Deutscher Reichstag. 273. Sißung vom 4. März 1903. 1 Uhr.
Tagesordnung: Fortsezung der r Beratung des Reichshaushaltsetats für 1903 bei dem Etat des Reichseisenbahnamts.
Abg. Stolle (Soz., fortfahrend): Preußen verfolgt die Taktik, die nah Sachsen und Thüringen gehenden Bahnen dur Tarif- maßnahmen mürbe zu machen, soweit sie Gesellschaften angehören, und sie dann billig an sich zu bringen; fo is es mit der Berlin- Dresdener und mit der Bahn nah Weimar gegangen. Hätte Sachsen früher zugegriffen, hätte Sachsen die letztere Linie erworben, fo hätten die Thüringer nicht so viel Tausende verloren. Da liegt der Fehler der fächsishen Eisenbahnverwaltung. S
Bevollmächtigter zum Bundesrat, Königlich sächsisher Gesandter Dr. Graf von Sobentbal und Bergen: Der Abg. Stolle hat augenscheinlichß in Anlehnung an eine Notiz der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ den Fall des Bremsers Weise in Dresden vor- gebracht. Der Sebi wäre von einem Kollegen denunziert worden, er hätte die „Sächfishe Arbeiterzeitung“ * in einer Saule auf dem Bahnhof Baugten gelesen und sei deshalb aus dem Dienst entlassen worden. Der Abg. Stolle hat sich über diese Bevormundung be- {wert und gefragt, ob es mir angenehm scin würde, wenn man mir Zeitungen verböte. Diese Frage bejahe ih. Es würde mir angenehm fein, wenn man mir gewisse Kategorien von Zeitungen verbieten würde. Uebrigens ist der Bremser Weise nicht wegen der Lektüre der „Arbeiterzeitung“ entlassen worden, sondern weil er sich gegen einen Erlaß der Generaldirektion der \ädhsishen Staatsbahnen ver-
angen hat. Der Bremser Weise ist entlassen worden, weil er auf
Gründ der Aussagen einwandfreier Zeugen für überführt erachtet worden, Vertrauensmann des s\ozialdemokratischen Hamburger Ver- bandes der Eisenbahner zu sein. Er hat außerdem gesagt, daß ihm der Erlaß bekannt gewesen ist. i
Abg. von Kardorff (Np.): Schon der Fürst Bismarck hat den Plan eines allgemeinen Neichseisenbahnsystems gehabt ; er hat ihn aber aufgeben müssen gegenüber dem Widerstand der Einzelstaaten. Württemberg würde gern einen Vertrag mit Preußen \ch{ließen; denn feine Eisenbahnen a finanziell recht s{lecht fituiert; aber es scheint mir doch, daß dieses Geschäft reht gewagt für Preußen sein würde. Was die Koalitionsfreiheit betrifft, so hat der Eisenbahnminister Budde sich im preußischen Abgeordnetenhause nur gegen den Pee Eisenbahnerverband gewandt. Die Sozialdemokraten
aben die Eigentümlichkeit an si, daß sie überall die Herrschaft über die Eisenbahn zu gewinnen traten. Sie wollen Nepublikaner fein, und es hat keinen Zweck, sie für die Monarchie gewinnen zu wollen. Die Verwaltung hat ganz recht, daß sie so vorgegangen ist, wie sie cs getan hat. Es ist mir vorgeworfen worden, ih hätte zwar für die Ermäßigung der Gütertarife gesprochen, aber von einer Ermäßigung der Personentarife wollte ih nihts wissen. Das ist allerdings richtig ; da steckt der rae Pferdefuß. Aber vergessen Sie nicht, daß das platte Land viel stärker belastet ist als die großen Städte. Berlin zahlt 1009/6 Kommunalzuschläge, bei uns wird das Drei- und Vier- fache bezahlt. Das sind Zustände, denen abgeholfen werden muß, und die Ermäßigung der Gütertarife ist eins der kleinen Mittel, der Land- wirtschaft gerecht zu werden. :
SL S Ie: Frankfurt (Soz ): Die Bahnhofswirtschaftspächter in Frankfurt haben direkt gegen die Bundesratsverordnung, betreffend die Ruhezeit der Kellner, verstoßen, indem sie die Kellner zum Unterschreiben eines Reverses zwangen, wona sie auf die Rubezeit verzichten. Die Ruhezeit ist jeßt noch kürzer als früher. Das geschah im vorigen Sommer zur Zeit des Amtsantritts des neuen preußischen Eisenbahn- ministers. Jch habe den Revers veröffentliht. Vicle, namentli Ver- heiratete, haben den Revers unterzeihnet. Ob auch anderswo gleiches vorgekommen ist, weiß ich nicht. Das Reichseisenbahnamt hat darauf zu achten, daß die Reichsgeseße und Verordnungen auch beobachtet werden. Graf von Posadowsky hat ja solhe Reverse als verwerflih bezeichnet; hoffentlih wird der von ihm feinen Kollegen gegebene Wink Beachtung finden.
bg. Dr. Müll er-Sagan (fr. Volksp.): Wenn Pott von Kar- dorff die größere Kommunalsteuerleistung des platten Landes bervor- hebt, so übersieht er do, daß die Veranlagung dort vielfach ganz anders ih gestaltet wie in den Städten. Die Bubbändler auf den
Bahnhöfen verdienen wobl eine größere Fürsorge, als ihnen tatsächlich p J
jeßt zu teil wird. Mir sind kaum Angestellte irgendwo vorgekommen, die {lechter daran sind als die in diesem Betriebe, sie müssen bei Wind und Wetter, ohne irgend welchen Schutz, auch im stärksten Zuge ihre Bücher und Zeitungen feilbieten. Die Unternehmer sollten energisch zur Uebung ibrer sozialen Pflichten angehalten werden.
Abg. Stolle: Wenn der betreffende Bremser Vertrauensmann des Verbandes war, so hâtte {hon daraus die Eisenbahnverwaltung erkennen können, daß sie es mit einem sehr atbaren charakterfesten Manne zu tun batte. Was wäre nun gesheben, wenn er das „Dresdner Journal* oder die „Kreuzzeitung* bei si gehabt hätte? Der Hamburger Verband sei sozialdemokratis{ und republikanisch, meint Herr von Kardorff; deshalb könne der Mann nidt im Eisen- bahndienste bleiben. Was hat denn das mit der Dienstvflicht zu tun ? Gegen die neue \ächsishe Tarifreform hat \ich sogar ein Mitalied der zweiten sächsishen Kammer ausgesprochen. Mit dieser Tarifreform kann also gar nichis los sein, die Verwaltung ist mit ibr auf einen verkehrten Weg geraten.
Bevollmächtigter zum Bundesrat, Königlich \ächsis{er Gesandter Dr. Graf von Hohenthal und Bergen Ich batte mit meiner Bemerkung über die Zeitungen im wesentlichen einen Scherz gemacht. Ih wiederhole, der Mann ist nit wegen der Zugebörigkeit zum Hamburger Verband, sondern weil er s\ozialdemokratisce Agitation getrieben hat, entlassen worden.
Damit schließt die Diskussion; der Etat des Neichseisen- bahnamts wird bewilligt. Es folgt der Etat der Verwaltung der Neichseisenbahnen.
Abg. Riff - Straßburg (fr. Vgg.): Ich werfe bei dieser Ge. legenheit die Frage der Tarifreform wieder auf, um dem Chef der Reichseisenbahnverwaltung Gelegenheit zu geben, zu erflären, ob seine in Preußen proklamierten Grundsätze auch für die Reichélande gelten. Herr von Thielen sagte: Nicht Verbilligung, sondern Vereinfachung der Tarife. Ih weiß ganz genau, wie die Antwort des Ministers lauten wird; seine Erklärung hat au für das Reichsland zu gelten Wir in Elsaß-Lothringen werden dann um eine Enttäushung reicher sein; es wird sich doch eben nur um eine neue Formel handeln, in der Sache bleibt alles beim alten. Loa miniatres s’on vont. mais les bureaux reatont: die Minister geben, aber dic Bureaux bleiben, lautet ein altes Wort. Das Grundübel für unsere reihêländischen Eisenbahnen ift die sogenannte Personalunion, daß dem preußischen Eisenbahnminister unsere Bahnen unterstellt sind Unsere Eisenbabn- verbältnifse gleichen viel mehr denen der süddeutshen Staaten als den preußischen. Wir geben troy alledem die Hoffnung nicht auf, daß die Reform si mit der Zeit vollziehen wird. Wir erwarten sie nicht von einem Personen-, sondern von einem Svstemwecsel, von einer \Garfen Trennung der beiden Verwaltungen. Das Reichéland darf anderseits als Versuchsterrain für Tarifformen nicht benuyt werden, wie man es jetzt schon nach anderer Richtung als Versuchsterrain benutit. Die Stuttgarter Eisenbahnkonftrenz hatte Ergebnisse gezeitigt, die beinahe gleih Noll anzusehen waren; nur das Positive sollte Ferandgelommen sein, daß die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht die Zuschl ige bei den Schnell- Î abgeschafft werden fönnten, wenigstens für den Nadhverkebr Wan probiere es doch einmal mit dieser Abschaffung in Elsaß- Lothringen! Wir haben ein Eisenbahnnet, in dem der internationale Verkehr si von dem Nahverkehr scharf trennen läft. Man führe auch probewcise die Kilometerhefte ein. Baden bat genau dieselben wirtschaftlichen Verhältnisse wie das Reichäland: ed hat die Kilometerhefte eingeführt und fährt gut dabei. Alles dies ift bisber an dem Hon possumus der Reichteiscnbahn-
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verwal preltert. Es wird geîagt, Baden wäre sehr frod, wenn cs die Seine es rief, wieder bannen fönnte; ader die dortiac
Generaldirektion kann doch auch rehnen und würde die Einrichtung längst beseitigt haben, wenn sie für ihre Finanzen verhängnisvoll ge- worden wäre. BUrE die Vorenthaltung der Einführung dieser Ver- kehrserleihterungen hat die reihsländische Eisenbahnverwaltung {ih und der Bevölkerung {were Schädigungen zugefügt; sollte der Minister davon nichts wissen, so follte er sie an Ort und Stelle inkognito an einem Sommersonntag auf dem Bahnhof in Straßburg studieren. Die Züge nah Baden sind dicht beseßt mit Fahrgästen deren jeder ein Kilometerheft in der Hand hat, das Geld ist in die badische, niht in die reihsländishe Cisenbahnkasse geflossen; die {lechte Beseßung der Züge dagegen nah den BVogesen, die doch den
ergleih mit dem Schwarzwalde gewiß aushalten können, würde ihn vollends aufklären. Ein Ressortchef hat dem Wohl der ‘ihm unter- stellten Beamten und Arbeiter weitgehendste Fürsorge angedeihen zu lassen. Damit stimmt das Koalitionsverbot \{chlecht zusammen. Seitens der Reichseisenbahnbeamten und -Arbeiter haben wir eine auffallende Fülle von Eingaben erhalten, welche niht etwa von über- groner Begehrlichkeit diktiert sind. Es muß daher in den dortigen
erhältnissen etwas niht in Ordnung sein. Der Neichseisenbahnchef sollte also alle diese Gehalts- und Arbeitsverhältnisse einer gründlichen Revision unterziehen. Jahr für Jahr kehrt die Beschwerde über die Anrechnung der diätarischen Dienstzeit für die Dienstalters\tufen wieder. Von dem Tage seiner Anstellung übernimmt der Diätar dieselben Pflichten wie jeder Meichseisenbahnbeamte; aber bezüglih seiner Gehaltsverhältnisse werden ihm nicht dieselben Nechte eingeräumt. Diese Regelung trifft aufs empfindlih\ste die Militäranwärter.
Abg. Hauß (b. k. F.): Der neue Eisenbahnminister Preußens
hat sich als Gegner der Tarifreform, d. h. der Verbilligung der Personentarife bekannt. In Preußen mag dieses Bekenntnis nicht so fehr aufgefallen sein wie in Elsaß-Lothrin en, das mit den süddeutshen Staaten viel mehr an einer Ver illigung interessiert ist. Die vierte Klasse in Preußen ist billiger als die dritte Klasse der [odeut ien und reihsländischen Bahnen. Wir sind gegenüber Preußen in dieser Beziehung ebenso im Nachteil wie hinsichtlich des Gepäcks. In beiden Beziehungen i} die Forderung einer Reform g nicht unbescheiden zu nennen. Man scheint fich aber mit einer Politik der kleinen Mittel zu begnügen. So hat man den Passagieren der dritten Klasse gestattet, die Speise- wagen zu betreten. Ich begrüße das mit Freuden; aber damit ist doch nicht viel erreiht. Zur Betriebs\sicherheit gehört neben per- fektionierten Einrichtungen au ein zufriedenes Personal, und in dieser Nichtung fehlt es noch an vielem. Das Lokomotivpersonal bat lange Jahre den Neichstag um Befürwortung einer Besserstellung angegangen; aber gesehen ist nichts Durchgreifendes. Die Pensions- bedingungen find für die Lokomotivführer, die bei ihrem anstrengenden Dienst {hon in früheren Jahren pensioniert werden, sehr ungünstig. Die Lokomotivführer verzichten gern auf alle Prämien, wenn ihnen nur ein Teil derselben zu ihrem Gehalt zugelegt wird. Mit den Prämien macht die Verwaltung das beste Geschäft.
Preußischer Minister der öffentlihen Arbeiten Budde:
Meine Herren! Ich bin den beiden Herren Vertretern aus Elsaß- Lothringen dankbar dafür, daß sie eine Anzahl von Wünschen hier vorgebracht haben; denn selbstverständlich muß es ihre Aufgabe als Abgeordnete sein, die Wünschz, die im Lande sind, hier zur Sprache zu bringen, und selbstverständlih ist es auch meine Aufgabe, die Wünsche niht nur zu hören, sondern sie in eingehende und wohl- wollende Prüfung zu ziehen. Ich bin nun aber auch in der glücklichen Lage, den beiden Herren Abgeordneten zu versichern, daß ih mich in mehreren wesentlihen Punkten mit ibnen in Uebereinstimmung befinde. Nur eines möchte ih hier doch berihtigen, was sie aus den Ver- handlungen im preußishen Abgeordnetenhause entnommen haben wollen-
Es bezog \sich zunächst auf die Personentarife. Da haben die beiden Herren gesagt, sie wären enttäus{ht, es käme überhaupt feine Personentarifreform. Weder der preußische Finanzminister, noch ich haben etwas derartiges behauptet. Jh habe gesagt, ich bin erst so kurze Zeit im Amte, daß ich nit in der Lage bin, Ihnen heute ein Bild von der Personenverkehrsreform zu geben, wie ih sie mir denke. Jh habe noch hinzugefügt, ich müßte dann mit der Schnelligkeit eines Konzertmalers arbeiten, wenn ih Ihnen ein solches Bild hinzaubern sollte, und ih habe ferner erklärt, ih würde cine rein preußische Tarifreform für keine Reform halten, sondern ih wäre der Ansicht, dann müßte man ganze Arbeit machen und für das ganze Deutsche Neih einheitliche Bestimmungen \chaffen (sehr gut! rechts); ih müßte also mit den anderen Staaten in Ver- bindung treten. Das habe ih ausdrücklich betont. Daß: ih in 8 Monaten, wo ih die Ehre habe, preußischer Minister und der Chef des Reichsamts zu sein, diese Arbeit, die mein Herr Amtsvorgänger in 11 Jahren nit fertig bringen konnte, nit babe vollbringen können, das werden Sie wahrhaftig nit von mir verlangen. Jh babe ferner gesagt, ih bin zu einer Personentarifreform bercit, dic im wesentlichen die Gestalt ciner Vereinfachung tragen wird, wenn es kein Tariferperiment bedeutet (schr ritig! rechts), wenn dadur nit die Staatsfinanzen erschüttert werden Das muß ih au bier wiederholen. Die Rente, die die Neichseisenbabnen abwerfen, ist, glaube ih, nah dem Etat für 1903 331‘ Resultate, die dazu verlocken können, bier ein machen. (Sehr richtig! rets.)
Was den Gepäcktarif anlangt, so bestätige i, daf uh ih den Gepädcktarif niht für versländig halte. Jch habe ibn aber so über- nommen, und es ift sehr shwierig, etwas anderes an die Stelle zu seyen, bis man niht ganze Bahn und einen klaren Plan für das hat, was wirklih notwendig für einen solhen Gepäcktarif ist. Wenn Sie die stenographischen Berichte nalesen, so ist aus diesen nicht heraus- julesen, daß ih mich ablehnend gegen jede Reform verbalten bätte Ich habe nur gesagt, ih würde keine Experimente machen, die den Finanzen schaden könnten, Wie würde ih übrigens in meiner Quas lififation als Staatômann Jhnen gegenüberstehen, wenn ih vor Sie trete und sagte: ich bin cin Reformer, der in 8 Monaten der- artiges schaffen kann! Dann würden Sie selbst das Vertrauen zu mir verlieren; denn ein verständiger Mann, welcher mit Ernst cin Amt übernimmt, kann nur auf demjenigen aufbauen, was seine Vorgänger getan haben, er kann aber nicht kommen und sagen : ih bin derjenige, der sofort etwas Neucs in der Welt erfinden kann. Er fann dann wenigstens nicht verlangen, daß er ecnsi genommen wird. Ich wiederhole, ih werde die Wünsche, die kbier vorgetragen sind, gern prüfen; aber Sie dürfen mich nicht dazu veranlassen, daß i in Experimente eintrete, um etwa nah Popularität zu haschen.
Wenn mir vorgeworfen wird, ein kleines Mittelchen sei, dak ih angeregt habe, daß die Personen, die in dritter Klasse fahren, im Speisewagen verkehren dürfen, so müßte ih jeyt, wenn ih eitel genug wäre, dieses Mittelchen nicht einführen. Aber ich babe die Absicht, es einzuführen, weil ih weiß, wie viel Personen aus den gebildeten Ständen, wie viel Damen mit ihren Kindern, wie viel dochgestell tc Beamte mit ihren Kindern genötigt sind, dritter Klaße zu fahren, weil sie billiger isl. Unsere Schnellzüge fahren stets sneller, der Aufenthalt auf den Stationen ist ecingeshränkt. Soll nun nur den besiyenden Klassen, welche die erfle und uwveite Klaße bezahlen können,
Das \ind aber keine Tariferperiment zu
die Gelegenheit zur Verpflegung gegeben sein ? (Widerspruch.) Also ih bitte Sie, solche kleine Mittelchen niht wegwerfend zu behandeln sondern erkennen Sie an, daß ih helfen will, soweit ih helfen kann. — So weit die Erwähnung der Personentarifreform und Verkehrs- reformen.
Ein zweites ist dann noch ausgeführt worden; das ist das Ver- hältnis des Chefs der Eisenbahnverwaltung zu seinen Beamten und Arbeitern, und da kann ih nun den Herren sagen, daß ih voll mit ihnen übereinstimme. Jch erachte es, und habe das auch im andern Hause ausgesprochen, für meine \{önste Pflicht und höchste Fürsorge, daß ich Tag und Nacht, soweit meine Kräfte reichen, eintrete für das Wohl der Beamten und Arbeiter. (Bravo !) Das ist auch im andern Hause bestätigt worden, und wenn Sie das Stenogramm nachsehen wollen — ih will Sie nit damit aufhalten, die Stellen hier zu verlesen —, so steht deutli darin, daß ih das für meine vornehmste Aufgabe halte. (Bravo!) Meine Ansicht, daß die Dienst- freudigkeit des Personals die beste Sicherheit für den Betriebsdienst ist, und, meine Herren, meine ganze Erziehung als Soldat und die ganze Stellung, die ih in der kurzen Zeit zu dem großen Heere der Beamten mir erworben habe, bürgt dafür, daß das keine leeren Redensarten sind, sondern daß das Pflichtgefühl ist, und daß ih das, was ih sage, auch ausführen werde. Aber ih kann es natürli nur in denjenigen Grenzen ausführen, wie die Mittel dazu vorhanden sind. Ich werde jedoch nicht müde werden, immer wieder zu sorgen, immer wieder zu helfen, troßdem ih im andern Hause erklärt habe: allerdings, wenn ih die vielen Wünsche vernähme, wäre die \{önste Aufgabe zuglei die undankbarste ; denn alle kann ih nicht zufrieden- stellen. Aber ich finde es durhaus erklärlih, daß Sie alljährlich Wünsche hier vorbringen. Die Klagen sind mir insofern auch angenehm, als sie mir Anregung geben, zu helfen, daß die Beamten und Arbeiter besser gestellt werden, als es derzeit der Fall ist.
Also ih sage den Herren, ih weiß mi in voller Vebereinstimmung mit Ihnen, und ih bin au der Ansicht, daß man das Koalitions- recht, soweit es geseßlich besteht, gewähren foll. Alle die Behauptungen über Beschränkung des Koalitionsrehts, die in leßter Zeit in der Presse behauptet worden sind — ohne Berechtigung, wie ih nach- zuweisen vielleiht noch die Ehre haben werde —, kommen gar nit in Frage, sobald die Beamten und Arbeiter fest zusammenhalten.
Meine Herren, wir haben eine herrliche Klassenorganisation in der Eisenbahnverwaltung. Diese besteht darin, daß der Streken- arbeiter und der höchste Eisenbahnarbeiter — das bin ih — an einem Strange ziehen und einmütig zusammen arbeiten; und wenn man uns nichts in den Weg legt (Zuruf von den Sozial- demokraten), dann seien Sie überzeugt, daß diese Klafsenorganisation für uns ausreiht. (Bravo! rechts.) Ih halte mi) für nichts anderes als den höchsten Eisenbahnarbeiter. Meine Arbeit ist auh nichts anderes als die Arbeit des Streckenarbeiters; denn jeder arbeitet mit dem Pfunde, das ihm Gott gegeben) an der Stelle, in die er hinein- geseßt is. (Bravo!)
Diese Arbeitsfreudigkeit sollen die Arbeiter baben, und ih will es von dieser Stelle aussprechen, das sollen die sämtlichen Eisenbahn- beamten und Arbeiter hören: daß ih kein politishes Ret ihnen an- tasten, daß ih mit ihnen arbeiten will Tag und Naht so, wie es das Vaterland verlangt! (Lebhaftes Bravo.)
Abg. Bernstein (Spa): Wenn ih auch alle diese Versicherungen lauben will, die der Minister in dieser seiner Rede, die mehr eine Festrede als eine geshäftlihe Rede war, soeben abgegeben hat, so aben wir doch son gestern gehörß, wie der Präsident des Reichs- eisenbahnamts \ih bezüglich des Koalitionsrechts der Eisenbahn- arbeiter im Interesse der Disziplin den Erklärungen anschloß, welche Herr Budde im preußischen Abgeordnetenbause abgegeben hat. Wie sieht es mit der Disziplin in Preußen aus? Herr Stoecker meinte heute, die Eisenbahnarbeiter hätten ja ibr Koalitionsrecht, das niemand antaste; nur die sozialdemokratishe Tendenz dürfte fich niht geltend machen. Ein Eisenbahnarbeiter ist entlassen worden, weil er dem Hamburger Eisenbahnverband angehörte. Ist dem so, so ist das Wort von dem Koalitionsrecht der Eisenbabnarbeiter cin fah eine Heuchelei. Welhe Angst die Eisenbabnarbeiter beherrscht, einmal auch nur in eine Versammlung zu gehen, habe i kennen zu lernen Gelegenheit gehabt. In einem Falle bat man die Fenster des Versammlungsraumes geöffnet, damit dic Eifenbahnarbeiter, die draußen waren, \sich aber nicht in das Lokal bercintrauten, wenigstens etwas von dem Vortrage vernabmen. Dit Arbeiter müssen, auch wenn sie Eisenbahnarbeiter sind, das Recht behalten, sich die Organisation zu wählen, die sie für die beste halten. Es hat sich immer gezeigt, daß, wenn man dieses Recht der Arbeiter anerkannte, für die Disziplin und für den Dienst niht die geringste Gefahr vorhanden war. Die Arbeiter erkennen voll und ganz an, was zu dem Nolwendigsten des Dienstes gehört. Jn der Schweiz und in England fabren die Bahnen, welche die Organisation der Arbeiter anerkennen, mit ibren Arbeitern gerade am besten. Die Koalitionsfreiheit muß auch darin bestehen, daß die Vertrauenêmänner der Organisation völlig unabbängig unt unbeecinträchtigt ihre Tilt gegen die Organisation erfüllen können Solange Sie das nicht zugestehen, so lange haben die Eisenbabn- arbeiter kein Koalitionöreht, so lange erzichen Sie nur Heutler, ader niht freie Staatsdiener. Der säâchsishe Bremser ist entlassen worden, lediglih weil er Vertrauenömann einer Organisation von Cisenbahnarbeitern und Eisenbahnangestellten war. Wenn das genügt, so ist die Behauptuna, daß man das Koalitionörecht nit antaste, eine Lüge, deren man sich schämen sollte. (Vizepräsident Dr. Graf zu Stol- berg-Wernigerode ruft den Redner wegen dieses gegen den Minifter ge brauchten Ausdrucks zur Ordnung.) In Rußland sind die Arbeiter unterdrückt, fie können keine Versammlung abhalten: dort haben troti- dem die Arbeiter in Rostow am Don im vorigen Herbst so gewaltige Demonstrationen gemacht, daß die Regieruna nicht wagte idnen ent- gegenzutreten. Der Präsident des Reictscisenbabnamts meinte gestern, die Disziplin müsse unter den Eisenbahnarbeitera auch aufrecht er halten werden mit Rücksicht auf die Eventualität eines Krieges ; dieses Argument war wohl das unglüdcklichste von allen. Es ifi gegen den Geist der Verfassung, wenn den Arbeitern das Recht, Organisationen zn bilden, genommen wird.
Minister der öffentlihen Arbeitcn Budde:
Meine Herren! Jh werde versuchen, die Diskussion in ruhige, sachliche Bahnen wieder cinzulenken, da die vorliegenden Fragen tat- sählich mit Parteipolitik-“ garnichts zu tun haben. (Sehr rihtig!) Ich möchte nur rekapitulicren, daß der Herr Vorredner eine ganzc Anzahl von Jrretümern ausgesprohen hat. Ich sage „IJrriümer“, da meine Erziehung mir nicht gestattet, dieselben Ausdrücke zu ge brauchen über das, worüber man verschiedener Ansicht sein fann, bie der Herr Vorredner gebraucht hat. (Sehr gut! rets)
Ich protestiere dagegen, daß ih irgendwo und je ausgesprochen bâtte, daß ih nicht wünschte, daß Eisenbahner Beschwerden vor- brâchten. Das Petitionsrecht der Eisenbahner ift durbaus unangetaftct, und die große Zahl von Petitionen, die uns alliähclih in den ver- schiedenen geseygebenden Körperschaften vorgelegt werden, beweisen, daß das Petitiondrecht unangetastet ist, Wenn der Herr Abg. Bern-
stein mir gelegentlich Beschwerden von Eisenbahnern bringen will, so werde ih sie gern au aus seiner Hand entgegennehmen.
Ich protestiere dagegen, daß wir, wie Herr Bernstein behauptet hat, den Eisenbahnern diejenigen Organisationen generell verbieten, die sie zu schaffen belieben. Ih kann erwähnen, daß wenigstens anderthalb Duytend Eisenbahnervereine der verschiedensten Art, Lokomotivführer-, Bahnsteigschaffnervereine usw. existieren und der große Trierer Verband von Werkstättenarbeitern, der lediglih ih zur Aufgabe gestellt hat, das Los der Eisenbahnwerkstättenarbeiter zu verbessern. Dieser große Verband zählt über 50 000 Mitglieder, die über ganz Deutsch- land zerstreut sind, und erft neulih habe ih die Freude gehabt, daß drei Arbeiter zu mir kamen, der Vorsitzende des Triershen Vereins der Eisenbahnwerkstättenarbeiter, ein Arbeiter der Eisenbahnwerkstätten in Meß und ein Arbeiter der Eisenbahnwerkstätten in Dortmund, die mir eine ganze Zahl von Wünschen vorgetragen haben, die ih gern entgegengenommen Habe, und die ih auch prüfen werde. Jh hoffe, daß ih, wenn auch nicht alles, so doch das cine oder das andere er- füllen kann. Ich protestiere dagegen, daß in Deutschland Sklaven- dienste herrschten, auch bei der Armee, und Despotismus, und ferner, daß ih die Eisenbahner zu Staatsbürgern zweiter Klasse machen wollte, und ferner, daß ih das Koalitionsrecht an- getastet hätte oder antasten wollte. Das ist meine vorläufige Antwort auf die Einzelausführungen des Abg. Bernstein. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) — Ja, Sie bekommen noch mehr zu hören, aber in ruhiger Form; denn es handelt sich niht um Parteipolitik ; mit der habe ih gottlob als Chef der Reichseisenbahnverwaltung nichts zu tun. Wie jungfräulih ih in der Parteipolitik bisher gewesen bin, das mögen Sie daraus erschen, daß ih noch niemals politis gewählt habe (hört! hört! und Lärm bei den Sozialdemokraten) — weil ih bis jeßt noch nicht das Necht dazu gehabt habe. (Heiterkeit rets.) Ich möchte nun darauf kommen: wie denn der ganze Streit ent- standen ist, der sih über meine Person und darüber, was ich alles in die Welt geseßt hätte, entwickelt hat. Meine Herren, die Frage lieat sehx einfa. In deù Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses ist an mich als den verantwortlihen Eisen- bahnminister die Frage gestellt worden: Haben wir solche Zustände zu erwarten, wie sie in den Niederlanden sind? Wie gedenkt du als preußisher Eisenbahnminister solhen Zuständen zu begegnen ? Bist du darauf gewappnet? Wie verhält du dich dazu? Darauf habe ih kurz und bündig die Antwort gegeben, daß ih nit hoffte, daß das jemals bei uns eintreten würde, im übrigen würden wir darauf aufmerksam sein, daß uns derartiges nicht passierte. Darauf ist an mich die Bitte gerihtet worden, daß ich zur Beruhigung des Landes dieselbe Erklärung im Plenum abgeben möchte. Diese Er- klärung habe ih abgegeben, und da ist mir dann plößlich im Plenum der Vorwurf gemaht worden, ich hätte das Koalitionsrecht verletzt. Meine Herren, dadurch sind die ganzen Debatten entstanden, ih habe sie niht hervorgerufen, sondern bin ledigli der angegriffene Teil gewesen.
Nun möchte ich auch hier zu dem entbrannten Streit meine Stellung als Chef der Neichseisenbahnen darlegen.
Mit Parteipolitik hat die Sache gar nichts zu tun. Ich stehe hier lediglih als Leiter der Reichscisenbahnverwaltung und babe die Pflicht, jedem, der cinen Beförderungs- oder Frachtvertrag mit der Eisenbahnverwaltung \chließt, diesen Vertrag zu halten. Die Ver- waltung kann aber diesen Vertrag nicht halten, wenn sie nicht einen geordneten und gesicherten Betrieb hat. Das wird wohl auch von keiner Seite bestritten werden.
Das wesentlihste Mittel nun zur Aufrechterhaltung eines geordneten und gesicherten Eisenbahnbetriebes ist selbstverständlich ein gutes, treues Eisenbahnerpersonal, und ih habe {on vorber meine Grundsätze dargelegt, wie ich mich bemüben werde, die Diensilfreudigkeit dieses Eisenbahnerpersonals zu erhalten. Jeder Beamter und Arbeiter, der als Eisenbabner eintritt, tritt îin einen Vertrag ein, dessen Grundlage dicjenigen Be- stimmungen bilden, die von ten hierzu berufenen Organen erlassen sind. Also zunächst im wesentlichsten die Bestimmungen des Bundes rats über die Betrietssicherheit der Eisenbahnen und die daran si anschließenden Dienstvorschriften. Dieser Dienstvertrag muß gehalten werden von jedem Cisenbahner; bricht er ihn, so bricht er die Treue, sei er Arbeiter, sei er Beamter, und es ist ganz selbstr ritändlich, daf: wenn er einen sol@en Treubru begebt, das Net der Kündigun gegen cinen fsolhen Eisenbahner ktesteht. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, das ist im ganzen geschäftlichen Leben der Fall: Geschäfts, treue wird gottlob noch überall in Deutschland gefordert. (Sehr richtig!)
Tritt nun cin solher Treubruch im einzelnen Falle ein, so ist das ja nur eine persönliche Sache zwischen der Verwaltuna und dem einzelnen Beamten oder Arbeiter, der natürlich {nell wieder ersetzt
werden kann. Tritt aber cin Massenieubruch ein, der verbunden ist | mit einem Mafsenkontraktbruh, dann steht die Maschine {till dann | geht der Betricbödienst niht weiter, und dann bin ih nit in der
Lage, den Vertrag, den ih geschlossen habe mit denjenigen, Eisenbahn benuyen wollen, meinerseits zu erfüllen.
die dic
gekündigt, daß es ihre Aufgabe sei, um unter Umständen solhe Gesahr für das Vaterland berbehlzuufübren.
dann würde ih ein sehr s{hlehter, gewissenloser Haushalter sein. wenn | ih nicht gegen eine solche Vereinigung, die der Gesamtheit den Kriea |
erflärt hat, energish vorginge und dem entgegentrete, daß solche | nehmen muß. (Sehr richtig! rets und in der Mitte.)
Organisation geschaffen wird. (Sehr richtig!)
Ich bemerke nah wie vor, daß in allen diesen Ausführungen von mir nicht ein Wort von Parteipolitik enthalten isl. (Lachen bei den | Ja, das ist tatsählih der Fall, das will ih | Ihnen weiter ausführen; dean, wenn irgend eine Partei dieses Hauses | | minister und Chef der Reichseisenbahn mit der Sozialdemokratie gar | nichts zu tun; denn ich bin glüucklicherweise hier lediglih Chef Eisendahnbetrieb stillstehen zu lassen, so würte es mir ganz gleih- ; gültig sein, welcher Parteirichtung dieselben angehörten, ih würde | | geschehen wird, erslens nah den Worten des Herrn Abg. Bernstein, | vor allen Dingen aber nah den Acußerungen des Zentralorgans der | Sozialdemokraten, das hier in Berlin erscheint. Da heißt es nämlich:
Sozialdemokraten )
oder gänzlih parteilose Menschen zusammenträten und wollten cine Organisation machen, die den Zweck hätte, unter Umsiänden den
gegen jeden gleichmäßig vorgehen. (Sehr gut!)
Man hat nun gefragt, weshalb ih gegen den Vercin der Ellen- bahner in Hamburg speziell vorgegangen wäre bezw. jedem Eisen- bahner, der in diesen elatritt, sage: Du bricht Deine Treue: denn
die Hamburger Vereinigung will gegen den Eisenbahnbetrich unter |
Umsiänden vorgehen. Ja, meine Herren, ih bin infolge dessen ver-
Dann leidet die | Gesamtheit, nicht nur der einzelne, sondern es ist cine große Kalamität in dem Wirtschaftsbetrieb des ganzen Landes im Frieden. (Sehr richtig!) | Im Kriege ergeben sich noch andere Zuslände, die ih später erwähnen werde. Ih muß also als Chef der Eisenbahnverwaltung ciner solben | Gefahr entgegenwirken. Wird nun von ciner Vereinigung mir an- | die Eisenbahner zu organifieren, |
pflichtet, Ihnen nachzuweisen, daß ih mir das niht aus den Fingern gesogen habe, sondern daß der Eisenbahnverband das selber sagt, und da bitte ih den Herrn Präsidenten, mir zu gestatten, einige Zitate anzuführen, welche entnommen sind dem Verbandsorgan, dem „Weckruf“, der, so oft wie er ersheint, in jeder Nummer voll ist von Verheßzungen und Aufreizungen der Eisenbahner. Die Eisenbahner selbt halten im großen und ganzen, wie die Zahl der Vereine beweist, treu zu Kaiser und Vaterland. Fast 100 000 sind zusammengeschlossen in Vereinen, die mich wieder- holt ihrer Treue versichert haben, und auch der Eisenbahnverband zu Trier mit 50 000 Mitgliedern, der durhaus auf dem Wege des Koalitionsrehts ausgebildet ist, rühmt \ich, daß er nur vaterlands- treue Mitglieder habe. Alle diese Eisenbahner wollen mit dem Ver- band der Eisenbahner Deutschlands und seinem Organ, dem „Weck- ruf” nichts zu tun haben. Im „Weckruf“ also heißt es: Den Eisenbahnern Deutschlands aber möge auf Grund dieser Erfahrungen ein Licht darüber aufgehen, daß sie diesen Chikanen — das sind die Maßnahmen der Staatsregierung — nur in einer kompakten Masse, das ist in einer ziel- und klassen- bewußten Organisation, begegnen können. Weiterhin :
Neben der Kampfesorganisation der kflassenbewußten Eisen- bahner, die sich über jeden kleinlihen Kastengeist, über alle Gnaden- jagd hinweghebt, die nihts erschleichen, aber alles erwerben will, bilden si kleine Organisatiönchen jener reaktionären Elemente, die wohl nie und nimmer die ‘Macht aufbringen können, um die Yros letarisch denkenden und empfindenden — das sind die treuen — Bediensteten niederzuringen.
Und im Interesse der großen Aufgaben, welche die gewerk- scaftlih organisierten Arbeiter \sih zum Ziel geseßt haben und das um jeden Preis erreiht werden muß, weil nur dasselbe die Be- freiung bringen kann, muß der Kampf gegen die uns hindern - den Erscheinungen aufgenommen und mit aller Energie durch- geführt werden.
In einer anderen Nummer heißt es:
Ein General Arbeitsminister. Die Lage der Eisen- bahnbediensteten wird um kein Jota besser werden, solange sie nicht die ökonomishe Macht in Händen haben, dieselbe Macht, welche, in anderen Händen fkonzentriert, ihn selbst in Sklavenfesseln gelegt hat.
Die anderen Hände sind natürlih die Staatsbehörden. Dann heißt es weiter :
In voller Kraft, mit ungebrochenem Tatendrange und mit jugendlihem Kampfesmute steht heute die aus \o kleinen Anfängen emporgewachsene Organisation da als die lebendige Verheißung einer unabwendbar kommenden besseren Zeit
(Lachen rets), und die Gefühle aller klassenbewußten Eisenbahner vereinigen \ich heute vor dem Machtbilde der Organisation zu einem Wunsche: „Vivat, crescat, floreat!“ (Große Heiterkeit.) Ferner :
Anerkennung aller Eisenbahnbediensteten als gleihbere{chtigte Kontrahenten. Schaffung von Eisenbahnschiedsgerihten nach Art der bestehenden Gewerbegerihte mit Zuständigkeit für alle Eisen- bahnbeamte und Arbeiter. Diesen Schiedsgerichten sollen zur end- gültigen Entscheidung nicht nur allein alle aus dem Dienstverbältnis entspringenden Streitfälle, sondern auch alle Disziplinarfälle (!) unterliegen.
(Hört! hört! und Lachen rechts.) „Wir wollen nur Männer haben, die gewillt sind, in den
Kampf einzutreten, um für unser Ziel zu kämpfen, und die auch |
gewillt sind, Opfer zu bringen für unsere gere{te Sache. Folglih können wir au keine Memmen und keine alten Weiber gebrauchen. Ein jeder Kampf fordert Opfer; wir bringen sie gerne, und wir
sorgen auch für die Kämpfer, die auf dem Schlachtfelde geblieben |
sind.“
„Bahnwärter! Zunächst müßt Ihr Euch organisieren im Verbande der, Eisenbahner Deutschlands, damit Jhr unter dem Schuße einer Organisation stebt und dadur gemeinsam folhe Vershlehterungen abwehren könnt.“
Ja, die Leute wollen ja gar nicht cine andere Organisation baben. | Sie wollen, wie es der Trierer Verband z. B. tut, ibre Klagen auf |
dem Wege vorbringen, der geseßlih vorgeschrieben ist, s{ließklich durch
| das Petitionsreht hier in diesem hohen Hause. Aber der Hamburger | Eisenbahnerverband sagt z. B. zu den Hessen, als die preußish-bessisce |
Eisenbahngemeinschaft begründet wurde: Ein offenes Wort an die Eisenbahner in Hessen.
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bahner von Hessen, kann es für Euch nur eins geben: werdet ein frâftiges Glicd des Verbandes der Eisenbahner Deutschlands Dürft Jhr Euch niht mit dem Willen der Regierung dieser Organisation anshließen, so tut es gegen den Willen derselben. Dann wird Euch die Regierung das geben müssen, was sie Euch heute, weil Jhr nicht organisiert scid, verweigert. (Hört! dôrt! rechts; sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Diese und andere Aufreizungen beweisen, dak der Hamburger
Verband die einmütige Zusammenarbeit der Eisenbahner stören will. |
Das hat aber immer noch nichts mit Parteipolitik zu tun, sondern es ist lediglih Notwehr, wenn ih gegen solche Fricdentsstörung Stellung
Wenn nun der Herr Abg. Bernstein und seine politishen Freunde diese Bestrebungen von sih abweisen, wenn er nun leugnet, dak die Ziele, die in dem Protokoll des 1V. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands um Mitte Juni v. J. niedergelegt sind, au von ibm und den Genossen verfölgt werden, dann habe ih hier als Eisecnbahn-
des Reichsamts für die Verwaltung der Elsenbahnen und nicht politischer Minister. Ader ih bin mir do nweiselbast. ob dies
Das Recht des Streilens ift mit dem Koalitionsreckcht nun einmal unlêslich verbunden. (Hêrt! hört! rechts; sehr richtig! links.)
Cin Koalitionsrecht ohne Streikreht ist ein Humbug
(sehr richtig! links), ein Hohn auf das wirkliche Koalitionsrecht. Entweder man gesteht den Cisenbahnarbeitern ein wirkliches Koalitionsrecht zu, oder man degradiert fie gleich Budde zu unmündigen, rechtlosen Sklaven des fiskalischen oder privaten Arbeitgebers — i
(Heiterkeit rechts), ein Drittes gibt es niht. Der Hinweis auf das dur einen Eisen- bahnerstreik gefährdete öffentlihe Interesse ist völlig verfehlt.
(Sehr richtig! links )
Nun muß ih zunächst dagegen protestieren, daß das „nah dem System Budde“, wie ich in den Zettungen immer wieder gelesen habe, gemacht wird. Das is mir zu viel Ehre angetan. Meine Herren, das ist niht ein System, das ih erfunden habe, sondern das System der Selbsterhaltung, das so lange besteht, wie überhaupt zwei Augen offen gewesen sind; so lange ist das System der Selbsterhaltung da. Außerdem habe ih alle Erlasse in dieser ganzen Frage übernommen. Ich bin sogar in der glücklichen Lage, meine Herren, daß ih noch niht einmal irgendwo habe einzugreifen brauen, weil, wie ih ver- schiedentlich hervorgehoben habe, die Treue und die Gesinnungen unter den Eisenbahnern so vortrefflich sind, daß“ mir noch gar nicht die Gelegenheit gegeben war, irgendwie einzuschreiten, und das freut mi am allermeisten. (Bravo! rets.) Es is also in dem, was über mich geschrieben ist, als hätte ih etwas Neues erfunden, mir zu viel Ehre erwiesen. (Sehr gut! rets.)
Aber, meine Herren, hier habe ih noch ein Zitat, aus dem Sie ersehen können, was der blinde Parteihaß fertig bringt :
Die holländische Regierung ist bei ihrem Vorgehen vom Geiste unseres Budde beseelt;
(Heiterkeit rets) sie will die Organisationen der Arbeiter zertrümmern, sie will die Eisenbahnproletarier ihres Koalitionsrechts berauben, fie will den Aktionären der Eisenbahngesellshaften dazu verhelfen,
— nun kommen Zitate aus meiner Rede im Abgeordnetenhause — „Herr im Hause“ zu sein und gleich cinem preußischen Eisenbahn- general ihre „Untergebenen“ durch homöopathishe Dosen Zuterbrot und um so derbere Portionen Peitsche despotisch zu regieren.
(Hört! hört! rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.) Das Ideal Buddes foll also in Holland verwirkliht werden! Wahrscheinlih entspringen sogar die holländischen Gesetzentwürfe der direkten Anregung der preußishen Regierung,
(stürmische Heiterkeit rechts und in der Mitte) der es natürlich ein Dorn im Auge ift, in einem Nachbarstaate Zustände platgreifen zu sehen, die ihrer fapitalistisch-bureaufratischen Ansicht nach die reine Anarchie darstellen.
Meine Herren, ich würde hocherfreut sein, wenn der Herr Abg. Bernstein und seine politishen Freunde mir erklärten, daß die Sozial- demokratie alles das, was ih hier vorgelesen babe, niht anerkennt. Dann — das wiederhole ich nochmals eristiert die Sozialdemo- fratie in meinen Eisenbahnangelegenheiten absolut nicht. (Sehr gut! rechts.) Ich bin hier eben, wie ih wiederholt hervorhob, lediglich Chef des Reichsamts und habe mit Partei- politik gar nihts zu tun. Aber ehe diese Erklärung hier niht gegeben ist, muß ich annehmen, daß die Herren dieselben Zwecke verfolgen, und da kann ih nun unter keinen Umständen zu- geben, daß durch die Sozialdemokraten ein Unfrieden unter die Eisen- bahner gebraht wird. Wenn dieser niht hineingetragen wird, dann ist der Geist des Unfriedens bei den Eisenbahnern niht vorhanden.
Der Verband der Eisenbahner Deutschlands ist diejenige O rgas | nisation, welche berufen ist, bahnbrechend vorzugehen. Deshalb, Eisen- |
(Sehr richtig! rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Jch will | allerdings zugeben, daß der eine oder andere Arbeiter oder Beamte oder auch eine geringe Anzabl unzufrieden sind. Herren, in Preußen babe ich über 365000 Cisen- | bahner unter mir, und im Reichslande sind es ungefähr 16 000. | Daß unter dieser Zahl von Bediensteten nit aub unzufriedene | wären, glaube ih. Aber, ih meine, selbst wenn der Herr Abg. Bern- | stein das Ganze leitete, würden doch unzufriedene da sein. (Sebr gut! und Heiterkeit.) Menschenwerk is eben Stückwerk, und | Menschenverordnung ist niht vollkommen, und die Ausführung jeder | Verordnung wird ihre Härten und ihre Unregelmäßigkeiten baben. Ih | werde aber der erste sein, der jede Klage und jede Unregelmäßigkeit | gern in Erwägung zieht und Abhilfe haft, wo es möglich ist, und — | das wiederhole ih ih erkenne jedem in diesem hohen Hause selbst- verständlih das Recht zu, die Klagen in breitester Form und speziell an mi heranzubringen. Das ist ganz selbstverständlih: man muß | helfen, soviel man kann; aber prinzipiell muß: ih fordern, daß jeder seinen Vertrag, den er mit mir geshlossen hat, bält. (Sebr richtig l) Nun ist so viel von Koalitiondreht die Rede gewesen. Da will
| ih Ihnen auch noch erzählen, meine Herren, wie wenig s{hematis{ | die Verwaltung ist. Von dem Chef des Reichsamts für die Ver-
| Meine
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| waltung der Reichseisenbahnen — das wird Sie vielleicht wundern — ist der Hamburger Verband in den Reichslanden gar nicht verboten
worden. (Hört! hört! links.) Weshalb niht? Weil der Hamburger | Verband in Elsaß-Lothringen noch gar feine Füblung hat, | weil er dort noch feine Wurzeln geschlagen hat. Aber : selbstverftändlih, wenn ih merken sollte, daß die Prinzipien, die | ih eben hier nahgewiecsen habe, unter dem Personal der Reichsbabnen | Eingang finden sollten, so will ih erklären, dak ih die Bestrebungen | selbstverständlich auch dort verbieten würde. (Sehr gut! rets.) | Sie können aber sehen, wie wenig Bureaukratiömus, wie wenig ab- | solute Konkordanz bei den in mir vercinigten Ressorts vorbanden isl, | Hier sind zwei Seelen in einer Brust gewesen das wurde | vorhin von einem der Herren Vertreter aus Elsaß-Lothringen be- | zweifelt —; die eine war"die preußische Seele da war die Anord- nung nôtig, und da wurde sie getroffen; in Elsaß-Lothringen war sle bis jet nicht nôtig, da konnte man warten.
Sie mögen aber ferner erfahren, meine Herren, wie über das Koalitionsreht von meinem Her:n Amttvorgänger gedacht worden ift, Mein Herr Amitésvorgänger konnte das Koal auf Grund der Gewerbeordnung selbsiversiändlih allen im Betriebe der Eisenbahnen stehenden Bediensteten nicht zuerkennen, weil die Gewerbeordnung es nicht tut. Dagegen hat er es den Werkstätien- arbeitern nicht abgesprochen, troydem die Werkstätten wenigstens teil- weise ein integriereader Bestandteil der Betriebseinrichtungen sind. Soweit dies aber zutrifft, würde selbstverständlich der § 6 der Ge- werbeordnung auf die Werkfiättenarbeiter gleichfalls anwendbar sein; d. h. also: das im Titel VIl der Gewerbeordnung bezelühnete Koalitionsreht würde den Arbeitern in den eigentliden Betriebswerkstätten nicht zukommen. (Sehr richtig! reh)
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