1882 / 9 p. 16 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 Jan 1882 18:00:01 GMT) scan diff

so \{auderhast zurückgegangen sein, wie dies jeßt der Fal sei. Hätte Fürst Bismarck si ernsilih an die Spiße einer mahrhaft hristlich:konservativen Reformbewegung stellen woilen, so würde ihm die Majorität nicht fehlen. Denn die Mehrheit im Volke sei für eine solche, und das Centrum würde ihn darin unterstüßen. Aber das sage er auch bestimmt: Eine Regierungspartei zans phrase Tönne und dürfe die Certrums- fraftion nie und nimmer werden. Zu einer solwen Reform gehöre aber vor Allem die Beendigung des Kulturkampfes und die Aufhebung dieses Gesezes. Wenn die besten Kräfte zur Lösung der sozialen Aufgaben gelähmt seien, dann sei an eine solche Reform nicht zu denken. Deshalb richte er an den Reichskanzler und den Reichstag die Bitte, dieses Ge- seß aufzubeben und dem Antrage des Centrums beizusiimmen. Um zu «cinem ersprießlichen Zusammenwirken zu kommen, dazu gehöre aber vor Allem die Aushebung der Maigeseße und zunächst dieses Geseßes. Die Härte dieses Gesezes sei eine solche, daß selbst die Sozialdemokraten und ausländische Vagabunden dagegen noch mit Glaceehandshuhen angefaßt würden. Außerdem hätten die Nationalliberalen durch ihr Votum für das Geseh eines der wichtigsten Verfassungsrechte preiegegeben. Der Abg. von Bennigsen sei noch immer der große Staatsmann und Kulturkämpfser, und seit Anfang dieser Session säßen ja die Abgg. von Bennigsen und Dr. Falk als stillschweigende Bekenner des Kulturkampfs nebeneinander. Man habe dem großen Fabier nahgerühmt : cunctando restituit rem, Die nationalliberale Partei und ihr Führer schienen dem Grundsaße zu folgen : concedendo restituit rem, Er habe den Nationalliberalen damals gesagt: Am Kulturkampfe wür- den dieselben zu Grunde gehen; die Thatsachen hätten dies, wenigstens etwas, bewahrheitet. Er freue sih, daß heute au auf liberaler Seite dem Centrum Aussicht auf Beendigung des Kulturkampfes gemacht werde, um so mehr, als er auf der anderen Seite die Energie und Entschlossenheit ver- misse, auf die seine Partei wohl hätte rechnen können. Man sollte keine Gelegenheit versäumen, diesen Kampf zu beseitigen. Die Liberalen sollten si freuen, wenn der ganze Kulturkampf beseitigt würde, ehe sie an die Regierung kommen würden. Und wenn die Liberalen an die Regierung kommen würden, dann möchte er denselben diesen Nath geben : dann den Kultur- kampf nicht wieder anzufangen und daran zu denken: „Ge- branntes Kind scheue das Feuer.“ Wenn der Abg. von Ben- nigsen noch weiter in dieser Weise Zukunftsmusik mache, könne ihm ja die Erreichung jenes Ziels nicht s{chwerx fallen. Er schließe, indem éx das Haus bitte, für den Centrumsantrag zu stimmen und damit ein Gesch zu beseitigen, welches auch namentlich nah der politishen Seite hin als durchaus ver- werflih anerkannt werden müsse; man zeige damit den fatholishen Mitbürgern, daß man den Schmerz der Katholiken lindern und den Kulturkampf beendigen wolle, aber nicht mit Worten, sondern mit der That.

Der Abg. Hobrecht bemerkte, daß die Gegner des Gesetzes vom Mai 1874 in dem Moment, in dem sie Aussicht auf Erfolg zu haben glaubten, den Versuch machen würden, es aus der Welt zu schaffen, könne Niemanden befremden. Aber die Parteien, mit deren Zustimmung es damals zu Stande gekommen sei, hätten die Pflicht, ernst zu prüfen, ob eine Thatsache vorliege, die dazu drängen könne, die damalige Diskussion über die Nothwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit des Gesehes zu erneuern. Er sei in die heutige Berathung mit einer gewissen unruhigen Neugier und der Erwartung eingetreten, daß die Antragsteller dem Hause ein Bild des Nothstandes geben würden, welches das Mitgefühl erregen und seine Bedenken gegen die Berathung des Antrages des Centrums in die- jem Augenblide beseitigen würde. Aber er habe nur gehört, daß das Geseß vom 4. Mai 1874 in der ersten Zeit vielfah angewendet sei, daß die Anwendung sehr rasch nachgelassen habe und in den leßten Fahren ganz auf- gehört habe ; außerdem eine Reihe von Scherzen und Wißen, u. A. auch über die Partei, der er anzugehören die Ehre habe, als eine reduzirte und eine solche, welche Aussicht habe, an die Regierung zu kommen ; dazu noch andere Scherze, welche umgekehrt gerade den Eindruck machten, daß die Stimmung des Unterdrückten, der sih in der Lage \{hwieriger Vertheidigung befinde, bei den Antragstellern nicht vorhanden sei. Mithin würde die Aufhebung des Gesetzes direkt von fehr geringer Wirkung sein, desto bedeutcnder in prinzipieller Beziehung. Jm Jahre 1874 habe der Abg. Windthorst als \{werwiegendsten Grund gegen das Geseg gausge- führt, daß das Reih kein Recht habe, das Verhältniß der einzelnen staatlihen Regierungen zur Kirche vor sein Forum zu ziehen, Derjelbe habe damals an das «nteresse Bayerns und der anderen Staaien appellirt, die ihnen von der Reichsverfassung gelassene Selbständigkeit gerade auf diesem Punkt zu vertheidigen ; es sei ganz unmöglich dem Geseh zuzustimmen, wenn man nicht die Maigesetze, die ganze kfirhenpolitishe Geseßgebung Preußens auh Seitens des Rei(ps- tags prüfe und sie seien dem Reichstage niht einmal zur Genehmigung vorgelegt; die Vorlage sei ein Versuch, den Einzelstaaten von Preußen aus das Kirchenrecht zu diktiren. Er wolle die Bedeutung dieser Einwendungen jeßt nicht unter- suchen. Thatsache sei, daß die preußische Regierung die Mai- geseße dem Reichstage uiht vorgelegt habe, daß sie ihren An- trag auf eine Reihe besonderer Fälle des Widerstandes gestützt habe, in denen sie, wie auch heut noh, niht ohne Grund ausgefürt habe, daß die von ihr empfohlenen Zwangsmaßregeln nicht nur die wirksameren, sondern auch die milderen seien. Thatsache sei auch, daß damals eine große Zahl derer, die dem Gesetze zu- gestimmt hätten, sih dagegen verwahrt hätten, als wollten sie damit die preußischen kirhenpolitisden Geseßze ohne Weiteres in Bausch und Bogen genehmigen. Wenn man aber jeßt ohne den Antrieb besonderer thatsähliher Uebelstände als Ausflüsse des Gesetzes dasselbe aufheben solle, dann seßte ein folher Beshluß voraus, daß demselben eine Prüfung der preußischen kirhenpolitishen Geseße zu Grunde gelegt werden müßte, und derselbe würde eine prinzipielle Verurtheilung der ganzen bisherigen preußischen Kirchenpolitik enthalten. Diese prinzipielle Bedeutung der Annahme des Antrags Windthorst würde noch durch die augenblicklihen Verhältnisse geschärft. Die preußische Regierung sei {hon seit Jahren und besonders jeßt bemüht, die Schärfe des Konflikts zu mildern, sie stehe in Unterhandlungen, um Mittel und Wege zur Herbeiführung eines friedliheren Verhältnisses zwishen Kirche und Staat zu finden, Jn wenigen Tagen werde der preußishe Landtag eröffnet, dessen eine Hauptaufgabe die Berathung und Be- s{chlußnahme über die kirhenpolitishen Fragen sein werde. Wenn jeßt von hier aus das Geseg vom Dee 1874 ange- griffen und vielleiht aufgehoben werde, so griffe tnan in die innere Geseßgebung des preußischen Staates in einem Maße ein, wie es noch nit geschehen, und gerade der Abg. Windt-

horst habe damals im Gegensaß zur Heutigen Behauptung des Abg. von Schorlemer-Alst mit vollem Necht ausgeführt, daß das Geseß vom Jahre 1874 si gar niht trennen lasse von der gesammten kircenpolitishen Geseßgebung. Möge die Stellung der Regierung in dieser Frage sein, welche sie wolle er hätte gewünscht, sie hätte eine Erklärung in dieser Be- ziehung abgegeben er würde es in keinem Falle für richtig halten, unmittelbar vor Beginn des preußischen Landtages in eine Diskussion dieser Frage einzutreten. Seiner politischen Anschauung liege es fern, dem Versuch einer Ausdehnung der Kompetenz des Reiches in irgend einer Weise mit Mißtrauen zu folgen, aber es gebe ein Gebiet, auf welhem man die innere Geseßgebung des Einzelstaates intakt lassen solle, so sei es das des Kultus, und dazu habe man im vorliegenden Falle bei der Lage der preußischen Geseßgebung doppelte Veranlassung. Er und seine politischen Freunde würden daher gegen den Antrag Windthorst stimmen.

Der Abg. Dr. von Jazdzewski erklärte, er habe nah den Ausführungen des Abg. Windthorst geglaubt, daß sih alle Parteien für die Beseitigung des Geseßes einigen müßten, aber die Ausführungen des Vorredners hätten das Gegentheil bewiesen. Der Kriea, der durh dieses Geseß inscenirt sei, solle zum Frieden führen. Dieser Friede sei aber der cines Kirchhofs, denn die gesammte Christlichkeit wäre bei größter Schärfe der Anwendung des Geseßes demselben anheimgefallen. Das Geseß vom 4. Mai 1874 sei in der Provinz Posen in ahtundahtzig Fällen zur Anwendung gekommen, und zwar in zwei Fällen die FJnternirung, Die Ausweisung aus Deutshland sei allerdings nicht vorgekommen. Jn erster Linie sei das Opfer dieses Gesehes der Erzbishof Ledochowski gewesen. Sein ganzes Ver- brechen habe darin bestanden, daß derselbe die Anzeigepflicht, wie sie die Maigeseße vorgeschrieben, nit erfüllt habe. Da- für sei derselbe auf zwei Jahre im Gefängniß zu Ostrowo eingeshlofsen und nachher aus Vosen ausgewiesen worden. Weitere Opfer des Gesetzes seien die Weihbishöfe von Posen und Gnesen gewesen, weil sie am Gründonnerstage die heili- gen Oele geweiht hätten. Eine solche Ausführung des Ge- seßes sei die härtesie, die man sich überhaupt denken könne. Darüber habe ein Gericht, das aus Protestanten und vielleicht aus Juden bestehe, doh nicht zu befinden, was cin Kirchenfürst in seiner Amtssphäre zu thun oder zu lassen habe. Sodann seien verschiedene Kuratgeistliche bestraft, weil sie angeblich unret- mäßige Amtshandlungen sich zu Schulden hätten kommen lassen. Weil nun die katholische Geistlichkeit in die Möglich- keit verseßt werden könne, daß das Geseß mit derselben Schärfe wie früher wieder gehandhabt werden könne, sei es in der Ordnung, daß das Centrum den Wunsh nach dessen Aufhebung aussprehe. Das Gesez sei in der Praxis obsolet geworden; was liege den Parteien daran, es noch weiter zu konserviren? Als das Gesey vom 14, Juli 1880 in das Abgeordnetenhaus eingebracht sei, habe die ftonservative Partei der Regierung einstimmig die Fakultäten geben wollen. Hier liege auch ein Ge- seß vor, das der Regierung eine diskretionäre Gewalt in die Hand gebe, aber eine Gewalt, um die katholishe Kirche zu vernihten. Die konfervative Partei werde wohl der Regie- rung faum zumuthen, das Geseh noch weiter anzuwenden, deshalb verstehe er nicht, warum die Konservativen nicht den Standpunkt der Antragsteller theilten.

Der Abg. Dr. Virchow erklärte, die große Mehrzahl seiner politischen Freunde fei ents{hlossen, mit dem Centrum für die Aufhebung dieses Gesetzes zu stimmen, und es werde ihn sehr freuen, wenn dieser Gegenstand des Streites zwischen den Parteien begraben sein sollte. Fhm persönlih werde dieser Standpunkt nicht s{hwer, er habe sich 1874, als er noch nit Mitglied dieses Hauses gewesen sei, öffentlich gegen die Exilirung von Deutschen ausgesprohen. Schwieriger sei natürlich die Sachlage für seine Freunde gewesen, namentlih für diejenigen, welhe mit für dieses Gescß votirt hätten. Auch der Abg. von Sauen habe für dasselbe als für ein Kampfgescß gestimmt, aber ausdrüdcklich bemerkt, er halte cs für ein provisorishes Geseß, d. h. es werde die Nothwendigkeit der Anwendung fallen. Diese Vor- aussezung habe sih ja auh wesentli bestätigt ; denn was die Herren angeführt hätten, seien Reminiscenzen aus den alten Zeiten des Kulturkampfes. Wenn man aber jeßt, wo die Re- gierung den Frieden mit der Kirche herstellen wolle, ein Gesetz aufre{cht erhalten wolle, welhes als Kampfgescß und als weiter nichts gegeben worden sei, so würde man vielleiht mehr an- streben, als die Regierung überhaupt zu thun beabsiGtige, man würde der Regierung gewissermaßen eine Waffe an die Wand hängen, damit sie von Zeit zu Zeit sehen könne, ob

sie nicht rostig und schartig geworden sei. Sonder- var je 6 nun; d08 in diejer willigen . Sache keiner der hier anwesenden leitenden Staatsmänner

irgend ein Wort verliere, um den Reichstag über die Auf- fassung der Regierung zu verständigen, Der Reichskanzler habe das Haus allerdings {hon daran gewöhnt, daß derartige einseitige Unterhaltungen auch als parlamentarische Aufgaben betrahtet würden, aber dann habe man den Reichstag doch wenigstens allein gelassen, heute habe man die sonderbare Er- scheinung, daß in Anwesenheit der Vertreter der Negierung diese wichtige Materie behandelt werde, ohne daß auch nur der leiseste Ansaß gemacht werde, belehrend einzuwirken. Wer sei nun in dieser A ang enge die entscheidende Autorität? Von allen Seiten, auch von den Konservativen, werde die Beendigung des Kulturkampfes gefordert, Wer habe ihn denn gemacht, die Liberalen doch nicht, sondern die Regierung. Jeßt thue man so, als wenn nur die zwei Männer, welche nebeneinander auf den vordersten Sißen der linken Seite sich befänden (die Abgg. Dr. Falk und von Bennigsen), die Schuld trügen. Es sei höchst sonderbar, daß man nicht einmal eine Ahnung habe: was denke nun wohl eigentlih der hohe Staatsmann, der die Geschicke des Reiches leite, über dieje Angelegenheit ? Kein Mensch wisse etwas davon. Habe auch der Reichskanzler bisher über diese Angelegenheit Stillschweigen beobachtet, so sei es doch lehrreih, von der rechten Seite erklären zu hören, daß es mit der Ertheilung diskretionärer Gewalten doch nichts sei. Ja, wenn der Reichs- kanzler die ganze Gewalt, die ganze Macht in seine Hand allein gelegt sehen wolle, dann brauche derselbe eben feine Volksvertretung! Als dies Gesey vom 4, Mai 1874 dem Reichstage zur Berathung vorgelegt sei, sei er (Redner) es gewesen, der vor der Annahme gewarnt, und es offen aus- gesprochen habe, wie dieser Weg niht zum Ziel führen könne, Man habe seinen Auseinandersezungen kein Gehör gegeben und geglaubt, die Negierung unterstüßen zu müssen, weil man die ihr durch die Maigeseßgebung eingeräumte Gewalt nicht für ausreichend gehalten habe. Die Folgen dieser Auffassung

schienen G jeßt bitter rä®en zu sollen. Nachdem die Ne- gierung aber zu früh umgekehrt sei, könne seiner Vartei an diskretionären Gewalten ers recht nichts liegen. Die Auf- hebung des Geseßes von 1874 sei seiner Partei aber um so unbedenkliher, als {hon das Geseß vom 14. Juli 18830 die Jnternirungsbestimmung völlig hinfällig gemacht habe. Eine gewisse Reserve müsse er aber bei seinem Votum ausfprechen : die Haltung seiner Partei zu diesem Gesetze solle die Haltung derselben gegenüber der etwaigen Nevision der übrigen Maigeseße nicht präjudiziren. Bei keinem einzigen der anderen Gesetze würde eine analoge Operation statthaft sein; keins könne jo wie das Expatriirungsgeseß einfa preisgegeben werden. Aber die polizeiliche Seite des Kulturkampfes zu verewigen, könne seine Partei nicht beabsichtigen ; allmählih sei ja aus dem, was man unter Kulturkampf verstanden habe, untex den Händen der Polizei - Organe etwas geworden, für das man sch auszusprehen fas Bedenken tragen müsse. Den Kampf aber gegen die organisirte katholisGe Kirche werde aber weder Fürst Bismarck noch ein anderer Kanzler: beseitigen, auch wenn er noch so viel Konzessionen mache. Darum vertrete er wie immer den Grundsatz, daß der Staat durch seine Geseße seinen Bürgern Frieden schaffen müsse. So viel über die negative Seite des Kulturkamp}ss. Positiv habe er stets für eine Geseßgebung plädirt, welche jeder Neli- gionsgesellschast ihre Grenzen ziehe. Gegen den Abg. Hobrecht müsse er hervorheben, daß die Aufhebung dieses Gefeßes auch für seine Partei niht ein prinzipielles Verlassen der Gesetz- gebung des selbständigen Staats bedeute, sondern nur eine Beseitigung von Auswüchsen, die die Praxis aus dem Gesete von 1874 herbeigeführt habe. Seine Partei habe damals gerade geglaubt, die Jnternirung sei das kleinere Uebel gegen- über dem Gefängniß. Allerdings wisse man ja gar nicht, wie {nell der Reichskanzler hier eine Konversion seiner Anschauungen erleben könne. Der Reichskanzler habe erst [neulich zum all-

gemeinen Erstaunen erklärt, daß er von einer Session zur

andern eine Konversion seiner Ansichten durchgemaht habe, wenn sich das nun fortseße auf alle Gebiete, da komme der Neichstag in die allershwierigste Lage. Darnach lasse sich keine Politik machen, sondern das seien Einfälle, welche auf unvollstän- digen Vorstudien beruhten, und welche eben aus unvollkommener Kenntniß der Sache hervorgingen. Diesem gegenüber müsse seine Partei ihre bessere Sachkenntniß entgegenstellen und- müsse mit dieser besseren Sachkenntniß und mit der sicheren Veberzeugung diesem ewigen Wechsel. und Schaukeln in der deutschen Politik endlih ein Ende machen. Dazu gehöre, daß man solche Dinge wegwerfe, die blos Kampsmittel gewesen seien. Mache man eine ehrliche, regelrehte Gesetzgebung, die zu aller Zeit anwendbar sei, dann glaube er, werde das Deutsche Reich bestehen und groß und stark werden.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats-Minister von Boetticher das Wort:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat im Eingange seines Vortrags cine Provokation an den Bundesrathstisch gerichtet, er möge aus der Reserve heraustreten, die er sich bisher bei der Debatte auferlegt hat. Wenn ih auf eine frühere Anregung, es möge die Stellung der Regierung zu dem vorliegenden Antrage von hier aus kundgegeben werden, nit geantwortet habe, so habe ich geglaubt, daß die Praxis, wie sie bisher in den Verhandlungen zwischen dem Bundesrath und dem Reichstage beobachtet worden ist, nicht unbekannt sein würde.

Meine Herren, ih bin gar nicht in der Lage, aus der Reserve, die wir uns auferlegt haben, herauszutreten, denn diese Reserve ist für uns eine zwingende. Es handelt sich um die Auf- hebung eines Gesetzes; die Anregung dazu ist von einem Theile dieses hohen E gegeben, und erst, wenn sih das Haus über den vor- liegenden Antrag {lüssig gemacht haben wird, und wenn dieser Bee {luß ein dem Antrage zustimmender gewesen sein wird, werden die verbündeten Regierungen in die Lage kommen, ihrerseits sich die Frage vorzulegen, ob auch sie zu der Aufhebung des Ge- seßes vom 4. Mai 1874 ihre Zustimmung geben sollen. Ja, meine Herren, Sie mögen dies belächeln oder nicht, denn es ist dies die Stellung, die verfassungsmäßig gegeben ist. Jch bin gar nicht in der Lage, Ihnen heute zu sagen, was die Königlich bayerische Regierung, die Großherzoglich hessische Regierung, die hamburgische Regierung, ja ich bin nicht einmal in der Lage, Ihnen zu sagen, was die Königlich preußische Regierung darüber denkt, denn alle diese Regierungen werden erst in die Lage kommen, sich mit der Materie zu beshâftigen, wenn dieses hohe Haus darüber beschlossen haben wird.

Ich könnte mit dieser Erläuterung unserer Haltung \chließen und könnte nur noch dem Herrn Abg. Virchow, der seinerseits wohl hon an diese Auffassung gedacht hat und deshalb gesagt hat, „wenn diese Auffassung etwa für die Haltung des Bundesrathstisches die entscheidende gewesen sein sollte, so begreife er nicht, weshalb die Herren überhaupt hier erscheinen; wenn sie erscheinen, so könne man erwirken, daß sie wie er sich ausdrückte belehrend auf das

Haus einwirken“ die Erklärung geben, daß wir hier erschienen sind, gerade um Belehrung zu suchen für unsere künftige Beschluß- nahme.

Der Herr Abg. Virchow hat aber im weiteren Verlauf seiner Rede, und das be¡ieht sich nicht blos auf den vorliegenden Gegen- stand, sondern ist allgemeiner Natur von der kircenpolitischen Gesetzgebung und den Plänen, die etwa der Herr Reichskanzler auf diesem Gebiete verfolgen könnte, gesprochen. Er hat gesagt, „wenn der Herr Reichskanzler Vollmachten haben will, daß er thun und lassen kann, was er will, so braucht er kein Parlament. Jch erwidere ihm darauf, daß die Regierung in diesem Falle wird es wahr- scheinlich die preußishe Staatsregierung sein, da ja hier von den verbündeten Regierungen Vollmachten auf kirchenpolitishem Gebiete nicht begehrt werden Vollmachten erbittet, so geschieht das nicht um einer Erweiterung ihrer Macht willen, sondern es geschieht um des Friedens zwischen Kirhe und Staat willen, und geschieht um des Wohles des Vaterlandes willen.

Wenn ferner der Hr. Abg. Virhow gemeint hat, daß man nicht mehr wisse, wie man daran sei, denn der Herr Reichskanzler habe neulich auf sozialpolitishem Gebiete neue Ideen At proGen, die den früher von ihm vertretenen \{nurstracks entgegenstehen, so möchte ih erwidern, daß der Widerspruch so \ch{rof doch nicht war, und daß es sich dabei um ein Gebiet handelt, auf welhem wir Alle fortgeseßt lernen können und müssen. Jch behaupte dreist, wer da meint, er sei auf diesem Gebiet fertig, daß der n o ch garnicht ange- fangen hat, zu lernen. Und, meine Herren, wie ist es denn mit den wirthschaftlichen Geseßen? Hat nicht die Fortschrittspartei im vorigen Jahre \ih darauf gesteift, einfa die Ausdehnung des Haftpflicht- geseßes zu verlangen und jeßt {ließt sie sich einem Antrage an, der den Versicherungszroang annimmt und den Zielen der Regierung, die sie im vorigen Jahre verfolgt hat, wesentlih näherkommt.

Meine Herren! Sie werden lernen und wir werden lernen, und ih bitte Sie dringend, lassen Sie die Vorwürfe darüber, daß wir klüger geworden sind, dann werden wir Ihnen auch gönnen, daß Sie klüger werden,

Schließlich habe ich noch ein Wort zu sagen. Mit der Wendung in den Anschauungen des Herrn Reichskanzlers hat der Hr. Abg. Virchow auch den Namen Sr. Majestät des Kaisers verknüpft. Nun meine Herren, wenn Se, Majestät der Kaiser in diesem Jahre zu der Ueberzeugung gekommen ift, daß es noch besser für das Wohl des Landes und des Volkes sei, ein System zu adoptiren, an welches man im vorigen Jahre nicht gedacht hat, so ist dies etwas, was mit Ehr- furcht und Dank aufgenommen werden muß.

__ Der Abg. von Kardorff erklärte, seine Partei werde für eine motivirte Tagesordnung stimmen, weil sie den Antrag in diesem Augenblick nit für opportun halte. Mit der Kurie würden Unterhandlungen gepflogen, für den Landtag seien bereits Vorlagen kircenpolitisher Natur angekündigt, da glaube seine Partei, daß sich eine Verständigung auch auf einem anderen Wege erreichen lasse. Seine Partei habe ge- glaubt, indem sie eine motivirte Tagesordnung vorgeschlagen hate, sich dem Centrum versöhnlicher zu erweisen, als wenn sie ein glattes „Nein“ gesagt hätte oder für eine einfache Tagesordnung eingetreten wäre. Die Absicht seiner Partei sei, zu zeigen, daß sie geneigt zur s jei. Aber es erscheine ihm unnüß für die Anbahnung des firhlihen Friedens, wenn hier durch diesen An- trag aus einer Reihe von Geseßen ein einzelnes herausgerifsen und beseitigt werden folle. Die Stellung seiner Partei sei dur die Situation modifizirt worden. Ein Grund, dieselbe zu ändern, habe für seine Partei einmal in der veränderten Haltung der Kurie gelegen. Dieselbe habe sich versöhnlicher gezeigt, und darum seien au er und seine politishen Freunde versöhnlicher geworden. Ein zweiter und zwar sehr bestimmter Grund sei der, daß die Herren aus dem Centrum, nachdem fie lange Zeit bei der reinen Negation verharrt hätten, endlich wieder einmal positiv mitgewirkt hätten an einer Gesetzgebung, die dem deutschen Vaterlande Segen gebraht habe. Jndem das Centrum der konservativen Partei geholfen, an die Traditionen des deutshen Zollvereins anzuknüpfen und das Reich finanziell unabhängia zu machen, hakte es eine wahrhaft nationale That vollbraht. Der Abg. Lasker habe die Segnungen der Geseßgebung der leßten zehn Jahre seiner Partei allein vindizirt und vergessen, daß an der- jelben auch die Konservativen mitgewirkt hätten. Viele materielle Vortheile derselben seien unbestreitbar, aber sie seien gering gegen das, was das Centrum dur seine Wirthschafts- politik geleistet habe. Und wie sich der konservativen Partei das Centrum auf dem Gebiet der Wirthschaftspolitik ge- nähert habe, so stehe es auch auf sozialem Gebiete seiner Partei näher, als den Mancesterpolitikern der anderen Seite. Nun habe hinsihtlich der Maigeseßgebung die Erfahrung ge- zeigt, daß man bei derselben theils von irrigen Vorausseßungen ausgegangen sei, theils in der Praxis sich dieselbe anders gestaltet habe, als man erwartet habe. Seine Partei habe geglaubt, daß die «Fnfallibilitätserklärung des Papstes von größerer politischer Tragweite sein würde. Aber die Herren aus dem Centrum hätten sich unabhängiger von Rom gezeigt, als angenommen jei, Auch die Wirkung der Maigeseßze hätte man überschäßt. Deutlich zeige sih das bei der Jnstitution des kirchlihen Ge- rihtshofes, der bis jeßt noch nicht Anerkennung bei den Ka- tholiken Preußens gefunden habe, und über den ein «Jurist ihm gegenüber geäußert habe, daß eine derartige Jn- stitution, die überall nur Widerwillen begegne, auf die Dauer nicht zu halten sei. Von diesem Gerichtshof seien Urtheile auf Aberkennung des character indelebilis ausgegangen, die kein Katholik als rechtsgültig anerkennen könne. Der Staat Tónne den Priester zur Anzeigepflicht zwingen, aber ihm nicht seine firhlihe Würde nehmen. Fn diesen und ähnlichen Punkten sei die Geseßgebnng weit über das ihr gesteckte Ziel gegangen. Wenn das Centrum also jeßt eine Revision derselben wünsche, so halte er das für vollkommen gerechtfertigt. Was die dis- Tretionären Vollmachten betreffe, so glaube er, daß die Regie- rung ohne dieselben niht s{hnell zu einer Ordnung kommen werde, Daß ihre Handhabung eine wohlwollende sein würde, hätten die Herren aus den Erfahrungen, die man an dem Juligeseß gemacht, lernen können. Er wolle dem Beispiel, das das Centrum dem Hause gegeben, nicht folgen und dem Centrum nicht auch ein Sündenregister vorhalten. Jeßt, wo man Frieden {ließen wolle, nüße das nihts. Aber er könne gestehen, daß auch die Mitglieder des Centrums nicht blos Engel und unschuldige Lämmer gewesen seien. Gerade in diesem Augen- blide lasse sih gar nicht absehen, von welcher Bedeutung die Annahme dieses Antrags auf die schwebenden Verhandlungen mit der Kurie sein würde, sie würde dieselben vielleiht er- schweren oder ganz verhindern. Er möchte das Centrum s\o- dann auch darauf aufmerksam machen, daß mit seinem Antrag das Gese noch nichi aufgehoben sei. Darüber hätten doch auch die Bundesregierungen zu entscheiden. Oder glaube das Centrum, daß sich dieselben zu Konzessionen bereitfinden lassen würden, wo die Verhandlungen mit der Kurie {hon so weit gediehen seien? Wolle das Centrum sich aber lieber der Linken anschließen, nun, der Abg. Virchow habe ja ge- zeigt, wie weit das Centrum sih auf die Fortschrittspartei ver- lassen könne. Uebrigens müsse er doch konstatiren, daß der Abg. Richter, der so viel über den Gang nah Kanossa geklagt habe, sich selbst {hon ein gutes Stück auf dem Wege nach Kanossa befinde. Er hoffe, daß es den Konservativen im Verein mit dem Centrum gelingen werde, den konfessionellen Hader, der jeßt das deutsche Vaterland entzweie, zu beseitigen. Diesen immateriellen Erfolg würde er noch weit höher stellen, als den materiellen, der durch die Wirthschaftspolitik erreiht sei. Lasse sich au, wie der Abg. Virchow vielleiht mit Recht hervorgehoben, eine prinzipielle Lösung des Streites zwischen Staat und Kirche nicht finden, so könne man doch wieder zu dem friedlihen Zusammenleben kommen, das früher gewesen sei, und das versöhnlihe Entgegenkommen der Kurie, sowie die friedfertige Haltung des Kanzlers gebe die Hoffnung, daß man in Deutschland dasselbe bald erreichen werde.

Der Abg. Payer sprach für den Antrag. Er müsse sich wundern, daß der Abg. von Kardorff, der doh die Verdienste des Centrums hervorgehoben, gegen den Antrag stimmen werde, er werde mit der ganzen Volkspartei ohne alle Um- {hweife für denselben stimmen. Er begrüße den Antrag als den ersten Schritt zur Herbeiführung eines wirklihen Friedens und zur Beseitigung des Kulturkampfes. Diese Haltung der Volkspartei sei lediglih eine Konsequenz ihres Programms, welches gleihes Reht für Alle wolle. Ueberdies habe das Gesey den gewünschten Erfolg niht gehabt, Nicht gegen die einzelnen renitenten Geistlihen allein habe sich die Spitze der Seletgerung gekehrt, sondern gegen das Gefühl der ganzen katholishen Bevölkerung in Deutschland, wodurch der Glaube an die Autorität des Staates untergraben worden sei. Es sei noch ein Glück, daß nicht ein tieferer Zwiespalt durch die unseligen Folgen dieser Gesehgebung herbeigeführt sei, Siegen werde der Staat in diesem Kampfe nicht, das Centrum sei in größerer Zahl auf dem Plaße erschienen, das Zünglein der Waage habe sich bei Abstimmungen in der Regel nah dem Centrum geneigt. Es habe si als ein Aberglaube herausgestellt, zu

lauben, daß durch die Königlich preußische Polizei und ihre ollegen in den andern Bundesstaaten für die geistige Be- freiung in Deutschland etwas genüßt werden könne. Nur die Trennung der Kirhe vom Staat und der‘Schule von der

Kir&e könnten zum Frieden und zur Ordnung führen. Auch die shwere Schädigung des politishen Lebens mache es den Liberalen zur Pflicht, den Kulturkampf zu beendigen und dem Centrum die Hand zum Frieden zu bieten.

___ Die Debatte wurde vertagt. Es folgte eine Reihe persön- liher Bemerkungen.

Der Abg. von Bennigsen bemerkte, der Abg. von Schor-

lemer-Alst habe behauptet, er hätte sih immer dem Centrum gegenüber als den Führer der Kulturkämpfer gezeigt. Er weise diese Behauptung auf das Entschiedenste zurück und noch mehr die Anschuldigung, welche in den Worten gefunden werden solle. Jhm sei wohl bekannt, daß seit längerer Zeit in der Presse, die dem Abg. von Schorlemer nahe stehe, ähnliche Vorwürfe erhoben seien : er erinnere si, eine Broschüre eines Parteigenossen des Abg. von Schorlemer, cines“ Geistlichen und ehemaligen Redacteurs der „Germania“ gelesen zu haben, in welcher ein förmliher Roman aufgebaut sei Über seine angeblihe Thätigkeit bei der Entstehung und Weiterführung diescs Kampfes, eine Broschüre, welche sih zu der Behauptung versteige, daß, wenn der Reichskanzler {laff geworden wäre, er sih bemüht hätte, seinen Willen zu stärken. Derartige Aeußerungen der Presse und der Broschüre hätten auf ihn wenig Eindruck gemacht. Er habe sich namentlich bei dem talentvollen Verfasser der Broschüre gewundert über den Reichthum der Phantasie, mit dem derselbe auf unge- nügenden oder gänzlich fehlenden Grundlagen cin jolhes Gebäude aufzuführen unternommen habe. Wenn der Abg. von Schorlemer diese Behauptung wiederholt habe, so müsse er ihn daran erinnern, daß, soweit sein Gedächtniß reiche, er an der Berathung des heute besprochenen Gesetzes nicht betheiligt gewesen sei. An der Berathung der kirchenpolitischen Gejeße habe er sich 1873 betheiligt bei dem Geseß über die Vorbildung der Geistlichen. In den folgenden 5 bis 6 Jahren sei er Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses gewesen, als die leidenschaft- lichen Kämpfe geführt seien, als die Beschwerden und An- griffe Tage und Wochen lang wiedergehallt hätten. Er habe sich von diesen Erörterungen vollständig fern gehalten. Er habe als Präsident des Abgeordnetenhauses sich Kraft der ihm anvertrauten Autocität stark genug gefühlt, den Mitgliedern des Centrums ein Maß und einen Umfang der RNedefreiheit zu gestatten, wie wenige Präsidenten in Deutschland es gewagt hätten. Er habe dafür keinen Dank von Seiten des Abg. von Shor- lemer und seiner Freunde in Anspruch genommen, aber er- wartet, daß die Erinnerung an diese seine Stellung als Prä- sident sie hätte bewahren sollen, leihthin derartige Anschul- digungen zu erheben, für die durhaus keine ge- nügenden Unterlagen vorhanden seien. Was erx gethan habe, habe er gethan als Präsident, nah der pfliht- mäßigen Auffassung, welche er von der Führung solcher Kämpfe gehabt habe und er glaube dazu beigetragen zu haben, daß troß leidenschastliher Kämpfe die Beschwerden zum stärk- sten, ja zum leidenschastlihsten Ausdrucke gekommen seien, so- weit nicht direkte Beleidigungen vorgekommen seien. Das sei seine Betheiligung am Kulturkampf, das werde es wohl sein, wofür ihn der Abg. von Schorlemer iîn Anspruch nehme. Dann habe er 1878 in die Debatte eingegriffen, und zwar provozirt durch den Abg. Windthorst. Wie ihm seine S nachher vorgeworfen hätten, sei damals in das Geseß eine wesentliche Erleichterung hinsihtlih der Seelsorge hinein- gekommen. Er wolle also nochmals Verwahrung gegen die Vorwürfe einlegen. i Der Abg. Frhr. von Schorlemer-Alst begriff nit, daß der Abg. von Bennigsen ihm den einen Say so übel genom- men, daß derselbe meine, er hätte noch mehr sagen wollen, als in den Worten liege. Der Abg. von Bennigsen habe sich gegen etwas vertheidigt, was er ihm nicht vorgeworfen, und sich dessen gerühmt, was allgemein anerkannt sei, daß derselbe einer der tüchtigsten, ausgezeihnetsten und unparteiischsten Präsidenten gewesen sei, die er je in seinem Leben getroffen. Aber die nationalliberale Partei habe dem Centrum gegenüber gestanden und er nehme an, daß derselbe immer Führer seiner Partei gewesen sei. Als 1878 der Kulturkampf zu Ende ge- führt werden sollte, sei derselbe den Wünschen des Centrums entgegengetreten. Wenn daraus die Sezession hervorgegangen sei, so möge ihm das unangenehm sein, derselbe sei aber doch der Führer der Partei gewesen.

Der Abg. Dr. Majunke bemerkte, daß er in seiner Bro- shüre alle Behauptungen aktenmäßig belegt habe durch Reden des Abg. von Bennigsen im Nationalverein, durch Reden im Reichstage und Landtage. Er habe ausdrücklich hinzugefügt, daß der Abg. von Bennigsen subjektiv in bester Absicht und im Dienste der Menschheit gehandelt zu haben glaube.

Der Abg. von Bennigsen erklärte, der Nationalverein habe mit dem Kulturkampf nichts zu thun gehabt; jedenfalls sei es nicht gelungen, das geringste Beweismaterial dafür bei- zubringen, daß er, Redner, als der Kulturkampf am leiden- \chaftlichsten entbrannt sei, der Führer in demselben gewesen.

Der Abg. Dr. Virchow bemerkte, die Aenderung der An- sihten des Reichskanzlers sei niht so geringfügig, wie der Minister von Boetticher meine. Wenn es sih darum handele, den Gefühlen der Ehrfurht vor Sr. Majestät dem Kaiser Ausdru zu geben, so stehe er niht an, mit ihm zu rivali- siren. (Na, na! rechts.) Redner bat den Präsidenten, nicht zu leiden, daß: solche zweifelnde Bemerkungen von der rechten Seite gemaht würden. Wenn man si nicht soweit achten wolle, dann müsse man niht ins Parlament gehen.

Der Präsident bemerkte, daß er niht alle Zwischenrufe fontroliren könne, er bemühe sich, sie zu überhören.

Der Abg. Dr. Virchow erklärte, in den höhnischen Zwischenrufen von der rehten Seiie liege aber ein System, das niht nach Außen getragen werden solle.

Der Präsident bemerkte, wenn man es überhöre, werde es am Wenigsten ins Land getragen.

Der Abg. Dr. Virchow betonte, wenn man seiner Partei von allen Seiten zumuthe, jede Aenderung der Auffassung des Reichskanzlers mitmachen zu sollen, so gehe das über das hinaus, was man verlangen könne.

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, der Abg. von Kardorff wähne ihn auf dem Wege nah Kanosja. Er habe noch immer denselben Standpunkt inne wie 1874. Am wenigsten werde er sih durch das Handgeld der Schußzölle oder sonstiger Ge- gendienste wie der Abg. von Kardorff zur Reise nah Kanossa anwerben lassen. E

Der Abg. von Kardorff bemerkte, was würde der Abg. Richter dazu sagen, wenn er ihm vorwerfen wollte, daß er (der Abg. Richter) für das Handgeld fortschrittliher Wahlen nach Kanossa gehe.

Der Abg. Nichter (Hagen) be!onte er sei gegen die

Stimmen des Centrums gewählt worden. Er bedauere, daß der Abg. von Kardorff durch die ihm von seinem Wahlkreise aufgezwungene parlamentarishe Ruhepause niht gebessert in seiner Art, ungerechtfertigte Angriffe auszusprechen, hierher zurücgekehrt sei.

Der Abg. von Kardorff erklärte, er habe die Stimmen des Centrums nit erhalten. Was die ungerechtfertigten An- griffe angehe, was würde denn der Abg. Richter sagen, wenn er denselben Vorwurf machen wolle, eine Anschuldigung sei io ungerechtfertigt e R

ierauf vertagte si as Haus um 4/, Uhr au Donnerstag 11 Uhr. : G a '

Nr. 3 des Amtsblatts des Reichs-Postamts hat folgenden Inhalt: Allerhöchster Erlaß vom 4 Januar 1882.

Land- und Forstwirthschaft.

Die Oldenburgische Landwirthschafts-Gesell {aft hat es sich im verflossenen Jahre angelegen sein lassen, dem Ge- nossenshaft8wesen zum Zwecke des Ankaufs von landwirth- schaftlihen Verbrauchsstoffen im Oldenburger Lande Eingang zu verschaffen. Die diesbezüglichen Bestrebungen sind bisher von gutem Grfolge gekrönt gewesen, indem der Sinn für die gute Sache unter der dortigen Bevölkerung immer mehr Boden gewonnen hat. Gegen- wärtig bestehen bereits 22 gleich geartete Einzelvereine, welche als eingetragene Genossenschaften konstituirt sind und die unter sich einen Verband bilden, dessen Spiße der Vorstand der Landwirth\chafts- Gesellschaft ist. Die Organisation hat viele Aehnlichkeit mit der des mächtigen Verbandes der hessischen Konsumvereine, nah dessen Muster auch die oldenturgisbe Einrichtung getroffen ist.

Der Ankauf der landwirthschaftlihen Verbrauchéstoffe geschieht durch die von den verbundenen Einzelvereinen gewählten Änkaufs- kfommissionen im Submission8wege oder bei beschränkter Konkurrenz. Die Lieferung der Waare findet direkt an den bestellenden Einzel- verein statt, so daß der Verband nur die Rolle des Mäklers spielt, der dur den Ankauf im Großen für billigeren Preis und dur ent- sprebende Verträge mit den Ueferanten für die Qualität der Waare sorgt.

In einer im Verlage der Fr. Ließschen Buchhandlung zu Trier unker dem Titel : „Des Sletnbae ra an Ne Staats; regierung“ erschienenen Brochürebehandelt der Verfasser, der Landtags- abgeordnete Landrath Knebel die ländlichen Verhältnisse der südlichen Rheinprovinz und kommt zu folgenden Bitten an die Staatsregierung: 1) um Schaffung eines neuen Strohersazes dur Verbindung des Streuanbaues mit dem Niederwaldbetriebe ; 2) um Erlaß eines Kon? E at 3) um Förderung des Anbaues von Futter- und Handel8gewächsen, sowie des Obstbaues; 4) um Einführung der Ge- meindestiererhaltung ; 5) um Revision des Wassergenossenschafts- geseßes, namentli Beseitigung der überflüssigen Formalitäten und größere Freiheit in der Koftenvertheilung; 6) um verbesserte Einrichtungen sür den ländlichen Kredit; 7) um Ueberweisung der Grundsteuer an die Gemeinden.

Literarische Neuigkeiten und periodishe Schriften.

Preußisches Verwaltungs-Blatt. Wotenschrift für Verwaltung und Verwaltungsre{chtspflege in Preußen. Herausgeber : Dr. jur. Binseel. Verlag und Expedition: Otto Drewiß in Berlin N., Monbijou-Plaß 10. Jahrgang Ill. Nr. 15. Inhalt: Be- seitigung bezw. Ermäßigung des Schulgeldes bei Volksschulen ; Schul- geld als persönliches Dienstemolument der Lehrer. Eigenschaft als Gutsherrshaft. Gutsherrlihes Verhältniß bei Abzweigung von Gütern ohne Rittergutsqualität. Biehseuchen-Entschädigungen für Gensd armeriepferde. Crhebung von Sporteln Seitens der Gemeinde- behörden. Beibehaltung der Wohnung für die Familie des Hülfs-

bedürftigen. Verspätete Anmeldung. Uebernahmeanspruch. Unzu- lâssigkeit des Nechtsweges gegen Verfügungen der Verwaltungs- behörde. Erwerb eines Wegerechtes durch Ersißzung für eine Gemeinde. Beitrags8pfliht der Grundbesißer zu Straßen-

pflasterungen. Ablösbarkeit aus\{ließlicher Apothekerberechtigungen. Polizeiliche Grlaubniß für Stellvertreter eines Gewerbeberechtigten. Gründe für die Entfernung der Ehefrau von dem Ehemanne. Cigenthümer eines Privatflusses. Erwerb des Rechts auf Gehalt Seitens des Beamten. Enteignungsrecht. Nothweg. Zu §&, 59 Westpreuß. Provinzialrechts. Nechtsgültigkeit bezirkspolizeilicher Vorschriften. Zur rechtlichen Geltung des Kompromißvertrages. Darstellung des Thatbestandes im Urtheile dur Bezugnahme auf die Schriftsäße oder auf die Aften. Nicterwähnung der vor dem Berufungsgerichte gestellten Anträge im Thatbestande des Berufungs- urtheils. Grundsaß der Mündlichkeit in der Berufungsinstanz. Strafrechtlie Verantwortung für die beim Betriebe eines Gewerbes begangenen Kontraventionen gegen die Gewerbeordnung beim Vor-

handensein mehrerer Geschäftsinhaber. Verbotener Verkehr mit Arzneimitteln. Bestrafung der Schulversäumnisse.

Deutsche Bauzeitung, Verkündigungsblatt des Verban- des deutscher Arcbitekten- und Ingenieurvereine, Redacteure K. E. O. Frits{ und F. W. Büsing, XVI. Jahrgang. Nr. 3. Inhalt: Die 50jährige Jubelfeier der Herzoglihen Baugewerkschule zu Holzminden am 3., 4. und 5. Januar 1882, Mittheilungen aus Vereinen: Architekten- und Ingenieur-Verein in Aachen. Verein für Eisen- bahnkunde. Vermischtes: Für den .Bau des deutschen Reichstags- hauses. -—— Einsturz der Reservoirmauern der l’Habra. Theater- s{ließungen wegen Feuer8gefahr. Todtenshau. Konkurrenzen. Personalnacthrichten.

Deutsche Rhederei- Zeitung, Verlag von Scharnweber u. Knoop in Hamburg. Nr. 15. Inhalt: Kollision der dänischen Schoonerbrigg „Petrine“ mit dem holländishen Dampfschiff „Ondine.“ Kollision der Hamburger Dampfschiffe „Borussia“ und ,Memphis.“ Jahresbericht der Handelskammer zu Hamburg für das Jahr 1881. Die Tehuantepec Swiffseisenbahn. Nachrichten für See-

fahrer. Seceunfälle. Sciffsfrachten. Vermischtes. Brief- fasten. Patentliste. Dampfschiffsverkauf. Bekanntmachung. Dampf- und Segelschiffahrt. Anzeigen.

Die Orgel- und Pianobau-Zeitung. Wochenschrift für die Gesammtinteressen der Verfertiger und Spieler aller Tasten- instrumente. Offizielles Organ des Vereines Deutscher Pianofabri- fanten und Händler. Begründet von Dr. M. Reiter. Nr. 1. In- halt: Zeitung: Ueber die Verwendung der amerikanischen Nutzhölzer yvellow-pine und cypreß in Deutshland. Von E. Spielhagen. Orgelbau-Nachrihten. Technishes. Stimmapparat für Saiten- instrumente, von Emil Lämmerhirt. Neuerungen an Friktions- wirbeln zum Spannen der Saiten musikalisher Instrumente, von

Julius Eduard Bennert. Bücherschau. Patentnachrihten. Marktberiht. Briefkasten. Anzeigen. Feuilleton : Die Musik und ihr Schicksal. (Fortsezung.) Auszeichnungen.