1925 / 138 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 16 Jun 1925 18:00:01 GMT) scan diff

Ireter und Diener des Staates und des Volkes dazu berufen sind, dem Staate dasjenige Maß von Ansehen und Autorität zu verschaffen, ohne welches kein Staatéwesen und keine verfassungsrehtliche Form, welche sie auch immer sein mag, auf die Dauer bestehen kann. ({Zu- stimmung rechts.) Jch werde über den Schuß der Staatsautorität besonders eifrig und eifersühtig zu wachen haben; ih werde gegen alle Schädlinge, aus welchem Lager sie auch immer kommen mögen, 7üd- sihtslos vorgehen. Nur derjenige Staat hat das sittlihe Recht, von seinen Staatsbürgern Anstand, Ehrlichkeit und Achtung vor dem Geseh zu verlangen, der selbst unerschütte-lih für die Vorausseßungen eines geordneten Staatêwesens und einer fauberen Staatsverwaliung eintritt. (Lebhafte Zustimmung reis.)

Wenn ih es hiernach als meine Pflicht auffasse, die NReichs- verfassung gegen Gefährdungen jeder Art zu hüben, so bin ih doch davon durchdrungen, daß eine Verfassung keîn ewiges Recht ist, auch nicht die geltende, dié wie auch {hon einer der Herren aus dem Hause betont hat in schwerer geschihtliher Stunde und unter dem Druck feindlicher Mächte geboren ist. Jede Rechtseßung, auch ein Staatsgrundgeseß, bedeutet eine Festlegung der geshichtlichen Ent- wicklung in einem bestimmten, wenn auch noch so bedeutungsvollen Augenblick; aber die Entwicklung läßt sich niht in Fesseln schlagen, sie geht unaufhaltsam weiter in der lebendigen Wirklichkeit von Geist und Leben. Mögen sich auch die Staatsgrundgeseße, deren Wesen in besonderer Weise Anspruch auf Dauer umschließt, durch besonders ershwerte Formen ihrer Abänderung in ihrem Bestande sichern, die Forderungen der politishen Wirklichkeit lassen sich auf die Dauer nicht durch solche rein forméllen Fesseln binden. Es mag als welt- geschichtlihes Beispiel dienen, daß gerade die französishe Verfassung von 1791, die erste Volksverfassung, die wir in der Welt erlebt haben, Abänderungen für die ersten beiden Legislaturperioden überhaupt ver- bot, für die spätere Zeit auf das äußerste ershwerte; aber {on im Ichre 1793, dann 179% und endlich 1799 wurde diese Verfassung grundsäßlih durch andere Verfassungen abgelöst. (Zuruf von den Kommunisten: Es lassen sich auch andere historische Parallelen ziehen!) Jch bin gerade dabei. Auch die alte Reichsverfassung vom 16. April 1871 hat in den 47 Jahren ihrer Geltung neben 11 wesent- lichen, auch textlihen Abänderungen weitgehende innere Wandlungen erlebt, die besonders ihren Kern, nämli das Verhältnis von Reich zu Bundesstaaten, stark berührten, Es liegt geradezu im Wesen der Sache, daß in einem zusammengeseßten Staate, im Gegensaß zum Einheitsstacte, verschiedenartige Kräfte und Strömungen in ständiger Wechselwirkung das Schicksal zu gestalten streben, fo daß gerade weiseste Staatskunst den rechten Ausgleich nicht in der Satzung, im Stillstand, sondern in der Wirkung, im Leben sucht und findet. Darin erblicke ih die besondere Aufgabe, die die Eigenheit und Eigenart seines staatkihen Dafeins dem deutschen Volke auferlegt.

Auch die geltende Reichsverfassung verkennt diesen Wesenszug des deutschen staatlichen Lebens niht. Sie empfindet sih selbst als unfertig, als unvollständig, wie die zahlreiden Lücken und die Ver- weisungen auf noch kommende Gesebe erkennen lassen. Sie verleugnet auch nicht die Spuren ihrer Entstehungszeit, in der nicht nur der staatliche Organismus, sondern auch das Volk in seinen Grundfesten getroffen und ershüttert war. (Sehr wahr! rechts.) Es ist sier nicht die Meinung der Nationalversammlung gewesen ih habe das auch {on im Ausschuß besonders betont —, daß die von ihr be- \{lossene Verfassung ein Nolimetangere fein solle und sein werde. (Sehr richtig! rechts.) Man war dur(aus von der Notwendigkeit durchdrungen, daß sie der Fortentwicklung durch die lebendigen Kräfte des Volkes bedürfe. Gerade dies leßtere ist so stark in der National- versammlung durch “dén damaligen Vertreter der Sozialdemokratie, den Kollegen Löbe, betont worden, daß man sih jeßt nicht von vorn- herein abwenden sollte, wenn es sih darum handelt, die lebendigen Kräfte au anzuseßen und dafür zu sorgen, daß Geist und Leben, und awar ein soler Geist und ein solches Leben in der Verfassung herrschen, die dem gesunden Sinn des Volkes entsprehen. (Sehr gut! rechts.)

Die Frage der Aenderung der Reichsverfassung hat auch die Neichsleitung in grundsäßlicher Weise beschäftigt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Problem des Verhältnisses von Reich und Ländern. Dabei ist die Revisionsbedürftigkeit der Reichsverfassung im Grundsaße, anerkanat worden, zum Beispiel in der Erklärung des Reichskanzlers Dr. Stresemann vom 6. Oktober 1923. (Zuruf von den Kommunisten: Das ist der rehte Kronzeuge!) Damals war der Herr Kollege Sollmann Reichsminister des Innern. Jun dieser Er- klärung heißt es:

„Nach Auffassung des Kabinetts"

also eins{ließlich des Herrn Solmann (hört, hört!), einschließli der Herren Demokraten, die damals im Kabinett saßen

„kann wirklihe Abhilfe nur geschaffen werden durch eine grund-

legende Aenderung des Verhältnisses zwishen Reich, Ländern und

Kommunen.“

(Abg. Sollmann: Ganz recht! Zurufe: Bayern! die Erklärung aber falsch verstanden!)

Für mein Ministerium ist die Erklärung maßgebend, die der Reichskanzler Dr. Luther am 19. Januar 1925 zur Frage der Vers fassung und ihrer Revision abgegeben hat. Danach

„wird die Reichsregierung es sih angelegen sein lassen, die Be-

stimmungen der Reichsverfassung oder ihre Auswirkung in der Nichtung naczuprüfen, daß unser Staatêwesen mehr als bisher innerlich gesundet . .." Alle die Herren, die vor mir gesprochen haben und sid gegen die Grundtendenz der Reichsregierung, die hier zum Ausdruck gebracht ist und auch bei anderen Herren Rednern zum Ausdru gekommen ist, wenden, verkennen den Wesenszug der Absicht; denn sie ist hier in diesen Worten begründet: „daß das Volk mehr und mehr gesunde“. Das ist das Leitmotiv, und wenn Sie sich unter dieses Leitmotiv stellen, dann werden Sie si auch nicht zu fehr entfernen au nit Sie, Herr Dr. Schreiber —- von den Absichten, die die Neichs- regierung hat. (Sehr gut! rechts.) Es heißt dann in der Erklärung des Herrn Reichskanzlers weiter: „Nachzuprüfen haben wir auch die Regelung der Beziehungen des Neichs zu den Ländern. Ihr Eigenleben soll geachtet und ihre bedeutungsvolle Nolle im staailiten Gesamtleben des deutschen Volkes, auch in der Handhabung der Neichsverwaltung, sorgfältig beobachtet werden.“

Tatsächlich ist ja auch die Reichsverfassung in den vergangenen Vahren dur dieses hohe Haus mehrfach geändert worden. Es sind sieben Geseße beshlossen worden, die ausdrücklih den Wokklaut dec Verfassung geändert haben, während 23 Gesehe erlassen sind, die nicht ausdrücklich den Wortlaut ändern, aber mit der für Verfassungs- finderungen erforderlien Mehrheit zum Teil freilich nur vorsorg- lih angenommen worden sindz sie bedeuten Aenderungen des

ç

Sie haben

Sinnes der Verfassung, der prcgrammatischen Feststellungen im Wege sogenannter stillshweigender Verfassungsänderungen. Auch jeßt hat eine Anzahl zum Teil wichtiger Anträge im Ausschuß und schon vorher dem hohen Hause vorgelegen, die eine Abänderung der Ver- fassung zum Ziele haben. Jch halte es in der Tat für notwendig angesihts der hohen Bedeutung, welche jede Verfassungsänderung besißt, daß diese Anträge einer Ausschußberatung unterzogen werden, und folge damit durchaus den Anregungen der Herren Redner aus dem Hause. Auch Herr Dr. Schreiber hat, glaube ih, diese An- regung gegeben und hat den Rechtsausshuß vorgeschlagen. Es fomnmt bier weniger darauf an, daß gerade ein spezifischer Verfassungs- auss{chuß als ein besonderer ständiger Ausshuß die uns am Herzen liegenden Fragen, die zur Ruhe und zur Gesundheit des deutschen Volkes führen sollen, erledigt. Vielmehr kommt es uns nur darauf an, daß die Dinge niht im Schwebezustand bleiben. (Sehr richtig! rechts.)

Ich möchte mich aber doh mit Entschiedenheit dagegen verwahren, daß ich mit ‘der Verfassung Experimentalpolitik treiben wolle oder daß ih die festen Quadern herausbrechen wolle, auf denen der Bau jeder Verfassung ruhen muß. Auch diejenigen, die mit der Einseßung eines Ausschusses zur Prüfung gewisser Verfassungszustände nicht ein- verstanden sind, müssen davon ausgehen, daß die Verfassung in schwerer geschichtliher Stunde geboren ist, daß sie etwas Wandel- bares ist, daß sie ein Organismus ist, der sich ich wiederhole nur Worte, die gestern und heute hier gebraucht worden sind aus dem Volke heraus ergänzen muß, und daß man nah dieser Nichtung hin manche Wünsche aus den Parteien heraus an die Verfassung haben könne. Mein Standpunkt deckt sich also pringipiell mit diesem, und id glaube, es gibt kein anderes Ventil, keine andere Möglichkeit, als vuhige Besprechung in einem dazu bestimmten Ausschuß. (Sehr rihtig! rechts und bei der Bayerischen Volkspartei.)

Für die Ausshußberatung wird mein Ministerium das gesamte umfangreihe Material zu dem Fragenkomplex bereitstellen. Jch glaube, Sie haben selbst den Wunsch, einmal in Ruhe diese Dinge durdguarbeiten, damit wir am Verhandlungstisch zu Ergebnissen kommen, die der seclishen Entwicklung des Volkes entsprechen. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Machen Sie eine Vorlage!) Der Herr Abgeordnete Koch erwartet von mir nicht bloß eine programmatische Darstellung, die ih Ihnen gern hiermit gebe, sondern unmittelbar von der Regierung kommende Vorschläge auf Ver- fassungSänderung, die einem solhen Auss{uß unterbreitet werden können. Wie Sie wissen, habe ih bereits*mehrere Vorlagen, die eine Verfassungsänderung zum Zwecke haben, dem Hause gemacht. Fh kann nicht mehr tun als das auch von Ihnen, Herr Koch, mit- gesammelte umfangreihe Material zur Besprechung in der Oeffent- lichkeit vorzulegen und mit Jhnen zu raten und zu taten an der Hand der aus dem Hause gegebenen Jnitiative, die sih in den An- trägen verdihtet hat. Man kann doch diese Anträge nicht ohne weiteres unter den Tis fallen lassen. Die Beratungen werden sich auch auf die Fragen des Artikels 48 der Reichsverfassung zu erstrecken haben, dessen Anwendung bekanntlih zu viel Streit Anlaß gegeben hat. Das war angesichts der Notwendigkeit seiner häufigen An- wendung ebenso wie infolge seiner unbestimnmien Formulierung kaum vermeidlih. Diese Streitpunkte können beseitigt werden, wenn es gelingt und i bin da in Uebereinstimmung mit fast allen Anirag- stellern aus dem hohen Hause —, das in Absaß 5 des Artikels 48 angelündigie Ausführungsgeseß zu schaffen, welhes den außerordent- lichen Befugnissen des Reichspräsidenten einen festen Nahmen geben will. (Sehr richtig! rets.) ,

Gleichzeitig hat die Erfahrung aber gelehrt, daß zur Behebung-

wirtschaftliher Schwierigkeiten und Notftände, bei denen die ! An- wendung des Artikels 48 bestritten ist, ein Notverordnungsrecht der Reichsregierung unbedingt erforderlih ist, wie es die Verfassung vieler Staaten, wie es vor allen Dingen auch die preußische Ver- fassung vom 30. November 1920 vorsieht. . Eine entsprechende Vorlage liegt, wie Sie wissen, der Beschlußfassung dieses Hauses bereits vor.

Im Anschluß an die oben von mir wiedergegebene Erklärung des Reichskanglers möchte ich nun einige grundsäßliche Worte über das Verhälinis von Reich und Ländern sagen, welches im Mittel- punkt unseres gesamten Verfassungswesens steht. Wie Ihnen bekannt, hat die bayerishe Staatsregierung in einer eingehenden Denkschrift die grundsäßliche Umgestaltung der Verhältnisse zwischen Neich und Ländern angeregt. Auch die juristishe Wissenschaft hat sih mit diesen Fragen beschäftigt ebenso wie manche anderen Kreise unseres Volkes. Meine Damen und Herren, ih glaube, Sie können nicht achtlos an dieser bayerishen Denkschrift vorübergehen. (Sehr ritig! rechts.) Sie können aber auf der anderen Seite von mir auch nicht verlangen, daß ih jedes Wort dieser Denkschrift deswegen dede, weil ih niht adtlos daran vorübergehen will, Herr Kollege Koch. (Zuruf von den Deutschen Demokraten.) Jh kann nur empfehlen, daß Sie Gelegenheit dazu geben, daß wir in einem Verfassungsaus\{huß oder im Rechtsausschuß au die in der Denk schrift berührten Fragen durhsprechen. (Zuruf links.) Es kann niht geleugnet werden, daß die Beziehungen zwischen Neich und Ländern nicht immer so berzlich und sahlich unumstritten gewesen sind, wie es im Interesse beider Teile dringend erforderlich ist. Das mag zu einem Teil daran liegen, daß gewisse Bestimmungen unserer Verfassung, die sih auf die Regelung dev beiderseitigen Zuständig- keiten, hier von vornherein einen bedenklichen Konfliktsstoff geschaffen haben. Artikel 9 und die folgenden und Artikel 76 der Weimarer Verfassung geben dem Reiche die Möglichkeit, durch einseitige Gesetzgebung seine Zuständigkeit auf Kosten der Hoheitsrechte der Länder zu erweitern. Es ist nur zu verständlich, daß diese Tatsache in den Ländern ein Gefühl der Unsicherheit schafft und die Meinung entstehen läßt, die Länder seien stets zu einer Abrvehrstellung gegen- über dem Reich genötigt. (Sehr wahr! rechts.) Eine folche Ein- stellung kann der Pflege herzliher und. vertrauensvoller Beziehungen nur wenig förderlich sein in einer Zeit, in der die Länder den Schmerz über den Verlust wichtiger staatlicher Hoheitsrehte noh nicht über- wunden haben. Für Kämpfe zwischen Reich und Ländern ist die Zeit zu ernst. Unser Volk hat für derartige Konflikte nur das allergeringste Verständnis und lehnt sie vielfach als Ergebnis einer allzu bürokratishen Entrehtung ab. Es betrachtet die Länder nicht als Selbstzweck, sondern als lebendige Glieder des Reichs, und der Staatsgedanke wird vielfach mit dem Reichsgedanken und das mit Recht identifiziert und verknüpft. Unter diesen Umständen liegt eine baldige und klare Abgrenzung der Zuständigkeiten, die einen Dauercharakter haben muß, im wohlyerstandenen Juteresse beider Teile und der Autorität sowohl des Reichs wie dex Länder. (Sehr richtig! rechts.)

Nah meinen grundsäßlichen Anschauungen, die ih eben habe andeuten können, kann diese Abgrenzung nur auf der Grundlage einer gesunden Dezentralisation erfolgen (sehr richtig! - rechts), die keine@vegs eine Schwächung, sondern eine Stäckung des Reichs und des Neichsgedankens bedeutet. Jch erinnere daran, daß auch der große preußishe Staatsmann Freiher vom Stein vor 100 Jahren bei seiner Staatösreform von dem Gedanken der Dezentralisation, der allein die Basis für die Selbstverantwortlichkeit sein kann, aus- ging und auf ihm den Neubau des Staates errichtete. Sein und Bismarcks Grundgedanke war es: was in den unteren Verwaltungs- stellen gemaht werden kann, soll niht in den mittleren, und was in den mittleren gemaht werden kann, foll nicht in den höheren Verwaltungsstellen geleistet werden. Die Seele der Verwaltung eines großen, fraftvollen Staatswesens ist die Verantwortlichkeit des Staatsbürgers selbst, die nur bei rechter kommunaler und landschaft- licher Gliederung zur Geltung kommt. Solche Gliederung bedeutet niht die Stärkung zentrifugaler Kräfte, sondern die Vertiefung und Belebung des Staatsgedankens und Staatswesens überhaupt. Sie sammelt und weckt die zentripetalen Kräfte, auf die Herr Dr. Schreiber auch gestern hinzuweisen Gelegenheit nahm. Sie weckt die Kräfte, die nah dem Innern, nah dem Zentrum des Neichs hinsteuern.

Jh stehe auf dem Standpunkt, daß der Föderalismus, der alleia die Goundlage des staatsrehtlichen Aufbaues unseres Reichs sein kann, kein starres Prinzip ist. Er weist die mannigfachen Formen auf und verläuft vom völkerrechtlich noch losen Bund, wie ihn der Deutshe Bund von 1815 bis 1866 darstellte, bis zur Aufnahme mehr oder weniger starker unitarisher Elemente in den verschiedensten Mischformen. Mit der Forderung des Föderali8mus sind also die Möglichkeiten deutscher staatsrehtliher Gestaltung not Feincêwegs eindeutig umschrieben. Nicht so sehr auf das Work kommt es an, als auf die Sache. Nicht ängstliche Scheu vor einen offenen, klaren Auseinanderseßung auf diesem Gebiet und über diese Fragen bringt uns vorwärts das- möchte ih besonders den Herren gegenüber aussprechen, die sih grundsäßlih gegen die Erörterung dieser Fragen gewandt haben —, sondern nur der Mut zum Entschluß, nur der Mut zur Offenheit. Dann wird es ruhiger Veberlegung und sorglicher Prüfung gelingen, die auseinander- strebenden Glemente unter Wahrung ihrer Eigenart und ihres Selbständigkeitsgefühls dem Ganzen so einzuordnen, daß uns in allen Kämpfen und Nöten der Gegenwart erhalten bleibt, worauf es uns allen ankommt: das einige deutshe Volk! (Bravo! bei den Deut\ch- nationalen.)

Auch im Nahmen der geltenden Neichsverfassung wird es möglih sein, ihre Bestimmungen sowohl ouf dem Gebiete der Neichsge}2ßs gebung als auch auf dem Gebiete der Neichsverwaltung so auszulegen und praktis zu handhaben, daß ein Teil der berechtigten Wünsche der Länder erfüllt wird. Die Praxis hat sih dieser Auffassung in der leßten Zeit mehr und mehr zugeneigt, und ih bin meiner- seits gewillt, diese Praxis fortzuseßen. (Bravo! rechts.)

Nun, meine Damen und Herrén, sollen noch diejenigen zu ihrem Necht: kommen, die von mir erwarten, daß ih mi zur Flaggenfrage äußere. Nah Artikel 3 der Reichsverfassung sind die Reichsfarben Sæhwarz-Rot-Gold. Daraus ergibt sich von selbst, daß diese Farben als Reichsfarben Anspruch auf den Schuß des Staates haben, den ihnen zu gewähren ih durchaus gesonnen bin. (Heiterkeit und Zurufe links) Soweit. sie als Hoheitszeichen verwandt werden, sind sie außerdem dur die Bestimmungen des Strafgeseßbuhs gegen bös- willige Wegnahme und beshimpfenden Unfug geshüßt. (Zurufe links.) Weite Kreise unseres Volkes erstreben eine Wiederkehr der alten Reichsfarben Schwarz-Weiß-NRot, und im Kampfe gegen diese Be- strebungen is ein Streit um die Reichsfarben entbrannt, der jedem, der den inneren Frieden unseres Volkes will, tief bedauerlih ers scheinen muß. Diesen Streit aus der Welt zu räumen, is eine der dringendsten uns obliegenden Aufgaben. (Sehr richtig! bei den Sozialdemok-aten.) Jch bin der leßte, der dabei vergißt, daß aud dem {{warzweißroten Deutschland die Farben Schwarz-Not-Gold ein Gegenstand der Verehrung gewesen sind. (Hört, hört! und Zu- ruf links: Gewesen!) Jh spreche durchaus geshichtlich! Bildeten doch diese Farben, in denen eine allerdings niht mit Sicherheit nack- weisbare Legende die Farben des alten heiligen romischen Reichs deutscher Nation sehen wollte, das Symbol jener Bewegung, die seit dem zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts, ausgehend von der Deutschen Burschenschaft, Deutschlands Freiheit und Deutschlands Einheit ersechnt-. Durch fast 50 Jahre war Schwarz-Rot-Gold ter Ausdruck eines romantishen Sehnens und Träumens, das den Weg zur Wirklichkeit suhte und niht fand. Aber, meine Damen und Herzen, Achtung gegen Achtung! Ih will es noch stärker betonen wie einer der Herren: Heiligkeit gegen Heiligkeit! Es war die \{chwarzweißrcte Fahne, unler der ein starkes Deutsches Reich durh fast 50 Jahre hindurch Bürge des Weltfriedens war. Das steht un-

auslöscchlich im Gedächtnis unseres Volkes in allen Herzen geschrieben,

die Treue und Dankbarkeit kennen. (Bravo! rets.) Es sollte von niemand, wo er auch immer steht, vergessen werden, daß unker den Farben Schwarz-Weiß-Not das Volk dek Denker und Dichter zum Volke der Erfinder und Ingenieure wurde, welches sih eine starke

- Witischaft \{chuf une neue Formen der Sozialpolitik begründete, die

vorbildlih für die ganze Welt geworden sind. Bei allem Streit der Meinungen darf nicht vergessen werden, daß unter der \{chwarzweiß- roten Kokarde geeint deutschz Männer aller Stämme der Uebermacht fast der ganzen Welt getroßt haben und den Feind vier Jahre bin- durch von den deutschen Grenzen ferngehalten haben. (Lebl)aftes Bravo rets.) Auch die Verfassung von Weimar hat ja die staats- politisGe Bedeutung der alten Reichsfarben dadurch anerkannt, daß sie sie als Handelsfarben beibehalten hat, weil man dem deutschen Uebersechandek die imponderablen Werte dieser Farben erhalten wollte. (Sehr ritig! rechts. Zuruf links. Gegenrufe reŸts.) Betrüblich erscheint mir, daß der Streit um die Neichsfarben geradezu zu einem Parteistreit geführt hat und insofern als ein Ausdruck unserer Zerrissenheit, als ein Ausdruck jener Uebersteigerung des Partei- wesens in unserem Volke erscheint, unter der wir seit der Staats- umwälzung besonders leiden. Es ist nicht rihtig, wenn {on damals in der Nationalversammlung von dem damaligen Minister des Innern Herrn Dr. David davon gesprochen wurde, daß die shwarzweißroten Farben im Grunde genommen das Symbol preußisher Vorherrschaft seien. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das is nichk richtig, und noch viel \{ärfer muß die Behauptung des Herrn Kollegen Sollmann abgelehnt werden, daß sih unter den shwarzweißroten Farben Bestrebungen verbergen, unser Volk zu klassifizieren (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), es in Subjekte und Objekte des Staates zu zerspalten, Herrengelüste und Knerhtseligkeit zu erneuern,

derrenrechte und Knectspflichten herzustellen. (Sehr richtig! bei ken | Sozialdemokraten.) Nein, es sind in der Tat große imponderable Fragen, um die es sih bei der Wertung der Neichsfarben handelt. Dur nichts wird gerade nah außen hin die Parteizerrissenheit jo deutli bekundet als durch den Streit um die Reichsfarben. Es muß daher jedem, dem die Geltung unseres Volkes wie sein innerer Frieden am Herzen liegt, als das dringendste Gebot erscheinen, dcß dieser Streit endlih zum Abschluß gebraht wird. (Sehr richtig! rechts.) Dabei scheint mir folgender Gedanke entscheidend. Die Flaggenfrage ist für unser Volk nicht bloß eine Frage geshihtliher Betrachtung, sie ist auch nicht nur eine Zweckmäßigkeitsfrage, sie ist auch keine Konstruktionsfrage, die den Verstand allein angeht, sie ist vielmehr eine Frage des Herzens, eine Frage des Nationalempfinoens, in der sih alles vereinigt, was an Hingabe für die vaterländ!sce Sdee, an Zukunftshoffnungen füc unser Deutsches Reich, an Opfermut und Lebenswillen in unserem deutshen Volke lebt. (Bravo! re4jts.) Deshalb hege ich die feste Hoffnung, daß es gelingen wird, eine Lösung zu finden, die dem innersten Empfinden unseres Volkes Rechnung trägt und die zum Herzen und zum Gewissen des deutshen Volkes spricht. (Bravo! rechts. Lebhafte Zurufe von den Sozialdemo- kraten: Welche Lösung?)

Meine Damen und Herren! Nun einige Ausführungen zu dem Wesenskern meines Ministeriums! Jch habe {on eingangs meiner Ausführungen angedeutet, worin die Hauptaufgaben meines Ministe- riums bestehen, in der leiblihen und seelishen Pflege unserés Volkes in allen seinen Ständen und in der Pflege der deutshen Kultur. Jch möchte mich dabei auf einige allgemeine, leitende Grundgedanken be- shränken und behalte mir vor, nahdem hier im Neichstag beschlossen ist, das Material meines Ministeriums gruppenweise zu behandeln, über die einzelnen wihtigen Arbeitsgebiete, insbesondere über das Erziehungs- und Bildungswesen und die damit zusammenhängenden Dinge, über das Gesundheitswesen, über die Beamtenfragen, über Polizei und Technische Nothilfe besondere Einzelausführungen zu ge- gebener Zeit zu machen.

Unsere heutigen Aufgaben erinnern uns an die bedeutende Rolle, die in der Wiederaufrihtung Preußens vor 100 Jahren unter dem Ministerium Humboldt das Schulwesen, das Erziehungswesen, die Universitäten, kurz das Geistige gespielt hat. Wie Preußen damals seine Erneuerung von innen heraus, aus dem Geistigen heraus ge-

® wonnen hat, so soll uns das auch heute ein Vorbild, ein Leitfaden

sein, und wir wollen nicht vergessen, daß es sih dabei nit allein um das Intellektuelle handelt, fondern daß vorzugsweise auh das Ethische in der Erziehung, daß die sittlihe Ertüchtigung heute im Vordergrund stehen muß. Und diese sittlihe Ertüchtigung muß, ganz wie damals, Hand in Hand gehen mit dem körperlihen Schuß, mit der Pflege des leiblichen Wohles der heranwahsenden Jugend. (Sehr richtig! rechts.)

Wie vor 100 Jahren der Turnvater Jahn, der heute noch im Gedenken des Volkes verehrt fortlebt, dem Turnen seinen besondéren Plaß im- Wiederaufbau gab, so wollen auch wir daran denken, daß die sportlihe Erziehung und Ertüchtigung unserer Jugend die not- wendige Grundlage für alle Wiederaufrichtung, auh auf dem Gebiet des Geistigen schafft, daß sie insbesondere für die Charaktererziehung, für die Selbstzucht, für das Selbstbewußilsein unserer Jugend eine ähnliche Nolle spielen muß, wie das früher die große Schule unseres Heeres tat. (Sehr richtig! rechts.)

In dieser Jugendbewegung wird das frische Leben, das wir in unserem Volkstum wahrnehmen, am deutlihsten und am stärksten sichtbar. Sie ist ihrer Natur nah großdeuts{ch eingestellt, und von Jahr zu Jahr in wahsendem Maße verbindet gerade au die Jugend- bewegung die deutshen Siedelungen des Auslandes mit dem eigent» lichen Heimatland. Das Akademikertum, unsere Studentenschaft, gliedert fich dieser Jugendbewegung führend ein und hat sich in der Not als Hort begeisterter Vaterlandêliebe bewährt.

Auch auf dem Gebiete unseres geistigen Lebens darf. die Verein» heitlihung und Verinnerlichung, die wir erstreben müssen, nicht ver- wechselt werden mit Uniformierung. Gerade hier muß sich stammes- artige Freiheit mit völkisch-deutsher Einheit innig verbinden. Bis- marck wußte wohl, was er tat, als ér die Gestaltung des Bildungs- wesens jedem einzelnen Bundesstaate grundsäßlich überließ, und Heinrich v. Treitshke hat mit Recht gesagt: „Die größte Gefahr, die dem Einheitsstaate drohen kann, ist die Zentralisation der Bildung.“ In ihrer reihen landschaftlißen Gliederung liegt die Stärke unserer deutshen Kultur, und es ist eines der wesentlichsten Verdienste der deutshen Dynastien, daß sie es verstanden haben, vor- zugsweise in ihren Residenzen Kulturzentren eigenen bodenständigen Charakters zu pflegen und durch eine große Anzahl voll ausgebauter Landesuniversitäten zahlreihe Stätten der Wissenschaft und der Forschung zu [haffen. (Sehr richtig! rets.)

Wir müssen die Freudigkeit an der Pflege aller dieser einzelnen Zweige der deutschen Kultur in den einzelnen Ländern erhalten, und solche Freudigkeit würde niht gefördert werden durch starkes Regles mentieren und Zentralisieren von seiten des Reiches.

Aber, meine Damen und Herren, ih verkenne hier auch nicht die besondere Aufgabe des Reiches, die ih shon im Ausschuß betont habe. Ich verkenne hier keineêwegs, daß die Kulturaufgaben und die sittlichen Kräfte des deutshen Volkes im Reichsgedanken zum Aus- drud kommen sollen, daß also auch das Reich an dieser Stelle nicht nur eine gewisse, sondern eine mitentsheidende Führung haben muß. (Sehr richtig! rechts.) Die Pflege dieser landschaftlihen Eigenarten hat selbstverständlih dort ihre Grenze, wo sie zur Eigenbrödelei und damit zu einer Gefährdung der Einheitlichkeit der deutschen Kultur werden könnte. Unser begrenztes Streben nah Vereinheitlihung hat sein leßtes Ziel in der Vertiefung und Verinnerlihung unseres geistigen Lebens und insbesondere unseres Erziehungswesens, in einer Nükehr zu den wesentlichsten Grundlagen unserer Kultur.

Der deutshe Mensh mit all seinen Vorzügen und seinen Sc{wächen, mit seiner reihen Begabung zu klarem, folgerihtigem Denken, mit seinem tiefen, ih möchte sagen faustishen Ringen nah Wahrheit, aber au mit feiner Neigung zur Rechthaberei, zur Eigen- brödelei und seinem geringen Sinn für die Allgemeinheit, hat im Laufe der Jahrhunderte die stärksten Einwirkungen erhalten dur die gewaltigen Schähe, die aus der christlihen Religion in das deutsche Volk eingeströmt sind. Es ist nicht zu: leugnen, und der Ausfall der Elternbeiratswahlen hat dies mit aller Deutlichkeit erwiesen, daß aud heute noch die weitaus überwiegende Mehrheit unseres deutshen Volkes diese Kräfte der christlihen- Religion für die Erziehung ihrer Kinder nicht entbehren will. (Bravo! rets.)

So sind erfreulicherweise starke Kräfte und Strömungen am Werke unserer inneren Wiederaufrihtung. Kunst und Wissenschaft

wohl der Haushalt von 1925 mik Rücksicht auf die Finanzlage des Neichs mit äußerster Sparfamkeit aufgestellt ist, so hat es do die Stetigkeit der Währung gestattet, in verschiedenen Positionen eine gewisse Erhöhung eintreten zu lassen. Dies gilt besonders für künst- lerishe und wissenshaftlihe Zwecke, für die rund 8 Millionen Mark verwendet werden sollen, wobei die Ausgaben für die drei wissenschaft- lihen Institute, die physikalisch-tehnishe Reichéanstalt, die chemish- technishe Reichsanstalt und die Reichsanstalt für Erdbebenforschung, mit eingerehnet sind.

Dec größte Posten entfällt mit 5 Millionen Mark auf - die Notgomeinschaft der deutshen Wissenschaft, die im wahrsten Sinne Wiederaufbauarbeit an dem geistig-wissenshaftlihen Bestande unseres Volksgutes leistet und deren segensreihe und nüßlihe Arbeit über- einstimznende und volle Anerkennung in diesem hohen Hause und weit darüber hinaus gefunden hat. (Bravo!)

Fch möchte nicht verfehlen, hier der erfolgreichen Tätigkeit zu gedenken, die der Herr Staatsminister Schmitt-Ott an der Spihe der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und Herr Professor Harnack als Leiter der Kaiser-Wilhelm-Gesellshaft geleistet haben, und beiden Männern au von dieser Stelle aus für ihre Tätigkeit besonderen Dank auszusprechen.

Wie den genannten großen Instituten, so gilt unser Bestreben der Erhaltung und dem Ausbau der großen nationalen Sammlungen, in denen die Geschichte und der Bestand unseres Kulturgutes gepflegt werden. Immerhin beträchtliche Summen sind für das Germanische Museum in Nürnberg, für das Römish-Germanishe Museum in Mainz, für die Deutshe Bücherei in Leipzig und nicht zuleßt für das Deutsche Museum in München ausgeworfen, dessen Viertelzjahr- hunderitfeier vor wenigen Wochen zu einer eindrucksvollen Kund- gebung der deutschen Wissenschaft und Technik Gelegenheit gab. Alle diese Mittel werden dazu beitragen, das überall in deutschen Landen, vielfach noch immer unter drückenden und schwierigen Ver- hältnissen, frisch aufblühende Geistesleben unseres Volkes zu stärken. Wir denken nicht daran, auf diesem Gebiete zu verzagen, sondern wollen au hier vorwärts streben, in stolzem Glauben an die hohe Begabung unseres Volkes und seine ungebrochene geistige Kraft. (Beifall rets.)

Gerade in unserer Zeit s{werster Not fallen der Wissenschaft aroße Aufgaben zu, die im engsten Zusammenhang mit der Wieder- aufrihtung der deutshen Wirtschaft stehen. Wie sie auf der einen Seite den Geist und die Methode reiner Forschung wahren und in diesem Geiste \strebsamen Nachwuchs für höchste Leistungen heran- ziehen muß, so steht es andererseits auch bei ihr, neue Betätigungs- felder für unser übervölkertes Vaterland zu ershließen und für willige Arbeitskräfte neue Lebensmöglichkeiten zu eröffnen. Jch erinnere nur an die Erschließung neuer Bodenschähe, an die Rationalisierung unserer Wärmewirtschaft, an die Ausbreitung des Luftverkehrs und an zahlreide andere Arbeitsgebiete, die durh \höpferishe Arbeit

ner e j V Ps s Tot ovnorhäs : der Wissenschaft, der Ingenieure, der Erfinder in rhrer Wettbewerb®s- j

fähigkeit gegenüber dem Auslande gestärkt werden können und müssen,

damit unsere Exportfähigkeit gesteigert werde zur Gesundung unserer

Handelsbilanz. Die ärztliche Wissenschaft bemüht sich mit Erfolg, | die gesundheitliche Leistungsfähigkeit unseres Volkes, auf die wir |

dringend angewiesen sind, nah Kräften zu steigern.

Alle diese Aufgaben, die der deutschen Wirtschaft dienen, werd mit gutem Grunde als solche des Neichs von uns angesehen, d keine Hemmungen durch pattikularistishe Strömungen vertragen.

Ti Tami - 5, É n CAnS Gegenüber bei}ptelswetile der Tatsache, daß Amerika in einem Jahre hundert Millionen Dollars zur Förderung der Forschung in seinem |

Haushalt einstellt, bedarf es der Zusammenfassung aller Kräfte, damit die deutshe Wirtschaft nicht ins Hintertreffen gerät. (Sehr ritig! rechts.)

Die wissenschaftliche Arbeit muß von dem Gedanken getragen sein ih habe dies in größerem Zusammenhange bei der Weihe des Deutschen Museums in München auszuführen Gelegenheit ge» funden —, daß alle Forschung, daß alle technishe Arbeit, daß die ganze Welt der Erfindungen nicht um ihrer selbst und auch nicht allein um des Erwerbes und um des Gewinnes willen geschaffen ist, sondern um der Menschen willen. Alle Leistungen gewinnen ihren höchsten Wert erst in dem sozialen Gedanken, von dem ih die Erneuerung unseres nationalen Lebens erwarte.

Meine Damen und Herren, mit Besorgnis gedenke ih in diesem Zusammenhang der drückenden Not, unter der ein Teil gerade unserer geistigen Arbeiter den Kampf ums Dasein führt. Wo es 1mmer möglich ist, zu helfen, werde ih dies nach Kräflen tun um der großen Bedeutung willen, die gevade die geistigen Arbeiter für unser nationales Leben und besonders für unsere Kultur besißen. Ihre freudige und rühaltlose Mitarbeit an der seelischen und sittlichen Gesundung unseres Volkes gehört zu den besten Bürgschaften für unseren Wiederaufstieg. hnen gilt, wo sie auch immer stehen mögen, der Dank der Reichsregierung, daß sie troy der schweren Not und der wirtschaftlichen Krise, die die Nachkriegszeit über sie gebracht hat, durchgehalten haben in des Wortes \tolzester Bedeutung.

Im besonderen gedenke ih hier der Mitarbeit der Presse, deren bedoutungsvolle und verantwortungsreiche Aufgabe für unser Volk sich immer klarer abgeichnet. Die Freiheit und die innere Unabhängig- keit der Presse ist für die Erfüllung ihrer Aufgaben unerläßlich. Sie zu sichern und dadurch unser öffentliches Leben vor schweren Gefähre- dungen zu behüten, werde ih stets bemüht sein. Es ist mir eine besondere Fîeude, hier feststellen zu können, daß die wichtigsten Berufsgruppen der Presse sich in schwierigen, aber von schönen Erfolgen gekrönten Verhandlungen die gemeinschaftliche Arbeit am Dienst für die Oeffentlichkeit durch Vereinbarungen ermögliht haben, die sowohl die ideellen wie die materiellen Grundlagen der Journalisten in der Hauptsache gesichert zu haben seinen.

Wenn Sie, meine Damen und Herren, nun den von mir ente widelten Gedankengängen gefolgt sind, so werden Sie es selbstver- ständlich finden, daß für mich die Pflege der Einheit unseres völkishen, sozialen Lebens und unserer geistigen Kultur nit an den politischen Grenzen Halt machen darf. Die Arbeit an unserem Volk in der Heimat bildet nur die Grundlage, aus der au die Kräfte erwachsen sollen, um unseren Volksgenossen im Auslande, mit denen wir uns auf das engste verbunden fühlen, die Behauptung deutschen Wesens zu ermöglichen. (Bravo! rechts.) Die Schwächen deutsher Wesenöart, die ich auch vorhin niht unerwähnt ließ, eine gewisse Neigung zur Eigenbrödelei, die Trennung der Stämme, das Auseinanderfallen der Konfessionen und manches andere machen es den Söhnen unseres Volkes besonders {chwer, sih im Auslande zur Geltung zu bringen, und das lange Fehlen einés gemeinsamen ausgeprägten National» bewußtseins hat dazu beigetragen, daß dem Deutschtum im Auslande

stehen nit zurück, und mein Ministerium wird alles tun, was in seinen Kräften steht, um ihnen Förderung angedeihen zu lassen, Obs

schwere Verluste nicht erspart geblieben sind, Aber mit aller Cnt-

die |

shiedenheik möchte \ch hier den Gedanken zurückweisen, der oft geradezu als ein Vorwurf erklingt, als ob der Deutsche weniger als andere Völker willens und in der Lage wäre, im Auslande feine Stammeszugehörigkeit zu erhalten. Man tut den Balten, man tut ten schwäbishen Kolonisten: in Rußland und in Siebenbürgen, den Kolonisten in Südamerika und in vielen anderen Länder bitteres Unreht mit diesem Gedanken. Zäher als irgendein anderes Volk haben sie oft unter den shwierigsten Verhältnissen deutsche Gi1cn- art, deuts&e Sprache, deuischen Glauben sich zu bewahren gewußt. Der Krieg und die folgenden Jahre mit ihren oft unerhörten Be- drückungen haben diesen Geist der Zähigkeit niht etwa ges{chwäHt. Im Gegenteil das lehren uns die Stimmen, die jeßt täglih und immer wieder eindringlich zu uns spreck-- —, sie haben das National- gefühl verstärken, es auch im Auslanze zu einer gemeinsamen «lle durhdringenden Macht erheben können. Sie haben den deuts©en Lebenswillen und das Zugehörigkeitsgefühl zum deutschen Volk und zur deutschen Kulturgemeinschaft überall in ungeahnter Weise gewedckt und gestärkt. Mehrere Tagungen, gerade in. den lezten Wochen, ins- besondere auh die feierliche Weihe des Deutschen Hauses in Stuit- gart, bilden hierfür eir herrsihes Zeugnis. Zuversihtliher als je- mals klingt troß aller Bedrückung der Vers, den manche Deutsche im Auslande sich als Bekenntnis[ied érkoren haben:

„Was auch immer werde,

Steh zur Heimaterde,

Sleibe rourzelstark.

Kämpfe, blute, werbe

Für Dein höcbstes Erbe,

Siege oder fterbe,

Deutsh sei bis ins Mark!“ (Lebhaftes Bravo! rechts.) Deuts{hland gewährt denjenigen fremd- stämmigen Minderheiten, welche bei uns Wohnrecht und Heimatrecht seit alters haben, gern eine Heimat. Sie genießen den Schuß der Gesetze, der freiheitlihen Verfassung und den des duldsamen Geistes der deutshen Nation. Man wird es uns aber nicht versagen, "venn wir auf die neue Zuwanderung fremdstämmiger Elemente in unser Vaterland ein besonderes Augenmerk rihten. Gerade Erfahrungen der leßten Zeit haben gezeigt, wie verheerend übermäßige Zuwande- rung aus dem Osten auch auf unser Wirtschaftsleben gewirkt hat. Wir müssen die körperliße und sittlide Gesundheit unseres Volkes gegen eine solche Zuwanderung schüßen und auf ribtige Grenzüberwahung und Vorsicht in der Eriei- lung von Einwanderungserlaubnissen besonders bedacht fein. Wenn wir aber den alteingesessenen Minderheiten Heimatreckt gewähren, so müssen wir es um so bitterer empfinden, daß gerade die- jenigen Linder, die ihre Fremdstämmigen gern nach Deutschland ab- sieben, die deutshen nationalen Minderheiten vielfah planmäßig unterdrüden, und daß sih troß alles internationalen Rechtes und des Minderheits\{ußes sih in diesen Ländern selien jemand findet, der den Deutschen in seinen verbrieften Rechten {hüßt. Wir müssen er- warien, daß der Deutsche, wo er sih immer in der nationalen Minder- heit befindet, ebenso behandelt wird, wie man im Deutschen Reiche die nationalen Minderheiten behandelt zu wissen wüns{cht. Keine

orderung verzichten, am wenigsten

¡er Deutscher gewaltsam aus dem Neicbes losagelöst sind. (Lebhafte

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Zustimmung.)

Mag «c 1e Reich gegenwärtig nur geringe Macht nach außen entfalten können, so bleibt uns die Gewißheit, daß deutscher Geist und der deuts%he Wille zur Selbstbehauptung kräftig lebt und wächst und keine politishen Grengen kennt. Jn diesem Geiste und Willen fühlen wir uns mit dem Deutshtun im Ausland einig. Wir werden dafür sorgen, daß er sich in unserem Vaterlande und in unserem Volke immer mächtiger entfalte, und daß auf diefer Grund- lage aus sittliher Kraft und Erneuerung und aus dem Bekenntnis zum deutschen Staate neue Macht und neue Auliorität für unser Reich erwächst. Diese Autorität, in der Heimat, im Vaterlande vere ankert, wird auch jenseits unserer politishen Grenzen und jenseits der Meere dem Deutshtum zu neuem Ansehen and neuer Blüte verhelfen, (Lebhafter Beifall rechts.)

73. Sißung vom 15. Juni 1925, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsver!5er*).)

Am Regierungstishe: Reichsinnenminister Sch ie e.

Präsident Löbe ecöffnet die Sizung um 2 Uhr 20 Minuten.

Vorx Eintritt in dic Tage8ordnung gibt derx

Abg. von Kardorff (D. Vp.) eine Erklärung ab, in der er feststellt, daß sih der Abgeordnete K o ch - Weser duch eine seiner Bemerkungen in der lebten Plenarsibung verleßt gefühlt habe. Fr habe {on persönlich dem Abgeordneten Koch sein Bedauern über diese Bemerkung ausgesproGen und nehme hiermit auch vor dem Plenum diese Aeußerung zurück. i

Auf der Tagesordnung steht dann die zweite Beratung des Geseventwurfs über Depots und Depositen- geschäfte.

Abg. Rauch- München (Bayr. Vp.) empfiehlt namens des Ausschusses die Vorlage zur Annahme.

Aba. Fis{beck (Dem): Das Kapitalfluchtgeseb, das dur die Stabilisierung der rung hinfällig geworden ist, {loß unsolide Elemente vom Depot- und Depofitengescäft aus. Heute bestehen solche Befürchtungen niht mehr, die eine Beschränkung des Tepot- und Depositengeshäfts rechtfertigen können. Von Kapital» fluht ist keine Rede mehr, die Begründung der Vorlage beruft ih deshalb nur noch auf volkäwirtschaftliche Sckäden, die durch un- lauteren Wettbewerb entstehen könnten. Unlauterer Wettbewerb ist im Bankwesen aber von jeher möglih gewesen, ebe man an alle solde Gese dahte. Das Publikum muß die nötige Vorsicht üben. Schon ein Antrag auf Kongessionsentziehung kann einem Unternehmen den Nuin bringen, das vollkommen solide ist. Eine Ausbeutung des Publikums ist \{ließlich auf allen Gebieten mögli, dagegen muß möglichst die Gewerbeordnung gesbübßt werden, Die Kongelsionierung des Depositengeshäfts bringt alle Gefahren mit si, die überhaupL mit Kongessionierungen verbunden sind, namentlih die Gefahr von Begünstigungen. Das Publikum wird zu dem Glauben verleitet, daß die kongzessionierten Unternehmungen unter allen Umständen ver- trauenswürdig sind. Wir haben aber erlebt, wie selbst Sparkassen das Vertrauen des Publibums getäuscht haben Wir können dem Geseßentwurf nit zustimmen, sind aber bereit, verschiedene Ve- stimmungen der Vorlaçe nochmals nazuprüfen, und ih beantrage deshalb die Zurückverweisung an den volkäwirtschaftlichen Ausschuß.

Ein Regierungsvertreter bittet, diefen Antrag abs zulebnen, da der Aus\ckuß die Materie sehr eingehend beraten hat und das Geseß am 1. Fuli in Kraft treten maß.

*) Mit Ausnáhme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden

der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben {ind,

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