1881 / 281 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 30 Nov 1881 18:00:01 GMT) scan diff

ralen nachwies, daß sie 54 000 Stimmen verloren haben. Das wer- den au die amtlichen Untersuchungen bestätigen in der Gesammtheit der Ziffern der Wahlen am 27. Oktober. Daß daneben die Freikon- fervativen ebenfalls verloren haben, thut mir außerordentli leid, ändert aber nichts daran, daß die Liberalen in ihrer Gesammtheit auch verloren haben. Die deuts&e Reichspartci bat in der Wabl von 1878 gchabt 785000 Stimmen und in der Wahl vom 27. Oktober 347000; sie ift also von 14% der Wählerzahl von 1878 auf 7% dcr Wäßlerzahl von 1881 zurückgegangen. Ja, meine Herren, das zeigt Ihnen nur, daß im parlamentarischen Leben die Mittelparteien auf der Defensive fteben, deshalb im Nachtheil sind. Ja, im Feftungskrieg denn was ist das parlamentarische Leben anders als die Belagerung dieser Festung bier? sind die defensiven Parteien immer zuleßt im Verlust, wie bei jeder Festung von dem Ingenieur berechnet wird, wann sie kapi- tuliren wird müssen, daß wir werden kapituliren müssen, das ist nun glücklicherweise niht der Fall! wegen der Fehler in der Belagerung, aber daß die Mittelparteien verlieren und die ertremen gewinnen, lehrt die Geschichte überall. Die Leitung der liberalen Partei gleitet immer und überall mehr und mehr nach links hinüber und wird auch bei uns noch mehr nach links gleiten; es wird si immer noch Einer finden, der Hrn. Richter noch überrichtert, und der dann die Führung haben wird, weil er sozusagen auf der Bank noch einen höheren Sprung ausführt, und fo werden Sie allmählich dem fehr nahe kommen, was Sie mit so vieler Entrüstung von fich weisen: der Lösung der ganzen Ent- wickelung, die wir in Frankreich ja {hon mehr als einmal erlebt haben, und der Sie, wie ih gestern aus Ihrer Entrüstung ersehen habe, unbewuߧßt entgegengehen, aber meines Erachtens unaufhaltsam zualeiten, der Lösung, die in Frankreich stattgefunden hat, weil die Mittelparteien allmählich ausgemerzt werden. Wenn z. B. die ganze parlamentarische Situation mehr nach rechts hinüberglitte, so wäre die größte Gefahr meines Erachtens, daß s{ließlich die Führung den extremen Recten anheim fallen würde, wie wir das zu Zeiten auch \chon gehabt haben, also etwa denjenigen „Konservativen“, die ih auch, wie ich gestern sagte, in die Liasformation verweisen muß, die in einem mir früher nicht bekannt gewesenen Blatte ih glaube, es heißt Konservative Monatsschrift unter der Leitung eines Ver- wandten des früheren Kreuzzeitungs-Redacteurs Nathusius ihr Wesen treibt. Auch die würde, wenn die Konservativen in ciner kämpfenden Opposition wären, allmählich die Führung erlangen als die extremste Partei. Es ist ein großer Schaden für die Zukunft des Neiches, für die Befestigung desselben, L die beiden Mittelparicien, die freikon- fervative und die nationalliberale, so viel an ihrem Bestande ver- loren haben, so viel weiter links hin abgegeben haben, das kann ich als Reichskanzler und als Patriot nur bedauern. Daß der Herr Vor- redner angeführt hat, in der Zahl der Konservativen sei eine er- beblihe Anzahl von Centrumsstimmen mit einbegriffen, weil viele Gesinnungsgenossen des Centrums für die Deutschkonservativen ge- stimmt hâtten, das mag ja der Fall sein. Aber ich möchte fragen, ih kenne die Transaktionen so genau niht —: hat denn nicht au eine erheblihe Anzahl Deutschkonservativer für die Centrums- fFandidaten gestimmt ? Es find Transaktionen gemacht, die wahrschein- lih auf Gegenseitigkeit beruhen. Jh weiß nicht, wer besser dabei weggekommen ist, aber wahrscheinlich hätten die Transaktionen von einer Seite niht stattgefundeny wenn diese Seite gefürchtet hätte, dabei zu kurz zu kommen. Es wird erlaubt sein, dies anzunehmen. Wenn der Herr Vorredner sagt, daß in den Stihwahlen manche Konservative für die Sozialdemokraten gestimmt hätten, fo is nah meinen statistischen Nachrichten von diesem Vorwurf jede Fraktion betroffen, keine ist ausgenommen, sie haben alle unter Umständen für Sozialdemokraten gestimmt, respektive deren Stimmen für sich in Empfang genommen. Ich habe darüber noch Afktenstücke, die ib noch vervollständigen werde, über die Natur der Geschäjte, die dabei ge- macht sind in bestimmten Lokalen. Wir werden darüber weiter preden können. Also die Wirkung meiner gestrigen Ausführungen in Bezug auf die Bera nale ist auch dur den Herrn Vorredner nit mit Recht in Zweifel gestellt, wohl aber nehme ih Akt davon und werde jede weitere Rede darüber wiederum kontroliren, daß er sich auch in dieser Rede lediglich mit meiner Person und nicht mit der Sache beschäftigt hat. : J Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, die Debatte sei ge- wissermaßen in eine Unterhaltung über den Studiengang des Reichskanzlers verlaufen, und Leßterer {eine ihm Necht zu haben, wenn derselbe eine größere Sachlichkeit empfehle. Wie aus der Aenderung seiner Ansichten einem Manne ein Vor- wurf zu machen sei, verstehe er nit. Sei denn tie Frage, ob Freihandel oder Schußzoll, nit wesentlih durch die um- gebenden Verhältnisse beeinflußt? Hätte der Reichstag nicht gerade deshalb Wandel eintreten lassen, weil die deutschen Grenzen allein offen gestanden hätten, während die Nachbaren Deutschlands die Zollschranken beständig vergrößert hätten? Er habe das bei Gelegenheit der Zollberathun- gen wiederholt erklärt und betont, daß Deutschland, sofern es nicht seinerseits dem Beispiele der Nachbaren folge, der aus- wärtigen Konkurrenz erliegen müsse. Wolle die linke Seite dieses Hauses eine Aenderung der jeßigen Wirthschaftspolitik herbeiführen, so stelle sie bestimmte Anträge. Man werde dann sehen, wo die Majorität sein werde nicht bei den Liberalen, dessen könnten die Liberalen gewiß sein. Aber die Liberalen wüßten ganz gut, daß, wenn fie den Zolltarif umzuwerfen versuchen würden, es ihnen bei den Wahlen reht gründlich \{lecht gehen würde. Den Anlaß zu dieser Diskussion habe eine Aeußerung Rickerts gegeben, der mit einem Male gefunden habe, daß für die „große liberale Partei“ einige Stimmen zu wenig angegeben seicn eine Un- richtigkeit, deren Berichtigung der Abg. Rickert von einer Wahlstatistik erwarte. Er theile den Wunsch des Abg. Niert und sci dafür, daß demselben alle amtlihen Wablziffern zur Verfügung gestellt würden. Vielleiht beshäftige den Ubg. Ridlert das eine Zeit lang. Er persönlich wünsche nichts sehn- liher als diese „große liberale Partei“ wenn schon ihm eine carafteristishe Unterscheidung der einzelnen Fraktionen noch nicht gelungen sei, weil dies wesentlih dazu beitragen würde, eine aroñe konservative Partei zu schaffen und damit wahrscheinlich erreiht würde, wonach das Centrum immer gestrebt habe, das Aufhören der kirchenpolitiswen Streitig- keiten. Der Liberalismus der Partei des Abg Riert sei bisher nur ein Scheinliberalismus gewesen. Dieselbe habe nichts Anderes verfolgt als die Tendenz, alle Anderen unter das Joch derselben zu beugen und deshalb bekämpfe das Centrum die Partei des Abg. Rickert. Er (Redner) sei viel liberaler, als der Aba. Rickert und die ganze Fortschrittäpartei. Er habe gelernt, daß er auc andere Ansichten gelten lassen müsse, daß er auch andere Existenzen zu achten Jae daß der Staat nicht omnipotent sei und cs ursprünglice Rechte gebe, auf deren Untergrabung die Be- ebungen der Liberalen gerihtet seien. Er könne deshalb zu einem Bedauern den Wunsch des Abg. Rickert, ihn liberal zu nennen, niht erfüllen. Die Linke habe cs an der Gewohn- heit, von sich als von der Nation zu sprehen und vergesse dabei, daß auch die Centrumspartei in Deutschland wohne, daß sie hier eine Majorität habe, die die Liberalen nicht hätten. 6 sei indessen vom Abg. Rickert nicht so böse ge- meint. Die Liberalen seien aus fcüherer Zeit an dieses stolze Wort gewöhnt, das H der Regierung s. Z. auch zugestanden gewesen sei; daß die Liberalen sich nun nicht jo rasch davon wieder entwöhnen könnten, begreife er vollständig. Wenn das Centrum fo fortarbeite, wie bisher, werde es die Majorität

gewinnen, und zwar mit Hülfe der protestantisGen Mitbürger, bei denen sfi mehr und mehr die Ueberzeugung von der Be- rechtigung der Forderungen der Katholiken Eingang verschaffe. Man habe von der Gutmüthiakeit der Centrumsfrakiion ge- \sprochen, welche ihrerseits die Deutsckonservativen unterstüßt hab2:. Die Thaîtsacke selber sei rihtig. Jn einer nit uner- heblihen Zahl von Fällen seien feine Parteigenossen ent- schieden für die Konservativen eingetreten, was er feincéewegs bedauere; er hätte nur gewünscht, daß die Konfervativen dem Centrum gegenüber nah dem Grund- saße der Niziprozität s T hätten. Die Aufzählung der Wähler des Centrums erschöpfe die Summe der Anhänger desselben nicht. Jn allen den Bezirken, wo die Wahl der Centrumépartei unzweifelhaft gewesen, sei die Betheiligung naturgemäß eine {chwächere gewesen. Wenn es nicht nöthig sei, lasse man die Truppen eben nicht marschiren. Wo es nöthig fei, seien sie vollzählig gewesen, und er sei überzeugt, daß im Nothfalle aile 16 Millionen Katholiken in einer festen Linie nebeneinander stehen würden. Um nicht mißverstanden zu werden, erwähne er, daß das Centrum in verschiedenen Fällen auch den Fortschritt unterstüßt habe. Denn darin weiche er vom Retiäskanzler ab: Soweit es an ihm liege, sollten die Mittelparteien verschwinden. Klarheit fei für ihn das erste Bedürfniß, und Mittelparteien seien unklar.

Der Präsident bat die nachfolgenden Redner, sich nun- mehr enger an den Gegenstand der Tagesordnung anzu- schließen.

Der Abg. Dr. Hänel bemerkte, der Abg. Windthorst habe sich heute vorzugsweise an die liberale Partei gewandt, während derselbe bisher seine Belehrungen stets an die Konservativen gerichtet habe. Für das Centrum möge seine (des Redners) Partei in der That nicht liberal sein, da dem Centrum nur der liberal fei, der mit demselben gehe. Von welchen Grund- säßen werde denn dieser „wahre Liberalismus“ des Abg. Windthorst geleitet? Wenn in parlamentarishen Zirkeln irgenbwo Diplomatie getrieben werde, so geschehe dies in den Reihen des Centrums, das von Fall zu Fall es heute mit dem, morgen mit jenem halte. Während es noch gestern den Nationalliberalen zugewinkt habe, ersehne cs sich heute eine. fonservative Partei. Seien das Grundsäße ? Das Centrum sei heute nihts anderes als eine Partei der Taktik, die es verstehe, den entferntesten Zipfel der Debatte mit dem Kultur- fampf zu verknüpfen. it welhen Mitteln operire die Centrumspartei in der bayerishen Kammer felbst bei rein sahlihen Budgetdebatten gegen das Ministerium! Mittel, die man in Preußen nie anwenden würde. Früher habe der Abg. Windthorst die Liberalen zu locken versucht, als derselbe ge- gelte habe, durch eine einseitige Parteirihtung seine Dppo- ition gegen den Fürsten Reichskanzler verstärken zu können. Heute sei der Abg. Windthorst gegen die Kon- fservativen liebenswürdig. Das Centrum ftkönne ebenso- wenig wie eine andere Partei selbständige Politik machen. Alles, was von jener Seite ge)haff{ckma werden könne, könne nur durch eine unnatürlihe Koalition zu Stande kom- men. Es gebe ein Junteresse in der deutschen Nation, das man vernichten würde, wenn man es ausrufen wolle; das sei das protestantishe Bewußtsein. Die Klagen des Reichskanzlers über persönliche Angriffe von seiner (des Redners) Partei hätte ihn in Erstaunen geseßt. Der Kanzler selber sei es, der, ohne provozirt zu sein, Angriffe gegen die verschiedenen Parteien vom Zaune breche. Seine Partei vertheidige sich nur. Hier heiße es: Auge um Auge, Z4hn um Zahn. Mit der Prophezeihung des Kanzlers, seine (des Redners) Partei würde von Extrem zu Extrem getrieben und \hließlih die Republik zu begründen versuchen, habe der Reichskanzler ent- schieden Unglück gehabt; an ihr bewähre sich seine Genialität niht. So lange es ein fkonstitutionelles System gebe, hätten noch alle Feinde desselben es als: cin republika- nishes verdächtigt. Diesen Angriffen sei {hon Stein ausgescht gewesen. Alle Parteien habe der Reichskanzler {hon benußt, um fie bald wieder zu verstoßen. Jeßt sei derselbe gegen das Centrum sehr höflih; es fsci mögli, daß der Kanzler das Centrum zu seinen Plänen benußen werde, aber habe derselbe es benußt, dann heiße es auch hier: Weg mit ihm! Dieses successive Ausspielen der verschiedenen Parteien verkenne vollständig den Kernpunkt des eigentlichen Konstitu- tionalismus, der darin bestehe, die Regierung in ein organi- {hes Verhältniß mit den großen Strömungen der Nation zu seßen. Gerade weil er (Redner) das Wesen des konstitutionellen Systems hochhalte, klage er den Reichskanzler an, daß der- selbe es versuhe, das Ohr des Monarchen anderen Partei- rihtungen fkfünstlih zu verschließen. Er klage den Kanzler an, daß derselbe das Ohr des Monarchen den wahrhaft Liberalen verscließe, indem der Kanzler dieselben einer falshen Schäßung unterziehe und diese Schäßung sogar öffentlich in diplomatischen Aktenstücken vertrete. Seine (des Redners) Partei habe so gut, wie jede andere Partei, ein Recht auf das Ohr des Monarchen, weil seine Partei in der Treue gegen den Monarchen hinter keiner zurückstehe.

Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort :

Der Herr Vorredner hat damit begonnen, mir vorzuwerfen, daß ih mit meiner Ansicht, daß die Fortschrittêpartei unbewußt repukli- kanischen Zielen entgegengleite, diesclbe irrthümlicwe Prophezeiung auêgesprochen hâtte, wie sie zu jeder Zeit, wo sih das, was er „wahres konstitutionelles Leben“ nennt, entwickelt hatte, von Seite der Reaktion, des Absolutiêmus, ausgesprochen worden sci. Jh bin weder Reaktionär noch Absolutist, 1h halte den Absolutiëmus für eine unmöglicde Sache; aber ih halte mich an unsere geschriebenen Verfassungen, die wir in Deutsbland und in Preußen besigen, dic mir genügen, die aber von dem parlamentarischen System, wie es dem Herrn Vorredner vors{webt, nichts enthalten. i

Die preußische Verfassung behandelt die drei Faktoren der Gesehz- gebung auf gleidem Fuß, nicht etwa die Regierung und die beiden Häuser, sondern den König und die beiden Häuser, und die Reichs- verfassung giebt nit der Reichsregierung, von der hier immer die Rede ist, sondern dem Kaiser ganz bestimmte Rechte. Die Politik, die da getrieben wird im Reiche, ist von mir als Reichskanzler zu verantworten, aber sie bleibt deshalb doch die Politik des Kaisers ; id vertrete die Politik des Kaisers, bin verantwortlich für dieselbe, und der sachlihe Kampf gegen die Politik des Kaisers wird mich immer bereit finden, diefe Vertretung zur Wahrbeit zu machen und die Verantwortlichkeit für die Politik des Kaisers zu übernchmen. Jhr Prinzip aber ist insofern niht das monarwische, als dem, was der Herr Vorredner unter „wahrem Konstitutionalismus" verfstcht, zur ersten Grundlage das kluxe Wort dient, welches die englische Aristokratie nah der großen Revolution, um ihre Herrschaft zu befestigen, erfunden hat: the king can do uo wrong; dann fann der König aber gar nichts thun, wenn er kein Unrecht thun fann; den König mundtodt zu machen, den König als eine Waffe für die Erhaltung der Herrschaft der englischen Aristofcatie zu ihrer Verfügung zu behalten, ihn zu sequestriren, das ift der Sinn davon; seine Beziehungen zum Volk în

ihrer Gewalt zu haben, sie niht zu stark und mäbtig werden zu lassen, sich möglichst zwiswen König und Volk zu schieben, über seine Unter- {rift zu disponiren, denn die braucbt das englisbe Volk, um zu gehoren; noch beute glaubt es nicht, wenn nicht „Victoria“ darunter steht; die Unterschrift ist unentbehrlih. Das war vom Standpunkte der herrs{chsüchtigen Aristokratie eine weise Einrichtung, daß sie den König obsolet werden ließ, seine Unterschrift aber zur Verfügung be- hielt. Jn England hat si diese Tradition entwickeln können, befi uns aber ift es nicht möglich, wir unterscheiden uns von England dadur, daß wir eine ges{Griebene Verfassung haben, die ganz klar die Rechte des Königs und Kaisers in Deutschland und Preußen, in Bayern und Sachsen, in® Württemberg und in allen übrigen Staaten definirt, und daran allein babe ih mi zu halten. Danach

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muß ih erklären, daß ich auf dem Standpunkt durchaus nit stebe,

als ob der Kaiser im Deutschen Reiche nit zu seinem Volke sprechen dürfte, niht zur Nation. Daß ih mich mit meiner Namensunter- rift als verantwortlih einftelle, daß ich bereit bin, die Meinung, die der Kaiser aus\priht, zu vertreten, das ändert an der Thatfache gar nidts, daß dies die berechtigte, verfassungmäßige Aeußerung des Kaisers ist. Es heißt in der Verfassung: der Kaiser macht An- ordnungen und Verfügungen, und in folchen besteht eben die Kaiserliche Politik im Ganzen, und für diese habe ih die Verantwortlichkeit zu tragen und trage sie gern, weil meine UVeberzeugungen mit der meines hohen. Herrn dur langjähriges Zusammenleben und von Hause gus, {hon von dem Vereinigten Landtag von 1847, wesentli zusammen- fielen. Es bedurfte für mich nit einmal des Gefühls des Unter- thanen gegenüber seinem hundertjährig angestammten Herrscher, um mich dem Kaiserlichen Gedanken zu beugen. Das Verhältniß ist durch die Verfassung das daß die Politik des Kaisers nicht ins Leben treten Tann, wenn der Kanzler nicht durch seine Kontrasignatur die Verantwortlichkeit dafür übernimmt, also entweder sein Einverständniß oder seine Bereitwilligkeit, sie zu vertreten, aus anderen Gründen, weil er es nicht für tanti hôlt, um deshalb dem Kaiserliben Willen zu wi- dersprechen, dadur dokumentirt. Wenn der Kaiser einen Kanzler hat, der das, was die Kaiserliche Politik ist, nit fontrasigniren will, jo kann er ihn jeden Tag entlassen. Der Kaiser hat eine viel freiere Verfügung als der Kanzler, der von dem Willen des Kaisers abhän- gig ist. Der Kanzler kann ohne die Kaiserliche Genehmigung keinen Schritt thun, und wenn er einen Schritt thäte, so wüxde er nah unseren dienstlihen Begriffen eine Art Prävarikation treiben, eine Art Mißbrauch des Amts, inden er der Kenntniß des Kaisers etwas entzieht, um eine von der Kaiserlichen unabhängige Politik zu üben. Das würde bei uns dienstlih bis zu dem Grade gemißbilligt werden, daß es bei den strengen Ansichten des Kaisers vielleicht die Entlassung des Kanzlers nach sich ziehen würde. Also während der Kaiser eine \reie Bewegung in der Politik hat, indem er den“ Kanzler wechseln Tann und die monarcisce Autorität ihm gegenüber eintreten lassen kann, namentlich wenn ein Kanzler etwa lebhaft an seinem Posten bängen sollte, kann der Kanzler seinerseits au niht einen cinzigen Schritt thun, kann ih hier keine Meinung vertreten, für die ih nit des Einverständnisses Sr. Majestät sicher bin oder es vorher eingeholt habe. Jch kann keinen Antrag einbringen, für den ih nicht die Kaiser- liche Unterschrift habe; und wenn Sie glauben, daß diese Unterschrift immer leit zu haben ist, so sind Sie in einem großen Irrthum. Jch vertrete die Kaiserliche Politik, und ih bin bei den vielen Aeuße- rungen, die über die Kaiserliße Botschaft gefallen sind, niht zum Wort gekommen, deshalb konstatire ih erst hier meine Ueberzeugung : es wird Ihnen nicht gelingen, dem Kaiser Wilhelm im Deutschen Reich zu verbieten, daß er zu seinem Volke spriht, den Kaiser Wil- helm nach 20 Jahren unserer Geschichte mundtodt zu macen, das ist cin ganz vergebliches Beginnen. Wie wollen Sie dem Monarchen, der auf seine Verantwortung und Gefahr die große uationale Politik ge- macht hat, die Möglichkeit abschneiden, eine cigene Ueberzeugung zu haben und, wenn er fie hat, fie auszusprechen; wie wollen Sie einem Könige verbieten, über die Geschike des Landes, welches er regiert, eine eigene Meinung zu haben und fie zu äußern? Wenn die andere Ansicht richtig wäre, so wäre es gleichgültig, wer regierte. Wo kommt es denn in Preußen her, daß die Regierung des Hochseligen Königs na ganz anderen Prinzipien geleitet wurde, als die des jeßigen, wenn nicht eine Königliche, eine monarcbische Politik der ganzen Sache erst den Trieb und Stempel aufdrückte. Jn demselben Sinne will ich glei eine meiner Notizen antizipiren, die ih mir gemact habe erst am Ende der Rede des Herrn Vorredners, Er sagt der Monarch ist der feste Punkt. Nun, meine Herren, glauben Sie doch nicht, daß ih Ihnen diene. Ich diene dem Kaiser, dem festen Punkte, den Sie anerkennen; das ist das Motiv, welches mich 1862 unter fehr \{wierigen Verhältnissen, unter großen Bedrohungen meiner persön- lichen Sicherheit, meines Vermögens —- ih meine geseßliben Be- drohungen in den Dienst gezogen hat, daß ich sah, mein ange- stammter Herr brauchte einen Diener und fand ihn nicht; da habe ih gesagt: bier bin ih. Ih fand Keinen, der es mir vormachen wollte, und sehr Wenige, die es mit mir haben versuchen wollen. Es ist dasselbe Prinzip der angeborenen Unterthancn- und Vasallentreue und Dienstbereitschaft, die mich vor 20 Jahren bewogen, alle übrigen Rücksichten bei Seite zu lassen und dem Könige mich zu Diensten zu stellen. Das ist auch noch heute die Basis meiner Politik. Diese Ge- sinnung ih hoffe niht, daß sie mit mir ausstirbt, aber so lange ih lebe, wird es einen Royalisten und eixen sicheren Diener des Kaisers geben. Der Herr Vorredner sagt, ih bätte dem Volk das Ohr des Kaisers verschlossen. Glauben Sie doch nicht, daß der Kaiser ein Mann ift, der sih die Ohren zuhalten läßt von einem Andern; der Kaiser kennt vollkommen die Situation, kennt vollkommen die Gefahren, die ibm von der extremen Entwilkelung des Liberalismus droben, er hat mit zu offenen Augen die 85 Jahre seines Lebens die Verhältnisse beobachtet. Wäre aber die Möglichkeit vorhanden, daß Sie das Obr des Kaisers finden könnten, mit Gedanken, die ih für gefährlich halte für die Monarchie, so wäre es meine Pflicht, Sie daran nah Mögli@Gkeit zu verhindern. Jch wüßte aber nicht, wie ich es anstellen könnte; soilte ich Sr. Majestät die Zeitung vor- enthalten? Auferdem, meine Herren, haben . Sie ja das aroße Sprachrohr hier; warum wie der Hr. Abg. Windthorst mit Recht sagte —, anstatt meine Person zu fkritisiren, stellen die Herren denn nicht Anträge öffentlißh? Sie könnten eine Adresse an Se. Majestät beantragen, Sie könnten einen Antrag bier cinbringen, der Kaiser möge diesen unheilvollen Kanzler, der seine des Kaisers Ohren dem Volke vers{ließt, entlassen. Jh will den Antrag mit Vergnügen befördern, will Einer der Herren eine Adresse einreichen, ih will sein Introducteur jun, Sie sollen meiner Unterstützung nicht entbehren, wenn Sie glauben, daß der Kaiser die Wahrheit nicht erfährt. Ja, in der öffentlicben Presse da macht sih das ganz \{ön, „das Ohr des Kaisers dem Volke verschließen“. Ich habe allerlei Reminiszenzen aus der Zeit der ersten revolutionären Be- wegungen im Jahre 1830 und 1848: da \s{wirrte es mir vor den Ohren, daß die Minister angeklagt wurden, daß sie dem Volke „das Ohr des Monarchen verschlossen“. Das sind Dinge, die ih als Student erlebte; ich habe sie auch in späterer Zeit 1848 gehört. Meine Herren, das gebört in unsere - Zeit wirklich nicht mehr hinein, das sind unpraktis@e Worte, die keinen Werth mebr haben, so lange Sie nit entsprechende Anträge hier, wo Sie dazu berechtigt sind, ausdrücklih ftellen, die Ihrer Meinung Ausdruck geben. Der Kaiser liest die Verhandlungen, da reden Sie doch nit davon, daß ih dem Kaiser das Ohr verslicße; E weit reiht meine Macht nicht. Der Herr Vorredner erklärte jene Phrophe- zeiungen bezüglih des nah Sgr iens in immer belhleumgterem Tempo, die früher wohl ausgesprochen sind, für falsd. Ja, dem Herrn Vorredner kann doch na seiner Stellung pie Universität und ¡ur Wissenschaft unmöglich unbekannt sein, wo diese Prophezeiungen sih auf das Glänzendfte bewahrheitet haben; es sind stets die Gi- rondins gewesen, die den Staatwagen bis an den Rand des Abgrundes \choben, sie haben überall die konstitutionelle Entwickelung fördern wollen in demjenigen liberalen humanen Sinne, wie er dem Herrn Vorredner vorschweben mag, sind aber \{ließlich immer über ihr Ziel hinausgerathen. Es sind immer Leute gewesen, die si beispieléweise auf einen Potédamer Zug geseßt haben, während fie nur bis Kohl- bafenbríd wollten, und denen ter Schaffner sagt: der Zug hält da

niemals, so meinen sie: er hat bisher da zwar nie angeßalten, wird aber vielleibt heute da halten. So werden sie nit nach Koblhasenbrück gelangen, sondern darüber hinaus nach Potsdam. So ist cs auch in der Politik, der Liberalismus geräth immer weiter

als seine Träger wollen. Sie können die Wucht von 409 Millionen, einmal in Bewegung, niht anhalten, wo Sie wollen.

( en, 1 So ift es in rankrei gegangen. Ist denn nit in Frankreich eine erbliche tau- endjährige, folid erbaute Monarchie mit manhmal sehr verständigen

_“Verfafsungen, die das Ergebniß von 1789 und später waren, vorhanden

gewesen mit allen mögliwen Sorten der Monarchie mit dem Kaiser- thum, mit der Restauration? Ist der Weg aber nicht unaufhaltsam an der Hand der äußersten konstitutiorellen Linken in die republika- nische Bahn geglitten? Und haben Sie irgend welhe Voraussicht, daß in nächster Zeit eine Monarchie dort wieder möglih sein werde ? und halten Sie das Unteraehen einer erblichen angestammten Mon- arie für das französiscbe Land und das franzöfische Volk nicht für ein Unglück? J{ weiß nicht, ob Sie es thun, ih halte es dafür. In anderen Ländern außer Frankreih haben wir allerdings das gleiche geshichtlice Experiment, ih möchte sagen die konftante Praxis der Vorschung, nicht in gleicem Maße sich verwirklichen sehen, weil nit alle Länder fo selbständig und unbeeinflußt sich entwickeln wie Frankrei, Nehmen Sie unsere beiden kleineren Nacbbarstaaten Belgien und Holland. Ja, wenn diese von der Größe Frankreichs wären, von gleiwer Selbständigkeit in ihrer politischen Entwickelung, dann weiß ih nicht, ob sie noch innerhalb des Stadiums der Mon- archie sich befinden würden. Nehmen Sie Jtalien: haben wir da nicht die Republik vorübergehend theilweise ih weiß nit, ob im Einverständniß der Gesammtheit {hon gehabt? Jedenfalls \pukt sie in vielen Köpfen und man is dort dem deutscen Fortschritt {hon voraus. Können Sie irgend welhe Garantie für die Zukunft übernehmen, namentlich wenn Gott die Dynastie, die auf wenigen Augen steht, nicht im Leben erhielte? Sind Sie gewiß, daß die Prophezeiungen, die der Herr Vorredner für falsch erklärt, dann si dort nicht verwirklichen könnten? Das is unmöglih vorherzusagen. Jst der Weg, den Italien seit 20 Jahre#æ gegen dieses Ziel hin zurüdckgelegt hat, nit erkenubar, und ist nit der Endpunkt i will niht behaupten, daß es ihn erreicht ist dieser Endpunkt nicht erkennbar? Ist dort nicht von Ministerium zu Ministerium der S@hwerpuikt immer mehr nach links geglitten, so daß er, ohue ins republikanische Gebiet zu fallen, nicht mehr weiter nah links gleiten fann? Haben Sie nicht in Spanien temporär die Nevublik gehabt, ja sogar verscbiedener Arten von Republiken, die sih untereinander bekämpften ? Haben Sie denn nicht in Deutschland, in Baden, \o- bald der Fortscritt fih felbst überlassen war, und so lange der preußische Militari8mus dem uicht einen Damm entgegensetzte, haben Sie nicht in Baden zur Zeit von Struve und Heer dieselbe Bereit- willigkeit gesehen, die liberalste Monarchie über Bord zu werfen und die Republik zu proklamiren ? ; Also so ganz windig und unberechtigt sind die Propkbezeiungen, die der Herr Borredner in feinem Ton der sichersten Ueberzeugung als frivol und unhaltbar hinstellte, doch nit. Die Geschichte \vriht für mich. Die Doktrinäre der Wissenschaft haben ih durch den Mund des Vorredners gegen mich geäußert. Ih halte miß an die Geschichte. Und, meine Herren, über diese Dinge ih kann Ihnen ja das nicht beweisen, ih bin au nicht hier, um in die Beweisführung einzutreten, sondern um peugniß zu geben; ih lege Zeugniß für meine Meinung ab. Jch in in einer Stellung, wo ih beobachten fann, ih habe wenigstens in der auswärtigen Politik, wie Sie mir zugestanden haben, zwanzig Jahre lang den Beweis geliefert, daß meine Augen nicht ganz blind find für die Gventualitäten, denen die Gescbichte uns entgegenführen kann. Also mit dem Gewichte meiner Erfahrung und Stellung spreche ih als Zeuge mich dahin aus, daß meiner Ueberzeugung nach die Politik der Fortschrittspartei uns der Republik langsam näher führt, nicht die jeßigen Herren, ih bin weit entfernt, die Herren dessen zu beschuldigen, ih glaube, sie bleiben der Monarchie treu, aber

‘die Stellung, die Sie sich für die Minister denken, ist nicht die Art

Stellung, die die Monarchie von ihren Ministern verlangt und wver- langen muß, wenn sie bestehen will. Darum zweifele ih JIbren auf- richtigen Willen, die konstitutionelle Monarchie in ihren äußersten liberalen Grenzen zu verwirklichen, noch in keiner Weise an, ih glaube nur, Sie beberzigen die Lehren der Geschichte nicht, Sie drücen die Augen denselben gegenüber zu, Sie werden niht im Stande sein, die Maschine aufzuhalten, wenn sie da angekommen ist, wohin Sie sie geleitet haben, der Weg wird abs{üssig und Sie sind nit im Stande, der gewaltigen Last von 45 Millionen auf Kommando Halt zu ge- bieten, das fönnen Sie nicht, es wird Sie überwältigen und fort- reißen. Es wird, wie ic hoffe, so nicht kommen, es fönnte aber fein; ih spreche nur das Ergebniß meiner politischen Erfahrung und Beobachtung aus, dazu bin ih berechtigt, es kann ein irrthümliczes scin, aher es ift meine Ueberzeugung.

Dann hat der Herr Vorredner auß wieder Worte der Kritik meiner Persönlichkeit und meiner Bestrebungen gesprohen es ist also, wenn ih nicht irre, die Rede Numero 4, die ih în meine Sammlung aufnehmen kann —, indem er mi anklagte, daß ich eine Diktatur anstrebte oder übte. Ich habe gestern {on gesagt, sür Sie, meine Herren, ift Nichtherrshen immer {hon Unterdrückung durch cine Diktatur, und wenn ih mich darauf beschränke, Vorlagen zu machen, die Ihnen nicht gefallen, heift es Diktatur. Wenn ich von meiner Zunge denselben Gebrau mache wie Sie, und meine Mei- nung auch vertheidige, welche der Jhrigen widerspricht, so beißt es Diktator. Das heißt doch mit anderen Worten: wer nit will, was wir wollen, ift ein Diktator, der alle freie Ueberzeugung unterdrüdckt, denn wir allein besißen das Monopol der freien Ueberzeugung, und unsere Ueberzeugung niht anerkennen, si unserer Herrschaft nit unterwerfen, das ist: Diktatur. Ja, womit soll ich mich denn be- \c{äftigen, wenn ih Ihnen keine Vorlagen mache? Müssen die immer gerade so beschaffen sein, wie es Jhnen gefällt? Jch habe neulich now im kleineren Kreise eine Neminiszenz aus meinem Leben erzählt, daß ein witiger alter Herr, der Baron Rothschild in Paris, von einem Geschäftéfreunde gefragt wurde: Herr Baron, was denken Sie über amerikanishe Häute? Nothschild drehte sih um und sagte über die Schulter: Herr Mever, was ist meine Meinung über amerikanische Häute? Soll ich nun viellciht aub, wenn ih Steuervorlagen mathe, fragen: Herr Bamberger, was ist meine Ansicht über Zölle? Das können Sie nicht von mir verlangen, i kann nur m einer Meinung Auëdruck geben, und wenn Sie cinen Kanzler brauchen, der gar leine hat —, ja, meine Herreu, Sie können ja die Entwitelung der Geschäfte zur vollständigen Stagnaliion bringen, Sie brauchen nur zu Allem Nein zu sagen ; gut, dann wird die Ne- gerung sich auf die Vorlage des Budgets beschränken können, und wenn wir das Budget vereinbart haben, werden wir nicht weiter zu- lammen fommen und lassen dem Neichêtage Ruhe bis zum Februar 1083, Dann wird eben Rube, Sie werden gar keinen Streit haben, Sie werden nicht den Verdruß haben, daß ih vor Ihnen hier abwei- wende Meinungen entwickele, es wird eben cine Stagnation in den Reichegeschäften eintreten. Ob das für die Entwickelung des Reichs nuglih ist, das überlasse ih Ihnen, meiner Gesundheit wird es jedenfalls aüßlich sein.

Der Herr Vorredner bat wir einen Vorwurf daraus gemacht, daß ih nicht die Parteien zu nütien wüßte zum Heil des Ganzen, ih glaube, cr sagte, die großen Strömungen in der öffentlichen Meinung oder in den Fraktionen nicht zu pflegen wüßte, in der Nation die Eren Strömungen. Ja, meine Herren, ih sehe von diesen großen Strömungen nichts, ich sehe nur eine Masse von kleineren, eine große kann ich nur cine solche nennen, die das Maß einer Majorität Uberschreitet; ih sehe, glaube ih, 8 oder 10 große oder fkleinere

raktionen: Sie haben da dic Konservativen, die Freikoufervativen, le haben das Centrum, Sie haben die Nationalliberalen, Sic haben die Partei, die der Hr. Abg. Windthorst nicht libcral nennen wollte, le haben den Fortschritt, dies sind secch8, Sie haben nn eine recht beträchtliche Fiugabe noch, die bei diesen \{chwankenden ajoritâten die Zunge der Waage in der Hand halten; da sind die olen, das sind sieben; da sind die Elsässer das find acht. Wir ben das aufgehende Gestirn der Volkspartci noch niht erwähnt

die könnte man sehr wohl al8 die-neunte ansehen —, und die Sozial- demokratie, die ret stark ift und jeder einzelnen liberalen Fraftion die Waage bält, das wären die zehnte. Wie foll ich denn nun diese großen Strömungen pflegen? Ja, der Ansprach steht mir wohl gegenüber, und ich bin ja nicht kurzsihtig genug, um den nicht zu er- kennen. Die stärkeren Froktionen stellen an mich den Anspru, ich soll ihnen nicht nur meine Perfon, sondern das Kaiserlihe Gewicht zur Verfügung stellen für ihre Fraktionszwecke, dann würden sie wohl auskommen fönnen und mit mir zusammen wirtk\{aften. Ja, wenu das meine Ueberzeugung wäre, wenn meine Ueberzeugung mit einer dieser Fraktionen vollständig übereinstimmte, so würde ih mich gern der Fraktion anschließen und würde aus meinem Herzen keine Mörder- grube machen, vorausgeseßt, daß ih vorausfähe, mit dieser Fraktion kann ich mein Jahrhundert in die Schranken fordern, und die ist stark genug, um das Deutsche Reich mit ihrer Hülfe zu festigen, aus- zubilden, zu regieren. Wo i denn aber die Fraktion, an deren Spite, oder, wie sie sagen würden, in deren Gefolge ih dies leisten könnte? Zeigen Sie wir die, und dann will ih sie als große Ströô- mung behandeln, ich würde sie studiren und mit ihr in Be- ziehung treten. Jeßt ist mir aber die s{wierige Aufgabe zu Theil geworden, zwischen allen Parteien, die fsih gegenseitig ohne Sieg bekämpfen bis aufs Blut, zu balanziren und zu laviren, und die Regierung in folcher Lage, ohne besondere Krisen, so lange zu führen, wie ich sie geführt habe, das ist eine Leistung, der Sie Anerkennung zollen follien Jch habe {hon vor recht langer Zeit, im Jahre 1847, auf dem vereinigten Landtage einmal meine Ueberzeugung ausgesprochen, daß das englishe System der Majoritätsregierung ein ganz zweck- mäßiges fei, so lange es nur Whigs und Toris, fo lange es nur zwei Fraktionen in der Hauptsache gegeben habe, die untereinander abzählen, wer die Majorität hat, und, sobald abgezählt ist, heißt es „Ablösung vor“, und das Ministerium geht ab und das andere tritt vor. Das spielt fi leiht ab und ist, was die Franzosen nennen: «le jeu de nos institutions“. Jh habe {hon gesagt im Jahre 1847, warten wir ab, bis wir verschiedene Parteien in England haben. Schon wenn Sie drei Parteien haben, ift das Nezept niht mehr durchführbar, wenn Sie aber fünf haben, wie sie eine Zeit lang be- standen haben, so wird es ganz unmöglih; ih sagte damals, dann find nur Koalition3ministerien möglich, solchen find dann weite Ge- biete der Politik, die der Regelung bedürfen, zu betreten verboten, weil auf ihnen die Koalition sih löft. Solche Koalitionsregierungen sind alfo nothwendig schwache, bei uns aber liegt eine Nothwendigkeit dafür nit vor, weil es ganz unmöglich ist, eine Majorität zu bilden, auch die Koalition würde dazu nicht führen. Sie glauben vielleicht dur Neuwahlen, wenn also ein liberales Ministerium jeßt ans Nuder käme und auflöste und mit dem ganzen Hochdruck des Einflusses der Wabltechnik, deren Geheimniß die Herren besitzen, nun auf die Wak- len wirkte, daß sie dann eîne volle und große liberale Majorität haben würden. Es ift ja mögli. Sie haben den Beweis aber noch nicht geliefert, und ih glaube, Sie überschäßen den Regierungs8einfluß. Die Herren sind darin im Irrthum: wenn einige aus Ihrer Mitte Minister würden, so würden sie zunächst den Widerstand derjenigen ihrer eigenen Fraktion, die nicht Minister geworden sind, zu bekämpfen haben. Sie irren si, wenn Sie glauben, daß Sie die Majorität, wenn Sie dieselbe überhaupt erreiwen, was ih nicht glaube die Maschine ist dazu nicht stark genug —, wenn Sie eine volle Majorität erreichten, so würden Sie dieselbe doch nur so lange besißen, wie Sie in der Opposition sind. Sie würden mit derselben das Ministerium, so lange es fih dazu hergiebt, bedrüken und beein- flufsen können, das ift ja wohl mögli. Aber fobald Sie Minister werden, würden diejenigen von Ihnen, die Minister geworden sind, sofort mit der nota levis oder mehr behaftet werden, die nah dem Begriffe eines deutschen Liberalen jedem Minister anklebt. Jhre bis- herigen Genofsen würden es für S{mach halten, eine ministerielle Partei zu sein; sie würden von der Unmöglichkeit, die eigene Ueber-

zeugung aufzugeben reden, von Byzantinismus, Adulation, was ist da .

Alles zu hören gewesen, das würde sofort in der eigenen Partei ihren alten Führern der Bruder dem Bruder vyrwerfen. Die Meinung, daß ein Parteiführer glaubt, er könne feine Fraktion als Minifter mit in die Regierung nehmen und sie werde ihn auch da unterstützen, ist eine ganz irrthümlihe, und wer das glaubt, der kennt die Deutschen nit und mag er 80 Jahre alt sein. Jch habe darüber meine Erfahrung, da ich mit allen Fraktionen über das Thema in Kampf gewesen bin. Wenn ih mit 10 Fraktionen und in den 1chwoierigsten Verbältnissen, häufig mit Sturm und Wind so lange zu kämpfen gehabt habe, und wenn ih da die Regierung zwischen zehn Fraktionen im Kampf habe führen können, obne daß es zu wei- teren Zwistigkeiten, als zum Auswecseln böser Worte gekommen ist, ja, meine Herren, das hat man mir wenig gedankt. Es war das cine an- greifende Arbeit. Diese hätte id aber nicht leisten, wenn ih mich ciner Fraktion so zu Diensten bâtte geben wollen, wie es ab und zu von der eincn wie von der andern beansprucht worden ist. Denn der Anschluß an die eixe Fraktion involvirt den Bruch mit der andern, und die Schmach, ministeriell zu sein, wird Jedem wvorge- worfen, der mit dem Minister stimmt, dieses Vorurtheil findet ja auch an meinen besten und nächsten Freunden in der konservativen Partei, der mein eigner Bruder angehört und meine nächsten Ver- wandten angehören, vollen Anklang. Sie sagen mir, glaube doch nicht, daß wir ministeriell seien, eine solch demüthigende Meinung voa uns muß man nicht haben, wir sind unabhängige Leute, die cine cigene Meinung haben. Wokes für eine Schande gilt, ministeriell zu sein, da ift eine konstitutionelle Negierung eine vollständige Unmög- lihkeit. Jh habe oft Engländer gesprochen, die dem Parlamente angehörten, und die mir sagten in Bezug auf irgend eine bestimmte Maßregel, ih halte diese Maßregel für thöriht, für gefährlich und für unglüdlih, aber der Minister, der die Partei führt, der Führer der Partei hat es gewollt, er muß die Verantwortung dafür über- nehmen, ih glaube, er begeht cine Thorheit. Ja, meine Herren, zu dieser Entsagung werden Sie den deutschen Partiklularis- mus, der i in dynastishe Länder, in Reichsdörfer, wie in Neichsstädte, in Häuser, in Farben, in Fraktionen verkörpert oder Dorf gegen Dorf abscachtelt und Jeder in feiner stolzen Unabhängigkeit von Allem die Meinung sib nach feinem Kopf bildet, dazu werden Sie es bei uns nie bringen, und deébalb glaube ich, daß wir nicht zu der Negierungs- form, die Hrn. Abg. Hänel vorshwebt, befähigt sind. Jch babe in allen diesen Kämpfen nur eine einzige Magnetnadel gehabt, die mi leitete. Das war das: was ih in jedem Falle für das Reichsinteresse erkannte, das habe ih vertreten, mochte die Fraktion, die id dabei bekämpfen mußte, mir nahe stehen oder nit; eine andere Aufgabe kann ich mic au künftig nicht stellen. Daß ih dabei meine Pofition habe weseln müssen, war natürlich; das lag aber nicht an cinem Wechsel meiner Ueberzeugungen, sondern an der Nothwendig- keit, zu thun, was unter so oder so veränderten Umständen für das Reich zu thun war. Die Versatilität lag auf der Seite der Frak- tionen, nicht bei wir; sie sind allmählih weiter nach links geglitten, fo daß sie mit dem, womit sie im Jahre 1866 noch zufrieden waren, beute nicht mehr zufrieden sind, fie verlangen heute mehr. Seit- dem baben wir cinen weiten Weg zurückgelegt. Sie haben jede cinzeln den Punkt, bis zu dem ih mit ihnen gehen konnte, überschritten, und jeyt suhe ich zu hemmen und zu halten. Es liegt also die Versatilität nicht an mir, sondern an den Fraktionen. Denken Sie zurück, was war früher Liberalis- mus? Zu den Zeiten, wo wir Alle hon im Parlamente waren, da waren Fraktionen wie Camphausea und Beseler, die sogenannten Altliberalen, {on der s{härfste Ausdruck der Opposition, vor deren Blick jeder Minister, der zu den Höflingen der Majorität gehörte, den seinigen nieders{chlug, Wo ist die Herrlichkeit geblieben? Jeßt gelten die Altliberalen für Reaktionäre, für cinen überwundenen Standpunkt der grofien liberalen Partei gegenüber, und so werden hinter diefer immer wieder neue Größen auftauchen, die das, was Sie, meine Herren, \{ließlich als Acußerstes erreicht haben, als Ausgangspunkt für neue For- derungen und Bestrebungen betrachten. Da können Sie nicht än- dern, und deshalb seien Sie doch mit dem Vorwurf, daß ich ver- änderlicy in meiner Ueberzeugung wäre, etwas sparsamer. Es kommt mir das gerade so vor, als wenn man meinem verehrten Freunde, dem Grafen von Moltke, bier vorwerfen wollte: warum haben Sie

nit in der Sblaht von Sedan dafselce Mansöver, wie in der S&lat von Mars la Tours ausgeführt? Das ift auch eine În- konsequenz, die man von einem fo einfihtigen Stratezifker nicht er- wartete. Er wird sagen: der Fall lag eben anders, der Feind ftand anders, er {oß mit anderem Material. So ist es au bei mir. Verlangen Sie von mir keine Konsequenzmacerei, sondern ih führe die Negierung nah meiner Ueberzeugung, die immer auf Seiten de3 Reichs und nie auf der Seite einer Fraktion stehen wird.

__ Der Abg. Fchr. von Maltzahn (Gülg) erklärte, der Abg. Rickert habe die Vorlegung der amtlichen Statistik verlangt ; vom Bundestisch sei dem Abg. Rickert darauf erwidert, die- felde werde vorgelegt werden. Darauf habe der Abg. Rickert geantwortet : diese Statistik tauge nichts; also wieder die alte Geschichte; er (der Abg. Nickert) kenne die Vorlage der Regie- rung uicht, aber er mißbillige sie. Zunächst wolle seine (des Redners} Partei doch abwarten, wie diese Statistik aussehe. Stelle sie sih als absolut unbrauchbac heraus, dann werde seine Partei der Ausarbeitung einer neuen besseren Statistik gewiß nicht zuwider sein. Er und seine politishen Freunde hätten die Resultate derselben niht zu fürchten, auch dann nit, wenn sie für seine Partei etwas ungünstiger ausfallen sollte. Es sei ja bei den schwankenden Verhältnissen niGt möglich, seine Ansichten immer durchzubringen. Man habe seiner Partei das Zusammengehen mit dem Centrum bei den Wahlen vorgeworfen. Habe denn die Fortschritts- partei etwas dagegen gehabt, daß die Sozialdemokraten für sie gestimmt hätten? Daß seine Fraktion mit dem Centrum zusammengehen müsse, erkenne er an. Könne die konservative Partei denn mit den Liberalen etwas Positives schaffen, wolle die linke Seite dieses Hauses überhaupt mit der rechten etwas Positives schaffen? Da die Konservativen ihre eigene Ueber- zeugung nicht durchbringen könnten, fo suchten sie für dieselbe Unterstützung, wo sie sie fänden. Komme die Linke dieses Hauses doch nicht mit dem protestantishen Bewußtsein ! Diejenigen unter den Liberalen, welche seinem (des Redners) Austreten in diesem Hause seit zehn Jahren einige Aufmerksamkeit geschenkt hätten, würden ‘ihm zu- gesiehen, daß er seine Stellung als positiv-evangelisher Christ in diesem Hause noch nie verleugnet habe. Aber das wolle er ganz echilih sagen, daß troß seines proteztantishen Bewußt- seins, die Stellung des gläubigen Kathzlifken ihm immer noch lieber sei als die Stellung der Herren der Fortschrittspartei, die auf naturalistishem Standpunkte stchen. Ec habe nie be- hauptet, daß die Wahrheit bei der Majorität sei, cr vertheidige die Wahrheit nah seiner innersten Herzensüberzeuguug ganz gleich, ob seine Partei in der Majorität oder Minorität sei, und er werde niht weniger von der Wahrheit der konservativen Sache überzeugt sein, wenn au die Waßken einmal gegen die Konservativen seien. Seine Partei sürchte si nicht vor denselben, vielmehr habe die liverale Partei Grund, dieselben zu fürch- ten, da sie immer nah der Majorität den Staat regieren wolle. Einer der Herren habe geglaubt, sciner Partei etwas zu Leide zu thun, wenn derselve gesagt habe, die Deutsch- tonservativen und Freifkonservativen verhielcen sich zu einander wie Musketiere und Füsiliere und unterschieden sich nur dur das Lederzeug. Er acceptire diesen Vergleih und zwar eines- theils, weil nah der deutschen Heeresverfassung beide in dem- d Verbande ständen und dann, weil beide gleich scharf

fsen.

Der Abg. Nittinghaufen ging auf die Handelspolitik des Neichskanzlers näher ein, indem derselbe betonte, daß Frank- rei sich, troßdem si Viele theoretish für den Freihandel erklärt hätten, doch in der Praxis für den Schußzoll entschieden habe und sich in Folge dessen eines großen Woh!standes erfreue. Wenn Deutschland vom Freihandel zum Schußzoll überge- gangen sei, so sei er (Redner) im Prinzip damit vollständig einverstanden, nur gefalle ihm nicht die Art und Weise, wie die Schußzzölle eingeführt seien. Redner erörterte darauf die sozialistishen Pläne des Reichskanzlers, namentlich die Unfall- versiherung, die Alters- und Jnvalideuversorguna, welche dent ganz natürlihen Gedanken entsvrungen seien, daß die Jn- dustrie für ihre sämmtlihen Produktionékosten aufkommen müsse, wozu außer dem Arbeitëlohne auc die Entschädigung an den Arbeiter gehöre für das, was derselbe an seiner Ge- sundheit opfere.

Der Abg. Dr. Neichensperger (Crefeld) erklärte, die heutige Debatte sei nicht verloren, denn auf allen Seiten sei das Be- dürfniß vorhanden, Klarheit in die Situation zu bringen, sowohl hinsiY!lih des Verhältnisses der Fraktionen zu einander als auch bezüglih der Bundesregierung und des Reichs- kanzlers. Der Abg. Nickert habe dagegen protestirt, daß man seine Partei die sezessionistishe genannt habe. Nun habe wohl der alte Saÿ „was du nicht willst, daß man dir thu?, das füg' au keinem Anderen zu,“ auf der linken Seite feine Geltung. Hätten denn die Herren vergessen, daß sie das Centrum wider dessen Wilen fort und fort die ultramontane und flerifkale Partei genaunt hätten? Es sei eine sehr bedenkli*he Aeußerung des Abg. Hänel, an 093as protestantishe Bewußtsein zu appelliren, und er möhte gleich von vornherein einem derartigen Losungs- wort entgegentreten. Wer aus seiner (des Redners) Partei sei jemals der protefiantishen Kirche oder den Protestanten als solchen aggressiv entgegengetreten? Er sei überzeugt, keiner von den Liberalen werde dem Centrum auch nur die ge- ringste Thatsache nachweisen können, daß die römischen Katho- likfen jemals der protestantischen Kirche polemish gegenüber- getreten seien. Der Abg. Hänel lege so großes Gewicht auf die Verjassung. Wer habe denn die drei Artikel der preußischen Verfassung abgeschafft ? Allerdings hätten auch Mitglieder der Rechten sih daran betheiligt. Aber nah seiner Ansicht sei auf der rechten Seite immer mehr und mehr das Bewußtsein hervorgetreten, daß es sich wahr- lih nicht um Uebergriffe der Katholiken handele, sondern viel- mehr um einen Kampf gegen die Kirche, auch gegen die pro- testantishe Kirche. Er bitte die linke Seite dieses Hauses mit dem Reichskanzler: Möge sie daran zurücckdenken, was früher der Liberalismus gewesen sei. Früher sei das Losungswort gewesen : bürgerliche und fkirchlihe Freiheit; wer die kirWlihe Freiheit niht achte, der achte auch nit die bürgerliche Freiheit. Jeßt seien die Herrea der Linken der großen Mehrzahl nach von diesem Liberalismus abgefallen und daher könne das Centrum niht mit ihnen gehen. Er sei überzeugt, es werde immer klarer werden, - daß fich zwei große Parteien gegenüberstehen würden: die Partei, die auf Seiten des Kreuzes stehe und die Partei des Materialismus und Naturalismus oder des Atheismus. Er hoffe, daß die Parteien nah dieser Seite Fo mehr und mehr fest incinandergliederten und dann werde si zeigen, wem der Sieg verbleibe.

Der Agg. Nichter (Ha en) bemerkte, der Eegergad,. der leßte Redner ausge}pielt habe für oder gegen das übertreffe allerdings noch dic Parole: für oder gegen

den eiti, den