wirtbscaftlih und finanziell zurückgegangen ? Die Amerikaner beherrschen jeyt die Welt mit ibren Fadrikaten. (Rufe links: Billige Ledenêmittel !)) Es kommt doch darauf an, daß jemand so viel ver- dient, daß er sich dic Lebenömittel kaufen fann, nit darauf, daf fie absolut niedrig sind; aber man will, daß die Landwicthichaft Noth leidet, damit die städtishen Arbeiter prospericrea können. Meine Es wird auf den Kommissiontvorshlägen stehen bleiben. Auf der inie, die der Reichskanzler als Mittellinie be et, licgt allerdings schon einc bedeutende Erböhung, aber man muß auch der Kommission zu- geben, daß sie sich ebenfalls auf einer mittleren Linie bewegt. Jn der Bismarl"! orlage von 1887 waren 6 M vorgeshlagen, und der Aba Gotbein irrt darin, dah Fürst Bismarck gesagt haden soll, daß er Lis auf 1 M herunter gehe. Fürst Biemartk dat vielmehr gesagt : er wolle um 1 M herunter gehen. Der Reichskanzler meint, der jehige Vorschlag des Weizenzolls ginge schon etwas über das hinaus, was vor den Saprwrgen Handelêoerträgen beftand. Nur scheinbar, in der Thai ift das n denn die übderfeelshen Frachten sind scit ter Zeit f tig verbilligt, taÿ aus Argentinien und az anderen Preisen herfommti, als rat. it den [epigen dorvelt so großen Schiffen kann man viel billiger fa als früher. Zieht man dies in Betracht, so wird mit den Kommiisiensrorichlägcn tur Roggen und Weizen kaum erreicht, was wir damals hatten. Eine Einigung unter den Parteien ist ja dis jeyt nichi erzielt. Die agrarischen Jateresseaten wünschen, daß die Zölle auf Roggen uad Weizca noch eiwas béber als in ter Vorlage normiert weiden; wir wollen glei wobl auf Anträge verzichten, da wir eine bloße Demonstration wellen. Allerdings kann man es den Industriellen nicht ver- denken, daf fe die Caprivi“schen Handelsverträge acceptiert haben, wie chenso umgekehrt die Landwirthschaft fie acce dutte, wena sie nichk s Gunsten ter Jadustrieller, sondern der Lantwirtb!haft geweien rrâren. Parti Bismark hat im Gespräch mit mir oos, «n melten fei wu betauern, tah ein dauerater Zwist wis Landwirthschaft und