1902 / 268 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 13 Nov 1902 18:00:01 GMT) scan diff

an eme

T E S E A R Q P EN P AANER

v R i 9

oa

woriiri-- M O ONRA «5/28

5

E E E E E E E U

Abg. Dr. Spahn: Die Petitionen stehen niht auf der Tages- ordnung. Wir sind immer in derselben Weise verfahren. Aufgabe eines Referenten ift es nicht, uns mitzutheilen, wer petitioniert Fat, soren nur festzustellen, was die Petitionen an sahlihem Material enthalten.

e: Gothein: Es werden nicht Referenten über den sah- lichen Theil der Petitionen bestellt, sondern überhaupt über die Petitionen. In der Kommission wird auch über jeden einzelnen Fall berihtet. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß der Berichterstatter bei den Verhandlungen auf den Inhalt der Petitionen eingeht. Herr

aasche hat bei der Zuckersteuer als Referent sehr eingehend eine

etition der Chokoladefabrikanten fritifiert. Bei einem fo kolossalen

eseßentwurf mit fo verschiedenen Materien ist es ganz unmöglich, eine sahliche Behandlung der Petitionen vorzunehmen, wenn es nicht bei dem betreffenden Paragraphen geschieht ; son wird das Petitionsreht thatsächlih illuforisch gemaht. Im allgemeinen meint man sonst, daß die Petitionen mit dem betreffenden Theil einer Vorlage zusammen auf der Tagesordnung stehen, aber da der Berichterstatter augen- \cheinlich nicht über den Inhalt der einzelnen Petitionen informiert ist, bin ih damit einverstanden, daß erst morgen mit der Berichterstattung über die Petitionen begonnen wird.

Abg. Fischbeck bezeichnet es als einen Irrthum des Abg. Gamp, daß die Petitionen sih nur gegen die früheren Vorschläge in der Kommission richteten und nicht gegen die jeßigen Kommissionsbes{lüsse. Eine ganze Reihe von Handelskammern habe nach Abs{chluß der Konimissionbbergibuigtn Petitionen eingereiht, die um Ablehnung der Kommissionsbeschlüsse über Absatz 2 bitten.

Abg. Broemel: Herr Gamp hat sih in seinem blinden Eifer verhauen, der Berichterstatter is weit über den Rahmen eines Be- rihts hinausgegangen. Daß auch über die neuen Petitionen referiert wird, habe ih auf Grund des Antrages Gothein verlangt, der sich nicht nur auf die früheren, sondern auh auf die neu eingangenen Petitionen

. bezieht. Ein Widerspruch E also bei mir nicht vor; man könnte

den -Herren (nach rechts) zurufen: Du befindest Dich im Unrecht, und darum wirst Du grob!

s Bebel (Soz.): Die Komn hat 110 Sigzungen abgehalten, und deshalb foll nun eine gründlihe Berathung niht nothwendig sein? Kommissionen werden nicht gewählt, um Berathungen abzukürzen, sondern um sie gründlich zu machen. Die Kommissions- berathung {ließt nicht aus, daß mit derselben oder womöglih mit noch größerer Gründlichkeit die zweite Lesung im Plenum vor- genommen wird. Die „Umsturzvorlage“ 1897 haben gerade die Herren vom Zentrum in zweiter Berathung aufs gründlichste berathen. Wir haben das Recht, zu fordern, daß gründlih berathen wird, und wir Éônnen auch verlangen, daß bei jedem Punkt über die Gründe der Petenten berihtet wird Als Herr von Wangenheim in der Kom- mission zuerst über die Petitionen berichtete, wobei ihm das Unglück passierte, daß er die Petition mit 3} Millionen Unterschriften

egen die Vorlage gänzlich vergaß, wurde verlangt, daß er die

ründe der Petenten mittheile. Db fie berücksichtigt werden können, ist Sache des Hauses, aber wenigstens müssen sie dem Hause mit- getheilt werden.

Jn der Abstimmung werden sämmtlihe Abänderunge- anträge abgelehnt. Aa 2 wird mit 192 gegen 71 Stimmen aufrecht erhalten. Der Paragraph bleibt unverändert.

Der S 9 trifft in 6 Nummern Bestimmungen über die Einfuhrscheine und Transitlager.

Nr. 1 lautet:

„Bei der Ausfuhr von Roggen, Weizen, Spelz, Gerste, Hafer, Buchweizen, Hülsenfrüchten, Raps, Nübsen, Sämereien und Saaten aus dem freien Verkehr des Zollgebiets werden, wenn die ausgeführte Menge wenigstens 5 dz beträgt, auf Antrag des Waarenführers Bescheinigungen (Einfuhrscheine) ertheilt, die den Inhaber be- rehtigen, innerhalb einer vom Bundesrath auf längstens 6 Monate zu bemessenden Frist eine dem Zolwerthe der Einfuhrscheine entsprehende Menge einer der vorgenannten Waaren ohne Zoll- entrihtung einzuführen. Abfertigungen zur Ausfuhr mit dem An- spruch auf Ertheilung von Einfuhrscheinen, finden nur bei den von den obersten Landesfinanzbehörden zu bestimmenden Zollstellen statt.“

Die weiteren Nummern treffen nähere Bestimmungen hinsichtlich der reinen (für Waaren, die aus\chließlich nah dem ROONO bestimmt sind) und der gemischten Transitlager (für Waaren, die theils in das Zollausland, theils in das Zollgebiet abgeseßt werden können). Die gemischten Transit- lager können nah der Vorlage nur bewilligt werden, „sofern indie ein dringendes Bedürfniß anzuerkennen ist“.

Die Abgg. Albrecht und Genossen (Soz.) wollen diesen leßteren Vorbehalt gestrichen, eventuell wenigstens das Wort „dringendes“ beseitigt wissen.

Der Abg. Herold (Zentr.) beantragt, von den auf- geführten Waaten die „Sämereien und Saaten“ zu streichen : der Abg. Broemel will im Falle der Annahme dieses An- trages für „zollpflihtiae Sämereien“ die Zulässigkeit der Be willigung von Tranfitlagern ohne amtlichen Mitvershluß aus gesprochen haben.

Von den Abgg. Freiherr von Wangenheim - Pyriß (d. fon}.) und Genossen ist beantragt, in Nummer 1 erstens die Worte „innerhalb einer vom Bundesrath auf

längstens 6 Monate zu bemessenden Frist“ zu streichen : ferner !

sollen auch für die „zur Verschiffung über See nah dem Zoll inlande“ bestimmten Waaren nur reine Transitlager zugelassen sein und die Bestimmung über die gemischten Transitlager ganz beseitigt werden

Abg. Bassermann (nl.): Der § 9 behandelt die Frage der

Transitlager. In der Kommission sind die Gründe für und gegen die gemiî{hten Transitlager, namentlih mit Nücksckt auf den Fall der Mobilmachung, ausführlih besprochen worden. Man bat i davon überzeugt, daß man der Zentralbehörde die Entscheidnng über die Errichtung dieser gemishten Transitlager überlassen muß. Für Mannheim hat diese Frage cine große Bedeutung. Es kommt für Mannheim besonders der Export von Getreide nah der Schweiz in Betracht. Für die rheinischen Transitlager, insbesondere Mannheim, ist also die Aufrechterbaltung der gemisbten Transitlazer cin Be- dürfniß, und deëhalb empfiehlt ich die Ablehnung des Äntrages auf Beseitigung der gemishten Transitlager.

Abg. Dreesbach (Soz.): Die Handelskammer in Königsbera hat, cbenso wie wir, beantragt, die Worte insofern dafür cin dringendes Bedürfniß anerkennen il" zu streichen. Auch die Handelskammer in Mannheim hat die Avfrehterbaltung der ge- mischten Transitlager dringend befürwortet, weil sie die Veorbedingung der Existenz s Grofidandels nicht nur in den Osllecbäfen. sondern auch des süddeutschen Handels, nah Genua und Marseille. sind. Die Gefahr, auf die man von agrarisher Seite gege: die Transillager hinweist, i unbegrüntet; denn es if glcich- gültig, cb das Getreide diesseits oder jenseits der Grenwfähle auf gespeichert wird. Der Preis wird dadurch nicht gedrückt. Der Weizea wird in Mannheim etwas theurer verkauft als in Côln. Das beweist. daß die gemischten Transitlager nicht prelöstürzend wirken. Der Preis rié@tet fich nah dem Angebot der Waaren, ganz gleich wo sie lagern. Das Vorhantensein der Transitlager ist für uns cine absolute Noth- wendigfleit. Die Aufhebung würde der Landwirthschaft nichts nüyen, aber tera Handel ungeheure Wunden \{lagen. Das in den Transit- lagern fesigelegte Kapital beläuft sih auf 40 Millionen Mark. Frank- reich ist s{hon jeyt bemüht, Mannheim den Export abzunehmen. Eine Ecséwerung oder Beseitigung dieser Lager würde den Export geradezu ruinieren und au die Eisenbaha-Verwaltung, namentlich so- weit die Strecke Mannheim—Basel in Betracht kommt, schädigen Der Mitteliiand und viele Arbeiter würden dadur brotlos a t

werden. Uasere Geseye müssen dafür sorgen, dah tas inländische Kapital richt ins Ausland gejagi wird. ‘Las würde aber gescheben,

wenn der Antrag von Wangenheim angenommen würde. Dem

Handel muß die Existenzmöglichkeit gelassen werden, diese wird aber gefährdet,

wenn die vorhin angeführte Beschränkung aufrecht erhalten wird. Mannheim und Ludwigshafen haben über die Hälfte des Verkehrs aller Tranfitlager aufzuweisen Daraus geht hervor, daß alles ver- suht werden muß, den Handel in diesen Pläßen möglichst zu fördern. Der Antrag von Wangenheim wird kaum Annahme finden. Wir bitten Sie, unseren Prinzipalantrag oder wenigstens den Eventual- antrag anzunehmen. So lange das Inland den Getreidebedarf nicht decken kann, müssen wir au für den Kriegsfall die Transitlager haben, um die Armee mit Brot versorgen zu können.

Abg. Dr. Hahn (b. k. F.): Wir wünschen die volle Beseitigung der gemischten Transitlager und wollen nur reine Transitlager bestehen lassen. Die Regierungsvorlage is uns nur zum theil entgegengekommen in der Abschaffung der Mühlenkonten und in der Verzinsung der A aber auch nah der Regierungsvorlage würden die Üebel- tände für die Landwirthschaft weiter bestehen. Ein großer Theil des ausländischen Getreides, das in Deutschland importiert wird, bezahlt nit soglei den Zoll, sondern benußt die Gelegenheit, erst Geld zu verdienen, indem es auf die Niederlagen geht. m Jahre 1901 sind z. B. 6 Millionen Doppelzentner Weizen auf Niederlagen gegangen und nur 1,5 Million Doppelzentner davon wieder ausgeführt worden. Die Niederlagen dienen hauptsählich dem Import und niht dem Export. Begründet wird die s der gemischten Tranfitlager damit, daß wir den Getreidehandel mit den Nachbarländern aufrecht erhalten Wen Aber die gemischten Transitlager am Oberrhein bilden eine fortgesezte {chwere Gefahr für die Getreidepreisbildung dort und nicht allein dort, sondern auch im ganzen Norddeutschland. Man hat die gemischten löeli e mit geladenen Pistolen verglihen; denn wenn - plößli ein großes Quantum von ihnen in den Verkehr kommt, sinken plößlich die Preise, und alle Kalkulationen der betreffenden Gegend werden hinfällig. Die gemischten Transitlager sind nur ein Privilegium des Handels und ermöglihen alle Spekulationen. Jh sehe niht ein, welche Schwierigkeiten dem Handel entstehen sollten, wenn sie beseitigt würden. Eine Ausnahme haben wir für die Verschiffung über See A Zollinland beantragt. Jch bin kein besonderer Freund dieser Bestimmung und stehe auf demselben Standpunkt, den Herr von Wangenheim in der Kommission einnahm. Dieser Antrag enthält eine T reu des Prinzips zu Gunsten von Königsberg und Danzig, und wir haben ihn in der Kommission lediglih der einheit- lichen Beschlußfassung wegen mit unterschrieben. An den praktischen Verhältnissen wird dadurch nichts geändert werden. Es würde auch sehr leiht sein, ein Verbot mit Hilfe des Freihafengebiets von Danzig zu umgehen. Herr Bassermann hält die gemischten Transitlager für werthvoll für die Mobilmachung unserer Armee und zitierte die Aeuße- rungen des Regierungsvertreters aus der Kommission. So viel ih mich erinnere, follten diese aber sekret behandelt werden. Kurz vor Ausbruch eines Krieges könnten die Händler ihre Getreidevorräthe bei einer Pause bis auf den leßten Zentner verkaufen. Es dient nicht der Sicher- eit unseres Vaterlandes, wenn man die Verproviantierung der Armee von der augenblicklihen Lage unseres Handels abhängig maht. Das ist für mich also nit ein Grund für die Beibehaltung, sondern für die Abschaffung der gemischten Transitlager. Die Regierung muß für die Verproviantierung ganz andere Mittel ergreifen, sie sollte den Antrag Kani durhführen zum Vortheil niht nur der Produzenten, sondern der nationalen Vertheidigung und der Konsumenten. Der Abg. Dreesbach irrt, wenn er es für gleichgültig bält, ob cin Quantum Getreide sich in amerifanishen Speichern oder am Oberrhein befinde. Ich bitte, über die Kommissionsvorshläge hinaus die gemischten Tr«nsitlager ganz abzuschaffen.

Staatssekretär des Neihs-Schaßamts Freiherr von Thiel- mann:

Meine Herren! Die Worte, die der Herr Abg. Dreesbah vorhin ausgesprochen hat, geben mir wenig oder keinen Anlaß zur Erwiderung, denn er hat ja im großen Ganzen die Kommissionsvorlage vertreten, und diese Kommissionsvorlage stimmt bis auf cinen kleinen Zusatz mit der Regierungsvorlage überein. Er hat nur den Antrag seiner Parteifreunde vertreten, die Worte „im Falle dringenden Bedürf- nisses* zu \streihen oder doch wenigstens das „dringend* zu streichen. Meine Herren, ih glaube nicht, daß \ich für diesen Antrag im Hause eine Majorität finden wird, und möchte nur darauf verweisen, daß die gemischten Transitlager doch eben cine Ausnahme von der Regel der Verzollung des Getreides sind, eine Ausnahme, die aus praktischen Rücksichten sehr gut motiviert ist, aber die eben nicht auf die Allgemein- heit ausgedehnt werden kann und soll, wie das der Antrag der Herren Albreht und Genossen bezweckt.

Was dagegen die Anträge der Herren Abgg. Freiherrn von Wangenbeim und Genossen betrifft, so möchte ich vorweg bemerken, daß der unter Nr. 2 auf Nr. 738 gestellte Antrag mir auf einem Mißverständniß zu beruhen \{eint, auf der Verwehülung tes terminus a quo mit dem terminus ad quem. Nach dem gegen- wärtigen Nechts1ustande sollen die Einfuhrscheine erst nach Ablauf

| einer gewissen Frist verwerthet werden können, und das bat seinen

guten Grund darin, daß gegenwärtig die Zollkredite zinsfrei sind; fällt die Zinsfreihecit der ZoUkredite, wie Ihnen im § 10 vorgeschlagen

| wird, für die Zukunft fort, so besteht gar kein Grund, die Einfuhr-

scheine nicht sofort in Zahlung zu nehmen. Also dieser Antrag ist zum mindesten überflüssig Andererseits aber würde es \{ädlich wirken, wenn man den terminus ad quem, nämlich die Verwerthung der Einfuhrscheine innerhalb sechs Monate, streihen wollte, denn zu einer geordneten Buchführung gehört doch, daß jeder Einfubrschein innerhalb einer gegebenen Frist ob es gerade sechs Monate sind

| oder aht oder neun Monate, würde ja keinen Untershied machen

(Zuruf rechts) jedenfalls innerhalb einer bestimmten gegebenen Frist auch präsentiert wird, cbenso, wie jeder Sheck, jeder Wechsel innerhalb einer gegebenen Frist präsentiert werden muß. Wollte man die Verwerthbarkeit der Einfuhrscheine ins Unbegrenzte dauern lassen, so würde die Uebersicht über die deutshe Einfuhr und Ausfuhr ent- schieden weniger leiht möglich sein, als es gegenwärtig ist. Ich bitte Sie also, in dieser Beziehung dem Antrage nicht stattzugeben.

Nun geht ja der Hauptantrag dieser Herren erbeblih weiter: sie wollen die ganzen gemis{hten Transitlager abschaffen. Ueber diese Frage ist im hohen Hause während der leyten Jahre, des letiten Jahrzehnis möchte ih sagen, so viel debattiert worden, dak es weder möglich ift, noch selbi nüulih wäre, alle diese verschiedenen Ansichten, wie fie dier und zum theil auch noch in der Zolltarif-Kommission zu Tage getreten waren, zu refapitulieren und auf ihren Werth zu prüfen. Ich halte an der Thatsache fest, daß in der Kommission mit großer Mehrheit aus ziemlich allen Parteien des Hauses die gegenwärtige Fassung sich ergeben hat und daß die Kommission damit hat an- erfennen wollen, daß cin Gegensiand wie dieser, über den die Meinungen im Laufe cines Jahrzehnts so weit auseinander gegangen sind, sich nicht in eine siarre Form gießen läßt, welche ein für alle Mal und bis in alle Einzelheiten hincin im Geseye fesigelegt wird. Es ift deshalb in der Kommission mit Recht ein dahin zielender An- trag verworfen worden, diejenigen Städte, in welchen gemischte Transitlager in Zukunft bestehen soliten, gleich im Gesche festzulegen. Das, meine Herren, ist nicht möglich. Wenn aber der Herr Abg. Dr. Hahn soeben auf die großen Gefahren hinwies, tie seiner Ansicht nach

die Transitlager dadur bieten, daß in ihnen ein %uß v

Getreide gehalten werden fann, der zu jedem Augenbli# bei N Konjunktur den inneren Preis zu drücken im stande ift, fo W ihn darauf aufmerksam machen, daß die Remedur hiergegen § 10 gefunden wird, in der Verzinsung der Zollkredite, und ih daran erinnern, daß bereits bei allen früheren Debätten, weni bei einer großen Anzahl der früheren Debatten, gerade feitens der Ge, finnungsgenossen des Herrn Abg. Dr. Hahn hervorgehoben

wenn die Zinsfreiheit der Zollkredite abgeschafft wird, dann ist g Gefahr der gemischten Transitlager keine große mehr. Ich erin die beispielsweise nur an eine Refolution vom 14. März 1894, ay fia Beschluß des Reichstages vom 10. März 1897, an den Beschluß dez Deutschen Landwirthschaftsraths vom 9. März 1900. F

auh aus einer Rede des Herrn Abg. Grafen von Schwerin-Liy vom 8. Mai 1900 einen Paf}us verlesen, aber ich glaube, die wird Ihnen noch ziemlich in Erinnerung sein. (Zuruf links:

Heiterkeit.) Sie ging darauf hinaus, daß, wenn die zinsfreien kredite abgeshafft werden, sh mit gemischten Tranfitlagern

leben lassen. Also, meine Herren, an dem System der gemisdten Transitlager bitte ih nicht zu rütteln, und ih glaube, die Mehrheit des Hauses wird in dieser Beziehung mir beipflihten.

Ein dritter Antrag der Herren Abgeordneten geht aber dahin, auf indirektem Wege für die Ostseestädte das zuzulassen, was für Man. heim-Ludwigshafen verhindert werden soll. Es foll hinter das Wort „Zollausland“ eingeschaltet werden: „oder zur Verschiffung über See nah dem Zollinlande“. Meine Herren, dieser Antrag ist zu durdh, sihtig (sehr gut! links), als daß er meiner Ansicht nach eine Debatte würde hervorrufen können. Zur Verschiffung über See n dem Inlande sind, abgesehen vielleiht von dem kleinen Hafen Memel, nur Königsberg und Danzig im stande. (Zuruf rets, Hamburg würde keine bedeutende Rolle spielen und keinen weiter

e Nein!

Zoll. würde

Vortheil haben, denn Hamburg hat seinen Freihafen ohnehin; also auf Hamburg würde dieser Paragraph nicht in gleichem Maße An, wendung finden. (Zuruf rets.) Königsberg und Danzig in Frage kommen. So sehr, glaube id, von anderer Seite des Hauses die Förderung des Handels von Königs. berg und Danzig im Auge behalten wird, so, glaube ih, würde es doch der Gerechtigkeit niht entsprehen, im Gesetze gewissermaßen einen Ausnahmeparagraphen einzufügen, ledigliß zu Gunsten eines bestimmten Landestheils. Also, meine Herren, aus diesem Grunde bitte ih Sie, den Anträgen der Herren Freiherr von Wangenhbein und Genossen nicht Folge zu geben.

Abg. Herold: Für die Ausfuhr von Waaren, deren t Landwirthschaft bedarf, noch künstlih Begünstigung durch Ausfü, prämien zu [Gaffen, ist ein zweckwidriges Verfahren. Aus dieser 6 wägung ist der Antrag entstanden, die „Sämereien und Saaten“ vg den Bestimmungen des § 9 auszunehmen. Während das Mischen von Getreide schr nüßlich und zweckmäßig sein kann, ist dieses Misden bei Sämereien Frem gefährlih und verwerflih. Aus diesem Grunde bitte ih sowohl um die Annahme meines Antrages, als auch um die Ablehnung des Aùtrages Broemel. Der Antrag von Wangenheim, so weit er die Einfuhrscheine E ist mir unverständlid; sollen denn die Einfuhrsheine auch noch im nächsten Jahr- hundert gültig sein? Die vollständige Aufhebung der gemisten Transitlager, eine der ältesten Forderungen der Landwirthsdaft, hat ja Vieles für sich. Nachdem aber fehr {were Bedenken gegen die unbedingte Aufhebung geltend gemaht worden sind, andererseits die Verzinsung der Zollkredite jeßt vorgesehen ist, kann ih dem An- trage um so weniger zustimmen, als auch die Vorlage solche Lager nur bewilligen lassen will, wenn ein dringendes Bedürfniß anerkannt werden kann. Die Antragsteller haben ja selbst Bedenken gegen ibre Anträge, indem sie au die östlihen Seestädte die gemischten Lager unter einer andern Form aufrecht erhalten wollen. Die östli Hâfen allein zu bevorzugen, dafür liegt ganz und gar kein Grund ver. Der Bund der Landwirthe, so hat man oft behauptet, sei eine est elbishe Gründung und Vertretung ostelbisher Interessen. Ich lafe ganz dahingestellt, was an dieser Behauptung ist; Thatsache ift aker, daß dieser Antrag ledigli ostelbishe Interessen vertritt.

Ueber die beiden Anträge Albreht und den §8 9 im Ganzen wird namentlihe Abstimmung beantragt.

_ Abg. Haase- Königsberg (Soz.) tritt in längerer Ausführrz für die Beseitigung der Beschränkungen ein; denen die Bewilligung Þ mister Transillager unterworfen werden solle, und empfiehlt zu Schluß, die Anträge seiner Partei anzunehmen, und zwar in namexb licher Abstimmung, die Anträge Herold und von Wangenheim dagegea abzulehnen.

Abg. Broemel: Der Antrag von Wangenbeim ist für mi hon deshalb unannehmbar, weil er nur die Interessen Danzigk, Königsbergs und Memels ins Auge faßt. Wir dürfen aber keine Geseye zu Gunsten eines Landestheils machen, sondern inüssen das Ganze berüsichtigen, wie namentlich auch die Interessen Mannheims. Mir liegt es im übrigen nur ob, Ihnen meinen Eventualantrag zum Antrag Herold zu empfehlen. Verbietet man die Mischung der Sämereien, so errciht man damit nur, daß der deutse Sämereibaudel von den deutschen Pläßen, namentlich von dem sehr wichtigen Play Breslau, fortgedrängt und ins Auéland getricben wird. Bei der diesjährigen s{lechten Ernte ist nur durch cine Mischung mil guter auéländisher Waare cin Handel mit ten heimishen Prozuktea möglih. Am besten wäre es, wenn die Fassung der Kommission aw genommen würde. Sollten Sie aber den Äntrag Herold annehmen, so bitte ih, auch den meinigen anzunehmen.

Die Diskussion wird darauf geschlossen und zugleih en Vertagungsantrag angenommen.

Der Präsident Graf Ballestrem s{chlägt vor, die nâchte Sihung am Donnerstag um 12 Uhr abzuhalten zur Ford seßung der Berathung.

Abg. Dr. Spahn beantragt, als erflen Gegenstand de Berathung den Antrag Aichbichler auf die Tagesordnung zu seyen

Abg. Singer (zur Geschäftsordnung): Herr Präsident, ih erhebe Widerspruch gegen diesen Antrag. Nach meiner Meinung ist das Haus geshäftsordnungömäßig nicht in der Lage, diesem Antrage Evans es sei denn, daß die Majorität einen Bruch der Gese ftéortu# beabsichtigt. Wir sird glücklih dahin gekommen, daß die Her von der Majorität, um ihre Auffassung auszudrücken, ih scheuen, von dem Grundsay, der bisber allen Parteien als das Wichti®t erschien: der Aufrechterhaltung der Geschäftsordnung, abzugehen. 2 Geschäftéordnung ift für den Reichstag das, was für das Voll X Verfassung ist. Sie ist das Grunudgeset, das der Reichstag fich os bat. Es mat cinen eigenthümlichen Eindruck, zu schen, E Antrag auf Bruch der Geschäftsordnung gestellt wird vou die Partei. die sih immer rühmt, daß sowohl die Verfassun S T Geschäftéordnung niht zu ändern sei, wenn es nicht absolut wendig ist. Daß auch die Zentrumespresse den Antr:

gencmimen, nicht für zulässig hält, geht aus cinem ntr der „Fils Volksztg.* hervor, an der A heiligt

der . Bachem mit e bet 5 | (Der Präsident bittet, die Privatverbältnisse der Abgeorbnetes rede

in die Debatte zu ziehen.) Das ist auch nicht meine 4e

nar andeuten wollen, tas der Kollege Bachem ür die T4 ident:

ung qgristem Sinne mit verantwortlich ist. E ráfs axi dic

Verbätnisse der Abgeorencten außerhalb des Hauses nicht ce nisse der dneten à des n

das tulde L ven der be a Ie ten I a0 N

gerade iy

worden ist |

ch Fönn

längere |

en

In erster Linie würden als

* hat in einem Artikel, der vorher in der „Märkischen ität hat, nachdem sie fh mit der Frage beschäftigt hat E von Jnitiativanträgen nur die fozialdemokratishen und frei-

nigen in B t fkämen,- gesagt: „Vielleicht bietet \sih aber für E en, die in der Nothwehr die Geschäftsordnung ebenso rück- Cgtslos handhaben wollen, ‘wie die Linke sie aus \frupellosem Üebermuth ausnußt, eine Möglichkeit, über dieses L hinweg gelangen.“ Daraus geht hervor, daß auch die Zentrumsprefse meint, Bb dieser Antrag nur auf die Tagesordnung eines Schwerinstages gefeßt werden fann, und daß dies auch niht möglich ift, weil andere Anträge vorgehen. aben es mit einem Initiativantrag zu thun. Diese unter- liegen einem Spezialgeseß, dem § 35 der Geschäftsordnung. Wollten sich die Herren auf § 23 berufen, der über die Behandlung von Anträgen Bestimmungen trifft, so könnte dieser nur dann in Aktion treten, wenn der § 35 außer Kraft gelegt wücde. § 35 spriht auch niht von einer besonderen Gattung von Anträgen, sondern von Anträgen von Mit- gliedern ganz allgemein; nirgends ift gesagt, daß Jnitiativanträge zur Geschäftsordnung anders behandelt werden könnten. Nach § 35 fann die Entfernung eines Antrags von seiner Stelle, wohin er nach seiner Priorität gehört, nur mit Zustimmung der Antrag- steller erfolgen. Damit i unwiderleglih festgestellt, daß der Antrag Aichbichler niht per majora allen anderen vorgezogen werden fann. Das ist auch niemals gesehen. Sie werden sich ja an den gemeinsamen Antrag aller Parteien anläßlich des Vereinsgesetßes und an cinen anderen erinnern, der in die Verhandlung über die Getreide- zôlle hincinspielte. In beiden Fällen ist von keiner Seite Widerspruch erhoben worden, in dem Augenblick aber, wo Widerspruch erfolgt, ist das Haus an die Geschäftsordnung gebunden, es sei denn, daß Sie geshäftsordnungswidrig den Antrag- Aichbichler morgen auf die Tages- ordnung seßen wollen. Ich habe die Akten des Hauses durhgesehen und gefunden, daß 1883 bei einem Antrag Rickert zum Unfall- versicherungsgeset, dem ein bevorzugter Plaß eingeräumt werden sollte, der Abg. Graf Ballestrem seine Bedenken gegen diese Bevorzugung äußerte und dafür hielt, daß dem Antrage der ihm zukommende Play in der Reihe der Jnitiativanträge zugewiesen werde; ih hoffe, daß unser verehrter Herr Präsident auch heute der Meinung des Abg. Grafen Ballestrem ist. Der damalige Präsident von Leveßow erklärte in Uebereinstimmung mit Simson, daß eine Ab- sezung per majora nur dann beschlossen werden könne, wenn nit von den Antragstellern der anderen Anträge widersprohen werde; es sei aber daran zu erinnern, daß der Abgeordnete Twesten 1869 bei der Berathung des Antrages des Grafen Schwerin auf Einsetzung eines Schwerinstages eine geda gelene Meinung vertreten babe Als in der nächsten Sitzung der Abg. Rickert dann beantragte, seinen Antrag auf die Tagesordnung zu segen, erklärte Dr. Windthorst, 2e er ausnahmsweise, ohne irgendwie dem Prinzip zu präjudizieren, zustimmen wolle. Herr von Kardorff {loß fich den Ausführungen des Abg. Windthorst an und hielt eine Abstimmung Er überflüssig. Der Präsident erklärte dann seinerseits, daß er auf bstimmung niht mehr bestehe. Es ist also ein Beschluß damals überhaupt nicht gefaßt worden, die Einmüthigkeit aller Parteien hat den Antrag auf die Tagesordnung gebracht, und die Herren haben es selbst für besser gehalten, eine Abstimmung niht zu provozieren. Ein anderer Fall lag am 17. Mai 1897 vor. Damals war das Haus beshlußunfähig, und der Präsident von Buol seßte „mit Rücksicht auf die zahlreichen Unterschriften und die Wünsche der Antragsteller und mit Rücksicht auf die Geschäftslage" den Antrag Rickert über das Vereinsgeseß auf die Tagesordnung für den nächsten Tag. Der Abg. von Kardorff bemerkte, daß er zwar keinen Einspruch erhebe, aber do darauf aufmerksam mache, daß Initiativanträge in anderer Folge auf die Tagesordnung zu seßen wären. Der damalige Präsident wies zwar diese Einmischung in seine Geschäftsführung zurück, ein Beschluß des Hauses wurde aber nicht gefaßt. Wohl aber waren alle Parteien ein- müthig, und niemand widersprah. Bei dem Fall bei der „lex Heinze“ war der Antrag damals unter Zustimmung aller Parteien und ohne Viderspruch sogar unter Abkürzung aller Frist fofort verhandelt worden. Nach diesen Vorgängen kann auch der Antrag Aichbichler nit anders als ein Jnitiativantrag behandelt werden und anderen Anträgen nur vorangestcllt werden, wenn niemand widerspriht. Der Antrag selbst ist nicht nur geshäftsordnungswidrig, sondern auch verfafsütanwidiia und könnte niht angenommen werden, ohne daß vorber die Verfassung geändert würde; denn nah Artikel 22 der Verfassung sind die Verhandlungen des Reichstages öffentlih, und dazu gehören auch die Abstimmungen. Wenn der Antrag die Oeffentlichkeit bei den Abstimmungen aus\{ließt, so ist er ein Verfassungsbruch. Ein außerordentlich gewagtes Vor- geben der Majorität ist es, die Geschäftsordnung auf eine bestimmte Vorlage zuzuschneiden. Sie (rechts) verzihten auf Ueberzeugung und Gründe und wollen Ihre Majorität benußen, um gegen die Geschäfts- ordnung eine bestimmte Vorlage durchzusetzen. ieses gefährliche Unternehmen kann aud anderen Parteien noch einmal übel befommen. Ueberlegen Sie sich die Sache nochmals reiflich. Wenn Sie auf diesem Wege vorwärts gehen, so sind Sie s, die den Parlamentariômus niht nur sädigen, sondern die ganze Würde der geseßgebenden Versammlung berunterdrüdcken. Hier wird die Verfassung mißahtet und gebrochen durhch eine lajorität in dem Augenblick, wo die Minorität nichts anderes thut, als was ihr Neht und ihre Pflicht ist, nämlih zu verhindern, daß ein Gesey, das sie als verwüstend ansieht, beschlossen wird. Nicht die Verfassung, nit die Geshäftéordnung ist Ihnen etwas werth, sondern nur der Augenblickserfolg. Die Konsequenzen werden Sie zu tragen baben. Jch beantrage die namentliche Abslimmung darüber, ob der Antrag Aichbichler morgen auf die Tagesordnung kommen soll. Abg, Dr. Pachnidcke (fr. Vgg.): Die vorliegenden Juitiativ- anträge können nur mit der Zustimmung der Antragsteller zurückgestellt werden. Jch erhebe hiermit im Namen meiner Freunde gegen die radftellung unserer Anträge formellen Widerspruh; denselben iderspruch erhebe ih zugleich im Namen der Abgg. Bräside und Sérader für ihre Anträge. Bei den Kämpfen um die sogenannte „lex Heinze“ sagte Herr von Kardorff: „Die Mehrheit ist Herrin der Eeschäftsordnung.“ Der Präsident Graf Ballestrem entgegnete darauf mit Recht: „Ja, aber innerhalb der Geschäftsordnung!“ So ist es aub beute. Es handelt sich nach wiz vor darum: is Widerspruch ethoben oder niht? Was Herr von Kardorff für seine Person erklärt, daß man per majora in dieser Frage entscheiden könne, ist hier voll- ständig gleichgültig. Stellen Sie den Antrag Aichbichler auf die Tagesordnung, so Erofien Sie die Geschäftsordnung und tragen dafür die Verantwortung. E R Abg. Bassermann: Ueber die geschäfts- und verfassung#mäßigen Bedenken zu sprehen, wird morgen am Plate sein. Wir glauben, daß die Auslegung, die die Abgg. Singer und Pachnicke der Geschäfts- ordnung g Tes haben, falsch ist. Herr Singer hat auf Preß- Wßherungen ug genommen. Das ist für die Entscheidung gleih- gültig. Der Antrag Spahn ist rechtlih nicht zu beanstanden. Es kann also darüber por majora entschicden werden. Der § 35 der Geschäfts- oötdnung spricht lediglih vom Schwerinstage. Gewiß ift die Frage wichtig und gründlich zu prüfen, namentlich wenn sie als Bruch der Geschäftéordnung bezeichnet wird. Im Jahre 1869 stellte Graf werin den Antrag, cinen Schwerinstag einzuführen, um die Petitionen und Anträge zu bestimmten Zeiten auf eine Tagesordnung ja stellen. Der Abg. Twesten sagte, das Haus müsse sih das Recht dorbehalten, davon abzuweichen. An jedem anderen Wochentage könne der Präsident vorschlagen oder das Haus beshlicßhen, irgend welche Gegenstände auf die Tagesordnung zu sehen. Im Jahre 1869 hat Twesten ohne Widers ausgeführt, daß wichtige Anträge ünd Petitionen auch an anderen beliebigen Tagen verhandelt werden fönnen. Dic tät sollte also nur auf die Sthwerinstage bdezieten. 1883 handelte es sich bei den Ausführungen des Grafen llestrem niht um eine prinzipielie Stellungnahme. Das war damals fei einmüthig. Der Präsident von L êgte autdrücklih: „wenn Mehrheit derselben Meinung ist“. 1896 vatde auf Antrag tes Abg. von Jazdzewsli eine Juterpellation por ora auf die Sons eht, obwohl der von Hes Es nDaripraß on dem Abg. Barth wurde sogar an

Umstellung der Tagesordnung beantragt. Es wäre

unbegreiflich, wenn das Haus darauf verzihten wollte, durG Mehr- heitsbes luß besonters wichtige Gegenstände auf die Ta E zu seßen. an hat einen Tag für Anträge reserviert, aber daraus folgt nit, daß man besonders dringlihe Anträge an einem anderen Tage nicht berathen kann. Herr Singer warnte im Interesse des Parlamentarismus vor der Annahme des Antrags. Das Verfahren, Me E Abstimmung abzukürzen, entspriht durhaus der Würde auses.

Abg. Dr. Spahn: Aehnliche Anträge sind wiederholt gestellt und angenommen worden. Die Geschäftsordnung ist unsere Hausordnung. Daraus folgt, daß der Bundesrath si mit ihr niht zu befassen hat. Jnitiativanträge beziehen \sih auf Gegenstände, die auch den Bundes- rath angehen. Maßgebend find die Ausführungen des Abg. Twesten. Ich muß es zurückweisen, daß irgend ein Unterzeichner des Antrags daran gedacht hat, G hier ein Bruch der Geschäftsordnung vorliegt. Mit der Verfassung hat dieser Antrag nichts zu thun. Die Oeffentlich- keit der Verhandlungen bezieht sfich nur auf den Nichtaus\{hluß der Zuhörer. Wenn wir die Abänderung der Abstimmung jeßt vornehmen wollen, fo geschieht es nur, weil die Frage jeßt brennend geworden ist. Inland und Ausland verstehen die Art der namentlichen Ab- stimmungen der leßten Tage überhaupt nicht.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Wir werden gegen die Aenderung der Geschäftsordnung stimmen, weil es mißlih ist, wegen eines Falles ein Spezialgeseß zu erlassen. Dagegen kann ich dem formalen Ein- wand, daß es ges{äftsordnungsmäßig nicht zulässig ist, einen solchen Antrag durch Majoritätsbeshluß auf die Tagesordnung zu seten, nicht zustimmen. Ich würde meiner langjährigen parlamentarischen Praxis ins Gesicht \{lagen, wenn ih anders votierte. Bei dem Fall Rickert habe ih aufs Wort verzichtet, weil der Abg. Rickert mit seiner Ansicht durhgedrungen war. ch weiß nit, warum Herr Pachnike die damalige Ansicht Nickert's nicht zitiert. Der Präsident is vollkommen berechtigt, an einem anderen Tag Jnitiativanträge auf die Tagesordnung zu setzen. Der Abg. Twesten war wesentlich der Urheber unserer neuen Geschäfts- ordnung. Umsom-hr fallen seine Worte ins Gewicht, und gerade er hat 1869 flipp und klar bei Einführung der Schwerinstage erklärt, daß der Vorschlag keine Einschränkung enthalte, Jnitivanträge an einem anderen Tage zu berathen. Bevor der Schwerinstag ein- geführt war, war die Minorität in einer {limmen Lage, sie konnte ihre Anträge niht zur Berathung bringen. Darum wurde der Scchwerinstag eingeführt. Aber es ist nicht entfernt dabei die Absicht gewesen, der Mehrheit zu verbieten, an anderen Tagen die Anträge zur Verhandlung zu bringen. Aber auch rein sahlihe Gründe sprechen dafür, auch wenn jene Verhandlung garnicht stattgefunden hätte. Es wäre ein kompletter Unsinn, anders zu ver- fahren. Das Haus hätte sih die Hände gebunden, seinen Willen aus- zudrücken, wenn man die kleinste Gruppe fragen wollte, bevor ein Antra zur Berathung käme. Wenn man alle Antragsteller hätte um Erlaubniß fragen müssen, so hätte diese Frage doch einmal gestellt werden müssen. Das ift aber nicht ges{hehen. Der Präsident von Leveßow war auf Grund des Studiums der Akten dahin gekommen, dad das Haus

er majora einen Antrag vorziehen und auf die Tagesordnung setzen önne. Die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses ist genau die- selbe wie die unsrige. Der Präsident von Bennigsen hat \. Zt. aus- drücklich erklärt, daß es durchaus nicht ausges{lossen sei, wichtige Gegenstände auch außerhalb des Mittwochs zur Verhandlung zu bringen, wie es {hon vorgekommen sei. Ich bin nie darüber im Zweifel gewesen, 207 das richtig ijt. Ebenso wie es falsch ist, die Geschäfts- ordnung auf einen bestimmten Fall zu ändern, ebenso fals ist es, sie für einen bestimmten Fall zu deuten. Jch erkläre auf Pflicht und Daiien, daß diese Auslegung falsch ist. : bg. Liebermann von Sonnenberg (Reformp.): Der Vor- redner und Herr Bassermann haben s{hlagend den Abg. Singer widerlegt. Die Herren Singer und Genossen haben das Recht der Berufung auf die Geschäftsordnung verwirkt. Der Geist der Geschäftsordnung erfordert die ordnungsmäßige Erledigung der Ge- \{âfte. Es handelt sich bier darum, ob die Vertretung des deutschen Volks dauernd von den Herren Stadthagen und Singer tyrannisiert und am Gängelbande geführt und ob der Deutshe Reichstag zum Kinderspott der ganzen Welt gemacht wird. Soll die Minderheit entscheiden, wie bei der „lex Heinze“, \o_ bekennen Sie (nah links) sich doch zu diesem Prinzip, dessen Kon- sequenz der Absolutismus ist. Man thut dann besser, diese ganze Geschäftsordnung zu zerreißen und dem Präsidenten weitgehende Voll- macht zu geben. Man hätte hon bei der „lex Heinze“ reinen Tisch machen sollen. Wohin foll es führen, wenn ein Theil des Hauses ibren Willen auf Schleichwegen durchseßt ? (Präsident Graf von Ballestrem: Dieser Ausdruck if niht anwendbar auf Mitglieder dieses Hauses!) Vom Parteistandpunkt aus könnte ih mich nur darüber freuen, daß die Herren Stadthagen und Singer durch ihre Reden den Anti- semitismus \{hüren und groß machen. Jh sprehe aber hier im Interesse des ganzen Vaterlandes. E :

Abg. Heine (Soz.): Der Abg. Bassermann hat nur einen einzelnen Fall für seine Auffassung anführen können. Thatsache ist, daß in allen diesen Fällen es sich um Anträge handelte, gegen deren Behandlung troy formeller Bedenken Niemand Widerspruch erhob. Die Sahe läßt fich aber nit wohl bistorish behandeln, sondern die Geschäftsordnung als geschriebenes Gesey muß juristisch ausgelegt werden, und der Wortlaut der Geshäftäordnung ist ganz klar. Der Abg. Spahn sagt, die Geschäftsordnung beziebe sih nur auf Anträge, mit denen \sih einmal der Bundesrath zu beschäftigen hat. (Zwischen- rufe im Zentrum.) Herr Spahn sagt, ih hätte ihn mißverstanden ; ih babe ibn so verstanden, wie viele Andere auch. Das kommt davon, wenn man mit seinen Argumenten über das Ziel binausschießt. Es kommt auf den Sinn und Zweck der Geschäft3- ordnung an. Was is denn der Zweck der Geschäftsordnungs- Bestimmungen? Doch nur der, die Minderbeit zu s{üßen. Herr von Liebermann sagt, dadurch könnte die Minderheit die Majorität bindern, zu beschließen, was sie will. Das ist gerade der Sinn und Zweck. Wenn der Stärkere alles soll thun können, was er will, dann brauen wir überhaupt keine Geseße. Die Parlamente haben sich \:1bst solde Bestimmungen gegeben, um die Minderheit vor in der Erregung gefaßten Beschlüssen der Mehrheit zu s{üyen. Es soll Niemand das Gefühl haben, daß er unterdrückt wird, und dieses Gefühl ist nur möglich, wenn jeder Einzelne gegen die Unterdrückung geshüyt wird. Es ist auf den Geist der Geschäftsordnung hingewiesen und gesagt worden, wir hätten sie schon bei der „lox Heinze“ verlegt. Diejenigen, die uns damals unser Vorgehen geradezu aufgedrängt haben, sind nit die richtigen Hüter der Geschäftsordnung. Der Anfang jener er- bitterten Kämpfe war, daß man, ohne unsere Gegengründe zu hören und uns zum Worte kommen zu lassen, eines Abends die Debatte {loß und uns dadurch mundtodt machte. Das allein hat damals den Anstoß zu unserem Verfahren gegeben. Ist es denn im Geiste der Geschäftsordnung, daß Sie (rechts) auch jeyt sofort, nahdem ein Redner gesprochen hat, die Debatte s{ließen? Der Reichstag ift schon vor Jahren unter ganz anderen Gesichtspunkten gewählt worden, als von dieser Vorlage noch nicht die Rede war. Das Volk muß noch cinmal darüber entscheiden. Ueber all diese Dinge soll und“ muß hier gecsprohen werden, wo es sich um cine Frage des nationalen Daseins handelt. Wir haben uns ledialih der Mittel der Geschäftsordnung bedient. Der Mißbrauch ist auf der Seite derjenigen, die ihre Siye ängstlich vertheidigen und möglichst das zu Wege bringen wollen, was ihnen das Volk nicht mebr verbieten kann. weil der Reichstag einmal ia dieser Zusammen- seyzung vorhanden ift. Die Herren fürchten die namentliche Ab- stimmung, weil fe niht wünschen, daß ihre Namen immer und immer wieder für das Gesey genannt werden. Mit dem Antrag Aichbichler werden Sie (rechts) aud nichts erreichen. Bleibt er aber wirkungslos, so werden Sie zu weiteren Maßnahmen {reiten (Zusiimmung rets); Sie sind also Diejenigen, welche die Geschäfte des Hauses lahm legen und die Geschäftsordnung umstürzen. ce

Abga. Stadthagen: Ich stimme mit Herrn Richter darin überein, daß die SEELEY nicht von Fall zu Fall auszulegen ist. Des-

b fomme ih zu der leber u daß die Anseyung des Antrages ihbihler nah der jeyigen Ges fiéordnung unzulässig ist. Die

ige Fassung des § 35 der Geschäftsordnung rührt nicht von 1869, aceetl von 1895 her. Was hätte diefer Paragraph für einen Sinn, wenn es der Mehrheit freistehen soll, jeden Augenblick ihn zu ändern? Aber auch 1869 erklärte sich der Präsident Simson gegen die Auf- fassung der Abgg. Twesten und Graf Schwerin, daß man per majora einen anderen Tag für Jnitiativanträge wählen könnte, was hätte sonst nur die ganze Einrichtung für einen Zweck? Ein Ab- weichen sei nur mit Zustimmung der anderen Antragsteller zulässig. Diese Auffassung ist von dem Hanse gebilligt worden. 1886 hat allerdings der Abg. von Helldorff der Anseßzung der Anfrage des Abg. Iazdzewski wegen der Ausweisung an einem Nichtshwerinstage wider- prochen, aber als Antragsteller, niht als Mitglied des Hauses. 1895 wurde § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung geändert, und zwar auf Antrag des Zentrums und des Abg. Schmidt-Elberfeld zum Schuße der damaligen Minorität dahin, daß die Anträge ohne Rücksicht auf den Schwerinstag der Reihenfolge ihrer Einbringung nah auf die Tagesordnung geseßt werden sollten. Ich für meinen Theil könnte mich an einem fo ungeseßlihen Schritt, wie ihn der Antrag Spahn beabsichtigt, nicht weben, Sämmtliche Präsidenten, die wir früher gehabt haben, würden dies Verfahren für geseßlich unzulässig erklärt haben. Selbst der Beschluß über einen solchen Antrag ist unzulässig.

Abg. Dr. Barth (\r. Vgg.): Es ist ganz richtig, daß der § 35 bestimmt ist, der Minderheit einen Schutz zu geben. Der § 35 wäre lächerlih und sinnlos, wenn er nicht dazu bestimmt wäre, die Minder- heit zu s{chüßen. Die Methode, durch allerlei künstliche Inter- pretationen den flaren Wortlaut dieses Paragraphen nicht gelten zu lassen, zeigt, daß die Mehrheit sich mit ihrer Anschauung auf dem Holzwege befindet. Gewiß foll die kleinste Gruppe auch gegen die Majorität zu ibrem Recht kommen, Herr Nichter! Das ist ja gerade der Sinn dieser Bestimmung. Es kommt nur darauf an, wie es gehalten werden soll, wenn auch eine kleine Gruppe auf ihrem Prioritätsrecht besteht. Sie können durch Ihren Widerspruch es dahin bringen, daß in der ganzen Session überhaupt kein Schwerinstag stattfindet, oder daß nur Ihre Anträge zur Ver- handlung kommen. Dann wäre wieder der § 35 eine Lächerlichkeit. Es handelt sih um den Schuß der Minderheit, und darum hat Ihr heutiger Beschluß eine prol Tragweite. Zwischen Auslegung der Geschäftsordnung und Bruch der Geschäftsordnung ist ein himmel- weiter Unterschied. Hier handelt es fich nicht um eine Auslegung, sondern um einen Bruch der Geschäftsordnung. N 2

Abg. Bebel (Soz.): Ich konstatiere zunähst, daß bei dieser wichtigen Frage ein großer Theil der Versammlung es für gut findet, ih außerhalb des Sißzungssaales aufzuhalten. Weiter konstatiere ih, daß die Mehrheit durch Zwischenrufe sih zu weiteren Schritten bereit erklärt hat. Jch konstatiere also, daß Sie (rechts) die Absicht haben, die Minorität, koste es, was es wolle, mundtodt zu machen. Wir find Ihnen mit großem Edelmuth entgegen gekommen. Wir haben bei wih- tigen Fragen nur eine geringe Anzahl namentlicher Abstimmungen bean- tragt. Beschließen Sie diesen Antrag Aichbichler, dann werden Sie auch die Konsequenzen dieser Handlungsweise voll und ganz zu tragen haben. Wir werden verlangen, daß bei jedem Gegenstand, der hier verhandelt wird, au bei jeder Etatsposition, die beshlußfähige Anzahl vorhanden ist. Wir halten uns durchaus innerhalb der geshäft8ordnungsmäßigen Grenzen. Was wir hier thun, ist in jedem anderen Parlament an der Tagesordnung. Ich erinnere an die Schulvorlage im englishen Parlament. Ueber einen einzigen Para-

raphen hat das Parlament eine ganze Woche berathen. Minister Balfour kündigte eine Resolution an, wonach das Gese bis Weih- naten fertig werden müßte. Darauf wurde die Obstruktion in aller Form in Aussicht gestellt. Was uns blühen würde, wenn die Herren Liebermann und Konsorten die Mehrheit hätten, können wir an dem Wiener Reichsrath und dem Wiener Gemeinde- rath sehen. Jeder von uns würde sich der Gemeinheiten \{ämen, die dort Tag für Tag vorkommen. Herr Richter hat behauptet, was niemand bestritten hat, daß das Haus soviel Schwerinstage in einer Woche abhalten kann wie es will. Aber das Haus hat vernünftiger- weise eine gewisse Regel in die Behandlung der Jniativanträge ge- bracht. Ueber Motive wird niht abgestimmt, auch das Reichsgericht legt die Gesetze lediglih nach ihrem bes{lossenen Wortlaut aus, aber niemals nah dem, was in der Regierungsvorlage oder in den Kom- missionsbes{lüfsen gestanden hat. Wir sind nicht gewillt, von unserem Rechte zurückzutreten. Wenn Sie (rechts) es nehmen, so nehmen Sie es mit Gewalt.

Abg. Liebermann von Sonnenberg: Herr Bebel hat auf England exemplifiziert. Er hat offenbar die leßten Berichte niht in der Hand gehabt. Der Antrag Balfour is angenommen worden. Dann hat er seinen begreiflihen Aerger über die Niederlage seines

reundes Adler in persönlichen Beleidigungen gegen mi niedergelegt.

ch habe fkeinerlei Einfluß auf das Wiener Parlament; bätte ih ibn, so würde es dort ruhiger zugehen. Aber man braucht nicht alle Be- rihte der Judenpresse zu glauben. Nah der „Neuen Freién Presse“ allerdings müßte es im Wiener Daraus s{limm genug zugeben. Aber wer sind die Nubestörer ? ie Parteigenossen des Herrn Bebel, die den Ton dort verrohen. Es wäre dort eine Iudenschule geworden, wenn Singer und Konsorten anwesend wären.

Damit schließt die Diskussion.

Präsident Graf von Ballestrem: Ih brauche eigentlih nichts hinzuzufügen. Nur weil ih als Eidesbefer angeführt worden bin, will ih mich äußern. Ich habe allerdings 1883 Widerspruch d erhoben, daß der Antrag des leider zu früh verstorbenen Kollegen Rickert auf die Tagesordnung geseßt wurde. Ob ih das aus Zweck- mäßigkeitsgründen oder aus prinzipicllen Gründen gethan habe, lasse ih dahingestellt. Aber eins steht fest, ih bin damals vom Präsidenten und vom Hause desavouiert worden, das cinen entgegengeseßten Be- {luß faßte. In Bezug auf die Zulässigkeit des Antrages, den Antrag Aichbihler auf die Tagesordnung zu seten, {blicke ih mi der Ansicht meines Vorgängers von Levetow an.

Bei der Stellung der Unterstüßungsfrage für den Antrag Singer auf namentlihe Abstimmung über den Antrag Spahn erheben sih die Sozialdemokraten und die Freifinnige Ver- einigung für den Antrag: die Freifinnige Volkspartei bleibt mit Ausnahme des Abg. Dr. Mäller- Meiningen (fr. Volksp.) sißen; die Unterstüßung genüg

Der Antrag Spahn wird in namentlicher Abstimmung mit 187 gegen 67 Stimmen angenommen.

Schluß 8 Uhr. Nächste Sizung Donnerstag 12 Uhr. (Antrag Aichbichler; Fortseßung der Zolltarifberathung.)

Land- und Forstwirthschaft.

Ernteergebniß in den Niederlan den.

Einer in dem Niederländischen Staats-Anzeiger vom 2./3. d. M. veröffentlichten Schätzung der diesjährigen Ernte in den Niederlanden entnehmen wir folgende Zusammenstellung :

Gewächse: : Fw

e aan 2, 72,3 Weizenstroh 3, 71,9 Roggen ; 75,0 Roggenftroh x, 75,5 Wintergerste g 68,0 do. -Stroh d 68,2 Sommergerste 38, 66,2 65,6

71,9

j 9, 689 Sandbdu , 54,5 Moorb 1, 48,4 Feldbobnen 9, 60,0 do. -Strok I, 60,9

S6 63A

r d 622

wi Pte ata Aa

Mis

a

o attiybai diiap gt Qm ee Metalle ago O

y H wf i s

E A

arien: