1882 / 58 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 08 Mar 1882 18:00:01 GMT) scan diff

keine Rülsicht zu nehmen. Ein großes Land wie Preußen könne eben so gut verlangen, daß man in Jtalien diejenigen Rücksichten würdige, die Preußen für richtig finde, und auf die Empfindlichkeiten Preußens achte, als daß Preußen sich darin sollte besondere Beschränkungen auferlegen müssen. Auf die Vermishung der kirchenpolitishen Gesezgebung mit den Beziehungen zum Papste wolle er nicht eingehen. Diese beiden Dinge häiten nichts mit einander zu thun. Jeßt, wo ein Papst an der Spitze der Kirche stehe, der in der höflicsten Weise die diplomatischen Beziehungen wahre, und zu einer Zeit, in der turch ganz Deutschland der Wunsch nah einer friedlichen Gestaltung der inneren Beziehungen gehe, liege €s nahe, diejenigen Hülfsmittel zu nehmen, die dazu führen könnten. Und daß die Möglichkeit, jederzeit einen Meinungs- austaush herbeizuführen, dazu viel thun könne, licge auf der Hand. Es gebe kaum eine Ausgabe, die nüßlicher sei als diese. Er mache si keine Jllusionen, daß deshalb die kircen- politischen Angelegenheiten leiht erledigt sein würden. Die Verhandlungen mit der Kurie \critten ihrer Natur nah nur sehr langsam vorwärts. Aber die Vorlage stelle einen St&ritt auf dem Wege zum Definitivum dar. Sie bilde ein Mittel, um dea Wünschen, die ganz Deuts@land beseelten, nachzu- LeEURen, Aus diesen Cründen bitte er, die Position zu be- willigen.

Der Abg. Dr. VirGow erklärte, die Bemerkung des Vor- redners, daß er und der Abg. Weber die Worte des Neichs- kanzlers nit vollständig zitirt habe, sei nit rihtig; er habe in der Rede des Neichskanzlers nur das Bedürfniß betont ge- funden, und der Vorredner habe nur eine spätere Acußerung des Reichskanzlers nachgetragen, daß derselbe sich vorbehalten habe, falls er cinmal wieder ein Bedürfniß verspüren würde, darauf zurückzugreifen, Er (Redner) habe nur beweisen wollen, daß fih Gründe zur Kreirung eines Gesandtschaftspostens bei der Kurie nicht hätten finden lassen. Daß der Reichskanzler heute das Bedürfniß ciner Vertretung beim päpsilihen Stuhle habe, sci doch Tin Grund. Heute habe der Reichskanzler ein Be- dürfniß, morgen habe derselbe vielleiht kein Bedürfniß. Er hätte vom Ministerium gern nähere Erläuterungen gehört. Welche Jnteressen sollten denn eigentlih vertreten werden ? Wenn man in Frieden leben wolle, so werde sich {hon ein Arrangement finden, niht durch Verträge und Konkordate, sondern auf dem Wege der Reichsgesceßgebung. Seiner (des Redners) auswärtigen Politik Erfolge absprechen zu wollen, sei ungereht. - Der Graf Limburg-Stirum sollte doch wissen, daß er (Redner) {hon vor ihm für ein Deutschland ohne Oesterreich eingetreten sci. (Heiterkeit rechts.) Damals hätten die Herren von der Rechten auch gelacht; jeßt komme es den Herren allerdings so vor, als wenn sie es gewesen, die Oesterreih aus Deutschland gedrängt hätten. Seine Karrière hier im Hause habe er mit der kurhessishen und dann mit dex \chleswig:holsteinishen Frage eröffnet. Seine Partei habe die Sache in Fluß gebracht; sie habe die Politik vorgezeichnet, die später in Anwendung gebracht sei. (Große Heiterkeit rets.) Er kenne ja die viel höhere Begabung des Grafen Limburg-Stirum, aber er werde sich dadur nit abhalten lassen, das Verdienst seiner Partei gegen Verdunkelungzu schüßen. Er werde aber stets die öffentliche Politik niht blos im in- duktiven Sinne studiren. Gerade da, wo die Psychologie im Vordergrund stehe, wo der Mensch als denkender Men}ch opecrire, da könne man deduktiv verfahren, und sehr häufig aus der besonderen Gemüthsart und Veranlagung des Men- schen folgern, was derselbe wohl für eine Politik zu Stande bringen werde. Der Vorredner lasse ihn ganz willkürlich den Papst als einen älteren Herren betrachten, der zufällig in talien wohne. Das sei eben die große Differenz zwiscen ihm und dem Vorredner ; der Papst wohne gar nicht zufällig in Jtalien, er habe denselben wesentlih für einen Zlaliener gehalten, und, wenn das Papstthum nicht die größten Ne- volutionen erleide, so bleibe es noch lange Zeit eine wesentlich italienische Fnstitution. Daß das nicht Zufall sei, folge aus der ganzen Entwicklungsgeshihte des Papstthyums. Die hier vorliegenden Gesichtspunkte seien nichts anderes als Stadien der Entwicklung des Kulturkampfes; Fürst Bismarck glaube in dieser Form momentan eine Lösung herbeiführen zu kön- nen ; ob derselbe es in diesem Augenbli noch glaube, sei ihm nah den Vorgängen der leßten Zeit sehr zweifelhaft. So ein Gesandter müsse hon im Juni des vorhergehenden «Jahres angemeldet werden, wenn derselbe auf den Etat kommen solle, und da Fürst Bismarck dem Hause {hon im Novembex davon Mittheilung gemacht habe, fo sei der Gesandte also cine Sommerfruht des vorigen Jahres, die nun vielleicht hon wieder reif zum Abfallen sei. Man wisse nit, ob Fürst Bismarck nicht einen Tag nach der Bewilligung erfläre, er brauche den Gesandten jeßt nicht mehr. Seien doch die Herren, als dem König Georg von Hannover eine Masse Geld bewilligt werden sollte, voll von der Weisheit dieser Politik gewesen, und, ehe das Geseß noch publizirt gewesen sei, sci das Vermögen wieder mit Sequester belegt worden, und da hätten es die Herrrn eben so weise gefunden, daß man das Geld an sich gehalten und jahrelang zum Ver- derbniß der Presse verwendet habe. Gerade so könne cs mit dieser Angelegenheit auch gehen. Was der Nechten in diesem Augenblick als Bedürfniß erscheine, könne sich morgen als das Gegentheil ausweisen, daß der Gesandte nachher einfa ge- spart werde, daß man ihn unter den Minderausgaben des Jahres 1882—83 wiederfinde. Diese Art von Kampfespolitik habe er in allen Stadien eben nicht als eine nüßliche gefunden, welche er unterslüßen könne. Seine Partei werde dem Jnteresse des Landes und der Gesammtsituation am meisten durch Ab- lehnung der Vorlage dienen. Er zweifle, daß man von Seiten der Minister dem Hause irgend ein rosiges Bild ent- wickeln werde, etwa dem entsprehend, das der Abg. Stengel etwas frühzeitig habe an das Tageslicht treten lassen. Möge man in Preußen doch etwas vorsichtig sein und überlege man, daß man an vielen Stellen Gelegenheit finden werde, diese 90 000 A schr viel besser und fruchtbarer für die Jnteressen der eigenen Mitbürger anzulegen. Es könnten ja auch fatho- lische Mitbürger sein, denen man das zuwende. Und er glaube, das würde den Katholiken fühlbarer sein, als die Wohlthaten, die man dur diesen Gesandten in Nom herbeiführe.

Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, er wolle auf einen naßeliegenden Wettstreit niht eingehen, so verlockend die De- duktionen des Abg. Dr. Virchow auch gewesen scien. Die An- gelegenheit sei für ihn dazu zu ernst. Er hätte es am liebsten ge]ehen, wenn das Haus nah der Motivirung der Position dur den Regierungskommissar einfa abgestimmt hätte; das wäre wohl das Einfachste und Würdigste gewesen. Er nehme das Wort auch nur, damit an sein Schweigen nicht unrichtige Folgerungen geknüpft würden. Er betrachte die Wiederher-

stellung der Vertretung bei der Kurie als einen wohlüberlegten Sthritt der preußischen Staatsregierung, um die friedliche Ge- sinnung zu dokumentiren, welche sie beseele, und er begrüße die Vertretung in diesem Sinne, obwohl er mit der Motivi- rung nit vollsiändig einverstanden sei. Jede Gesandtschaft bei der Kurie liege viel mehr im Jnteresse des betreffenden Landes selbst, als in dem der Katholiken. Dies zeige deutlich das Verhalten Englands, welches stets großen Werth darauf gelegt habe, beim päpstlihen Stuhle vertreten zu sein. Die

Herren hätten sih gestritten, was eigentlih der Papst si, und.

Graf Limburg-Stirum habe ihn als eine Art Souverän hin- gestellt. Der Papst sei das sihtbare Oberhaupt der katho- lischen Kirche, zu der sich au in Deutschland viele Millionen befennten, derjelbe fei das Oberhaupt von mehr als 200 Millionen Christen, die demselben auf kirhlihem Gebiete folgten, wie keinem anderen Souverän seine Unterthanen ; der Papst habe keine Armeen, keine Generale, keine Polizei, und doch herrsche in seinem Reihe mehr Ordnung, als irgend anderswo. Selbst nach seiner Beraubung sei dem Papst dur cin Geseß seine Souveränetät garantirt worden. Dieser Souveränetät gegenüber habe die deutshe Regierung ab irato die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Die Gründe dafür seien nach seiner Meinung nicht stichhaltig gewesen, doch er wolle dieselben hièr nicht fritisiren, um niht unangenehm zu berühren. Man sage, es seien „unfreundliche Worte“ aus Rom gefallen. Jedenfalls seien diesen Worten „unfreundliche Thaten“ vorausgegangen. Jn Preußen habe der Minister Falk gerufen : „Auf gegen Nom!“ Wenn man da auf jener Seite in cinem Mollton nicht geantwortet habe, fo sei das nicht zu verwundern. Wenn er nun auth erfreut über die Wiederherstellung der Beziehungen sei, so hätte er do ge- wilinscht, daß sie in derselben Weise wieder angeknüpft worden wären, wie sie abgebrochen seien, nämlih durch eine deutsche

Gesandtschaft. Der Reichskanzler habe ja selbst im Reichstag

gesagt, daß derselbe nihts gegen eine solche deutsche Ver- tretung einzuwenden hätte, wenn die anderen deutschen Staaten sie geboten fänden. Einstweilen bewillige er aber die Position, weil er vertraue, daß der Reichskanzler die auswärtige Politik richtig leite. Für die Nationalliberalen sei es bezeichnend, daß sie das Vertrauen zur auswärtigen Politik des Kanzlers immer im Munde führten, in der Praxis aber ver- leugneten. Der Kanzler sei indeß viel zu sehr Staats- politiker, als daß derselbe Worte für Thaten nähme. Man habe nun gefragt, was dieser Gesandte denn zu thun haben würde und gemeint, die Entsendung eines sfolchen be- deute eine Verleugnung des Gedankens, daß man die Be- ziehungen des Staates zur Kurie durch einseitige Gesezgebung ordnen tönne. . Dies Wort klinge sehr stolz; aber der Papst sei einmal Oberhaupt der Kirche, welcher in Preußen und Deutschland Millionen Vürger angehörten. Dieses einseitige Vorgehen komme ihm so vor, als wenn zwei Gutsnachbarn die Grenze ziehen wollten und der eine sage, ec thue es kraft fouveräner Gewalt. So habe man es hier bei den Mai- gesehen gemacht und der Kirche sehr Bedeutendes abgepflügt. Das Centrum werde cs dem Staate wieder abnehmen, nur Geduld und Ausdauer! Und selbst wenn der von der Linken aufgestellte Saß rihtig wäre, so könnte diese einseitige Gesetz- gebung doch nur geordnet werden mit Nücksicht auf die Ver- hältnisse der Katholiken. Wenn das geschehen solle, so sei es durhaus nothwendig, daß der Staat sich vergewissere, wie dann feine Pläne von der andern Seite beurtheilt würden, dies zu erfahren, würde gerade die Aufgabe des Gesandten sein. Hätte man das bei den Maigeseßen befolgt und nur die Bischöfe hören wollen, hätte die Linke nicht in ihrem ein- seitigen Souveränetätsdünkel ganz ohne Rüesicht auf die Jnteressen der Kirhe und möglidst zu eigenem Nachtheile und Schaden diese Grenze ziehen wollen, so wäre man in Preußen nicht in die unglücklihen Verhältnisse ge- kommen, in denen man sih jeßt befinde. Vergesse man do nicht, daß in allen Dingen, wo die Kirche etwas Positives zu leisten habe, alle einseitigen Bestimmungen gar nichts helfen würden. Man könne denjenigen, den man zwingen wolle, ein- kerkern, ihm Geld wegnehmen : alles bleibe den Gewalthabern offen, aber zur Handlung zwinge man ihn nicht, zumal dann nicht, wenn das Gewissen entgegenstehe. Es werde cine ewig merkwürdige Erscheinung sein, daß die Männer, welche die Gewissens}reiheit proklamirten und täglih im Munde führten, diejenigen gewesen seien, welche zu kirchlichen Handlungen durch Kerker und Strafen hätten zwingen wollen und noch fortfahren wollten, das zu thun. enn der Staat da gesetz- lihe Drdungen schasen wolle, so liege es in seinem Interesse, si Klarheit zu verschaffen, inwiefern der heilige Stuhl in der Lage sei, stillschweigend oder ausdrüdlih zu acceptiren, was der Staat wolle. Außerdem werde der Gesandte auch die Personenfrage bei Besezungen von Bischofssißen zu regeln haben, derselbe werde also, so lange noch ein Stück der Mai- geseße bestehe, vollauf zu thun haben. Er wolle nur hoffen, daß es niht zu seinen Geschäften gerehnet werde, die Cen- trumsfraktion in einem falshen Lichte darzustellen, die Fraktion im Ganzen und die einzelnen Personen, aus denen sie bestehe. Wenn man die früheren Publi- kationen lese, so werde man begreifen, wie er dazu komme, so etwas für möglih zu halten. Sei das Centrum doh damals angeklagt, es hätte niht stimmen wollen für den Schuß der Pilze und Beeren! Er möchte den Regierungs- kommissar ausdrüdlih bitten, diesen Wunsch, den alle seine Genossen und die Katholiken theilten, dem Reichskanzler be- sonders zu berichten, damit die Weisungen des Hrn. Schlözer oder seines Nachfolgers danach eingerihtet würden. Daß außerdem eine Reihe von Geschäften zwishen den Katholiken und dem heiligen Stuhl vorkämen, welhe ganz zweckmäßig durch die Gesandtschaft erledigt werden könnten, brauche er ebenso wenig ausêeinanderzuseßen, wie daß es eine Anomalie sei, einen solhen Gesandten abzuschiken und im Gesetze stehen zu lassen: der Papst habe hier eigentlih nihts zu sagen. Es könnte irgend ein wißiger Monsignore im Vatikan doch mal darauf aufmerksam machen, daß es kurios aussehe, daß man zu einem Manne komme, den man in seiner Heimath abgeseßt habe. Daneben betone er, daß bei der hohen Bedeutung, welce der Papst für die Katholiken habe und welche dem- selben unwillkürlih auch von den Nihhtkatholiken bei elegt werde, bei secinem doyen moralischen, geistigen Einfluß auf die ganze Welt und auf die ganze Weltgeschichte es im höch- sten Grade wichtig sei, in der gegenwärtigen Zeit, wo Älles in der Auflösung begriffen sei und wo man den {weren sozialen Gefahren gegenüberstehe, daß von dieser Stelle zur Beshwich- tigung und zum Ausgleich in diesen Dingen mitgewirkt werde. Er habe die Ueberzeugung, daß diese Einwirkung der Kurie niht allein für Deutschland, sondern für die Welt viel wirksamer

sei, als alle Geseße, die man bisher geplant habe, um dem

sozialistishen Uebel zu Leibe zu gehen. Grade der gegen- wärtige Augenblick sei dazu geeignet, die Gesandtschaft an die Stelle zu s{hicken, woher solche Hülfe kommen könne. Graf Limburg habe gesagt, es könnte faum eine nüßlihere Aus- gabe gemacht werden, wie diese. Dieser Ansicht sei er au. In der Hoffnung, daß der Gesandte mit rihtigen Fnstruktionen versehen werde, bewillige er diese Position unter Abstattung des Dankes der Katholiken für diesen Beweis friedlicher Ge- sinnung und freundlichen Entgegenkommens. Er schließe sih gern dem Wunsche des Abg. Stengel an, daß von dieser Position aus der Friede sich weiter und weiter anbahnen möchte, und er konstatire mit Befriedigung, daß dies besonders betonte Friedenswort von dem Abg. Stengel gekommen sfci, dessen Fraktion sonst Einiges zu wünschen übrig gelassen habe. Der Abg. Virchow, ein genauer Kenner der Herzen der Menschen, habe gesagt, das komme* von dem guten Herzen. Nun wohl, lasse man ihn annehmen, daß heute das gute Herz der Freikonservativen gesprohen und daß die Blutcirkulation so ras sein möge, daß sie auch in die andern Theile diefes Körpers übergehe. Er bitte, einmüthig oder doc mit großer Majorität, was' hier verlangt sei, zu bewilligen, haden werde es dem Staate ganz sicher nicht.

Die Diskussion wurde geschlossen , die Position sowie der Nest des Etats, letzterer ohne jede Diskussion, angenommen.

Es folgte der Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe.

Kap. 29 der Einnahme wurde ohne Debatte genehmigt.

Bei Kap. 67 des Extraordinariums Ministerium, 222 510 #, Tit, 1, der Minister (ohne Gchelt)- brachte der Abg. Dr. Franz die traurigen Verhältnisse der Hausindustrie der Weberdistrikte im \{lesishen Eulengebirge zur Sprache. Es herrsche dort ein permanenter Nothstand, dem die Provin- zialbehörden leider nicht von Anfang an die nöthige Auf- merksamkeit gewidmet hät!en. Aus den Nothlisten, die die Armenkommission in Peterswaldau aufgestellt babe, gehe her- vor, daß Familien mit 5 Kindern, die an 2 Webestühlen ar- beiteten, einen Jahresverdienst von 418 A hätten, von dem noch eine Reihe von Steuern abgehe. Höchst bedauerlich sei es, daß der Kultus-Minister im vorigen Zahre troß der Be- fürwortung des Ober-Präsidenten nicht erlaubt habe, daß die Vinzentinerinnen in dem Nothstandsbezirk eine Kinder- bewahranstalt gründeten. Besonders s{limm Fsänden die Verhältnisse in den Kreisen Neurode und Glaß, und zum nicht geringen Theile seien dieselben auf das an vielen Orten bestehende Justitut der Ausgeber zurückzuführen, die als Zwischeninstanz zwishen den Fabrikanten und den Webern den Verdienst der leßteren verringerten. Auch der Unfug des Trucksyftems bestehe dort noch vielfach, und es sei an der Zeit, daß der Staatsanw:lt demselben seine Aufmerksamkeit widme. Ganz bedeutend leide die shlesishe Weberindustrie unter der Konkurrenz der Elsässer und der englishen Baumwollenwaaren, und es erwachse der Negierung die Pflicht, zu erwägen, auf welhe Weise diesen Gegenden zu helfen sei. Die Arbeitgeber seien im Ganzen ihrer fozialpolitishen Aufgabe weniger gewachsen, als 3. D. im Westen der Monarchie, und es sei zu wünschen, daß die Handelskammern si lieber wit der in ihrem Bezirke herr- schenden Nothlage, als mit hoher Zollpolitik beschäftigten.

Der Regierungskommissar, Unter-Staatssekretär Dr. von Moeller entgegnete, die von dem Vorredner angeregte An= gelegenheit sei vor einigen Wochen im Reichstage zur Sprache gekommen, und die Regierung habe eine Untersuchung der Verhältnisse in der vom Vorredner bezeihneten Nichtung ein- geleitet. Sollte sich als Resultat herausstellen, daß ein Noth- stand bestehe, der der Abhülfe bedürfe und dem von Staats- wegen abgeholfen werden könne, so werde die Regierung Alles thun, um eine Besserung herbeizuführen. Der Wunsch, daß sich die Handelskammern an den Erhebungen betheiligten, werde mit Leichtigkeit erfüllt werden können.

Der Abg. Ridert brachte bei dieser Gelegenheit Reskripte des Handels-Ministers an die Handelskammern zur Sprache, deren Vestimniung und Einrichtung durch das Geseß vom 24. Februar 1870 geregelt fei. Jn dem einen vielbesprohenen Reskript werde zunächst von den Handelskammern ver- langt, daß sie die Oeffentlichkeit ihrer Sißzungen einführten. Sollten die Handelskammern diese Forderung nicht erfüllen, fo dürfte dem Handels-Minister kein Mittel zur Seite stehen, sie dazu zu zwingen, denn in dem Gesetze stehe nur, daß die Kammern die Oeffentlichkeit beschließen könnten, es sei also ihrem freien Ermessen anheimgegeben. Weiter verlange das Reskript, daß die Kammern ihre Sißzungsprotokolle einsenden sollten, daß sie den Jahresberiht vor seiner Veröffentlichung zur Censur einreichen, und den Einsendungstermin pünktlicher innehalten sollten. Gegen das leßte Verlangen lasse sich nihts sagen. Die anderen beiden Punkte aber müsse er nah wieder- holter Durchlesung des Gesetzes als absolut unvereinbar mit dem Wortlaute und dem Sinne desselben bezeihnen. Es gebe in dem Geseze keine einzige Bestimmung, auf Grund deren die Einsendung der Protokolle gefordert werden könne. Es gebe keine Bestimmung über eine Einreihung des Berichts vor seiner Veröffentlihung behufs einer Censur. Diese For- derungen gingen vollständig über den Rahmen des Gesetzes hinaus. Der Minister von Boetticher habe im Reichstage ge- sagt, die Handelskammern seien Organe der Staatsregierung, deren Pflicht es sei, wahrheitsgetreue thatsähliche Mittheilun- gen zu machen, an dem subjektiven Urtheile derselben habe Niemand ein Jnteresse. Gr wünsche nur, daß die Negierung denselben Maßstab auch bei der Behandlung derjenigen Kam- mern angewendet hätte, die Lobeshymnen auf die Erfolge der neuen Wirthschastspolitik angestimmt hätten. Von denen ver- lange man nicht nur Jnformationen über Thatsachen, sondern man lasse sogar ihren sehr subjektiven Urtheilen die Ehre der Verbreitung durch den „Staats-Anzeiger“ und die „Provinzial-Correspondenz“ angedeihen. Er glaube, die ganze Deduktion des Ministers leide an dem Hauptfehler, daß derselbe die Handelskammern für „Organe der Staats- verwaltung“ halte. Davon stehe kein Wort im Geseß. Der Minister wolle die Kammern zu untergeordneten Behörden machen, während sie die Vertretung der gesammten Interessen des Handelsstandes seien und diese Aufgabe nah eigenem Er- messen zu erfüllen hätten. Was solle man aber nun dazu sagen, daß die Oeffentlichkeit der Sizungen der Kammern verlangt werde, und gleichzeitig die uncensirte Veröffentlihung des Seer verboten werde, der doch in den öffentlichen

une hergestellt und verlesen werde. Das sei doch der krajseste Widerspruh. Man könne in den öffentlichen Sißungen den Bericht nachstenographiren und in den Zeitungen ver- N E noch ehe derselbe an den Handels-Minister gelange. Nun sei die ganze Angelegenheit neuerdings in ein Stadium getreten, das in hohem Grade auffällig sei. Die Handels-

ihrem eigenen Jnteresse, den Weg der Unterdrückung der freien

. seien. Die Kammer hätte sich darauf beshränken können,

fammer von Hannover habe gegen das Neskript des Han- dels-Ministers, das mit den geseßlihen Bestimmungen nicht vereinbar sei, ehrfurchtsvollen Protest erhoben. Als Antwort sei derselben ein Erlaß des Ministers zu Theil geworden, in dem derselbe für den Fall, daß seine Forderungen unbefolgt blieben, der Kammer die Auflösung androhe. So lange Han- delskammern beständen, hätten sie ihre Aufgabe, die Jnteressen des Handelsstandes zu vertreten, im freien Meinungsaus- tausche erfüllt; der Aera der neuen Wirthschaftspolitik sei es vorbehalten gewesen, die freie Meinungsäußerung zu unter- drücken. Er dächte, auch die Herren von der Rechten, die in wirthschaftlihen Dingen Gegner von ihm seien, hätten ein Interesse daran, daß ihre Gegner zu Worte kämen. Das ganze Verfahren sei ein Symptom derjenigen Politik, die au im Volkswirthschaftsrath sih offenbare. Er bitte die Nechte, in

Meinung zu verlassen ; Nußen habe sie doch nicht davon, die Wahrheit breche si s{ließlich doch Bahn !

Der RNegierungskommissar, Unter-Staatssekretär Dr. von Moeller erwiderte, die Ausführungen des Vorredners gipfelten in dem Saße, daß derselbe die Handelskammern nicht für Organe der Staatsregierung, sondern für unabhängige Ver- treter bes Handelsstandes halte und glaube, daß die Maß- nahmen des Handels-Ministers über die geseßlihen Bestim- mungen hinausgingen. Er glaube, das Urtheil des Vor- reèners würde anders ausgefallen sein, wenn derselbe nicht die Handelskammern von vornhetein den freiwillig zusammen- getreteuen Vereinen gleich gestellt hätte. Das Geseg von 1870 biete aber keine Veranlassung, sie auf diese Linie zu stellen. Die Kammern seien unter der Mitwirkung und Ge- nehmigung der Negierung entstanden, das Gesetz lege ihnen gewisse Pflihten auf und verleihe ihnen dafür gewisse Rechte. Wenn also die Handelskammern der Staatsgewalt ihre Ent- stehung verdankten, dann unterliege es doh keinem Zweifel, daß möge man es nun aus dem speziellen Geseß oder aus allgemeinen Geseßen folgern der Regierung Mittel zu- stehen müßten, sie zur Ecfüllung ihrer Pflicht zu zwingen. ‘Nach §. 1 seien sie verpflichtet, dur thatsächlihe Mittheilungen und Gutachten die Regierung zu unterstüßen ; prüfe man danach den Erlaß des Handelz-Ministers, so werde man ein- gestehen müssen, daß derselbe nihts Ungerechtes oder Unbilliges verlange. Auch die Forderung der Einsendung der Protokolle stße si auf den 8. 1, die Protokolle gehörten au zu den that- sächlihen Mittheilungen, und die Regierung habe sich bereits über- zeugt, daß sie aus denselben ein größeres Material faktischer Mittheilungen erhalte als bisher. Darin liege also doch nichts Bedenlkliches. Was den zweiten Punkt, die Oeffentlichkeit der Sizungen anbelange, so handele es sih da nur um einen Wunsch, den der Handels-Minister ausgesprochen habe, denn das Gesetz stelle es allerdings in das Ermessen jeder Kammer, ob sie die Oeffentlichkeit beschließen wolle oder niht. Ein Mittel, die Erfüllung dieses Wunsches zu erzwingen, habe die Negierung nicht. Gegen die Mahnung, daß die Handels- kammern den gescßlih fixirten Termin der Einsendung der gahresberihte innehalten sollten, habe auch der Vorredner nichts einzuwenden gehabt; die Erfahrung zeige nämlich, daß viele Kammern mit ihren Berichten oft mehrere Monate im Rückstande geblieben seien. Was nun die Einreihung der Jahresberihte vor ihrer Veröffentlihung anbelange, so sei er erstaunt über die Konsequenzen, die man daraus gezogen habe. Nichts liege der Absicht des Ministers ferner als eine Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, und er denke, jein ganzes Verhalten gegen die Kammern liefere cinen Beweis dafür. Von den etwa 80 bestehenden Handelskam- mern sei mehr als ein Drittel in Gegnerschaft gegen die jèbige Wirthschastspolitik, troydem sei der Handels-Minister noch mit keiner darüber in Verhandlung getreten, ob ihre Bedenken gegen seine Politik gerechtfertigt seien oder nicht. Das Gesey schreibe eigentlih zwei Berichte vor, deren einer für den Minister, der andere für die Veröffentlihung bestimmt sei. Die Kammern hätten sich aber zum größten Theil daran gewöhnt, sich die dop- pelte Arbeit zu ersparen, sie hätten nur einen Be- riht gemacht, ihn an den Minister adressirt, und denselben gleichzeitig drucken und publiziren lassen. Der Minister wolle nun die Kammern nicht zur Abfassung zweier Berichte zwingen, auch nicht die Veröffentlihung des für ihn bestimmten Be- rihtes inhibiren, derselbe habe daher nur verlangt, daß der Vericht, ehe derselbe veröffentlicht werde, ihm vorgelegt werde, damit er Berichtigungen eintreten lassen könne, aber wohl- verstanden nicht Berichtigungen von Mcinungen, fondern von Thatsachen. Es kämen nämlich Jahr fürFahr thatsächlihFrrthümer in den Berichten vor und es sei doh niht mehr als billig, daß dieselben so bald und so wirkungsvoll als möglich berichtigt würden. Dieses Verlangen sei doch nicht als ein Uebergriff aufzufassen ; der Minister nehme damit nur ein Recht in An- spruch, das das Preßgeseß jedem Privatmanne sichere. Auch gegenüber der Handelskammer von Hannover sei von einem Uebergriffe keine Rede. Dieselbe habe erklärt, daß das Re- skript des Ministers in ihre Befugnisse und ihre Autonomie eingreife, und habe dagegen, wie sie sage, ehrfurchtsvoll protestirt. Wenn der Minister der Vorgeseßte der Kammern jei, dann habe keine derselben das Necht, in Bausch und Bo- gen gegen eine Verfügung zu protestiren, in der doch zwei Punkte selbst nach der Meinung des Vorredners berechtigt

gegen einzelne Punkte des Reskripts zu protestiren, die sie für geseßlih niht begründet gehalten habe; ihr jeßiges Verfahren sei aber mit der Stellung nicht verträglich, die das Gesetz den Handelskammern anweise, sie habe damit ihren Beruf bei Seite gelegt, und es bleibe dem Minister nur das Mittel der Auflösung übrig. Man habe es für zweifelhaft gehalten, ob dem Minister das Necht der Auf- lösung zustehe; einmal sei hon von diesem Mittel Gebrauch gemacht worden, und wenn auch von diesem Recht nicht aus- drücktlih im Gese gesprochen sei, so bitte er doch zu bedenken, daß die Kammern nicht juristishe Personen, sondern nur be- gutachtende Kollegien seien, deren Errichtung nur in der Hand des Ministers liege. Man könne doh nicht deduziren, daß die einmal vom Minister errichtete Kammer in alle Ewigkeit fort- bestehen oder erst dur spezielles Geseh aufgelöst werden solle. Der Minister habe die Handelskammer von Hannover zur nochmaligen Ueberlegung aufgefordert; er hoffe, daß dieselbe in dem Resultate gipfeln werde, dem Reskripte Folge zu leisten, und somit eine-Maßregel unnöthig machen werde, die seit dem

Vestehen der Kammern erst einmal Anwendung gefunden habe.

Der Abg. Richter bemerkte, die Berufung des Regierungs- kommissars auf die Vergangenheit des Handels-Ministers fei doch etwas unvorsihtig; man könne aus derselben eher das

Kommissar neben dem Handelskammergeseß ein ungeshriebenes Korporationsrect, aus dem derselbe beliebige Befugnisse gegen die Handelskammern herleite. Das habe gewiß Niemand von denen, die seiner Zeit das Geseß berathen hätten, voraus- gesehen. Niemand sei vielmehr darüber im Zweifel gewesen, daß Alles, was der Aufsichtsbehörde habe gegeben werden müssen, in jenem Geseßze selbst enthalten sei. Nun fei hier von einem Auflösungsrehte des Staates keine Nede, woraus natürlich hervorgehe, daß eben die Handelskammern feine Organe der Staatsregierung seien. Dieselben seien nur berathende, begutahtende Körperschaften, und wenn ihr Rath, ihr Gutachten \{lecht ausfalle, lasse man es unberücksihtigt. Die hannoveriste Handelskammer habe durchaus richtig gehandelt ; sie würde ihre Pflicht vernachlässigt haben, wenn sie dur das Minkisterialreskript sich in ihrem Berufe, unabhängig und selbständig ein Gutachten abzugeben, hätte irre machen lassen. Er würde die Handelskammer be- dauern, wenn sie jeßt, gegenüber diesen Anforderungen, zu Kreuze kriehen wolle. Wenn die Rechte jeßt das ganze Jn- stitut dem Belieben des Ministers anheimgeben wolle, dann wäre es besser, dasselbe doch licber ganz zu beseitigen. Ein fo gedemüthigtes Jnstitut, das nicht einmal seine Aufgabe selbst- ständig erfüllen könne, sei wirklich nicht werth, daß der Steuer- zahler dafür nur einen Pfennig beitrage. Auch die weitere ¿Forderung des Kommissars, die Handelskammern hätten ihre Berichte vor der Veröffentlihung dem Minister zuzusenden, sei geseßlih niht begründet. Man habe die Handelskammern getegtid verpflihtet, am S{!uß eines jeden Jahres über die age und den Gang des Handels und Gewerbes durch die öffentlichen Blätter Kenntniß zu geben. Die Handelskammern könnten diese Uebersicht soweit ausdehnen, daß alles in der- selben stehe, was in dem Bericht an dem Minister überhaupt für die Oeffentlichkeit interessant sei. Damit werde also au das vúllig hinfällig, was man als Zweck der Kontrolle im 8. 32 anführe. Die Handelskammern berichteten falsche Thatsachen von Behörden, sage der Regierungs- kommissar, diese Behörden müßten in _die Lage ge- bracht werden, gleichzeitig mit der Veröffentlihung auch diese falshen Thatsachen zu berihtigen. Wolle denn der Minister diese Entwürfe sür die Oeffentlichkeit allen B:hörden, aus deren Ressorts Thatsachen in den Handelskammern ständen, zuschicken? Wann würden die Berichte überhaupt veröffentlicht werden können? Wenn die Behörden gleichzeitig mit diesen Berichten auch ihre Berichtigungen veröffentlichen sollten, so komme man auf die Censur; das sei der alte Standpunkt vom beschränkten Unterthanenverstand, der hier wieder hervor- trete. Dann führe man doch gleih die Censur ein für alles, was die Kritik der Behörden irgendwie betreffe. Die Ver- anlassung dieses ganzen auffälligen Vorgehens gegen die Handelskammern sei der bekannte Bericht der Handelskammer in Grünberg, der darauf ein sofort im „Staats-Anzeiger“ ver- öffentlichtes Reskript zugegangen sei, des Jnhalts, daß ihr Urtheil ihren angeführten Thatsachen widerspreche. Solches Vorgehen sei in keiner Weise weder gegen diese, noch gegen die Handels- fammern überhaupt gerechtfertigt. Das Reskript weise auf die starke Hebung ves Eisenbahnverkehrs hin, was die Handels- kammer auf die Art der statistishen Erhebung zurüdcführe. Die Verdoppelung der Anzahl in Grünberg eingeführter Tonnen Kohlen im Jahre 1880 gegenüber 1878 lomme davon her, daß mehr böhmische Braunkohlen eingeführt seien, weil die Grünberger Bergwerke im Betricbe und in der Produktion zurückgegangen seien. Aus diesem auswärtigen Ersaß von Steinkohlen habe nun der Handels-Minister den Aufschwung der Grünberger Verhältnisse gefolgert, Die _Hebung des Telegraphenverkehrs, speziell der Anzahl Depeschen in das Ausland erkläre die Handelskammer durch die Vermehrung der Telegraphenstationen und die Anwesenheit einiger Eng- länder, die häufiger nah Hause telegraphirten. Gerade weil das Girokonto bei der Reichsbank fich verdoppelt habe, sei der Grünberger Geldverkehr bei der Post um ein Bedeutendes vermindert, aber im Handel3-Ministerium wisse man*?von diesem Zusammenhange nichts! Die außerordentlihe Zunahme der Waarenprobensendungen seit 1878 erkläre die Handelskammer dadurch, daß die Zählung derselben bei der Post nicht das ganze Fahr hindurch gemaht werde, sondern daß nach dem Resultat einer gewissen Woche der Umschlag des Waaren- probeversandts sür das ganze Jahr berechnet werde, und gerade 1880 sei das eine Woche gewesen, wo zufällig große Portionen Waarenproben aufgegeben seien. Der Negierungs- kfommissar habe von preußischen Traditionen gesprochen, die ein- fachste Tradition der alten Bureaukratie sei t och die gewesen, daß man wenigstens keinen verurtheilt habe, che man ihn gehört habe. Statt dessen dieses scharfe Reskript. Nach diesem Muster abe man die andern Handelskammern behandelt, dieselben Institute, auf welhe man den Volkswirthschaftsrath gegrün- det habe. Man wolle für die Handelskammersißungen Oeffent- lichkeit, während der Volkswirthschastsrath hinter verschlossenen Thüren siße und statt Gutachten abzugeben, über Sachen, die nicht derselbe verstehe, über das Tabaksmonopol plaudere. Das Verfahren gegen die Handelskammern zeige, was dem Reichs: kanzler am Parlamentarismus nicht passe, wenn es ihm auch in der unschuldigen Form des Gutachtens einer Handels- kammer entgegen trete. Der Negierungskommissar entgegnete, daß dem Abg. Nichter, seine (des Redners) Darlegung über die rethtliche Stellung der Handelskammern nicht gefalle, glaube er wohl. Er wolle dem Abg. Nichter gegenüber auch feinen weiteren Versuch der Ueberredung machen. Die vom Abg. Nichter an- geführten Erläuterungen der Grünberger Handelskammer seien von erheblicher Bedeutung ; wenn man sie nicht kenne, bekomn:e man ein anderes Bild von der dortigen Geschäftslage. Jn dem Bericht dieser Kammer befänden ‘sih übrigens ganz selt- same Widersprüche. Jm speziellen Theil werde eine Hebung der einzelnen Branchen konstatirt, im allgemeinen werde aber die Lage als überaus mißlich dargestellt. Entweder seien die verschie- denen Theile von zwei verschiedenen Personen abgefaßt oder der Bericht sei mit einem folchen Mangel an Ueberlegung emacht, wie man es bei einer Handelskammer nicht voraus- egen sollte, Die Handelkammer habe versucht, ihre Zahlen in ein anderes Licht zu stellen, indem sie zu jeder statistischen Position Erläuterungen gegeben habe, auf die man gar nicht hätte kommen können, So werde die Steigerung des Telegraphen- verkehrs mit der Vermehrung, der Telegraphenstationen erfärt, Eine ärgere Verwehslung von Ursache und Wirkung sei wohl noch nicht vorgekommen. Die Stationen würden vermehrt, weil eben das Bedürfniß danach vorhanden sei. Dann seien die dort lebenden Engländer angeführt. Das scien Leute, die in Grünberg ansässig seien, und wenn diese viele geschäftliche Telegramme absendeten, so könne man daraus wohl auf eine

sendungen betreffe, so habe die Neihspostverwaltung in Folge zahlreicher statistisch*x Arbeiten in derartigen Untersuchungen eine so große GeschiClichkeit erlangt, daß sie stets den rechten Zeitpunkt für diese Zählungen zu finben vermöge. Die Re- gierung könne verlangen, daß vei aller Verschiedenheit der Auffassung Seitens der Handelskammern auf die Jahresberichte die größte Sorgfalt verwendet werde. Geschehe das nit, dann sei der Handels-Minister berechtigt, sein Mißfallen aus- zusprehen, da man demselben niht zumuthen könne, daß er unbrauchbare Berichte shweigend hinnehmen solle. Nun heiße es aber, der allgemeine Theil des Berichts habe nicht die Grün- berger Verhältnisse, sondern die allgemeine Lage im Auge ge- habt. Seien in jenem Jahre die Verhältnisse so traurig ge- wesen? Der Abg. Richter sage, die Handelskammer in Han- nover habe mit ihrem Protest gegen das Cirkularrefkript ihre Pflicht gethan. Handelskammern, die nicht protestirt hätten, ihce Vflicht ver- säumt hätten? Von allen (einigen 80) Handel«kammern hätten nur zwei protestirt, zwei andere hätten ihr Bedenken in Form von Fragen vorgebracht, die übrigen hätten keinen Widerspruch erhoben, ja ein erheblicher Theil habe bereits

tehme der Abgeordnete an, daß alle die

6 im Reskript gestellten Forderungen zu erfüllen ange- angen. Der Abg. Jacobi bemerkte, er könne sich mit dem allge- meinen Naisonnement der Grünberger Handelskammer nicht einverstanden erklären. Es sei bekannt, daß die Grünberger Industrie während der Gründerzeit sehr tief gesunken ge- wesen sei, aber in leßter Zeit habe sie sih bedeutend gehoben. Er lasse dahingestellt, ob dies propter oder post neue Zoll- politik eingetreten sei. Er wolle damit nicht sagen, daß das Verdammungsurtheil gerechtfertigt sei, bevor noh Grünberg gehört sei. Berwundert sei er über das Cirkularresfript vom November vorigen Jahres. Wenn eine Handelskammer ge- sündigt habe, sei es da begründet, daß darunter alle anderen [leiden müßten? Durch dieses Restript seien die Handels- Tfammern deterioris positionis gemaht worden. Durch das Gesey von 1870 seien sie aus ihrer früheren Unter- ordnung zur autonomen Stellung gelangt. Man sei damals der Meinung gewesen, daß sie keineswegs zu Organen der Staatsverwaltung gemacht werden sollten. Jn dem Reskript widersprächen zwei Punkte dem Geist des Gesetzes. Das Reskript verlange vierteljährliche Einsendung der Pro- tokole. Nah dem Geseß müßten Auszüge aus Protokollen wohl veröffentlicht werden, aber die Einsendung der vollstän- digen Protokolle selbst sei bedenklih, da in denselben aut persönliche Angelegenheiten vorkämen. Die Protokolle würden wohl Anfangs gelesen werden, würden aber späterhin doch nur {äßbares Material sür die Akten bleiben. Ferner solle der zahresberiht vor seiner Veröffentlihung dem Handels- Minister, kurz gesagt, zur Censur vorgelegt werden. Das liege niht im Geiste des Geseßzes. Wenn das Haus daran gedacht hätte, so hätte es sicherlih eine bezügliche Bestimmung in das Geseß aufgenommen. Wenn der Handels-Minister glaube, die Autonomie der Handelskammern beschränken und unter ein bureaukratishes Net bringen zu sollen, so müsse derselbe den Weg der Gesetzgebung beschreiten. Eine überstürzte Maßregel könne er aber nicht billigen. N Hierauf vertagte sich das Haus um 4?/, Uhr auf Mitt- woh 1 Uhr.

Nr. 4 des Archivs für Post und Telegraphie, Beihefk zum Amtsblatt des Reichs-Postamts, herausgegeben im Austrage des Reichs-Postamts, hat folgenden Inhalt: Aktenstücke und Auts säße: Die Berathungen im Reichstage über den Etat der Reichs Post- und Telegraphenverwaltung für das Jahr 1882/83, Die Einführung von Postsparkafsen in Frankreih. Die Zeitrechnung der Mohammedaner. Das Kaiserreih Japan. Kleine Mitthei- lungen: Internationale Packetpost. Eifenbahnen in den australischen Kolonien Neu-Süd-Wales und Queensland. Das Projekt der Er- bauung einer Sladtbahn in Paris. Die New-Yorker Hochbahnen. Flaschenpost. Zeitschriften-Ueberschau. 4 :

Nr. 2 des Ministerial-Blatts für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich preußishen Staaten, her- ausgegeben im Bureau des Ministeriums des Innern, hat folgenden Inhalt: Cirkular, die re{nungsmäßige Justifikation der den Stan- desbeamten zu zahlenden Vergütungen für Ausfüllung von Zählkarten für das statistische Bureau betreffend, vom 24. Dezember 1881. Cirkular, die Herstellung der Schöffenlisten betreffend, vom 18. Ja-

nuar 1882, Verfügung, den dienstlichen Verkehr der Landräthe mit den Kreisbaubeamten betreffend, vom 30. Januar 1882, Er-

kenntniß des Königlichen Gerichtshofes zur Entscheidung der Kom- petenzkonflikte, vom 14. Januar 1882, Wenn die kirchlichen Ge- meindeorgane zur DeckXung eines kirchlichen Baubedürfnisses eine Um- lage beschließen, so bildet dieser von der Staatsbehörde für vollstreck- bar erklärte Beschluß die nächste Rechtsnorm für die Betheiligten, {ließt also die Anwendung entfernterer Rechtsnormen über kirchliche Baulast aus und kann im Necht8wege nur insoweit angegriffen wer- den, als dies bei öffentlihen Abgaben überhaupt statthaft ist. §. 31 Nr. 6 der Kirchengemeinde-Ordnung vom 10. Sep- tember 1873 und S. 15 des Geseßes vem 24. Mai 1861. Erlaß, die den Medizinalbeamten für die Besorgung medizinalpoli- zeilider Geschäfte zu gewährenden Vergütungen betreffend , vonr 28. Januar 1882, Cirkular, die Revisionen der in gerichtlichen Gemüthszustands- und Leichenuntersuchungen aufgenommenen Proto- kolle und Gutaten betreffend, vom 9. Februar 1882, Erlaß, die Schmälerung des Bürgerrechts während des Konkurses betreffend, vom 5. Dezember 1881. Erlaß, die Prüfung der Kandidaten für den Gemeinde-Forstverwaltungédienst betreffend, vom 10. Dezember 1881. Die Veranlagung der Lehrer an höheren Bürgers- 2c. Schulen zur Gemeindecinkommensteuer betreffend, vom 25. Dezember 1881. Erkenntniß des* Oberverwaltungsgerichts vom 16. November 1881, bes treffend die Frage, inwieweit eine freiwillige unter polizeiliher Ge- nehmigung gebildete Feuerwehr ein zur Aufrechterhaltung der öffent- lihen Ordnung dienendes Organ und folgeweise verpflichtet ift, den Anordnungen des auf der Brandstelle anwesenden Polizeidirigenten sich zu unterwerfen. §. 85 der Feuerpolizeiordnung für Westfalen vom 30. November 1841, §. 6 des Gesetzes vom 12. Februar 1850. Cirkular, die Bestellung Königlicher Forftshußbeamten zu Hülfs- beamten der Staatsanwaltschaften betreffend, vom 23. November 1881. Verfügung, die Berehnung der Transportkosten in Straf» sachen betreffend, vom 10. Dezember 1881. Cirkular, die Ver- pflihtung der Beamten der ausübenden Polizei bei den Königlichen und städtischen Polizeiverwaltungen, im Dienste Uniform zu tragen, betreffend, vom 18. Januar 1882, Cirkular, Tagegelder und Reise» kosten für Gensd'armen bei Verrichtung von Geschäften außerhalb des Patrouillenbezirks betreffend, vom 21. Januar 1882. Cirkular, das Neinhalten der Luftzuführungékanäle sowie der Heizkammern 2c.

bei Luftheizungen betreffend, vom 28. Januar 1882, Cirkular, die Behandlung der im Bereiche der Forstverwaltung vorkommen- den Bauten betreffend, vom 19. Januar 1882 Cirkular, die

Verhütung von Waldbränden aus Anlaß der Truppenbivouaks bes treffend, M 23. Januar 1882. Cirkular, den Fortbildungs8unter« riht der gelernten Jäger bei den Jäger-Bataillonen betreffend, vom 2. Februar 1882.

gerade Gegentheil folgern. Jm Uebrigen konstruire sich der

Hebung des Geschästes {hließen. Was die Zahl dex Postver-

E