* Meine Herren, ih habe zu wiederholten Malen ausgesprochen, außer dem Hause und auch an anderen Stellen, daß ich eine Revision des Börsengesetzes für durhaus notwendig halte, und es kann fich nur um die Grenzen handeln, innerhalb deren es notwendig ist.
Die weiteren Wünsche des Herrn Vorredners in Bezug auf das Stempelsteuergeseß sind nicht an meine Adresse zu rihten. Das ist RNeichsfahe, und da kann ich den Herrn Vorredner nur ver- weisen auf Aeußerungen, die der Herr Reichsschaßsekretär gemacht
hat, der seinerseits \s\elbst darauf hingewiesen hat, daß die Wirkungen der leßten Erhöhung des Stempelsteuer- gesezes ein anderes Resultat ergeben hätten, als von
denjenigen, die das Gesetz eingebraht und beschlossen haben, erwartet wurde. Soweit ih den Zahlen habe folgen können, wirkt das noch immer nah; im großen und ganzen sind die Erträgnisse der Stempel- steuer nit heraufgegangen, sondern fie sind stellenweise unter das seitherige Maß heruntergegangen, und ih bin auch meinerseits der Auffassung, daß die Erwägung nahe liegt, daß im reichsfiskalischen Interesse eine Herabsezung der Stempelsäße wieder zu empfehlen sein würde. Selbstverständlih kann ih darüber gar keine Auskunft geben, welche Stellung die Staatsregierung in dieser Frage einnimmt, weil überhaupt bisher Verhandlungen darüber nicht stattgefunden haben.
Abg. Feli ch (kon\.) kommt auf seinen vorjährigen Antra zurück, der die Vorlegung eines Reich8geseßentwurfs Me ante, na dem die Ausbildung der Lehrlinge nur solchen Handwerksmeistern und Gewerbetreibenden gestattet sein sollte, die die O abgelegt haben. Die Regierung habe ein derartiges Vorgehen im Bundesrat als zur Zeit unmöglih bezeichnet. Es sei die erste Aufgabe des Staats, endlich einmal eîne vernünftige Mittelstandspolitik zu treiben. Wenn man aber das Handwerk untergehen lasse, fo bedeute das den Untergang des Mittelstandes; dann gäbe es auf der einen Seite nur noch Arbeiter und Sozialdemokraten und auf der anderen E E Er erkenne ja an, daß manches für das Handwerk geschehen sei, daß ¿. B. die Handwerkskammern segensreih gewirkt hätten, aber es müsse mehr geschehen. Für den Bauhandwerker sei der Befähigungsnahweis unerläßlih; im Interesse seiner Selbsterhaltung müsse er den Befähigungsnahweis fordern. Für den Arbeiterstand ei jo viel geshehen, da müsse auch einmal etwas für den Mittelstand geschehen, wir müßten eine Witwen- und Waifen- versiherung, eine Alters- und Invaliditätsversicherung für die Hand- werker erhalten, dann hätten wir einmal etwas für den Mittelstand getan. Der Mittelstand sei zurückgegangen, das müsse uns bei Zeiten vorsichtig machen. Diesen Stand dürfe man nicht zu Grunde gehen lassen.
Minister für Handel und Gewerbe Möller:
Meine Herren! Gestatten Sie mir, daß ich auf einige wenige mehr allgemeine Gesichtspunkte eingehe, die der Herr Vorredner er- wähnt hat, im übrigen die sehr komplizierten Fragen rechtliher Art meinem Herrn Kommissar zur Beantwortung überlasse. Die große Schwierigkeit in diesen Dingen liegt darin, daß teils die Neichsgesetz- gebung, teils die staatlihe Gesetzgebung maßgebend ist, — daß die Reichsgesezgebung, insbesondere die Bestimmungen der Gewerbe- ordnung über die Abgrenzung zwishen Handwerk und Gewerbe auf allgemeine Definition hinauslaufen, — daß diese Definitionen deutungs- fähig find, und daß wir \{ließlich in leßter Instanz uns danach rihten müssen, wie die obersten Gerichtsbehörden entscheiden. Wollte man die Abgrenzung mechanisch machen, dann wäre eine bestimmte Entscheidung in jedem Falle leicht zu treffen. Aber jede mechanische Abgrenzung würde eine rein willkürliche sein, und ih glaube, wir werden deshalb noch lange dabei beharren müssen, nur allgemeine Ankbaltspunkte für die Entscheidung zu geben und in jedem einzelnen Fall die Entscheidung nah Maßgabe der gesamten obwaltenden Ver- bâltnisse der Verwaltung und den Gerichten in leßter Instanz zu überlassen.
Meine Herren, der Herr Vorredner hat ausgesprochen, es sei von boben Stellen das Wort gefallen: „das Handwerk ist dem Untergang geweiht.“ Ich will autdrücklich konstatieren, daß ih dieses oder ein ähnlihes Wort niemals ausgesprochen habe. Ih habe nur gesagt — und das wiederhole ih auch hier —, daß das Handwerk nicht überall in den alten Formen — in Cöln habe ih mich ausgedrüdt : in den mittelalterlihen Formen weiterleben könne. (Sehr richtig !) Das halte ih vollständig aufreht; das versteht fich ganz von \elbfl. Unter den vollständig veränderten Zuständen, unter den vollständig anderen Arbeitsmitteln, die wir heute haben, bei der Entwickelung des Maschinenwesens sind gewisse Zweige des Handwerks in den Formen, in denen sie früher bestanden baben, nicht aufrechtzuerhalten. (Sehr richtig!) Ich habe zum Beispiel gesagt, daß das Swhubhmachergewerbe
und habe dabei in den Handwerkerkreisen, mit denen ih in den leizten Wochen wiederholt verkehrt habe, volle Zustimmung gefunden —, daß die Fabrikation gewöhnliher Shube mit Teilung der Arbeit allerdings dem Handwerk verloren sei, und daß die bandtwoerkömäfßigen Schuhmacher \sich nur darauf beshränken können, für anormale Füße und für feinere Maßarbeit weiter zu arbeiten und
Reparaturen zu machen. Das seien
unabänderlihe Tatsachen, an denen die Gesetzgebung nichts ändern könne, dic daran liegen, daß die
mas{hinelle Teilung der Arbeit billiger ift, nicht nur in der Teilung der Arbeit, sondern auch im Material, soviel billigere Preise stellen kann, daß dagegen das Handwerk nicht aufkommen könnte. Das sind Dinge, die ih konstatiert habe. Das sind keine Erfindungen von mir oder jemand anders. Ich habe es aber für durchaus angemessen ge- halten, in Handwerkerkreisen gerade bei Meisterkursen, denen ih mi ganz speziell in den leyten Wothen gewidmet habe, keine Jllusionen auffommen zu lassen über das, was man errcihen kann, wenn man es wohl will, und über das, was an dem Handwerk zu retten und zu halten ist
—_
Daf der Müttelsiand als solher zu beslehen aufgehört bâtte oder aufhören würde, ift unrichtig; des näheren darauf einzugeben, würde mnuc eine unfruStbare Debatte hier hervorrufen Zweifellos ift durh die jeyige wirtschaftliche EntwiZlung die Zahl dec Menschen in selbständigen Stellungen weniger geworden; sehr viel mehr Menschen sind in abhängige Stellungen gekommen. Das liegt in der Entwickelung des Maschinen- wesens, daran fann feine Gescygebung etwas ändern. Das aus-
zusprechen ist nur nüylih, weil es falshe JUusionen zerstört. Das gilt aber niht nur für das Handwerk und den Mittelfland:; diese Eantwidelung geht vielmehr hinauf bis in die höôthsten Siellungen des gewerblichen Lebens. Auch die Tatsache, daß der Siaat gewaltige gewerbliche Unternehmungen übernommen hat, führt da, daß Tausende, ja Zehntausende von Leuten, die früher selb- lärdig gewesen, jeyt Beamte sind. Aber tas Einkommen dieser Be- amilien, meine Herren, isl jeyt besser, als früher das Einkommen des Mittelsiandes gewesen ist, (Sehr richtig! links.) An diesen Dingen
können wir geseglich nihts ändern, weder ih noch irgend jemand anders, noch irgend ein Parlament.
Meine Herren, dann noch eine kurze Bemerkung über die Klage des Herren Vorredners, daß wir mit dem Befähigungsnahweis für das Baugewerbe nicht vorgegangen sind. Ich habe Ihnen im vorigen Jahre versprochen, daß ich mich an die Provinzialbehörden wenden wollte, um Gutachten zu erfordern darüber, was auf diesem Gebiete möglih und ausführbar sei. Jch kann jeßt mitteilen, daß die Berichte nunmehr von allen Stellen eingegangen sind, daß die Berichte augen- blicklih nahezu fertig verarbeitet sind und daß das Staatsministerium demnächst Beschluß darüber zu fassen haben wird, welche Stellung es im Bundesrat in dieser Frage einzunehmen haben wird.
Dann hat \ich der Herr Vorredner noch beshwert über einen Erlaß. vom 3. Juli vorigen Jahres, den ih an die Handwerker- kammern gerihtet habe. Fn diesem Erlaß ist gesagt, daß es mir bei meiner Umfrage nicht darauf ankomme, ein präpariertes Gutachten übereinstimmend von allen Handwerkskammern zu bekommen, fondern daß ih wünschen müßte, daß die Handwerkerkammern mir nach ihren Beobachtungen über die örtlichen Verhältnisse auf Grund eigener Prüfung selbständige Gutachten erstatteten, und daß eine vom Innungs- verbande deutscher Baugewerklsmeister entworfene und den Handwerk8s fammern übermittelte Antwort von mir niht als eine ausreihende Antwort auf meine Fragen betrahtet werden könne. (Sehr richtig ! links.) Ich glaube, meine Herren, ih habe darin wirkli recht ge- habt, daß ih das gesagt habe. Wir wissen ja, wie heute im öffent- lichen Leben oft die Dinge präpariert werden, und zwar niht nur in den Handwerkerkammern, sondern auch in den Handelskammern und in anderen Vereinigungen. Ich habe selbst verschiedentlih erfahren, daß, wenn eine Handelskammer mit irgend einem Wunsch kommt, dann ein Dußend, ja zwei Dußend Handelskammern einfach \{reiben: wir {ließen uns diesem Wunsche an. (Abg. Gamp: Sehr richtig!) Ja, meine Herren, was für einen Wert haben derartige allgemeine Aeußerungen ? Es seßt den Wert der gutahtlißen Aeußerungen herab, wenn in dieser Weise verfahren wird. Meine Ermahnung an die Handwerkerkammer ist nihts anderes gewesen als eine Erinnerung daran, daß jede einzige Handwerkerkammer mit vollem Ernst auf Grund der Erfahrungen, die sie in ihren Bezirken gemacht hat, an die Beantwortung der Frage herantreten solle. Jch kann mir im Ernst keinen Vorwurf darüber machen.
Ich will, wie ich vorhin {hon sagte, mich hierauf beschränken und nun noch einige Einzelfragen, die mehr rechtliher Natur sind, dur meinen Kommissar beantworten lassen. (Bravo!)
Geheimer Regierungsrat Frick bespricht die rechtlichen Gesichts- punkte der Unterscheidung von Handwerk, Handel und Gewerbe. Die Fassung der Gewerbeordnung sei in dieser Beziehung nicht ganz klar, die Frage müsse von Fall zu Fall gerihtlih- geprüft werden. denklich sei p eine tendenziôöse Auslegung der Gewerbeordnung.
Abg. Reichardt (nl.): Die Revision des Börsengeseßes muß durhgeseßzt werden, gleichviel, wie die Geschäftslage ist und welche
Be-
Parteien die jeweilige Mehrheit im Reichstage bilden. Es ist zu bedauern, daß die Börsennovelle, deren Notwendigkeit der
Minister anerkannt hat, niht {on in diesem Winter eingebracht wurde. Dadurch wird die Unsicherheit und die Unmoralität. in Handel und Wandel verlängert und gefördert, anstatt beseitigt zu werden. Am meisten leiden darunter die kleinen Börsen in der Pro- vinz. Von dem Verbot des Terminhandels wird der Zuckertermin- bandel besonders hart betroffen. Es ist Höchste Zeit, daß dieser Fehlgriff der Gesetzgebung wieder beseitigt wird.
Geheimer Regierungsrat Frick: Das vorliegende Material genügt noch nit dazu, geseßlihe Maßnahmen zu treffen.
Abg. Oeser (fr. Volksp.): Der Abg. Sattler hat \sich über die großen Lasten beklagt, die der Industrie aus der sozialen Gesetzgebung entstehen. Das will ich gern glauben, daß die Lasten. groß sind. Aber dem leistungsfähigen Arbeiter verdankt die Industrie auch ihre Stellung auf dem Weltmarkte. Es gibt keine besseren Freunde des Mittel- standes, als wir sind; wir wollen ihn erhalten, aber die Gesetzgebung kann hier nit eingreifen. Wir haben in Frankfurt eine historische, gut entwidckelte Börse und leiden unter der Börsengesetzgebung ganz
esonders. Warum hat man den Entwurf der Abänderung des Börsen- geseßes noch nit veröffentliht? Wenn der Minister mit Rücksicht auf die Mehrheit des Reichstages, die wenig reformfreundlih ist, das Börsengesey nicht vorgelegt hat, so verstehe ih das einigermaßen, aber der Minister nimmt niht immer Rücksicht auf die Parlaments-
mehrheit und die öffentligde Meinung. Wenn es \ich um landwirts{haftlide Fragen handelte, wäre {hon längst eine Lösung gefunden worden. Eine NMNeibhe von Bestimmungen in dem Gesey is auch mir erwünscht und ist unschädlich.
Aber überall, wo man versucht hat, das ethishe Moment in das Gesetz bineinzubringen, bat man vielfah das Gegenteil erreiht. Der Un- erfahrene soll sch von der Börse fernhalten. Mit der Eintragung in das Börsenregister ist eine Gefahr für den kleinen Bankier verbunden ; diejer kann si eintragen lassen, aber seine Kunden tragen \ih nicht cin. Das kann er auf die Dauec nicht aushalten. Ein hervorragender Jurist, der meiner Partei nicht nahe steht, hat das Börsengesey als reformbedürftiger bezeichnet als den Zolltarif. Die Börsensteuer in Verquickung mit dem Verbot des Terminhandels hat die Geschäfte ins Ausland getrieben. Besonders zu beklagen ist die Unterdrückung des Arbitragegeshäfts, das zwischen den Kursen cine Autgleichung, bei ungünstigen Wechselkursen eine Korrektur bedeutet. Auch hierdurch
sind die mittleren und kleinen Banken {wer getroffen worbên. Ih bitte den Minister, den Entwurf der Börsenreform, den
er ausgearbeitet hat, zu veröffentlichen werde die erste der Welt werden. Das hätte auh eine Folge auf politisem Gebiete, denn cine mächtige Börse ift der beste Grund- vfeiler der volitishen Macbistellung cines Staats
Abg. Gamp (fr. kons.): Wir wünschen die soziale Gesehgebung und einen maswollen Ausbau derselben, aber wir wünschen aub, dak Sie die Konsequenzen daraus ziehen zum Schuße der einheimischen Industrie; wir wünschen, daß nicht verlangt wird, man tolle ins Aus- mnd ebenso billig verkaufen wie im Inlande. Das if ein Wider- pru. (Zuruf links: Verlangen wir auch gar nicht!) Darüber haben Sie dech wochenlang im Reichstage gesprochen. Nach dem Inkraft- treten des Börsengesehes sind die Preisshwankungen verschwunden, wie es die Landwirtschaft wünsht. Abg. Oeser hat gesagt, Unberufene sollten von der Börse wegbleiben. Das ist mir aus dem Herzen ge- sproben. Aber wenn er in Börsenkreisen das ausspricht, wird ex aus- gaelaht; gerade von diesen Elementen lebt ja die Börse. Aus dem Rückgange der Börseasteuer können Sie erschen, wie wohl- tätig die Börsengeseygebung gewesen ist; jener ist herbeigeführt dur die Beseitigung der Geschäfte der Outsieders. Die beklagten Ver- hältnisse haben ihren Grund gar niht so sehr in der Börsengeseh- gebung, sondern zunächst in Bestimmungen des Bürgerlichen Gesey- buchs und der früherea Gesetzgebung und in der Interpretation, di diese Geseygebung seitens des Reichsgerichts gefunden hat. immer der Vrundsay daß Spiel- L
Es hieß einst, unsere Börse
gegolten und es if nie daran gerüttelt worden, Zettgeschäfte nicht
und j flagbar sind. Sie sagen, es sind Geschäfte ins Ausland getrieben worden. Gewiß, wir . ü haben die Spielbanken ja auh und
ins Avéland getrieben vielleicht wird die Spielbank in Monaco auch noch aufgehoben werden Das Termingelchift ift aber aach ein Wett- und Spvielgelcbüft
Jch lasse meine Stiefel immer vom Schuhmacher machen und habe nur cines auszuseyen, daß fie zu lange halten; ih glaube, der
Handelsminisler macht es ebenso. Ju einem Bazar kann man ih allenfalls ein Paar Pantofsel laufen, die man nah vier Wochen
Es hat |
wieder wegwirft. Die Handwerker sind bei der Sozial
gebung zu fkurz gekommen. Muß es niht auf die geleb werker demoralisierend wirken, wenn fie sehen, wie die Arbeiter durch Kranken- und Invalidenversiherung vor ibnen
begünstigt sind? Es ist auch eine große Ungerechtigkeit, der Industrie das Geld der Reichsbank zur Verfügung zu stellen, während die Hand- werker sehen müssen, wo sie bleiben und woher sie etwas bekommen. Die Handwerker stehen noch \{lechter da als die Arbeiter, die von ihrem Arbeitgeber Vorschuß erhalten können; ia auch der Landwirt ist noch besser daran, denn dieser hat seinen Kommissionär, dem er dag Getreideliefert. Weshalb kann nicht Me Ma geschaffen werden, wie wir eine Aeu eas haben ? eshalb stellt man dem Ober, präsidenten niht 200 bis 300 000 4 zinsfrei zur Verfügung. Eg fehlt den Leuten an Geschäftskenntnis, deshalb müssen sie eine andere Organisation erhalten. Die Landwirtschaft muß die Kinder ao ziehen; wenn sie 18, 19 Jahre alt sind, wandern sie in die roßen Städte und Industriezentren und gehen der Landwirtschaft ver- oren. Gbenfo geht es den Handwerkern. Es ist ja bekannt, wie die Wohnungsverhbältnisse in den Groustinten sind. Man will die Frei-
zügigkeit niht beschränken, aber es müßte der Zuzug doh beschränkt wérden. Die Leute müßten dort bleiben, wo sie Wohnung finden. Oer n Deli 5D, finden
die Zuzügler keine Wohnung; fie sind da auf die Schlafstellen ange- wiesen, deren moralische und fittlihe Schäden bekannt find. 10, 12 Per- sonen wohnen und schlafen in einem Raume. Die Zentralifierung der Bevölkerung in den gkoßen Städten muß aufhören, die Leute müssen in den kleinen Städten bleiben. Jh bitte den Minister, für das Handwerk nicht nur ein gutes Herz, sondern au) Energie zu haben, damit ihm geholfen wird. : / ;
Abg. von Eynern (nl.): Ih würde mich im Reichstage meinen Freunden, die für das Börsengeseß gestimmt haben, nicht an- geschlossen haben, aber sie kannten nicht die Wirkungen des Gesetzes und seine Auslegung durh die Gerichte, die in der Tat verheerend gewirkt haben. Die Kleinen sind durch das Verbot des Terminhandels ruiniert und vernichtet. Der niedrige Stand unserer Konfols kommt daher, daß das Ausland nicht mehr an die Kreditfähigkeit unseres Landes glaubt. Mit Bedenken und Erwägungen {haft man nits. Es ist möglich, daß, wenn die Novelle vorgelegt worden wäre, der agrarishe Reichstag die Krebsschäden verzögert und hintangehalten hätte. Wenn das Gesamtministerium seine Ueberzeugung ausf\pricht, daß das Gefe geändert werden muß, so wind das nit nur auf die öffentliße Meinung, sondern auch auf die Parlamentarier Eindruck machen. Ein Teil der Minister i wohl nur deshalb gegen die Novelle, weil sie niht den Wünschen der Agrarier entspriht. Auch das Hoffnungskloseste kann durhgeführt werden ; das haben wir beim Zolltarif gesehen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Aber das Ministerium glaubt mit Rücksicht auf die Agrarier die Wünsche von Handel und Industrie nicht erfüllen zu dürfen. : L
Abg. Oeser (fr. Volksp.): Die Börse hat ein e daran, die Unerfahrenen von der Börse fernzuhalten; hierfür sorgt son der Differenzeinwand. Gewisse Börsengeschäfte mögen nah der Meinung eines einzelnen niht höher stehen als Spiel- und Wettgeschäfte, aber den ganzen Komplex der Börsengeschäfte auf dieses Niveau zu stellen, das geht doch nicht; es beweist eine falshe Auffassung von der
Gade Die leistungsfähige Getreidebörse konnte einen Preis auf der Börse angeben, aber jet kann der Bauer nicht mehr fkontrollieren,
wie der Provinzhändler den Preis festlegt. Wenn man die Handwerker auf das Genossenschastswesen, auf den Weg der Selbsthilfe hinweist, tut man für die Handwerker mehr, als man mit \taatlihen Mitteln tun kann. Hier kann die Stadt von dem Lande noch lernen.
Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): Die Getreidebörse hat die Preise zu oft gewech{selt. Die Kleinhändler sind recht solid und lassen sich nicht zu unlauteren Manipulationen hinreißen. Die Differenzgeschäfte sind allerdings Spiel- und Wettgeshäfte. Die Eintragung in das Terminregister haben Sie (nach links) diskreditiert. Die Höhe der Börsensteuer kommt für das große, weite Publikum gar niht in Be-
traht; dieses \pürt die kleine Abgabe nicht. An der Börse werden nur Spekulationsgeshäfte gemacht, um zu verdienen; selbst wenn man '/z oder !//%/ verdienen kann, \{ließt
man das Geschäft ab. Da hat es gar keinen Einfluß, wenn noch ‘/6 pro 1000 Stempelsteuer zu zahlen sind. Daß dié Spekulation ins Ausland gegangen ist, liegt nit an der Steuer, sondern ist durch andere Ursachen bedingt; hier spielt auch unsere Aktiengeseßgebung hinein. Es ist besser, daß einige Geschäfte im Ausland abgewickelt- werden, als wenn wir den ganzen Spekulationss{windel bei uns haben. JIch gônne dem Ausland den kleinen Gewinn und freue mich, daß wir davon frei sind. Die Stagnation der Geschäfte, die man hier als Folge der Börsengesetzgebung hinstellt, hat sich auch bei den Börsen in Wien, Paris usw. bemerkbar gemacht, das ist eben die Folge der wirtschaftlichen Lage. Die Reichsbank muß weitere Kreise beranziehen, ein Scheckgesey muß erlassen werden, das größere Sicherheit bietet, dann würde die Konstellation der Großkapitalien bei wenigen Banken
ein Ende finden. Die Vergebung der 80 Millionen - Schaÿß- anleibe ins Ausland war seinerzeit durhaus angebracht. Wir haben immer noch den hoben Bankdiskont, unter dem wir leiden. Die Börse ist cin notwendiges und wichtiges
Institut, so daß man sie nicht sih selbst überlassen darf, sondern ihre Geschäfte gesetzlih regeln muß. Die Volkswirtschaft ist nicht der Börse wegen da, sondern die Börse der Volköwirtschaft halber. Der Zolltarif ist nicht durch die Festigkeit der Regierung durhgebraht worden, sondern durch die Obstruktion. Der Abg. VDeser hat die Handwerker auf die Selbsibilfe verwiesen. Das ist das erste, aber es fragt sich, ob sie ohne Staatsbilfe genügt. Die Zentralgenossenschaftskasse, die die Linke bekämpft hat, hat sehr segenöreih gewirkt. Dem Handwerk darf seine Existenz nit noch mehr ers{hwert werden. Der Handelsminister soll für den baldigen Abschluß guter Hantelöverträge sorgen. Wir sind niht Gegner soldher Verträge, sondern die besten Freunde, wir sind aber Gegner solcher Verträge, die die Interessen unseres Landes preisgeben. (Zuruf links: Wir auch!)) Wie war es denn bei den Caprivishen Handelöverträgen ? Diese baben die deutschen Interessen preitgegeben. Alle Erwerbsstände müssen in gleicher Weise zu ihrem Rechte kommen. Ein wirtschaft- liher Aufschwung auf Grund von Handelsverträgen, wie wir wünschen, wird auh dem Handwerk nüyen.
Aba. Ernst (fr. Vag.) wünscht, daß die Lehrer an den Bau- gewerkshulen aus den technischen Kreisen genommen werden, und be- mängelt die Eintcilung in Oberlehrer und Baugewerkshullehrer. Vie Baugewerkschullehrer wollten in die Stellen der Oberlehrer ein- rücken. Der Redner verlangt weiter den Ausbau des Fortbildung#- s{hulwesens in Posen.
e
Minister für Handel und Gewerbe Möller:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat augenscheinlih nicht verstanden, was ih gestern ausgeführt habe. Ich habe ganz autdrüdck- lih gesagt, daß wir bei den technishen Lehrern den Zustand beseitigen wollen, daß jeyt zwei Klassen vorhanden sind, nämlih solche, die akademishe Bildung haben, und solhe, die eine solche nicht haben; ih habe weiter darauf hingewiesen, daß alle diéjenigen Lehrer, die ihre Keaatnisse durh Prüfungen außerhalb der akademishen Bildung nachgewiesen haben, dasselbe Schalt bekommen sollen wie die alade- mischen Lehrer, und daß ter jeyige Zustand ein unleidlicher ist, daß Lehrer, die in denselben Materien unterrichten, zu verschiedenen S&- halissätien besoldet werden. Nur insofern trifft das, was da Herr Vorretner gesagt hat, zu, als diejenigen Lehrer, die nicht durch
| ein Examen ihre höhere Bildung nachunvoeisen vermögen, allerting®
in dem bisherigen Zuflland verbleiben müssen und als solche aussterben In Zakunft werden uur Lehrer angesiellt werden, die die nöôtige
| Bildung haben ; aber wir fragen nicht, ob die Bildung auf akademische
Wege oder sonst erreicht if. Also nah dieser Richtung kann der Hetr Vorredner wohl zufrieden sein
Was nun die Bemerkungen des Herrn Vorredners über die Ausbildung von Volksshullehrern für den Fortbildungs\{ulunterricht betrifft, so hat er übersehen, daß die Erhöhung des Etattitels von 150 000 M auf 195 000 M. nit eine Neueinseßung, sondern lediglich eine Uebertragung aus dem Extraordinarium ist. Es bleibt in Bezug auf die Gesamthöhe des Etatsansatzes bei dem bisherigen Zustand.
Wir teilen aber vollständig die Anschauung des Herrn Vorredners, daß es dringend notwendig ist, daß wir nah wie vor für die Fort- bildung der Elementarlehrer, die den Fortbildungs\{hulunterriht geben, für Kurse sorgen, um ihnen diejenige Kenntnis in der Volkswirtschafts- lehre, kaufmännischen Buchführung usw. beizubringen, die ihnen natürlich als Elementarshullehrern fehlt.
Auf eine Reihe von anderen Detailfragen, über die der Herr Vorredner Beschwerde geführt hat, wird mein Kommissar Auskunft geben.
Geheimer Regierungsrat Fri ck: Die tehnisch gebildeten Lehrer erhalten dieselben Bezüge- wie die akademish gebildeten Lehrer, wenn sie die gleichen Kenntnisse nahweisen können.
Nach kurzen Bemerkungen der Abgg. von Eynern (nl) und Dr. Arendt (fr. konf.) schließt die Besprechung.
Der Titel „Gehalt des Ministers“ und das ganze Kapitel „Ministerium“ wird bewilligt, ebenso die Kapitel „Handel und Gewerbe“ und „Bernsteinwerke“.
Bei dem Kapitel „Gewerbliches Unterrichtsroesen, wissen- schaftlihe und gemeinnüßige Zwecke“ bittet
Abg. Dr. Lotichius (nl.) um einen höheren Staatszushuß für den nassauishen Gewerbeverein und fordert den obligatorishen Besuch
der Fortbildungs\{hulen, mit dem Sachsen, Thüringen usw. gute Er- fahrungen gemacht hätten. ; :
Abg. Fun ck (fr. Volksp.) bittet um einen höheren Zuschuß für den obligatorishen Fortbildungsunterriht in der Stadt Frankfurt; diese habe 70 000 M verlangt, es feien ihr aber nur 45 000 M zu- gebilligt worden. f i
Regierungsrat Dr. von Seefeld weist darauf hin, daß der Regierungsbezirk Wiesbaden die meisten gewerblichen Fortbildungs- \{hulen der Monarchie zähle; die Regierung könne sih aber ihres Rechts der Einmischung in diese Schulen nicht begeben. Die endgültige Festseßung der Zuschüsse sehe noch bevor; in den Etat seien nur die runden Summen eingestellt worden. Die Verwaltung babe soweit als mögli Mittel für die gewerblichen Fortbildungs\chulen flüssig gemacht. j
Auf eine Anfrage des Abg. Schaffner (nl.) bemerkt der
Minister für Handel und Gewerbe Möller:
Meine Herren! Schon mein Herr Kommissar hat auf den finanziellen Teil der Wünshe aus Nassau geantwortet. Jch kann dem Herrn Vorredner nur nochmals versichern, daß wir voll davon durhdrungen find, daß der Nassauishe Gewerbeverein {ih ein großes Verdienst erworben hat dadurch, daß er das Fortbildungs\{Mulwesen in Naffau zu einer Zeit {on entwickelt hat, wo in anderen Teilen von Deutschland sehr wenig daran gedaht wurde. Wir werden ihm diese Tat nie vergessen. Aber mein Herr Kommissar hat ia auh {on ausgeführt, daß wir dabei eine gewisse Uebereinstimmung der Ansprüche an die Schulen in Nassau und in den anderen Landesteilen herbeiführen müssen und daß wir dabei einen gewissen Einfluß uns au auf die Leitung der Schulen vorbehalten müssen. Datnit sind die Herren bisher ja au einverstanden gewesen, und ih zweifle nicht, daß wir auch fernerhin in freundliher Weise zusammen arbeiten werden.
Abg. Metger (nl.): Die obligatorishen Fortbildungs\{ulen brauchen nicht an dem Mangel an Lehrpersonal zu \{eitern. Lehrer find genug vorhanden.
-- Minister für Handel und- Gewerbe Möller:
Meine Herren! Den Wünschen des Herrn Vorredners gegenüber halte ich mich für verpflichtet, zu erklären, daß ih nicht glaube, daß in der nächsten Zeit die Regierung von ihrer seitherigen Stellung- nahme gegenüber den Fortbildungéshulen wird abweichen können. Die Mittel, die dafür erforderlich scin würden, eine allgemeine obligatorishe Fortbildungss{hule dur das ganze Land auf Staats- kosten einzurihten, würden sehr große sein, und die Finanzlage des Staates wird doch für lange Zeit nicht erlauben, derartige Mittel einzustellen. Jh glaube au, daß der seitherige Zustand mancherlei Vorzüge hat. Der Herr Vorredner hat schon rihtig ausgeführt, daß die Meinungen in Bezug auf die Fortbildungss{hulen sehr ges{wanlk! haben, daß man lange Zeit der Meinung gewesen ist, die fakultative Fortbildungsshule sei die bessere, weil dann nur die besseren Schüler in die Schule kämen und die Lehrziele höher gesteckt werden könnten. Man hat \ich allmählih überzeugt, daß das nicht der Fall ist, daß in der fakultativen Schule der Ernst viel geringer is und daß, wenn auch auf den ersten Anlauf die Schulen bäufig etwas Gutes leisten, in der Regel auf die Dauer diese Schulen nicht das leisten, was fie vorher versprochen baben, und daß der einzig richtige Weg ist, die obligatorische Fortbildung#sc{ule zu erstreben, aber, meine Verren, immer nur unter der Bedingung, daß die Nächsibeteiligten, die Gemeinden, cinen ganz erheblihen Teil der Kosten übernehmen. Wir sind an den Etatstitel gebunden, der vor uns liegt; wir können niht weiter gehen, als die Mittel erlauben, die uns bier bewilligt sind.
Meine Herren, wir haben im leyten Jahre in einer Weise Fort- shritte auf diesem Gebiete gemacht, wie früber nicht. Ich hoffe auth, daß in Zukunft sich weitere Mittel werden flüssig machen lassen und daß wir in ruhigem Tempo auf dem begangenen Wege weiter fort- \hreiten werden.
Wie gesagt, ih habe mich für vervslichtet gehalten, das bier aus- jusprechen, damit nicht unnötige Zllusionen im Lande erweckt werden.
Das Kapitel wird bewilligt, worauf sich das Haus vertagt.
x Präsident von Kröcher: Ih {lage vor, auf die nächste Tages- ordnung zu seyen : 1) Rest der beutigen Tagesordnung, 2) Etat der N Vütten- und Salinenverwaltung
D Abg. Dr. Friedberg (nl.) beantragt, die Interpellation der lallonalliberalen über den Erlaß des Bischofs von Trier auf die
1gœŒordnung zu seyen. „Präsident von Kröcher: Ih habe mih mit dem Kultusminister Berbindung gesetzt, und dieser hat mir mitgeteilt, er sei in diesem Augenbli nicht in der Lage, zu sagen, wann er die Interpellation be- antworten könne, weil er zuvor noch mit anderen Ressorts zu ver- bandeln habe. Möglicherweise läßt er mir aber heute abend sagen, | wann er die Interpellatioa beantworten wird Abg. Dr. Friedberg zieht seinen Antrag zurück
Schluß p/, Ul Nâäcbsie S i 11 Ubr ß um 4 Uhr ächsie Sihung
in
Donnerstaa,
Literatur.
Die Bewegung der Warenpreise in Deutschland von 1851 bis 1902. Nebst zwei Mraängnngen: Bankdiskont, Goldproduktion und Warenpreisstand. Der Weizen- preis von 400 vor Chr. bis 1900. Von Otto Schmit. 443 Seiten. Mit 2 Karten in mehrfarbigem Steindruck und 43 farbigen Tafeln. Berlin, Verlag von Franz Siemenroth. Pr. 12 4. — Der Verfasser dieses Werks Fat fih bereits in der finanzwissen-
schaftlichen Literatur durch seine früheren Schriften „Die Finanzen Merikos“ und „Die Finanzen Argentiniens“ einen guten Namen erworben. Mit diesen hat er den Nachweis
erbracht, daß er mit klarem Blick in die verworrenen Finanz- verhältnisse der _ beiden Staaten einzudringen und aus seinen Beobachtungen die rihtigen Schlüsse zu ziehen verstanden hat. In seinem neuen Werke bietet der Verfasser eine lihtvolle Dar- stellung der Warenpreisbewegung in Deutschland während der zweiten Hâlfte des neunzehnten Jahrhunderts und bis in die lezten Monate hinein. Eine den Stoff fo ershöpfende Darstellung war bisher weder in der deutschen noch in der ausländischen Literatur vorhanden. An der Hand der vom Kaiserlihen Statistishen Amte seit 1879 ver- öffentlihten Preise der wichtigsten Großhandelswaren und unter Zu- hilfenahme der für die früheren Jahre vorliegenden Warenpreisstatistik des Hamburgischen Handelsstatistishen Bureaus gibt der Verfasser zunächst eine zusammenhängende Darstellung der Gesamtwarenpreis- bewegung seit 1851 und zeigt dann, wie sih der Preis jeder der 29 wichtigsten Großhandelswaren (Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais, Heringe, Nüböl, Spiritus, Nohzucker, Shlachtvieh, Schmalz, Rohtabak, Kaffee, Neis, Pfeffer, Baumwolle, Wolle, Hanf, Rohseide, Leinengarn, \chlesisches Gießereiroheisen, Bessemerroheisen aus dem Nuhrdistrikl, Blei, Kupfer, Zink, Zinn, westfälishe Fett- kohle, \chlesis {e Gasfohle und Petroleum) im Verhältnis zu dem jeweiligen Gesamtwarenpreissttand während des ganzen Zeitraums gestellt hat. Einen besonderen Wert erhält das Werk durch die bei- Aae 43 farbigen Tafeln, die es ermöglichen, mit einem Blick die
reisbewegung jeder einzelnen Ware im Vergleih mit der Gesamtwarenpreiëbewegung zu übershauen und so zu be- urteilen, ob in einem gegebenen Augenblick eine Ware verhältnismäßig hoh oder niedrig im Preise steht. Von welcher
eminenten Wichtigkeit dies für die ganze Geshäftswelt ist, liegt auf der Hand, und wenn der Verfasser im Vorwort die Erwartung ausspricht, daß seine Arbeit niht nur dem Nationalöfonomen vom Fach, sondern auch dem praktischen Geschäftsmann vielfahe Anregungen bieten, auf manche Fragen der Preisentwickelung Antwort geben und als eine Art Wetterwarte in den wechselnden Strömungen und Störungen der wirtschaftlichen Atmosphäre dienen kann, so ist damit sicher nicht zu viel gesagt. Das Werk, das gewissermaßen einen Handatlas der Warenpreisbewegung bildet, wird auf Jahre hinaus von grund- legender Bedeutung für die Geschihte der Warenpreisbewegung sein. Ein erhöhtes Interesse gewährt es noch dur die beiden Nachträge: „Bankdiskont, Geldproduktion und Warenpreis“ und „Die Bewegung des Weizenpreises von 400 v. Chr. bis 1900“, ferner durch zwei große Karten in farbigem Steindruck, von denen die eine die monat- lichen Schwankungen des Gesamtpreisstandes von Januar 1879 bis November 1902 darstellt und so ein anshauliches Bild der drei letzten großen Preiswellen bietet, während die andere die sih über 23 Jahr- hunderte erstreckende Bewegung des Weizenpreises veranschaulicht.
— Brasilien und seine Bedeutung für Deutschlands Handel und Industrie. Von Dr. Walther Kundt. Berlin, Verlag von Franz Siemenroth. Pr. 2,50 #( — Die Literatur über Brafilien ist eine ziemlih reihe. Doch befaßte ih diese bisher, ab- geschen von den Werken streng wissenshaftlih-geographischen Charakters und feuilletonistishen Reisebeshreibungen, fast nur mit dem Kolonistenleben der Deutschen in den Südstaaten der großen Republik. An einer Darstellung der wirtschaftlichen Ver- hältnisse des ganzen Landes, vor allem seiner Handels- beziehungen zu Europa, hat es bisher gefehlt. Für den deutschen Kaufmann und Industriellen, der dorthin erportieren will, ist aber eine Kenntnis der kommerziellen Verhältnisse, zumal derjenigen in der Hauptstadt des Landes Rio de Janeiro, die in wenigen Jahren in die Reihe der Millionenstädte eintreten dürfte und deshalb einen Absatmarkt für deutshe Waren bildet, wie wobl keine andere Stadt innerhalb der Wendekreise, von großer Wichtigkeit sein. Das . bier angezeigte Buh- von Walther Kundt gibt ein anschaulihes“ Bild
des ganzen Landes sowie der s\ozialen und politishen WVerhält- nisse in demselben. Der Verfasser, der Brasilien im vergangenen
Jahre bereist hat, bespricht ferner die Art und Weise, wie ih die Warenein- und -ausfuhr vollzieht, macht Angaben über die Preise aller wichtigen Bedarfsgegenstände und gibt endlih durchaus originelle, ein feines Verständnis für die Entwickelungstendenzen unserer Exrvort- industrie bekundende Vorschläge, um die deutshe Warenausfuhr nah Brasilien zu heben und unseren Handelsverkehr mit diesem von der Natur so überaus reih bedachten, großen Lande weit gewinnbringender als bisher zu gestalten.
Unter dem Titel „Die „Stella Polare* im Eismeer, erste italienishe Nordpolerpedition 1899—1900, von Ludwig Amadeus von Savoven, Herzog der Abruzzen“ ist soeben im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig die deutsche Uebersetzung des Neiseberichts der italicnishen Polarerpedition erschienen (elegant gebunden mit zahlreihen Abbildungen, 2 Panoramen und 2 Karten 10 M). Das Werk s\{ildert in eingehender und äußerst anziéhender Weise den Verlauf dieser ungewöhnlid kurzen Expedition, der es bekanntli gelana, den bisber von Nanfen gehaltenen Polarrekord um einige Minuten zu \{lagen. Vorausgeschickt ist ein kurzer Ueberblick über die bisher von den verschiedenen Nationen gemachten Anstrengungen, den Pol zu erreichen, ein Ueberblick, der allerdings zu unvollständig ist, um demienigen, der mit der Geschichte der Polarforshung nicht vertraut ist, cine aus- reichende Vorstellung von dem bisher Geleisteten zu geben; es feblen beispiel@weise ganz die deutschen Expeditionen, von denen die uveite 1870 zu der wichtigen Entdeckung des Kaiser Franz Joscph-Fiords führte, ebenso die österreichischen, deren zweite drei Jahre später den
Franz Joscph-Archipel, den Stütpunkt der Ztalicner, entdeckte. Nah dieser Uebersicht beginnt die- eigentlide Schilderung der Fahrt. Der Zweck der Expedition war, zu Schiff soweit wie möalih in den Franz Joseph - Archipel einzudringen und von dessen nörd- lihstem Punkte aus, falls man nicht noch weiter im Norden Land fand, mit Hundeschlitten den Pol zu errcichen. Das erste Ziel wurde vollkommen und, wie es \{heint, ohne sonderliche
Anstrengung erreicht. Als Erpeditiontshif diente cin woblbewähbrter norwegisher Walfishfänger „Jason“, der seinem neuen Zwecke ent- sprechend umgebaut wurde und Namen „Stella Polare“ erhielt. Die ganze Autbrüstung wurde sehr sorgfältig, in der Hauptsawve nach Nansecns Erfahrungen, getroffen Am 13, Juli 1899 verließ die „Stella Polare* Archangelsk: schon Anfang August befand man sich nach stellenweise hartem, aber nicht allzu langwierigem Kampfe mit dem Eise des Bottischen Kanals in der Hôde von Kronprinz Rudolf-Land: man dampfte noch etwas weiter nah Norden in der vergeblichen Hoffnung, Petermann-Land und Köni
Oésfar-Land zu erreichen, und kedrte dann nah Kronprinz Rudolf- Land
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zurück. Hier, in der Tepliybai, erhielt die „Stella Polare* durch Eisprefsung cin gefährliches Lek, so daß man genötigt war, sie zu entladen und am Lande eine Hütte wu bauen. m 11. Mâcz 1900 erfolgte nad einem erfien verunglückten Versuche der endgültige Aofbruh der S@{littenerpeditlion nad Norden Der Herzog selbsi, dem wei erfrota Finger batten amputiert werden müssen, mußte auf die Teilnahme verzichlen und trat dader
dem Kapitänleutnant Cagni die Führung ab war in drei Gruppen gcteilt, von denen die weite am 31. März zurückgcsandt wurde
Die Scdlittenervedition erle am 23. Mâr:, die während die dritte. d. b nach unsäglicden Anftreagungen zum Ausgzangspunkt zurücktfebrte eríste Gruppe, besichend aus dem Leutnant Grafen Queru fübrer Olller und dem Masedinisiten Sten. ilt auf
Weise verschollen, wiewohl sie noch in Sicht des Land
Cagni mit zwei Begleitern, nah Norden vordrang und erf am 23. Juni
Die i, dem Berg-
räticidafte cs umfkedrte
Der Untergang dieses relativ wenig gefährdeten Teiles der Expedition muß einem plößlichen Unglücksfall zugeshrieben werden — welcher Art dieser aber gewesen ist, das bleibt Geheimnis des Polarmeeres und seines Eises. Cagni selbst erreichte unter 86° 34‘ die höchste nördliche Breite (Nanfen 86° 12') und fehrte mit seinen Begleitern abgezehrt und völlig erschöpft, aber, von einem erfrorenen Finger abgesehen, wohl- behalten zur „Stella Polare“ zurück. Das Schiff selbst konnte ge- dichtet werden, so daß es ihm möglich war, noch in demselben Sommer nah Europa zurückzukehren. __ Dies in kurzen Juden der Verlauf der Expedition. Dera persön- lichen Mute, der usdauer und Willens|\tärke der Teilnehmer namentlich Cagnis und seiner Gefährten, muß man uneingesränkt Bewunderung zollen, wenn auch die wenigen Kilometer näher dem Pole als einzige Frucht solher Anstrengungen dürftig erscheinen. Von wissenschaftlihen Ergebnissen der Expedition findet sich in dem vorliegenden Werke so gut wie gar nihts, mit Ausnahme der allerdings sehr wesentlichen Feststellung der Nichtexistenz von Peter- mann-Land und König Osfkar-Land. Diese Feststellung kann als ein- wandfrei gelten; denn Cagni hätte diese Länder auf seiner Schlitten- reise unbedingt berühren müssen, wenn sie da lägen, wo Payer sie 1874 von Kronprinz Nudolf-Land aus zu sehen glaubte. Die wissen- schaftlichen Ergebnisse sind indes in einem besonderen Bande zusammen- gestellt. Die Ausstattung des Werkes ist vornehm und würdig. — Unter dem Titel „Neues Land, vier Jahre in arktischen Gebieten, von Kapitän O. Sverdrup“ beginnt der Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig ein Lieferungswerk herauszugeben, das in 36 Heften (zu je 50 5) oder in 2 Bänden (18 46) die Geschichte der im Jahre 1898 begonnenen Sverdrupshen Expedition \cildert. Sverdrup, der Begleiter Nansens auf dessen Polarreisen, ist auf feiner vier Jahre dauernden arktishen Forshungsreise in bisher un- bekannte Gegenden vorgedrungen. Die Expedition, die zwei Jahre länger dauerte, als geplant war, galt lange Zeit für verloren; fle forderte zwei Opfer an Menschenleben; und ihr Leiter selbst war einen Monat lang von der „Fram“, auf der auch diese Forshungsfahrt aus- getabet wurde, p ree Der erste Band des mit über 200 Ab- ildungen und mehreren Karten ausgestatteten Werkes foll im Laufe dieses Jahres egen werden ; der zweite soll ihm bald folgen. — Gartenkulturen, die Geld einbringen. Einrichtung, Betrieb und Gewinnberechnungen für einträglihe Kultur aller Arten Obst und Gemüse, ferner Maiblumen, Korbweiden, Arzneikräuter, Schnittblumen, Frühkartoffeln usw. von Johannes Böttner, Chefredakteur des Prafktishen Ratgebers im Obst- und Gartenbau. Mit 153 Abbildungen. Preis gebunden 6 A Verlag der Königlichen
Hofbuchdruckerei Trowißsh u. Sohn in Fraukfurt a D. Dieies neueste Buch des Verfassers des „Gartenbuchs für Anfänger“ wendet \sich an alle, die Gartenbau und Obstbau nicht
als Liebhaberci betreiben, sondern um Geld damit zu verdienen. Im ersten Teile finden wir 50 Abhandlungen über Vorbedingungen, Betrieb, Kultur und Absatz; der zweite Teil enthält dann in 49 Kapiteln genaue Anweisungen zu den einzelnen Kulturen, Mit- teilungen über ihre Kosten, Durchschnittserträge usw.
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs- maßregeln.
Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten.
(Aus den „Veröffentlißungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts*, Nr. 7 vom 18. Februar 1903.)
Pest. Japan. In Tokio sind in einer Spinnerei am 17., 23. Dezember 3 Arbeiterinnen 10 Arbeiter an der Pest waren bis Ende Dezember 2 hörden hatten sofort \charfe
18. und bis zum 30. Dezember erkrankt; von den Erkrankten der Seuche erlegen. Die Be- t Maßregeln gegen die Verbreitung der Krankheit ergriffen. Die Fabrik wurde ges{lossen, das ganze Fabrikgelände mit seinen zahlreihen, der Spinnereigesell- saft gehörigen Arbeiterwohnungen und den in ihnen untergebrahten Arbeitern und Arbeiterinnen, ungefähr 2000 an der Zahl, von jeglichem Verkehr nah außen abgeschlossen und die gesamte innerhalb und außer- halb des Fabrikgeländes lebende Arbeitershaft einer eingehenden ärzt- lichen Untersuhung unterzogen. Auh die in der Umgebung der Spinnerei befindlihen-Häuser und- deren Insassen wurden einer ärzt- - lichen Ueberwachung unterworfen. _ Kapland. Während der aE10. Januar abgelaufenen Woche sind neue Pestfälle niht zur amtlichen Kenntnis gelangt; am Ende
und
noch
| diefer Woche befanden sih in Port Elizabeth noch 2 Pestkranke
in Behandlung, von denen der leßte am 30. Dezember dem Pest- pital zugegangen war.
__British-Südafrika. Nach den amtlihen Avsweisen sind während der Zeit vom 27. Dezember bis 10. Januar 7 Pestkranke zur Behandlung gekommen, 3 gestorben und 2 tot aufgefunden. Die Ge- fsamtzabl der Erkrankungsfälle bis zum 10. Januar betrug 22, der Todesfälle 12, der gebeilten Fälle 3.
Mexiko. Zufolge einer Mitteilung vom 4. Januar wurden
in Mazatlan durchschnittlih etwa 10 Pesttodesfälle täglich beobahtet, nachdem im Laufe des Dezember daselbst 54 Per- sonen der Pest, 56 anderen „bösartigen Fiebern*“ und
76 sonstigen Krankheiten erlegen waren. Zwölf Aerzte haben da- für zu sorgen, daß alle an der Pest Erkrankten sofort nah dem außer- halb der Stadt gelegenen Lazarett übergeführt werden. Von den rund 18 000 Bewohnern Mazatlans war angeblih etwa der dritte Teil ausgewandert.
Argentinien. einem Matrosen, welher in Buenos Aires am 29. Dezember mit dem Dampfer „Cornwall“ aus Port
Bei
Natal angekommen war, wurde im Hospital Pest festgestellt. Der Vampfer. mußte auf der Außenreede bis zum 24. Januar in Luarantäne liegen. Pest und Cholera. British-Ostindien. Ju Kalkutta find in der Zeit vom
- y s» é - - 4. bis 17. Januar 66 Personen an der Pest und 59 an der Cholera
gcstorden
Cholera.
Türkei. Nah einem 15. amtlichen Ausweise über den Stand der Cholera in Palästina und Syrien vo 3, Februar find in Damaskus vom 26. Januar bis einschl. 1. Februar 29 Erkrankungen und 61 Todesfälle an der Cholera zur Anzeige aclanat, in RNablus
wurde nur am 24. Januar 1 Erkrankung gemeldet.
Philippinen. Während der zweiten Hälfte des Monats De- jember erkrankten (und starben) an der Cholera in Manila 14 (8), in den Provinzen 2004 (1270) Personen; am Schlusse des Jahres war demna ein wesentlicher Rückgang der Scuche zu verzeichnen, cine Ausnahme foll die Insel Mindanao dilden. Welche Verheerungen die Gholera während des abgelaufenen Jahres auf den Philippinen ange» richtet hat, kann man daraus cntnebmen, daß na den amtlichen Aus- weisen vom März dis Ende Dezember in Manila 4647 (3490), in den Provinzen 120 977 (76 750) Personen an der Cholera erkrankt
| (gestorben) find, und daß, wie man dort als ficher annimmt, mindestens
| englischen
¿ der in Wirkliékeit
| vorgekommenen Fälle Kenntnis gelangt ist.
Gelbfieber.
nicht zur bebördlihen
Es
Z gelangten zur Anzeige in Guayaquil vom 2. bis N Dezemder 18, in Tampico vom «4. bis 10. Januar 6 Todesfälle, in Vera Cruz vom 4. dis 10. Januar 6 Er-
krankungen und 4 Todesfälle; aus Port Towntsend (Washington) wurde gemeldet, daß auf dem am 1. Januar angekommenen \ Segecl\S§if „Comlicdank® in Panama vor der Abfahrt 10 Erkrankungen (und 2 Todesfälle), ferner 3 (2) unterwegs fei geteilt scien
Versthiedene Krankheiten.
Antwerpen 2 (eins{l. Varizellen), Brüssel 2, Liver- pool 7, Mosfau 2, Stk. Petersburg 17, Warschau 2 Todesfälle: Reg-Bez. Posen 2, Leivzig (Krankendäuser), Hamburg je 3, Antwerpen
Potken