1882 / 59 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 09 Mar 1882 18:00:01 GMT) scan diff

von ihm hätte erwarten sollen. Er sei der Meinung, man solle, so lange es möglich sei, an der bestehenden Kirchenor ‘dnung festhalten. Wenn der Staat aber fortfahre, seine P¿acht zu gebrauchen, um auf kirchlihem Gebiet den Einfluß ‘ver Geist- Lichen zu brehen, dann müsse man die Trennung der Kirche en Staat anstreben und darnach die Kirchenordxcungen ein- richten. Der Abg. Dr. Langerhans bemerkte, die Angelegenheit Fei keine innerkirchlihe. Es werde hier die Macht des Staates gegen die Uebermacht der Kirche angerufen, die gegen die Staatsgescße gehandelt habe. Mit welhem Recht habe der Propst den beiden Predigern eine Warnung geben können? Demnächst nahm der Staats-Minister von Goßler, “wie folgt, das Wort: Meine Herren! Im Großen und Ganzen stehe ich vollkommen auf dem Standpunkte, welcher in dem Kommission3bericht dem hohen ause vorgetragen worden ist, Ich kann Sie darum nur bitten, dem ntrage Ihrer Kommission beizutreten. i Die Ausführungen des letzten Herrn Vorredners haben meines Grachtens den Charakter der gegenwärtigen Petition etwas verschoben, die Ausführungen hatten überwiegend den Charakter von Erörte- rungen in einer Synodalversammlung, welche die Frage er- örtert, inwieweit ein Geistliber seiner vorgeseßten Kirchen- behörde gegenüber Rechenschast zu geben schuldig it, oder derselben gegenüber ge\{üßt werden kann. Die Frage, um die es sich hier handelt, ist von den Petenten ganz richtig gestellt worden, indem sie bitten, sie in ihren staatsbürgerlihen Rechten zu hüten. Es fragt fch hierbei zunächst, liegt eine Verlegung von staatébürgerlichen Rechten vor? Und in dieser Beziehung, so muß ih ofen gestehen, Haben mich die Ausführungen der beiden Herren, welche gegen den Kommissionsbes{luß gesprochen haben, nicht zu überzeugen vermocht. Das ftaatsbürgerliche Recht, um das es ih hier handelt, kann nur das der freien Versammlung sein. Mit Bezug hierauf ist die entscheidende Frage: was ist den Petenten verboten ? Den Petenten ift, wenn man die Verfügung des Propstes, der im Namen des Konsistoriums gesprochen hat, und die Verfügung des Kultus- Ministecs, meines Herrn Amtsvorgängers, zusammenbält, verboten, erstens, außerhalb ihrer Parocialbezirke reli iófe Versamm- [ungen cinzuberufen, oder wie es in der Verfügung heißt, abzuhalten, ohne Genehmigung des Pastors loci und zweitens außerhalb ihrer Parochie in derartigen Versammlungen religiöse Vorträge zu halten. Dagegen ist ihnen nit verboten, fich an sfolhen Versammlungen zu betheiligen. Wenn Sie sih den Wortlaut des Art: 29 der Verfassung ansehen, worin es heißt: Alle Preußen sind berechtigt, ih ohne vorgängige obrigkeit- lihe Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in ges{losenen Näumen zu versammeln, | : so würden sogar meines Erachtens in staatsrechtlicher Hinsicht Zwwei- fel mögli fein, ob überhaupt selbst bei der {ärfsten Auslegung der hier inkriminirten Verfügung gegen Art. 29 verstoßen worden ist. Ich lege niht auf diese \taatsrechtlihe Erörterung besonderen Werth, denn die Frage, um die es \sih meines Erachtens handelt, ift die: liegt hier eine innerkirchlihe Angelegenheit vor ? ist die Kompe- tenz des Staates zum Eingreifen in die Verstöße der kirchlichen Be- hörden begründet? Muß die leßtere Frage verneint werden, so ist auch die geseßgebende Versammlung des Staats nicht in der Lage, in dieser Angelegenheit an die Staatsregierung Anträge zu stellen, um diefelbe zum Einschreiten gegen die kirblihen Behörden zu veran- laffen. Darüber besteht kein Zweifel und das ift anerfannt worden von dem Hrn. Abg. Dr. Windthorst, daß an und für sich die Dis- ziplin der kirchlihen Behörden gegen die Geistlichen eine innerkirch- Tiche Angelegenheit bildet. Daß der Kultus-Minister der Provinz

Schleswig-Holstein gegenüber außer seiner staatlichen Stellung auch die einer obersten Kirhenbehörde des Auftrags des Trägers des Kirchen-

regiments oder, wie der Hr. Abg. Neßler sagte, die Vertretung des fehlenden Ober - Kirchenraths für Schleswig - Holstein inne hat,

as alterirt die rechtlide Seite der ganzen Frage absolut nicht. Um die Bedeutung der Angelegenheit zu erkennen, muß man sich vergegenwärtigen, wie sih die Sache beispielsweise in der römischen Kirche zwischen dem Bischof und einem röômisch-katholischen Geistlichen darstellen würde, oder im Gebiet unserer allgemeinen evan- gelischen Landeskirhe, zwischen dem Evangelischen Ober-Kirchenrath und einem Geistlichen der Landeskirche, oder in der Provinz Hannover zwischen dem dortigen Landeskonsiftorium und einem hannoverischen Geistlihen. In dieser Hinsicht werden die Herren von vorn- berein zugeben, daß es nicht wohl möglich ist, aus einer Disziplinarmaßnahme des Bischofs, des Ober - Kirchenraths oder des Landeskonsistoriums ohne Weiteres das Recht abzuleiten, einen Geistlichen, welcher disziplinirt ist, zu hüten. Das Interesse, welches der Staat an der Ausübung der Disziplinargewalt der Kirche hat, ist niedergelegt worden in dem Geseß vom 12. Mai 1873 und ih bedaure, daß die Herren Vorredner, welche gegen die Ausführungen des Herrn Neferenten in dem Bericht gesprochen haben, dieses Geseß bei ihren Ausführungen außer Anwendung ge- [lassen haben. Der Grundgedanke des Geseßes vom 12. Mat 1873 ist der: im Großen und Ganzen wird die Disziplin in der Kirche frei ausgeübt, vorausgeseßt, daß dies Seitens inländischer Oberen geschieht, erst wenn die Disziplin in eine gewisse äußere Erscheinung tritt, wenn die Disziplin den Charakter bestimmter Disziplinar- strafen annimznt, dann ift der Fall gegeben, wo der Staat auf Grund des von ihm G Oberaufsichts- und Schutzrehts ge- wisse Kompetenzen zum Schuße der Geistlichen in Anspru nimmt. Dieses Verhältniß ist in bestimmter Weise geseßlih geregelt, namentlich enthalten die §8. 10 und 11 genau die Vorausse Zungen, unter denen die Kontrolbehörde des Staates nah dem Gefes der Gerichtshof für fkirchlihe Angelegenheiten in der Sache wirksam wer- den kann. So lange aber diese Vorausseßungen nicht vor- Liegen, ist meines Grahtens keine Möglichkeit gegeben, durch irgend einen Antrag auf irgend eine Staatsbehörde einzuwirken, daß fie bei der zuständigen kirchliben Behörde Wandel schaffen sollte in der von den Vertretern des Minoritätsvotums Mes Richtung. Ich glaube, pa wenn man diefen Gesichtspunkten weiter nacgehe, dies nur dazu führen kann, daß man entweder, wie der Herr Referent in der Kommission vorgeshlagen hat, die Inkompetenz der Landes- vertretung offen ausspricht, oder, wenn man das nicht will, wenigstens einfach zur Tagesordnung übergeht.

Der Abg. Neßler bemerkte, er habe aus besonderen Rüe- sichten für seine Partei niht für den Antrag auf freie Spen- dung der Sakramente gestimnit.

Der Abg. Strosser betonte, daß die Kirhenbehörden von Séleswig-Holstein lediglih von ihrer Befugniß bezüglich der Disziplinausübung Gebrauh gemacht hätten. Die Petenten seien in scharfen Gegensaß zur protestantischen Kirche gerathen, und eine Mahnung sei wohl am Plate gewesen. Absolute Lehrfreiheit dürfe in der protestantischen Kirche niht Plaß greifen. Er bitte deshalb, den Kommissionsantrag abzulehnen.

Die Diskussion wurde geschlossen und der Antrag der Kom- mission angenommen.

Mehrere Petitionen von Grundbesißern in Shleswig- Holstein, welche um eine Senerns der s{leswigshen Wasser- lösungsordnung vom Jahre 1857 baten, wurden der Staats- regierung zur Erwägung überwiesen, desgleichen die Petition des Schulzen Kohlhase und anderer Bewohner von Günzerode e pahtweise Ueberlassung einer Ackerflähe der dortigen

omäne.

Veber die Petition der Thierarzt Hüselershen Eheleute in Rendsburg um Ertheilung der Genehmigung zur Wieder- herstellizng eines zu ihrem Grundstücke bei endsburg ge- hörigen Aulwehrs wurde in Erwägung, daß es den Petenten unbenommen bleibe, die ihnen zustehende Berechtigung durch

Wiederausfstellung des Aalwehrs innerhalb der ? durch das Fischereigefeß erlaubten Ausdehnung auszuüben, zur Tages- ordnung übergeg,angen. i

Dagegen wurde auf Antrag der Budgetkommission (Ne- ferent Abg. Kalle) die Petition des Magistrats und der Stadt- verordneten zu Kösen, um Aufnahme der zum Erweiterungs- bau der fisfalishen Saalbrücke in Kösen erforderlichen Geld- mittel in den Etat pro 1882/83, der Staatsregierung zur Berücksichtigung im Etat pro 1883/84 überwiesen.

Ueber die Petition von Mießner und Genossen, Haupt- Steueramts-Dienern und Packhofswärtern in Stettin um Aufbesserung ihres Einkommens ging das Haus gemäß dem Antrage des Referenten der Budget-Kommission, Abg. Trimborn, zur Tagesordnung über. :

Hiermit war die Tagesordnung erledigt.

Hierauf vertagte sich das Haus um 4/, Uhr auf Don- nerstag 11 Uhr. :

Protokoll der sechsten Sißung des Volkswirthschastsraths. Berlin, den 6, März 1882.

Der Vorsißende, Staats - Minister von Boetticher, et- öffnet die Sißung um 111/ Uhr. /

Das Protokoll der füniten Sißzung des Volkswirthschafts- raths liegt zur Einsicht aus. :

Entschuldigt sind für. heute Hr. Schöpplenberg, bis zum 11. d. M. Hr. Dietze, bis auf Weiteres Hr. Lobeck, Hr. Meyer, Hr. Kroos, Hr. von Born. :

Der Vorsißende theilt mit, daß eine Eingabe der Handels- kammer zu Hanau, betreffend das Tabakmonopols, eingegangen s)ei und im Abdruck zur Vertheilung gelangen werde.

Der Vorsißende eröffnet sodann die Generalbesprehung über die Grundzüge für die geseßlihe Regelung der Kranken- versicherung der Arbeiter. Als Kommissarien der Staats- regierung wohnen dieser Berathung bei: der Direktor im Reichsamt des Jnnern Hr. Bosse, der Geheime Ober- a Lohmann, der Geheime Regierungs-Rath Bödider.

Das Wort erhält zunächst Hr. Geheimrath Lohmann. Derselbe will sich der Uebersichtlichkeit wegen zunächst auf eine kurze Erörterung darüber beshränken, welhe Erwägungen zu einer Abänderung der bestehenden Vorschriften über Hülfs- kassen führen und die Richtung dieser Abänderung bestimmen, ferner die Begrenzung des ceinzuführenden Versicherungs- zwanges, endlich das System beleuchten, mittelst dessen dieser Zwang durchzuführen sein wird.

Bei den vorjährigen Berathungen über die Unfallver- siherung der Arbeiter sei sowohl von Seiten des Volkswirth- shaftsraths als auch des Reichstages eine Revision des Hülfs- kassengeseßes in der Richtung gefordert, daß eine ausreichende Untetstübung der Arbeiter, welche einen Unfall erlitten haben, während der im Geseßentwurf über die Unfallversicherung vor- gesehenen Karenzzeit gesichert werde. Jn der That müsse bei der Erörterung des vorliegenden Entwurfes davon ausgegan- gen werden, daß ein sofortiger Eintritt der Unfallversicherung bei jedem Unfalle aus mehrfahen Gründen nicht thunlich sei; denn wollte man die der Zahl nah weit überwiegenden, der Bedeutung na aber geringfügigen Unfälle, deren Folgen in lurzer Beit beseitigt. werden, der Unfallversicherung zur Last legen, -so würde das den Geschäftsgang dieser Jnstitution zu sehr kompliziren. Zur Entscheidung solcher kleinen Fälle bedürfe es örtliher Organe, welche den Verhältnissen nahe genug stehen, um die persönliche und sachliche Seite der Sache aus eigener Anschauung beurtheilen zu können. Wolle man hier die große Verwaltung der allgemeinen Un- fallversiherung in Bewegung seßen, so könne die Entschädi- gung nicht, wie es erforderli sei, sofort gewährt werden und werde oft zu spät kommen. Ferner spreche für eine besondere Regelung der Karenzzeit, daß die Verhütung bezw. Entdeckung der Simulation von Krankheiten Seitens der Versicherten nur dur örtliche Kontrole möglich sei. Ob in den Krankenkassen ¡ierzu das geeignete Mittel zu finden sei, das werde Gegen- stand der Diskussion sein.

Werde aber dieses Mittel gewählt, so sei eine Revision der die eingeschriebenen Hülfskassen beireffenden Geseße vom 7. und 8 April 1876 erforderlih. Das zweite, an die Stelle des Titels 8 der Gewerbeordnung getretene Geseß gewähre allerdings die Möglichkeit eines Krankenversicherung3zwanges durch Ortsstatut. Aber dieser auf den Bezirk einzelner Kom- munalverbände beschränkte Zwang umfasse nur Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, es sei also nur ein bedingter Zwang, dessen Bereih nicht so weit sei, als der der vorge- \shlagenen Unfallversiherung. Ueberdies sei die von den be- stehenden Hülfskassen zugesicherte Unterstüßung nicht so aus- kömmlih, wie es zur Ergänzung der Unfallversiherung ge- fordert werden müsse. Denn das Mindestmaß der Unter- stüßung, welches §8. 11 des Gesetzes vom ?. April 1876 zu- sichere, sei äußerst spärlih; beispielsweise erhalte ein Mann, der 1,80 6 Tagelohn verdiene, die Hälfte mit 0,90 Unterstüßung, und wenn ihm darauf, was zulässig sei, zu 2/3 die ärztlize Behandlung und Ge- währung der Arznei mit 0,60 A angerehnet werde, so bleibe ihm 0,30 M baar übrig, und es sei klar, daß dieser Betrag zur Deckung aller übrigen Bedürfnisse nicht ausreiche. Außerdem sei für neu hinzutretende Mitglieder eine Karenz- zeit von 13 Wochen zulässig, und es liege also die Gefahr vor, daß im Falle einer in dieser Zeit eintretenden Erkrankun dem Arbeiter gar keine Unterstüßung zu Theil werde. Au das bedürfe der Abänderung, wenn Krankenkasse und Unfall- versicherung vollkommen ineinandergreifen sollen.

Die Rücksicht auf die Unfallversicherung sei übrigens nicht das einzige Motiv für eine Abänderung der Organisation der Hülfskassen, vielmehr sei diese, auch abgesehen davon, von der allergrößesten Bedeutung für die wirthschaftliche Lage der Arbeiter. Denn die Arbeiter, welhe einer solhen Kasse niht angehören, fallen, sobald ihre etwaigen Erspar- nisse aufgezehrt und die irgend entbehrlihen Sachen u Shleuderpreisen verwerthet oder verseßt sind, mit ihren Familien der öffentlihen Armenpflege anheim. Ein ähnlicher wirthschaftliher Ruin trete aber bei den einer Krankenkasse an- gehörigen Arbeitern, wenn sie von Krankheit heimgesucht werden, gleichfalls ein, wenn die gewährten Krankengelder nicht ausreihen, um den Haushalt während der Krankheit einigermaßen nah dem gewohnten U aufrecht zu er- halten. Eine fernere Folge unzulängliher Unterstüßung sei die, daß der Kranke in der Regel ungenügend verpflegt werde, der betreffende Arbeiter in Folge dessen anhaltendem Siech-

thum und einer dauernden Beschränkung seiner Erwerbs- fähigkeit verfalle.

Für eine allgemeine Dur(führung der hiernach als ridhtig erkannten Gesichtspunkte genüge die gegenwärtige Geseßgebung niht. Die Neigung, freiwillig den Kassen beizutreten, sei äußerst gering, und wo Krankenkassen beständen, da seien sie meist durch Zwang eingeführt. So habe sich die Hoffnung, welche man auf die Geseßgebung von 1876 geseßt, in keiner Weise erfüllt. Auch voneinem Vorgehen der Gemeindebehörden mit Orts- statuten sei wenig zu erwarten ; oft fehle es in diesen Fnstanzen an Intelligenz und Energie, um so mehr als sich dort oft der Einfluß solcher Personen geltend mache, welche kurzsihtiger Weise glauben, am Nichtzustandekommen der Hülfskassen ein Interesse zu haben.

Der vorliegende Entwurf schlage deshalb die Einführung, eines allgemeinen direkten Zwanges vor. Dann entstehe aber die Frage, wie weit dieser Zwang auszudehnen sei? Die Antwort müsse lauten: so weit als möglich auf diejenigen Klassen, für die derartige Unterstüßungen in Krankheitsfällen wünschenswerth seien. Wie weit dies möglich sei, das hänge: von den Mitteln zur Durchführung des Zwanges ab. Das Mittel könne nun niemals in direktem Zwange gegen den Arbeiter dahin bestehen, daß er si versichere. Die Erfüllung dieser Obliegenheit würde bei dem vielfachen Orts- und Berufs- wechsel der Arbeiter keine Polizeibehörde kontroliren können. Die Sicherung müsse deshalb in einem Zwange gegen die Arbeitgeber gesucht werden und könne dur Gesetz nur inso- weit eingeführt werden, als ein Arbeitgeber vorhanden sei, welchen man verantwortliÞh machen könne. Daraus ergebe: sih die Beschränkung auf Arbeiter, die in einem stehenden Gewerbebetriecbe in ordentlicher Weise auss{hließlich beschäftigt sind. Neben den Klassen, welhe demgemäß unter 1. A. 1 bis. 3 der Grundzüge aufgeführt sind, ständen die weiteren unter I. B. aufgeführten Kreise, für welche die Einführung eines, Versicherungszwanges zwar nicht durch Gesch angeordnet wer- den könne, aber unter Umständen wünschenswerth sei. Hier: solle es bei dem bisherigen Zustande mit der Maßgabe ver-- bleiben, daß der höheren Verwaltungsbehörde eine An- ordnung vorbehalten werde, falls die Gemeindebehörde ihrer: Pflicht niht genügt. : :

Sehr zweifelhaft sei es, ob eine Ausdehnung der zwangs8- weisen Krankenversicherung auf die landwirthschaftlihen Ar= beiter zweckmäßig sei, und es sei bisher nicht gelungen, die hier obwaltenden Schwierigkeiten befriedigend zu lösen. Denn die Verhältnisse dieser Arbeiter seien der Regel nach wesent- lih vershieden von denen der gewerblichen Arbeiter, da bei jenen ein familienähnliches Verhältniß zur Gutsherrschaft und die Gewährung nahbarlicher Hülfe den von Krankheit Heim= gesuhten aushelfe. Diesen Rest von Naturalwirthschaft zu beseitigen, erscheine niht wohlgethan. Aceußerst schwierig. würde es auch sein, die nothwendige Begrenzung des Zwanges- nie Kontrole zu seiner Dur&führung zweckmäßig zu or= ganisiren.

Was endlih das System, mittelst dessen dieser Kranken- kassenzwang durchzuführen sei, betreffe, so sei dabei zu be- achten, daß es sih zumeist um die zahlreichen an si unerheb- lichen Krankheitsfälle handele, deren Beurtheilung nux an Ort. und Stelle so zu bewirken sei, daß die Abwehr der Simula- tion gelinge. Eine örtlihe Organisation ersheine deshalb nothwendig, in der Regel aber auch ausreichend, um das. Risiko zu tragen. Das Nationellste sei die Zusammenfassung von Arbeitern aus gleihen Berufskreisen. Dieselbe sei ge- ret, weil diese Arbeiter gleihen Gefahren ausgeseßt seien.. und sie ermögliche durch eine gute Selbstverwaltung die beste Bekämpfung der Simulation. Deshalb seien die unter Il. B. und D. bezeihneten Kassen beibehalten, außerdem mußten die unter C. gedachten Fnnungskassen bestehen bleiben, endlich sei es keineswegs die Absicht, die freien Hülfskassen zu beseitigen. welche von wirthshaftlich und intellektuell vorgeschrittenen Arbeitern mit Vorliebe benußt würden. Außerdem gebe es aber Verhältnisse, die unter keine von diesen Kategorien passen, für die aber gleichfalls gesorgt werden müsse, wenn ein allgemeiner geseßliher Zwang zur Krankenversiherung eingeführt werde, und hier sollte die Gemeindekrankenversiche- rung eintreten (IL A). Ein Keim zu dieser Art von Kranken- kassen liege in der Pfliht der Ortsarmenverbände, jeden in ihrem Bezirke erkrankten Bedürftigen sechs Wochen zu ver- pflegen, ohne daß ein Ersaßzanspruch gegen die Hetimaths- gemeinde des Verpflegten entstehe. Weiter gche schon die bayerische Geseßgebung von 1869, nah welcher die Verpfle- gungspfliht auf 90 Tage ohne Ersaßzanspruch ausgedehnt, den Gemeinden aber zugleih das Recht verliehen sei, von jedem Angehörigen der betreffenden Klassen einen Beitrag von 3 Kreuzern zu dieser Gemeindelast zu erheben. Die Leistung der Gemeinde falle hier jedoch noch unter den Begriff der Armenpflege, weil das Maß dieser Leistung nit fixirt und kein Verhältniß zwischen dem Versicherungsbeitrag und der Unterstüßung festgeseßt sei. Jn dieser Richtung gehe der Entwurf weiter, es solle ein bestimmt bemessener Beitrag geleistet und eine ebenso bemessene Unterstüßung dafür gewährt werden. Die bezüglihen Beträge müßten zunächst geseßlich fixirt werden, aber es könne eine Abände- E nah Maßgabe der besonderen Verhältnisse vorbehalten werden.

Zu erwähnen sei endli, daß bei den auf Seite 4 unter D. 7 aufgeführten Bauarbeitern es unbillig, und weder ge- \chäftlih, noh finanziell möglih sein würde, den Gemeinden die Fürsorge zu überlassen, Man müsse hier deshalb noch einen Schritt weiter gehen und den Bauherren die Verpflich- tung zur Errichtung von Krankenkassen unter dem Präjudiz auferlegen, daß sie im Unterlassungsfalle ihren erkrankten Ar- beitern die geseßlihe Krankenunterstüßung aus eigenen Mit- teln zu leisten haben. Besonders wichtig sei es, daß hierbei auf die Bauherren, welche in der Regel leistungsfähig genug seien, e ilen werde,

Während dieser Rede hatte der Vorsitzende wegen ander- weiter Dienstgeschäfte die Leitung der Verhandlung dem Di- rektor im Reichsamte des Jnnern Bosse übertragen.

Hr. Wolff spriht dem Regierungskommissar für die mündliche Darlegung der Motive zu der Vorlage seinen Dank aus, wünscht aber, daß diese Motive gedruckt und unter die Mitglieder des Volkswirthschaftsraths vertheilt werden. Bei der engen Verbindung, in welcher die Vorlage über die Kran- kenversicherung mit der Vorlage über die Unfallversicherung der Arbeiter stehe, hält Redner für zweckmäßig, daß die Ge- neraldebatte über beide Vorlagen zusammen geführt werde. Daß in beiden Entwürfen die Ce des Versicherungs- zwangs in Aussicht genommen sei, müsse lebhaft begrüßt wer- den; ae einen solchen würde man die Materie niemals welmäßig regeln fönnen. Da übrigens durch die bei der

nfallversherung vorgesehene dreizehnwöchentlihe Karenz- zeit, während welcher der Versicherte auf die Krankenkasse an-

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gewiesen werde, der leßteren die Fürsorge für alle geringeren Ünfälle überlassen werde, welche den weitaus größten Prozent- Jay (etwa 90 Proz.) sämmtlicher überhaupt vorkommender Unfälle bilden, möchte es sich vielleiht empfehlen, noch cinen Schritt weiter zu gehen und sämmtliche Unfälle der Kranken- kasse zuzuweisen, D. h. für alle Unfälle und alle Krankheiten nur eine Versicherung und eine gemeinschaftliche Kasse einzu- richten, zumal die Höhe des Verdienstes in beiden Fällen den rihtigsten Maßstab für die Entschädigung darstelle. Redner erörtert s{ließlih, daß Fabrik-Krankenkassen, welche früher fortwährend Defizits gehabt hätten, seit den lezten zehn Jah- ren Ueberschüsse aufzuweisen hätten, und folgert daraus, daß die gegenwärtig gezahlten Beiträge das Bedürfniß überstiegen und daher ermäßigt werden könnten.

Nachdem der Vorsißende unter Zustimmung der Versamnilung den Vorschlag, beide Vorlagen in der General- diskussion mit einander zu verbinden, zürückgewiesen hatte, er- klärt Hr. Paetsch, daß er der Vorlage im Allgemeinen zu- stimme, und nur einzelne Bedenken, insbesondere zu 11. D, 4 Abs. 2, 111. B, 1b, und 111. B.6 zu erheben haben werde, welche bei der Spezialberathung zu erörtern sein möchten. :

Hr. Schimmelpfennig erkennt an, daß jeder Arbeiter davor bewahrt werden müsse, der Armenpflege anheim- zufallen. Denn sobald dies geschehe, sei cr ruinirt, da Armenunterstüßung erst eintrete, wenn der Bedürftige feine eigenen geringen Mittel vollständig erschöpft habe. Es sci auch zuzugeben, daß in der Vor- lage die Versicherungspfliht für fast alle Kategorien der Arbeiter aus8gesprohen sei. Aber eine Kategorie scheine übersehen zu sein und müsse deshalb noch nachträglich aufgenommen werden, er meine die namentlich in Städten häufig anzutreffenden, auch in verhältnißmäßig solider Lebenslage sih befindenden Arbeiter, welche bald hier, bald dort auf ganz kurze Zeit Arbeit nähmen, und die nah der Vorlage unter die Gemeindeversiherung nicht fallen würden. E

ZU begrüßen sei insbesondere die Verschiedenartigkeit in der Form der Versicherung, wie sie in der Vorlage zugelassen sei, und die gebührende Berücksichtigung der Knappschafts- und der eingeschriebenen Hülfskassen, wodur langbestehende Jnsti- tutionen mit ihren lebensfähigen und für alle Theile glücklich wirkenden Einrichtungen erhalten blieben.

Hr. Kalle schließt sih dem von dem Vorredner Wolff ge- äußerten Wunsch, daß die Motive zu der Vorlage noch nach: träglich gedruckt und den Mitgliedern des Vollswirrhschafts- raths zugänglich gemacht werden möchten, an. Bei der großen Menge wichtiger Vorlagen, welche gemacht würden, ohne aus- reichende Zeit zum Studium zu gewähren, sei es für den Volkswirthschaftsrath überdies niht möglich, die ihm zuge- gangenen Materien erschöpfend zu erörtern, Es könne viel- mehr troß des besten Willens und troß des größtmöglichsten eFleißes jede einzelne Vorlage nur eine gewissermaßen ober-

ächliche Behandlung erfahren. Er wünsche dies hiermit aus- drüdlih zu konstatiren, um dem im Neichstag gegen den Volkswirthschastsrath erhobenen Vorwurf entgegenzutreten, daß derselbe durch seine Berathungen fo dürstiges Material beibringe.

Del NRegierungskomtnissar habe mit Recht hervor- gehoben, daß die Hülfskassengeseßgebung des Jahres 1876 ab- geändert werden müsse, hon weil die im Unfallversiherungs- gese vorgesehene 13 wöchentliche Karenzzeit, welche auch im Hülfsfassengeseß vom 7. April 1876 zugelassen sei, sonst Uebel- tände hervorrufen würde obschon er besorge, daß diese Uebelstände bei der im Entwurf nachgela}senen 6 wöchentlichen Karenzzeit sich auch noch geltend machen würden. Die Ab- änderung der Hülfskassengeseßze des Jahres 1876 sei aber auch aus allgemeinen sozialpolitishen Gesichtspunkten unvermeidlich, weil der in denselben ausgesprohene Grundsaß fakultativer Versicherung sih als unhaltbar herausgestellt habe und der obligatorischen Versicherung weichen müsse. Schon damals sei die Slaatsregierung darauf hingewiesen worden, daß der in jenen Gesegen ausgesprohene Grundsaß eine halbe Maß- regel sei, die niht zum Ziel führen werde, und daß der Zwang allein wirksam sein könne; er frage sih vergebens nach den Gründen, welche die Staatsregierung damals bewogen hätten, diefen Anregungen nicht Folge zu geben. : :

Eine logische Konsequenz des jeßt vorliegenden Entwurfs würde aber die Ausdehnung des Versicherungszwangs auf die landwirthschaftlihen Arbeiter sein; die von dem Regierungs- kommissar hiergegen angeführten Gründe könnten als durch- schlagend nicht angesehen werden.

Es sei wünschenswerth, die Krankenkassen an bestehende Organisationen, insbesondere an die bestehenden Jndustrie- zweige, anzuschließen; die subsidiären Gemeindekrankenkassen wären daher zweckmäßig auf ein Minimum zu beschränken. Dementsprechend müsse man aber au die Bildung von Orts- und Fabrik-Krankenkassen möglichst begünstigen und dürfe ihnen nicht, wie das im Entwurf geschehe, eine größere Minimal- vcrpslihtung auflegen, als den Gemeinden. : |

Der Vorsitzende bemerkt, daß es gegenwärtig nicht fruchtbar sein würde, den Gründen nachzuforschen, welche die Staatsregierung im Jahre 1876 bewogen hätten, den Ver- siherungszwang nicht durchzuführen. Jnzwishen habe man sich aber von der Nothwendigkeit dieser Maßregel überzeugt.

Dem Gedanken, die landwirthschastlihen Arbeiter zur Zwangsversicherung heranzuziehen, stehe die Regierung wohl- wollend gegenüber: bei den vielfahen Erörterungen, denezt man diese Frage unterworfen habe, hätten sich aber keine Mittel und Wege finden lassen, welche hier zum Ziel führen möchten, und die Staatsregierung würde es daher mit Genug- thuung begrüßen, wenn solche Mittel und Wege durch den Volkswirthschaftsrath ihr vorgeschlagen werden könnten.

Hr. Dr Jansen erachtet es für einen bemerkenswerthen Fortschritt, daß man gegen die Gemeinden einen Zwang zur Errichtung von Krankenkassen üben, und daß man insbesondere auch die sogenannte Hausindustrie in diesen Zwang ein- schließen will. Für leßtere sei bisher noh nichts geschehen, weder von den Arbeitgebern, die zu derselben ja auch nur in losfem Verhältniß ständen, noch von den Arbeitern selbst; und doch fallen gerade solhe Gewerbetreibende am leihtesten der Armenpflege anheim und belasten dadurch die Armenbudgets der. Gemeinden auf das schwerste.

Die Ausdehnung des Versicherungszwangs empfehle \ih nicht nur auf die Arbeiter in den landwirthschaftlichen Ge- werben, sondern auf das gesammte Gesinde, weniger allerdings in den östlihen Provinzen, wo in den großen Gutskomplexen für die Arbeiter im Allgemeinen, ausreichend gesorgt werde, desto mehr aber in den westlihen Provinzen bei der dort bestehenden Pr terung des Landbesißes.

Die Bestimmung, daß Kassenmitglieder, die unverschuldet erwexblos werden, während 6 Wochen ihre Ansprüche auf die

Leistungen der Kasse beibehalten sollen (S. 7 oben), werde mit Rücsicht auf ihre Verpflichtung zur Beitragsleistung einer Abänderung bedürfen.

Eine Karenzzeit von mindestens 3 Tagen fei unentbehr- lih, um einem Mißbrauch der Kasse dur die Arbeiter vor- zubeugen. Ein Spielraum bis zu 6 Wochen erscheine aber zu groß, da es vorkommen könne, daß Arbeiter, welche ja zum Beitritt unbedingt verpflichtet seien, zur Zeit ihres Beitritts schon wirkli krank seien, und dann doch unmöglich so lange Zeit hindurch ohne Unterstüßung gelassen werden dürsten, wenn fie niht der Armenpflege anheimfallen sollen.

Auch glaubt Redner, daß die in Ausficht genommenen Versicherungsprämien von 11/2 Proz. des ortsüblihen Tage- [lohns viel zu niedrig gegriffen seien, da damit die Kassen s{chwerlich die verschiedenen Zwecke erfüllen und innerhalb 5 Fahren auch noch cinen Reservefonds von der Höhe der jährlichen Prämieneinnahme, wie es vorgesehen sei, ansammeln könne. Redner exemplifizirt auf die Fabrik-Krankenkassen und es erscheinen ihm 2 Proz. niht zu hoch.

Die Nechte, welche der Entwurf den beitragspflichtigen Arbeitgebern bei der Leitung der Fabrik-Krankenkassen beilege, seien niht ausreihend. Dieselben hätten eine beshließende Stimme im Vorstande zu beanspruchen ; eine blos berathende Stimme genüge der Würde ihrer Stellung nicht.

Hr. von Velsen ist im Allgemeinen mit dem Entwurf einverstanden. Abänderungen wünscht er hauptsählih in Folgendem :

Die Vorlage lasse Mittel gegen einen Mißbrauch der Kasse durch die Arbeiter völlig vermissen. Nothwendig sei aber wenigstens, daß der Beginn der Krankenunterstüzung für die ersten drei Tage ausgeschlossen sei und daß der Sonntag dabei überhaupt nicht in Betracht kommen dürfe. Auch sei eine Bestimmung darüber nothwendig, in welchen Zwischen- räumen nach einer Genesung von neuem Krankenzgeld bezogen werden folle. Ueber den halben Lohn hinaus dürfe das Krankengeld jedenfalls nicht gewährt werden. Bedenklich erscheine es, eine gleichzeitige Versicherung in mehreren Kassen zuzulassen, weil dadurh der Ueberversiherung Vorschub geleistet werden und der Versicherte im Fall der Krankheit besser gestellt sein könnte, als sonst. |

Die Arbeitgeber hätten die Fabrikkankenkassen zu leiten, nicht blos im Vorstand berathende Stimme auszuüben ; dies sei hon im Jnteresse der Arbeiter selbst nothwendig, wie die

Erfahrung vielfach lehre.

Die Beiträge seien {hon wegen der Weitläufigkeit der Berehnung nicht nach den wirllihen Löhnen zu erheben, sondern zu dem Zweck, durchshnittlihe Lohnsäße (Normal- löhne) in mehreren Klassen zu vereinbaren oder dur die Behörden nöthigenfalls festzuseßen. Denn auch der Arbeiter müsse wissen, was er an Krankengeld zu beziehen habe.

Hr. Vorderbrügge hält den Versiherungszwang für alle

Arbeiter für unabweisbar, und hofft, daß die Vorlage, be- ziehungsweise das auf Grund derselben hoffentlich zu Stande tommende Geseß von den Behörden energisch durchgeführt werden wird. Bedenklich sei es jedoch, die Lehrlinge im Klein- gewerbe der Fürsorge ihrer Eltern, Vormünder 2c, zu ent- ziehen und auch für sie die Krankenversicherung obligatorisch zu machen ; es empfehle sih nit, diese jungen Leute schon in das öffentliche Leben hineinzuziehen. Es würde genügen, für Lehrlinge in folhen Handwerken, welche niht unter das Un- ae erungAgeled fallen, die Versicherung fatultativ zu- ulassen. : Redner vermag nicht zu ersehen, weshalb bei 11. A. 1 (Seite 2) die eingeschriebenen Hülfskassen ausgenommen sein sollen, und glaubt, die Vorlage enthalte hier wohl einen Druckfehler. i

Vagirende Arbeiter, welche häufig an ansteckenden Krank- heiten leiden, sollten nicht erst nah Verlauf von einer Woche (IT. A, 2), sondern sofort von den Gemeinden Krankenunter- stüßung beanspruchen dürfen.

Die in Ul, A. 1 und 2 enthaltenen Bestimmungen über den Gegenstand der von den Gemeinden (und entsprehend auch von den Orts- und Fabrik: Krankenkassen) zu gewährenden Unterstüßung vermöge er nicht für zweckmäßig zu erachten. Er empfehle folgende Fassung: A :

1) Eine Krankenunterstüßung ist für die Zeit der Arbeits- unfähigkeit bis zur Dauer von 13 Wochen zu gewähren ; :

2) in der Negel soll freie Kur und Verpflegung in einem öffentlihen Krankenhause und ein wöchentlihes Taschen- geld von mindestens 1,50 /6 gewährt werden. i

Für diejenigen aber, welche verheirathet oder Glieder einer Familie sind, falls die Art der Krankheit nicht „etwa Anforderungen an die Pflege stellt, welche in der Familie des S niht erfüllt werden können, besteht die Unter- tüßung:

nit S in der Hälfte des ortsüblichen Tagelohns neben freier ärztliher Behandlung und 2/z der Arzneikosten,

b, oder in 2/z des ortsüblihen Tagelohns. j :

Die in a, und b. bezeihnete Unterstüßung kann für die ersten drei Tage fortfallen, wenn die Krankheit nicht minde- stens eine Woche dauert.

Hat der in einem Krankenhaus Untergebrachte (u. \. w., wie in der Vorlage). | N

Zu Seite 7, IV. A, 1, 3, hält Redner für zweckmäßig, daß der Arbeiter selbs die Anmeldung bewirke und daß der Arbeitgeber nur verpflichtet werde, den Arbeiter hierzu zu veranlassen... i i

Nachdem der Vorsißende darauf hingewiesen hatte, daß die wirksame Durchführung der Vorlage, falls dieselbe zum Erlaß eines Geseßes führen sollte, son durch die Bestimmung in T A., daß ein „unbedingter geseßliher Zwang zur Krankenversicherung eingeführt werde“, gesichert sei, er- klärt sich |

Hr. Kennemann gegen die l : l lage auf die landwirthschaftlichen Arbeiter, weil die denselben ganz oder zum Theil gewährte Natural- löhnung unüberwindlihe Schwierigkeiten bereiten werde und der Gutsherr niht unterlasse, für seine Ar- beiter in Krankheitsfällen zu sorgen. Dies sei den Arbeitern wohl bekannt, und so werde die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen für Leistungen, die sie bisher unent- geltlih zu empfangen pflegten, Unzufriedenheit erregen. Bei kleinen aus nur wenigen Wirthen bestehenden Gemeinden würde die Bildung von Krankenkassen niht einmal ausführ- bar sein. Gegen theilweise Hineinziehung der landwirthschaft- lichen Arbeiter in die Unfallversiherung sei dagegen nichts einzuwenden. ¿

r. Herz konstatirt, daß die Vorlage einem offenbaren Be- dürfniß abhelfe und von allen Seiten Zustimmung erfahre.

Ausdehnung der Vor-

sei gern bereit, die ihr durch dasselbe zufallenden Lasten zu tragen. Die Landwirthschaft werce sich auf die Dauer ten Versicherungszwang nicht entziehen können ; ob die Ausdehnung auf das Gesinde dur{führbar sein werde. erscheine zweifelhaft. __ Bisher hätten die Privat-Unfallversicherungsgefellschasten, die für kleine Unfälle mit einer Arbeitsunfähigkeit bis zu 13 Wochen entsiandenen Aufwendungen erstattet; man habe sih also daran gewöhnt, diese Unfälle nit als Krankheit be- handelt zu sehen, und es empfehle sih daher, sie auch jeßt nicht den Krankenkassen aufzubürden.

Die für die Gemeindeversicherung in Aussicht genommene Unterstüßung zur Höhe des halben Tagelohns sei namentlich für Arbeiter, welche Familie hätten, nicht ausreihend; man solle hier keinen Unterschied machen zwischen dec Gemeinde- Versicherung und den Fabrikkrankenkassen. Bedenklich sei es, die Betheiligung von Arbeitern bei mehreren Kassen zuzulassen (II, D. 4 S. 3); die Einführung von Durchschnittssäßen bei Fabrikfrankenkasjen (Normallöhnen) werde bei den Verschieden- beiten in der Höhe der Arbeitslöhne nit angehen. Solche Fabriken, welhe nur zu bestimmten Verioden arbeiten, wie die ZuCerfabriken, dürsten der Bestimmung bei VI, 0D. 2 (S. 10) nicht zu unterwerfen sein; ihre Krankenkassen müßten vielmehr auch während des periodishen Stillstandes fortbestehen.

Hr. Kamien ist zwar ein Gegner staatlichen Zwangs, hält aber glei4wohl diese Vorlage wegen der «Fndolenz der Arbei- ter für zeitgemäß und zweckmäßig, falls die freien Kassen unverändert beibehalten werden. Veberversicherungen würden nur dadur herbeigeführt, daß Arbeiter, welhe Hülfskassen bereits angehören, bei einem Eintritt in Fabriken von den Fabrikanten, den geseßlichen Bestimmungen zuwider, genöthigt würden, der für die Fabrik eingerihteten Krankenkasse gleich- falls beizutreten. Den Arbeitgebern größere Befugnisse in der Verwaltung der Kassen einzuräumen, sei nicht erforderlich, weil dieselben thatsählih schon jeßt die Kassen allein leiten. Die Belastung der Krankenkassen mit den Entschädigungen sür Unfälle erscheine ihm ungeeignet. Den Statuten sei ein mög- lihst großer Spielraum zu gewähren.

Hr. Baare sieht in der Vorlage große Vorzüge gegen die bisherigen ähnlihen Vorlagen ; kleinere Bedenken müßten demgegenüber zurücktreten. Zu ändern aber sei jedenfalls, daß dem Arbeitgeber bei der Verwaltung der Krankenkassen ein zu geringer Einfluß beigelegt worden sei. Es \chädige das Ansehen des Arbeitgebers, wenn er nur berathend mit- zuwirken und nicht nah Maßgabe seines 331/, Proz. betra- genden Beitrags mitzustimmen habe.

Der Regierungskommissar, Hr. Lohmann,

; führt aus, daß die in der Vorlage

vorgesehene Betheiligung des Arbeitgebers an der Verwaltung der Kassen den prafk- tischen Bedürfnissen entsprehe. Eine Vermehrung seines Einflusses erscheine bedenklich, weil bei der bisherigen Organi- sation der Kassen die Arbeiter wenig Befriedigung gefunden und ihre Betheiligung zum Theil freiwillig aufgegeben hätten, da ihr Einfluß, wenn auch nominell erheblich, fo doch that- sählih gering gewesen sei. Der Einfluß, den der Arbeitgeber schon durch bloße Aeußerung seiner Meinung ausüben könne, sei nit zu untershägen. Uebrigens weise der Entwurf dem Arbeitgeber weitgehende Befugnisse zu, da er das Statut er- richte, den Kassenmeister seinerseits bestelle, im Vorstand ver- treten sei und auf Grund statutarisher Bestimmungen den Vorsiß im Vorstand führen dürfe.

Der Unterschied, welhen die Vorlage bei der Bemessung der Entschädigung zwischen den Ortsfkrankenkassen und den Fabrikkrankenkassen insofern mache, als für erstere der durch- \chnittliche ortsübliche Tagelohn, für leßtere der wirkliche Lohn maßgebend sein soll, beruhe darauf, daß nur bei den leßteren der wirkliche Verdienst sich feststellen lasse, und die leßteren [eistungsjähiger und unter besserer Kontrole seien, wie die ersteren, Dem Grundgedanken des Eritwurfs würde auch ein Dur@schnittslohn bei Fabrikkrankenkassen entsprechen.

Hr. Leuschner, während dessen Ausführungen der Staat3- Minister von Boetticher den Vorsiß wieder übernahm, legt dar, daß in Krankheitsfällen ärztliche Jntervention überall eintreten müsse, wo es nur irgend ausführbar sei. Es empfehle sih daher, nah dem Vorschlag des Vorredners Vor- derbrügge die Gewährung von Kurkosten und freier Arznei als Regel aufzustellen, Ausnahmen aber dem Statut VvorzuU- behalten.

Bei Fabrikkrankenkassen den wirkli verdienten Arbeits- lohn zur Grundlage der Entschädigung zu machen, sei bedenk- lich, weil oft im Gedinge gearbeitet und in manhem Monat viel, in anderen wenig verdient werde. Man solle daher als Grundlage der Krankenunterstüßung feste Normallöhne dem wechselnden Verdienst vorziehen.

Was die Verwaltung der Fabrikkassen anbetreffe, so könne er den Ausführungen des. Regierungskommissars, daß die Arbeiter mit derselben oft unzufrieden seien, nah seinen Erfahrungen nicht zustimmen. Es sei aber hon um des- willen unumgänglih nothwendig, dem Arbeitgeber bei der- selben größere Rechte einzuräumen, weil eine blos berathende Stimme oft eine untergeordnete Stellung voraussegzen lasse, und eine Herabseßung des Arbeitgebers in den Augen des Arbeiters gerade unter den heutigen Verhältnissen sorgfältig vermieden werden müsse. Die Ernennung des Kassenbeamten gewähre dem Arbeitgeber keinen Einfluß auf die Kasse, weil jener niht Beamter des Letteren, sondern Beamter der Kasse sei. Nach dem Grundsaß: „gleiche Rechte, gleiche Pflichten“, müßten den mitzahlenden Arbeitgeber mindestens dieselben Befugnisse bei der Verwaltung der Kasse zugestanden werden, wie dem Arbeiter.

Redner begrüßt es, daß der Entwurf die Knappschafts- kassen beibehalten will; er vermißt aber eine analoge Be- stimmung in den Grundzügen des Unfallversiherungsgeseßes, und folgert hieraus, daß man für die Zwedte des leßteren möglicherweise eine Beseitigung der Knapp schaftskassen beab- sihtige, was er für unannehmbar halten würde. Sollte seine Annahme sich bestätigen, so würde er mit seinen Freunden beide Entwürfe, niht blos die Unfallversiherung, sondern auch die Krankenversiherung, obwohl er die leßtere an und für sih lebhaft begrüße, ablehnen. E

Hr. von Nath acceptirt die Erklärung der Staatsregie- rung, daß bestehende Privatkassen nicht beseitigt werden sollen: leßtere seien immerhin dem wang vorzuziehen, da der Staat nit helfen, sondern lehren soll, wie man si selbst zu helfen habe, und weil er wünsche, daß die Arbeitgeber dasselbe thun möchten. y / L

Landwirthschaftlihe Arbeiter gleihfalls in den Entwurf hineinzuziehen, erscheine ihm niht unmöglich, da für die auf seinen Besißungen beschäftigten Arbeiter seit dem Jahre 1849 eine Krankenkasse bestehe, welche segensreih wirke und

Die Jndustrie habe ein solches Geseh längst angestrebt, und

rosperire. Die Kasse habe gegenwärtig eine verhältnißmäßig atoße Zahl von Mitgliedern, welche sid sehr wohl von frem-