1881 / 65 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Mar 1881 18:00:01 GMT) scan diff

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tats habe der Abg. Richter gesagt, niht der Mangel an Kapital sei «s, der die Unternehmungslust der Jndustrie niederdrüdcke, sondern der Mangel an Vertrauen in den dauern- den Bestand der Verhältnisse, welher durch die Ueberhand- nahme eines perfönlihen Regiments gesördert werde. Wenn man aber erwäge, daß die Konsolidation des Neiches, das erst seit 10 Jahren best. he, noch keineëwegs nach allen Rich- tungen hin abgeschlossen sei, daß eine tiefgehende soziale Be- wegung die Bevölkerung aufgeregt habe, daß der bedauerliche und von der linken Seite sür ihre Zwecke ausgenüßte kirchen- politische Streit, der das ganze politishe Leben durchdringe, noch immer nit abgeschlossen sei, und daß Deutschland ih troß aller dieser Hindernisse dennoch in einem ganz leidlichen Zustande befinde, so werde man zugeben müssen, daß dieses Iesultat ohne einen starken Willen und eine starke Hand, velhe alle Schwierigkeiten aus dem Wege räume, gar niGt möglih gewesen wäre. Große Ziele seien nur durch große Mittel zu erreihen. Wenn in der That innerhalb der Bevölkerung eine gewisse Beunruhigung vorhanden sei, so liege der Grund ledigli in den gewaltigen Aufwendungen, welche einzelne Nachbarstaaten für ihre Armeen machten. Diese Beunruhigung könne nur beseitigt werden durch das Gefühl der Sicherheit, daß das Deutsche Reih nah Außen hin keine Gefahr zu scheuen habe (der Präsident ermahnte den Redner, sih nicht von dem Gegenstand der Spezialdebatte allzuweit zu entfernen); der Abg. Freiherr von Mirbach fuhr fort: die Mittel, wclche e:forderlih seien, um dieses Ziel zu erreichen, könnten nur durh die neue Zollpolitifk gewährt werden, nachdem der Neichstag dem Tabaksmonopol gegenüber eine so ab- lehnende Stellung eingenommen habe. Man werfe dieser neuen Zollpolitik namentlih vor, daß sie durch die Ge- treidezólle eine Vertheuerung der nothwendigen Lebensbedürf- nisse herbeigesührt habe; wenn es sich aber um den Schuß der nationalen Arbeit handele, wolle man dann die zwei Drittel der Bevölkerung, die auf dem platten Lande wohnten, zu Gunsten des einen Drittels in den Städten unberücksichtigt lassen, indem man die Landwirthschaft leer ausgehen lasse? Die Frage, ob Scußzoll oder Freihandel, fei niht eine Frage der Theorie, fcndern des praktishen Bedürfnisses. (Der Präsident rief den Redner wiederholt zur Sache.) Der Atg. Bebel habe neulich erklärt, es sei eine gerehte Nache, daß die große Zahl deutscher Auswanderer, welhe du-ch die Jndustriel- len nah Amerika getrieben worden seien, jeßt dazu beitrügen, die Lage der deutshen Jndustrie und des Grundbesißes dauernd zu verschlehtern, indem sie die Kon- kurrenz Amerikas durch ihre Arbeitskräfte verstärkten. Der Abg. Bebel, wenn er auch seiner Folgerung nicht beistimme, habe darin doch volllommen Necht, daß Lmmerika, das früher ein Hauptabnehmer für die deutsche Jndustrie gewesen sei, heute zu einem Hauptkonkurrenten geworden jci und die deutschen Verhältnisse fortdauernd verschlehtere. Er (Nedner) ziehe hieraus den Schluß, daß das Deutsche Neich alle Veranlassung habe, sih gegen die Konkurrenz zu hüten, und die Politik, weldhe der Reichskanzler eingeschlagen habe, werde diese Aufgakte, wie er hoffe, lösen troy aller entgegen- gefchten Bestrebungen der internationalen Manchesterpautei. Er sci weit entfernt, dem Abg. Delbrück und seinen Genossen aus diescn Bestrebungen einen Vorwurf zu machen ; sie hätten gewiß optima fide gehandelt, aber dadurch sei die That- sache nicht beseitizt, daß sie das Land {wer geschädigt hätten. Der Abg. Oechelhäuser bemerkte, die Frage, ob in der lezten Zeit ein wirthschaftliher Aufshwung stattgefunden habe, müsse man ohne Zweifel bejahen. Wenn er auch zugebe, daß die Vesserung noch keine allgemeine sei, so befinde sih das Deutsche Reich doh auf dem Wege der Nückkehr zu normalen Verhältnissen. Leider könne er diesen Fortschritt nicht auch für die Verhältnisse der Arbeiter zugeben. Möge immerhin in einzelnen Branchen eine Aufbesserung der Löhne eingetreten sein, so sci dieselbe doch nur eine partielle und werde anderer- scits dur die Vertheuerung der nothwendigen Lebensbedürf- nisse, deren Ursache er keineswegs in den agrarischen Zöllen, sondern in der natürlihen Entwickelung der Verhältnisse finde, vollklommen ausgeglihen. Auch die Frage, ob die Besserung der Lage der Jnduslrie durch die veränderte ZoUpolitik herbeigeführt worden sei, müsse er bestimmt ver- neinen ; er glaube sogar, daß ein gewisser shädigender Einfluß derselben nicht zu verkennen sei. Daß die Zustände nah dem Rückshlag der Jahre 1871 bis 1874 allmählich wieder ihre normale Gestalt annehmen würden, sei ganz naturgemäß und dieser Prozeß vollziehe sih in Deutschland ganz ebenso, wie in allen andern Ländern. Wäre cs richtig, daß die Zoll- politif einen Einfluß auf diese Besserung hätte, o würde der Fortschritt in Deutshland schneller sein nüssen, als in Amerika, England und Frankreich ; dies sei jedoch keineswegs der Fall. Auch innere Merkmale sprächen für einen solhen Einfluß der deutschen Zollpolitik nitt. Er wolle durchaus nicht verlangen, daß die Besserung mit dem Augenblick der Wirksamkeit der neuen Zölle cintrete, aber es müßten doch irgendwo Zeichen cines jo!en Einflusses sihtkar werden. Er sche dieselben in keinem Zadustriezweige. Die günstigere Wendung in der Eisenbranche jei so unbestreitbar von Amerika ausgegangen, daß darüber gar kein Zweifel sein könne, ähnlich verhalte es sih mit der Textilindustrie und anderen gewerblihen Zweigen, an deren Aufschwung decr Zoll gar nicht betheiligt sei. Es sei sehr \{wer, ein solches Urtheil zu begründen ; es bedürfe dazu der {n:fassendsten Kenntniß aller Jndustrien und der größten Objektivität, um unbefangen die Wirkungen zu be- ovachten. Er sei früher selbst Schutßzöllner gewesen und nur allmählih aus inneren Gründen zu der entgegen- g“feßten Ansc;auung gelangt; er glaube, deshalb die Dinge ohne Voreingenommenheit zu sehen und sei jedenfalls ein Gegner aller Uebertreibungen. Wenn er hiernach einerseits zu dem Resultat komme, daß der bessernde Einfluß nit auf Rechnung der Zölle zu {reiben sei, so müsse er andererseits konstatircn, daß die Zollpolitik cin wesentliches Hinderniß für dei: Fortschritt der deutshen Exportindustrie geworden sei. Der Abg. von Kardo1 ff habe freilich mit der demselben eigenen Zu- ver?chilikeit das Gegentheil bchauptet, indem derselbe Ziffern vorgeführt habe, dur welche derselbe 21: beweisen gesucht habe, dai; der Zmport abgenommen habe, während der Export ge- tiegen sei. Abgesehen davon, daß mit Rücksicht auf die voll- ständige Neform der Ein- und Ausfuhrstatistik Deulschlands ein Vergleich mit srüheren Jahren überhaupt nicht zulässig er- scheine, und daß insbesondere in Folge der neuerdings erst eingeführten Deklarationspfliht für alle exportirten Güter

| ih gründende Ér

| der Jndustrie gar nichts, denn dieselbe Steigerung des | Exports und Abnahme des Joports habe s\sich auch in der | Delbrückschen Periode gezeigt, ja sogar in dem Jahre des tiefsten ! Darniederliegens der Jndustrie, 1878; es sei dies der normale Gang derEntwickelung der deutschen Jndustrie seit 1860, ja seit der Grün- dung des Zollvereins. Man könne sogar behaupten, und die statistishen Zahlen bewiesen dies, daß die erwähnte Erscheinung in Zeiten des Niedergangs der Jndustrie stärker hervortrete, als in Jahren günstiger Entwickelung. Mit solchen Zahlen werde also gar Nichts bewiesen. Leider beruhe der ganze Tarif, die ganze ZoLgeseßgebung Deutschlands auf einer der- artigen Logik und derartigen Motiven. Wenn man glaube, daß ein solhes Werk von Dauer sein werde, so bencide er die Shußzöllner niht um ihre Zuversicht; er hoffe, daß die immer weiter \{reitende Erkenntniß, daß der Zolltarif nur auf wissenschaftliher Grundlage aufgebaut werden könne, diese Geseßgebung bald fortshwemmen werde.

Hierauf ergriff der Direktor im Neichsshaßamt Burchard das Wort:

Meine Herren! Jch kann zunächst meine Befricdiguna darüber ausdrücken, daß der Herr Vorredner, namentlich im ersten Theil set- ner Rede, einen objeftiven Ton angeschlagen und den Versuch gemacht bat, ohne Voreirgenommenheit, wie er sich ausdrüEte, die Sache Zrilish zu untersuGen. Ih muß allerdings gestehen, taß der S&luß seiner Rete mit dem Eingang derselben nicht im Einklang stand. Ich acceptire aub sehr gern die Aeußerung des Herrn Vorredners, daß die ganzen zollpolitishen Maßregeln ziemlich cinflußlos sind auf das wirthschaftlice Gedcihen der Nation. Ich glaube auch, daß die Wirkungen des Zolltarifs in dieser Beziehung weit übershäßt wer- den und daß die Zölle, die wir haben, im wesentlichen werden zu ciner staz:ken Depression der Intuftrie beitragen können, noch daß sie umgekehrt die alleinige Ursawe sind zu einem erheblichen Auf- schwung. Wenn das aber der Fall ist und dec Herr Vor- redner hat das auch seinerseits hHingestelt dann muß i gestehen, daß die Schlußfolgerungen, die der Herr Vorredner selbst gezogen hat, nicht ganz zutreffend zu sein seinen. J glaube mit dem Herrn Vorredner, daß man richt auf Grund von Theorien einen Zolltarif konstruiren kann; wirth\{haftlihe Theorien müssen ja bestehen und wissenschaftlich ausgestaltet und beleucktet werden ; daß aber solche Theorien die Gruntlage bilden können, um |ür ein gewisses Land einen Zolltarif zu konstruiren, das it eire Annahme, die der Herr Vorredner auch nit tbeilt; denn sonst brauchte man nur allgemein einen Tarif für die ganze Welt zu konstruiren uvd je nacbdem Freihandel oder Schußzell zu Grunde legen. Meine Herren, es will keiner von Ihnen die vollen Konsequenzen des Frei- handels zieben, daß gar feine Zölle bestehen sollten, und Keiner die Konsequenz des Schußzolls, daß ganz cxorbitante Prohibitiv;ölle ein- geführt werden sollten. Darin sind wir ja alle einverstanden, Es handelt sich nur um tas Maß der Zölle, ob man cinzelne Gegenstände zcUfrei lassen soll, ob man den Zoll erhöhen oder verringern solle; das ist die Frage, und ih çlaube, daß man darüber sehr streiten kann, daß man die Frage aber nur lôfen kann in dem speziellen Fall, indem man in jedem Fall der Sache zu Leibe geht, die Betütfnisse prüft und danach die Entschei- dung trifft, cb höôßere oder niedere Zölle am Plate sind. Mit der Theorie ist auf diesem Gebiete wenig geleistet. Ih glaube, daß weder auf Seite der verbündeten Negierungen ia dieser Beziehung eine starre Theorie besteht, noch auf Seite vieler Mitglieder dieses hohen Hauses. -

Ich möchte auch der Behauptung entgegentreten, daß die Ver- tfeuerung der Lebenémiitel unbedingt in Folge des Zolies eingetreten sei. Meine Herren! E3 is die Untersuchung dieser Frage außer- orden!lich s{wierig und ih will hier gar niht meine Ansicht zur Geltung bringen, sondern ih Lerufe mich auf ein Zeugniß, welches aus devjenigen Reihen kommt, die namentli auf Scitea des Hrn. Vor- redners als unzweifelhaft einmandsfrei elten. Es ist das eine Aeußerung, die si findet in ciaem Berîchte des hiesigen vereideten Börsenmaklers füc den Getreidehandcl, der gewiß nicht für den Gelreidezoll eintritt. Gr läft sid über den Sarg des Handels in Getreide und Spiritus im Jahre 1880 aus und sagt, daß der Noggenpreis im Unfang tes Jahres 1889 kine Erhöhung, sondern im Gegentheil in Folge größerer Vor1äthe eine Erniedrigung aufgewiesen habe. Er erkennt also die Thatsache, die ja allgemein bekannt ist, vollkommen an, daß im Jahre 1880, als der Roggenzoll ins Lebeu trat, die- jenige Wirkung nicht eingetreten ist, die der Herr Vorredner als eive vothwendige bezeichncte, nämlich die Erhöhung, sondern daß ein Gegentheil, eine Hcrabminderung der Preise entstanden ist. Diese war aber nickt nur eine momentane, sondern wie der Bericht selbst fortfährt, eine dauernde; es heißt in dem Beritt, der reisrüdgang gelangte erst zu einem Halt und führte zu einem Pre taufsck&wunga, als die anfänglih guten Ernteaussiten durch die Maisrüste und

aadere Naturzreignisse si in das Gegentheil verkehrten. Der Be- richt erkennt also selbst an, daß nicht die Zollbelastung

im Stande gewesen ist, alsbald oder im Laufe der Zeit eine Aenderung ter Preise eintreten zu lassen, sondern daß es Natur- creignisse waren, welche auf die Erhöhung der Preise hinwirkten. Ich glaube, diescs Zeugniß, dessen Unparteilichkeit Keiner von Jbnen in Zweifel stellen wird, \spri%t ganz ausdrücktlih dafür, daß der Zoll nur einen sehr minimalen Einfluß auf die Gestaltung der Lebens- mittelpreise hat, daß vielmehr andere Verhältnisse, die Konjunkturen, preiébestimmend sind und daß in diescn Konjunkturen der Zoll nur cine sebr kleine Rolle spielt, cine Nolle, die sich überhaupt nicht nach der einen oder andern Richtung hin fixiren läßt.

, Meine Herren! Daß si in dem leyten Vierteljahr im Allge- meinen ein wirthshaftli%ec Aufs{wung vollzogen hat, geht nicht blos aus der Statistik hervor, über die ih freilih ein ganz anderes Urtheil hakte, als der Herc Vorredner, wie ih mir naher aus- eiranderzuseßzen erlauben werde sondern es geht das aub aus anderen beglaubigten Zeugnissen hervor. Jch bin in der Lage, aus dem vierten Quarialöberiht der Königlichen Cisenkahndirektionen in Elbe:feld und Cêln Mittheilungen machen zu köônnea, In denselben ist ein höchst bemerkenswerther Aufschwung der wichtigsten Industriezweige in den Nheinlanten und Westfalen konstatirt. Jn dem Bericht von Elberfeld wird gesagt, es sei eine crheblide Mebreinnahme in der Personen- und Güterfracht gegen das Jahr 1879 erzielt und es zeige sich ein gestcigerter Verkehr in Koblen, Koks, Scicferkies, Kics, Eisenerzen u. \. w., und aus Cöln wird berichtet, daß ein wesentlich gesteicerter Personenverkehr und auch ein wesentlich gesteigerter uderrübenverkehr stattgefundea habe, daß die Eisen- und Stablindustrie eine Besserung und Verkehrs- zunahme zu crkennen gegeben habe, und daß si jeßt auch bei der Textilindustrie sowohl in größeren Aufträgen als au in den Preisen eine Besserung gezeigt bâtte. Das sind unpartteiishe und auf Zahlen

lärungen. Wean der Herr Vorredner sagt: Zablen beweisen nichts, so fehlt überhaupt jedes Material zum Beweise; man muß, glaube i, versucben, auf wirthschastlihem Gebiet den ziffe. mäßigen Beweis für eine Behaupturg zu erbringen; wenn man das nit kann, st-ht überhaupt der Werth einer solchen Behauptung äußerst in Frage, und Jeder ist berechtigt, die Behaupzung voll- ftäadig zu verneinen; es fehlt dann cten an jedem Beweis. Jch alaube, die Feen bilden in der That ten Harpturtergrund für jede derartige Behauptung, und von dieser Auffassung aus betrachte ih anch die Statistik. Denn wern dle Etatistik richt den Werth täite, daß sie über den Umfang der Ein- und Ausfuhr auj}fklärt, welchen Werth hätte sie dann? Meiner Auffassung nach feinen. Das if der Werth der Statistik, daß sie uns einigermaßen darüber unterrichten sell, in wel&cm Um- fange die Ein- und Ausfuhr stattfindet; erst hieraus können die nigen PSlußsordernngen gezogen werden. er Herr Vorredner hat au besonders die Bemerkungen, die

die Autsuhr naturgemäß größer erscheine, als früher, be- wiejen die Zahlen des Abg. von Kardorff für den Aufschwung

der Herr Abgeordnete von Kardorff bei der ersten Lesung des Etats in

Was die Einfuhr betrifft, so wilï ib ven diesem Gegenstande absehen. Jb muß anerkennen, daz im Jahre 1879 einiaermaßen abnorme Verkbältnisse obwalteten und daß vielleicht die Weviger- einfuhr des Jahres 1880 im Vergleich zu der Einfuhr con 1879 nit völlig unzweifelhaft zu den Schlußfolgerungen ber.htigt, die der Hr. Abg. von Kardorff gezogen hat. Jedenfalls sckeint es mir hier nidt am Plate zu sein, auf die Ausfübrunaen d 6 Herrn Vor- redners in dieser Beziehung näher einzugehen. W123 aver die Aus- fuhr anbetrifft, so meine ih do, daß in dieser Beziehung die Kritik des Herrn Vorredners nicht die zutreffende gewes:n ist. J muß ja zugeben, daß die Statistik des Jakres 1880 auf einer ctwas anderen Grundlage beruht wie die frühere Statistik und zwar deswegen, weil eine Vert flichtung zur Ausfuhrdeklaration erst seit dem 1, Januar 1880 einzetreten is. Das kann also in ge- wissem Maße die Zahlen der Ausfuhr beeinflußt haben. In welchen Maße, wissen wir nicht, daß es aber in fo erheblichem Maße fein sollte, daß nun die Ziffern der Statistik vollständig in ihr Gegen- theil verkehrt würden, das scheint mir doch im höchsten Maße zu viel behauptet. Jedenfalls ist irgend cia annähernd glaubhafter Beweis dafür nit erbr2ckt. Gs ist au geltend gemalt worden, daß früher in der Statistik eine Generalposition existirte, in welche alle unvell- ständig deklarirten Waaren aufgenommen wurden, und daß diese Posi- tion viele Auéëfuhren enthielt, die im Jahre 1889 den einzelnen Artikeln zuzuschreiben gewesen wären. Das ist auch wahr, kann abec doch nur bezügli solcher Artikel gelten, die sih niht ohne Weiteres von selbst teilariren. Also namenilich auf dem Gebiete derx Tertilien will id das zugeben, aber bei gewissen Artikeln kann dieser Einwand entweder gar niht odex nur in sehr geringem U nfange Platz greifen. Jh werde mir erlauben, meine Bemerkungen auf solche Ärtikel zu be- schränken, die meines Erachtens im Jahre 1879 gar nit unvoll- ständig dcklarirt gewesen sein können, die vielmehr {on durch ihre äußere Grscheinung und durch die Einfachheit ihrer Bezeichnunz sch selber anzeigen und deshalb zweifellos vollständig oder nahezu vollständig im Jahre 1879 in der tetrefenden Position zur Anschreibung in der Ausfußrstatisti? gelangt sein werden. Ich erwähne zunächst die Fortepiancs und musikalischen Justrumente. Vei diesen trifft dies, wie ic wohl nit weiter zu bezründen brauche, vollständig zu. Dee Zoll für diese Gegenstände wurde im Jahre 1879 von 12 M auf 30 6 erhöht. Es wurde damals bier die lebhafte Befücchtung ausgesprocen, run würde die Autfuhr erheblih abnehmen: ih darf in dieser Beziehung Bezug nehmen auf die stenographi| {en Berichte. Daß das Gegentheil eingetreten ist, kann aber nit geleuzn2t werden, Wir haben im Jahre 1880 eine Auefahr au Fortcpianos gehabt von 36 000 Doppelcentnern gegen 23 000 Doppelcentner inm Bzrjahze. Das macht eine Steigerung der Auétfuhr um 13 000 Doppelcentn r, die einem Werthe entspricht von 57,19 Millionen. Noch größer war die Steigerung bei den anderen musikalischen Jastrumenteaz hier entspricht die Steigerung der Ausfuhr eicem Werthe von 72/10 Mil- lionen, so daß die Gesammilsteigerung bei dieser Position der Auz- fuhr fi auf 13 Millionen Mak an Werth beläaft. Bei Dampf- kesse ln ich netme immer solce Arlikel, tie früher zollxflitig waren und cs geblieten sind, tenn ih werde mic eclaub:en aut- cinanderzuscßen, daß die Schlußfoigerungen d:8 Herrn Vorrcdaers bezüglich des Eisens unbegründit find bei Damvffkesseln b.trägt die Steigerung der Autfuhr ungefähr 100 0/). Bei Leder tuifft das- selbe zu : die Aut fuhr an Brüsseler uud tänischem Handscuhleder hat fi gesteigert um einen Betrag, der einem Wertbe von 108/10 Millionen entspricht. Das ift doch sehr bcdeutcnd. Ferner bat sib die Aus- fuhr in groben und feinen Shuhmacherwaaren nah der Statistik sehr erbeblih gesteigert. J gehe dann über auf einen Artikel, dr auch meines Crachtens durch den Cinwand, daß die Statistik unvoll- ständig gewesen, wenig berührt werden kann, das sind die INaterial- waaren. Meine Herren, die Bierausfuhr man darf tocch anneh- men, daß diese früher vollständig angeschrieben worden ift, i glaube, die gegentheilice Annahme kann kaum beiteken bat \sih ge- steigert von 2C0000 Doppelcentnern auf eine Milicn Doppel- centner. Es entspriht das cinec Steigerung im Werthe von 7 200 0C0 M; die Weinausfuhr in Flaschen hat i ferner schr er- heblich gesteigert, ebenso die Salzausfuhr es ist das ein Artikel, der nach meinec Anschauung auch von schr erbectlicher Bedeutung ift um 176000 Doppelctr.; au die Stcinkohlen- und Koksausfuhr hat si gesteigert. Endlich hat die Ausfuhr von S{bweinen sehr erbeblih zugenommen; es wurden im Jahre 1879 ausgeführt 359 000 Stück, 1880 439 000 Stü ; cs rep. äsentirt das cine Werth- steigerung von 5 280 000 M Ich folgere hieraus, meine Herren, daß in der That die Ausfuhr im Jahre 1880 si beträchtlich gestcizert hat, und toenn das zugege- ben werden muß, so ist meines Ecahtens der SHhluß nicht unke- rechtigt, daß das zurüczuführen ist auf einen Aufshæung dec In- dustrie. Auch andere Grüade lassen si dafür geltend macken, aber der näcbstliegende besteht unzweifelhaft darin, daß die Produktion si in erbheblihem Maße gesteigert hat. Meine Herren! Jch möchte nun noch eingchen auf die Bewer- kungen, die der Heir Vorredper namenilich aus ter Positicn Eisen genommen hat; er hat siŸ sehr cingehend mit dieser Position be- 1cäftigt und die statistishen Daten aus dem Jahre 1880 und 1879 und aus den zurückliegenden Jahren in Vergleich gestellt, Jh möchte do annehmen, daß es dem Herrn Vorredner b¿kannt sein muß, daß für diejenigen Artikel, die nah dem früheren Zolltarif frei waren und die jeßt zollpflihtig geworden sind, jede Vergleichbarkeit der Ein- und Ausfuhrczahlen ausges{lossen ift; aus Zahlen, die sich auf die Zeit vor Einführung des Zolltarifs beziehen, läßt ih teéhalb ein Bild der inländishcn Produktion und der Ausfuhr bei derartigen Positionen rit entnehmen. Ich möchte debhalb glauben, daß der Herr Vorredner die Schluße- folgerung, die er an diese Position [nüpfte, de als schr gewichtige faum anschen kann. Meine Herren! Jch will mich auf diese Bemerkung beschränken, cs gehört ja das Garze in die Generaldiekussion des Zolltarifs, nicht bierher. Ich glaube aber, daß aus den vorliegenden ziffermäßigen Anzeichen und aus denjenigen Anzeiten, die wirkli beglaubigt sind, kein Grund zu entnehmen sein wird zu der Annahme, der Zolltarif habe sich niht bewährt. Er gilt ja in weitem Umfange erst seit einem Jahre und ih glaube, es wird Jeder der Herr Vorredner bat das auch an anderer Stelle selbst gesagt zugeben, daß in einem Jahre die Folgen einer solchen für alle wirthschaftlichen Verhältnisse wichtigen Neuerung si roch nicht hinreichend klar kundgeben können. Ich glaube diskalb, daß es jedenfalls noch nicht an der Zeit sein kann, ein o abspre&%endes Urtheil über die Zollpolitik zu fällen, wie der Herr Vorredner leider am S{hluß seiner Rede gethan hat. Der Abg. von Kardorff erklärte, nahdem der Abg. Oechelhäuser nachgewiesen habe, daß eine Aenderung der Zoll- politik irgend welchen Einfluß auf die Jndustrie niht haben könne, sche er niht ein, warum derselbe dann gegen diese Aenderung der Zollpolitik eifere. Einen Erfolg habe sie doch sicher gehabt, nämli, daß sie dem Neiche eine gewisse Ein- nahme schaffe. Wenn der Abg. Occhelhäuser dann die von ihm ebrachten Zahlen ansehe, so müsse er sagen: wie habe er eine Zahlen gebraht? Er (Redner) habe gesagt, die Zahlen vor der Vesleuerung könnten mit denen nach Erlaß des Zoll- tarifs in keiner Weise verglichen werden, sie gäben ein ganz anderes Bild. Er halte den Einwand gegen diese Zahlen für ganz gerechtfertigt, den der Abg. Richter in Görliß, glaube er, emacht habe, wo derselbe die Zeit der Reichétagssession zu Walhlreden benußt habe, daß nämlich die Zeit zu kurz sei, um hon Zahlen über die Wirkung der Zölle abgeben zu önnen. Er (Redner) müsse aber bemerken, daß der Export nicht vermindert, sondern eher gestiegen sei. Der Abg. Oechelhäuser gebe zu, daß nicht blos Arbeit- geber, sondern wegen der vermehrten Arbeitsgelegenheit auch bei gleihbleibendem Arbeitslohn der Arbeiter in größeren

dieser Beziehung ausgesprochen hat, in ten Kreis sciner Kritik gezogen.

Etablissements jeyt besser gestellt sei, daß aber die übrige

beiterbevölkerung Nachtheile erlitten habe. Aber wer seien Ta die Arbeiter, die nicht in Etablissements arbeiteten? Nun, das seien die Landarbeiter, und dieje hätten niht, wie der Abg. Oechelhäuser glaube, unter der Vertheuerung der Lebens- bedürfnisse gelitten. Außerdem aber sei cin Fortschritt auf allen Gebieten der wirthschaftlihen Thätigkeit zu merken, und wenn man anerkennen wolle, was man anerkennen müsse, daß nämlich die wirthschaftlihe Lage des Deutschen Reiches sich nicht vershlechtert habe, so würde man die Einwände gegen die Einführung des Zolltarifs für zu nichte gemacht halten müssen. Er wolle ja anerkennen: die Zeit sei zu kurz, als daß man sih überhaupt ein klares Bild über die Wirkung des Zoll- tarifs machen könne, und er würde gar nichts dagegen haben, wenn die Herren die Diskussion darüber auf spätere zeiten vertagen wollten. (Abg. Richter: Das glaube er!) Damit schienen die Herren nicht einverstanden zu sein, nun, er wisse ja, der Abg. Richter habe nochch ein Paradepferd in Bereitschaft: die Auswanderung, und da möchte er demselben ein paar Fragen vorlegen : wenn die Leute wegen der Schuyzölle auswanderten, warum thäten sie es gerade nah dem schußzöllnerishesten Lande der Welt, nah Amerika? Wie wolle der Abg. Richter es erklären, daß die Auswanderung aus dem Lande, das die Segnungen des Freihandels im vollsten Maße genieße, aus England, in noch höherem Grade zunähme, als in Deutschland? (Abg. Richter: Jrland!) Er wolle sich mit Bezug auf die Auswan- derung noch folgende Bemerkung erlauben: nah seiner Meinung beruhe sie zum großen Theil auf der shweren Klust, die zwischen der ganz besißlosen Klasse der Arbeiter und der nächsten Klasse der Besißenden liege. Aus den Provinzen, wo diese Kluft micht so sehr groß sei, sinde auch eine geringere Auswanderung statt. Also darin liege ein Motiv zur Aus- wanderung, niht in den Schußzöllen, die der Abg. Richter dasür verantwortlich mae. Er- könne si dahin cesumiren : er möchte glauben, daß die Zeit heut noch nicht gekommen sei, um positiv sagen zu können, die Zollpolitik habe schlechte Folgen gehabt, und deshalb könne ec wiederholen: er have nihts dagegen, wenn das Haus die Diékussion darüber fuê- pendiren wolle. 0 dasselbe es nicht, so sei er immer be- eit, darauf einzugehen. : : Der Aba, Ge ibt bemerkte, statistische Wahrheiten erhalte man nur, wenn man lange Reihen von Erfcheinungen, die Zahlen vieler Jahre vergleiche, wie es der Abg. Occhel- häuser gethan habe; stelle man aber Vergleiche an zwiscen den Jahren 1879 und 1880, dann seien diese Thatsachen mit der größten Vorsicht aufzunehmen. Nun „hätten der Negie- rungsvertreter und der Abg. von Kardorff Zahlen der Aus- fuhr angesührt, um zu beweisen, daß der Handel und die Zn- dustrie Deutschlands im Aufschwung sei. Seltsam, vor zwei Jahren sei von der Aussuhr ganz anders gesprochen; da sei sie das Gleichgültigste und Verächtlichste gewe)en, was man anführen könne. Er halte es nun für falsch, die Zollpolitik im Großen und Ganzen für die Erscheinungen dieses Jahres verantwortlich zu machen; so {nell drehten sih die Dinge nicht; das Unrecht dieser Zollpolitik werde si vielleicht erst nah Jahrzehnten zeigen, und dann werde es bei der Kompli- zirtheit der Materie \{hwer sein, Ursache und Wirkungen zu beurtheilen. Er habe die Ueberzeugung, daß Deutschland troß der Zollpolitik in diesem Jahre vorwärts gekommen sei, aber daß man Unrecht thäte, die Zollpolitik für alle Mißstände, die man habe, E zu u die segensreichen Folgen derselben seien schwer nachzuweijen. u O un enl man, es wäre wenigstens der Unternehmungs- geist, Muth und Vertrauen gewachsen ; er glaube, es sei nit gut, Jndusiriezweigen Muth und Vertrauen einzublasen, wenn die Verhältnisse es nicht rehtfertigten. Hätten nicht warnende Stimmen im Frühjahr 1880, als Amerika ganz allein den Aufschwung der deutschen Jndustrie veranlaßt habe, einge- griffen, dann hätte man vielleicht die Entfesselung einzelner Industriezweige, speziell der Metallindustrie, gesehen, die neue Krisen hervorgerufen hätte. Nun solle die Zollpolitik Deutsch- land Nebenvortheile von anderen Staaten verschaffen ; der Reichskanzler habe ja die Bezeihnung „Kampfzoll erfunden. Wo seien die Resultate des Kampfzolles? Was habe man erreicht Gegensäße von allen Seiten. Wenn gesagt werde, die neuen Zölle vertheuertea niht das Leben, so gehe das über seine ein: fachen arithmetishen Begriffe hinaus. Der Getreidezoll habe 141/, Millionen ergeben, Mehl 1 Million, Eier !/z Million, Shmalz 5/2 Millionen, Vich 41/, Millionen, Petroleum 16 Millionen, Eisen 4!/, Millionen, Maschinen 1 Million, Holz 31/2 Mil- lionen, zusammen 51 Millionen Mark. Diese 51 Millionen für nothwendige, unentbehrliche Lebensbedürfnisse mußten 1880 mehr bezahlt werden als in früheren Jahren. Die Möglich- keit, das Leben zu erhalten und zu genießen, sei doch offenbar um diese 51 Millionen verringert worden. Dabei lasse er die indirekte Vertheuerung dcr Gegenstände noch außer Acht, die im Jnlande produzire, aber doch theilweise um den Zoll ge- steigert würden. Träte die Steigerung niht hervor, so wäre der beabsichtigte Schuß der nationalen Arbeit und des Land- baues ja völlig vergeblih. Was nun den Stand des Handels und der Jndustrie betreffe, so sei hon erwähnt, daß die im reußishen Handelsarchiv publizirten Berichte troß aller guten Absichten an vielen Stellen zeigten, daß die Jndustrie stark gelitten habe, und daß die Ausfuhr dur die Vertheuerung der Halbfabrikate ershwert worden sei. Es liege dem Hause cine interessante Petition aus einem der Zentren der Textilindustrie, von denen behauptet sei, daß sie sich eines Ausshwunges erfreue, aus Meerane vor. Zn derselben werde von Neuem betont, wie die ganze dortige Jn- dustrie dur die erhöhten Grenzzölle in die grausamste Ver- legenheit gekommen sei. Welche andere heugnisse solle man noch beibringen, als aus diesen Kreisen? Er wolle eine Jndustrie speziell hervorheben; das sei die Mühlenindustrie, ein be- klagenswerthes Opfer der neuen Zollpolitik, darüber lägen niht abzuweisende Zeugnisse vor. Es seien auch von der preußischen Regierung hon Recherchen angestellt, wie diesem Uebelstande abgeholfen werden könne. Die Be erder seien nämli der Ansicht, daß der Getreidezoll au im Jnlande das Getreide vertheuere; sie sagten, sie könnten mit dem Auslande nicht konkurriren. (Redner verlas mehrere Stellen aus Zeit- {riften und Zeitungen, aus denen hervorgehe, daß mehrere Mühlenetablissements den Betrieb eingestellt hätten, namentlich hätten die für den Export arbeitenden Mühlen ihren Absaÿ im Auslande verloren und ihren Vetrieb ganz einge- stellt und suchten Absay im Julande, wodur die kieinen Mühlen gescädigt würden; in einem Schrei- ben werde fkonstatirt, daß daß deutshe Mehl in den

holländischen Ostprovinzen fast ganz verschwunden sei.) Gerade

Posen werdé ihm geschrieben: „Früher hätteri die Landwirthe ihr Getreide in der Nähe an die Müller verkaufen können, jeßt könnten die Müller nur einen kleinen Theil des Getrei- des übernehmen, daher müsse der Zwischenhändler die Verx- mittelung übernehmen, während man doch bei der Zolltarif- berathung immer davon gesprochen habe, daß man den Pro- duzenten und den Konsumenten in direkte Verbindung seßen müsse.“ Man sehe, wie {wer es sei, vom grünen Tische aus in den lebendigen Verkehr mit seinen vielen Kom- binationen einzugreifen. Wenn man zwischen zwei Grundsäßen zu wählen habe, dann solle man allerdings dem zuneigen, daß der Staat sich nur da einzumischen habe, wo derselbe die feste Ueber- zeugung habe, daß es zum Heile wirken könne. Er wisse nit, ob der Wunsch des Abg. Oechelhäuser und seine Bor- aussiht si bald erfüllen werde, daß eine Umkehr in der Zoll- geseßgebung demnächst zu erwarten fci, aber das wolle er als Anspielung auf das, was der Abg. Dechelhäufer von ihm gesagt habe, hinzufügen: er (Redner) gehöre nicht zu denen, die glaubten, daß man mit Abschaffung der Getreidezölle allein vorwärts gehen solle. Er glaube, daß die Getreidezölle damals als integrirender Bestandtheil der gesammten sogenannten Reform eingesührt worden seien und daß es vollständig die Sawe fals auélegen und nach ciner falsczen Seite hinlenken würde, wenn man jeßt auf einmal den Jndustriellen das Vergnügen machen wollte, die Getreidezölle, die das Haus für _das momentane Bedürfniß eingeführt habe, zu beseitigen. Dem Landwirt) noch eine ungünstigere Stellung zu geben als vor- her der Fall gewesen sei, und der Fndustriec die Zölle zu lassen, sei seine Anschauung nicht. 5

Demnächst nahm der Direktor im Neichsschaßamte Bur- hard das Wort: E i: Meine Herren! Der Herr Vorredner hat im ersten Theile seiner Rede Fragen allgemeinster Natur berührt. Ich glaube nicht, daß es im Rahmen einer zweiten Lesung der Gtatsberathung möglich fein wird, diese Fragen, tie sih doch in der That nicht in einer halben Stunde, auch nicht in einer S¿unde abmawen lassen, eingehend von dieser Stelle aus zu tiskutiren. Uber diese Fragen hat ja im Jahre 1879 eine sehr eingehende Diekussion in diesem Hause itatt- gefunden, zu ciner Einigung der U-cberzeugungaen hat sie gewiß nicht geführt; aber, meine Herren, es würde auch nichis helfen, wern von dieser Stelle das Cine cd2r Andere des damals Gesagten von Neucm vorgetragen würde. Ich will mich also enthalten, auf diesen Gegenstand der Rede des Herrn Vorredners näher einzugehen; ich möchte nur meine Verwunderung darüber aussprechen, daß der Herr Vorredner diesclbe Behauptung, die au bei der erstez Berathung hier geltend gemaht wurde, si angecignet lat, nämlich taß er den Umstand, daß die Fleischpreise glei geblieben sind, be- ztebungeweise gar herabgegangen sind, iu gon eigenthümlicher Weise erilärt. Die Thatsache widerspricht ja ter S wlußfolgerung, die sonst in Bezug auf die Zölle geltend gemacht wird, denn die Herren sagen ja immer, die Zölle veithcuern die Lebensmittel, folglich können die Preise nicht herabgehen. Nun gehcn sie do herab und es wird nach einer Auislärung gesubt, indem behauptet wird, weil der Koasum siark abgenommen hätte, dethalb gingen die Preise herunter. Ja, meine Herren, worin diese Erklêrung ihre RewWtfertigung findet, weiß ih nicht. Ich glaukte, râhberliegend und natürlicher ist die Er- flärung, daß die Produktion sich gesteigz:t hat, daß mehr Fleisch produzirt mird; dics ist eine naturgemöße Folge der Schuyzöle, teun die Vichölle sind in erster Linie Swußzölle, und „diese Wir- fung, wenn sie eingetreten ift, ist nur zu beglüdlwüuschen, Wena die Produkiion des Fleisches sib gesteigert hat, so ist die naturgemäße Wirkung, dak, wenn der Konsum si gleich bleibt, oder sich nit wesentlich stcigert, die Preise herabgehen. Diese Erklärung liegt sehr nahe; ob sie absolut richtig ist, kann ic hier nicht untersucen, es könntea ja noch andere Momente mit hincin spielen. Daß aber gerade die Erflärung, die der Herr Vorredner g:ltend macht und die auch bei der ersten Etatslesung vorgebracht worden ift, die richtige sein solite, dasür fehlt es meines Erachrens nickt nur an jedem Be- weise, sondern auch an j-ter Wahrscheinlickeit. Meine Herren, ih will dieses allgemeine Gebiet verlassen urd mich zu kem speziellen Punkte wenden, den der Herr Vorredner im zweiten Theile seiner Rede berührt hat, nämli der Mühlenindustrie, Die verbündeten Regierungen haben sich fortdauernd mit der Lage dieser Industrie sehr einçcchend beschäftigt, und es ist das Streben dabin’ gerichtet gcwescn, das Negulatio, die Erleichterung der Mihlaut fuhr betre fs send, in möglichst liberaler Weise zu gestalten. .

Der Herr Votredner lat nun Eingaben vorçelesen, in denen be- hauptet wird, cs wäie dies nicht gelungen. Meine Herren, der Re- gicrung sird auch sehr viele Eingaben zugegangen, die legtcn Ein- gaben verlassen aber diese Klagen so gut wie vollständig: die Landet- regierungen sind rah dem Regulativ befugt, den Mühlen tie weit- gehendst.n Erleichterungen zu Theil werden zu lassen, an die Lan- detregierungen ist abir anscheinend nur selten der Wui-sch herange- treten, ron diesen Ecleicterungen Gebrauch zu machen, weil in der That das Interisse der Müblen an dieser Frage so longe fein schr erhebliches ist, als die Jdentitat festgehalten wird. Cs „wird näm li, wie sich berausgestellt kat, das aueländisce und inländishe Ge- treide in der Regel fo gemischt, daß eiwa 1/5 aus!ändisches Getreide und 4/5 inländisches Getreide verwendet werden. Wenn dann solches Mebl aus gemischtem Getreide ausgesührt ist, so wird natürli ie Ausfuhr- vergütung ziemli gering sein, da nur 1/5 des Setreides die Aus- fubrvergütung genießen kann. Dethalb ist das Juteresse der Müller an tieser aanzen Sache doch kein so sehr großes. Ikbre frühere Klage und ibr Wansch{ war havptsä@lih dahin gerichtet, daß man die Identität aufgebe. Nachdem das hohe Haus im vorigen Jahre in dieser Beziehunz eine Resolution angenommen hatte, wurde der Ge- genstand von Neuem eingehend erwozen. Die verbündeten Negie- rungen haben aber nit geglaubt, der Resolution Folge geben zu können, weil sie erwogen haben, zu welcher Kons-quenz dieselbe füh ren würde, zu der Konscquenz, daß andere Industriezweige mit dem- selben Rechte dezselben Anspru erheben würden und daß in weilen Grenzen der Zolitarif unwirksam werden würde, daß z. B. an Garn- ¿¿llen dann wenig oder nichts mchr zu erheben sein würde. Die verbündeten Regierungen haben biernah gemei t, diesem Wunsche dec Müller richt entsprehen zu können. 2 er Wunsch R au in leßterer Zeit weniger betont worden, man kat na audern Richkun- gen hin ‘die Zustände als unbefriedigende bezeichnet und der Herr Vorredner hat diese Seite der Frage au bereits berührt. Dan hat geltend gemacht, daß der Meblzoll im Verhältniß zum Getreide- zoll zu riedrig sei. Meine Herren, diese Frage verdient allerdings eingeheude Erwägung. Als der Tarif vorgelegt wurde, war ein Rozgenzell von } M eingestellt*und ein Metlzoll von 2 44 Im Laufe der Berathung wurde dieser Roggenzoll, wie bekannt, auf 1 M S höht, der vorgesclagene Mehlzoll aber blieb unverändert. Ez : oljo tas R Ee welches dem Tarifvorschlage zu Grunde geleg ist, unzweifelhaft sehr wesentli vershoben worden. Von den Müllern wird nun behauptet, daß der Zollshuß für Mehl zur Zeit ganz un- zureihend sei, daß sie dur die Mehleinfuhr sehr stark bedrückt würden. Die Stalistik giebt in diesem Punkte keine auêrceichenden Ankaltépunkte, weil cs sih, w!e i vorhin schon bemerkte, um einen Ait kel handelt, dec früher zollfrei war und jeßt zollpflihtig gewor- den ist. Ja derartigen Fällen giebt jz die Statistik keinen vollkommenen Aussbluß, Allcia man muß doch vecrsucben , auf Grund der Statistik zu irgend eivem Bild zu gelangen. Ih (laube, der nächste Weg würde sein, daß man frägt, wie stellt sih die Bia layz der Einfuhr und Ausfuhr zwishen dem Jahre 1880 nah Etn- {ührung des Zolles und den früheren Jahren. Dieser Wcg wird in der Regel einaeshlagen, wena ähnliche Verhältnisse vorliegen. Wenn man diesen Weg geht, so ergiebi sich für, oas Joe 1878 eine Bilanz

di tühlenindustrie habe einen sehr Moe GaleT at ben E des Geireites gehabt. Aus

s{chledten Einfluß auf den Ab

Gurssten der Einfuhr daß mehr einge®Zort worden ist als aus- A Ton 26 200 Deppelcenigern, füx 1879 eine Bilanz zu Gun 4

; sten der Ausfubr d. h, daß inyhr auêzeführt warde äls eingeführt

von 56000 Dcppelcentuern und für das Jahr 1880 als Differenz der Ein- und Auéfuhr cire Bilanz zu Gunsien der Auéfuhc mir 570 690 Dopp-!ceatnern. Meine Herre, ib geb? gern zu, ©as berebtigî uod nit zu dem Sthlussz, daß unser Möhlengewerbe sih in glänzenden Verhältnissen befinde, dem wider{preben jx diz übrigen Nachrichten. E3 wird allerdings in eingebente Ecwägung gezogen werden müssen, ob in der Tat der Zol für Mehl zur Zeit als eia zureihender anaefehen werden fann. Sollten die verbündetzn Regie- rungen zu der Ueberzeugung des Gegentheils gelanzen, so werden fie ernstlib zu erwägen haben, wie dieser Uebelst2nd auf gzeignetz Weise abzustellen sei.

Der Abg. Dr. Löwe (Bochum) erklärte, der Abg. Dechels häuser habe behauptet, daß in manchen Jndustriezweigen, be- sonders in der Eisenindustrie, in Folge des Zolltarifs nur die Arbeitgeber gewonnen hätten, nicht die Arbeiter. n den Gegenden, auf die sich seine (des Nedners) Fnformationen erstreckten, în den großen Jndustriebezirken Westfalens und der Rheinlande, habe aber au.ch der Arbeiter gewonnen: in allen Werkstätten sei der Stülohn um 5, 10, ja 15 Proz. gestiegen. Außerdem seien die Leute jeßt auch vollständig beschäftigt, während sie früher vielleiht nur an2—4 Tagen Arbeit gehabt hätten. Aver noch mehr: es sei jeßt die doppelte Zahl von Leuten, in den meisten Gegenden wenigstens 1/z Menschen mehr beschästigt und mit höherem Lohne als früher. Möge die Ursache sein, welche sie wolle: ein glückliherer Zustand gegen den früheren fei das jedenfalls. Uebrigens habe sich aucch in der Wissenschaft ein Umschwung geltend gemacht: die Zahl der freihändlerischen Professoren an den Uni- versitäten sei in der Minderheit. Was die Ernährung betreffe, so sei der Weg vom Korn bis zum Brod ein ziemlih weiter, und es sei zu untersuhen, ob das Brod nicht mit der allge- meinen Theuerung im Preise mitgegangen sei. Jn diejer Bezichung habe sih nun ergeben, daß der Preis des Brodes nicht um so viel gestiegen fei, als die Differenz des früheren und jezigen Getreidepreises betrage. Vor 2 Fahren habe das Pfund Brod hier und in Chemniy 93/,—-10 ck gekostet; heute betrage der Preis 131/,—14 „3. Dazu lomnme die andere merkwürdige Erscheinung, daß das Weizenbrod sih im Preise auf derselben Höhe erhalten habe. Ein großer Uebelstand in dieser Beziehung sei es, daß das Brod blos nah dem Augenmaße verkauft werde, statt nah dem Gewicht. Die amerikanische Fleisheinfuhr, auf welche hier des Desteren hin- gewiesen sei, habe ihr Bedenklihes. Frankrei, Jtalien, Holland hätten sie verboten; und was das amerikanische Schmalz betreffe, fo hätten die Herren, die dasselbe rühmten, es kaum jemals gesehen, da die Art der Zubereitung es mit si bringe, daß dasselbe sehr häufig einen fauligen Geruch habe. Die Zollreform habe do wesentlich die Absicht gehabt, dem Reiche größere Einnahmen zu verschaffen. Der RNeichs- tag hate die Pflicht, das junge Neich zu stärken und zu kräf- tigen: dieser Aufgabe müßten alle anderen Interessen nach- stehen. Vielleicht sei Manches, was man in dieser Richtung

! gethan habe, verbesserungsfähig ; aber heute schon ein defini-

tives Urtheil über die Zollreform abzugeben, wäre vorshnell, zumal doch bedad;t werden müsse, daß dieselbe den Erlaß eines Theils der direkten Steuern ermöglicht habe.

Der Abg. Dr. Neichensperger (Crefeld) freute si, daß die Auseinandersezungen der Abgg. Buhl und Haerle über die Einfuhr fremder Trauben und der Weinverfälshung keinen Widerspruch im Hause gesunden hätten. Er glaube, daß die vom Abg. Buhl angeregte Frage gewissermaßen eine Lebensfrage für die Bewohner des Rheins, der Mosel und der Ahr sei. Die bisher gegen die Kunstweinfabrikation ergrifse- nen Maßregeln reichten nach seiner Ansicht niht aus. Er wolle nun nicht sagen, daß die Geseßgebung allein im Stande wäre, dem Uebel zu steuern. Man könne darin auch zu weit gehen. Was er aber verlange, sei, daß auch andere Faktoren, namentlih die Staatsanwaltschaft und die Polizei zu Hülfe komme. Weinfälschungen müßten der Polizei oder Staatsanwaltschaft auf Grund des Nahrungsmittelgeseßes zur Anzeige gebraht werden. Wer gefälschten. von gefälschtem Wein nicht unterscheiden könne, möge hi) an eine zuverlässige Quelle wenden, um sich den richtigen Geschmack üver Wein zu verschaffen. Was den Weintraubenimport betreffe, so kon- statire er, daß na seiner persönlichen Kenntniß die Rhein- provinz mit ausländischen Trauben nicht überschwemmt werde.

Der Abg. Sonnemann erklärte, der Abg. Reichensperger habe soeben fonstatirt, daß in der Rheingegend wenig Trauben zur Weinbercitung eiagesührt würden. Das liege daran, daß die Trauben ausschlieklich zur Champagnerfabrikation ver- wandt würden. Die Leute würden die grokcn Transport- und Verpackungskosten nicht übernehmen, um kleine Weine zu machen. Durch eine Belegung der Trauven mit einem Weinzoll führe man einfa den Zustand herbci, daß man den Schußzoll, den wan vor zwei Jahren für die Weine, namentli für die Chzmpagnerfabritation, cingeführt habe, wieder aufhebe. Denn dieselben Trauben, die die deutsche Champagnerfabrikation gebraue, brauche auch die fran- zöjishe, weil wegen der großen Weinfabrikation in Frankreih in Folge der Phylloxera dieje Weine niht zu haben seien und „die S italienishen Weine sich vorzugsweise dazu eigneten. Thatsächlich würden au in Frankreich solhe Weine für Champagnerfabrikation in großen Massen eingeführt aus Jtalien, den ionischen Inseln und im leßten Jahre sogar aus dem Kaukasus. Nun würden in Frankreich diese Weine mit einem rein nomineüen Zoll „von 30 Centimes auf den Hektoliter eingeführt und den deutschen Fabrikanten, dem man habe vor zwei Jahren im Znteresse der nationalen Jundustrie einen Schuß bereiten wollen, den molle man jeßt zwingen, diese Trauben mit 24 M zu be: steuern! Nach seiner Ueberzeugung würde auf dem Wege, den die Abgg. Buhl und Haerle angedeutet hätten, den Wein- produzenten gar nicht geholfen werden, weil sie nicht mit dem Ausland in Konkurrenz treten könnten. So allerdings könne cs nicht bleiben wie im vorigen Jahre, daß es ganz in das subjektive Ermessen eines Zollbeamten gestellt werde, O E selbe eine Ladung Trauben als Most oder als Trauben dbe- van "Diet iss de geschlossen

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Persónlich bemerkte der Abg. Dr. Löwe ( Bochum), wenn der Abg. Sonnemann, der so lange in der Politik stehe, nicht den Unterschied begreife zwischen dem Grenzzoll und der Mahl- und S@hlachtsteuer, wo jedes Korn und jedes Stückchen Fleisch versteuert werden müsse, dann begreife er denselben nicht.

Darauf wurde der Titel bewilligt und vertagte sich das Haus um 41/, Uhr auf Donnerstag 12 Uhr.

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