1881 / 81 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 05 Apr 1881 18:00:01 GMT) scan diff

weisung von Fremden, welche die Sicherheit des rumä- nishen Staates gefährden. Die Regierung hatte ihre Zustim- mung hierzu erklärt. England hat ebenfalls das König- reich Rumänien anerkannt.

Jn

Serbien. Belgrad, 4. April. (W. T. B.) der Skupschtina wurde heute das Budget vorgelegt. Nach demselben betragen die Einnahmen 25 Mill., die Ge- fsammtausgaben einschließlih der Eisenbahn - Annuität 24 766 745 Dinars.

Rußland und Polen. St. Petersburg, 4. April. (W. T. B.) Fürst Suworow if heute mit der Notifikation abo Le A des Kaisers Alexander II1. nach Berlin abgereist.

Der Kaiser empfing heute die Mitglieder des dem Stadthauptmanne beigegebenen Beirathes in der huldvollsten Weise. Jedem einzelnen Mitgliede reichte der Kaiser die Hand.

_ Amerika. New-York, 5. April. (W. T. B.) ¡Nach einem Telegramm aus San Francisco von gestern hat die Partei des Königs Malietoa auf den Samoa- Junseïn die Oberhand gewonnen ; jeder organisirte Wider- stand habe aufgehört.

Statistische Nachrichten.

Das Kaiserliche Stotiftisl(e Amt veröffentlict in seinen Monats- heften weitere Bearbeiturngen zur Gewerbestatistik des Deutschen Reichs. Die im Janrarkbeft cnthaltene Vespretung der allge- meinen Bestandsverbältnisse der deutshen Gewerbe ergiebt, daß von den gezöhlten 2927 955 Gewerbebetrieben, welche eine Person aus\{ließlih oder kaupt\ächlich beschäftigen, 2 136 086 oder 72,95% ohne Gehülfen, 722319 oder 24,67% mit 1 bis 5 Gehülfen und nur 69550, also nvr 2,38% mit mehr als 5 Ge- hülfen betrieben wurden, und daß unter lekteren 27 414 oder 9,94% der Gesammtzahl weniger als 10, 33657 oder 1,15%, 11 bis 50 und #479 oder 0.29 0%/ mehr als ¿0 Personen verwendeten.

Auf je 10 000 Einwohner sind 87,58 Persoren in der Schuh- maccrei, 69,96 in ter Schneiderei, 53,93 in Tis@&lereien, 50,99 in MWeiér äherei, 47,62 in Baumwolien-, Zeug- und Bandmcberei und 45,30 in Steinkchlenbergwerken uvd Koksanstalten thätig. Alle anderen Gewerbe bleiben hinter diesen Zahlen erheblih zurück. Im Ganzen waren im Handwerk, Industrie und Handel (Landwirthschaft auëgesclossen) im Deutschen Reicb auf je 10000 Ginwohner 1514,4 Personen in 756 Letrieben erwerbsmäßig thätig.

Muntt, LWissenscbaft umd Literatur.

Dic Baugeseße für den preußishen Staat. Handbvch nebst Erläuterungen, herautgegeben von C Zander, Kreis-Sekretär. Preis geb. 4 {4 Werlag vop R. Eisenscmidt in Berlin. Der Verfasser bat in vorliegendem Buche alle sür Bauten und bauliche Anlagen gel!enden Bestimmungen aufgenommen und dieselben mit leicht faßlicen Erläuterungen verseßen. Da über die Baugeseze keine neuere praktish kommentirte Avégabe existirt, so wird die Zantershe Bearbeitung sämmtlihen Bauunteruehmern, Behörden und Allen, die mit baulice Angelegenheiten zu thun baben, willkommen fein. Der Berleger hat das Buch in handlicher Worm und geschmackvollem, haltbarem Eiubande in den Handel ge- racht.

Die Gesellschaft für Scbleswig-Holstein-Lauen- burgische Geschichte hat den X, Band ihrer Zeitschrift publizirt (Kiel, 1881, Kommissionéverlag der Universitätsbuchha nd- [lung). Derselbe bringt an der Spite cinen Beitrag vom Professor Dr. H. Handelmann über vorgeshichtlive Befestigungen, und zwar veben dem ODannewerk, in Polabien und Wagrien und font in Sleswig- Holstein. Besonders interessant sind die Beschreibungen der Older burg, der Hohburg oder so. BViarkgrafenburg und der sog. Tk yraburg (na einer verwünschten Prinzessin) bei Klein-Dannewerk, sämmtlich im Kirchspiel Haddeby Im Ganzen werden einige dreißig derartiger Befestigungen beschrieben und von der Thyraburg, dem

Ein

Kaninchenberg bei Pratjan und dem Wall bei Jasdorf Pläre beizefüat. Unter den daun folgenden „Antiquariscen Miécelle¿en“ von demselben Verfasser verdienen namentltch

die Beitiäge zur Hcchäckerfrage, die Mittbeilungen über die Salz- gewinnung an der Nordseeküste in alten Zeiten und mehrere werth- volle Mürzfuonde E!wähnura. Ein interessanter rebttügescichtlicher Beitrag ift der Aufsatz vcm Prof. Hasse, dem derzeitigen Sekretär der Gesellschaft, über das älteste Fehmarnsche Landrecht. Dasselbe ist in cincm No'nl18 erbalten, welcer der erften Hälfte oder der Mitte des XIV, Jahrhurderts angehört und sich jeßt im Geheimen Archiv zu Kopenbagen befindet, Eine Kopie dies.r Handschrist is der Arbeit zu Grunde gelegt. Dann folgen arhivalishe „Beiträge zur Geschichte der letzten Scauenburger“, von G, von Buchwald, und eine Biographie des Gevexralsuperintendenten in Schleswig-Holstein, Dr. Adam Struen- see (geb. den 8. Septbr, 1708 zu Neu-Ruppin, gest. den 20. Juni 1791 ¿u Rendéburg, des Vateis des bekannten Leibarztes und däni- \cben Minifiters Ich. Friedr. Struensee, welber am 28. April 1772 auf dem Scbaffot endigte), vom Propft L. Er. Carstens. Sehr dankens- werth ift die wörtlibe Wittheilung der trei im Besiße der Gesell- schaft befindlicen Kieler „Burspraken* aus dem Anfarge des AV. Jahrhunderts, von Aug. Weßtel!l, gesammelter Vorschriften poli- zriliben Inhalts, welche êffertlih zu bestimmten Zeiten des Jahres in Verbivdung mit der Verkündigung der Ratheneubejeßung

verlesen worden. Nob intercfsanter fast ist eine bhatd-

\cristl:che Mi'theilung desselben Verfassers aus der Könialicben |

Universitätébiblio1vek in Kicl. Dieselbe besteßt in einem Briefe des Statthalters Heinri Ranzau, aus welchem hervorgeht, daß tein Anterer als dieser selbs der Verfasser dcr bekannten Ge- scihte des titmarsishen Krieges vom Jahre 1559 und der Name Christiazus Cilicius Cimber unter der an Adresse gerichteten Vorrede dis Werls sein eigenes Pseudonym ist, Die bercits srüher vielfa autgesprodeve Vermuthung, daß Heinri denselben erfunden und feine Autorschaft dahinter verborgen habe, hat sid damit nunmehr bestätigt. Außer einer von Carsiens verjaßtken Biographie des Magister Thomas Knudsen, des ersten Verkündigers des Erangeliums nach luthberisber Lehre in Sc(lelwic-Holstein, finden wir weiter die wörtlite Neproduktion des „Derkelboks*“ der St. Nicolai-Kirche zu Kiel von 1487 bis 1601, welches fer die Gescbichte dieser Statt manches Verwerthbare enthält. Den Sáluß des sauber ausgestatteten Bandes bilden : eine Uetbersicht der die Herzogthümer Sch{leswig, Holstein und Lauenburg ktetreffenden Literatur aus ten Jahren 1879 und 1880, infammengelteltt von Dr, Ed. A!berti, Nachrichten aus der Gesellsait und (in einem Anhange) die 4. Reihe der Repertorien zu \{chleswig- holsteinishen Urkunden- jammlungen (Archive der Städte Nevstadt und Eutin, verzeichnet von Dry. G. ron Buchwald), Der X1. Baud der Zeitschrist soll ebenfalls noch in diesem Jahre autcegeben werden.

(Fin gewiß Vielen wilikommenes Werlchen, ein „Katechismus des Klavierspiels* von Franklin Taylor, aus dem Gag- lischen übertragen von Mathilde Stegmayer, ist soeben im Verlage von I. I, Weber in Leipzia erschicnzn. Dieses kleine Buch enthält vi.les für Klariersvieler Wisscntwerthe und Interessante, das sonst nur getrennt in arôßeren, mehr oder wenizer theueren Werken zu finden if, Gegen 200 Notcnbeispiele ill"\skriren diesen Katechis-

mv? und erleictern das Verständniß. Preis in Originaleinband 1AM 50 A.

Lie am 31, v. M. erêffnete tiesjährige Ausstellung der Kopenhagener Kunstakademie vmfaft 278 Gemälte, 21 Bild-

seine eigene |

hauzr-, 2 Architektuc- und 3 dekorative Arbeiten, 21 Zeichnungen,

Aquarellen, Radirungen, Holzschnitte und Lithographien. Von auk- ländischen Künstlern (Bracony, Delaplante und Dubois) sind 6 Bildbauerarbeiten eingesandt. Die Kunstakademie zählt im g-gen- wärtigen Quatital 290 Schüler.

Gewerbe und Hande.

Vom Berliner Pfandbrief-Jnfstitut sind bis Ende März 1881 8478000 M 49/oige, 44305200 M 44°/cige und 9 181 500 A 5 /oige, zusammen 61 964 700 Æ Pfandbriefe ausgegeben, wovon noch 84780004 4°/cige, 40523100 A 43°%/ige und 7945 200 A 5 /cige, zusammen 56 946 300 #4 Pfandbriefe verzins- lih sind. Es sind zugesichert, aber noch nicht abgehoben 1 485 300 M, im Laufe des Monats März 1881 angemeldet: 5 Grundstücke mit einem Feuerversicherungswerthe von 444 075 M.

Dem Geschäftsabschluß der Deutschen Allgemeinen Versicherungs-Aktien-Gesellshaft für See-, Fluß- und Landtransport pro 1880 entnehmen wir Folgendes: - Ein- rahmen: Schädenreserve aus 1879 674C0 Æ (aus 1878 44000 4), Prämienreserve aus 1879 36 658 M (aus 1878 13459 4), Prämien in 1880 431 421 A (in 1879 560656 ), Zinsen 13911 #

(14 773 M), zusammen 549389 # (632888 H). Ausgaben: Rückversicherungsprämie 67450 A (55663 X), Ristorni, Rückgaben , Strom-Rabatte, Agentur-Provision und Maller-

Courtagen 38258 - M (59 027 A), bezahlte Schäden 370715 M (491898 M), Stwadenreserve pro 1881 53000 M (67400 M), Prämienreserve pro 1881 18500 4 (36 658 #4), Verwaltungs- und Geschäft8unkosten 24 483 M (25 851 4), Abs@&reibung auf Utensilien 100‘ (100 A6), zusammen 572 506 A (736 596 M), Verlust des Geschäfts 23 116 46 Der Kapitalreservefonds, welcher am 1. Januar 1879 130186 M betrug und nách Abzug des Verlustes von 103 708 6 in 1879' 26 478 M, ift durch den Geschäftsverlust in 1880 auf 3361 # zurüdckgegangen.!

Die Landwirthscwaftlihe Feuerversicherungs- Genossenschaft im Königreiche Cachsen trat in das Jahr 1881 mit cinem Versicherungkbestande von 10014 Verträgen über 92 174275 M. mit Prämien, berechnet bis Ende Deze-mbec 1881 (reservefrei), von 128 620 4 und vollen Jahresprämien (rcserve- pflichtig) von 8987 4 Im Laufe des I, Quartals 1.881 traten hinzu 780 neue Verträge über 8044701 A mit einer Jahresprämie von 9015 6, so daß das I. Quartal I. J. abs{hloß mit 10794 Ver- trägen über 100218 976 M mit einer bis Ende Dezember 1881 be- rechneten reservefreien Prämie von 128 620 (A unv einer reserve- pflichtigen vollen Jahre8prämie von 18002 (& Der Gewinn- übershuß aus dem Jahre 1880 beträgt 26 770 4, über dessen Ver- wendung die bevorstehende Eezeralyersammlung zu beschlicßen haben wird.

Breslau, 4. April. (W. T. B) Wie der „Swblesischen Presse“ aus Beuthen gemeldet wird, ift die dortige Steinkohlen- arube „Florentine“ gestern Abend ia Brand gerathen. Ein Verlust von Menschenleben is nit zu beklagen, dagegen follen 150

Grubenpferde crsticit sein. Die Gebäude der Redenelick-Schächte sind vollständig auëgebrannt. Breslau, 5. April. (W. T. B) Die Dividende der

Rechten-Oder- Ufer-Bahn ist auf 7ú/12 % festgeseßt.

Verkehrs-Anstalten.

Triest, 4. April. (W. T. B.) Der Lloyddampfer „Sa- turno“ ist heute Morgen mit der ostindis-chinefishen Ueberlandpost aus Alexandrien hier eingetroffen,

Berlin, 5. April 1881.

Cöln, 5. April, 12 Uhr 30 Min. früh. (Tel.) Die englische Post vom 4. April früh, planmäßig in Verviers um 8 Uhr 21 Min. Abends, ist ausgeblieben. Grund: Sturm im Kanal.

Verviers, 5. April, 9 Uhr 25 Min. Vorm. (Tel.) Die englische Post vom 4. April Abends, planmäßig in Ver- viers um 8 Uhr 49 Min. Vormittags, ist ausgeblieben. Grund: Sturm im Kanal.

In der 25. zwanglosen Sizung des Vereins für deuts\ches Kanstgewerbe sprach der Direktor I. Lessing über die ornamen- talen Thiere und ihre Verwenduyg im Kunstgewerbe. Redner zeigte, wie die Bildcr der animalishen Welt in der Dekoration weit \{wieriger zu benußen sind als die der Pflanzenwelt; einfa die verkleincite Kopie eines beliebigen Thieres plastisch oder gemalt oder gestidt an Gegenftänden des Gebrauchs A MEEIIER, würde in den meisten Fällen widersinnig erscheinen, wofern nicht eine beson» ere Symbolik zu Grunde liegt. Das Richtige ist, sid bier ganz an die M der antiken Kunst zu halten, und nicht voll- tändige Thiergestalien, sondern nur einzelne Theile derselben ornamental zu verwenden, und zwar speziell Kopf und Beine. Klauen und Krallen benußte das Altertbum dur: weg zur Verzierung der Füße an Tischen, Stühlen und Dreisüßen, und zwar so, daß oberhalb des Knöchels der Fuß in ein Blatt- ornameut überging, welhes oft oben wieder in einen Kopf endigte. Thierköpfe verwendete man in der Antike zahlteid; der Löwenkopf dient: allgemein als Ausguß an Quellen und Wasserröhren; der Siierkopf als Ornament zunächst an den Gesimsen der Tempel und anderer Gebäude; in Folge des uralten Gebraucbes, nab fstatt- gehabtem Opfer die Köpfe der geschlacteten Rinder aufen am Tempel

zu befestigen, verzierte man leßteren mit steinernen Nacb- bildungen der Schädel. Aehnlih wurden Widderköpfe zuerst in natura, \spâôäter modellirt an den Eden der Al- târe befestigt. Als die ursprünglib zu Grunde liegende

Idee längst vergessen war, ornamentirte man au Becher und sonstige Geräthe in dieser Weise, Auch andere Thiere verstanden die Altèn für ihre Arbeiten zu verwerthen: die ringelnde Schlange für Armbänder und Ringe, den Schwanenhals für Löffel u, w, Alleiy zu einem wirkli dekorativen Ornament genügten die Vorbilder der Natur nicht; um animalische Motioe mit einem solchen organisch verbinden zu können, bedurfte man phantastisber Gebilde und erfand die Sphinx, den Greifen und ähnliche fäbelbafte Geshöpfe, welche sowobl in der antiken Ornamentik als in der der Renaissance eine so große Rolle spielen. Eine ausführliche Besprehuna hierüber be- bielt sih Redner für cine spätere Gelegenheit vor. Der Professor Burger batte den von ihm gemalten Hochzeitszug, welcher unlängst die Tribüne am Pariser Plaß \{mückte, aufgestelit und gab sowohl Erläuterungen über die Gntftehung und Bedeutung des prächtigen Gemäldes welches bekanntlih cine Hochzeitsfeier aus der Zeit der Quihßows darftellt als auc kulturhbistorishe Notizen über die betreffenden mittelalterlihen G:bräuche, Von dem Professor Dr, v. Weißenbah zu Wlirzburg war cin Theil seiner einjigartigen Sammlung von FJInitialen aus Manuskripten und Druck- werken des 14. bis 19, Jahrhunderts ausgestellt; die Herren Professor Burger nnd Baumeister Schäfer erklärten diese FeiOnungen und \scilderteu die Scbreibweise des Mittelalters. rsierer hatte außerdem eine große Anzahl fkunstvooller Juitialen, Vignetten, Buchtitel 2c., größtentheils eigene Kompositionen, aus- gestellt, 2 on Hrn. Bildhauer Kirhmair wurde ein im Geshmack des 15. Jahrhunde:ts xon ihm ausgefüyrtes #, g. Leochterweibchen gezeiat, wie solcbe neuerdings wieder zu großer Beliebtheit çelangen. Die Firma Sy & Wagner legte einen kostbaren Galadegen vor mit

ganz in Handarbeit hergestelltem Griff aus massivem Golde. Die uäcbste Sitzung des Vereins findet am Mittwoch, den 6. April,

Abends 8 Uhr, im Deutschen Vereiatkause, Wilhelmstr. 118, statt; *

in derselben wird der Direktor Grunov, über cingelegte Arbeit sprechen; auch sind eine Reihe von Vorlagen angemeldet. Gäste önnen eingeführt werden.

Von ‘der Kunsthandlung von Amsler und Rutkbardt Hierselbst wird am 26. April im Berliner Kunstauktion€hause mt der forg- fältig vorbereiteten, in den Kreisen von Sammlern und Liebhabern seit längerer Zeit {on mit Spannung erwarteten Versteigerung der kostbaren Kupferstiwsammlung des verstorbenen Fürsten Alexander Lobanow Rostowsky begonnen werden. Der genann- ten Firma, der es gelang, die werthvolle Sammlung, die unter sämmtlichen im Privatbesiß befindliben eine hervorragende und in maner Hinsicht einzige Stelle einnimmt, dem deutschen Kunst- markte zuzuführen, ist zuzleich auch der musterhaft gearbeitete, mit zwei Facsimiledrucken nah dem erften und dritten Zustande von Rembrandts „barmherzigen Samariter“ gezierte Katalog zu denken, der durÞd manche seiner eingehenden Angaben einen dauernden Werth für die Kupferstihkunde cewinnt Die Sammlurg, die, ab- gesehen von den zugehörigen Handbücbern 2c. 783 Nummern umfaßt, imponirt nicht durch die Quantität des Dargevotenen, desto mehr aber dadur, daß sie nur Arbeiten der größten Scbönbeit und Seltenheit enthält, und zwar in Bezug auf “den rein kürstlerischen Werth sowohl wie in Bezug auf die tadellose Erhaltung der Blätter. Jn ihrer ersten Abtheilung umfaßt sie Kupferstiche, Radirungen und Hol;schnitte vom 15. bis zum 18, Jahrhundert. Hier sind es unter den Deutschen vor allem Martin Schongauer und Dürer sowie die Kleinmeister und unter den leßteren wieder in erster Linie H, S. Beham, die das Beste ihrer Schöpfungen beisteuern. So ist Dürer allein mit 40 Nummern vertreten, unter denen sich von den Stichen fast {ämmtliche Hauptblätter in erlejensten Abdrücken und von den Holzschnitten so seltene Stücke wie der „Pestkranke“ mit vollem Text vorfinden. Unter den Niederländern ragt sodann Rembrandt mit 68 Nummern hervor, unter denen neben Seltenßeiten, wie se feit Dezennien auf dem Kunstmarkt nicht vorgekommen sind, die be- rühmtesten Kapitalblätter des Meisters, dabei arch ein prachtvoller Abdruck des Hundertguldenblat!s, Beachtung fordern. An seine Schüler Bol und Livens reihen si weiterhin die Bega, Du- jardin, Ostade, Berghem, Potter, Everdingen, Ruis- dael, Waterloo 2c. mit zum Theil ganzen Folgen der vorzüglichsten ersten Drudcke an, während unter den Stechern der niederländischen Schule Lueas van Leyden die Reih? eröffnet und Dirk van Staren, Golypius, Pontius, Cornelis de Visscher und A. van Dyck, sowie des leßteren Iconographie sib mit mehrfach nahezu einzig dastehenden Drucken an ihn anscbließer. Marcantonio Raimondi mit einem der kostbarsten Abdrüde des „Kindermords“ jowie Man- tegna und Jacopo Francia vertreten ferner den älteren italieni- schen, Bervic, Drevet, Massard, Wille und Strauge den französisben und englischen Kupsferstih. Ausschließlich der Grab- stichelkunst ist die zweite Abtheilung der Sammlung gewidmet, die aus Stichen vom Ende des 18. Jahrhunderis bis auf unsere Tage besteht. Sie enthält in etwa 160 Nummern, die der Mehrzahl nah Reproduktionen von Schöpfungen der klassischen italienischen, zum Theil aber auch der sparis{cen und der niederländischen Malerei sind das Vorzüglichste, was der neuere Kupferstich erzeugt hat. Müllers „Sixtina“ im erstzea Abdruck, Raphael Morghens ,„ Transfizuration"“ und „Abend- mahl“, Longhis „Sposalizio*, Rihomme's „Thetis und Gala- thea“, die Stanzen Raffaels von V olpato, die besten Arbeitin von Anderloni, Garavaglia, Desnoyers, Lefèvre, Steinla, Mandel, Keller, Felsing u. A. in ausgesucten Remark- und Künstlerdrucken bilden bier eine unvergleihlihe Ver- einigung der gescäßtesten und seltesten Blätter. Ein ni{t blos künstlerishes, sondern zuglei aub ges{hicht!ides Juteresse ge- währt endlih noch eine feine Serie russisher Porträts 2c., wie sie D auf dem deutschen Kunslmarkte ebenfalls zu den Seltenheiten gehören.

Göttingen, 31. März. In der am 7. d. M. stattgefundenen Sitzung der Gesellschaft für Kirchenrechtswissenscha\t bieit Professor Dr. R. Pauli einen Vortrag über die kirhenpolitisce Wirkjamkeit des Johannes Sarebsberiensis8, des Freundes Thomas Beckets und des Genossen seiner Kämpfe gegen das englische Königthum, des von Haß çejen die Deutschen erfüllten G2gners des Bar®barossa, des klaïsisch gebildeten Vo1kämpfers der politishen Ideen der geistlih2zn Universalmonar{k im Zeitalter Alexanders 111, Consistorialrath Professor Dr. Ritscl behandelte den Gegensaß von Kiche und Sekte mit he- sonderer Beziehung avf die geschictUlice Entwidckelurg tes Protestan- tiémus. Von eingegangenen Abhandlungen lagen U. A. vor: eine Arbeit det Gelbeimen Justiz-Raths Professors Dr. F. von Schulte in Bonn über die bisber einigermaßen durkeln, nurmehbr aber urkundlich aufgehell- ten Leben8umstände des Magister Johannes Teutonicus (des Dom- herrn, später Dompropstes Iohann Zemeke zu Halberstadt), der in Bologna (lange vor Accursius) die Glossen zum Decret Gratians und zur Compilatio 1V, verfayt hat; ferner eine Abhandlung von Professor Dr, F. Thaner in Innsbruck über venetianisbe Ehe- \chließungen im 15, Jahrhundert, welche den urklundlihen Nachweis führt, daß damals bereits Civilehen vor dem Dogen in Venedig ge- \&lossen wurden und darthut, daß das „Zusammensprehen“ in den Trauritualen nit an die altdeutshe vormundschaftlih: Trauung (wie Sohm behauptet batte), sor. dern vielmehr an die nach dem Untergang der Trauung durch den Mundwalt— von den Färsprechern tei den Laientrauungen gehaltenen Ansprachen anknlipft, Die Abhand- lungen von Pauli, v. Schulte und Thanec werden (wie auch die in der 1, Sißurg vorgelegle des Geheimen Justiz-Ratlhs Mtcjer über resor- matoriscbes Ehbereck&t) im 16. Bande des Organs d.r Gesellschaft, der Zeitschrift für Kirchenrecht veröffeniliht, welbe vom genannten Bande ab als Neue Folge (Band I., dessen erstes Hcft soeben auët- gegeben wird) im Verlage der I. C. B. Mohren Buchhandlung (P. Siebeck) in Freiburg i. B. erscheint. Zum Schluß sei crwährt, daß der Vorsißende, Geheime Justiz-Rath Professor Dr, Dove u. A. Screiben an die Gesellscaft mittheilte, nah welchen der vormalige Präsident! des evangelishen Ober-Kirben-Raths Dr. E. Herrmann in Heidelberg, Stiftspropst Dr. J. von Döllinger in Mün-y, G. Waiß in Berlin, Kanzler Wassershleben in Gießen und audcre Gelehrte die auswärtize Mitgliedschaft der Gesellswaft angenonunen haben. Zablreicbe eingegangene literarishe Gestenke (Nr. 55—137) lagen in der Sitzung vor.

Frankfurt a. M. Die erste Nummer der „Aunéstellungs- Zeitung", w:lhe während der Dauer der Allgemeinen deutschen Patent- und Mustershut-Ausstellung heraut- aegeben wird, ift soeben erschienen, Dieselbe ist von dem Ingenieur dg Graf redigirt und bringt auf 10 Seiten einea reihen Inhalt.

er Leitartikel, wenn man L sagen darf, enthält cine Darlegung des angestrebten Zweckes des Unternebmens, während in einem zweiten Artikel cine übersichtlidbe Beschreibung der hauptiächlibsten Aus- stellungsbauten Pla gefonden hat. Ein beigegebener Situations- plan dient diesem zur besseren Erlärterung. Un dritfer Stelle werden „die Erfindungspatente, ibr Werih und ihre Verwerthung" von sa fundiger Feder behandelt. Den Scluß bilden kleinere Mittheilungen gemischten Inhalts. Die ¡rocite Nummer der Zeitung wird n vor Ostern erscheinen, während vom 1. Mai ab wöchentlih zwci Num- mern vorgeschen sind, Der Atornementétpreis beträgt sür die ganze Dauer des Erscheinens, also für etwa 46 Nummern, 7 K 50 A.

Redacteur: Riedel,

Berlag der Expedition (Kessel). Druck!: W. Glsöner

Vier Beilagen (cias{ließliy Börsen-Beilaae).

Geri!nz:

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

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B S R E ———— a C S L E U S E E E S E F E S E F E GA E A S E E T E

Berlin, Dienstag, den 5. April

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» 7 f : E Ê e Ta E EIE: A E S E R Me -

§

Nichtamllices.

Sreußen. Berlin, 5. Apul. Jn der gestrigen (29.) Sißung des Neichsiages, welher der Reichskanzler Fürst von Bismarck mit mchreren Bevollmächtigten zum Bundesrath und Kommissarien desselben beiwohn!e, wurde die erße Beraihung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend

Die Unfallversicherung der Arbeiter, fortgesezt. Der

Bundeskommissar Geheime Ober-Regierungs-Rath Lohmann bemerkte, als Aufgabe der Geseßgebung in der vorliegenden Materie sei in den Motiven bezeichnet die Sicherung der Arbeiter gegen die wirthschastlihen Folgen der Unfälle ohne Schädigung der Juteressen der Fndustrie und ohne nactheili- gen Einfluß auf das Verkbältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeiter. Mit diesem Ziele hätten sih bisher die Redner einverstanden erklärt, aber der vorgeshlagene Weg werde nur von Wenigen als der rithtige anerkannt. Ein Theil wolle eine kurze Strecke mitgehen, aber nachher wichen fie ab. Nah der Ausfassung der verbün- deten Regierungen sei das System der Vorlage aber gegenüber den bisherigen Einwendungen das richtige. Am abfälligsten über den Weg hätten sih die Abgg. Dr. Bam- berger und Richter ausgesprochen. Der 40g, Dr, Bamberger habe gesagt, der Entwurf habe so sehr die falshe Nitung eingeschlagen, daß es nicht schwer fei, die rihtige Nichtung zu erkennen, als welche derselbe mit dem Abg. Richter die Erweiterung und Verschärfung des Hastpflichtgeseßes bezeichnet habe. Den Motiven werse der Abg. Bamberger zu Unrecht vor, daß sie kurzweg den praktishen Erfolg des ebengenannten Gesetzes glei Null seßten. Sehr gründlich im Gegentheil besprähen die Motive die Wirksamkeit des Gesehes und am Schlusse ihrer Erörterung werde das Resultat gezogen, daß der §. 2 des Gescßes vom 7, Juni 1871 der Ubsicht, den Arbeiter gegen die wirthschaftlichen Folgen der im Vetriebe drohenden Gefahren sicher zu stellen, nux unvollkommen entspreche, da

unter Umständen der Arbeitgeber übermäßig belastet werde, und daß das Verhältniß zwischen Arbeigebern und Arbeitern niht gebessert sei, sondern den entgegen-

geseßten Erfolg gehabt habe, und daß im Ganzen eine Situa- tion vorliege, deren Beseitigung die Jnteressen beider Klassen als wünschenswerth erscheinen ließen. Dagegen berufe sich der Abg. Bamberger auf die Mittheilungen in den Petitionen der Unfallversicherungsgesell schaften, die derselbe als die Nächsi- betheiligten bezeihnet habe. Das seien fie in der That in dem Sinne, daß sie für ihre Geschäfte von dem Erlasse dieses Gesetzes die allerbedenklihsten Folgen fürchteten. Diese Mit- theilungen aber beruhten keineswegs auf Dokumenten; es seien einfache Zahlenangaben, die sih nit kontroliren ließen. Dennoch wolle er sie einer Prüfung unterziehen. Die Zahl der Versicherungen nur gegen Haftpflicht solle sih auf 8680 Policen mit 403 424 Arbeitern belaufen, die der Versicherun- gen gegen Haftpflicht und gegen alle Unfälle auf 19 471 mit 458 437 Arbeitern. Das sähen die Petenten als eine außer-

ordentlich hohe Leistung an und behaupteten, daß sih daraus ergebe, daß zwei Drittel aller Unternehmer dur sie veranlaßt seien, ihre Arbeiter weit über

ihre Verpflihtung hinaus zu versihern. Das kElinge so, als ob jene 8600 sämmtlihe Arbeitgeber und jene 458 000 Arbeiter 2/3 der Gesammtzahl ausmachten. Jndessen handele es sih hierbei nur um diejenigen Unternehmer, die überhaupt mit den Gesellschaften in Beziehung getreten seien. Was be- deufteten aber diese 458 000 gegenüber der Gesammtzahl derer, welche überhaupt unter das Geseß fielen? Nach der Gewerbe- statislik von 1875 könne man die Bay der Arbeiter in Be- trieben mit mehr als fünf Arbeitern auf ca. 2 100 000 schäßen ; außerdem falle unter das Geseh die Zahl der Arbeiter in Be- trieben unter fünf Gehülfen ; gering angeshlagen im Ganzen 2 500000. Von dieser Zahl betrage die Zahl der gegen alle Unfälle Versicherten kaum ein Fünstel, die der gegen Hast- pflicht Versicherten kaum ein Drittel. Nach dem Berichte eines Fabrikinspektors seien von der Gesammtzahl von 170 000 Ar- beitern in Westfalen nur 10 000 versichert gewesen und dabei seien die Summen, zu welchen die Leute gegen alle Unfälle ver- sichert seien, in der Regel so klein, daß sie mit der Vorlage gar nicht verglichen werden könnten. Auch bezüglich der Pro- zesse stehe es nah den Petitionen nicht fo {limm; 138 323 Anmeldungen seien im Laufe der Zeit erfolgt, und nur 1962, also 1—2 Proz. hätten zu Prozessen geführt. Aus diesen Daten habe der Abg. Richter gegen die Motive den Vorwurf der Unwahr- gee geschleudert, weil sie von der Häufigkeit der Prozesse sprächen. tun fehle aber in der Zahl der Anmeldungen die Scheidung in Hastpflichtige und auf andere Unsälle Bezug habende. Die Zahl der ersteren sei gegenüber der Gesammtzahl sehr gering. Aus einer Arbeit des Gewerberaths in Aachen entnehme er, daß von 155 im Jahre 1878 bei der Regierung angemeldeten Unfällen nur 14, also 9 Proz. so lägen, daß das Hasftpflicht- geseß überhaupt in Betracht komme; da aber nur bei s{chweren Unfällen eine Geltendmahung der Haftpflicht einzutreten pflege, so blieben nur 8 Fälle oder 5 Proz, Es handele sich also rund gerehnet um 10 oder 5 Proz. aller Unfälle, dem- nach betrage ebenfalls die Zahl der Prozesse niht 1—2, son- dern 15—30 Proz. Daß übrigens die Motive mit ihrer Auf- fassung nicht allein ständen, bewiesen die jahrelangen Klagen der Unternehmer, die das Hasftpflichtgesey als einen Krebs- schaden bezeichneten sür das gute Verhältniß zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Endlich könne er auf das Zeugniß zweier Männer Bezug R die der Geschäfte der Unfallversicherungs- gesellshasten kundig seien. Das erste rühre von dem Direktor einer solhen Gesellschaft her, die sich bei der Petition aller- dings nicht betheiligt habe ; derselbe sage in einem gedrudckten Srposé (welches der Redner verlas), daß durch das Hasft- pflichtgesep am Wenigsten eine allgemeine Versorgung der verleßten Arbeiter, dafür aber eine troßdem immer wachsende Belastung der Arbeitgeber eingeführt würde; durch den neuen Gesezentwurf werde zur Freude aller Betheiligten den Ar- beiterprozessen ein Ende bereitet werden. Die zweite Aeußerung stamme von einem Subdirektor einer ähnlihen Gesellschast :

Die Arbeitgeber ärgerten und wunderten sih darüber, daß fo viel, die Arbeiterführer und Arbeiter ärgerten und wun- derten sich darüber, daß so wenig Prozesse anhängig gemacht

würden“ die Verurtheilten begriffen meistens das Urtheil nit, die Arbeiter verständen niemals, weshalb sie ihre Pro- zesse verloren hätten, und das Publikum könne nicht begreifen, warum so viele Verunglückte nichts bekommen hätten. Dem Juristen fei kaum eine Materie widerwärtiger, als die Haftpflichtklage; den Gesellschaften sei der Prozeß einfah ein Gräuel, Nah dieser Sachlage hätten die Regierungen wohl genügenden Grund, das alte System u verlassen und eine mit weniger üblen Folgen be- gleitete Regelung zu versuchen. Durch Ausdehnung des Haft- pflichtgeseßes auf alle Unfälle könnten die Streitigkeiten ge- mindert, aber nicht beseitigt werden, weil bei den meisten Un- fällen eine Konkurrenz von Ursachen statthabe. Nach der Arbeit des oben zitirten Gewerberaths in Aachen seien von jenen 155 Unfällen 64 gewesen, wo die absolute Hastbarkeit nicht festgestanden habe, während 46 Fälle den Arbeitern durch eigenes Verschulden, aus Leichtsinn, Trunkenheit u. \#. w. zur Last gefallen seien. Durch Ausdehnung der Haftpflicht auch auf die leßteren Unfälle, wo Zufall und Selbstvershuldung des Arbeiters vorlägen, würde aber das NRechtsgefühl verleßt werden. Selbst deri Abg. Lasker habe anerkannt, daß für diese nur dur eine Versicherung unter Heranziehung des Arbeiters Abhülfe geschafft werden könne. Nach den bisherigen Erfahrungen reiche die Furcht vor den Folgen der Haftpflicht keineswegs aus, die Arbeitgeber zur Versicherung zu veran- [assen ; die sehr aroße Mehrzahl und gerade die am wenigsten leistungsfähigen ließen es darauf ankommen. Häufig fien sie dann insolvent und dann sei der Anspruch des Arbeiters nur noch eine Jllusfion. Das Ergebniß dieser Betrachtungen sei nah seiner Ueberzeugung dieses: die Sicherung der Arbeiter sei nur durch Adoptirung des Versicherungszwanges erreihbar. Einige Redner wollten ja auch leßteren, perhorres- zirten aber die Neichs-Versicherungsanstalt. Der Abg. Bam- berger verneine seinerseits prinzipiell den Zwang darum, weil in ihm ein gewisses compelle für eine Neichsanstalt liege. Der Abg. Lasker sei anderer Meinung und berufe sich dabei auf die Jmmobiliar-Feuerversiherung, wo Zwang ohne Staatsanstalt {hon jeßt bestehe. Aber sobald einmal der Zwang eingeführt sei, müsse auch jeder Einzelne Gelegenheit zur Versicherung haben. Wie wolle man das ohne öffentliche Anftalten machen? Könne man die Privatgesellschasten zwingen, jede Versicherung anzunehmen, ihnen die Bedingungen für dieselbe vorshreiben? Nun wolle man auf anderen Seiten zwar eine Reichsversicherungs-Anstalt, aber daneben auh die privaten beibehalten. Nun müßten doch aber für den Fall des Zwanges die Versicherten auch un- bedingte Sicherheit haben. Sie zu finden halte der Abg. Dechel- häuser für möglich auf dem Wege der Geseßgebung, indem den Privatgesell- und} Genossenschaften Normativbesti mmun- gen für ihre, noch dazu mwiderrufliche Zulassung zum Ver- sicherungsbetriebe gegeben werden sollten. Damit aber würde den Gesellschaften und dem Staate Undur{hsührbares zuge- muthet, namentlih, wenn jenes Syftem dex Kontrole einge- rihtet werden solle, welhes der Abg. Richter ebenso als einen Nattenkönig bezeichnet habe, wie der Abg. Dechelhäuser die Reichs-Versicherungsanstalt als einen solchen bezeichnet habe. Bei der Freiheit, ob Privat:-, ob NReichs-Versicherungsanslalt könne der Zwang nicht dur(hgeführt werden, was auch das

gewiß unverdähtige Zeugniß jenes Subdirektors be- weise. Die gegen den Entwurf im Einzelnen ge- machten Ausstellungen kämen besser in der Kommission

zur Erledigung; nur einige müsse er vorwegnehmen. Was nun den Vorwurf der Abgg. Bamberger und Dechel- häuser anbetreffe, daß die Regelung (8. 6 der Vorlage) der Höhe der Prämien der Gefahrenklassen und der Versicherungs- bedingungen dem Bundesrath überlassen werde, so sei es ihm überrashend gewesen, daß gerade von zwei der Herren, die auf diesem Gebiete vielleicht besonders sahkundig seien, derselbe erhoben worden sci. Solche Bestimmungen finde man nirgends in dem Statute irgend einer Versicherungsgesellschaft und zwar deswegen nicht, weil die Eintheilung der Gefahren und die Feststellung der Prämiensäße eine ganz aus\schließlich technische

peration sei und dieselbe unter allen Umständen eine bcweg- lihe sein und bleiben müsse. Diejenige Stelle aber, welche mit dieser rein tehnishen Operation betraut werde, habe ma- teriell mit der Sache weiter nichts zu thun, als daß tüchtige und zuverlässige Sachverständige ausgewählt würden und daß ihnen die Möglichkeit gegeben werde, sih ausreicen- des und zuverlässiges statistishes Material zu verschaffen. Das aber scheine ihm niht Aufgabe für den geseßgebenden Körper zu sein, sondern für die Verwaltung, Würden aber dem Reichstag die Arbeiten der Sachverständigen vorgelegt worden sein, so hätte derselbe cin Gutachten neuer Sachverständigen wegen Prüfung der Richtigkeit jener Arbeiten zu erfordern gehabt und bei etwaigen Differenzen in den beiden Urtheilen würde die Sache wieder so zweifelhaft sein wie vorher. Die Probe auf die Nichtigkeit derartiger Fesistellungen könne immer nur dur die Praxis gemacht werden. Aber au die Klassen- eintheilung sci nach Grundsäßen zu machen niht mögli, da dieselbe stets das Ergebniß einer genauen Vergleichung einer großen Menge von thatsächlihen Verhältnissen sci. Man könnte höchstens Grundsäße sür eine bestimmte Vertheilung aufstellen, von der Fesistellung einer Maximalprämienhöhe könne aber über- haupt nicht die Rede sein, zumal zweifelhaft sei, was darunter verstanden werde, ob es sich um eine solche für jede Gefahr- klasse oder um eine absolute Maximalhöhe handele, über die kein Betrieb hinausgehen dürfe, in welhem Falle die Vorlage au nur einen Werth für die allergefährlichsten Betriebe haben würde. Wenn aber bezlüglich der Versicherungsbedingungen auf eine parteiische Behandlung hingewiesen sei, so wisse er nicht, ab- gesehen davon, die Regierungen sür so gewissenlos zu halten, wie dieselben das machen sollten. Denn diese Bedingungen würden nicht individuell, sondern allgemein nah Klasjen ge- stellt, und bei dem Umfang der Verwaltung, bei den Millio: nen von Arbeitern möchte es auch {wer mögli sein, den Einen \{lechter als den Andern zu behandeln. Was dann die Annahme betreffe, daß in diesen Bedingungen die Sicherheitseinrihtungen festgestellt würden, die jede einzelne Klasse von Unternehmungen zur Abwehr der Unfallsgefahr zu treffen hätte, und daß dadurch vielleicht der

Betrieb aufs Aeußerste erschwert würde, so habe man in der Geseßgebung schon jeßt eine Bestimmung über die Art und Weise, wie die Sicherheitsvorrihtungen in gewerblihen An- lagen bestimmt würden. Der §8. 120, Abs. 3 der Gewerbe- ordnung schreibe vok, daß der Bundesrath solche Bestimmungen treffen könne, von welcher Befugniß derselbe iedoh noch keinen Gebrauch gemacht habe und die hervorgehobene Befürchtung sei daber wohl nicht zu erwarten. Das gebe er zu, daß die Reichsanstalt nicht so individualisiren könne, wie Vrivatanstal- ten. Das liege einfah in dem Charakter der Zwangsversiche- rung. Sie könne deshalb auch im Einzelnen nicht so wie die Privatanstalten darauf hinwirken, daß die Betriebe zur Ver- Dung der Unfallsgefahr verbessert würden. Wohl aber önne sie diesen Zweck erreichen durch Bearbeitung und Ver- öffentlihung des reichen ihr zufließenden Materials und dur den Erlaß von Schußvorschriften. Aber auch für eine Geltend- machung individueller Thätigkeit biete der Entwurf einen Weg, indem derselbe dur §. 56 es möglich mache, daß sich in dem Rahmen der Neichsversicherungsanstalt Genossenschaften bilde- ten. Wenn auch die Befugnisse und Funktionen dieser Ge- nossenschasten zunächst sich darauf beschränken müßten, der Reichsanstalt statt der Prämien die De&Eungskapitalien aus- zuzahlen, so hätten sie doch dur das Jnteresse, diese Deckungs- fapitalien möglihst herunterzudrücen, ein Kompelle, die Zahl der Unfälle möglichst zu vermindern. Sie würden in dieser Richtung besonders dadurch wirken können, daß fie allen folhen Unternchmungen den Zutritt zu ihrem Verbande verweigerten, welche einen bestimmten Grad der Betriebssicherheit ihrer Anlagen noch nicht erreicht hätten. Auch werde man später die Befugnisse dieser Genossenschaften erweitern können und ihnen, wenn auch die Arbeiter in ihrer Verwaltung eine Ver- tretung fänden, die Befugniß geben dürfen, selbst Vorschriften

“über das Verhalten der Arbeiter zur Verhütung von Un-

fällen zu erlassen und die Uebertretung dieser Vorschristen mit Strafe zu bclegen. Vielleiht könne man ihnen in Zu- kunft auch die Schadensregulirungen und die direkten Atus- zahlungen der Entschädigungen, sofern es sich nicht um fort- dauernde Rente handle, überlassen, bis man auf diesem Wege zu dem erwünschten Ziele gelangt sei, daß das Unfallversiche- rungswesen überhaupt mehr in die Bahn des Genossenschasts- wesens übergeleitet werde. Dies Ziel lasse sih nicht auf den ersten Wurf erreichen, es bedürfe dazu zunächst einer sicheren Grundlage und eines leiht zu verfolgenden Weges. Und in diesem Sinne empfehle er dem Hause die Vorlage.

Der Präsident theilte mit, daß vom Abg. Stumm der Antrag eingebracht sei, die Vorlage einer Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen.

Der Abg. Dr. Gneist \prach sich für die Vorlage vom Standpunkte der deutschen Vereinsthätigkeit aus, die sih nictt überall mit den politishen Standpunïten dede, aber um die wohlwollende Beahtung des Hauses bitte. Zur Abwehr des Vorwurfs eines Staatssozialismus dürfe er vor Allem daran erinneecn, daß eine Unfallversiherung für ganz Deutschland bereits bestehe. Anders als in Frankreih gewährleiste das Deutsche Reich hon heute dem Arbeiter und seiner Familie den nothwendigen Unterhalt in jedem Falle der Tödtung, Verstümmelung oder Arbeitsunfähigkeit. Die deutsche Neichs- und Landesgeseÿzgebung habe seit 4 Jahrhunderten diese Staatspflicht als Armenlast auf zie Gemeinden vertheilt und dem höheren Verband nur ein ergänzendes Eintreten vorde- halten. Die öffentliche Unterstüßung gewähre auch nur das Nothdürstige. Nichtsdestoweniger bleibe es wahr, daß der Staat eine allgemeine Unfallversicherung bereits übernommen habe und daß derselbe damit eine allgemein menschliche Pflictt dex Gesammtheit erfülle, die man nicht durh neue Theorien vom sog. Rechtsstaat in Frage stellen sollte. Es handele sich jezt nur darum, die {on bestehende öffentlihe Pflicht um das drei- oder vierfache zu erhöhen, das Almosen in eine Lebens- versorgung zu verwandeln, das dazu erforderliche Mehr aber von den Kreisen der Jndustrie aufbringen zu lassen, denen es zu gut komme. Es habe das wenig gemein mit den sozia- listishen Utopien. Es falle nun dabei die Beschränkung auf eine begrenzte Klasse der Arbeiter auf. Nach den früheren Bestimmungen habe man den verunglückten Maurer, Berg- mann, Fabrikarbeiter und Ackerknecht auf gleiche Weise behan- delt. Die seit einem Menschenalter auh in Deutschland ins Leben getretene Jndustrie, so weit sie die Massenerzeugung der Güter durch mechanishe Arbeit berühre, begründe nothwendig einige Unterschiede. Jeder durch die Jndustrie hervorgerufene Unfall erzeuge vor allen Dingen das un- heimlihe Gesühl des Unterliegens des Menschen unter elemen- tarer Macht. Hekatomben an Menschenopfern würden, o scheine es, gebracht J Gunsten weniger Reicher, die der Ar- beiter als die Glüdliheren zu betraten pflege. Nun ver- lange man allgemeine Altersversorgung der Arbeiter; dem könne er nit so unbedingt beistimmen, denn das führe zu nichts. Es gäbe keine gesährlihere Art, die sozialistischen Lehren zu fördern, als wenn man die allgemeiner Gleichheit und von der Gleichheit Aller vor dem Geseß dazu benuye. Acklerbau, Gewerbe, sie könnten nicht alle daßelbe thun für ihre Arbeiter, man könne ihnen nicht dasselbe zumuthen. Die Neichsgeseßzgebung sei einen Schritt weiter gegangen ; das Neichsgeseß gehe zuerst heraus aus den Kreisen der Zndustrie: die Unfälle, die bei den Eisenbahnen vorkämen , und die Ver- sorgung der im aktiven Dienst verunglückten Beamten. Die Gesetzgebung gehe noch einen gewaltigen Schritt weiter auf dem Wege des Privatrechts, den Arbeitgeber hast- bar zu machen für alle Unfälle, die bei ihm vorkâmen, An dieses Geseh habe sih sofort eine gesunde Thätigkeit der Privat-Versicherungsgesellshaften angereiht, eine Privatver= sicherung, die sich auf sämmtliche Unfälle ausdehne. Diese Thâtigkeit sei eine sehr dankenswerthe, und es wäre gut, wenn man weiter könnte auf dem Wege des Privatrechts; aber es stellten sich dem unüberwindliche Hinderuisse entgegen. Diese Hindernisse seien folgende: die Unmöglichkeit, die privat- rechtlihe Hastung auf völlig unvershuldete Fälle auszudehnen. Die wirklich einseitige Suld des Arbeitgebers finde man nur in den allerseltensten Fallen; sie könne vielleiht Ein Zehutel betragen oder kaum noch so viel. Diese Minorität werde glüdlicherweise von Jahr zu Jahr no kleiner werden. Man