1881 / 69 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 22 Mar 1881 18:00:01 GMT) scan diff

Moskau, 21. März. (W. T. B.) Der Gemeinderath hat beschlossen, dem Kaiser Alexander Il. auf dem Kreml ein Monument zu errichten.

Schweden und Norwegen. Stockholm, 17. März. Der General-Licutenant Graf Björnstjerna reist heute Abend nach St. Petersburg, um im Namen des Königs dem Begräbnisse Kaiser Alexander II. beizuwohnen sowie die Glückwünsche des Königs in Veranlassung der Thron- bestzigung Kaiser Alexander 1. zu überbringen.

Dänemark. Kopenhagen, 18. März. Der König nebst dem Kronprinzen und dem Prinzen Waldemar sowie ein großer Theil des hiesigen diplomatishen Corps wohnten vorgestern dem Trauergottesdienste in der griehishen Kapelle bei. Der Kronprinz reiste heute Abend nah St. Petersburg ab, um den König bei der Beisezung Kaiser Alexander II. zu repräsentiren.

Amerika. New-York, 21. März. (W. T. B.) Dem gestrigen Todtenamt für den verstorbenen Kaiser Alexander Il. in der griehishen Kapelle wohnten der Mayor sowie die Konsuln der ausländishen Staaten bei. Die Betheiligung war eine außerordentlich große.

Aus dem Wolffschen Telegraphen-Bureau,

Nürnberg, Dienstag, 22. März. Anläßlih des Ge- burtstages Sr. Majestät des Kaisers sind die öffentlichen und viele Privatgebäude festlich beflaggt. Vormittags fand die feierlihe Enthüllung des neugemalten Kaiserfensters der Lorenzerkirche statt. Nacl mittags vcreinigen sih die Offizier- Corps zu Festdiners.

Dresden, Dienstag, 22. März. Zur Feier des Ge- burtstages Sr. Majestät des Kaisers hat die Stadt ihren Fest- s{chmuck angelegt. Am Morgen fand Reveille und dann eine Morgenmusik vor der Wohnung des preußishen Gesandten statt. Die Minister, die Mitglieder des diplomatischen Corps, die Generali;ät und eine große Anzahl anderer Personen er- \dienen im Lause des Vormittags bei dem preußishen Ge- sandten, um ihre Glülwünsche auszusprehen. Am Nach- miltag finden mehrere Festdiners statt.

Braunschweig, Dienstag, 22. März. Zur Feier des Geburtstags Sr. Majestät des Kaisers hat \sih die Stadt mit Fahnen und Flaggen ges{chmüdckt; vom Herzog wurde eine Parade über die hier garnijonirenden Truppen abgehalten.

London, Dienstag, 22. März. Der „Daily-Telegraph“ meldet in einer zweiten Ausgabe aus Mount Prospect vom 21. d., Abends 11 Uhr: Jn Folge des heftigen Widerstandes der Boern gegen einige Bestimmungen der englischen Frie- densbedingungen ist der Waffenstillstand um 48 Stunden ver- längert worden, um dem englischen General Zeit zu geben, weitere Jnstruktionen von seiner Regierung einzuziehen.

London, Dienstag, 22. März. Der „Standard“ meldet in einer zweiten Ausgabe aus Mount Prospect, von gestern: Die Friedensbedingungen sind folgende: Alle während des Krie- ges von den Engländern und den Boern erbeuteten Waffen, Munitionsvorräthe und Effekten müssen zurückgegeben werden. Den Boern soll unter denjenigen Bedingungen, welche dur cine Königliche Kommission vereinbart werden, die Unabhängig- keit zugestanden werden. Die Regierung der Boern tritt, sobald die Königliche Kommission ihre Arbeiten beendet hat, in Wirk- samkeit, Die englishen Garnisonen verbleiben bis dahin im Transvaallande ; die Boern werden sofort auseinandergehen.*

St. Petersburg, Dienstag 22. März. Der Kaiser hat befohlen, daß das St. Petersburger Grenadier-Regiment, tas 5, Kalugasche Jnfanterie-Regiment und das 13. Dra- goner-Negiment, deren Chef Se. Majestät der Kaiser Wilhelm je am heutigen Geburtstage des Kaisers die Trauer ab- egen.

Statistische Nachrichten.

Gemäß den Veröffcntlibungen des Kaiserlihen Gesunt- heits-Amtes sind in der zehnten Jahreéwcche von E 1000 Lewohnern, auf den Jahresdurhschnitt berechnet, als gestorben gemeldet: in Berlin 245, in Breslau 35,6, in Königsberg 31,4, in Côln 26,2, in Frankfurt a. M. 17,1, in Hanrover 17,0, in Cafsel 36,5, ia Magdeburg 23,1, ia Stettin 27,7, in Altona 314, in Straßburg 309, in Mey 24,9, in Mürchen 29,4, in Nürnberg 27,7 in Augéburg 40,0, in Dreéden 23,8, in Leipzig 19,5, in Stuttgart 25,9, in Braunschweig 31,5, in Karlsruhe 29,1, in Hamburg 25,7 in Wien —, in Budapest —, in Prag —, in Krakau L, in Tricst —, ia Basel 32,6, in Brüssel 25,3, in Paris 32,0, in Amster- dam 25,5, in Kopenhagen 21,9, in Stockbolm 32,2, in Christiania 19,9 in St. Peteréburg 52,7, in Warschau —, in Odessa 201 in Bukarest 21,8, in Rom 27,7, in Turin 28,7, in Madrid 34 2, in Lon- don 22,4, in Glaëgow 24,6, in Liverpool 26,7, in Dublin 33 8, in Edinburgh 203, in Alexandra (Egypten) 32,1. Ferner aus frübe- ren Wocben : in New-York 30 6, in Philadelphia 24,9, in Chicago 22,6, in St. Louie 23,4, in Cincinnati 20,3, in San Francitco 160 in Calcutta 34,1, in Bombay 30 9, in Madras 43,8. -

Während der Beribttwoche berrshten an den \ûd- und weft- deuten Beobachtungsstatio1en westlibz und südwestlibe, zu Ende der Woce nach Nord umlaufende Luftströmungen. An den oft-, nord- und mitteldeutsden Beobacbtungkéorten gingen die beim Wocer- beginn vorwiegend östliten urd südöstliden Windricbtunaen am 8, gleichfalls nad Südwest und in den letzten Tagen der Wotte nah Nord 1 nd Nordwest. Die Temperatur der Luft überstieg in Süb- und Westdeutibland die normale, im öéstliden vnd nördlichen Deutschland erreichte sie das Monaismitt:l nicht. Niederschläge im Süden von Regen, im Norden von Scnee erfolgten oft und aus- giebig, In Bremen entlud si am 7. Abends cin Gewitter. Der

ruck der Luft stieg in Süd- und Westdeuts& land bis zum 9, be- bauptete seinen Standpunkt bis zum 11, und nabm tavn langsam ab. Ina Nord-, Ost-, Mitteideutschland zeigte er in den crsten Tagen der Wehe mehrfache Scwanlungen, sank am 1. erhiblicher, zeigte jedow am Stluß ter Wotbe entschieden steigende Tei.denz. :

Die Sterblichkeitsverhältnisse gestalteten sich in \ütlid er ce- legenen europäischen Stödten ctwas kesser, in den nörtlicteren, be- sonders in den teutschen, größtentheils ungünstiger. Die allgemeine Sieiblicbkeitsverbältnißzabl für die deutshen Stätte stieg auf 274 von 25,8 der Vorwocde (auf 1000 Bewo?rer und aufs Jahr terech- net) und zeigt eine wesentliche Steize:ung der Tbeilnabme des Säu4- lizgfalters an ter Sterblichkeit. Von 10000 Lebenden starben aufs Jahr berechnct 91 Kinder urter 1 Zahr gegen 78 der vorber- gegangenen Woche (in Berlin 71 gegen 67).

, Unter den Todeêursatten zeigen von den Infektiontkrarkbeiten Swarlafieber und Diphtberie ziemlich allgemein NaWlasse, Pocden eine Steigerung der Todeéfälle, auch werden aus mchreren deutschen Städten Flecktyrhuetfälle gemeldet. Die Masernepidemie in Flenê- burg verlief wieder iutersiver, in Aachep, Cclmar, Paris wurde die Zakl der Todcéfälle cin werig geringer. Das Scharlachfieber hat besonders in Berlin, Bretlau, München und Côln abgenommen.

Dreéden, Straßburg, Pa1is, Wien, Pest viel Opfer, wenn auch die ges derselben in den meisten Orten etw2s abzunehmen beginnt.

odesfälle an typhösen Fiebern waren in Paris, St. Peters- burg und Basel noch immer zahlreich. Todesfälle an Flecktyphus wurden aus Danzig, Elbing, Thorn, Posen, Berlir, Amsterdam, Murcia und Saragossa je 1, qus Malaga 2, aus St. Petersburg 30 cemeldet. Todesfälle an Darmfkatarrhe der Kinder warea in München, Straßburg, Paris und St. Petersburg nit selten. Auch war in deutschen Städtea die Zahl der im Kindbett gestorbenen Frauen gegen di: Vorwotte mebr als verdoppelt. Das Vorkommen der Pocken war ein bäu- figeres, Die Gpidemien in Wien, Paris ur.d Rom zeigen eine mäßige Abnahme, in Pest, Prag, Loc don gewannen sie an Ausdeb- nung. In bescräukter Zahl kamen Pocken in Körigsberg, St. Peteréburg, Malaga und Alexandria (je 3 Todesfälle) vor, in Beuthen, Aachen, Saragossa (je 2), in S@weidnig, München, Ber- lin, Triest, Krakau, Basel, Brüssel, Mancbester, Bukarest, Barcelona ce äg Aug in den größeren Städt:zn Nordamerikas waren Poten

ufig.

Nuuf, Wissenschaft und Literatur.

Die in Leipzig am 19. März d. F. erschienene Nr. 1968 der „Illustrirten Zeitung* enthält folgende Abbildungen: Kaiser Alexander I]. von Rußland, f am 13. März. Der Kaiserdom in Speier. Nach einer Zeichnung von O. Dahling. Unter-Staats- sckretär von Goßler, Präsident des Deutschen Reid ttags. Cafamicciola auf Ischia vor dem Ecdbeben, von ter obern Straße ra Forio aus gesehen. Nath einer Zeictnung ven A. Vlaschnik. Das Kürstlerfest in Münchea vor der Katastrophe. Originalzeich- nung von E, Horstig. (Zweiseitig.) Zum 22. März. Ent- wurf von Bildhauer G. Eberlein. Nah einer Photographie der Póotographishen Gesellshast in Berlin. (Z veiseitig.) Victor Hugo. Bilter aus Kärnten: V-ldes. Nach einer Zeich- rung von Joh. Smutry. Die Halle des Centralbahnhofs in Mürchen na ihrer Vollentung. Originalzeibnung von P. Pütt- ner. Der Bau des neuen Centralbahnhofs in München. Origi- nalzeihnung von P. Püttner. Kuricsitäten aus den Gebieten der Heraldik, Sphragistik, Numismatik 2c. : Räthselfizgel. 11, —— Poly- P d Mittheilungen: ODrehpianino. —- Universalglockenzug. 2 Fig.

Unter dem Titel: „Bibliotbeca Polono-Slarvica, Catalogue d'ouvrages anciens et modernes sur la litterature et l'histoire des pays 8s8laves en rente aux Prix maqués; Partie II, Histoire. Géographie, Culture, Án- tiquites etc. kat der Buchhändler Joseph Jolowicz in Pofen ein in 1652 Nummern bestehendes Verzeichniß ron Schriften über slavisbe Geschichte, Geographie, Kultur, Alterthümer u. \. w., wele in seinem antiquarishen Bücherlager vorräthig sind, ver- öffentlicht. Dasselbe zerfällt in 5 Hauptabtheilungen; die 1. ver- zcihnet 212 Schriften, enthaltend slavische Bibliographie und Ge- scbichte der slavischen Literatur, ferner slavische Journale, periodische Sthriften,Sammelwerke undGesell schafts schriften sowie slavisheQueller- werke, Die 2. Hauptabtheilung, circa 1000 We:ke umfassend, beschäftigt fd spzziell mit Polen und bringt in 13 Unterabtheilungen Schriften, welche die politische Gescichte des alten Polen im Allgem:inen, die Gescvichte Polens und Litthauzns bis zum Tode Sobieski's (1696), die Gescbibte Polens seit August Il. bis zur 3, Theilung Polens (1697—1795), die Geschichte Polens seit dir 3, Theilung bis auf unsere Tage; ferner die alie und neue Geographie Polens, Reife- ceshreibungen ur.d Karten Polens; die Spéezialgeschichte der pol- nisccn Provinzen und Städte; Polens Heraldik, Genealogie urd Numicmatik; sodann das polnische Recht, polnishes Staatsrecht, die Kircbengeschichte der slavisben Länder; Polens Kuitar, Sitten, Ar- câologie, Kunst u. \. w., endli Polens Kriegsgeschichte betreffen. Die 3. Hauptabtheilung enthâlt ein Verzeichniß von 291 Schriften, die si auf Rußland allein beziehen. Die 4, Hauptabtheilung stellt ca. 90 Scriften zusammen, welce si mit den übrigen slavishen Län- dern (Böhmen, Ungarn, Istrien, Dalmatien, Montenegro, Bosnien, tie Samlärder, Slavonien, die Moldau und Wallachei), sowie mit Griccenlar.d und der Türkei beschäftigen. Die 5. und leßte Haupt- abtheilung endlich ¿ählt ca. 90 Schriften auf, enthaltend \lavische Legenden, Fabeln, Volkelieder, Sprüchwörter u. \. w. Unter den im vorstehenden Kataloge namhaft gemackten Werken befinden sich viele werthvolle und seltene Schriften. 53 Schriften betreffen das Großherzogthum Posen, 83 Schlesien, mehrere die Stätte Danzig

und Thorn. Verkehrs-Anftalten.

Triest, 21. März, (W. T. B.) Der Llovddamvfe: „Jupiter“ ist heute Morgen mit der ostindish-chinesisden Ueber- lantpoft aus Alexandrien bier eingetroffen.

Southampton, 21. März. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Rbein“ ist hier angekommen.

Plymoutßb, 21. März. (W. T. B,) Der Hamburger Postdampfer ,Westphalia“ ift bier eingetroffen,

Berlin, 22, März 1881.

Cöln, 22. März, 12 Uhr 18 Vein. Nachts. (Tel.) Die englische Post vom 21. März früh, planmäßig in Verviers um 8 Uhr 21 Min. Abends, ist ausgeblieben. Grund: Das Schiff hat in Ostende den Anschluß verfehlt.

Für die Dankeskirche, dcren Erbauung im Jahre 1879 nach der zweimaligen Erreitung Sr, Majestät des Kaisers und Königs aus Lebentg fahr angeregt wurde, ist jeßt der Bauplayz bestimmt und vom Magistrat dem Baucomité angewiesen worden. Ein- oder mehrmalige Beiträge an Geld oder Baumate- rialien können bei dem Gencral von Olleb, Gouverneur des Inva- lidenhau‘es zu Berlin, angemeldet werden.

Die Besicbtigung ter im Königlihen Sclofse aus estellten Hoczeitsgeschenke für Ihre Königlichen Hobeiten den Vrllten und die Prinzessin Wilhelm findet nur noch bis - inkl. morçen Mitiwoch, den 23, d. Mt1s,, statt. t _ Der Festgottes dienst, der zur Vorfeier des Geburtstaze Sr. Majestät des Kaisers auf Veranstaltung der «Kameradi@aftliea Vereinigung der Berliner Krieger-Vereine* am Montag Abend în der festlid erleuchteten St. Petrikirce stattfand, hatte die Räume des Gotteshauses bis auf ten leßten Play gefüllt, so daf Viele vor den Thüren wieder umkehren mußten, obne dem Gottes- dienst beiwmohnea zu können. Auf dem Altarplatz, den 4 almen und exotisde Gewächse zieiten, balten die 16 Fabnenträger der einzelnen Vereine mit ibren Bannern, Standarten und Fahnen, acht zur Recbten und act zur Linken des Altars, Aufstellung genommen. Die Motette „Lobe den Hertn*, rom Kirhencor vorgetragen, und der Céoral L E Une Moe, von ter aae mit Orgel und Posaunen- egleitung gesungen, eröffnete: den Gottetdienst. Die Fest iei der Probst Dr. von der Golß. E B

Anläßlid des Geburtétagis Sr. Majestät tes Kaisers find beute Abend eine stille Zusammenkunft ter Kameraden des E eins ehemaliger dritter Ulanen vom Regimert Kaiser Alexander von Rußland im Cafá Sceffer, Inselstr. Nr. 10, statt. Die früber b¿stimmte Tanzfeftlichkeit ist wegen der Trauer um den dabin geshietenen Chef des Regiments dur Vereinsbes{hluß bis auf Weiteres vertagt worden. Der Lorteerkranz, welchen der Verein dem hoben dahiagesciedenen Chef gewidmet hat, ist beute Vormittag der Deputation tes Regiments, welce si zu den

Beisezungsfeierlihkeiten nah St. Peterêburg begiebt, überreicht worden.

Auch die Diphtherie forderte in Berlin, Müncer, Augsburg,

Vercin für Deutsbes Kunstgewerbe. Mittwo M 23. März, Abends 8 Uhr, Wilhelmstraße 118, zwangélose Ban Tagesordnung: Vortrag tes Hrn. Direktor Grunow über eingelegte

Arbeit ; Vorlage des Hochzeitszu zes von Prof. L. Gäste können eingeführt werden Prof. L. Burger, u. A. m.

…_ Die Permanente Ausstellung des Vereins er- liner Künstler (Commandantenfir. 77/79) bietet, D die Porträts Jhbrer Königlichen Hcheiten des Prinzen und der Prinzessin Wilhelm von Angeli dieselbe verlassen haben, bereits wieder zwei hocinterefsante Arbeiten des Porträtfab8, nämlich die von Kraus für die Natioaalgalerie gemalten Bildnisse der Professoren Helmholtz und Mommsen, welce jedoch ebenfalls nur kurze Zeit zu sehen sein werden Die Thiemsche Sammlung is voa ihrem Besitzer wieder zurückgevommen worden, dafür aber mannigfaches Neue von urseren jüngeren Künstlern zur Ausstellung gelangt.

Der „Nordwestdeutshe Verein für Gefängnißkwesen“ hat im Verlage der Sculze’schen Hofbuchhandlung in S, jeßt das ven seinem Vorstand redigirte siebente Vereinsheft erscheinen lassen, Dasselbe hat folgenden Inhalt: 1) Verhandlungen der fünf- ten ordentlichen Vasammwlung zu Hannover am 3. November 1880 und g-s{chäftlihe Mittheilungen. 2) Die vorläufige Entlassung. Ein Beitrag zu den Verhandlungen des nordwestdeutschen Vereins für Gefängnißwcsen rom 3. November 1880 über diesen Gegenstand, vom EStrafanstalts-Direktor Heine in Lingen. 3) Die staatlichen Straferziehungt- und Zwangserziehunzs-Knstalten in Belgien. Eine Skizze von Dr, P. Göhring, Direktor am Landgericht zu Hamburg, mit einer Tafel. 4) Cirkular-Erlaß des Königlich Preußischen Ministers des Innern, betr. d e Autfübrung des Geseßes vom 13. März 1878 über die Unterbringung verwahrloster Kinder vom 31. JIrli 1880. 5) Nachträge zu: Ein Blick auf das Fürsorgew:sen von De, Föhring im Vercintheft Nr. 6. 1. Kongreßbescblüfse siche Seite C0— £9, Hest D) Mailand 1880, 2) Brüssel 1876. 11, Literatur. 6) Vercinênachricbten. 7) Mitgliederverzeihniß. Auf der Tages- ordnung der fü: ften ordentliwen Versammlung zu Hannover am 3. November 1880, in weler der Landesgerichts-Direktor Dr. Föhring aus Hamburz den Vorsitz führte, stand als zweiter Gegenstand rah geschäftliden Mittheilungen die Fortseßung der Debatie über „die vorläufige Entlassung von Strafacfangenen“, Zu diesem Gegen- stande waren folgende Anträge geftelit: 1) 1on dem Strafanstalts- Direktor . Krohne in Rendêéburg: „In Erwägung, daß die vorläufige Entlaffung ein hervorragendes Mittel ift, das Verbrecerthum zu bekämpfen; in Erwägung, daß die §8. 23—26 des Reicsstrafgeseßbubes fkeine auéreihznde Garaatie bieten, daß sie in richtig auegedehntem Maße zur Anwen- dung kommt, ist es nothwendig, daß im Reichsftrafvcllzug8geseße Be- stimmungen getrcffffen werden, wodur die ausgedehntere und gleich- mäßigere Anwendung ter vorläufigen Entlassung in allen Staaten des Deutschen Reiches sicher gestellt wird.“ 2) von dem Ersten Staaisanwalte Stuhr in Kiel : „Beite dem Antrage tes Direktors Krohne vorangestellte Etwägungéêgründe, sowie in dem Antrage felbst das Wort eaufgedehntere“ wegfallen zu lassen.“ Nach einer längeren Diskussion vereinicten \ich Direktor Krohne und Oker Staat8arwalt Stellmacher aus Celle zu folgendem Antrage: „1) Jn Ernäzung, daß die vorläufize Entlassun1 zu einem wchl- géordreten Strafvollzuze gebört; 2) in Erwägung, daß die &8, 23—26 des RMReichs-Strafgeseßbucbes k.ine auereicende Garantie bieten, daß fe in rihtigem Maße zur alcihmäßigen Anwendung fommen, ift es nothwentig, daz die Paragraphen zweckentsprecbend abgeändert werden, inébesondere dadur, daß die Frist für ten Widerruf erbéblich verlängert wird.“ Dieser Kom- promißantrag wurde bei der Abstimmung mit großer Majorität angenommen, zwei von den Herren Ober-Staatsanwalt Stellmacher und Geh, Ober-Regierungétrath Illing gestellte Amendements dagegen abgelehnt. Der vcm Ersten Staatsanwalt Stuhr in Kiel formulirte Antrag kam nit zur Abstimmung, weil ersterer am Erscheinen v.rhicdert war und Niemand den Antrag aufnahm. Hierauf wurde der dritte Gegenstand der Tagesordnung: die Or- ganisation der Fürsorge für enllafsene Sträflinge in der Provinz Hannover, zur Berathun gezogen. Referent sür diesen Gegenstand war der Geh. Reg, Rath Lütgen aus Hannover, welcher mittheilte, daß cine am 30. April in Hannover zusammengetretene zahlreiche Versammlung von Männern aus allen Tbeilen der Provinz einen Vercin unter dem Namen „Hannoverscer Hauptverein zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene“ konstituirt habe und, racbdem der Referent über die Zwecke und Ziele dieses Vereins sowie üter seine Organisation und bisherige Thätigkeit berichtet, \ckloß derselbe mit der Bitte an die Versammlung, in ihren Kreisen über die E vereine für entlassene Gefangene nach Kräften zu fördern. Der vieite Gegenstand der Lagetordnung: Erweiterung des Vereinsgebietes, kam „nit zur Berathung, weil der Antrag- steller, Strafanstaltt-Direktor Wolf in Cronthal, nit crschenen war. Aus der von dem Sekretär des Vereins, Strafanstalte- Direktor Krohne, erstatteten Uebersiht über den Stand der Kasse des Vereins geht hervor, daß die Gesammteinnahme der Kasse 852 M4 81 „4 betrug. Daven wurden an Druckoften gezablt 518 A 10 „, sodaß für das laufende Jahr 334 X 71 4 zur Verfügung blieben. Die Zahl der Mitglieder des Vereins war ult. Dezember 1880 a welche für das laufei.de Rechnungtjahr an Beit:ägen 546 M zahlen.

Das crfreulicher Weise wieder lebhafter werdende Geschäft scheint nach Vorgängen in Berlin und an anderen Orten auch die deutsche Arb-iterbewegunz wieder in Fluß zu bringen. Einerseits dürften in nächster Zeit aus den Arbeite kreisen mehrerer Industriezweige manche neue Forderungen in Bezug auf Arbeitslohn und Arbeitszeit an die Arbeitgeber gestellt werdén; andererseits wird si die Gesetzgebung mit einer Reibe das Wohl u d Wehe der Arbeiter auf das Janigste berührenden Maßregeln zu beschäftigen haben, mit Erweiterung des Hastpflicht-, Revision tes Genofsenschaft8gesctzes, mit den Arbeiter- bülféfafsen, der Anzeizepfliht und den Mittein zur Vorbeugung von Unfällen in Fabriken u. \. w, Jedermann, welter sid um öffentliche Dinge bekümmert, wird daber auch diesen Fragin näher treten müssen. Diese Aufgabe erleichtert die „Social-Corre- spondenz“, welhe von Pr, Victor Böbmert und Arthur von Studniy ia Dresden herauégegeben wird und das Organ des Centralvereins für das Wobl der arbeitenden Klassen bildet, Der Centralverein, welder Männer der vzr- \ciedensten politishen und kir%lihen Rihtungen umfaßt, will mit diesem Uaternebmen ein m großen humanen Zwecke dienen. Die eSocial-Correspordenz* sudt, meist auf statistische Ermittelungen, in» und auzläadishe Gcfahrungen gestügt, aufllärend, ane spornend, versöhnend zu wirken, den . Vorurtbeilen und tem SdvPlendrian entgegen zu arbeiten im Gebtete der Grofit:.dustrie. des Kleirgewerbes, der Genossenschaften und Vereine, des Lehrlings- wesens, der Hülfs- und Versorgungskasien, des Versicberungs-, des Dienstboten- und Armenwesens, der Priratmildtbätizkeit, der Aus- wanderung und Kolonisation, der Gesundheittpflege, der Erziehung und Behandlung der Kinder, der Hauthaltung und häuslichen Oekonomie, der städtisben und länd.iwen Wobnungsfrage u. #, w. Sie giebt endlich regelmäßige Mittbeilungen über die Bewegungen des Arbeit2marktes, Zu- und Abfluß, Bedarf und Ueberschuß aa Arbeitskräften, über Lohaaussicten, Streits, Auéssperrungen u. \. wo. Die „Social-Correspondenz® kann bei sämmtlicten Postanstalten und Buchhandlungen zum vierteljährliwen Aboanementlspreise voa 1,60 M bezogen werden.

Redacteur: Riedel, Verlag der Gxpedition (Kessel). Druck: W. El#ac-,

Berlin;

Sechs Beilagen (cinschließliÿ Börsen-Beilage).

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

Ag 69.

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 22, März. Jm weiteren Verlaufe

der gesirigen (19.) Sißung begann der Reichstag die dritte Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die Fest- stelung des Reichshaushalts-Etats &ür das Etatsjahr 1881/82 in Verbindung mit dem müßdlihen Bericht der Kommission sür den Neichshaushalts:Etat über Kap. 1 Tit. 1 der Einnahme „Zölle“, Jn der Generaldiskussion bemerkte der Abg. Stumm, in der ersten Lesung des Etats sei eine Reihe wirthschaftliher und politisher Angriffe gegen die Reichsregierung erhoben worden, die ein wahres Zerrbild der Lage des Deutschen Reiches ergäben und nur zum Theil ge- nügend widerlegt seien. Es fei eine Anzahl von ihnen übrig geblieben, von denen er si verpflichtet fühle nachzuweisen, daß sie auf falshen Prämissen beruhten. An der Spitze dieser Opposition stehe, wie überall, der Abg. Rictcr, der seine ganze Etatsrede zu dem Ende zugespißt habe, daß, wenn es so fortgehe, ter Reichskanzler sich und das Land ruiniren würde. Zum Beweise habe der Abg. Nichter zunächst das alte Paradepserd von den gegebenen und nicht gehal- tenen Versprehungen des Reichskanzlers wieder vorgeritten. Mit dieser Redensart sollte man doch ein für alle Mal auf- hören. Die Versprehungen, welche der Reichskanzler und die rehte Seite dieses Hauses gemacht hätten, würden, wenn ‘die jeßige Majorität noch eine Reihe von Jahren erhalten bleive, auch gehalten werden, weil dann die Prämissen zu- träfen, auf Grund deren diese Versprechen überhaupt hätten gemacht werden können. Ein erheblicher Theil der Forde- rungen, welche der Neihsfanzler im Fahre 1879 gestellt habe, sei abgelehnt, die Tabakssteuer wesentlich ermäßigt worden. Wenn der Abg. Richter troßdem eine Rechnung von 130 Millionen aufslelle, welhe durh die neuen Zölle und Verbrauchssteuern im Ganzen als Mehreinnahmen erzielt werden sollten, so sei diese Nehnung nicht allein viel zu hoch, sondern der Abg. Richter übersche außerdem, daß der in Aussicht genommene Ertrag der Tabakssteuer noch gar nicht erreicht sei; in eiwa zwei Fahren werde man 20 Millionen aus dem Tabak mehr erzielen als heute, und hier- durch werde erst die Erleichterung der Einzelstaaten voll erreiht, welche beim Erlaß des Geseßes in Aussicht genommen sei, Troßdem sei in dieser Richtung bereits ein ret erheb- liches Resultat errciht worden. Das Reich habe den Einzel- staaten 66 Millionen überwiesen, denen eine Vermehrung der tatrifularbeiträge von 13 Millionen gegenüberstehe. Es bleibe also ein Ueber‘huß für die Einzelstaaten von 53 Mil-

lionen übrig, d. h. ein Betrag von 1,20 „6 pro Kopf der *

Bevölkerung, also dreißigmal fo viel, als der Abg. Nichter behauptet habe. Ob die 53 Millionen von den Einzelstaaten direkt zu Steuererleihterungen verwendet worden seien, mit dieser Frage habe der Reichstag Nichts zu thun. Dem Reichs- tage genüge es, die Einzelstaaten zu entlasten, Jn Preußen seien bereits 14 Millionen an direlten Steuern erlassen worden, und wenn diese Summe nicht größer gewesen sei, so wisse der Abg. Richter am besten, daß der Grund nur in dem vorhandenen Defizit gelegen habe, dessen Beseitigung sonst [lediglich durch eine jet glüdlich vermiedene Erhöhung der direkten Steuern möglih gewesen wäre. Außerdem habe der Reichstag neben der Ueberweisung der 53 Millionen die Schlagfertigkeit der deutschen Armee erheblich verstärkt. Der Abg. Richter wende"zwar ein, die Vermehrung trete geseßlich erst in 12 Jahren vollständig ein; dies sei rihtig, aber die Schlußfolgerung sei falsch, daß in jedem Jahre nur ein Zwölftel der Vermehrung perfekt werde. Schon in diesem Jahre habe man cin Drittel der Gesammtverstärkung der Armee erreicht und werde die vollständige Organi- sation jedenfalls sehr viel früher als in 12 Jahren erreichen. Nun habe der Abg. Richter gesagt, daß derselbe auf diese Verstärkung der Armce keinen großen Werth legen könne, der Reichskanzler habe ja eine lange Aera des Friedens ver- bürgt und die Budgetkommission solle deshalb Absiriche von vielen Millionen machen, Troßdem scien von Seiten der Fortschrittspartei weder in der Kommission, noch hier im Hause darauf bezügliche Anträge gestellt worden. Von den von anderer Seite gestellten Anträgen sei der Abg. Richter nur für den des Abg. Frhrn. zu Frankenstein eingetreten, jedoch nicht mit der demselben sonst innewohnenden Wärme. Dieser An- trag sei jedoch nicht angenommen worden und wäre es ge- \{ehen, jo wäre nicht ein Abstrih von vielen Millionen, son- dern nur von 500 000 M, also nach der klassishen Sprache des Abg. Richter ein „Trinkgeld“ von 1 Pfennig pro Kopf erfolgt. Der Grund, weshalb der Abg. Rich:er und seine Freunde diese volltönenden Versprehungen von den Abstrichen im Militäretat nicht gehalten hätten, liege wohl darin, daß sie bei ihren zahlreihen Neisen in die Wahlkreise die Erfahrung gemacht hätten, daß ihre Angriffe gegen die Schlagfertigkeit der Armee in der Bevölkerung wenig Anklang fänden, und daß die Nation, heute vielleicht mehr als je, angesichts der \{hrecklihen Ereignisse in dem Nachbarlande Deutschlands von der Nothwendigkeit durhdrungen sei, die Armee aufrecht zu erhalten, als ein Vollwerk geordneter Staatszustände nah innen wie nach außen. Als einen zweiten Beweis der Miß- regierung, welche jeßt herrsche, habe der Abg. Nichter geltend gemacht, daß die Negierung die im vorigen Jahre unter den Tisch des Hauses gefallenen Gescye wieder vorgelegt habe, und dadurch eine unglaublihe Nichtahtung des Hauses dokumenlire. Das Küstenfrachlfahrtgeseß indeß sei so- eben vom Hause angenommen worden; den Entwurf über die Besteuerung der Dienslwohnungen habe die Kommission ebenfalls genehmigt und derselbe werde vor- aussihtlich auch die Zustimmung des Plenums finden ; auch die Aussichten für die Annahme der Verfassungéänderung bezüg- li der Etatsperioden seien keineswegs so ungünsiig, wenig- stens interessirten sich sehr bedeutende Theile des Hauses für dasselbe. Was die Steuervorlagen betreffe, so wolle seine Partei das Ergebniß derselben ruhig abwarten ; über die An- nahme der Börsensteuer werde im Hause wohl kaum eine Meinungsverschiedenheii sein, Die abfsällige Kritik des es Richter richte ih Tas von selbst, Mit großer Emphase habe man von der linken Seite dieses Hauses die Schuld an

_Berlin, Dienstag, den 2. März

der Antisemitenbewegung der Regierung und den ihr nahe- stehenden Parteien zur Last gelegt. Er erinnere daran, daß fein Freund Graf Bethusy-Huc der Erste gewesen sei, der hier im Hause einen sehr lauten Protest gegen diese Bewe- gung ausgesprohen habe; er wisse also nicht, ob jener Vorwurf \ich auch gegen seine Partei rih- ten solle. (Abg. Ridckert: Gegen Bethusy - Huc nicht.) Troßdem müsse er dem Abg. Nickert jenen Vorwurf zurück- geben. Der Konflikt, den er im Abgeordnetenhause, in der Presse, theilweise auch hier im Hause mit dem Abg. Rickert gehabt habe, führe sih auf ein Gedicht zurück, welches in einer antisemitishen Zeitung gestanden l,abe und welches er selbst, von dem Grundsaße ausgehend, daß es ihm vollkommen glei- gültig sei, ob die Erregung des Klassenhasses von hyper- konservativer oder Hhyperdemokratisher Seite ausgehe, mit seinen Kollegen, den Arbeitgebern im Saargebiet, als auf- regend und sozialdemokratisch wirkend verboten habe. Der Abg. Ricert habe dagegen dieses antisemitishe Gedicht aus- drüdlih in Schuß genommen und dadurch bewiesen, daß des Abg. Rickert Partei die Bewegung nur tadele, wenn sie Nassenhaß verbreite, daß sie derselben aber passe, wenn sie Klassenhaß verbreite. Er müsse dagegen sagen, fo sehr er die Aufreizung zum Nassenhaß verdamme, so halte er die Aufreizung zum Klassenhaß doch für viel gefährlicher, weil durch den leßteren niht nur eine große Zahl von Arbeitern und andern Personen persönlich gefährdet, sondern auch der Staat selbst in seinen Grundfesten ershüttert werde. Wenn der Abg. Bamberger neulich mit einem tironishen Hinweis auf den Abg. Oechelhäuser geäußert habe, die „Norddeutsche Alg. Ztg.“ habe jeden Freihändler für einen Nihilisten erklärt, so würde eine folhe Behauptung eine ganz ungeheure Uebertreibung sein und er schließe sich einem Tadel sehr gern an; aber ein Körn- chen Wahrheit liege doch darin. Nicht als 00 er die Abgg. Bamberger oder Rickert irgendwie für Nihilisten hielte, aber gcwisse radifale Organe, die ihre politishe Opposition auf das wirth; schaftiche Gebiet übertrügen, führten allerdings eine Spracke, die schließlich dahin führen müsse, daß cine Aufregung entstehe, über deren Tragweite sih Niemand von vorn herein im Klaren sein könne. Zum Beweise seiner Behauptung führe er an, daß das „Neunkirchener Tageblatl““, welches der Abg. Nickert für ein fortschrittliches erklärt habe, und das von der Fortschrittspartei nit verleugnet werde, ausbrücklih anerkenne, daß die Fort- schritte der Sozialdemokratie wesentlih der fortschrittlichen Agitation zuzuschreiben seien. Wenn die eigenen Blätter der Fortschrittspartei dies zugäben, so dürfe die Fortschrittspartei nur die New-Yorker Berichte lesen, um zu wissen, wohin die Sozialdemokratie führe. Das Körnhen Wahrheit aljo könne man nicht leugnen. Die Absicht behaupte er nicht, aber die Wirkung, « Er habe sih gewundert, daß die große Ent- schiedenheit und Hestigkeit, mit welher von der linken Seite früher die Debatten über die Zolpolitik geführt seien, jeßt einem ziemlih elegishen Tone Play gemacht habe. Der Zoll für Eisen bestehe nun bald zwei Jahre, und die Zahlen bewiesen den Aufshwung. Er habe immer gefunden, daß die linke Seite dieses Hauses in ihrer früheren Majorität gerade mit nackten Zahlen operirt und die Statistik ins Feld geführt habe. Jeßt sage die Fortschrittspartei, eine abstraïte Zahl beweise nichts. Er erinnere sich noch schr wohl der Ent- rüstung auf der linken Seite, als vom Regierungstish ein Bericht über die Unrichtigkeit einer Angabe des statistischen Bureaus laut geworden ci. Am ungerehtfertigsten sei der Vorwurf des Abg. Bamberger gewesen, daß man bei der neuen Zollpolitik auf die Auéfuhr keine Nücksicht nehme. Er habe gestern seine Nede in der Zolldebatte vom Jahre 1879 nach- gelesen und gefunden, daß darin 3—4 Spalten der Ausfuhr gewidmet seien. Er habe mit dem Abg. Delbrück überein- gestimmt in Bezug auf den Einfluß der Zölle auf die Aus- fuhr. Der Abg. Bamberger habe auf den Abg/ Oechelhäuser hingewiesen, dur 20 Jahre lang Schußzöllner, jeßt Freihänd- ler geworden sei, und derselbe stelle ihn dem Fürsten Bismarck gegenüber, der die umgekehrte Entwickelung durhgemacht habe. Dieser Vergleich passe aber durchaus nicht, denn Fürst Bismarck habe mit der Offenheit, die alle Parteien an ihm liebten, erklärt, daß er früher mit anderen Arbeiten zu sehr überhäuft gewesen sei, um sich mit Wirthschaftspolilik zu beschäftigen, und daß er durch den Weggang der Wirth- schastsautoritäten zur Beschäftigung mit diejer Materie ge- zwungen, sofort Schußzölner geworden sei; von einer Meinungsänderung des Fürsten Bismarck sei also keine Rede. Die Veränderung des Abg. Oechelhäuser aber beziche sich nicht blos auf seine Stellung zu Schußzoll und Freihandel. Er habe gefunden, daß der Atg. Oechelhäujer sih 1879 für die Eisen- zölle und Jndustriezölle überhaupt ausgesprochen habe und sich nur gegen die landwirthschaftlihen Zölle gewandt habe. Heute veruriheile derselbe das ganze System von 1879. Daß dies ein Zeichen von Ueberzeugungstreue sei, möchte er (Nedner) bezweifeln. Der Abg. Dechelhäuser sei aber auch in den Thatsachen nicht ganz sier. Derselbe habe gesagt 1873 sei für die Eisenindustrie das günstigste, 1878 das ungünstigste Jahr gewesen; im erstgenannten Jahr seien 10 Millionen Tonnen eingeführt, im lehteren noch etwas mehr. Diese Einfuhr allein sei also kein Zeichen sür Gunst oder Ungunst einer Jndustrie, Er habe aber damals ausdrüdlich erklärt, in einem Moment, wo die Jndustrie in die Höhe gehe, sei die Einfuhr von Rohmaterial eine Nothwendigkeit, wenn aber die Jndustrie zurückgehe, sei au die allergeringste Einsuhr von Nachtheil. Andererseits sei die Einfuhr in einem Moment, wo man mit Verlust arbeite, mit dem Zustande zu vergleichen, wo ein Wucherer dem Bauern eine tüchtige Milhkuh aus dem Stalle ort: Dasür aber, daß die Produktion zugenommen habe, dafür könne er Zahlen beibringen, Nach den Angaben des Ober-Bergraths Wedding habe im Jahre 1880 die Produktion an Schmiedeeisen um 23 Proz., die Gußeisen-Produktion um 33 Proz. zugenommen, Wenn man diese Fn zusammenhalte mit den vom Abg. von Kardorff gegebenen, so werde man die Richtigkeit der Angaben des Lehteren zugeben. Man müsse bei An- gaben des Exports auch die Durchfuhr berücksichtigen, aber im Jahre 1880 sei die Ausfuhr ohne Durchfuhr 699 000 Tonnen,

1879 habe sie mit Durchfuhr nur 524 000 Tonnen betragen.

ÜSE S AEEIC B Ee UE F E A A A E L A —————————

A A S E E E e

Er könne noH mehr Einzelheiten vorführen, wolle si dies aber für die Spezialdisfussion vorbehalten. Von Bedeutung sei noch die Erhöhung der Arbeitslöhne. Nun sage zwar der Abg. Sonnemann, diese sei bedeutend überstiegen von der durch die Zölle herbeigeführten Vertheuerung der Lebens- bedürsnisse; er könne aber dem Abg. von Kardorff beistimmend noch sagen, daß die Eisenindustrie noch in einer gewissen pa- triarchalishen Weise ihre Arbeitslöhne bestimme, jedenfalls hätten die Verhältnisse in den Preisen wenig Einfluß auf die Arbeitslöhne. Troßdem habe er Zusammenjstellungen machen lassen, aus denen hervorgehe, daß die Arbeitslöhne in einzelnen Gruben um 34 bis 39,22 Vroz., speziell in Neunkirhen um 29,3 Proz. zugenommen hätten; dagegen vershwinde die Vertheuerung der Lebensmittel um 14 Proz. Eine reine Lohnerhöhung für die Arbeit sei zwar nux wenig vorgekommen, aber durch die Vermehrunz der Arbeitêtage sei der Grtrag eines Jahres um dié ge- nannten Beträge größer geworden, und nah diesen jähr- lihen AbsYhlüssen müsse man sich rihten. Dem steLe gegen- über eine partielle Besserung der Verhältnisse der Arbeitgeber, wie der Abg. Dechelhäuser sehr richtig gesagt habe. Wäre nun diese Vesserung der Verhältnisse der Arbeitgeber verbun- deir mit einer Erhöhung der Preise, so würde der National- reihthum mit Bedauern darauf blicken müssen. Das sei aber niht der Fall, die Eisenpreise ständen so wie zur Zeit des Freihandels. Wenn man frage, woher es komme, so sage er, ihn überrashe an dem Faktum das Maß, in welch:m es ein- getreten sei, aber die Erklärung sei sehr einfach! Sie liege darin, daß ein Etablissement, welhes mit seinen ganzen Kräften arbeite, auch von seinen Krästen weit mehr Nutzen habe und weit größeren Kredit finde. Auch Roheisen und eiserne Röhren hätten ungesähr um den Betrag des Zolles an Preis zugenommen. Nun sage man, das ganze Glü rühre her von den amerikanishen Bestellungen. Diese seten gemacht ium Dftober und November 1879 und häiten sih bis zum April 1880 erstreckt. Seit langer Zeit also hätten diese amerikanishen Abnahmen aufgehört, und wenn troßdem die Geschäfte so weitergingen, wie sie es thäten, fo sei der amer1- kanische Einfluß ohne Wirkung, und er sehe nicht, was man für die Verbesserung der Eisenindustrie verantwortlich machen wolle, wenn niht die Shußzölle. Jhnen verdanke die Eisen- industrie ihre Stärkung, die vergrößerte Ausfuhr, die erhöhten Arbeitspreise. Und das Alles sei eingetreten troy ciner {hlech- ten Ernte. Den besten Beweis dafür, daß dieselben günstigen Verhältnisse auch in andern Jndustrien herrschten, sehe er in dem Abnehmen der Petitionen. Während man zur Zeit des Freihandels mit solchen förmlich überschüttet wurde, fei diese Art der Agitation jeßt sehr gering geworden. Endlich habe der Abg. Oechelhäuser gesagt, die Eisenindustriellen hätten die KornzöLe bewilligt, damit ihnen von den Agrariern die zFn- dustriezölle gegeben würden. Dem fei durchaus nicht 10. Q E QUO e O Wee Dauals aur dem Standpunkt, daß er die Kornzöle um threr selbst willen bewilligt habe, allerdings habe er dabei auf die Jndustriezöle Rücksicht genommen. Endlich habe der Abg. Bamberger cinen Bescheid des Hamburger wirthschaftlichen Centralvereins, der gegen den Zollanshluß gerichtet sei, er- wähnt. Die Sache verhalte sich aber folgendermaßen: ein Düsseldorfer wircthschaftliher Verein have sich an den Ham- burger Centralverein gewandt, um von diesem eine Kundgebung gegen den Zollansbluß zu erlangen. Der Vorstand des Vercins habe aber, wie er (Nedner) zu erklären autoritirt sei, durchaus keine bindenden Zusagen gemacht. Wenn ein Mit- glied dieses Vorstandes auf eigene Faust sih gegen den Zoll- ans{chluß erklärt habe, so sei das seine Privatsache. Zum Schluß müsse er wiederholen: wenn die Heilung der wirth- schaftlihen Schäden nicht an einem Tage erfolgen könne, so müsse man nichts desio weniger auf diesem Wege fortfahren. Die Agitation der Freihändler sei {huld daran, daß man auf diesem Wege noch nicht weiter sei. S

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, er werde aus der Gedankenspreu des Abg. Stumm das herausgreifen, was ihm bei der schnellen Rede desselben verständlich gewesen sei, Der Vorredner, der dem Neichstage in Zukunst nicht mehr an- gehören wolle, sei in dieser seiner lezten Session gesprächiger a:s sonst, gleichsam als wolle derselbe sein politisches Testament au]- seßen und mit den Gedanken oder der Gedanken)preu räumen, die derselbe bei sich vorfinde und für den Reichstag übrig habe. So habe der Abg. Siumm auch wieder von jenem Gedicht gesprochen, dessen Jnhalt er auch nicht billige, das aber wirklih harmlos jei im Verhältniß zu alledem, was jeßt die fonservative Presse in der. shmachvollen Zudenhete leiste. Was er getadelt habe, sei aber nicht die Kritik jenes Gedichts, auch nicht, daß der Abg. Stumm die Ko:- portage von Blättern innerhalb seiner Fabrikräume nicht dulde, und seine Hausordnung so regele, wie es ihm gefalle, sondern seinen Uebergriff in das Freiheitsreht der Arbeiter, der, man könne wohl sagen, von der ganzen gebildeten Welt zurückgewiesen sei. Es gebe in der That cin Junkerthum, das glüdcklicherweise in der gatzen gebildeten Welt getadelt werde und das zu vertreten Niemand Lust habe. Der Abg. Stumm, von der preußishen Regierung aufs s{ärfstd desavouirt, sei in seinem Wahlkreise absolut unmöglich ge- worden, und darum mache derselbe jeßt sein Testament. Er (Nedner) wolle hier niht von der Judenfrage sprechen. Dieser Rassenkampf sei für ihn weit verwerfliher, als selbst der Klassenkampf, der sich doch nur immer gegen die veränderlichen äußeren Verhältnisse des Besites kehre, während der RNassenkampf \sich gegen das Unabänder- lige, den Menschen an \ch, seine Geburt und Ab- stammung rihte, und daher kein anderes Ziel haben könne, als Todtschlag oder Ausweisung. Der Abg. Stumm zeihe ihn ‘des Jrrthums in Bezug auf das Schidsal des Küstenfrachtfahrtgeseßes in dieser Session; sci ihm deshalb ein Vorwurf zu machen, weil das Centrum in diesem Jahre anders gestimmt sei als im vorigen? Warum es das thue, wisse er nicht; die Ansichten des Centrums seien im vori- gea Jahre vielleicht noch niht so begründet und so fest ge- wesen oder es sei etwas Aeußeres dazwischen gekommen. Viel- leiht habe er die Herren im Centrum in ihrem Gutachten über