Der Abg. Kiefer befürwortete seinen Antrag. Wenn die Jdee der Machtstärkung des Reichs in Deutschland, vor allem au innerhalb der Kleinstaaten in irgend einer Beziehung Fortschritte gemacht habe, so sei es in dem Prinzip der Noth- wendigkeit einer gemeinsamen Flotte gewesen, das nicht etwa auf cinem chauvinistishen Gefühl und einer von übertriebener Begeisterung getragenen Stimmung, sondern auf der gesun- den Einsicht beruhe, daß es der Nation gezieme, alles zu thun, was zur Erhaltung ihrer Unabhängigkeit nah außen erforder- lih sei. Die Bewohner des Westens, die unter den unmittel- baren Eindrücken des beginnenden großen Kampfes gestan- den hätten, gehörten niht zu Denen, welche nur solche Aus- gaben bewilligten, bei denen allein die nächsten lokalen Jnter- essen in Frage kämen; die Bewohner des Westens wollten das, was für sie seiner Zeit gethan worden, in gleichem Maße au dem Norden des deutschen Vaterlandes zugewandt wissen. Es handele sich besonders um eine Deckung des Reichs an der Ostseeküste. Es habe eine Zeit gegeben, wo man, wenn von einer Flotte gesprochen sei, sehr gern mit dem Einwand bei der Hand gewesen sei, das sei Großprahlerei , die Deut- chen fönnten unmögli eine so große Seemacht schaffen, wie sie Frankreih und England hätten. Gewiß ein sehr berech- tigtes Wort, das nur in dem richtigen Maße verstanden werden müsse. Die Deutschen hätten aber auch durhaus keine Intention, eine solche Seemachtsstellung zu erringen, wie sie diese beiden Länder hätten, sondern die Flottenanstalten Deutsch- lands seien — und dafür gebühre dem Chef der Admiralität Anerkennung — innerhalb des Maßes der Kräfte des Deut- schen Reiches geblieben. Nicht um eine aggressive Stellung, um abenteuerlihe Unternehmungen für die Zukunft handele es si, sondern um eine jener realen Forderungen, die der nüchterne Sachkenner gerade so stelle, wie der begeisterte Patriot, nämlih darum, so viel zu leisten hinsihtlih der Sicherheit des deutshen Gebietes, um nach außen hin ge- nügend gerüstet zu sein, und nicht dem Auslande von vorn- herein einen Angriffspunkt zu bieten, den au die mähtigste Landarmee nur wenig zu schüßen in der Lage sei. Die politishe Konstellation sei durchaus niht dazu angethan, Deutschland auf ein Menschenalter hinaus den Frieden zu garantiren und die Vertagung dieser Frage auf ein Dezennium angemessen erscheinen zu lassen. Was würde man gesagt haben, wenn man mit den Befestigungen von Straßburg und Mey so lange hätte warten wollen? Wie man damals rasch gehandelt habe, so müsse man auch bei der Sicherung der deutshen Ostseeküste energish vorgehen. An eine technische Aenderung der Panzerschiffe in Folge des Auftretens der TDor- pedos sei, wie die Denkschrift überzeugend nachgewiesen habe, niht zu denken. Weshalb sollte man also jeßt in der Durchführung des Flottengründungsplanes Halt machen? Noch vor 3 Jahrzehnten habe man die damals im Entstehen begriffene deutshe Flotte unter den Hammer bringen zu müssen geglaubt. Heute sei man an Erfahrungen reicher. Führe man also praftish dur, was im Jnteresse der Sicher- heit Deutschlands geboten sei. Er bitte, seinem Antrage zu- zustimmen.
Der Abg. von Puttkamer (Lübben) sprach sich für den Kommissionsantrag aus. Er bitte, die Positionen nicht zu bewilligen. Er wolle damit nicht einen Mangel an Sympathie für die deutsche Flotte an den Tag legen, für die seine Partei im Gegentheil das größte Jnteresse hege, und deren Leistungen seine Partei volle Anerkennung zolle. Auch wünsche er feine Abschwächung der deutschen Wehrkraft zur See, wie ihm andererseits eine Kritik der derzeitigen Leitung der Marine- verwaltung durhaus fern liege. Seine Partei werde nur dur sachliche Gründe bestimmt, was er niht zu betonen für nöthig hielte, wenn nicht in den leßten Tagen in einzelnen Or-
anen der Presse die Jnsinuation laut geworden wäre, seine Partei würde in ihrer Haltung dureine höhere Jnspiration beein- flußt. Die Bedenken seiner Partei seien finanzieller Natur. Er bitte, den hohen Flug, den der Vorredner genommen habe, zu verlassen, und sih die Frage vorzulegen, ob das Deutsche Reich bei den ungeheuren Lasten, die die Unterhaltung des Landheeres demselben auferlege, in der Lage sei, die gesteiger- ten Ausgaben für die Marine zu tragen. Bei dem Etat des Landheeres sei es troß aller Anstrengungen nicht gelungen, nennenswerthe Abstriche herbeizuführen ; um so größer sei die Pflicht, auf anderen Gebieten zu Eráron, insbesondere unbe- schadet der Wehrkraft zur See, auf dem der Marine- verwaltung. Wenn man einwende, daß diese Aus- gaben die Finanzlage Deutschlands nicht wesentlich alteriren fkönnten, so bedenke man, daß außer den 11 Mill, die hier gefordert würden, noch die Kosten der Unterhaltung, der Armirung u. \. w. in Betracht kämen. Die Befürchtung, daß dur diese Abstrihe der Küstenshuß Deutschlands in Frage gestellt werde, theile er nicht. Den Seemächten, wenn sie Deutschland vereinzelt gegenüber ständen, werde Deutschland auch jeßt {hon völlig gewachsen sein ; träten sie dagegen fkoalirt auf, so werde dem Deutschen Reiche auch die Armirung nicht viel helfen. Die Dstseeküste abe aber ihren Shuy zum größten Theil in sich selbst. Dur ihre hohen Dünen und Moorstrecken biete sie dem Gegner ein ungünstiges Angriffsfeld dar, namentlich wenn die bedrohteren Punkte, wie Kiel, durh entsprehende Sperr- maßregeln, Torpedos u. \. w. genügend geshüÿt würden. Wenn Deutschland mit einer großen Seemacht in einen Krieg verwickelt werde, so habe es den Hauptaccent immer auf die Landarmee zu legen, dur die Deutschland auch An- griffe zur See pariren werde. Was die tehnishe Seile der Frage anlange, so werde behauptet, daß dieselbe jet abge- \hlossen sei. Vor Jahresfrist sei sie es niht gewesen, wes- halb man damals kein neues Panzerschiff in Antrag gebracht habe. Höôre man nicht überall von Versuchen, die Panzerschiffe durch die Artillerie zu üÜberbieten? Habe niht die russische Regierung in England mit großen Kosten ein solhes Schiff bauen lassen, das si in der Folge wenig O . habe? Auch gegen das neueste italie- nishe Panzer chiff seien Bedenken laut geworden. Abgeschlossen sei diese Frage also keineswegs. Außerdem sei es niht un- mögli, daß auf diesem Gebiete neue Erfindungen gemacht würden, die die jeßigen Verhältnisse völlig umkehren könnten. Mit den Seemächten England und Frankreich dürfe Deutsch- land si in dieser Hinsicht nicht vergleichen. England sei na- türlich darauf angewiesen, alle Versttche dieser Art praktis zu gestalten. Frankrei steigere sein Ausgabebudget von Milliarde zu Milliarde, und auch hier entstehe, troy des ungeheuren Reichthums des Landes schon die Frage, wie lange es im Stande sein werde, diese kolossalen Ausgaben zu tragen. Er warne davor, in dieser Hinsicht mit Frankreich in eine Kon- kurrenz einzutreten. Deutschland werde gut thun, die Sache ruhig abzuwarten und seinen Nahbaren das Experimentiren
zu überlassen. Die Position in Kap. 60 werde seine Partei nur für dieses Jahr ablehnen mit Rücksiht auf die jeßige inanzlage, und weil seine Partei nicht beabsichtige, die arine in ihrem Bestande zu reduziren. Die andere Position lehne seine Partei definitiv ab.
Der Abg. von Kardorff bemerkte, nah den Ausführungen des Vorredners scheine ihm dessen Sympathie für die Flotte doch nur recht platonisher Natur zu sein. Troß der Versiche- rung des Vorredners, si einer Kritif der derzeitigen Marine- leitung zu enthalten, habe derselbe ausgesührt, daß der Chef der Admiralität über die ganze Küstenvertheidigung entschieden ganz unrihtige Ansichten habe. Wenn das keine Kritik sei, möchte er wissen, was Kritik sei. Er möchte nun das Haus bitten, die Position des Extraordinariums nicht abzulehnen. Er sei damit einverstanden, daß man, um den gegenwärtigen Etat zu entlasten, den Er- saßbau für das im Ordinarium geforderte Schiff auf ein Jahr zurückstelle; wenn das Haus sih aber entschließen würde, die Forderung des Extraordinariums abzulehnen, so würde es in der ganzen Nation einen \{hwerwiegenden und schädlichen Eindruck hervorrufen. Das Haus würde mit der Ablehnung der Forderung des Extraordinariums geradezu aussprechen, daß es den Flottengründungsplan, wie derselbe derzeit genehmigt worden sei, nit mehr inne halten wolle und die Marine über- a etwas vernachlässigen. Er möchte übrigens au darauf
inweisen, daß die gedachte Forderung das leßte Panzer\cchif} betreffe, das zur Ausführung kommen werde, und die Flotten- organisation damit einen Abschluß erhalte. Zu beachten sei fer- ner, daß die Forderung des Extraordinariums in der Budaget- kommission mit 12 gegen 12 Stimmen und nur aus Zufall abgelehnt sei, indem sih zwei Abgeordnete aus der Kommission während der Abstimmung hätten entfernen müssen. Ohne diesen Zufall wäre {hon in der Budgetkommission die Forde- rung mit Majorität genehmigt worden. Hinsichtlih der Motive habe der Chef der Admiralität in der Kommission sehr gut ausgefüh:t, daß auf den gesammten Werstbetrieben, namentlich den privaten, eine große Revolution vor ih ge- gangen sei dadurch, daß die Segelschiffahrt von der Dampf\chi}- fahrt nah und nah gänzlih verdrängt worden sei; hierdurch hätten si die Privatwerften allmählich auf größere Dampfschi}f- bauten eingerichtet ; es sei aber natürlich, daß, weil sie bisher verhältnißmäßig noch weniger hierin gearbeitet hätten, große Gesellshaften wie der Bremer Lloyd si \cheuten, bei Privat- wersten Bestellungen zu machen und sih lieber ans Ausland wendeten. Er verstehe cs sehr wohl, wenn der Abg. Meier, der die Verantwortung für den Bremer Lloyd zum großen Theil mitzutragen habe, es nicht verantworten wolle, cin Schiff auf einer Anstalt zu bestellen, wenn derselbe nicht die- selbe Garantie für die Qualität, wie auf den englischen Werften habe. Jndessen dürfe man doch nicht verkennen, daß es im nationalen Interesse liege, die deutshen Schiffe auch auf deutschen Wersten zu bauen. Wenn jeßt die Arbeit auf den Privatwersten dur die ganzen Konjunkturen zurüdge- drängt sei, so daß es augenblicklih nah dem Urtheil aller Sachverständigen den Anschein habe, als ob ein Theil der gesammten Privatwerften gezwungen sein würde, zum Theil ihre Arbeiter zu entlassen, dann sei es von der größten Wich- tigkeit, namentli fürdie Privatwerften, wenn der Staat in die Lage komme, größere Bestellungen bei denselben zu machen und auch dadurch das Zutrauen zu den Privatwersten im Publikum zu stärken. Wenn solche größere Aufträge den Privatwersten zugehen und von ihnen zur eir gun gelöst würden, so würde unzweifelhaft auch dex Abg. Meyer für den Norddeutschen Lloyd auf deutschen Privatwerften Schiffe be- stellen. Gegenwärtig könne man es ja den Herren nicht ver- denken, wenn sie bedenklich seien, den deutschen Privatwersten große Bestellungen zuzuwenden. Fm nationalen Interesse bitte er, die Forderung des Extraordinariums, für deren Be- willigung seine politishen Freunde bereits in der Kommission gestimmt hätten, anzunehmen. :
Der Abg. Meyer (Schaumburg-Lippe) erklärte, er werde für die Bewilligung der 2400 000 A für das neue Panzer- \hi} stimmen, dagegen die anderen 400 000 4 auf das nächste Lad zurückseßen. Daß das geforderte Panzerschiff das leßte
lied in der Ausführung des Flottengründungaplans sein werde, könne er, entgegen dem Vorredner, nicht annehmen. Man möge si das jeßt so viel wiederholen, wie man wolle später werde doch die Nothwendigkeit hervortreten, no etwas in dieser Hinsicht zu thun. Er sei keineswegs ein Gegner der Entwicklung der deutshen Marine; im Gegentheil, dieselbe liege Niemandem mehr am Herzen als ihm. Aber er glaube dieses Jnteresse am besten zu beweisen und zu fördern, wenn er da, wo er Mängel und Fehler sehe, sie hier ofen zur Erörterung bringe, um eventuell der E SY Gelegenheit zu geben, fih zu recht- fertigen, oder auch stillschweigend Aenderungen eintreten zu lassen. Er würde kaum das Wort ergriffen haben, wenn niht der Chef der Admiralität gegen den Norddeutschen Lloyd einen NRGE R hätte, den er, da in dem N Falle seine Meinung allein auss{hlagend gewesen sei, als einen persönlihen bezeichnen fönne, Wenn er sich auch damit niht brüsten wolle, was der Bremer Lloyd für die deutshe Jndustrie thue, so könnte er do die Ant- wort ertheilen, daß augenblicklich 3 verschiedene Ss, ersten in Deutschländ für den Norddeutschen Lloyd be- \{hästigt seien mit dem Bau von Schiffen, Kesseln und Maschinen. wieder die Erfahrung gema aß diedeutshen Schifsswerften den Bréméer Lloyd in große Verlegenheit seßten, weil sie nicht pünktlih ihr Wort hielten und die Sachen nicht zu dem ver- abredeten Termin lieferten. So solle. ein Schiff, das {on am 1. Oktober hätte geliefert werden sollen erst in den nächsten Tagen seine Probefahrt mahen. Ein paar andere Schiffe warteten seit 2 bis 3 Monaten auf die Kessel: die Maschinen seien da, die Kessel fehlten, der Bremer Lloyd sei somit in der grrseen Verlegenheit. Wo derselbe könne, nehme er die deutschen fen wae lge in eigenem, wohlverstandenen Jnteresse in An- spruch; wo aber die deutschen Schiffswerften das mt leisten könnten, was der Bremer Lloyd beanspruchen müsse, da gehe derselbe davon ab. Er (Redner) wolle dem Hause einen Beweis liefern. Das S(hiff, um das esfich handele, werde das größte Privat- Dampfschiff sein, welhes aus Deutschland abgehe. Der Bremer Lloyd habe deswegen eine Submission ausgeschrieben. Einige deutshe Schiffswerste hätten 18 Monate verlangt, c noch längere Zeit. Der Bremer Lloyd habe zu 13 Monat Lieferungtzeît kontrahirt, und es werde zwischen 10 und 11 Monaten geliefert werden. geit sei Alles. Wenn der Bremer Lloyd das Schiff auf dieje Weise 9 Monate früher bekomme, so sei das, namentlich in der jebigen Konjunktur, sehr viel Geld werth. Als Vertreter fremder
Aber pr n bei dieser Gelegenheit au
rivatinteressen könne er sich durch patriotishe oder nationale tüdsichten allein, wie warm er dieselben au sonst empfinde, nicht leiten lassen.
Hierauf wurde die Summe von 400 000 # für den Er- saßbau abgelehnt, die 2400 000 M für die neue Panzerkor- vette wurden bewilligt.
Tit. 30 der einmaligen Ausgaben (100 000 6) als erste Rate zur Erbauung eines Gebäudes für die Marine-Akademie und Marineschule auf dem ehemaligen Werstterrain zu Düstern- brook (Kiel )Zbeaniragte die Budgetkommission zu bewilligen, aber nicht als erste Rate, sondern als „Kosten zu den Vor- arbeiten.“ Der Referent Abg. Rickert begründete diese Form der Bewilligung damit, daß ein spezieller Kostenanshlag noch nit vorliege und das Haus ein AUereie daran habe, s\ich dur die Bewilligung der ersten Rate nicht präjudiziren zu lassen. Bei dem Militär-Etat habe man es in ähnlichen Fällen ebenso gemacht.
Das Haus beschloß dem Antrage des Referenten gemäß, der bei dem Schlußtitel des Etats noch einige Erklärungen des Chefs der Admiralität auf einige in der Kommission an denselben gerichtete Fragen mittheilte. “Den Bau des Nord- ostseekanals habe der Chef der Admiralität als im Jnteresse der Erhöhung der maritimen Kräfte Deutschlands liegend an- erkannt, doch sei die Sache noch nicht so weit, daß eine Vor- lage an den Reichstag gebracht werden könne. Was die Hebung des „Großen Kurfürsten“ betreffe, so habe die Marineverwal- tung niemals große Pas auf das Gelingen der be- treffenden Versuche gehabt, sie seien fortgeseßt, jedoh ohne Hoffnung auf ein Resultat. Das Haupthinderniß des Gelingens bestehe darin, daß man sich nur kurze Zeit mit den Hebungs- arbeiten beschästigen könne, im Laufe von acht Tagen nur circa zwei Stunden, so daß die Vergeblichkeit weiterer Versuche {on allein aus diesem Umstande folge. — Damit war der Marineetat in zweiter Berathung erledigt.
Ueber den Militäretat referirte der Abg. von Benda und beantragte, die Kapitel 14—17 der dauernden Ausgaben unverändert zu bewilligen. Das Haus beschloß demgemäß.
Kap. 17 enthält eine Mehrforderung von 23 243 M für die Militärgeistlichkeit.
Der Abg. Dr. Franz sprach der Militärverwaltung für die auch der katholischen Seelsorge zugewendete Fürsorge seinen Dank aus. Er halte sih hierzu um so mehr für verpflichtet, als man sonst in Preußen gewöhnt sei, daß der katholischen Geistlichkeit das genommen werde, was ihr von Gottes und Rechts wegen gebühre. (Unruhe. Der Präsident ersuchte den Redner, in seiner Kritik der preußischen Geseßgebung nid t das Maß des Erlaubten zu überschreiten.) Der Abg. Dr. Franz fuhr in seinen Ausführungen fort und bat den Kriegs- Minister, künftig dafür zu sorgen, daß nur solche Personen mit der Militärseelsorge betraut würden, welhe den fkanonishen Vorschriften der katholischen Kirhe genügten. Daß dies bisher nicht überall der Fall gewesen sei, beweise ein Fall in Kosel, wo ein Staatspfarrer, also ein Mann, der sich gegen das kfanonische Recht und gegen den Befehl seines Bischofs in seine Pfarrei eingedrängt habe und demgemäß von der Kirche exkommunizirt worden sei, die Stelle eines katholischen Militärgeistlichen ein- nehme. Die Laiengemeinde könne si der Einwirkung des- selben entziehen, indem sie aus der Kirche fernbleibe, das Militär aber müsse sih dienstlih au einem Gottesdienst be- theiligen, der in den Augen jedes rehtgläubigen Katholiken als sakrilegish zu betrachten sei. Wenn eine Aenderung dieses BELLIA L nicht durchführen lasse, so möge man wenig- stens auf die Soldaten keinen Druck ausüben, um sie zum Besuch des Gottesdienstes zu veranlassen,
“ Hierauf nahm der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Kö- niglih preußishe Kriegs-Minister von Kameke das Wort:
Meine Herren! Der Kulturkamvf und der Kirchenstreit sind die Veranlassung, daß an verschiedenen Stellen in Deutscland die katho- lische Seelsorge beim Militär Vakanzen im Personal zeigt, und die
ilitärverwaltung, die ihren fatholishen Soldaten gerne ihr kirh- liches Leben erhalten möchte, hat umhergreifea müssen, um Pfarrer zu bekommen, die sich dieser militärishen Seelsorge widmen. Durch die Vakanz in den Bischofssißzen ift es sehr {wer geworden, daß die- jenigen Geistlichen, die sih dieser Militärseelsorge widmen wollen, Seitens ihrer fkirchlihen Behörden die Jurisdiktion haben be- kommen Töunen, und die Militärverwaltang hat daher das Mittel ergriffen, damit siz die Stellen beseßen konnte, sich mit dem Ober- Präsidium und dem Generalkommando in Verbindung zu seßen und hiernach einen Pfarrer, der die katholishe Zurisdiktion hatte, anzu- stellen, oder ihm, wie das bäufiz der Fall ist, die Seelsorge kom: missarisch zu übertragen, während der Pfarrer sonst ein ivilamt hat. In dieser Weise hat der Hr. Pfarrer Grünkastel, der Civil- pastor ist, in Kosel die Pastorirung des Militärs mit zu besorgen. Daß der Pfarrer Grünkastel von der katholishen Kirche erkom- munizirt worden, ist mir nicht bekannt gewesen, _ das bôre ih heute zum ersten Male. Nah den Berichten des Ober- Präsidiums und des Generalkommandos war er durchaus berech- tigt, fatholishen Gottesdienst zu halten. J glaube, daß damit die Verwaltung datjenige gethan hat, was sie hat 1hun fönnen, weil sie eben die fatholishen Soldaten nit ohve Seelsorge lassen will. Wenn nun thatsächlich feststeht, daß häufig in dieser Zeit ein Zweifel und Streit über die Berechtigungen der fkatholishen Geist- lichen auftritt, und Sie wissen, meine Herren, seit den 8 Jahren, wo der Kulturkampf herrsht, daß dies sich nicht immer vermeiden läßt, so ist, damit niemand in seinem Gewissen beunruhigt werde, der Befehl gegeben, daß, wo solcher Zweifel laut wird, fein Soldat mehr dienstlih in die Kirche geführt wird, sondern es ist jedem Soldaten überlassen, zu dem angestellten Pfarrer hinzu- gehen oder nicht. J glaube, tab unter den jeßigen Verhältnisen nit mehr geschehen kann, und ih kann daher auc den Herrn Vor- redner ein Versprechen in Bezug auf Abhülfe nicht geben, denn ic weiß niht, was für Abmachungen mit Hrn. Grünkastel emacht find und ibn so pure cuts:ten, ist sehr [wer, Erst dann würde das mögli sein, wenn absolut niemand mehr si zu der Gemeinde zählt, ín der er sein Amt bat. Ich glaube, der Vorwurf, daß wir die firblihe Seite unserer katholischen Soldaten nicht ins Auge fassen, und nicht für sie sorgen, kann der Militärverwaltung nicht gemacht werden. Wir sorgen für sie ebenso, wie wir dies für die evangeli- \{en Soldatea nicht unterlassen.
Der Abg. Dr, Windthorst bemerkte, er erkenne vollflommen an, daß die Berne für die Militärverwaltung durch den Kulturkampf vielfa sehr A, geworden seien, und daß der Minister bemüht sei, den Traditionen, welche bisher im preußishen Kriegs-Ministerium üblih gewesen seien, zu folgen. Dennoch sei es ein Beweis für eine dur: aus falshe Auffassung, wenn derselbe glaube, daß der Ober - Präsident oder das General - Kommando die ge- eigneten Organe seien, um über die Qualifikation eines Geistlichen zur Seelsorge Erkundigungen einzuziehen. Ueber diese Frage könnten allein die kirhlihen Oberen entscheiden. Wenn der Minister darauf hinweise, daß kein tatvolttBer Soldat gezwungen sei, den Gottesdienst zu besuchen, so wisse doch Jeder, daf bei der sirengen Disziplin beim Militär der
i
Soldat kaum im Stande sei, sih der Seelsorge des Garnison-
pfarrers zu entziehen, auch wenn ein direkter Befehl nicht vorlicge. Die Katholiken hätten einen Rehtsanspruch darauf, daß ihnen ein ordnungsmäßiger Pfarrer gestellt werde. Ein Staatspfarrer könne gar niht mit der Militärseelsorge be- traut werden, und wenn es gesehen, so müsse derselbe — wenn nöthig, unter Belassung seines vollen Gehalts — wieder beseitigt werden. Den Kriegs-Minister aber möchte er bitten, seine hervorra ende Vertrauensstelung dazu zu benußen, an geeigneter Stelle darauf aufmerksam zu machen, einen wie bedenklichen Einfluß der Kulturkampf auf die militärischen Verhältnisse ausübe, um im preußischen Staats-Ministerium oder wo derselbe sonst Gelegenheit finde, auf eine baldmög- lidste Beseitigung des kirchenpolitishen Konsflifkts hinzu- wirken.
Der Abg. Dr. Franz erklärte, daß der genannte Militär- geistliche in Kosel sih nicht im Einklang mit der fatholischen Kirche befinde, könne der Militärverwaltung unmöglich unbe- fannt gewesen sein, da die öffentlihen Blätter diesen Uebel- stand in ausgiebigster Weise erörtert hätten. Wenn die Be- merkung des Kriegs-Ministers, daß derselbe Nichts davon gewußt habe, si lediglich auf die Exkommunikation bezogen habe, so müsse er demselben bemerken, daß die leptere nur eine noth- wendige Konsequenz des Abfalls von den Vorschriften der Kirche sei. Die Mittheilung, daß die Soldaten nicht ge- zwungen würden, den Gottesdienst zu besuchen, beweise gar nichts, da er genau wisse, daß man auch ohne Befehl Mittel zu finden gewußt habe, um die Kirche einigermaßen mit Soldaten zu füllen. Auch seien die Rekruten gezwungen worden, den Fahneneid vor dem Staatspfarrer abzulegen.
Der Abg. Dr. Beseler protestirte entschieden dagegen, daß in den Aeußerungen der Vorredner über den Kulturkampf die Sache stets \o dargestellt werde, als wenn das Recht un- bedingt auf Seiten der Kurie und das Unrecht auf Seiten der Regierung sei. (Abg. Franz: Das lehre die Geschichte !) Ja, diejenige Geschichte, welche das Centrum selbst fabrizire. Wenn der Abg. Windthorst den Kriegs-Minister auffordere, seinen Einfluß für die Beseitigung des Kulturkampfes geltend zu machen, so bemerke er, daß es nicht die Aufgabe eines Kriegs- Ministers sei, zwischen der Regierung und der fatholischen Partei zu vermitteln. Lege der Abg. Windthorst Werth auf die Bei- legung des Kulturkampfes, so fordere er ihn auf, seinen Ein- fluß in Rom in diesem Sinne geltend zu machen; man werde dann sehr bald zu dem gewünschten Ziele kommen.
Der Abg. Frhr. von. Malßahn-Gülß erklärte, der direkte Angriff, der gegen das Verfahren des Königlich preußischen Kriegs-Ministeriums in einem Spezialfalle hier von zwei Seiten gerihtet worden sei, zwinge ihn wider seinen Willen das Wort zu nehmen und sih die Frage vorzulegen und zu beantworten: was habe denn das Kriegs-Ministerium gethan, daß es in dieser Weise kritisirt werde ? Es habe, wie er aus dem, was hier so eben verhandelt worden sei, und nur daraus, entnommen habe, in einer Garnison einem Pfarrer die Militärseelsorge kommissarisch übertragen , welher nah den zur Zeit geltenden De des Staates zwel- fellos sich im Pfarramte befinde. Es habe das Kriegs-Ministerium aber, da bei der augenblilichen Lage der Dinge ein großer Theil der Katholiken diesen Pfarrer nicht als einen rihtigen Pfarrer ansehe, die Soldaten nicht gezwungen, sih von diesem Pfarrer bedienen zu lassen, sondern ihnen alle Freiheit gelassen. Er glaube, das preußische Kriegs- Ministerium habe damit völlig korrekt gehandelt und es liege ihm daran, daß dies in dem Hause ausdrücklich anerkannt werde. Er halte es nit für seine Aufgabe, in die schwierige Frage des Kulturkampfes hier einzugehen. Er erkenne seiner- seits offen an, daß, wie der Abg. Windthorst gesagt habe, vieles niht in Ordnung sei; daß aber vieles nicht in Ord- nung sei, das habe er soeben auch gehört, wenn ein Mit- glied des deutshen Reichstags hier gesagt habe, daß Dasjenige, was nah der Geseßzgebung des preußischen Staates angenommen worden sei, wider Gott und Recht sei. Er habe, da er überhaupt zum Wort gekommen sei, die Acußerung des ersten Redners, daß den katholishen Pfarrern in Preußen das entzogen und vorenthalten werde, was ihnen von Gott und Rechtswegen gebühre, nicht ohne Bestreiten seinerseits dur{gehen lassen wollen. Daß die Lage, in der solche Dinge möglich seien, bald geändert werde, das wünsche er von ganzem Herzen er glaube aber allerdings mit dem Abg. Dr. Beseler, daß dazu Hr. Windthorst und seine Freunde mehr beitragen könnten als die preußische Militärverwaltung.
Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, der Vorredner meine, die Militärverwaltung habe korrekt gehandelt, daß sie mit der Seelsorge einen Pfarrer betraut l,abe, der geseßlih ange- stellter Pfarrer sei. Er sei sih nicht klar, ob der Mann desi- nitiver Garnisons-Pfarrer sei oder das Amt nur kommissarisch verwalte. Es sei dies aber gleichgültig, denn die Hauptsache sei, die Militärverwaltung müsse wissen, daß ein sogenannter Staatspfarrer von der Kirche nicht anerkannt werden könne, die Militärverwaltung brauche nur zu sagen , sie wolle den kirhenpolitishen Streit vom Militär fernhalten und nehme einen Pfarrer, der niht bestritten sei. Auf diese Weise würde die Frage der Seen der Gesehe ganz unberührt bleiben. Der Einwand, da die Soldaten nicht ge- wungen würden, den Gottesdienst des Mannes zu besuchen, ei {hon einmal widerlegt. Bei der strengen Disziplin im
eere genüge ein Blick oder eine Handbewegung, um die Soldaten doch in die Kirche des Staatspfarrers zu bringen. Was sage denn der Abg. von Mal ahn-Gülß dazu, daß dieser Mann au den Fahneneid abnehme. Sei das etwa au korrekt? Nun glaubten einige Herren, seine Freunde und er hätten in Rom einen erheblihen Einfluß bezüglih der Beendi- ung des Kulturkampfes. Das Centrum habe aber hier nur Line staatsbürgerlihen Rechte zu vertreten, mehr nicht ; das thue seine Partei voll und ganz und verbitte sih seine Partei, ihr irgend welche besonderen Kommissionen hu preDon, Die beiden Vorredner würden in Nom ganz dasselbe Gehör finden wie das Centrum. Seine Partei könne dort auch nihts Anderes thun, als die Sache objektiv und ruhig darzustellen. Man wisse übrigens in Kom auch ohne das Centrum ganz genau, wie die Dinge lägen. Warum wirke der Abg. von altahn niht in Preußen auf die S der Uebelstände hin? Die Parteigenossen des Abg. von Malßahn im Abgeordneten- hause hätten das do wenigstens der egierung ans Herz ge- legt, Die Frage der Befolgung der Staatsgeseze sei hon hundert Mal erörtert worden. Wisse der Abg. Dr. Beseler nicht, daß der passive Widerstand aus Gewissensgründen ein berechtigter sei? Er wundere si, daß derselbe meine, das Centrum könne Geschichte machen. Der Abg. Dr. Beseler befinde sich allerdings an der hiesigen Universität in einer Gesellschaft, welche die Ge- Mptamagere gründlih betreibe. Derselbe sollte] übrigens wissen, daß die Auffassung geshichtlicher Ereignisse je nah dem
Standpunkte des Beobahtenden eine verschiedene sei. So ¡ durchgeführt werden können.
wenig es ihm einfiele die evangelische Auffassung geschiht- licher Ereignisse zu verdächtigen, ebensowenig könne er das von der seinigen dulden.=-
Demnächst nahm der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats-Minister von Kameke das Wort:
Meine Herren! Die Auseinandersetzungen der Herren Abgeordne- ten haben mi noch nicht dahin bringen können, mich zu überzeugen, daß die Art und Weise, wie die Krieasverwaltung gehandelt, um den Pfarrer einzustcllen, irgendwie ein Recht der katholischen Kirche hat s\{mälern können. Der Pfarrer, der dort angestellt, ist ein staatlih anerkannter und die Organe, die der Kriegsverwaltung zu Gebote stehen, um sich zu informiren über die Qualität dieses Man- nes, sind genau befragt worden. Ich kann also den erhobenen Vor- wurf niht annehmen.
Es ift aber nit der Grund \prehen, weshalb ich nochmals um das Wort ge- beten - habe, sondern die Aeußerung des Hrn. Abg. Windthorst, daß wenn Seitens der Kriegsverwaltung verboten ist, die katholiscea Soldaten zu zwingen in eine Kirche zu gehen, dies möglicherweise voc der Front durch Winke oder Blicke geschehen köunte, ih denke, meine Herren, die preußische Disziplin ist stark genug, daß nah dem Verbot au ein solcher Wink und solcher Blick
nit vorkommt, daß also die Leute in ihrem Gewissen durchaus frei bleiben.
Der Abg. Dr. Beseler entgegnete, wenn er von Fälschun- gen der Geschichte gesprochen habe, so sei er dazu veranlaßt durch einen Zwischenruf, der ihm von hinten gekommen sei. Er werde dem Abg. Windthorst niht den Gefallen thun, die Lehrer der hiesigen Universität zu vertheidigen. Höher ständen diese Männer jedenfalls als sein Landsmann Hr. Onno-Klopp. Zum Kapitel Geschihtsfälshung rufe er dem Abg. Windthorst nur das eine Wort zu: Pseudoisidor.
Hierauf wurde ein Schlußantrag angenommen und die Position bewilligt.
Beim Kapitel 18 (Militär-Justiz-Verwaltung 546 197 46) vat der Abg. Melbeck um Gleichstellung der Auditeure mit den Jntendantur-Räthen und Civilrichtern. Das Maximalgehalt der Divisions-Auditeure betrage troß der im Etat vorgesehenen Erhöhung des DurW{hschnittsgehalts um 300 F nur 4500 t und mit Hinzufügung des Servises 5100 4, dagegen das Maximalgehalt der Amtsrichter 6000 4, der Jntendantur- Räthe, ohne Servis 5400 4 Diese Ungleichheit zu Ungunsten der Auditeure erheishe dringend Abhülfe im Jnteresse der Be- theiligten wie der Militärverwaltung, zumal die Avancements- verhältnisse der Auditeure sich bedeutend ungünstiger stellten, als die der zivilrihterlihen und Jntendanturbeamten. Er hoffe, daß im nächsten Jahre die gewünschte Erhöhung im Etat erscheinen werde.
Der Staats-Minister von Kameke versprach, die Erhöhung der Gehälter im nächsten Jahre bei Aufstellung des Etats anregen zu wollen, er könne aber eine bestimmte Zusage, daß dieselbe im Etat wirklih erscheinen werde, nicht machen, da er von der Reichsfinanzverwaltung abhängig sei.
Der Abg. Marcard erwähnte, daß er 40 Jahre lang im Dienste der Militärjustiz gestanden habe. Nicht allein die ungenügende pekuniäre Lage der Auditeure vermindere den Andrang zu dieser Carriere, sondern auch der Umstand, daß diese Beamten in den Rangyverhältnissen hinter anderen Militärbeamten zurückständen, daß fie keinen bestimmten Offiziersrang hätten wie die Militärärzte, auch keine BursGen, und daß ihnen die militärishen Honneurs nicht erwiesen würden.
Kapitel 18 wurde bewilligt, desgleichen Kapitel 19 bis 23 und von Kapitel 24(Geldverpflegung der Truppen 97 658 362 46) die Titel 1 bis 6.
Zu Titel 7 beantragte die Kommission an diesen Aus- gaben durch Verlängerung der Rekrutenvakanz von 4 auf 6 Wochen insgesammt 400 000 F zu ersparen und zwar speziell für die Geldverpflegung in Preußen 125 000 Á, in Sachsen 2711 #, in Württemberg 2000
Hierzu hatten die Abgg. Freiherr g Frankenstein und Freiherr von Schorlemer-Alst folgenden Antrag gestellt :
er Reichstag wolle beschließen:
In Kapitel 24 des ordentlichen Etats Titel 7 an der Ge- sammtsumme: a, Preufien (Spezialetat Seite 64): an Stelle von 52361450 Æ einzusezen 51861450 A, somit weniger 500 000 Æ; b. Sawsen (Spezialetat Seite 274): an Stelle ron 4407441 M einzusehen 4357441 A, somit weniger 50 000 MÆ; c, Württemberg (Spezialetat Seite 390) : an Stelle von 3023105 Æ einzuseßen 2983105 H, somit weniger 40 900 K
Der Abg. Frhr. zu Franckenstein befürwortete seinen Antrag, die Finanzlage des Reiches mache es jedem Abge- ordneten zu einer heiligen Pflicht, zu sparen, wo es irgend gehe. Das Ordinarium des Militäretats sei gegen das Vor- jahr um 17 891 136 M, das Extraordinarium um 21 394 880 gestiegen. Er denke, diese Zahlen sprächen für si selbst. Da- bei werde Jeder erstaunen, wie gering die Summe sei, welche nah den Berathungen der eh dag“ vieh vg an diesem Etat er- spart werden könne. Daher habe der Abg. von Schorlemer und er wenigstens den Versuch einer mäßigen weiteren Reduktion machen wollen. Es sei bekannt, daß im vorigen Jahre die Militärver- waltung zum Zweck der in diesem Jahre neu zu formirenden Regimenter 8—9000 Rekruten mehr eingestellt habe, wie sonst, Die Mittel zu dieser Mehreinstellung seien im Etat nicht be- willigt worden und die Militärverwaltung habe sie sih da- dur verschafft, daß sie eine entsprehende Zahl von Mann- schaften beurlaubt habe. Wenn das in einem Jahre mögli sei, so sei man zu der Annahme berechtigt, daß weitere Erspar- nisse sich künftig auf gleichem Wege würden erreichen lassen. Seine Freunde seien immer der Meinung gewesen, daß eine zweijährige Dienstzeit für die Jnfanterie ausreihe. Wenigstens zeige die erwähnte Maßregel der Militärverwaltung, daß eine dreijährige niht nothwendig sei. Er bitte seinen Antrag an- zunehmen.
Der Bundeskommissar, Major von Funk, entgegnete, der vom Vorredner gestellte Antrag würde in seiner Konsequenz dahin führen, daß der Militärverwaltung die ihr gesezmäßig zustehende Zahl von Verpflegungstagen im Etat thatsächlich niht bewilligt würden. Aus §. 1 des RNeichs-Militärgeseßes und aus der Novelle vom vorigen Jahre, sowie aus der Aus- führung der damaligen Referenten des Reichstages gehe her- vor, daß die Zahl der Verpflegungstage so zu verstehen sei, daß man die Zahl der Tage des Jahres, also 365, mit der Ziffer der Präsenzstärke multiplizirt habe, Diese Zahl habe die Militärverwaltun geseßlih zu verlangen. Der Antrag sei also unvereinbar mit den geseßlichen Bestimmungen. Der Antrag würde aber auh ferner nicht ohne unerheblihe Schädigung der militärishen FJntere)jen
gewesen, um dies aus8zu-
i i t u den Beurlaubungen im Vor- jahr habe eine zwingende Not wendigkeit vorgelegen, zu der sich die Militärverwaltung habe entshließen müssen, um die großen Vortheile für das Militär ins Werk zu seßen, welche die vorjährige Novelle festseße. Der Vortheil habe also den unvermeidlihen Nachtheil überwogen. Was aber in einem E habe geschehen können, würde nicht in jedem folgenden zahre geshehen können. Er bitte also aus diesen beiden Gründen den Antrag abzulehnen.
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, nahdem im vorigen e das Militärgeseß angenommen worden sei, dürfe man ih niht mehr der Zllusion hingeben , daß es bei Gelegenheit der Etatsberathung möglih sein werde, erheblihe Ersparnisse an den Ausgaben für die Militärverwaltung zu machen. Troÿdem werde seine Partei für den Antrag Frandcken- stein eintreten. Gegen denselben- sei zunächst geltend gemacht worden, daß derselbe mit der Militärgeseßnovelle unvereinbar sei, aber die Novelle sage durchaus nicht, daß so und fo viele Soldaten gehalten werden müßten, sondern nur, daß die Re- gierung verlangen könne, für eine solche Zahl von Soldaten die Mittel bewilligt zu erhalten. Es sei also immer noch zu- gelassen, daß zwischen dem Reichstage und der Regierung eine Vereinbarung über eine geringere Präsenzziffer getroffen werde. Der Reichstag wäre also bei der zweiten Lesung formell wohl berechtigt, einen solhen Beschluß zu fassen und der Regierung dadur zur Erwägung anheimzugeben, ob sie niht für dieses Jahr auf eine geringere Präsenzziffer eingchen wolle. Ent- schließe sie sih hierzu nit, so würde der Reichstag allerdings genöthigt sein, bei der dritten Lesung die volle Summe in den Etat einzustellen. Jn der Budgetkommission habe der Abg. zu Franckenstein beantragt, die Ersparung in der Prä- senz dur eine Verminderung der Zahl der zur Uebung ein- zuberufenden Ersaßreservisten zu bewirken. Diesen Vorschlag habe er nit für zweckmäßig gehalten. Der jeßige Antrag mache der Regierung gar keine Vorschriften, sondern überlasse derselben, in welcher Weise sie die Ersparung der 500000 M bei der Präsenz ermöglichen wolle. Es seien ja dafür mehrere Wege möglih. Jm vorigen Jahré habe es die Regierung für militärish zulässig gehalten, im laufenden Jahre 8000 Mann mehr, als sonst der Fall sei, zu beurlauben. Dafür habe der Militärverwaltung der Vortheil gegenüber gestanden, Mitte April {hon 8000 Mann mehr ausgebildete Mannschaften zu haben und das Rekrutenkontingent so zu bemessen, als wäre die Militärnovelle hon im vorigen Herbst in Kraft getreten. Auf der anderen Seite kämen bei Regelung dieses Verhält- nisses niht nur zwingende militärische, sondern auch zwin- gende finanzielle Fragen in Betracht. Jedes Budget, auch das der Militärverwaltung, müsse auf einem Kompromiß von Erwägungen militärish-tehnisher und finanziell: wirthschaft- licher Art bestehen. Warum sollte also aus finanziellen Grün- den niht auch in den folgenden Jahren eine ähnliche Be- urlaubung möglih sein, wie im Vorjahre. Soweit er die Sache übersehe, habe der Antrag der Budgetkommission nur eine formale Bedeutung. Die Militärverwaltung habe bereits vor Einbringung des Etats den Einstellungstermin der Rekruten für den nächsten Herbst so bemessen, daß eine sehs- wöchentliche Rekrutenvakanz herauskomme, die Anträge der Kommission bedeuteten nur die formale Richtigstellung des Etats nah Maßgabe dieser Dispositionen. Sollte es nun nicht möglich sein, diese 6 Wochen auf 8 zu verlängern und so den Antrag Franckenstein durhzuführen? Man habe früher do 8—10—13wöchentlihe Rekrutenvakanzen gehabt. Es seien e gewesen, in denen die Rekruten erst im Januar oder
ebruax eingestellt seien. Jn diesem Fahre lägen besondere
ründe dafür vor, denn es komme in demselben zum ersten Mal die Ausbildung der Ersahreservisten zur Ausführung, und zwar der doppelten Portion, wie die normale. Dieser stärkeren Belastung des Militäretats gegenüber müsse man sich doch bemühen, Erleichterungen eintreten zu lassen. Auch die Rücksicht auf das angeblich {hon für ge- wöhnlih unzureihende Personal von Offizieren und Unteroffizieren zur Ausbildung der Rekruten sollte den Antrag annehmbar erscheinen lassen. Dazu komme, daß man am 1. Oktober die Ersaßreservisten in die Kasernen legen wolle und zwar dauere die Uebung 10 Wochen; wenn nun {hon nach 6 Wochen die Rekruten kämen, so sei kein Play in den Kasernen mehr. Einer von beiden Theilen müsse ein- quartiert werden; eine Einquartierung auf mehrere Wochen und in dieser Ausbildungsperiode heine ihm doch für die Militärverwaltung und die bürgerlichen Verhältnisse, die dabei in Betracht kämen, sehr wenig wünschenswerth. Also ohne Präjudiz hätte die Militärverwaltung gerade in diesem Jahre alle Veranlassung, freiwillig nachzugeben und eine etwas rößere Rekrutenvakanz zuzulassen, und damit einen kleinen Antheil an einer Erleichternng der Finanzen zu nehmen.
Der Abg. Freiherr von Schorlemer-Alst meinte, es sei gerechtfertigt, bei den außerordentlichen Mehrausgaben im Militäretat jede mögliche Erleichterung eintreten zu lassen.
ier handele es sich um eïine praktische Erleichterung, und eine solche sei zulässig auch nah den Erklärungen des Ver- treters der Regierung. Derselbe habe gejagt, eine solche Er- mäßigung könne nicht stattfinden ohne empfindlihe Schädigung der militärishen Jnteressen. Wenn man die Einstellung der Rekruten im vorigen Jahre vorgenommen und dafür eine entsprechende Zahl von älteren Leuten beurlaubt habe, so habe dazu eine dringende Nothwendigkeit vorgelegen. Er könne doch niht annehmen, daß die Militärverwaltung sich von der zwingenden Nothwendigkeit habe be- herrschen lassen, auf Kosten der Ausbildung der Truppen ältere Leute zu beurlauben. Er wolle nun gar nicht über die Frage sprehen, ob die 2jährige Dienstzeit oder die dreijährige vorzuziehen sei; er wolle der Reichsregierung die dreijährige Dienstzeit gern lassen; das Einzige, was er wolle, sei, daß innerhalb dieses Rahmens diejenige Erleichte- rung eintrete, die möglih und zulässig sei und. auch früher {hon eingetreten sei. Seine Partei sei der Ansicht, daß bei einer angemessenen Zahl von Beurlaubungen und bei einer minderen Präsenzstärke eine solhe Minderausgabe eintreten könne. Der Reichskanzler habe im Abgeordnetenhause erklärt, daß an einen Krieg in absehbarer Zeit nicht zu denken sei; wenn das der Fall sei, so habe man eine solche eilige Aus- bildung des Heeres niht nöthig. Wenn das Haus den An- trag annehme, so shädige es nicht die Wehrkraft des Vater- landes, sondern ermöglihe nur eine erheblihe Erleihh: terung der Militärlast. _ |
Der Bundeskommissar entgegnete, der Abg. Richter er- kenne in gewissen Grenzen die Richtigkeit derjenigen AREE rungen an, die er in Bezug auf den geseßlihen Standpunlit aegenüber dem Antrag Frandckenstcin gemacht habe. Der Abg. Richter füge indessen zu, daß es immerhin ausgeschlossen sei,