1882 / 35 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 09 Feb 1882 18:00:01 GMT) scan diff

wi äte nis

rihten. Der Abg. Virhow habe vorhin ledigli die Hierarchie im Gegensaß zur Autonomie im Sinne gehabt. Uebrigens seien solche allgemein philosphishe und retrospektive Betrach- tungen niemals weniger an der Zeit gewesen als heute. Der Kernpunkt der Vorlage sei, daß der Reichskanzler mit Hülfe dieser Vollmachten sich die Majorität in der Volksvertretung aus katholischen Kreifen schaffen wolle, die derselbe aus evan- gelischen nicht erlangen könne. Je nachdem dann die Herren beim Tabaksinonopol, der Segialpolitifk und den Eisenbahnen stimmen würden, werde ein entsprehender Gebrauch von den Vollmachten für den Ersaß der Geifilichen in den einzelnen Be- zirken gemacht oder niht gemacht. Nicht blos aus kirchenpoli- tishen Gründen bekämpfe seine Partei also diese Vollmachten, sondern aus allgemeinen politischen. Möge auch die Centrums- partei sich mehr mit den Konservativen umschlingen, so wolle er doch jeder politishen Partei im allgemeinen Jnteresse ihre Freiheit erhalten. Seine Partei sei gegen jede Vollmacht in irgend welcher Gestalt. Die Annahme des Bischofspara- graphen allein würde {on hinreichen, seiner Partei jedes Gesetz, in welchem derselbe enthalten sei, unannehmbar zu machen. Ebenso bestimmt wie nach der negativen Seite, ki der Standpunkt seiner Partei auch positiv. Na®Sdem eine Majoritäï gegen seine Partei 1880 die Nevision begonnen habe, sei sie niht mehr im Stande, dieselbe abzulehnen, weil die geltenden Geseze noch nicht befolgt würden. Statt aber wie andere Parteien si für die Revisionsbedürsftigkeit im Ganzen zu erklären, und damit gegen die Geseßgebung im Ganzen einen Axhieb zu führen, halte er cs für richtiger zu sagen, was man aufrecht erhalten und was man ändern wolle. Wie der Papst gesinnt sei, komme dabei für seine Partei niht in Frage. Die Gesichtspunkte des Papstes seien seiner Partei, oie der Abg. Virchow es bezeichnet habe, durchaus fremd. Seine Partei folge nur dem, was sie selbst für rihtig halte, möge die Kurie wetter oder weniger weit gehen. Wie der Kanzler übrigens jetzt die polnische Frage aufbausche, heine derselbe sich selbst Hindernisse än den Weg legen zu wollen, um in die Verhandlungen mit derx Kurie, abgeschen von der Vollmachtspolitik, zu materiellen Ergebnissen zu gelangen. Praktish empfehle es si, das Revisionspro- gramm zunächst zu beschränken auf den Nahmen dieser Vor- lage. Ueber ein folhes Progranm sei seine Fraktion derartig einig, daß auch abweichende Abstimmungen Einzelner nicht zu erwarten seien. Die materielle Reform der Maigeseßgebung müsse letiglich von der staatlihen Autonomie abhängig sein und sür die Reform eine bestimmte Begrenzung, ein festes Programm festgeseßt werden. Eigenthümlih sei es, wozu der Kanzler und der Minister die polnische Frage aufbauschten. Es sehe aus, als wenn {hon Barrikaden gebaut würden. Die politische Frage gehöre gar nit in die Kulturkampffrage hinein! Eine gründliwe, feststehende Vorbereitung müsse der Geistlihe erhalten. Dafür habe der Staat zu sorgen! Jn Bezug auf die Anmeldepfliht Habe der Abg. Dr. Virhow {hon den Standpunkt seiner Partei klar gelegt. Der Staat dürfe solche Geistliche, welche die Anmeldung unter- lassen hätten, nicht als Geistliche beirahten, d. h. ihnen kein Gehalt zahlen, im Uebrigen könne derselbe sie gewähren lassen. Ob die Aufhebung des obersten Gericht3hofss für kirchliche Angelegenheiten zweckentsprehend sei oder nickt, se! eine Frage der reinen Zweckmäßigkeit. Die Situation in der Centrums-

partei sei noch nit klar genug. Sie sei theils eine kirchen-

politische, theils cine allgemein politishe Partei. Jn kirchen- politischer Beziehung richte sie sich nach den Weisungen von Rom, in allgemein politisher Richtung habe das Centrum lle Ursache, seine Selbständigkeit zu betonen, denu seine Wähler würden sih alsbald von der Centrumspartei abwenden, wenn ihre selbständigen politischen Jnteressen den kirchenpolitischen Interessen geopfertwürden. Wie rechne nun die Regierung? Sie spekulire auf einen der Centrumspartei, wie es der Abg. Virchow bezeichne, fremden Standpunkt der Kurie. Leßterer lägen die allgemein politishen Jnteressen Deutschlands voll- ständig fern, sie verstehe dieselben vielleiht niht einmal. Sie interessirten nur die kirGhenpolitishen Jnteressen; deshalb \spekulire Fürst Bismarck darauf, daß die Kurie an der politischen Seite der Vollmacht keinen Anstoß nehmen werde ; daß in dieser Nihtung die Kurie auf die Centrumspartei, insbesondere auf die Geiftlichen, als ihre unmittelbaren Organe iu dieser Nichtung, einen Druck ausübe. Der Minister habe auch an die amtlichen Rathgeber der Kurie im Gegensaß zu den freiwilligen appellirt, worunter derselbe offenbar die Centrumsparthei gemeint habe. Werde nun diese Spekulation zutreffen? Darüber hätten ihm die Redner des Centrums troß aller sharfen Aeußerungen noch keine Klarheit verschafft. Bald verwürfen sie Vollmachten überhaupt, bald nur Vollmachten wie sie hier verlangt würden. Danach könnte man also meinen, daß irgendwie amendirte Vollmachten das Centrum befriedigen würden. Wollte sich das Centrum überhaupt von der Bewilligung aller Vollmachten, einsch{ließlich des Bischofs- paragraphen bestimmt lossagen, so würde seine Partei aller- dings in die Lage kommen, formulirte Anträge im heut skizzirten Sinne mit einem positiv rechtlihen Jnhalt dem Vollmachtsparagraphen entgegenzustellen. Solche würden aller- dings der Centrumspartei nicht das geben, was es verlange, aber doch ein festes Necht, das werthvoller sei als selbst ein weitergehendes Recht auf Grund von diskretionären Voll- machten, deren Gebrauch mit jedem Minister wechsele. Je nachdem die Kommission hierüber eine größere Klarheit schaffe als sie hier bis jeßt erreicht sei, werde auch seine Partei im angedeuteten Sinne praktische Stellung nehmen.

Der Abg. von Liebermann erklärte, er habe dem Vor- redner Folgendes zu erwidern. Die vereinbarten Anschauun- gen seiner Fraktion hätten die Abgg. von Holy und Graf Limburg-Stirum vorgetragen. Diejenigen von seiner Partei, welche unterschreiben möchten, was der Abg. Strosser gesagt habe, bildeten nicht die Mehrheit. Seine Partei erkenne ferner gern an, daß sie dem Fürsten Bismarck mit vollem Ver- trauen gefolgt sei, und die großen Erfolge dés Kanzlers seien gewiß geeignet, seine Partei in dieser Beziehung zu recht- fertigen. Er vertraue auch, daß unter der vom Fürsten Bis- marck geleiteten Regierung diese Verhandlungen ihr segens- reiches Ende finden würden. Zur Verständigung mit der Kurie halte seine Partei die diskretionäre Gewalt für das einzige Mittel. Wenn der Vorredner endlih glaube, seine Partei lege so hohen Werth auf ihre Mandate, daß sie hier selbst gegen ihre Ueberzeugung \prehen würden, so könne der Vorredner glauben, daß das Vergnügen, hier zu sitzen, wenig dur solhe Reden, wie die eben gehörte, gefördert werde. Er und seine politishen Freunde sprächen hier, wie es ihre Pfliddt gebiete und wie ihre Wähler gehandelt wissen wollten, die vor Allem die Erhaltung der staallihen Autorität, der Königsmacht, erstrebten. Wenn das nicht

[ au die eïgene Ueberzeugung seiner Parteî wäre, würden fie ein Mandat nicht angenommen haben. Sollten die Wähler seiner Parteigenofsen einmal anders denken, dann mögen sie andere Leute wählen. : :

Der Abg. Kantak bemerkte, ihn habe der die polnischen Landestheile betreffende Passus der Motive überrascht. Daß der Reichskanzler den Polen nit freundlih gesinnt sei, wisse er lange. Es sei aber jedenfalls etwas ganz Neues, daß in einem öffentlichen Staatsdokumente erklärt werde, man könne gegen einen großen Theil der Unterthanen niht das Geseß, sondern nur die diskretionáre Gavalt in Anwendung bringen. Die Polen böten offenbar nur den Vorwand dafür, daß man eine Revision der Maigeseze niht in Angriff nehmen wolle. „Zur Abwehr bedürfe die Regierung der diskretionären Ge- walten gegen die Polen.“ Ein so mä@tiger großer Staat gegen ein armes wasfenloses Volk! Das böse Gewissen treibe die Regierung. Der Geist Bangquos lasse sie nicht s{chlafen! Nicht Thaten, nur Gefühle, Hoffnungen und Wünsche wolle die Regierung durch ihre Maßregeln bestrafen. Der Minister habe von Eventua- litäten gesprochen, die eintreten könnten, beispielsweise im alle eines Krieges mit Rußland. Habe aber der Minister- Präsident nicht selber an solche Eventualitäten {hon gedacht ? Er erinnere an dessen Aufruf an die Böhmen, an dessen Pro- klamation zur Bildung einer ungarischen Legion. Welche Agitation werse man den Polen denn vor? Wenn die Polen sich bedrückt glaubten, machten sie von den L gesetzlich zu- stehenden Rechten Gebrauch. Die Polen jollten gegen die harie Verlegung der Verträge nit protestiren? Sei man doch gerecht, und alle Klagen der Polen würden verschwinden. Das Gefühl der nationalen Zusawmmengehörigkeit würde man den Polen nicht rauben. Die polnischen Landsleute würden als Beamte in die fernsten Provinzen geschickt, den polnischen Kindern wolle man verbieten, polnisch zu sprehen. Die land- wirthschastlihen Vereine in Posen erkenne man nicht an. Bei dem Verhalten der Behörden den Polen gegenüber könne seine Partei niht für eine Vorlage stimmen, welche diskre- tionäre Vollmachten verlange. Was in der Kommission aus dem Entwurfe herauskomme, werde man ja sehen.

_ Hierauf ergriff der Minister der geistlichen 2c. Angelegen- heiten von Goßler-das Wort:

Meine Herren! Es konnte nichl in meiner Absicht liegen, noch am Schluß der gegenwärtigen Diskussion das Wort zu ergreifen, denn die allgemeinen Gesichtspunkte, die ich gestern vorgetragen habe, als die charakteristischen der Situation hingestellt, sind im Wesentlichen durch den Verlauf der Grklärungen der einzelnen Redner bestätigt worden. Wir haben wiederholt hier Prinzipien vortragen hören, eine Menge der vortrefflichsten Anregungen erhalten, aber Sie werden mir felbst Alle zugeben, daß auch Seitens Derjenigen, welche fich ernst bemüht haben, einen konkreten Jnhalt ihrea Vorschlägen zu geben, es nicht wobl gelungen ift, irgend eine Materie zu finden, in welcher wir heute als in Einigkeit befindlih uns hinstellen könnten, und darum, glaube ich, habe ich niht Unrecht gehabt, wenn ih am Schluß meiner gestrigen Ausführungen bestimmt aussprach, die gegen- wärtige Vorlage sei in der That au der Ausdruck der parlamen- tarishen Situation.

Wenn ih gegenwärtig noch einmal das Wort ergreife, fo geschieht es nur auf die Provokation des leßten Herrn Borreduers. Ich habe in meinem gestrigen Vortrage die gleichsam internationalen und innerpolitishen Momente darzulegen versucht, welche unter anderen, aus abgesehex von den ftaatsrechtlichen und sonftigen Schwierigkeiten, die/ Negierung genöthigt Yätten, eine Vorlage zu bringen, wie sie hier int wesentlichen in der Gestalt von diskretionären Gewalten an Sie herangetreten ift. Ein Theil dieser Bemerkungen war der sogenannten polnischen Frage gewidmet und ih gab mir Mühe, darzulegen, daß namentlich für die Ausführung des Art. 5 die polnische Frage von einer gewi\sen Erheblichkeit sei, weil man in den polnischen Landes- theilen sich gegenwärtig zu halten habe, daß eine Bewegung erxistire, welche, wenn sie weitere Ausghreitung finde, nicht allein den Frieden und die Nuhe im Vaterlande, sondern auch die Integrität des Staats stören könne, und daß nah dem eigenthümlihen Entwickelungs8gange in den polnischen Landestheilen ein großer Theil der katholischen Geistlihen \sich mit den nationalpolnishen Agitationen ver- quickt habe.

_ Wenn ich nun genöthigt bin, noch in ganz kurzen Strichen eine Kritik der legten Worte au3zuüben, so muß ih sagen, daß die allge- meinen Behauptungen, welche ih gestern an die Charakteristik der national-polnishen Bewegung geknüpft habe, dur die Rede des Herrn Vorredners und die gestrige Nede seines Herrn Fraktion8- genofsen eine Widerlegung nicht gefunden haben. Dur alle diese Aeußerungen der beiden Herren geht mit großer Vorsiht doch der eine Gedanke dur, daß auch ihnen bei aller Loyalität, die ihnen sicherlich beiwohnt, die Aussicht, die Hoffnung nit fern, sondern recht nahe liegt, daß, wie hier gesagt ist, „cine höhere Macht“ dem- nächst dazu führen würde, der polnishen Nation wieder einen selbst- ständigen Staat zu verleihen, oder, wie der gestrige Herr Abgeordnete es auch auf Grund einer scit cinigen Monaten oder vielleiht auc \{on seit 2 Jahren in den polnischen Zeitungen vielfa widerkehrende Deduktion autführte, daß es eine Pflicht aller Staaten. \sci, zwischen dem Osten und Westen Europas eine Schranke aufzurichten, daß sie kein größeres und politisch besseres Werk thun fönnten, als den polnischen Staat wieder herzustellen. Es würde die weitere Verfolgung dieses Gedankens, der auf dem polnischen Anti- panslaviêemus beruht, hier namentlih von der Stellung meines Ressorts aus zu weit führen, aber Sie werden mir doch zugeben, daß die runde und klare Grklärung, daß die Herren , welche sh als Ver- treter der polnischen Nation hinstellen, auf eine Wiederherstellung eines polnischen Reiches verzichten, nicht abgegeben ist, und daß ih nicht Unrecht gehabt, wenn ich im Bilde aeldat habe, die ganze Be- wegung habe den Charakter eines Stromes, in den immer neues Wasser hineingegossen wird, und von dem die Agitation sich forttrei- ben läßt, in der Hoffnung, es werde eine höhere Macht, oder, wie ich gesagt habe, ein elementares Ereigniß eines Tages dazu führen, daß der Strom den s{ütßenden Damm übertritt. Ich bin überzeugt, daß der Hr. Abg. Kantak diesen Gedanken als einen irgendwie in seiner Lebenszeit erreibbaren von \ich weist, aber er allein ist nicht die polnische Bevölkerung, und, wenn man auf die Stimmen derer hört, welche vertraut sind mit der Bewegung der polnischen Bevölke- rung, wenn man genau kennt die unzähligen Aussprücbe der polniscben Presse, welche nit ledigli, wie gesagt ist, auf die Mißverständnisse amilicher Ueberseßzer zurückgeführt werden können, so muß man in der That sagen, die Bewegung ist eine tiefgehende, und sie ist insofern eine bedenklichere, als die Methode der Agitation bewußt aud seit 1863 geändert hat. Es würde mir leicht sein, in dieser Beziehung aus den vorliegenden Aktenstücken Beläge dafür anzuführen; ih werde aber in diesem Abscbnitte der Diskussion mein Wort dafür einsetzen, daß solche Aussprüche in großer Zahl bestehen, und bin auf Beschwerden bereit, auf cine Beweisaufnahme einzugehen. Das ist auch anerkannt worden von dem Hrn. Abg. von Stablewski, und, wenn ich nicht irre, auch von dem Hrn, Abg. von Czarlinski im Reichêtage, daß die Agitation sich extensiv ausgedehnt hat. Jh darf daran erinnern, daß ein großer ‘Theil der Landestheile, von denen wir mit Ret annehmen, daß sie deuts sind, überzogen worden sind mit einem Netz von polnischen Vereinen, daß beispiel8weise in Lößen in Ostpreußen seit Jahren eine polnische agitatorische Zeitung besteht , die sih zunächst an die katho- lishen Masuren ansc{ließt, es aber ausspricht, daß sie es sich auch zur Aufgabe macht, für die angeblichen Rechte der evangelishen Ma- suren, welde mit dem polnischen Reich so wenig wie mögli ver- bunden gewesen sind, einzutreten, Was hat Hr. von Stablewski

gestern auf meine Bemerkung gesagt wegen Oberschlefiens ? Er be- merkte, die Noth der dortigen Polen in Bezug auf die Sprache habe

das Mitgeflbl der Großpolen anch naß Obershlefien gelenkt. Jh glaube, niht Widerspru zu erfahren. wenn ih sage, daß gerade dort diese Versuche werden scheitern müssen, weil der obershlefishe Polo- nismus von dem reinen Polonismus nichts hat wissen wollen. Fch mdöchte aber nur eine ganz kurze Notiz geben, wie diese Agitation in Oberschlesien Seitens der Herren gedacht worden ist. Nacbdem darauf hingewiesen, man müsse die Polen in Oberschlesien und Masuren in den Kreis der Wahlagitation hineinziehen, heißt es in der Zeitung e Przyjaciel* vom 17. November 1881:

„In Oberschlesien rühren sib die Polen {on und fangen an, das Ihre zu fordern. Nur daß sie fich dort unter den großen deutschen Herren befinden und, wenn diese auch Katholiken sind, so kümmern sie sih doch wenig um die polnishe Sprache und um die Bedürfnisse der polnishen Bevölkerung. Mit einem Male kann man sie nicht besiegen und ihnen die polnische Faust unter die Nase \{lagen. Aber langsam, vorsichtig und klug ; auch dort wird der Pole sich auf eigene Füße stellen und wird sich nicht von andern leiten laffen, wie der Ochse an den Hörnern und der elende Gaul am Zaum.“

So \ch{ließt der Oberschlesien betreffende Theil. Das is aller- dings, wie ih dem Hrn. Abg. Kantak zugebe, au nur ein einzelner Zeitungs8artikel. Wenn man aber genbthigt ist, auf Grund feiner amtlichen Verpflichtung dieser Angelegenheit eine besondere Aufmerk- samkeit zuzuwenden, so wird man die Ueberzeugung nicht los, daß es eine unverantwortlihe Pflichtverleßung sein wird, niht den Zu- sammenhang folcher einzelnen aber zahlreihen Eindrücke in ein ein- beitlihes Bild zu fassen und mit zugemachten Augen dieser Bewegung gegenüberzustehen.

Viel \{wieriger für mich war es auf die Frage ¿u kommen, wie stehen die katholischen Geistlihen zur polnisden Agitation ? Diese Brage bat aber eine praktiscbe Bedeutung insofern, als sie aus An- der Verwendung sogenannter Hülfsgeistlihen zur Erörterung ge- ¡ogen wird.

Nun darf ich hervorheben, ich kann es im Moment nit be- weisen, aber die Herren, wekche die Verhältnisse aus eigener Erfahrung kennen, werden mir znftimmen, wenn ih sage, daß in einer gewissen Zeit, beginnend etwa in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, also nah dem von mir gestern erwähnten Erlaß von 1866 die- jenigen Geitftlichen, die niht in einer gewissen nationalpolnischen Rich- tung sich bewegten, vielfa auf den von hohen kir{lichen Seiten als richtig angesehene Weg geleitet worden sind dur Beiordnung von Hülfsgeiftlihen bekanntlich ein sehr bequemes Mittel, um uner- wünschte Pfarrer auf andere Pfade zu bringen. Heutzutage ist dies allerdings niht mehr möglich, heute vertritt der „Kuryer Poznanski“ die Stelle, welche früher die kir{lichen Leiter einnahmen ; es ift heute eine ziemli regelmäßige Erscheinung, daß, wenn irgend ein katholischer Geistlicher nit in dem nationalpolnischen Fahrwasser {wimmt, er dort im „Kuryer Poznanski“ nominativ angeführt wird und an seine nationale Pflicht gemahnt wird. Es ist eine tiefgehende Bewegung, die in allen möglichen Zeitungen zu Tage tritt dahin, daß auf dem Gebiete der Schule niemals eine Nuhe eintreten darf, niemals, wenn id so sagen darf, eine objektive S der Maßnahmen der N S gestattet werden soll. Es wurde beispielsweise in einem Falle, der mir so vor Augen tritt, einem Geistlichen in der Zeitung vorgeworfen, er habe es nicht fertig gebracht, aus seiner Diözese Be- schwerden üder Schulverhältnifse an die Regierung heranzubringen : er hatte wahrscheinlich die große Unvorsichtigkeit, fich gegen diesen Vor- wurf zu vertheidigen, aber er that es. Er sagte: er sei ein Deutscher und seine Bevölkerung sei im Wesentlichen deutsch, er sei auch erst mehrere Jahre an seiner Stelle; da kam sofort eine Warnung im «Kuryer Poznanski“, dahin: er sei {on 5 oder 6 Jahre in seiner Stellung, er wolle ein katholischer Geistlicher sein und könne nicht einmal eine Petition gegen die Schuleinrichtungen zu Stande bringen, das sei do sebr sonderbar. In Folge dessen wie ih annehme hat der Geistliche auch eine solche Petition in Bewegung gesetzt und an die Regierung gelangen lassen.

Meine Herren! (Es führt das sehr weit, wenn man verlangt, daß man fortwährend Beweismittel und nähere Darlegungen bringen soll, aber das mötte ih doch im Zusammenhang sagen, taß, so lange der preußische Staat verantwortungsvolle Beamte in den gedachten Landestheilen gehabt hat, nach kurzen Pausen alle darin überein ge- kommen sind, daß in der polnischen Agitation ein sehr beachtens- weither, bedenklicher und gefährlicher Kern liegt. Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen die allerneuesten Berichte über Stellung der ratholishen Geistlichkeit in Beziehung anf ihre thatsäbliche Haltung im national polnischen Sinne vortragen wollte, aber diejenigen preu- Fischen Beamten, die doch in vollem Bewußsein ihrer Verantwortlich- keit und ihrer eidlihen Pflicht sich damit beschäftigt haben, und au die Herren Landräthe, denen der Herr Abgeordnete zu meiner großen Freude ein gewiß berechtigtes Lob zollte, haben sich der Auffassung an- geschlossen, daß die Agitation tiefer, in der Methode bewußter, gefährlicher geworden ist und daß die katholischen Geistlichen “voll und ganz zum großen Theil in Posen und Westpreußen mitten in der Bewegung stehen. Der Herr Abgeordnete bat mir nun besonders vorgeworfen meine Bemerkungen über den Marczinkowskishen Verein. Unsere Ausführungen decken sich bis zu einem gewissen Punkt. Ich habe ausdrücklih gesagt, der Verein habe eine segensreiche Tendenz gehabt und sei bestimmt gewesen, ohne RüXsiht auf Konfession und Natio- nalität jungen Leuten aus niederen Ständen die Möglichkeit einer höheren Bildung zu verschaffen. Jh habe das gestern kurz erwähnen fönnen. Gs e zweifellos richtig, daß auch in der ersteu Zeit, und ¿war wesentli auf Instanz des damaligen Ober-Präsidenten von Putt- kamer, die Deutschen in Menge eintraten und . . . (Widerspruch bei den Polen. Aba. Kantak: Niemals!) Es ist in ciner amtlichen Darlegung, auf die ih nacher kommen werde, nachgewiesen, daß die Tendenz des Vereins immer mehr eine polnisch - agitatorische ge- worden ift. Mit Bezug auf den erhobenen Widerspru erwähne ich, daß Folgendes von einem höheren Beamten gesagt ist:

Gs ist insofern niht ganz zutreffend, als der Verein nicht erst neuerdings, sondern von seiner Gründung an bemüht gewesen ift, die nationalpolnischen Bestrebungen zu fördern. G8 i} de3halb auch bereits in den Jahren 1846 und 1863 die Frage erörtert worden, ob nit eine Auflösung, beziehungäweise gerichtliche Schließung des Vereins sich herbeiführen lasse. Ob eine Zeit lang auch Deutschbe în größerer Zahl Mitglieder des Vereins gewesen sind, konstatire ih bier niht. War dies der Fall, so möchte es vielleiht auf die Einwirkung des früheren Ober-Präsidenten von Puttkamer zurückzuführen sein, welher im Jahre 1856 die Land- räthe und die evangelische Geistlichkeit zum Eintritt in den Verein anregte, um auf diese Weise deutschen Einfluß in dem Verein zur Geltung zu bringen.

Und nun kann ih weiter versihern es würde zu weit führen, wenn ih hier Alles vorlesen woklte —, daß in einzelnen landräth- lichen Berichten, die ih gelesen habe, ausdrücklih bezeugt worden ift, daß in früherer Zeit wahrschéinlih in Folge der von mir bezeichneten Anregung, eine größere Anzahl deutsher Mitglieder des Vereins ge- wesen ist. Es fommt in dem gegenwärtigen Zusammenhang nicht einmal darauf an, daß früher Deutsche dem Verein angehört haben. Sie werden mir aber bugeben, daß ih ein Recht habe, diese Behaup- tung au8zuspreWen, weil ich in der Lage bin, diese auf amtliche Unterlagen zu stüßen. Jm Uebrigen ist es für meine Beweisführung unerheblih, denn alle Nachrichten kommen darin überein, daß mit stei- are Gewalt au dieser Verein unglücklicherweise und unter den

ewußten Mitwirkungen der Geistlichen, welhe in den Kreiscomités

neben den bekannteften Führern der polnischen Agitation Play ge“ nommen haben, in den Dienst der nationalen Agitation getreten if. (Zuruf bei den Polen: fals) Es mag ja fals sein, aber ih bedauere, daß ich mir über diese Fragen ein ae Urtheil bilden muß, weil ih vorläufig immer die Meinung habe, daß ih Beamten, deren Loyalität, Integrität und Pflichtgefühl nit angefobten, sogar direkt von dem Herrn Vorredner anerkannt worden ist, soweit es sich um Landräthe handelt daß, sage ih, ih den Beamten zunächst folgen muß. Deshalb if die Diskussion im öffentlichen Landtage gegeben, daß, wenn Irrthümer vorkommen, sie richtig gestellt werden, zur Zeit kann ih aber meine Angaben nicht für widerlegt erachten.

H kann meinen Vortrag dabin zusammenfafsen: alle meine Ausführungen baben nux die Bedeutung gehabt auch gestern, wenn die Herren meine Worte noch im Gedächtniß haben darzulegen, daß die Staatsregierung ihre volle Aufmerksamkeit darauf zu wenden hat, ob cine Erleichterung in Beziehung auf die Gruennungspflicht zu Störungen dex staatlichen Ordnung in_ einzelnen Gebieten fübren fann. Ich habe auszuführen versucht, daß die katholische Geistlichkeit leider, wie ich hinzufügen muß in polnischen Landestheilen sich von ihren aus\{ließlich firchlihen Bestrebungen abgewandt und si au der nationalpolniscen Agitation anges{lofsen hat. Und bei dieser Auffassung verbleibe ich.

Dec Abg. Dr. Windthorst betonte, es werde Jeder die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die polnishe Frage füg- lih beim Etat der Polizeiverwaltung hätte besprochen werden fónnen, aber nicht hierher gehöre. Wenn die Geistlichkeit in Posen vielleiht mebr, als es gut sei, sich dergleichen Bestre- hungen angeschlossen habe, so habe die Negierung selbst daran Schuld. Warum habe sie einen Oberhirten, der gegen jene Bestrebungen eingeschritten sei, entfernt? Es sei absonderlich, zu verlangen, die Katholiken follten sein wie die Lämmer, wenn der Heerde der Hirt genommen werde. Wenn die Geist- lihkeit verfolgt, gemißhandelt und absolut auf die Unter- stüßung der Gemeinden hingewiesen sei, könne man sich wundern, wenn die Geißlichen sich von den Negierung3organen abgewandt hätten? Mit Geistlichen, die unter der Knute der Polizei ständen, werde man die Bewegung nie im Zaume halten. Der Minister berufe sih auf Berichte. Was sei nicht im Kulturkampf alles berichtet worden. Er weise hin auf die freiwillige Polizei- gesellschaft im Rheinlande, auf Grund deren Mittheilungen die Beamten Berichte hierher geschickt hätten. Sie würden ihm wahrscheinli verweigert werden, sonst würde er fie sich erbitten. Wenn der Minister Alles glaube, was ihm berichtet werde, dann sehe es s{limm aus für Posen und andere Pro: vinzen. Der Gang der Diskussion habe ihn zwar nicht voll befriedigt, aber doch ersreut. Keiner wolle mit dem Kultur- fampf etwas zu thun gehabt haben. Selbst der wirkliche und intellektuelle Urheber des Kulturkampfes, der Abg. Gneist, habe heute sein Kind vollständig verleugnet. Wer sei denn der Verfasser des berühmten Klosterberichts gewesen ? Ver habe das Material zusammengetragen für die Maigeseße? Wer habe sie zum guten Theil im Hotel des Kultus - Ministers und des Reichskanzlers inspirirt, wer habe sie verfassen helfen, wer habe hier darüber Bericht erstattet? Es sei der Abg. Gneist gewesen und wenn der Kulturkamps wirklih etwas Rühmliches habe, so werde der größte Ruhm des Abg. Gneist sein, daß derselbe der wesent- lihe Träger des Kulturkampfes gewesen sei. Heute habe es nit Falk gethan, sondern der Reichskanzler und eine höher stehende Persönlichkeit. Wenn das, was man gethan, so ver- leugnet werde, so müsse es nicht gut sein. Auch der Abg. Virchow habe den Nüclzug angetreten, wenn er (Redner) auch zu- gestehe, daß derselbe früher bei wesentlihen Punkten warnend seine Stimme erhoben habe. Die Reden der Abgg. Virchow und Richter bewiesen ihm, daß im Schooße der Fortschritts- vartei wirklih ernsthaft die Fraçe der Revifion der Maigeseße in Angriff genommen worden sei. Er hätte gewünscht, daß dem Centrum über die Resultate dieser Berathungen etwas Klareres mitgetheilt worden wäre. (Abg. Dr. Hänel rust: - Das beruhe auf Gegenseitigkeit.) Die Fortschrittspartei solle Alles wissen, was er wisse. Uebrigens freue er fich über diesen Zwischenruf, er sehe daraus, daß der Abg. Hänel hier sei, er dürfe annehmen, daß auc der Abg. Hänel sich in dem Concert befinde, von dem der Abg. Richter Mit- theilung ‘gemacht habe. Das sei ein Fortschritt in seinen Augen. Es seien einzelne sehr beahten8werthe Momente von jenen Herren hervorgehoben worden, und was in Beziehung auf die Anzeigepflicht gesagt sei, verdiene die allersorgfäl- tigste Erwägung. Es könnte ja denkbar sein, daß eine Lösung gesunden würde, welche für die eigentliche geisiliGge kirchliche Thätigkeit eines Geistlihen eine Anzeige nicht erforderlich mache, sondern nux dann, wenn es sich um rein staatliche Fragen handele. (Ruf: Schulinspektion !) Es müsse dahin kom- men, daß auch diese den Geisilihen unterstellt werde. (Nuf: Nein !) Daß die Linke da3 nicht wolle, wisse er sehr gut, er versichere aber, das Centrum werde das früßer erreihen, als die Nevision der Maigesehe, denn in diesem Punkie seien die gläubigen Protestanten mit dem Centrum n einverstanden. Wenn die Linke wissen wolle, wie weit das schon gehe, dann lese wan die Beschlüsse der hannoverishen Synode. Er wisse wohl, daß diese Beschllisse heute noch die Heiterkeit der Liberalen erregten, er sage aber den Liberalen, sie würden noch Thränen weinen. Es sei rathsam, diese Fragen nah allen Seiten hin in Erwägung zu nehmen, damit Hr. von Schlözer Material habe für Erörterungen, die derselbe vielleicht akademisch oder prafilisch zu machen haben werde. Daß die Nationalliberalen den Abg. Gneist zum Wortführer gewählt hätten, beweise, daß die Herren noch auf demselben Boden sländen wie früher. Sie ständen damit im Widerspruch mit der Volksmeinung, und wenn sie den Kulturkampf im «Interesse ihrer Fortcxistenz beibehalten wollten, so möchten die Herren si gesagt Fein lassen : auf dem Boden würden sie niht mehr lange stehen- können. Der Kulturkanpf sei todt, es handele sih nur um ein Begräbniß. Die Rede des Abg. von Meyer-Arnswalde habe ihn s{hmerzlich berührt. Er erkenne es dankbar an, daß derselbe einer der ersten ge- wesen sei, welhe die Beendigung des Kulturkampfes ge- wünscht hätten. Derselbe Abg. von Meyer sei seiner konser- vativen Gesinnung untreu geworden, wenn derselbe gesagt babe, er würde darauf bestehen, daß die Maigeseße unver- rückt ausgeführt würden, wenn das Haus die Vorlage nicht annähme. Wenn der Abg. von Meyer Mittel, die er selbst verwerfe, anwenden wolle, um das Centrum zu zwingen, #o sei das nur Tortur des Gewissens. Ob das moralisch oder konservativ sei, wolle er nicht beurtheilen. Fn Hannover gelte es niht dafür, ob in Arnswalde, wisse er niht. Das Centrum könne dieser Vorlage nicht gu nmen, welche ge- wisse Bedrückungen fortbestehen lasse. Aber seine Partei werde nicht aufhören, Abschlagszahlungen und jede wirkliße materielle Abänderung zu acceptiren. Der Abg. Gneist fordere das Centrum auf, veimunle An- träge zu formuliren, Habe derselbe nicht dessen bestimmt formulirten Bg auf Freigebung des Messelesens und Spendens der Sakranmente rundweg abgelehnt ? hätte das Centrum ein folches cinfahes Nein F weiteren Anträgen er- muthigen können? Er werde ihm Gelegenheit geben, zu an- deren Formulirungen Stellung zu nehmen. Die Anträge würden dem Hause vorgelegt werden, wann, wie und wo sei seine Sache. Er bedauere, daß der Minister sih nit in der Lage befunden habe, seine gestzern rund formulirte Frage zu

daß im Hause von der Majorität eine Nevifion der Maigeseßze verlangt worden sei. Wenn die Regierung troh dieser Ge- neigtheit, noch weiter mit vershränkten Armen stehen bleibe, dann konftatire er vor Europa, daß die preußische Regierung keinen Frieden machen wolle.

Damit {loß die Debatte. Es folgie eine Reibe persön- lier Bemerkungen.

Der Abg. Dr. Gneist bemerkte, er habe seine Theilnahme am Kulturkampf durhaus nicht desavouiren wollen, sondern nur die Autorschaft abgelehnt ; er habe nachgewiesen, daß der Kulturkampf keinen Theil des liberalen Programms bilde, daß derselbe vielmehr eine Staatsnothwendigkeit gewesen sei. Seit wann mache man denn den Referenten für die Kom- missionsberihte verantwortlich, wie ihn für den fogengnnten „Klostersturmberiht“? Die Kommission habe mehrere An- tröge gestellt, in denen fie die Regierung aufgefordert habe, die Gesetze über die Korporationen und über die Qualifi- kation zum Unterricht zu befolgen. Da sprehe man denn bei den Katholiken vom „Sturmbericht“ und dessen Autor Gneist. Die Anträge seien damals in der Kommission nit von der liberalen Partei gestellt, sondern von den Konservativen, und erx sei den vier Konservativen, welche die Annahme durchgeseßt hätten gegen das Centrum und die gespaltenen Liberalen noch heute dafür dankbar. Er bitte aber die Ultramontanen, wenn sie wieder von dem Bericht sprächen, alles zu erzählen.

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, der Nbg. Gneist habe nit blos als Berichterstatter, sondern auch als in- tellektueller Urheber der Anträge und des Berichtes fungirt, der noch manches andere enthalte, als blos die Konklusionen.

Der Abg. Dr. Gneist beinerkte, der Bericht habe den Jn- halt der Debatten zwischen den Abgeordneten und der MRe- giexung wiedergegeben. - |

Die Vorlage wurde an eine Kommission von 21 Mit- gliedern verwiesen.

Der Gesetzentwurf zur Ergänzung des Gesetzes, be- treffend die evangelishe Kirchenverfassung in den aht älteren Provinzen der Monarchie vom 3. Juni 1876, wurde ohne Debatte in erster und zweiter Berathung ange- nommen.

Dex Nachweis liber die Verwendung des in dem Etat der Eisenbahnverwaltung pro 1. April 1880/81 unter Tit. 18 der einmaligen und außerordentlihen Ausgaben aus- geseßten Dispositionsfonds zu unvorhergesehenen außer- ordentlihen KAusgaben für die Staatseisenbahnen von 900 000 é wurde in einmaliger Berathung für geführt er- achtet, der Bericht über die Verwendung des Erlöses für ver- faufte Berliner Stadlbahnparzellen und über die Verwendung der Entwerthungsentschädigung bezüglih eines im Besiß der genannten Bahn befindlihen Haujes, desgl. in einmaliger Berathung für erledigt erklärt.

Der Gesetzentwurf, betreffend die Ablösung der an die Stadt Berlin für Uebernahme der fiskalischen Straßen- und BrücCenbaulast in Berlin zu zah- lenden Rente, wurde in zweiter Berathung ohne Dis- kussion angenommen, desgleihen das Gesetz, betressend Ab: änderung der Verordnung über die Bildung und den Ge- schäftäkreis cines evangelish-reformirten Konsistorii in der Stadt Frankfurt a. M. vom 8. Februar 1820, sowie des organischen Gescßes vom 5. Februar 1857 über Abänderung einiger die evangelisch-lutherischze Kirczenverfassung berührenden Bestimmungen der Konstitutions-Srgänzungsakte der Stadt Frankfurt a. M., definitiv in dritter Lesung ge- nehmigt.

Damit war die Tagesordnung erschöpft. i

Hierauf vertagte si) das Haus um 5 Uhr auf Donnerstag 12. UYL:

Landtags- Angelegenheiten.

Dem Hause der Abgeordneten ist folgende Denkschrift über die Schiffahrtsstraße der Unstrut und Saale von Artern bis zur Einmündung der Saale in die Elbe vor- gelegt worden: N A

Die Unstrut und Saale bilden eine Wasserstraße, vermittelst welcher der untere Theil Thüringens mit der Elbe und dadurch mit dem großen Verkehr in Verbindung steht. Dabei bildet die Unstrut nur eîne tiefer in das Land bineinführende \chifffbare obere Fortseßung des Saalestromes, so daß beide eine zusammenhängende Wasserstraße sind, weshalb dieselben auch als ein gemeinschaftlihes Ganze behan- delt werden sollen.

Beschreibung der Wasserstraße.

Die Saale entspringt oberhalb Münchberg und Hof in Bayern, zwischen dem Frankenwald und Fichtelgebirge und gelangt, durch Auf- nahme vieler Bäche erweitert, bei Neusulze in preußisches Gebiet, fließt bei Kösen und Naumburg vorüber und nimmt bei leßterem Orte die Unstrut auf. Bis zu dieser Vereinigung ist die Saale nur flößbar und wird erst mit dem Zufluß der Unstrut, welche bis nah Bretleben oberhalb Artern herauf \{iffbar ift, selbst hiffbar. Indem sie dann die Hauptorte Weißenfels, Merseburg, Halle, Wettin, Rothenburg, Alsleben berührt, durbströmt sie von Plögkau bis gegen Calbe Herzoglich anhaltishes Gebiet und von hier bis zu ihrer Mün- dung in die Elbe abwärts Calbe am sogenannten Saalhorn bei Barby wiederum preußisches Gebiet. Die Hauptnebenflüsse der Saale bilden die Unstrut, die Luppe und die weiße Elster.

Das Niederschlag8gebiet beträgt bei:

der Saale bis zur Aufnahme der Unstrut . 90 qm 5106 qkm

der Unstrut bis zur ihrer Mündung. . . 112 = 6355 , dér Biphe ub Gs e 2 «co O 0E der Saale bis zur Alslebener Schleuse. . 339 „, =19234 , der Saale bis zu ihrer Mündung . A0 24007 Die Regenmengen betragen im Unstrutgebiet pro Jahr circa E B im oberen Saalegebiet bei Ziegenrück . . . . . 2504 „, E c

E a L E o so daß im Saalegebiet ein entschiedenes Hohwafserübergewiht gegen die Unstrut besteht. ; i Nach angestellten Ermittelungen werden im Saalegebiet nur

29,3 9/9 des Niedershlages im Flusse mit einer absoluten Menge von ca. 98 cbm im Mittel abgeführt und die Maxlmalmafsen, welche bei einem Hochwasser, wie dasjenige von 1799, zur Abführung gelangen, stellen sich:

e Me U E. o l a c O D

ür die Saale oberhalb Naumburg ..... 618 ,

ür die Luiihe und Gislex. pa e «o. QIS » ür die Saale in der Strecke von Wettin bis n Alsleben .. ¿+1000

Die höchsten Wasserstände fallen, wie bei den meisten der preußischen Ströme, auf die Frühjahrsmonate, die niedrigsten auf die Herbstmonate. Der am häufigsten vorkommende Wasserstand liegt bei ca. 1,12 m am Unterpegel der Rothenburger Schleuse, der mittlere Wasserstand bei 1,64 m daselbst. Dic Gefälle der Saale und Unstrut sind dur die bei den Mühlenanlagen, aber auch nur da, eingebauten

beantworten. Die Erklärung sei niht abgegeben worden und das sei wenigstens ein vorläufiges Nein. Er konstatire ferner,

Stauwerke gebrochen und wechseln somit außerordentlich, je nah den

Wasßsersländen,

Historisze Darlegung des Ausbaues dieser Schiffahrtsstraße. Die Stiffbarkeit auf dieser Wasserstraße ist hHistorisch tis zunr

Jahre 981 zurück zu verfolgen und scheint dur eingewanderte Niecder- länder zuerst auf der Saale herbeigeführt worden zu sein. Die erste Nachricht von der vorhandenen Schiffbarkeit betrifft den Transport der Leiche des Erzbischofs Adalbert von Magdeburg, welcher am 21. Mai 981 bei Corbetha gestorben ist und defsen Leiche na Giebichenstein transportirt und von dort zu Wafser nah Magdeburg gebracht wurde. Im Jahre 1012 wurde der kranke Bischof Taginos zu Schiff von Merseburg nah Rothenburg a. S. gebracht, und 1127 ließ Dtto, Bischof von Bamberg und Apostel der Pommern, Waaren, auf der Messe zu Halle angekauft, zu Schiff auf der Saale, Elbe und Havel und dann weiter zu Lande nah Pommern bringen. 1121 geschieht der ersten Mühle unterhalb Halle, beim Kloster Neuwerk be- legen, Grwähnung, welchem leßteren vom Erzbishof Rodger das Maßhlrecht und die Fischerei in der Saale unter dem 5. Juni 112k verliehen wurde. Demjselben Kloster wird unter dem 10. März 1152 vom Crzbishof Wichmann zu Magdeburg das Privilegium ertheilt, mit cinem Schiffe Salz zu transportiren und Holz wieder zurück- zubringen. Im Jahre 1365 sind bereits Schiffs\{leusen auf dem unteren Saalestrom vorhanden gewesen, welche indeß, in Holz kon- struirt, durch Hocbfluthen und Eis oft Zerstörungen erlitten, wodur die Schiffahrt ins Stocken gerieth.

Unter dem 21. Oktober 1530 ertbeilte Kaiser Carl Ÿ. dem Erz-

bischof Albrecht von Magdeburg das Privilegium der freien Schiffahrt auf der Saale.

Im Jahre 1560 ist, nachdem die Schleusen bei Calbe und Als-

leben nit genügten, eine Schleuse bei Bernburg erbaut, und zu Halle auf der Morißburg im Jahre 1559 ein Vergleich zwischen dem Kur- fürsten Sigismund und dem Fürstenhause Anhalt aufgerichtet worden, worin man unter Anderem auch bedungen hat, daß die Schleusere

ewig bleiben und erhalten werden sollen. Im Westfälischen Frieden fiel das bisherige Erzbisthum Magde-

burg an das Kurfürstenthum Brandenburg. Leßteres kam aber erft

1680 mit dem Tode des Herzogs August zu Sachsen in den wirklichen Besiß, und von da ab datirt ein neuer Aufschwung der Schiffahrts- verhältnisse auf der Saale.

Kurfücst Friedrich 111. von Brandenburg bes{loß gegen Ende des 17. Jahrhunderts die sämmtlichen Saalschleusen neu und massiv zu bauen und legte selbst am 13. Juli 1694 den Grundstein zu der Sleuse in Trotha, veranlaßte ferner den Fürsten Victor Amadeus von Bernburg, die Schleuse daselbst ebenfalls neu zu bauen, und es sind in jener Periode die S{hleusen zu Gimriß, Trotha, Wettin, Rothenburg, Alsleben, Bernburg, Calbe resp. Gottesgnaden neu her- gestellt, leßtere zum Theil aus den alten Quadern der Kirchen des Klosters Gotte8gnaden. Dieselbe zeigt zur Zeit noh einen Stein mit der Inschrift: „1786 neu erbaut“, hat also inzwischen wiederum noch eine Erneuerung erfahren.

Die Ausführung weiterer Schleusen datirt, wie später angegeben wird, aus neuerer Zeit.

Die ältesten Nachrichten fiber die Benußung der Unstrut zur Schiffahrt erscheinen in einem Lehnbriefe d, d. Dresden den 22. Mat 1612, nah welchem dem Bürgermeister Sixtus Braun zu Naumburg nebst seinen Erben neben anderen Gerechtigkeiten au ein Grb\schiff auf Saale und Unstrut gewährt worden, ohne daß jedoch die Aus- beutung dieser Gerechtsame weiter mitgetheilt ist. Erst im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts hat man von Seiten der \äcsischen Regierung der Benußung der Unstrut zur Schiffahrt mehr Beachtung geschenkt, welche praktisÞhen Werth gewann, als der Kurfürft N IV. ju Sa(sen in Folge vielfacher Klagen der Thüringer Fingesessenen Über die drückenden Lasten der Kriegsfuhren während des bayrisben Erbfolgekrieges 1778 den Entschluß faßte, dieser Belästigung durch Schaffung einer inländischen Schifferei abzuhelfen und dem- gemäß mittelst Drdre vom 31. Dezember 1778 den Befchl ertheilte, zu untersuchen, wie cin bei dem Beuditmühlenwehr erfolgter Durch- bruch der Saale wieder dauerhaft herzustellen und wie derselbe für eine etwaige Schiffbarmacbung des Saalestromes einzurichten set. Beauftragt wurde der Mechanikus, damalige Kunstmceister Mende, dessen Modell zur Hebung von 40—50 Ctr. tragenden Sciffen über Wehre in kleinen Flüssen viel Aufsehen erregt hatte. Mende be- rihtete im Mai 1788, daß die Herstellung des Durchbruchs keinen Einfluß auf die Schiffbartnaung haben könne und legte im Juni 1788 zu Händen des sähsishen Ministers, Grafen Wallwiß, cin Promemoria über die Schiffbarmachung vor. Schon am foigenden Tage erhielt er Auftrag zu den Lokaluntersußungen und auf Grund seines weiteren Berichtes vom 29. Juni 1789 \ch{lug das Ministerium vor:

1) Die Schiffbarmachung der Unstrut von Artern bis zur Ein- mündung in die Saale und der Saale bis Weißenfels;

2) die Sciffbarmachung der Parthe von Leipzig na Osten bis dahin, wo ein neuer bis an die Mulde zu führender Kanal beginnen kann, die Ausführung dieses Kanals s\clbst, und die Anlegung eines weiteren Kanals von der Mulde bei Wurzen bis zur Elbe bei Torgau; demnächst

9) die Nachholung der Saalestrecken von Weißenfels über Merse- burg bis zur Einmündung der Luppe und die Schiffbarmachung der letzteren bis Leipzig im Anschluß an den sub 2 bezeichneten Kanal.

Hierauf erhielt Mende unter dem 19, Januar 1790 den Befehk, einen speziellen Bauplan

zur Schiffbarmacbung der Unstrut von Artern bis zur Ein- mündung in die Saale aus8zuarbeiten, welchen Auftrag er bis zum 30. August 1790 unter folgenden Vorschlägen erledigte: h

1) Vorkehrungen zur Abhaltung zutreibender Sinkstoffe,

2) Räumung des Flufses von allen Hindernissen in solcher Breite und Tiefe, daß 2 Elbfahrzeuge si begegnen können,

3) Anlegung eines Leinpfades,

4) Swleusenkammern von 20 Fuß säch\. Breite in der Sohle mit unter 41 Grad geneigten Böschungs8wänden, dazu Ober- und Unterhaupt nebst Wärterwohnungen,

5) Anlage von Zugbrüken,

6) Grundentschädigung.

Die Koften berechnete er zu

158 005 Thlr. 18 ggr. 23 Pf.

Unter dem 9. Oktober 1790 machte Mende nochG den Vorscblag, auch die Saale von der Unstrutmündung ab bis Weißenfels \{chiffbar zu machen, und gab dic Kosten dafür zu

194 958 Thlr. an.

Unter dem 4. Dezember 1790 ertheilte der Kurfürst den Befehl, die Scbiffbarmachung der Unstrut von Bretleben bis Groß-Jena an ihrer Mündung in die Saale und weiter, der Saale bis Weißenfels nach dem Vorschlage des 2c. Mcnde in Angriff zu nehmen.

Der Geheime Finanzrath Scheucler erhielt vom 15. Dezember desselben Jahres die Direktion des Unternehmens, der Maschinen- direktor Mende die Oberleitung der technishen Ausführung.

Am 29. April 1791 waren die Grund- und Nutungsents{ädi- gungen abgewickelt und der Bau in vollem Betriebe. 2000 Mann arbeiteten auf Unstrut und Saale bei einem Lohne von

5 Ga. für den Handarbeiter, 7 Gr. für den Maurer oder Zimtnerer, 13 Gr. für den Steinmeßen, edoch wurden die größeren Arkbciten alle in Accord vergeben. Zur usführung des ganzen Projekts machte die Schleuse zu Carsdorf am 16. November 1793 den Anfang und die Schleuse zn Ritteburg am 12. November 1794 den S{luß. _ f : :

Am 8. April 1795 wurde auf höchsten Befehl die Swiffahrt für das Publikum auf der Unstrut und Saale bis Weißenfels gegen ein bestimmtes Schleusengeld eröffnet.

Vom 21. bis 23. Juli 1795 bereiste der Kurfürst den ganzen Schiffahrtêweg und mit Ende des Jahres wurde der Neubau mit einem Kostenaufwande von 528 750 Thlr. abgeschlofsen.

Zur Untersuchung der Frage, ob nun au die Saalestrecke von Weißzenfels abwärts bis unterhalb Merseburg schiffbar zu machen glei wurde die bezüiglihe Strecke bereits im Jahre 1792 dur den Na- vigationkkondukteur Smidt in Beglcitung cines Schiffers Richter

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