1882 / 68 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 20 Mar 1882 18:00:01 GMT) scan diff

aufsicht verlangt und verlangen muß, nit eine Lokalschulaufsicht, wie fie früber häufig nur auf dem Papier bestand, ein Eingreifen in die Thätigkeit, eine Kontrole über den Lehrer, eine Förderung desselben in der Grfüllung seiner Dienstpflihten, dann liegt es doch in der That sehr nahe, die Frage aufzuwerfen: wie entschädigt man folchen Geistlichen für baare Auslagen, die er unter allen Umständen zu machen hat? :

Der Herr Abgeordnete ist dann weiter eingegangen auf die polnische Frage in Oberschlesien und hat \ich veranlaßt gefunden, darüber eine ganze Reihe von Bemerkungen zu machen, ich habe fie mir leider nicht notirt, doch werde ich versuchen, ihm rüdsihtlich einiger zu antworten. Wir beide sind im Allge- meinen darüber einig, daß die fogenannte großpolnis@e Agitation in Oberschlesien nur geringe Fortschritte gemacht hat. Jch will den Hrn. Abg. Dr. Franz es wird ibn interessiren, da die Kund- gebung si im wesentlichen gegen seine Person rihtet auf einen ganz neu erschienenen Artikel des „Kuryer Poznanski*" aufmerksam machen, worin gegen verschiedene Ausführungen, die, wie ib glaube, hier oder in der „Schlesisben Volkszeitung“ gemacht worden sind, Stellung genommen wird. Da wird ausdrücklih in der Ueberschrift gesagt : Was find wir Oberscblesier? und geantwortet :

„Die „Schlesische Volkszeitung“ nennt uns polnisch redende Katholiken, von anderen werden wir deutsches Volk genannt, wir selbst sagen: wir find von Blut und Gebein Polen.“ ;

So geht es weiter und dann wird gesagt: l

„Es muß uns in hohem Grade Wunder nehmen, daß die „Schlesische Volkszeitung" nur zwei polnische Oberschlesier kennen will, es sind doch ihrer viel mehr, es sind viele Tausend.“ :

Der Hr. Abg. Dr. Franz wird mir gestatten, ihm auf diesen Artikel, der manches Interessante enthält, aufmerksam zu machen. Ab- gelöst davon wird die Frage nach dem sprachlichen Unterricht behandelt. Hr. Dr. Franz hat aus den bekannten Verfügungen von 1871 ein- zelne Stellen verlesen. Da muß ich ihn doch zunächst darauf auf- merksam machen, daß die ganze polnische Sprachenfrage in Ober- {lesien zu allen Zeiten einen ganz anderen Charakter gehabt hat, als die in den eigentlihen polnischen Landestheilen. Das oberschle- fie Polnisch ist, wie der fe: Abg. Dr. Franz und die Herren, „die

ih mit dieser Frage beschäftigt haben, anerkennen werden, in der That nicht das sogenannte Polnisch, mit dem wir uns in Posen zu beschäftigen haben (Widerspruch bei den Polen), ja, meine Herren, Sie mögen dem ja widersprechen, Sie werden ja nachher zum Worte Tommen sondern es steht fest, wenigstens habe ih Berichte dar- über gelesen, daß das eigentlihe oberslesishe Polnisb ein ganz an- deres Idiom insofern ist, als es ebenso wie das Litthauische nur über einen beschränkten Sprachschaß verfügt. Darin is nun ein Wandel nah dem Jahre 1842 eingetreten, indem, während man früher im Allgemeinen geneigt war, neue Begriffe, sür die das ober- {chlesische Polnish keine sicheren Wörtex hatte, aus dem deutshen Sprachshaß zu entnehmen es sind den Herren vielleicht anekdotenhast die Fälle von Wörterumgestaltungen bekannt, die durchaus noch das deutshe Wort verrathen, aber in eine polnische Endung gebracht sind seit 1842 und zwar durch die Mitwirkung der Schulverwaltung dahin gekommen ift, Gs das sogenannte Hoch- polnisch den Kindern gelehrt wurde. Auf diese Weise ist es möglich gewesen, daß es heute nicht ohne Mithülfe unserer staatlichen Ein- rihtungen dahin gekommen ist, daß wir selbst stark polonisirt, d. h. die Kinder in das Großpolnische übergeführt haben.

Vielleicht gelingt es mir, im Momente aus dem allcrneuesten Bericht hierüber ctwas Einschlagendes zu finden. Also hier heißt es in dem Bericht:

Das in der Petition

es handelt fich um cine Petition des Herrn Pfarrer Edler, die ja hier wohl noch zur Verhandlung kommen wird; jedenfalls kennt der

Hr. Abg. Franz sie, denn er hat im Laufe seiner Rede darauf hin-

gewiesen

Das in der Petition über die Spracenfrage Gesagte ist in allen Beziehungen unrichtig, und sind die Mängel, welche zur Zeit bezüglich der Unterrichtsverwaltung bestehen, übertrieben.

Dann heißt es weiter:

Daß die Ziele der Elementars{ule in beiden Beziehungen au in rein polnisch redenden Gemeinden bei deutschem Unterricht erreiht werden können, steht außer Zweifel; alle Organe der Schul- aufsiht sind hierüber einig. Wenn aber dem so ist, so würde es eine {were Schädigung sowohl des staatlichen, wie des eigenen Interesses der heranwachsenden Bevölkerung fein, falls erneut von drit deutschen Sprache als Unterrichts\prache abgewichen werden ollte.

Nun kommt ein Gesichtspunkt, den die Herren, glaube ih, der Majorität des Hauses bei der Berathung tes oberschlesischen Nothstandes {hon anerkannt haben, e

Die Isolirung, in.welche eine Volksgruppe durch den Mangel de Verständnisses der herrshenden Sprache ihres Landes versetzt wird, muß für den Staat, zumal in einer ‘Zeit wie der heutigen, wo die Stammessympathien \o weite, über bie Landeêsgrenzen hinausgehende Kreise ziehen und zu so stark centri- fugalen Richtungen hindrängen, eine ernste Sorge sein. Ganz be- sondere Aufmerksamkeit fordert dieselbe aber dann, wenn jene Volksgruppen an den äußersten Grenzen des Reichs in kompakten Massen geographisch vertheilt find und mit den, verwandten Na- tionalitäten angeßörigen, Bevölkerungen anderer Staaten in einem fortdauernden lebhaften Verkehr stehen. Diese Jsolirung hat den weiteren sehr wesentlichen Nachtheil, daß die Gf Masse der Be- völkerung für jede direkte und auf eigener Einsicht beruhende Antheilnahme an der Entwickelung des staatlichen Lebens unfähig bleibt und allein in der gemeinsamen Wehrpflicht das dieselbe mit dem Staate und dem Reiche einigende Band findet. Wie nachtheilig dieselbe zugleih in dem Zurückbleiben des Volkes *in wirthschaftlicher Beziehung wirkt, haben die Erfahrungen der der leßten Jahre unzweifelhast bewiesen, Es fehlt der polnisch redenden Bevölkerung niht an Beanlagung und Intelligenz, son- dern an der Fähigkeit, beide zur Geltung zu bringen; sie leidet an einem Stumpfsinn und einer fatalistishen Ergebung, die, meines Erachtens, lediglich darauf zurüclzuführen sind, daß sie von den Erfolgen eigenèr Krastanstrengung, wie sie die in lebendiger Wechsel- wirkung mit dem Entwickelungsgange des deutschen Theils des Landes stehenden Bewohner des Bezirks erreichen , ungenügende Kenntniß erlangt, jedenfalls nicht fähig ist, jene für sich nutzbar zu machen. In dem eigensten Interesse der polnisch redenden Be- völkerung liegt es deshalb, sie von dieser Jsolirung zu befreien und sie zu thätiger Antheilnahme an der aufstrebenden Richtung des gesammten Landes zu befähigen. Dies is aber nur dadur möglich, daß die Schule eine deutsche bleibt, und daß im Gegen- saß zu dem Wunsche der Herren aus der Leschnizer Versammlung das Deutsche nicht blos ein Lehrgegenstand, sondern die für Unter- Eer obligatorische Lehrsprache ist . e und so geht es noch weiter. Meine Herren! J will damit nur anführen, daß es in der That für Alle, welche vorurtheilsfrei in diese Frage hineingehen, sehr bald zu einer unumstößlichen Ueberzeugung wird, daß im Interesse unseres Volkes, namentlih in Oberschlesien, die Jsolirung gebrochen werden muß, und ich kann bei dieser Gelegenheit nur wiederholt die. Bitte aussprechen, ih habe auch in dem Bericht einen sehr warmen Passus in diesem Sinne gefunden daß namentlich die Geistlichen den Zeitpunkt nit verkennen, wo in der That die Vorbildung der' jugendlichen Geister so weit gediehen ist, daß mit Erfolg die deutsche . Unterricht8\prache im geistlichen Unterricht und in der Predigt einge- führt wird. Es ist kein Vorwurf, den ih ausspreche, sondern cine Thatsache, mit der wir rehnen müfsen. Daß gerade in Oberschlesien die Geistlichen beider Bekenntnisse, ih betone ausdrücklih beider Bekenntnisse, sih im Allgemeinen haben angelegen sein lassen, dem deutschen Unterricht in der Schule ablehnend gegenüber zu stehen, das hat, wie auch anderweitig bestätigt worden is, wesentli seinen Grund darin, daß die Geistlichen die Unbecuem- lichkeit des Doppeltsprehens am meisten fühlen und die Be-

sprache würde sie einen Theil ihres Einflusses verlieren. Gerade

die Angehörigen der katholischen Kircbe deutscher Bunge legen davon

eugniß ab, daß sie ebenso treue Anhänger ihrer Kirche sind wie die olen.

Meine Herren! Das sind ja Sachen, die \sich in den Rahmen des Kulturkampfes meiner Ansicht na gar nicht zwängen lassen; ih lehne diese Insinuation von meinem Standpunkt aus ab. Ich halte aber daran fest, woran nicht allein mein leßter, sondern au die früheren Vorgänger festgehalten haben, daß wir namentlich Ober- \chlesien, welhes eine ganz andere geshäftlihe und \prahlibe Ent- wiclung hat als namentli§ Großpolen, aus seiner Vereinsamung herau8ziehen müssen. Hätten wir das niht {on früher erkannt, der leßte Nothstand hätte es uns meines Erachtens zeigen müssen. Jch habe in meiner amtlichen Eigenschaft Kenntniß erhalten von Zu- ständen, welche, was die Ano der Bevölkerung betrifft, fich zu helfen, weit über das hinausgehen, was wir in Ostpreußen aus eigener Anschaung bekannt geworden is, wie in dem Bericht sehr richtig gesagt ift, „die absolute Unfähigkeit, weiter zu arbeiten und fich zu bemühen, wenn eine gewisse Größe des Unglücks an sie herangetreten ist.“ Darin find alle Freunde des Volks einig, daß diesem Mangel nur abgeholfen werden kann, wenn die Bevölke- rung nicht allein in den Sprachschaßt, sondern au in das ‘ganze Wesen des Vaterlandes hineingeführt wird, dem sie angehört.

Meine Herren, ich kann nur bitten, daß Sie diese Sachlage möglichst objektiv prüfen, und id bin meinerseits niht gewillt, was die Erhaltung und die weitere Ausbildung der deutschen Sprache in Oberschlesien betrifft, von dem Wege abzuweichen denke, den meine Vorgänger betreten haben.

Ein Schlußantrag wurde abgelehnt; das Haus vertagte um 4/4 Uhr die weirere Diskussion bis Abends 8 Uhr.

Die vorgestrige Abendsißung des Hauses der Abgeordneten, welhecr der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten von Goßler mit mehreren Kommissarien beiwohnte, wurde vom Präsidenten von Köller um 81/4 Uhr eröffnet. Das Haus seßte die abgebrochene Debatte fort über den Etat des Ministeriums der geistlihen 2c. An- gelegenheiten (dauernde Ausgaben Kap. 121 Tit. 25 Remunerationen für die Verwaltung von Schulinspektionen 427 470 M, 100 000 (4 mehr gegen den vorjährigen Etat). Der Abg. Knörle erklärte sich aus denselben Gründen, wie der Abg. Franz gegen die geforderte Mehrbewilligung. Er

wünsche, daß man die in Rede stehenden mehr geforderten

100 000 Lieber den emiritirten Volksshullehrern zuwenden möchte. Er beantrage, diese 100 000 4 auf Tit. 29: „Ruhe- gehaltszuschüsse“ zu übertragen.

Der Staats-Minister von Goßler bat, diesen Antrag abzulehnen.

Der Abg. Dirichlet kam nochmals auf den Erlaß des Kreisshulinspektors in Pr. Friedland zurück, und bedauerte die Ausführungen, die der Kultus-Minister gegen den Abg. von Stablewski gemacht habe. Er müsse seine Partei gegen den Verdacht in Schuß nehmen, als ob sie die betreffende Rede mit ihrem Beifall begleitet hätte. Gerade die Fort- schritt8partei habe mandherlei Erfahrungen gemacht, dur welche vielleicht gerade bei ihr das Gefühl für die individuelle Würde jedes Mitgliedes dieses Hauses etwas feiner geworden sei, als bei irgend einer anderen Partei.

_ Der Abg. Dr. Franz bedauerte, daß der Kultus-Minister seine (des Redners) Ausführungen über die Sprachenfrage in Oberschlesien so wenig entgegenkommend aufgenommen habe. Das Volk könne nicht verantwortlih gemaht werden für die Vernachlässigung, welhe es ein Jahrhundert lang erfahren habe. Der deutshe Sprachunterciht werde in der That in einer Weise betrieben, welche die natürliche Entwickelung des Kindes auf das Empfindlichste beeinträhtige. Die wohl- wollenden Jntentionen des Ministers würden von ven Re- gierungsorganen in Breslau nicht mit Energie, sondern eher mit Widerwillen ausgeführt. Er wünsche lieber den in Rede stehenden Titel in zwei zu zerlegen, damit zwischen den welt- lihen- Kreis- und den geistlihen Lokalschulinspektoren unter- schieden werden könne.

Der Abg. Strosser bekämpfte den Antrag Knörcke troß der Popularität, deren derselbe sich zweifellos zu erfreuen habe; soweit die preußishen Emeriten einer Aufbesserung ihrer Gehälter bedürften, sei der preußische Staat auch rei genug, sie zu gewähren, ohne anderen etwas wegzunehmen.

Der Titel wurde unverändert genehmigt.

Bei Titel 28: „Behufs Errichtung neuer Schulstellen 218 362 M“ beklagte der Abg. Scholz (Neisse) das stete An- wachsen der kommunalen Schulbaulasten und wünschte eine Verstärkung des Fonds im Etat.

“Hierauf nahm der Minister der geistlichen 2c. Angelegen- heiten von Goßler das Wort.

__ Meine Herren! Einige kurze Bemerkungen möchte ih mir auf die Ausführungen gestatten. Der Herr Vorredner hat eine sehr schwierige Materie berührt, er hat aber nicht darauf hingewiesen, wie die Sache hinsihtlihch der Zuständigkeit der Unterrichtsverwaltung gegenüber steht. Wie den Herren bekannt ist, ist in den östlichen Provinzen die Sache so geordnet, daß nach §. 78 des Kompctenz- geseßes die Schulbauten im Bereich des Volks\chulwesens die Streitig- teiten sowohl zwischen den Betheiligten und den Schulaufsichtsbehör- den einerseits, wie zwischen den Betheiligten unter einander anderer- seits im weitesten Umfange dem Verwaltungswege in zwei Instanzen unterliegen und daß gegen das Erkenntniß des Bezirksverwaltungs- gerichts der ordentliche Rechtsweg zulässig ist. Der Herr Vorredner wird mir zugeben, daß die Materie bezüglich der von ihm in den Vordergrund geshobenen Frage meiner Kompetenz ent- zogen ist, nämlich bezüglich der Ausführung, daß das Landrecht seiner Meinung nah in seiner prinzipiellen Gestaltung ein gutes sei und verständige und heute noch anwendbare Vorschriften enthalte, die Praxis aber \ich von diesen Prinzipien abgewendet habe. Meine Herren, auf diese Praxis habe ih keinen entscheidenden Einfluß, fon- dern habe nur den Einfluß, daß wenn, sei es in der Verwaltungs- rechtsprechung, sei es durch den ordentlichen Richter, ein Präjudiz ge- schaffen ift, ih dasselbe der nahgeordneten Behörde zur Kenntnißnahme und Beachtung mittheile. Ein solches ist, soweit mir bekannt, auf von dem Herrn Vorredner angedeuteten Gebiete noch nicht erfolgt. Ich will das nur bemerken, damit der Herr Abgeordnete nicht etwa annimmt, daß es an Interesse für die von ihm behandelte Materie diesseits ermangelt, sondern sich auch die Kompetenzschwierigkeiten gegenwärtig hält, die jetzt bestehen.

h A au wurde der Titel bewilligt, desgleichen die Titel 18 32.

Bei Tit. 33: „Zuschüsse für Fortbildungsschulen 162 150 48“ befürwortete der Abg. Kalle die stärkere Subventionirung dieses Fonds dringend und wies auf das Beispiel des Groß- herzogthums Baden hin, welches die doppelte Summe für seine Fortbildungsshulen verwende; doch mache er aus der Niedrigkeit dieses Fonds weniger dem Kultus- als dem Finanz-Ministerium einen Vorwurf.

__ Der Regierungskonnmissar Geheime Ober-Regierungs-Rath Lüders erwiderte, die Regierung hoffe. daß die Finanzlage schon in kurzer Zeit eine ausgiebigere Dotation dieses Fonds gestatten werde.

forgniß hegen, mit dem Einzuge des Deutschen als Volks- Y

Der Abg. Strosser trat den Ausführungen des Abg.

Kalle durchweg bei, er erkenne die große Bedeutung der Fort- bildungss{ulen in ihrem ganzen Umfange an. Die Unter- rihtsverwaltung möge aber baldigst dem üblen Mißstande ein Ende machen, die Lehrstunden der Fortbildungsschulen zu die Zeit des Sonntags-Vormittags-Gottesdienstes zu ver- egen.

Demnächst ergriff der Minister der geistlichen 2c. Ange- legenheiten von Goßler das Wort:

Die Frage, welche der AS Abg. Strofser angeregt, is eine

Grage überaus weitgehender Bedeutung und es würde wohl nicht mögli sein, überhaupt in einem beschränkten Zeitraum, diese Frage eingehend und abs{ließend zu erörtern. Wir alle vereinigen uns wohl in der Auffassung, daß wir unserer Jugend eine freie Sonntagsfeier gönnen und für sie erstreben, ebenso stehen wir auf dem gemeinsamen Standpunkt, wie derselbe eben durch die beiden Herren Vorredner bezeichnet ift, daß wir unseren jungen Gewerbtreibenden, den Lehrlingen und Gesellen, in jeder Weise ein A in ihrer Bildung ermöglihen und sichern wollen. Zwischen diesen beiden prin- zipiellen Polen bewegt \sich nun die Unterrihtsverwaltung seit Jahrzehnten unter den größten Schwierigkeiten und dem Bewußtsein ihrer vollen Verantwortung. Es giebt keinen Unterricht8minister, der nit, soweit die Akten reihen ih habe fie nachsehen lassen vom Anfang dieses Jahrhunderts an, es ist cine besondere eingehende Denkschrift über diese geshitliche Ent- wicklung erlassen der im erften Zeitpunkt seiner Thätigkeit es ver- sucht hat, die sogenannte Sonntags-Fortbildungs\hule aus der Welt zu schaffen, und es ist kein Unterrichts-Minister gewesen, der nicht damit geendet hat, sie wieder zuzulassen. __ Meine Herren, die Gründe, die dafür geltend gemaht worden sind, sind außerordentlich mannigfaltig und weitgehend. Ich möchte mir nur gestatten, thatsählich darauf hinzuweisen, daß es seit einer ganzen Reihe von Unterrihts-Ministerien ein Axiom if, daß eine obligatorische Fortbildungs\chule unter allen Umständen an Sonntags- vormittagen nicht abgehalten werden darf. Ferner ist es aber nicht allein auf dem Gebiete der sogenannten freiwilligen ha schule, der fakultativen, sondern auch bei Staatsanstalten und sehr ausgedehnten Staat8anstalten, welche unter Miuistern der verschie- densten Anschauungen eingerichtet worden find, immer als ein noth- wendiges Uebel erachtet worden, den Sonntagsvormittagsunterricht fakultativ aufre{cht zu erhalten.

Meine Herren! Es führt zu weit, so dankbar auch das Thema ist. Das steht fest, daß der Unterrichts-Minister die Befugniß hat, in die Sonntagsschule einzugreifen; das steht aber meines Erachtens auch fest, daß, wenn er nicht vorsihtig und \s{honend in die Sache eingreift, er ganz sicher ist,das Gute, was wir haben, zu zerstören, taß er aber nit sicher ift, dasjenige Gute, was wir im Uebrigen mit Hrn. Strosser sicherlich gemeinsam erstreben, auß zu erreichen. Und darum muß ih sagen, so {wer es au den einzelnen Unter- rihts-Ministern geworden ift, sie haben si bei ihren Schlußentschei- dungen, immer dahin entschieden, daß sie die Segnungen, welche im Fortbildungsunterricht liegen, nicht haben gefährden und zerstören wollen, ohne sicher zu sein gleichzeitig etwas mehreres und besseres zu erreihen. Wir werden von der Entwickelung

®der Zukunft und von dem steigenden Verständniß unserer gewerb-

treibenden Bevölkerung erhoffen und vielleiht au erwarten dürfen, daß sie in immer mehr steigender Einsicht und Erkenntniß dahin ommt, daß die Meister an gewissen Wochentagen bereits des Nach- mittags oder in früheren Abendstunden ihre jungen Leute dem Unter- richte zuführen. Aber, meine Bere wenn man das jeßt dadurch erzwingen wollte, daß man den Fortbildungss{ulunterriht am Sonn- tag Vormittag einfach aufhebt, so erreiht man das Erstere nicht. Auf diesem Gebiete, meine Herren, das ist viellciht ein versöhn- liches Wort, das nur in den Mund gelegt wird i} wohl der Initiative der Vereine und der Jnitiative jedes wohlgesinnten Privat- mannes ein außerordentlich segensreicher Spielraum eröffnet, und ih möchte jeden Herrn bitten, der tiefer in die Materie eindringt und Interesse für die Entwicklung unserer gewerbtreibenden Jugend hat, mit ganzer Kraft dahin zu wirken, daß unsere gewerbtreibende Be- völkerung allmählih dazu übergeht, nit die Kraft der Jugend aus- zunußen bis zum leßten Augenblick des Wochentages, sondern im Interesse des Gewerbes und threr selbst der Jugend freie Zeit zu ge- währen, damit sie solchen Unterricht besuchen könne. Ist diese Mühe mehr erreiht als bisher, so wird sicherlich die Einsicht der Ver- waltung und Einsicht der Unterrichtsbehörden niht mangeln, um den Unterricht auf die Wochentage überzuleiten; heute halte ih diese An- wendung noch für zu früh.

Titel 33 wurde bewilligt.

Es folgte Kap. 122: Kunst und Wissenschaft 2 738 460 46 und zwar zunächst Kunstmuseen zu Berlin 716 002 M

Titel 1 bis 3 wurden ohne Diskussion genehmigt.

Bei Titel 4 zur Vermehrung und Unterhaltung der Sammlungen 325 000 4 ging der Abg. Dr. A. Reichensperger (Cöln), wie {hon in früheren Jahren, auf die Qualität der jüngsten Erwerbungen in sehr ausführlicher Weise ein. Auf die Bacchantin des Kalide wolle er nicht wieder zurückommen, dagegèn sei der Preis von 200 000 # für den zweifelhaften Rubens do exorbitant. Um Raum zu schaffen, möge man do end- lih aus der Gemäldegalerie die Bilder zweiten und dritten Ranges an die vernachlässigten Museen in der Provinz ab- geben. Jn Bezug auf das Kupferstihkabinet sei eine Er- höhung des Fonds für die Anschaffung von Stichen ersten Ranges sehr zu wünschen.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

M G,

Zweite Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Montag, den 20. März

1Sw2.

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(Schluß aus der Ersten Beilage.) Darauf nahm der Staats-Minister von Goßler, wie

folgt, das Wort : Für das warme Interesse, welches der Hr. Abg. Dr.

Reichensperger dem Kupferstihkabinet entgegengetragen hat, kann ih ihm nur dankbar sein, und wenn es seiner Einwirkung gelingen würde, den Fonds für die Vermehrung der Sammlung *zu ver- olga so würden wir uns Alle nur im Dank begegnen. Aber i darf doch daran erinnern, daß das gleiche Interesse und dasselbe Wohlwollen, welches er dem Kupferstichkabinet entgegenträgt, eine ganze Neihe anderer schr beahtenswerther Persönlichkeiten auch noch für die anderen Zweige unserer Museen hegt, Ich erinnere beispiels- weise an das Antiquarium, an das Münzkabinet, an die ethnologische Sammlung und andere. Also auf diesem Gebiet wird der Hr. Abg. Dr. Reichensperger viele Konkurrenten haben, und ich' möchte nur ies daß die Konkurrenz aller dieser Kreise dazu führt, überhaupt die Fonds für unsere Sammlungen zu erhöhen. Die Summen und das schien dem Hrn. Abg. Dr. Reichensperger doch von Interesse zu sein wie sie hier in dem vorliegenden Titel aufgeführt sind, im Gesammtbetrage von 325 000 #., werden nur in der Weise zwischen den einzelnen Abtheilungen der Museumsverwal- tung des sogenannten alten Museums vertheilt, daß zunächst ein all- emeiner Reservefonds von 100000 A. ausgeschieden wird. Dann ekommt jede Abtheilung noch cinen gewissen wohlwollend bemessenen Durchschnitts\atz, den die Direktoren alle selbst mitbestimmen. Zu meiner Freude kann ih sagen, daß, obgleich naturgemäß jeder Di- rektor seine Abtheilung für die wichtigste und der Vermehrung be- dürftigste hält, es immer gelungen ist, eine Einigung herbeizuführen. Das Kupferstichkabinet hat im leßten Jahre au seinen Antheil von 37 000 M. erhalten. Aber darüber hinaus hat sih die Centralinstanz aufs äußerste bemüht, anderweitige Mittel auch noch flüssig zu machen. Und wenn Hr. Abg. Reichensperger die Güte gehabt hat, in der letzten Zeit das Kupferstichkabinet zu mustern, so wird er uns die Anerkennung nicht versagen, daß wir im Laufe der leßten Jahre nicht allein quantitativ, sondern auch qualitativ prosperirt haben ; und ih will ihm außerdem noch versprechen, daß soweit überhaupt meine Kraft und mein Einfluß reicht ih diesem Zweig der Kunstsamm- lung mein besonderes Interesse zuwenden werde. S Da Hr. Abg. Reichensperger auf den Anschaffungsfonds für die Nationalgalerie eingegangen ist, so ist es vielleiht kürzer, wenn ich gleih hier auf seine Bemerkungen eingehe. Der Fonds von 300 000 M. ist nit bestimmt, überhaupt nur Bilder der National- galerie zuzuführen, sondern, wie Sie aus dem Vermerk bei dem Titel schen, so is er überhaupt für die Förderung der Kunst beftimmt, und es ist nawmentlich in den leßten Jahren ein wahrer Löwenantheil für die monumentalen Malereien verwendet worden, also für die Malerei, welhe sich außerhalb der Nationalgallerie selbst vollzieht. Er hat dann aber weiter einen Gedanken angeregt, der sih mit cinem Gedanken, den ih selbst seit langer Zeit bei mir hege, begegyet, das ist nämlich der Gedanke, ob wir recht thun, zunächst alle Bilder unter allen Um- ständen in den Kunstsammlungen zu magaziniren, also, um konkret

_zu bleiben, alle modernen Bilder, die wir ankaufen, obligatorisch der

Nationalgallerie zuzuführen. Nah dem Wortlaut unseres Titels 33 erscheint ein solhes Verfahren wohl nothwendig, aber mir {webt die Idee vor, daß sich eine Einrichtung ähnlich wie in Frankreich treffen ließe, wo man Anstand genommen hat, unter allen Umständen jedes Bild in eine der beiden Staats\ammlungen einzufügen, sondern wo man auch in anderen. öffentlihen Gebäuden, in Provinzial-Insti- tuten, in den Wohnungen höherer Staatsbeamten, wenn ih mi so ausdrücken darf, die Gemälde auf Probe und Miethe gegeben hat, selbstverständlich unter dem Vorbehalt des Rechts der Kunstverwaltung, in jedem ihr angemessen erscheinenden Augenbli die Bilder zu revoziren. Denn das wird der Hr. Abg. Reichensperger anerkennen, es ift bei den modernen Erwerbungen im Moment nicht zu ermessen, ob das Bild, wie er verlangt, eine Perle ist oder sein wird, denn in dem Augenblick, wo entweder die Kunstrihtung sich verändert, oder wo das Talent des Künstlers sich in steigender Bedeutung entwickelt und das Bild, das der Künstler in einem Jahre geschaffen hat, cine wichtige Unterlage zur Beurtheilung der Entfaltung seines Genies geworden ist, verschieben sich natürlih die Verhältnisse und die Preise, und, wenn der Künstler das Unglück hat, etwas Großes niht mehr afen zu fönnen, oder gar vorzeitig zu sterben, dann kann das einzelne Bild fast unvermuthet einen fast ungemessenen Werth erlangen.

So verlockend die Materie ist, so würde es mich doch zu weit führen, diesen Gedanken hier weiter zu verfolgen. Vielleicht hat der Hr. Abg. Reichensperger die Güte, den Gedanken, den wir, wie es scheint, gemeinsam haben, weiter nachzugehen, ob es niht in der That möglich und richtig ist, eine Form zu finden, die vielleicht auch im Etat ihren Ausdru finden kann, wonach moderne Gemälde, namentli große Gemälde, die in der heutigen Nationalgallerie nicht mehr Plaß finden können, für den Staat er- worben werden, ohne sie gerade der Nationalgallerie zuführen zu müssen. Dann sammeln wir meines Erachtens für unsere Nachkom- men einen Schatz, welcher es ihnen viel leichter macht, in jedem ge- gebenen Abschnitte eine sehr lehrreihe und schr bedeutende Samm- lung zusammenzustellen. y N

Der Abg. Dr. Frhr. von Heereman erklärte, er könne der jeyigen Oberleitung der Königlihen Museen für ihre Thätigkeit in den leßten zehn Jahren nur die rüchaltloseste Anerkennung aussprehen. Er müsse aber auch seinerseits das Kupferstichkabinet der besonderen Beachtung des Ministers empfehlen; vie Forderung eines Extraordinariums für diesen Zweck würde vom Hause gewiß ohne Anstand bewilligt werden. Der Gedanke, im Staatsbesiß befindlihe Kunstwerke an Provinzialmuseen zu verschenken oder zu verleihen sei ein sehr glüdlicher.

Demnächst nahm der Staats-Minister von Goßler das Wort :

Ih möchte auf die leßte Bemerkung des geehrten Gen Vor- redners kurz dahin antworten, daß seinen Wünschen im Großen und Ganzen schon jeßt entsprochen wird. Wenn ih mich an die Gegen- wart halte, so geht jeßt eine größere Anzahl Bilder auf die Wiener Ausstellung die Wiener Ausstellung wird beschickt von Künstlern, deren Bilder in den leßten 10 Jahren angefertigt worden sind. Ferner geht eine Anzahl größerer, zum Theil recht großer Bilder in die östlichen Provinzen, ein Theil geht auch nah Düsseldorf; es ist sogar mögli, daß für Nürnberg einige Bilder übrig bleiben. So bereit ih bin, den in dieser Richtung an die Kunstverwaltung herantretenden Wünschen zu entsprechen, so darf id doch auf der anderen Seite nicht außer Acht lassen, daß durch solche Beispiele die Nationalgallerie nicht gleichsam ausgeplündert werde, namentlich im Interesse des zu- reisenden Publikums, und wir haben wiederholt die s{wersten Klagen von solchen Fremden gehört, die ihr besonderes Interesse unseren Kunstsammlungen zuwenden und {merzlich das Fehlen be- deutender Bilder vermissen. Aber vielleicht hat der geehrte Herr Ab-

eordnete aus meinen Aeußerungen entnommen, das ein prinzipielles Bedenken gegen seine Anregung diesseits niht be teht, Das Ver- fahren bei dem Ausleihen der Bilder is im Allgemeinen ein solches, daß, wenn ein Bild noch. nit inventarisirt ist, das Ausleihen durch

den Unterrichts-Minister verfügt wird; ist es aber inventarisirt ver- zeichnet, und in vollem Maße in das Staatéeigenthum übergegangen. Dann ist nach den maßgebenden Grundsäßen der Erlaß einer Aller- höchsten Ordre erforderlich. Es wird nie gezögert in geeigneten Fällen, wie z. B. im Falle der Wiener Ausstellung die Allerhöchste Ordre zu ir v Sie ist sogar in dem betreffenden Falle inzwischen {hon ertheilt.

Der Abg. Dr. Virchow (als Referent der Bugetkommis- fion) plädirte für eine Ausdehnung der Besuchszeit der Museen; er müsse auf die Liberalität der Londoner Mu- seumsverwaltung verweisen, welche den arbeitenden Klassen den Besuch der Museen bis zum Sonnenuntergang freistelle.

Tit, 4 wurde bewilligt, desgleichen Tit. 5 und 6.

Bei Tit. 7, Nationalgalerie zu Berlin 82 860 6, konnte der Abg. Dirichlet nicht umhin, auch der Verwaltung dieses Jnstituts uneingeshränktes Lob für die großen Lei- stungen zu zollen, welhe es in der kurzen Zeit seines Be- stehens aufzuweisen habe.

Bei der Position: Königliche Bibliothek zu Berlin 248 534 6, empfahl der Abg. Dr. Kropatsheck eine syste- matische Kompletirung der Büchersammlung, nicht sowohl dur Erwerbung ganzer Bibliotheken, als durch Ankauf einzelner Werke. Es könne sonst leiht geshehen, daß Amerika Preußen überflügele. Zur Erfüllung: seines Wunsches bitte er um die Einstellung von 50 000 / in das Ordinarium des nächst- jährigen Etats.

Der Abg. Schmidt (Stettin) wünschte eine Ausfüllung der Lücken in den preußischen Bibliotheken und die Aufbesse- rung der Gehälter der Beamten derselben. Er halte einen Neuban der Berliner Bibliothek für nöthig; man solle auch dafür sorgen, daß die Bibliothek länger, namentlich auch Abends, der Benuzung zugänglich sei. j (

Tit. 12 wurde bewilligt, ebenso ohne Diskussion die fol- genden Titel bis 23. / /

Tit. 24 fordert für sonstige Kunst- und wissenschaftliche 9wedcke 48 552 M,

Der Abg. Dr. Seelig bat um eine größere Fürsorge des Staates für die prähistorischen Alterthümer. N

Dieser und die folgenden Titel wurden bewilligt.

Bei der Forderung von 12000 # in Tit. 35 zur Kon- servirung der Alterthümer in den Rheinlanden plaidirte der Abg. Knebel für Neu- und Umbauten der dortigen Museen.

Der Staats-Minister von Goßler stellte diesbezügliche Verhandlungen von Regierungskommissarien mit den betresfen- den Provinzialbehörden in Bonn und Trier für die aller- nächste Zukunft in Aussicht.

Der Abg. Dr. August Reichensperger (Cöln) bat um reihlichere Berücksihtigung seiner Vaterstadi, namenilich bei der ferneren Stadterweiterung.

Tit. 35 und 36 wurden bewilligt. -

Bei der Position: 457 983 6 als Zuschuß für die Aka- demie der Künste in Berlin, referirte -der Abg. Dr. Virhow Namens der Budgetkommission über die Ausgaben für die Akademie der Künste und sprah den Wunsh aus, daß der- selben größere Räumlichkeiten und vielleiht bald ein Neubau zur Verfügung gestellt werde. : l |

Der Regierungskommissar Ministerial-Direktor Greiff er- widerte, daß vorläufig miethweise neue Räumlichkeiten beschafft werden würden; ein definitiver Bau dürfte noh eine Zeit lang auf sich warten lassen. Die Regierung werde indeß die Verwirklichung dieses Planes aufs lebhafteste fördern und hoffe, eine diesbezüglihe Denkschrist im nächsten Jahre dem Hause vorlegen zu können. i

Dieser Titel sowie der Rest des Kapitels wurde be- willigt.

Darauf vertagte sich um 11!/// Nachts das Haus auf Montag 10 Uhr.

Die in der (36.) Sißung des Hauses der A b'- geordneten bei dem Kap. 121 der dauernden Ausgaben (Elementar-:Unterrichtswesen) des Etats des Ministeriums der geistlihen 2c. Angelegenheiten vom Staats - Minister von Goßler gehaltene Rede hat folgenden „Wortlaut :

Meine Herren! Wenn ih auf alle die Gedanken eingehen wollte, welche der Herr Vorredner hier vorgetragen hat, namentlich auf die geschichtliche Darlegung der Stellung des Staates zur Kirche in Beziehung auf den Religionsunterricht in der Volksschule, so würde jedenfalls meines Erachtens die Absicht nicht erreicht werden, die ih bei der bisherigen Etatsberathung gehabt habe, nämlich die, so weit es möglich ift, eine an die konkreten ‘Verhältnisse angeschlossene Diskussion aufrecht zu erhalten.

In Beziehung auf die prinzipiellen Momente, welchen der Herr Abgeordnete Ausdruck gegeben hat, will ih mich mit ihm sehr gern einigen, ich muß mir aber zunächst versagen, auf seine historischen Rücckblicke einzugehen, ih würde bei der Kritik zu etwas s{harfen Be- merkungen kommen, weil ich in der That niht anerkennen kann, daß cine große Anzahl von Ausführungen, die er in Beziehung auf meinen vorleßten A ratgs E e irgendwie in der angegriffenen Verfügung ihre Rechtfertigung finden : 4

Lie Verfügung von 1876 das bin ich s{uldig zu erklären ist auf Beschwerden von katholischer Seite erlassen. Es ist vielleicht einzelnen Herren, die auch damals im hohen Hause gesessen, noch im Gedächtniß, daß die Verfügung, nachdem sie erlassen war, als ein sehr erheblicher Fortschritt auf katholisher Seite begrüßt wurde. Daß sich dieser Erfolg im Laufe von 6 Jahren umgedreht haben sollte, fann ih mir vom Standpunkte des Herrn Vorredners erklären, aber wir wollen doch der historishen Wahrheit niht so ganz den Rücken kehren. Auch dem Herrn Minister Falk ih muß seinen Namen hier aus\sprehen ist es niht im Traume eingefallen, den Art. 24 der Verfassung in seiner Bedeutung umzukehren, im Gegentheil, wenn Sie die Nr. 7 seiner Verfügung ansehen, werden Sie, meines Erachtens, Das finden, was wir auch heute in Preußen als virtuelles Recht anerkennen und befolgen. Meine Herren, ih glaube, solche Rekriminationen und Ausführungen führen zu nihts. Ich stehe auf dem Standpunkt meines leßten Herrn Vorgängers das wird zu- gleih dem geehrten Herrn Vorredner eine Beruhigung gewaeren —- und zwar nah allen Richtungen hin, zunächst nah der Richtung von der hohen Bedeutung der Religion bezüglich unseres Volks\chulunter- richts, und in Bezug zu die Stellung der Kirche zur Schule. Es ift aber au in dieser Beziehung, wie leider in manchen anderen Punkten, doch zu unterscheiden zwischen der Religion in ihrer idealen Bedeutung und der Kirche mit ihrer historishen Berechtigung einerseits und zwischen den physischen Personen einzelner Personen andererseits uud

eben auf diesem Punkte wie überhaupt im Naume, wo si die Sachen und Personen stoßen, sind die Konflikte entstanden, und da ist auch heute noch nit der ideale Zustand eingetreten, nach dem ih, soweit meine Kraft reiht, hinstrebe und wohin ih auch mit weiteren Fort- schritten zu gelangen hoffe.

Seit dem vorigen Zahre die bezüglichen Zahlen hat der Herr Abgeordnete, soweit ih habe kontroliren können, aus den \tenographi- schen Berichten rihtig vorgetragen ist doch wieder ein sehr erheb- licher Fortschritt auf dem in Rede stehenden Gebiete zu verzeichnen, und der ati Minister von Puttkamer hat auch ganz richtig z. Z. den Weg bezeichnet, der zu betreten war, das is die Prüfung der konkreten Verhältnisse im Einzelfalle. Die Verhältnisse liegen in der That sehr verschiedenartig. Nun will ich dem Herrn Abgeordneten zunächst einen kleinen Üeberblick geben, wie sih unter des Hrn. von Puttkamer und meiner Verwaltung im leßten Jahre die Verhältnisse bezüglich der Zulassung der katholischen Geistlihen zur Ertheilung und Leitung des Religionsunterrichts sich gestellt haben.

Es ist den Herren bekannt, daß, wie auch der Herr Abgeordnete Steinbush vorgetragen hat, in den Vorjahren 2848 Geistlichen die Leitung beziehungsweise Ertheilung des Religionsunterrichts entzogen war. Im vorigen Jahre betrug die Zahl derjenigen Geistlichen, welche noch niht wieder zugelassen waren, 635, im gegenwärtigen Augenblick, oder vielmehr im Monat Januar 542. eiter spricht der Herr Abgeordnete seine Verwunderung darüber aus, daß die Aus\c{ließung der Geistlichen in einzelnen Regierungsbezirken ein fehr verschiedenartiger ist. Jch kann das zugeben, es ist das in der That auch carakteristisch. Wir wollen uns die Regierungsbezirke einzeln ansehen, in denen die Nichtzulassung der katholischen Geistlichen in größerem Umfange besteht. Es sind vor allem der Regierungsbezirk Posen mit 205 Geistlihen also {on über ein Drittel Bromberg mit 81 beide zusammen bilden die größere Hälfte Breslau mit 62 gegen 93 im Vorjahre, Oppeln mit 48 gegen 50 im Vorjahre. Wir haben also mît dieser Thatsache wieder ein gewisses Gebiet berührt, auf das wir immer von Neuem hinge- führt werden. Das ist dasjenige Gebiet, wodurch nationale und Sprachschwierigkeiten Anforderungen an die Schulverwaltung gestellt werden, die fih ohne Entgegenkommen der Geistlichen nicht so leicht überwinden lassen. Darüber hinaus ist die Zahl der katholischen Geistlichen, welche nicht zugelassen worden sind, von einiger Erheblich- feit nur in Cöln. Dort beträgt die Zahl der noch nit zugelassenen Geistlichen 61 gegen 68 im Vorjahr.

Im Uebrigen das kann ich weitec daran knüpfen ist die Auffassung in der That nicht richtig, als ob irgendwie nicht der Klerus , sondern die vhysischen Personen der römisch - katholischen Geistlichen während des Kulturkampfes überhaupt und auf dem Ge- biete der Schulverwaltung insbesondere ein gleichartiges Bild gegeben hätten. Wie der Hr. Minister Falk {hon bei der Erörterung des Schulaufsichtsgeseßes hier entwickelte, beherrshte ihn die ganz richtige Auffassung, daß auch dieses s{werwiegende Geseß in großen und weiten Landestheilen ganz ohne Einfluß auf die Stellung der Geistlichen zur Schule sein würde und diese Voraussicht ist nicht allein Wahrheit geworden für große Bezirke mit überwiegend evangelischen Geistlichen, sondern auch in Bezug auf weitere Gebiete, in denen vorwiegend katholische Geistlihe als Schulaufsichtspersonen oder als Lehrer und Leiter in den Schulen fungiren. Ich darf daran erinnern, daß beispielsweise im Ma nS Wiesbaden, in Osnabrück, in

ildesheim, im Liegnißer Bezirk fast spurlos der H und überhaupt die Bewegung auf dem Schulgebiete an der römisch-katho- lischen Geistlichkeit vorübergegangen ift und das, soweit meine Kenntniß reicht, nicht blos, wie der Herr Vorredner annahm, weil die Regierungen anders verfuhren, sondern auch, weil in den von mir genannten Be- zirken gewisse Einflüsse niht dieselbe Macht auf die Geistlichkeit hatten, wie in anderen Bezirken. Ganz diese selbe Auffassung gewinnt man, wenn man einen Blick auf die Beseßung der Lokal-Schulinspek- tionen, Kreis-Schulinspektionen wirft. Es find auffallender Weise immer dieselben Bezirke, welche sich in allen Beziehungen zwischen Staat und Kirche freundlicher darstellen.

Es ist ein weiterer Vorwurf darüber erhoben worden, daß die Geistlichen, denen die Leitung und Ertheilung des Religionsunterrichts nicht wieder beigelegt worden ist, Seitens der Behörden hierbei nicht gehört worden sind. Meine Herren! Diese Behauptung ist doch sehr cum grano salis zu verstehen. Die katholischen Geistlichen enthielten jedenfalls der Unterrichtsverwaltung zum Theil sehr bestimmte An- träge nicht vor, und sowohl mein Vorgänger wie ih sind wiederholt in der Lage gewesen, \ich sehr eingehend damit zu beschäftigen. Ich fann im Allgemeinen nur sagen, daß, wer einige spezielle Fälle kennt, man sich wundern muß, daß überhaupt von denjenigen Persönlich- keiten, die dabei in Frage kommen, so gehandelt werden konnte, wie gehandelt ist. (Zuruf im Centrum: Dunkel ist der Rede Sinn !)

Meine Herren! Wenn Sie über solche Fälle Auskunft haben wollen, die Akten stehen ja zur Verfügung. (Abg. Dr. Windthorst: Ich werde sie mir ausbitten !) i

Meine Herren! Ich habe weil der Abg. Dr. Windthorst es wünscht, gehe ih weiter darauf ein einen Bericht bekommen aus Oberschlesien, wo ein Kaplan den Religionsunterricht - in polnischer Sprache ertheit hat und nunmehr über sein Vorgehen befragt werden mußte, weil er den Religionsunterricht in einer anderen Sprache er- theilt hat, als in Bezug auf den Religionsunterriht im Jahre 1873 vorgeschrieben ist. An diesen Kaplan ist nun die Frage gerichtet, ob er fich der in der gedachten Hinsiht getroffenen Anordnung fügen wolle und derselbe ist ersuht worden, innerhalb aht Tagen dem Kreis-Schulinspektor gegenüber sich darüber zu erklären. Darauf reibt der Herr nicht an den Kreis-Schulinspektor, sondern an die Regierung und zwar, wie er sagt: „zur Beschleunigung auf direktem Wege“, das Folgende:

So lange ich nicht als Sprachlehrer zu fungiren und nur den Religionsunterricht zu ertheilen und diesen nicht als Mittel zum Zwed, sondern allein als Zweck zu behandeln habe, kann i ch den Religions- unterricht in der fraglichen Mittelklasse in der Landschule nur in der hier verständlichen polnishen Sprache ertheilen.

nun kommt der Nachsaß, meine Herren, ih bitte denn au „Bravo“ zu rufen; aber vergessen Sie es nicht; wie ja auch Christus, dessen Verfahren doch wohl das Beste ge- nannt werden kann, die Juden, obschon römische Unterthanen, in der ihnen verständlihen Sprache belehrte. L L

Meine Herren, wenn das nicht eine Begriffsverwirrung ist, dann weiß ih nicht, wie man so etwas bezeichnen soll. Daß aber die Si atoren una mit solchen Herren niht gemeinsam die Sculver- waltung betreiben und ihnen die Unterweisung der Jugend überlassen kann, das werden Sie mir zugeben.

Auf weitere Spezialitäten is der gechrte Herr Vorredner auh noch eingegangen, es bietet sih vielleicht in anderem Zusammenhange die Möglichkeit, darauf weiter einzugehen. Er berührte die missio canonica. Vielleiht haben die r7a4 die Güte, sih aus den Geissel’\hen Memoiren präsent zu halten, daß die missio canonica eine neue Einrichtung für Preußen war“ —: fo sagt derselbe wörtlich: im Allgemeinen hat die preußishe Regierung immer -die Maxime befolgt, daß es Sache der einzelnen Religionslehrer ist, die nach threr religiösen Ueberzeugung etwa erforderliche missio si zu vershaffen. Sie hat aber elo jeder ge daran festgehalten, daß das berech de Atereseter Kirche bei der Lehrerprüfung zum Ausdruck kommen muß. Bei allen rüfungen auf den Lehrerseminarien is es auch heute noh das Uebliche, daß ein bischöflicher Kommissarius den Prüfungen beiwohnt,

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