Nun ist weiter darin Kritik geübt worden, deß im Artikel 6 da- von gesprochen worden wäre, daß die Bestimmungen des Vertrags von Versailles bestehen bleiben. Darf ich daran erinnern, wie es der Herr Reichskanzler gestern bereits getan hat, daß diese Bestim- mungen sih in einer gangen Neihe von Verträgen finden, die wir bis in die leßte Zeit hinein abgeschlossen haben, ohne daß bisher der An- siehung dieser Bestimmung diejenige Bedeutung beigelegt worden wäre, die ihr jebt beigelegt wird. (Lebhafte Zustimmung. es Hört, hört! links) Meine Damen und Herren, ih darf darauf hinweisen, daß wir am 22. Dezember 1920 Vereinbarungen mit der ungarischen, der tshecoslowakishen und der österreichischen Regierung getroffen haben. Im Artikel 21 dieser Vereinbarungen heißt es: : Die Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles sowie
der anderen noch abzuschließenden Friedensverträge werden durch dieses Uebereinkommen nicht berührt. Wir haben im Jahre 1923 einen Handelsvertrag, den Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwishen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika abgeschlossen, Auch darin he:ßt es: / i Nichts in diesem Vertrage soll im Sinne irgendeiner Ein- schränkung oder Kürzung derjenigen Nechte, Vergünstigungen und Vorteile. ausgelegt werden, die Deutschland oder seinen Staats- angehörigen oder den Vereinigten Staaten oder ihren Staats- angehörigen durch den am 25. August 1921 zwischen Deutschland und ten Vereinigten Staaten abgeschlossenen Vertrag zur Wieder- herstellung freundschaftliher Beziehungen gewährt worden sind. Dieser Vertrag, der hier etwas euphemistishes als „Vertrag zur Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen“ zwischen beiden Ländern bezeichnet wird, is der Vertrag, der die Nechte der Ver- einigten Staaten von Amerika aus dem - Vertrag von Versailles enthält.
Wir haben weiter im Zeichnungsprotokoll des englishen Handels- vertrags, ebenfalls im Neichsgesebtblatt veröffentlicht, erklärt, daß der Vertrag von beiden Seiten ohne Vorbehalt mit der Maßgabe unter- zeichnet wurde, daß er in keiner Weise die aus dem Versailler Ver- trag sih ergebenden Nechte beeinträchtigt. (Hört, hört!) Dieser Vertrag ist vom 17. August 1925, (Lebhafte Nufe in der Mitte und links: Hort, hört!) Wenn 1ch auch im Auswärtigen Ausschuß ein hartes Kreuzfeuer von Anfragen und Kritik bei der Beratung dieses Vertrags zu bestehen hatte, so ist doch diese Bestimmung damals, wenn ich nit irre, niht Gegenstand des Angriffs oder der Kritik gewesen. (Hört, hört! und sehr rihtig) Sonst wäre sie doch mit derselben Bedeutung in den Mittelpunkt der Dinge gerückt, wie man jeßt erklärt, daß diese einfahe Bezugnahme darauf, daß die Rechte aus dem Versailler Vertrag bestehen blieben, eine freiwillige noch- malige Anerkennung des Versailler Vertrags in allen seinen Konse- quenzen wäre. (Lebhafte Zustimmung bei der Deutschen Volks- partei, in der Mitte und links. — Unruhe bei den Deutschnationalen.)
Wir haben weiter eine ganz ähnliche Erklärung bei den Be- Tanntmachungen über den Beitritt des Deutschen Neichs zu dem Abkommen von Barcelona abgegeben Wir haben sie zuleßt ab- gegeben am 17. Juni 1925 bei dem Genfer Abkommen über den Waffenhandel. Sie sehen also: es zieht sih diese Klausel durch die ganzen Verträge Deutschlands hin. Ich alaube, es ift volllommen klar, daß damit lediglih nur das eine zum Ausdruck gebracht ist, daß die Nechte und Verpflichtungen bestehen bleiben, die hier den vertrag- schließenden Mächten zustehen, und daß in keiner Weise damit aus- gedrüdt ist, daß nun derjenige, der diese Klausel anerkennt, damit noch einmal erklärt, daß er den Vertrag nunmehr freiwillig auf sich nimmt und alle seine moralischen Eimvendungen, die er dagegen zu erheben hat, etwa als nichtig betrahtet. (Sehr richtig!)
Aver ih darf ein Lebtes bemerken. Gerade diese weitgehende Bedeutung, die jeßt dem Artikel 6 gegeben wird, und die Skepsis, mit der demgegenüber die Erklärungen der Negierung aufgenommen werden, erscheint mir deshalb so seltsam, weil doch dieser Einspruch dann hätte erhoben werden müssen, als die Note vom 20. Juli abging. (Lebhafte Zustimmung.) Denn in dieser Note heißt es im Artikel T felgendermaßen:
„Die alliierten Regierungen betonen in der Note vom 16. Juni, daß die Negelung der Sicherheitsfrage keine Aenderung der Friedens- vertzäge mit sh bringen dürfe. Die deutsche Regierung vermag aus den Ausfülß rungen der Note über diesen Punkt niht ohne weiteres zu erkennen, weldhe Absicht die alliierten Regierungen damit verfolgen. Der Abschluß eines Sicherheitspaktes, wie ex in den deutschen Anregungen skizziert wird, bedeutet keine Aenderung der bestehenden Verträge.
(Hört, hört! links und bei der Deutschen Volkspartei.) Für die deutsche Negierung dürfte deshalb in dieser Hinsicht kein Anlaß zu besonderen Feststellungen vorliegen. Die deutsdhe Me- gierung betrachtet es als selbstverständlich, daß nicht etwa für alle
Zukunft die Möglichkeit ausgeschlossen werden soll, bestehende Ver-
träge uf dem Wege friedlihen Uebereinkommens zu gegebener Zeit
veränderten Verhältnissen anzupassen. Sie darf darauf hinweisen, daß auch die Saßung des Völkerbundes derartigen Notrwendigkeiten Mechnung trägt.
Aus diesem Absaß der deulshen Note, die auch die Zustimmung der Deuéschnationalen Partei gefunden hat (Hört hört! links und bei der Deutschen Volkspartei), geht für mich folgendes hervor: Erstens, wenn wir selbst in unserer Note hier erklären, daf der Abschluß eines Sicherheitspaktes, wie er in den deutshen Anregungen MÆizziert sei, keine Aenderung der bestehenden Verträge bedeute, dann können wir doch nicht, wenn diese selbe Bemerkung sich später wieder findet, das als einen gegen Deutschland gerichteten Schlag ansehen, der uns irgendeine feierliche freiwillige Anerkennung aufzwingen will. Sonst hätte sie in dieser Note ge- legen, und das werden Sie (zu den Deutschnationalen) mit mir aufs allerentschiedenste zurückweisen. (Sehr richtig! links und bei der Deutschen Volkspartei.) Aber zweitens: wenn wir selbst in unserer Note erklärt haben, daß die Saßung des Völkerbundes den Notwendigkeiten Rehnung trägt, auf dem Wege friedlihen Ueber- einfommens zu gegebener Zeit die bestehenden Verträge anderen Verhältnissen anzupassen, dann können wir doch nicht zu derselben Zeit, in dex wir sagen, die Völkerbundsaßung gibt uns diese Ga- rantie, einen Vertrag, der vollkommen unter dem Völkerbund steht and bei dem man unsere Zugehörigkeit zum Völkerbund zum Kardinalpunkt des Ganzen genommen hat, als eine Anerkennung ewiger Grenzen hinstellen, die uns eine friedlihe Revision8möglich- keit niht gäbe. So glaube i, daß gerade dieser entscheidende Saß unserer eigenen Note diejenigen Bedenken am ehesten beseitigen könnte, die „hier zum Ausdruck gebracht worden sind. Und wenn, als davon die Rede war, daß wir erneut den Versailler Vertrag
anerkennen, dann der Zwishenruf fiel „einschließlih der Kriegs- [huld!“, dann darf ih doch darauf hinweijen — das hat Herr Graf von Westarp seinerzeit anerkannt —, daß einmal von unserer Seite aus die Notifikation unserer Stellungnahme zur Kriegsshuldfrage erfolgt ist. Jch darf Sie weiter darauf hinweisen, daß bei den Ver- handlungen in Locarno die damaligen Erklärungen des deutschen Memorandums wiederholt wurden, und wenn Sie die Verhand- lungen lesen, die in der belgishen Kammer stattgehabt haven und dort die Angriffe des Herrn FJaspar wegen der deutscherseits er- folgten Notifizierung zur Kriegsshuldfrage, dann dürfte doch wohl die Angelegenheit hinreichend geklärt sein, daß man nun niht noch aus diesen Dingen heraus konstruieren kann, daß wir hier erneut irgend ein moralishes Schuldanerkenntnis aussprechen.
Jh darf mich dann den Ausführungen zuwenden, die vom Hercn Grafen Westarp über den Osten gemacht worden sind und die auch in der Oeffentlichkeit sehr große Bedeutung gehabt haben. Es wird darauf hingewiesen, daß unsere Erklärungen über den Artikel 16 nicht genügten. Es wird auf die starke Trübung unseres Verhältnisses zu Rußland hingewiesen, die sich daraus ergeben könne. Meine Herren, die Auffassungen derüber sind in der Deutsch- nationalen Partei nicht einhellig. (Hört, hört! links und bei der Deutschen Volkspartei.) Fch darf Sie darauf hinweisen, daß der Reichstags8abgeordnete unser verchrter Kollege Herr Professor Hoebsch am 1. November in der Zeitschrift „Der Arbeitgeber“ einen Artikel veröffentlicht hat: „Die Außenpolitik der zweiten Oktober- hâlfte.“ Fn diesem Aufsay sagt Herr Professor Hoebsch: — Parallel mit Locarno ging der Abschluß der deutsch-russishen
Verträge und die Gewährung eines 100-Millionen-Krediics von Deutschland an Rußland am 6. Oktober. Diesen Vertrag nach dex wirtschaftlich-rehtlichen Seite hier zu würdigen, fehlt der Play. Seine politishe Bedeutung ruht darauf, daß in den ent- scheidenden Momenten des Locarno-Abschlusses genau doku- mentiert wuvde, wie Deutschland zu Rußland zu stehen wünscht. Rußland hat dagegen alle Veranlassung, das so oft hysterish, ja anmaßend geäußerte Mißtrauen gegen Deutschland, das siŸ uun- mehr in einen Konzern des Westens gegen Rußland hereinziehen ließe, aufzugeben, (hört, hört! links), im Gegenteil sih zu überlegen, wie es zu agieren hätte, wenn Deutschland den Locarno-Vertrag annimmt. (Erneute Rufe links: Hört, hört!) Meine Herren, das ist nicht eine Erklärung, die von der Reichsregierung abgegeben wird — ih würde diese shacfen Ausdrücke niht wählen —, sondern es ift eine Erklärung, die ein deutshnationaler Abgeordneter abgibt. der. glaube ih, wirklich niht in dem Verdacht steht, daß er sih nicht voll eingeseßt hätte für ein gutes Verhältnis Deutschlands zu Ruß- land, der vielmehr bei uns für einen Vorkämpfex für dasjenige gilt, was man früher mit einem mißverständlihen Schlagwort als Ostorientierung bezeichnet hat. S möchte auch auf die beiden Gesichtspunkte hier zu sprechen kommen, die meiner Meinung nach das Faktische sind, was vorliegt, während vieles, was von unseren Bindungen gegenüber England gesagt wird, nichts Faktisches, sondern rein Theoretisches ist. Wenn wix im englishen Schlepptau ständen und England die Absicht hâtte, Rußland wirtschaftlih zu boykottieren und finanziell abzu- shnüren und uns aus irgendeiner engen wirtschaftlichen Koo- peration mit Rußland herauszudrängen, — glauben Sie denn, daß wir dann unsererseits diesen deutsh-russishen Handelsvertrag, der ganz große Opfer Deutschlands an Rußland in sih schließt, vor Locarno abgeschlossen hätten? Glauben Sie denn, daß wir unsere Hand für ein Kreditabkommen geboten hätten, das mit Rußland in einer Zeit größter Kreditarmut in Deutschland geschlossen wird, wenn wir im Schlepptau von England antirussishe Politik machen wollen? Jh glaube, das sind Tatsachen, die man nicht bestreiten kann. (Zuruf: Die Beweisführung ist sehr chwach!) — Jt freue mich sehr, daß Herr Scholem sagt, diese Beweisführung sei fehr schwach. Herr Scholem, richten Sie diese Kritik dann doch an Herrn Krassin, der seinerseits ausdrücklich darauf hinwies: wenn Deutsch, land die Absicht gehabt hätte, den Abschluß des Handelsverirages mit Rußland dilatorish zu behandeln, hätte es dazu alle Möglich- keiten gehabt.
Es wird demgegenüber nun Bezug genommen auf eine angebliche englische Denkschrift, in der als Zwek des mit Deutsch- land abzuschließenden Westpakts hingestellt sei, Deutshland von Nuß- land abzusprengen und in einen Mächtekonzern gegen Rußland ein- zuspannen. Jch kenne diese Denkschrift, die auch der deutschen MRe- gierung überreiht worden ist, und ih halte mih do für verpflichtet, davon Kenntnis zu geben, daß der englishe Außenminister mix auf meine Anfrage, ob eine solche Denkschrift eristiere, erklärt hat, daß alles, was in ihr stände, von Anfang bis zum Ende erfunden sei, mir weiter erklärte, daß er diese Erklärung auch beispie: sweise dem ameri- kanischen Botschafter Houghton abgegeben hätte. Jch glaube, es heißt doch auch die traditionelle Höhe der englishen Diplomatie verkennen, wenn man glaubt, daß sie in der Lage wäre, in so plumper mnd brutaler Weise etwas niederzuscbreiben, wie es in dieser angeblichen Denkschrift steht. Wir haben doch auch gar keine Veranlassung, die Grklärungen, die nicht nur von England, sondern die insbesondere auh von Frankreih nah der Richtung abgegeben worden sind, daß nirgends die Absicht bestände, einen derartigen Blok gegen Rußland zu bilden, lediglich als Verleugnungen einer großen militaristischen Idee anzusehen und demgegenüber sich auf das zu beziehen was ein mir unbekannter General von Malßan über die Vorbereitung der Etappe nah Nußland in einem Aufsaß gesagt haben will. (Zuruf von den Kommunisten: General Hoffmann!) — ih komme sofort darauf — und was Herr General Hoffmann seinerseits dargelegt hat. Meine Herren, die Stellung des Herrn Generals Hoffmann zu diesen Fragen ist seit vielen Jahren jedem Menschen bekannt, der die Ideen des Generals Hoffmann kennt. Aber der General Hoffmann ist doh nit der Vertreter Englands, ist doch nicht der Vertreter des Völkerbundes. Es mögen Ideen in manchen Köpfen spuken;z beispiels- weise hat ja der Jungdeutshe Orden in seinem Organ ganz klar und offen ein Zusammengehen der Westmächie gegen Mußland als wünschenswert bezeihnet. Er will ja sogar das Bündnis mit Frank- reih zu diesem Zweck, lehnt Locarno ab, weil es niht weit genug ginge, weil die Dinge auf anderem Wege besser zu erreichen wären. (Heiterkeit links.) Aber jedenfalls hat damit weder die deutsche Re- gierung, noch haben damit die Alliierten irgend etwas zu tun. Und wenn es richtig ist — Herr Tschitscherin hatte es ja vor kurzem nur
noch als zweifelhaft bezeihnet —, daß Herr Tschitscherin auf seiner
Nückreise auh nah Paris kommen werde, so sheint mir darin das zu
was Herr Professor Hhsch în seinem Aufsaß an- deutet, daß {ließlich doch nicht nur wir uns die Frage vorzu!egen haben, wie wir mit Rußland leben wollen. Denn das haben wir nun so oft und to zum Ueberdruß erklärt, daß es \ließs lich auch einmal aufhört, daß die deutsche Neaierung jeden Tag ers flären muß, daß sie mit Nußland in Freund)chaft zu leben wünscht. Sie hat die Beweise genug geliefert, so daß es meiner Meinung nah auch an Nußland liegt, zu erklären, daß Rußland seinerseits den europäischen Frieden nicht stören will. Ich glaube, das ent1ipriht do wohl der Gegen'eitigfeit der Interessen. (Zustimmung. — Zurute von den Sozialdemokiaten und Gegenrufe von den Kommunislen. — Glocke des Präsidenten.) (Präsident Löbe: Ich bitte um Nuke.)
Ich glaube, die Entwicklung dürste wohl dahin gehen, daß bei aller Avneigung der Sowjetideen gegen den Kapitali#mus ihnen ein gewisser Waffenstillstand mit den kapitalstarken Vächten in Wests europa gar nicht unerwünsht wäre zum Wiederautbau ihrer eigenen Wirtschaft. (Sehr gut! in der Mitte )
Meine Herren. wenn nun gesagt wird und Graf Westary gefragt hat: wie steht es denn cigentlißh mit der Stellung Nußlands selbst gegenüber der Entwidlung? — so wäre es ja töricht zu leugnen, daß Rußland weniger gegen den Westpakt als folhen als gegen den Ein-
liegen,
“tritt in den Völkerhund sich stark gewehrt hat, soweit seine Einfluß-
möglichkeiten reiten (hört! hört! bei den Kommunisten und bei den Völkiichen), aber dabei vor allem stets zum Auëdruck gebracht hat, daß seine Bedenken gegen einen Eintritt Deutschlands in den Völkers bund darauf basierten daß Deutschland sich zu irgendeinem Werkzeug einer militärishen Exekfutive gegen Rußland würde machen lassen. Nun sagt Graf Westarp, die Erklärung des Neichskanzlers — ih glaube, er sagte, er wolle sie nicht anzweiteln — müßte doch {ließlih vom Völkferbund elbst autge|prohen werden. (Abkges ordneter Graf v. Westarp: Die in der Kollektivnote!) — Die meine ih ja! — Herr Graf Westarp, ich darf auf eins hinweisen. Diese Kolleïtivnote sagt ja nicht, daß die Unterzeichner der Kollektivnote die alleinigen Träger dieser An- schauungen wären, fondern sie sagt ausdrüdlich. daß diese ihre An- |hauung beruhe auf den Verhandlungen der Kommiisionen und den Verhandlungen des Plenums des Völkerbundes. Und nun muß ih hier einen Widerspruch feststellen. Auf der einen Seite wird es — nit. von der Nechten, aber von der Linken — 10 hingestellt. als beherische England den Völkerbund ganz unein- yeschränkt, und alle anderen hätten fo zu laufen, wie es England wünsche; wenn aber dann England Erklärungen über den Völkerbund, über die Bedeutung des Artikels 16 abgibt, dann wird das wieder außer- ordentlih angezweifelt. (Sehr wahr! in der Mitte.) Ich glaube, nah den ganz präzisen und authenti|chen Erklätungen, die der Herr Neichskanzler gestern abgegeben hat und die doch in die Welt hinaus- dringen, bleibt doch abzuwarten, ob sich: gegen diese Darlegungen des Neichékanzlers Widersprüche an maßgebenden Stellen erheben. (Sebr richtig! bei der Deutschen Volkspartei ) Ist das der Fall, dann ist auch 1ür die deutshe Negierung eine Veranlassung da, sich Gewißheit zu verschaffen. Solange sie selbst aber gar keinen Zweitel an dieser Gewißheit hat, kann fie auch nit fortgeseßt neue Erklärungen ver- langen, weil fie ja dadur ihre eigene Gewißheit als er\chüitert nah außen hinstellen würde. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkepartei.)
Ich darf nur noch einmal das eine erwähnen: In der ents scheidenden Sißung, in der bes{chlossen wurde, diese Erklärung, - die Kollektivnote der Mächte als Anlage dem Protokoll zuzutügen, habe ih zum Ausdruck gebracht, daß die Worte, die hier stehen, - von der militärischen und geographischen Lage nur so zu verstehen seien, daß sie sich nicht nux auf den Durhmar)ch, nicht uur aut die militäri\che Hilfes leistung, sondern auch auf eine Hilteleistung Deutschlands bei wirtscha!t- lidien Maßnabmen bezögen, weil {ür uns der Gesichtepunkt bestünde, daß eine derartige Mitwirkung uns in Kriegsgetahc brächte und wir verhindern müßten, einen Krieg auf unser Land herabzuziehen, da man uns nicht die Mittel gelassen hätte, unser Land und unsere Grenzen zu verieidigen, Das eine ist klar, daß wic praktis selber darüber bestimmen, ob und wie weit wir mitzuwirken haben. Wir mußten uns aber dagegen wehren, moraliih- isoliert zu werden, wenn wir den Anschein erweckten, als wollten wir mitmachen und erst mit unserem tatjähiihen Bedenken hervorkamen, wenn etwa ein Fall dieser Art eingetreten wäre. Deshalb legten wir Wert darau! zu sagen: Wenn wir loyal und tatkräftig mitwirken sollen, wenn wir diese moralische Verpflichtung über- nehmen follen, so wollen wir Euch von vornherein erklären: bei dem jeßigen Stande der Abrüstung ist das tür uns niht in jeder Nichtung möglich, und um in diesem Kampfe mcht monalisch als defamiert angesehen zu werden, stellen wir unsere Auf- fassung shon jeßt fest. Um diese Frage allein hat es sich in Locarno gehandelt. (Abg. Hergt: Dann haben wir das Recht der Neutralität, Herr Minister ?) — Wenn Sie das Wort „Neutralität“ so auffassen, daß wir uns unsererseits an kriegerishen Maßnahmen gegen einen anderen Staat wegen unserer Entwaffnung prakti|ch nicht beteiligen können, dann haben wir diejes Neht. Etwas anderes ist die Frage, wenn wir als Mitglied des Völkerbundsrats vor die Srage gestellt sind, ob wir eine bestimmte Macht als Angreiter bezeihnen, daß wix dann selbstverständlih, wenn die Tatsache flar- liegt, daß eine Macht der Angreifer ist — ich kann mir denken, daß mar das in einem Funkspruß an alle mitteilt — (Zurufe von den Kommunisten — Glocke des Präsidenten), — daß wir dann die Vervflichtung baben, au un)er Votum darliber abzugeben, ob wir diese Macht als den Angreifer erahten. Uber auch wenn wir feststellen, daß wir diese Macht als Angreifer anjeben, ist damit auch nit entschieden, inwieweit wir in diejem Falle militäri]ch mitzumachen, einen Durhmarsh zu dulden und uns an wirtschaitlihen Maßnahmen zu beteiligen haben. Jh glanbe, daß damit der Tatbestand klar dargelegt ist. (Zuruf des Abg. Schul, Bromberg) — Herr Abg. Schulz, ich bedaure 1chr den Zwischenruf, den Sie eben gemaht haben. Der Abg. Schuly machte mir den Zwischenruf, ob das dann eine lovale Erfüllung unserer Verpflichtungen wäre. (Hört, hört, in der Mitte) Herr Kollege Schultz, es wäre eine nit loyale Erfüllung des Vertrags, wenn wir die Macht hätten, um in solche Erekutionen einzugreifen. dann uneingeschränft an solche Verpflichtungen binden, das wäre illoyal von der anderen Seite. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volfs- partei.) Deshalb bin ich der Meinung : wir können durchaus lovale Mitglieder des Völkerbundes sein und müssen uns trotidem dagegen wehren, uns in diesem Zustand alleiniger deut|cker
Abrüstung an fkriegerishen Konflikten zu beteiligen. (Sehr
Uns aber erst die Macht nehmen, uns abrüsten und uns |
I —— — S —
gut! bei “ der DeutsGen Volkepartei — Zuruf rets.) — Jch kann do nicht zum huntertsten Mal erklären daß fi das auch auf das Durdmarschreckt bezieht und daß dieser nur dann 1tn Frage kommen ftann, wenn wir uns selbst damit einverstanden er- Elâren.
Herr Graf Westarpy hat dann zum Ausdruck gebracht, daß mit dem, was Loca1no gebracht bâtte, die Fortseßung der Kontus- mazialverfahren gegen deutsche Mannschaften und Offiziere niht vereinbar wäre. Jch stehe vollkommen auf dem Standpunkt und darf mitteilen, daß die deutsche Regierung von der belgi)chen Regierung benacricktigt worden ist, daß diese beschlossen hat, die Kontumazialve: fahren nit mebr fortzusezen. Die belgische Regierung ließ sich dabei von ter Ansicht leiten, daß nah der Konjerenz von Lc-a1no die Fortsetzung derartiger Verfahren nur geeignet sein würde, die wün)chenéwerte Beruhigung der Stimmung zwischen beiden Völkern unnötigerweise zu behindern. (Hört, hört! und Bravo! in der Yitte und links.) Die tranzösiscke Negierung, die Kenntnis von diesem Vorgehen der belgischen Negiernng hat. hat uns erklärt, daß fie hon seit längerer Zeit dabei sei, das Problem au ihrer}eiis ernstlich zu prüfen. (Laden bei den Deutschnationalen ) Wir dürfen nach dieser Richtung ebentalls hoffen, daß sie zu demselen (rgebnis kommt.
Ich weiß nit, meine Herren, was dabei zu lachen ist. (Leb-
hafte Zustimmung links und in der Mitte.) Wir haben unserer seits als Deiegierte allen Wert darauf gelegt, nah dieser Nichtung hin die dort vertretenen Außenminister für diele unsere Auftassung zu gewinnen. Wenn uns jeßt die belgisde Negierung diese Erklärung ermöglicht, und wenn weiter die französische Negierung erklärt, daß sie dabei sei, diese Frage ernstlih zu prüten, könnte ich nur wünschen, daß wir uns alle in der Hoffnung vereinigen, daß sie sehr bald zu demselben Beschluß käme, daß wir aber au nicht ein unangebrahtes Mißtrauen ihr gegenüber jederzeit zum Ausdruck bringon. (Sehr richtig! links und in der Mitte) Herr Abg. Koch hat vorbin mit vollem Necht gesagt, daß man mit dem Mißtrauen allein auch nit in der Außenpolitik vonvärts tommen kann. Glauben Sie mir, daß die Staatêmänner, die in den fremden Parlamenten tür Locarno ein- treten — vielleiht gilt das inébelondere tür Frankrei, wie Sie aus manchen Pressestimmen ersehen —- bet den ganzen Fragen, die speziell das beseßte Gebiet betreffen, au einen schr harten Kampf mit denjenigen auézufechten haben, die Locarno und seine Aus- wirkungen nicht wünschen. (Lebhaste Zustimmung und Zurute links.) Wenn sie dann- au bei uns lediglih Mißtrauen fänden, würde, glaube i, ibre p\ychologische Kra!t, sih nah der Nichtung gegen ihre Gegner durchzuseßen, nit gerade gestärkt werden.
Es ift dann weiter die Frage erörtert worden, inwieweit die Näumung von Köln irgendwie als eine Wirkung von Locarno anzu)ehßen sei, und es ist gesagt worden, wir hätten sie erfaufen, hätten fie bezahlen müssen; und es ist vielfa ge\agt worten: es wird euch mit der zweiten und dritten Zone ebenso gehen, ihr werdet nur durch große Konzessionen das er- reichen, was euer Recht ist.
Nun habe ih speziell bei den Ausführungen des Herrn Grafen Westarp einen großen Widerspru bemertt. Als es sih um die Frage handelte, ob die englische Garantie wirksam werden würde, da sagte Graf Westarp: Gewiß, der Wortlaut könnte mir genügen, aber {chließlich ist das eine Machtfrage. Als es sich aber um die Räumung von Köln handelte, sagte derselbe Graf Westary : Wir hatten einen flaren Recchtsan1pru ch, wona die Leute {hon längst hätten hinausgehen müssen. (Heiterkeit in der Mitte und links.) Beides geht nicht miteinander. Ich glaube, die erste Deduktion des Herrn Grafen Westarp kennzeichnete wobl unsere ganze Lage in den legten fieben Jahren weit flarer als die)es Sichzurückziehen auf den MNecht8anspruh. Wenn unsere Nechtsansprüche auch nur seit Ver)ailles berüdcksihtigt worden wären, dann ständen wir anders da, als wir beute dastehen. (Sehr rihtig! in der Mitte und links.) Dann wären viele Entscheidungen nicht getallen. Und wenn jeßt gesagt wird: was erreicht ihr denn, ihr kommt ja nur zurück zu dem, was in Vertailles {on auêgemacht war, dann zeigt das eben, daß wir in den legten Jah1en auß noch diesen Boden verloren hatten und daß unter der Macht der anderen auh über das ibnen zustehende Recht hinausgegangen war.
Aber ich möchte eine ganz andere Erinnerung rufen. Ich will nit von dem Standpunkt \prehen, den Herr Poincars in Bezug auf die Näumung aller Gebiete in Deut\hland einnahm. Er i bekannt. Aber id mödte Sie darauf hinweisen, daß auß der Nachfolger Poincarés, Herr Hertiot, der doch gewiß zur Linken in Frankreich gehört, auf eine Anfrage Poincarés im französishen Senat, ob die Besatzungsfristen nach seiner Meinung {hon zu lauten begonnen hätten, noh, ih glaube, vor 1 Jahr mit Nein geantwortet hat. Damals stand also die Situation so, daß man die ganze Besagzung überhaupt erst von diesem Zeitpunkt an datieren wollte und von dielem Zeitpunkt aus die fünf und zehn und fünfzehn Jahre hinzu- tommen laffen wollte zu den Leidensjahren, die das beseßte Gebiet durhgemacht hatte.
Wenn in all diesen Kämpfen mit der Gewalt der anderen und unserer eigenen Machtlosigkeit jeßt die Räumung der nördlichen NRhein- landzone do nicht, wie Grat Westarp sagte, ium Üngewissen steht, sondern zu einem, wenn au weithinaus geshobenen Termin gesichert ist, jo ändert das nichts daran, daß unter Nechtsanspruch darauf ging, sie am 10. Fanuar geräumt zu halten, daß wir aber gegenüber der eigenen These des Graten Westarp daß die Macht entscheidet, doch jeßt das eine erreiht haben: daß die Gewalt anfängt, sich uns gegen- über auf einen anderen Standpunkt zu stellen, als es in der ganzen Zeit der lezten Jahre geschehen ist. (Sehr wahr ! in der Mitte.)
Das ist s{ließlich doch überhaupt das Enticheidende bei all diesen Fragen. Auch bei den Gatwaffnungsfragen! Wenn gejagt worden ist, wir hätten n diefer Beziehung Konze|sionen gemacht und uns damit die Näumung von Köln erkauft, so möchte ih fragen : glauben Sie denn. daß gegenüber diesem damaligen Diktat das einfache Nein der deutschen Regierung die Verhältnisse irgendwie gebessert hätte ? Der Fort\chritt ist immer nur schrittweise zu erztelen, und aus dem Diktat, das uns auterlegt war, ist ein Kompromiß geworden,- über das Sie gestern doch im Auswärtigen Aus|huß manches gehört haben.
Wenn nun speziell — nicht hier in diejem hohen Hause, aber in einem jehr weitverbreiteten. deutshen Blatte — es fo hingestellt wurde, a18 hätten wir im- legten Augenblick in allen diesen Fragen fapituliert, um nur die Räumung der nördlihen Rheinland- ione zu erreichen, und wenn hinzugetügt wurde, es sei ja
hier wach-
obne viel Phantasie festzustellen, wel@er Minifter in diesem Numpf- fabinett tie!e Auelieterung der Ip dustrie an die Entente und diete industrielle Abrüstung durgeseyt hätte (Zurut: Welches Blatt ?) — der „Berliner Lokal-Anzeiger“ —, dann will ich doch dataut hin- weiten, daß die Verhandlungen getührt worden sind von dem General von Pawels, daß er ernannt ist vom Reichtkanzler, daß sie getöhrt wotden find im engsten Zusammenhang mit dem N: ihewebr- mivislerium, und daß der Haupitteil, gerade der, der si aut die Industrie bezieht, in feinen Hauptgesi&tépunkten längst bestimmt war, ehe wir nah Locarno gingen (hört, bört l), io daß uns nur die großen tünt Haupttragen übrig blieben, über die wir ja oft genug gesproden haben.
Ich bin der Meinung. daß es an sich tief bedauerlich ist, daß gegenüber der eigenartigen Tatsade der deutsden Ab1üstung inmitten gerüsteter Völker überbaupt auf diese Nestpunkte irgendein Gewicht gelegt wurde. Aber nachdem es gescheben ist, ist, glaube ih, die Regelung, die getroffen worden ist, dech auch ein Zeichen dafür, daß sie uns mehr, mindestens an Erleidterungen der Unbill, aecbract hat, als wir unter anderen Verhältnissen hätten erreichen können.
Wenn speziell immer darauf bingewie)en wird, es sei noch nichts in der Frage der Luftfahrt gefckchen, fo ist das richtig terminmäßig, es ist ebenso 1id1ig daß jett tie LVerktandl]ungen darüber in Paris gefüh1t werden und daß die erste Erklärung der anderen uns gegenüber dabin ging, daß man es als selbsiverstärdlich aniehe. jeßt unter voller Gleichberedtigung mit den deuten Vertretern über die neue Ne- gelung der Luftfah1tverbältnisse in Deutscland zu verhandeln, während die Note selbst den Charakter eines Diktats Latte.
Dann ist die Frage der Parapbierung der Verträge in die Debatte gezogen worden. Wie die Dinge als Bericht über den Zentruméparteitag in die Presse gekommen sind, geben sie das, was în dem Telegramm an die Delegierten enthalten war, nit im Wortlaut wieder. Nah diesem Telegramm handelte es G zunächst nicht um einen Kabinettébes{1uß, sondern um eine Meinungéê- äußerung, die hauptsäblih damit begründet wurde, daß man sagte, es sei der Gedanke erwogen worden, die Parapbie:ung durch den RNeichékanzler und der Außenminisier bände Deutschland mehr als die anderen Nationen, die nur dur ihre Außenminister parapbierten. Es wurde zur “Erwägung gegeben, ob es nit vorzuziehen sei, vielleiht eine Unter)\{hrift unter ein Gefamiprotokoll zu schen und niht paraphierte Anlagen anmufügen. Man konnte damals ver- {hiedener Meinung darüber sein, ob si Deutschland in Locarno nit ebenfalls nur dur seinen Außenminister vertreten lassen solle. Die Ansichten darüber haben ges{chwankt. Es hat eine Zeit gegeben, in der der heftigste Protest dagegen erhoben wurde, daß nur der deutsche Außenminister nach Locarno gehen sollte, in der das als ganz un- möglich und ganz untragbar bezeichnet wurde. Daun ist von mir angeregt * worden, daß mehrere Minister mit dem Neichskanzker in Locarno verhandeln sollten. Das wurde nit autgeführt. Als dann der Herr Neichskanzler in voller Uebereinstimmung mit. mir erklärte, er könne nicht die Verantwortung übernehmen, bei diesen Verhand- lungen nit mitzuwirken, weil es eintach vbysiich und vpsychGi{ für einen Delegierten unmögli gewesen wäre, die Verhandlungen zu führen, haben dieselben Stellen, die früber unter keinen Umständen den Außenminister allein nach Locarno gehen lassen wollten, Wider- spruch erhoben und gesagt, dé Außenminister müsse allein na Locarno gehen. (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten und den Deutschen Demokraten.)
Nehmen Sie es mir nit übel, wenn i desha1b an der Obiektivität dieses Standpunktes mir etwas zu zweifeln erlaube. Nachdem nun zwei deutsche Delegierte von Anfang bis zu Ende Deuts(land in Locarn o vertreten haben, wäre “es uns von jedem als Hinterkbältigkeit ausgelegt worden, wenn wir an dem Abend, als wix an den Tisch traten, auf dem die zu paraphierenden Verträge lagen, uns mit einem Mal geteilt hätten in einen, der die Paraphierung übernahm, und in einen anderen, der ohne eine solde Bindung nah Deu'i{land zurückgehen wollte. Das war vollkommen ausgeschlossen. J bin auch nicht der Meinung, daß wir dur diese doppelte Paraphicrung eine größere Bindung eingegangen seien als andere Mächte. Der Herr Reichskanzler war ja nicht der einzige Negierung8{hef, der in diesen Tagen in Locarno war. Der Herr italienische Minister- präsident, dessen Macht noh viel größer ist, als die des deuten Neichskanzlers, bat do für seine Negierung ebenfalls unterzeichnet. Auch bei den- Verhandlungen der anderen Parlamente habe ih nit gefunden, daß sie sih dur Unterzeihnung ihrer Außenminister allein weniger gebunden gefühlt hätten. Jedenfalls war es für uns klar, daß wir alles aufs Spiel gesegt hätten, wenn wir uns in dieser oder jener Weise der Paraphierung entzogen hätten.
Nun hat man besonders daran Anstoß genommen, daß das Wort „ne varietur“ jede Aenderung der Verträge aus\ch{lö\sse. Nun, einmal ist dieses Wort nur eine Umschreibung des Sinnes der Paraphierung, denn paraphierte Verträge stehen eben im Wort- laut fest. Weiter aber waren wir vielleiGßt so optimisti\ch zu alauben, daß darin au ein Echuß für Deut\hland läge. Denn wenn Sie den Vertrag von Locarno einmal vergleichen a) mit der Briand-Note vom 16. Juni und ihren Gesichtspunkten und b) mit der deutschen Note vom 10. Juni und unseren Gesichtépunkten, dann hatten wir immerhin soviel Hauptgesichtspunkte, auf die es uns an- kam, in das Werk von Locarno hineingebraht, daß wir das dort Er- reichte nit gern aufs Spiel ge)eßt hätten. Wir sind doch nit allein in der Welt, und wenn eine Aenderung des Textes möglich wäte, würden doch wir uns nit nur damit beschäftigen, den Text zu ändern, sondern es gäbe in anderen LKndern Lute genug, die sich ebenfalls damit be|châftigen würden. Ich darf Sie daran erinnern, daß doch faum irgend jemand stärkeren Kritiken, Anfragen und Aenderungsvo1\chlägen ausgesezt gewesen ist, als beispielêweise der Herr polnische Außenminister, weil man mit dem, was in diesen Schiedsverträgen zum Ausdruck gekommen ist, au in den anderen beteiligten Ländern nicht einverstanden war. Nachdem einmal diese Konferenz stattfand, mußte sie zu einem Ab\{luß führen oder das Ganze war überhaupt gefährdet und hatte noch gar feine feste Basis bekommen.
Meine Damen und Herren! Es ist weiter — gestatten Sie mir, daß ih auf diese einzelnen Fragen einmal eingehe — dem Herrn Abgeordneten Scholz, als er heute über die Lösung der I nvwe sti- gationsfrage sprach, zugerufen worden, seine Auftassung sei un- rihtig. Ich habe gestern nahmittag im Auéwärtigen Aus|\chuß über diese Frage gesprochen. Jch stelle anheim, den Herrn Reichékanzler oder mi erneut im Auswärtigen Aus|huß zu interpellieren. Ih fann nux darauf hinweisen, daß diese von uns abgegebenen Er-
Flärungen durGaus den Stand der Sache wiedergeben, wenn es aud tür uns nicht wünshentweit ist, sie hier in der Oeffentlichkeit zu erörtern.
Nun geslatten Sie mir, zu dem, was der Herr Abgeordnete Koch-Weser autgetührt hat, noch einige allgemeine Bemerkungen anzuichließen. Der Herr Abgeo1dnete Koh hat an mih die Frage geftellt, wie sih die deut)ce Megierung ftellen würde zu der von Herrn Loucheur namentlich angestrebten Weltwirt1chaftskonterenz. Sie haben, Herr Kollege Koch, mi über Ihre Anfrage ja nicht vorber ins Bild geseßt. Um so mehr ist es ein Zufall, daß ih heute Nach- mittag Herrn Marcel Ney eine Erklärung über diete Frage von mir aus gegeben habe, eine Grflärung, die dahin geht, daß wir selbst- verständlich uns an einer solchen Konferenz gern beteiligen wüzrten. Nicht aus den Gründen, um die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen — ein Schlagwort, das |chlecht gewählt ist und den guten Kern des Gedanfens mebr in Mißkredit bringt, als wenn man die Dinge auf dieses Neale zurückführen würde. (Sehr rihtig!) Aber eins ist doh ga: kein Zweitel, daß näâmlih die Situation der euro- päi1hen Staaten, gleichgültig ob fie zum Siegerkonzern gehören oder zu denen, die besiegt sind, eîne ganz ungemein s{wierige in ver- schiedensler Beziehung ist. Wir baben {ließlich den Weltkrieg auf europäi'chem Boden“ bezahlen müssen mit einer enormen Verarmung der Völker. Wir haben ihn weiter — und das wird vielfach viel zu gering geachtet — bezahlen müssen mit einem Austall von Men} chen- kraft, mit der doch auch unendlich viel verloren gegangen ist, was forst hier für das ganze geistige, fuiturele und Wirtschaftéleben in Europa tâtig sein würde. (Sehr wahr! links.) Es sind doch ganze Generationen ausgefallen, die fonst an ganz anderer Stelle stehen würden und tür die ein Nachwuchs garnicht vorhanden ist. Die1er Mangel! drüdckt sich aus in einer Herabdrückung der ganzen europäi\chen Leistungétähigkeit. Er drückt sich aus in einem Zurüdbleiben der Tehnik und er drückt sich aus in einem Zurüdckbleiben der ge1amten Wirt- schaft. Wenn deéhalb in den verschiedensten Nationen die Idee des Zusammenwirkens auftritt, wenn man über die Länder- grenzen hinaus versuht, mit vereinten Kräften auf dem Weltmarkt mit den anderen glüdliden Ländern zulammenzustehen und zufammen- zuwirken, so ist das ein jelbstverständliher Gedanke, der sich aus der ganzen Situation ergibt, die beispieléweise bei uns die Wirt\chaft =— und ich glaube, die Landwirtshatft noch mehr als die Industrie — ohne auêreihende Kreditsiherung einfa, vor den Abgrund stellt, eine Situation, die es anderen Staaten unmöglih macht, ihre Währung zu erhalten, wenn sie nit ebentalls in ganz anderen internationalen Beziehungen leben können.
Wenn man uns fragt, was eigentli der Geist von Locarno be- deute, von dem foviel gesprochen wurde, der auch deshalb fo stark — zum Teil mit Unrecht — fritisiert wurde, weil man die entscheidenden Nückwirkungen von ihm {on erwartete, ehe der Vertrag, der seinen Namen trägt, überhaupt angenommen ist, so zeigt sih die Bedeutung des Geistes von Locarno vor allem in dem Gedanken der Notwendigkeit eines gemeinschaftlichen Zusammenwirkens, in dem Gedanken, daß ein Zujammenbrehen Deutschlands niht nur eine deutsche Frage, jondern eine europâisde und eine Weltfrage ist. Man stimmt ja nicht über Motive ab. Die Motive dietes ganzen Zufammengebens brauchen deshalb nicht im Idealismus, wenigstens nicht in ihm allein zu liegen. Ich glaube, diejer Geist wird am besten fundiert sein, wenn Idealismut
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und reale Interessen sich dazu verbinden, den Weg aus dem europäischen Zutammenbruch gemein}chattli4 ¿u fuhen. Damit ist eben eine Politik der Diftate und der Unterdrückung Deutschlands nit vereinbar. Dazu ist notwendig die Grundlage eines dauernden Friedens. Wenn sich für uns aus der ganzen Entwicklung die Möglichkeit ergab, an diesen Dingen mitzuwirken, dann glauben wir, wie der Herr Kollege Ko vorhin gejagt hai, dadurch doch wieder eue neue Etappe errungen zu haben, um allmählich zur Sicherung des Friedens, zur Wiedergewinnung deutsder Souveränität und dadur zur: Wltedergewin nung der Grund- lage zu kommen, auf der ih später eir.mal deutsche Leben8möglichkeit und deut|che Freiheit autbauen faun, (Lebhaster Beifall bei den Regierungsparteien. — Zischen rechts. — Erneuter Beifall bei den Negierangêparteien )
„ Abg. Dr. Bredt (Wirtschaftl. Vercinig.): Wir haben son früher davor gewarnt, sich in Sicherheitspaktverhand!ungen ein- zulassen; wir haben das aanze Verfahren mißbilligt, vamals - aber haben die Deutschnationa!en niht eine so feste Haltung ein- oenommen. Aber es ist zun zum Abschluß in Locarno gekommen. Herr Stresemann hat di- Sache festgefahren. Wir erheben Einspru&. daß der Neichstag ie ver vollendete Tatsachen gestellt ist. Wir wollen wissen, was die Regierung beabsichtigt, und nun haben wir eben wieder eine Fülle neuen Materials zu hören bekommen. Jm Aus- wärtigen Aus\{uß hätte niht stenographis, sondern phonographis festgestellt werden müssen, unter welchen Bedingungen in Locarno verhandelt werden solle. Damals hätten die Deutschnationalen ibre Einwände erheben müssen, Der rsailler Vertrag soll nun un- verändert bleiben, aber, was wir erstreben ist doch gerade eine Ab- änderung dieses Vertrags. Die Nückwirkungen stehen noch gar nit fest, es werden nun solhe Erwartungen gehegt. Was bedeutet denn die Sicherheit für Frankrei, wer kann denn daran überbaup: denken, daß wir Frankreich angreifen. Wir haben die Räumung der Kölner Zone mit Zugeständnissen in der Entwaffnungsfrage erkauft und doch nur die restlide Näumung zu verlangen, aber sie erfolat nit, im Gegenteil, Trier, Wiesbaden usw. bekommen eine neue um so stärkere Besabung und es werden viele neue Quartiere und Gebäude angefordert. Man denkt niht an Option zwischen Ost und West, wir glauben an die Worte des Reichskanzlers Luther, aber dic praktische Wirkung ist doch, daß, wenn wir in den Völkerbund ein- treten, Deutschland aufhört, ein neutrales Land zu sein Es bleibt uns allein noch der eg nah dem Osten übrig. England hat jeßt ein dringendes Interesse, uns in den Völkerbund hinein- zubringen, Gerade deshalb hätten wir uns reservierter verhalten sollen. Für uns ist nicht der Locarnovertrag, sondern die Völkerbunds- frage entscheidend, Wir denken nicht daran, eine friedlide Entwicklung abzulehnen, die Zukunft gehört dem Frieden, aber ein Eintritt in den Völkerbund kommt zurzeit für meine Partei noch nicht in Frage. Wir haben einen Antrag eingebracht, wodurch die Völker5unds- frage in ein besonderes Geseg gebracht werden soll. Wird dieser Antrag a! gelehnt, so wird meine Partei geaen die aanzc Locarnovorlage stimmen. (Beifall bei der Wirtschaftlichhen Ver- einigung.)
Aba, Graf Lerchenfeld (Bayr. Vp.): Bei allen außen- politishen Fragen ist Kontinuität Ao er Mgr die Kardinal- rücsiht, die genommen werden muß. Die Beseitigung der mit dem Versailler Vertrag begangenen Summe politisden und wirlschaft- liben Unrects soll durch unsere Außenpolitik errunaen werden. De! Vertrag von Locarno und der Eintritt in den Völkerbund sind 01) sih geeignet, der Befriedung von Europa zu dienen, und das Wer! bon Locarno is insoweit im Rahmen der Kontinuität der deutf.ben Außenpokitik geleacn. Die Gemwaltpolitik unseres r Pg A prt hat speziell seit dem dreißigjährigen Krieg unsere tgrenze immer weiter nah Osten - verschoben und immer wieder urdeutsches Land von Deutschlazd losgerissen, Die Bedrohung