1882 / 294 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 14 Dec 1882 18:00:01 GMT) scan diff

raires sei, und wenn mir der Hr. Abg. Windthorst nacsagt, daß der tandpunkt, den ih bei der Dm orians der Interpellation ein- genommen habe, unhaltbar sei, so fühle id mich verpflichtet, darauf Folgendes zu erwidern und den Standpunkt, den ih der Inter- pellation gegenüber einzunehmen habe, noch deutliher zu präzisiren und zu begründen. (O! im Centrum.) ; :

Meine Herren! Die Anfrage des Hrn. Abg. Windthorst ift nicht an den Bundesrath gerictet, die Anfrage lautet ausdrücklich: „J erlaube mir, an_den Herrn Reichskanzler die Anfrage zu richten.“ Daraus werden Sie entnehmen, daß alle diejenigen Deduktionen, die darauf gerichtet sind, daß der Bundesrath nicht geantwortet habe, binfällig erscheinen. i

Meine Herren! Der Reichékanzler war der Gefragte und der Reichskanzler hat zu antworten; er hat fich bei dieser Ant- wort feine verfassungsmäßige Stellung zu dem Gegenstande der Anfrage klar zu legen. Nun hat bereits der Hr. Abg. Windthorst hervorgehoben, daß eine rechtliche Verpflich- tung, auf die Frage zu Nr. 2 zu antworten, für den Herrn Reichskanzler nicht bestehe. Jch behaupte aber auch weiter an der Hand der Verfassung, daß der Reichskanzler thatsächlih gar nicht in der Lage war, diese Anfrage beantworten zu können.

Meine Herren! Es handelt sich bei dem ablehnenden Beschlusse des Bundesraths um den Beschluß einer parlamentarischen Körper- saft. Eine parlamentarische Körperschaft aber faßt ihre Beschlüsse nah Stimmenmehrheit, und wenn die einzelnen Personen, welche immen, über die Gründe ihrer Abstimmung öffentli zum Worte kommen, so erfährt man daraus wohl, welches die leitenden Motive der einzelnen Stimmen gewesen sind. Man kann fich auch im Wege der Kon- jektur allenfalls die Gründe zusammenlegen, welch die Majorität be- (timmt haben. Sie werden aber, ohne daß eine amtliche und prä- zifirte Beschlußfassung über diese Gründe erfolgt ist, niemals sagen E das sind E s P E des Hauses, des

arlamentarischen Körpers bestimmt haben.

x Meine Seer! “Wenn der Hr. Abg. Windthorst den Zweifel ausgesprochen hat, ob es möglich gewesen, daß bei einer so wichtigen Sace der Bundesrath, ohne die Gründe der Stimmen der einzelnen Mitglieder zu hören, Beschluß gefaßt habe, so kann ih diesen Zweifel beseitigen. Gewiß ist im Bundesrath und in seinem Ausshuß über die Gründe diskutirt, die die einzelnen Staaten für ihr Votum beizubringen gehabt haben. Aber, meine Herren, daraus folgt do nicht, und es folgt um so weniger, weil eine amtliche und protokollarische Feststellung dieser Gründe im Bundes- rathe nicht stattfindet ih sage: daraus folgt doch nicht, daß der Herr Reichskanzler sich in dec Lage befindet, über diese Gründe einen amtlichen zweifelsfreien und gewissen Aufs{hluß zu geben. Deshalb, meine Meru, war die Antwort, die ih ertheilt habe an der Hand der Bestimmungen der Verfassung bei der Stellung des Bundes- ratßes eine nothwendige und eine fkorrekte. Meine Herren! Wenn der Hr. Abg. Windthorst bei seiner leßten YAus- führung wieder darauf zurückgekommen i}, den Vorwurf, welchen er am Schluß seiner ersten Rede hypothetisch gegen den Bundesrath vorbrachte, zu wiederholen, nun, so frage ih, was hat er zur Be- gründung dieses Vorwurfes beigebraht? Er hat allein bemerkt, un- möglich könne sich der Bundesrath für die Freiheit des Kultus und für die Freiheit des Gewissens interessiren, wenn er nicht die Hand dazu biete, daß ein Zustand beseitigt würde, der einen Messe lesenden Priester, einen Priester, der seines Amtes walte, ins Ge- fängniß und außerhalb feiner Heimath führe. Nun, meine Herren, darauf habe ich Folgendes zu erwidern: Wohl mag man einen solchen Zustand als einen beklagenswerthen ansehen. Es handelt sih dabei um die Handhabung eines Gesehes, welches die geseßgebenden Faktoren des Reiches mit einander verabschiedet haben, und bei dem Streit über die Wirkungen dieses Geseßes den Schluß zu ziehen, daß der Faktor, welcher das Geseß vermöge seines ver- fafsungsmäßigen Rechts aufrecht erhalten will, ein Gegner der Kultus- und Gewissensfreiheit sei, dazu, meine Herren, haben Sie kein Recht!

Der Abg. Dr. Windthorst hob hervor, wenn das, was er angeführt habe, nicht eine Verleßung der Gewissensfreiheit sei, dann gebe es überhaupt keine, Er bedauere, daß man sih vor dem großen deutschen Volke über diese Frage über- haupt unterhalten müsse. Es sei die Aufgabe dieses Volles immer gewesen, die Gewissensfreiheit zu vertreten und nun höre er, daß diese niht verleßt werde, wenn man auf dem Sterbebette die Sterbesakramente niht empfangen könne, ohne daß der sie reihende Priester aus dem Lande ge- wiesen wurde. Die juristishen Ausführungen des Ministers würde er näher bezeihnen, wenn er ganz siher vor dem Prä- sidenten wäre. Der Reichstag stehe hier niht vor einer klein- lichen juristischen, sondern vor einer eminent politishen Frage. Er habe ja auch die Frage ganz positiv an den Bundesrath gerichtet, und die Antwort von dem Vertreter für Bayern gewünscht; er leugne nit, daß die mehr und mehr zu- neha.ende Meinungsverschiedenheit der Vertreter der mitt- leren und Kleinstaaten ihn ershrecke, weil er nit wisse, ob sie das Produkt des Wollens - oder des Könnens sei, Man sage, der bayerishe Vertreter habe abweichend votirt, und seine Ung geltend zu machen gesucht, es wäre ret eigentlich die ufgabe dieses Staates gewesen, nach seiner Stellung im Reich hier das Wort zu ergreifen und zu sagen: Bayern wolle, daß die von der damaligen Majorität

es Hauses gewollte Gewissensknehtung aufgehoben werde.

Dazu gehöre allerdings großer Muth, der niht vorhanden zu sein heine. Er habe aber an den Bundesrath die Anfrage nit stellen können, weil das nicht verfassungömäßig sei. Der Vertreter des Bundesraths sei der Reichskanzler als Präsident desselben und an diesen habe er auch jeß! die Anfrage ge- rihtet. Wenn im Bundesrath nicht einmal ordentlich protokollirt werde, sei er (Redner) gern bereit, für einen tüchtigen Protokollführer die nöthigen Mittel zu schaffen. So fkavalierement sollte eine solhe Körperschaft nicht votiren, und wenn man in diesen Tagen gesehen habe, daß man selbst im preußishen Staats-Ministerium ausführlihe Voten zu den Akten gebe, und ausführlihe Protokolle führe, so werde das in der bedeutendsten Körperschast Deutschlands auch geshehen müssen, um so mehr, weil sie nicht den Ausdruck eines einzelnen Willens sei, sondern auf föderativer Grund- lage beruhe. Das besiätige wiederum, wie unentwickelt die Verhältnisse des Reiches seien und blieben, weil mehr die ganze Kraft in den leitenden Staat hineingelegt sei. Die einzelnen Bundesstaaten hätten wohl Ursache, dagegen Front zu machen. Er wisse wohl, eine Pflicht, Gründe anzu- geben, existire niht, nicht einmal die Pflicht, auf Jnter- pellationen zu antworten, wenn man eine andere Antwort niht geben könnte, als man sie eben gehört habe, dann wäre es vielleiht im Jnteresse der Bundesregierungen, lieber gar niht zu antworten. Aber auch was nicht rechtlich Pflicht sei, könne doch von einer verständigen Politik verlangt werden ; es wäre politisch klug und landesväterlich gedacht gewesen, sih solhen Beschwerden gegenüber niht hinter juristische Zwirnsfäden zurlückzuziehen.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, der Abg. von Schorlemer ee eine Aeußerung von der linken Seite dieses Hauses provozirt.

habe der Jnterpellation die Bedeutung beigelegt, daß sie die kichenpolitisthe Situation überhaupt aufklären könnte, und Up scheine, daß dieser Zweck besser erreiht würde zunächst in

er elrede zwischen den Mitgliedern des Centrums und dem Reichskanzler oder dessen Vertreter. Die kirhen-

politishe Situation {heine im Allgemeinen, nach dem was man gehört habe, etwas verändert zu sein. Der Ton, welcher von Seiten der Centrumsredner gegen den Regierungs- tisch heute anges{lagen werde, sei in der leßten Zeit ungewohnt gewesen. Er leugne niht, daß Manches in den allgemeinen Ausführungen des Abg. Windthorst ihm (Redner) gar niht unsympathish gewesen sei. Die Methode der Beantwortung sei ihm viel wunderbarer als Manches, was man in der leßten Zeit erlebt habe. Der Reichskanzler habe nit gewollt. Darin erkenne auth er den Schlüssel der Situation. Seine Freunde hätten in ihrer rößeren Mehrheit für den Antrag gestimmt. Seine Partei ei niht gewohnt, deshalb, weil der Reichskanzler einen ent- gegengeseßten Willen bekunde, ihre Ansicht zu ändern. Er zweifle daher nit, daß, wenn der vom Abg. Windthorst an- gekündigte Antrag nach Weihnachten eingebracht werde, die Abstimmung seiner Freunde eine unveränderte sein werde. Die heutige Reservirtheit sei nur eine Reservirtheit in der Form, nicht aber in Bezug auf die Sache selbst.

Die Debatte wurde geschlossen. Persönlich bemerkte der Abg. Frhr. von Schorlemer-Alst, der Abg. Richter habe dem Cen- trum vorgeworfen, sein Ton sei ein anderer als sonst. Wo das Centrum ausftrete, um die Rehte der katholischen Kirche zu vertreten, habe es stets und werde stets mit derselben Ent- chie denheit sprechen, nah wie vor.

Der Abg. Richter bemerkte, ein Vorwurf habe ihm fern-

elegen. s "Dari war die Juterpellation erledigt. : l

Es folgte die Berathung der Darlegungen über die An- ordnungen, welche von der Königlich preußischen, der Königlich sächsishen und der hamburgischen Regierung auf Grund des 8. 2 des Geseßes vom 21. Október 1878 gegen die ge- meingefährlihen Bestrebungen der Sozial- demokratie unter dem 21. Juni, 25. Oktober und 25. No- vember R mit Genehmigung des Bundésraths getroffen worden sind.

Hierzu lag folgender Antrag der Abgg. Blos und Ge- nossen vor: i: i

Der Reichstag wolle beschließen, zu erklären, daß er die in Nr. 99 der Drucksachen angeführten Motive zu der vom Bundes- rath beschlossenen Verhängung des sogenannten kleinen Belagerungs- zustandes über Berlin, Leivzig und Hamburg-Altona nebst dazu ge- hörigen Gebieten als eine au3reihende Begründung der erwähnten Maßregel nicht erkennen kann. A i ; er Abg. v. Vollmar carakterisirte eingehend die Stel- lung und die Beschwerden der Sozialdemokraten. Dieselben wür- den sih in der Verfolgung ihrer Ziele dur Nichts beirren lassen, und keine Gewaltmaßregel werde im Stande sein, die Organisation zu zerstören. Seine Freunde seien übrigens nit Sozialisten, fobpen Sozialdemokraten, bei denen die politische Freiheit mit der ökonomischen verbunden sei. Deshalb würden kleine Abzahiungen auf sozialem Gebiete ihre Gesammt- haltung nicht ändern. Die Denkschrift rechtfertige den Belagerungs- zustandin keiner Weise, deshalb hätten seine Freunde ihren Antrag dem Hause vorgelegt. Wenn man die Polizei frage, ob sie irgend ein Machtmittel entbehren könne, so werde der Be- lagerungszustand niemals aufgehoben werden. Redner schilderte alsdann sehr eingehend, unter Anführung spezieller Fälle, die Behandlung der Sozialdemokraten in Sachsen, und theilte älle angeblicher Tung des Briefgeheimnisses mit. nn die Polizei die Manipulationen des napoleonischen Kaiserthums nada men wolle, so sollte sie doch wenigstens au dessen Geschicklichkeit nahahmen, und das Geld nicht so wegwersen. Welche Hoffnungen habe man sich nicht bei Erlaß des Sozialistengeseßes gemacht! Die Agitation der sozialdemokratischen Partei sollte unterdrückt, der parlamentarische Einfluß derselben geshwächt werden. Die Sozialdemokraten seien in stärkerer Zahl zurücgekehrt, und er fühle sih sehr wohl. Die sozialdemokratishe Presse sei wohl in Deutschland unterdrückt, wirke aber, auswärtig gedruckt, ungeshwächt fort. Vom „Sozialdemokrat“ sollten 13 000 Exemplare in einem ein- igen Vierteljahr erwisht sein. Er könne dem Hause indeß ver- ichern, daß allwöchentlih ebensoviel Schriften verbreitet wür- den, als in einem Vierteljahre abgefangen seien. Man habe die Arbeiter dur sozialpolitishe Gesehe ködern wollen. Die Arbeiter würden für das Linsengericht einiger Kleinigkeiten das Recht ihrer Erstgeburt niht verkaufen. Er und seine politishen Freunde seien nit nur Sozialisten, sondern au Sozialdemokraten und wüns{hten soziale und politische Emanzipation. Um den kleinen Belagerungszustand zu moti- viren, {mücke man das dürftige Material mit Dingen aus, welche den Reichstag graulich machen sollten. Die polnische sozialdemokratishe Bewegung habe mit der Londoner Jnter- nationale nichts zu thun, sie stimme mit den deutshen Ge- nossenschaften überein. Uebrigens leugne er niht, daß er für den russishen Nihilismus Sympathien habe und mit ihm tausend und aber tausend deutshe Sozialdemokraten. Es heiße in einem Bericht, daß die Sozialdemokratie immer mehr der Revolution zutreibe, und daß die Mostshe Richtung die Oberhand gewinne. Die deutsche Sozialdemokratie habe ganz andere Ziele ; sie gehe davon aus, Revolu- tionen würden niht gemaht, sondern maten ih selbst. Uebrigens sei die Mosishe Richtung in Deutschland nur sehr schwach vertreien. Wenn die Sozialdemokratie immer revolutionärer werde, so sei das eine Folge des Ausnahme- gesezes. Wenn er das Haus bitte, für seine Resolution zu stimmen, appellire er niht an seine Gnade, oder an sein Rechtsbewußtsein, sondern an sein Jnteresse, Män könne aus den Erfolgen des Sozialistengeseyes lernen, daß ein Kriegs- eseh einen R erzeuge. Man lebe jeyt im ver- fiedien Bürgerkriege. Man habe mit dem Belagerungszustand und anderen Waffen sehr wenig Ruhm davon getragen. Wenn die Sozialdemokraten niht gewaltsam vorgegangen seien, so sei dies geschehen troy des Belagerungs- zustandes, niht in Folge desselben. Wäre die sozialdemo- fratishe Organisation nicht so festgegliedert, so wäre ein Ausbruch unvermeidlich gewesen. Die neue Gesellschaftsord- nung sei im Werden, dieser Prozeß könne gehemmt, aber nicht gehindert werden. Liege es im Jnteresse des Hauses, diese uma vorzunehmen, damit nothwendig ein gewaltsamer usbruch erfolge? Gebe das Haus sich die Antwort selbst. Was auch kommen möge, man werde die Sozialdemokraten für alle Fälle bereit finden auf dem Posten als Vorkämpfer des unterdrückten und ausgebeuteten Volkes,

ierauf ergriff der Staats-Minister von Puttkamer

das Wort : i Meine Herren! Der Herr Vorredner hat den leyten Theil seiner Rede der Ausführung gewidmet, daß er beabsichtige, cinen Appell an dieses Haus, zugleih au an die Regierung tw ridten, nicht an ihre Pietät, nit an ihr Rechtsgefühl, nein, an ihe Interesse. Jch muß agen, daß die Schlußworte des Herrn Vorredners doch eine sehr

bedenkliche Aehnlikeit mit einem Appell nicht an das Interesse, sondern an die Furt hatten. Wenn man den nicht mehr neuen Say hier ausípre{hen hört: eine neue soziale Ordnung is im Werde- prozeß begriffen, laßt ihr den Lauf, wo nicht, wird sie sich ge- waltsam Bahn brechen, so is das ebea ein Standpunkt, den man von jener Seite ja oft vertreten hört, der aber, glaube ich, von sämmtlichen Elementen und Kräften in der deutschen Nation, die an der Erhaltung der bestehenden staatlichen und Gesellschaftsordnung durch Ueberzeugung, sei es religiöse, sei es politishe gebunden sind, in keiner Weise anerkannt werden kann, sonvern stets mit Entschiedenheit wird zurückgewiesen werden müssen.

Meine Herren, der Bundesrath hat nun \{on seit mehreren Jahren seine Genehmigung zu ertheilen gehabt zu gewissen außer- ordentliben Maßregeln der Königlich preußischen, der Königlich \äch- sischen Regierung und des Senats der freien und Hansestadt Ham- burg, welbe auf Grund des §. 28 des Geseßes vom 21. Oktober 1878 getroffen worden sind; der durch diesen selben Paragraph vor- geschriebene Rechenschaftsberiht wird dem hohen Hause alljährlich vorgelegt und es knüpft fih daran mit derselben Regelmäßigkeit eine der Debatten, wie wir sie au heute haben. Es liegt durchaus im Interesse der Regierung, meine Herren, und ih gehe weiter, ih sage: es liegt durchaus im Snteresse des öffentlihen Wohles, daß diese Debatten alljährlich stattfinden und daß dadurÞ das gerade eben in Folge der Wirkungen des Sozialistengeseßes etwas abgeblaßte Bewußtsein von den Gefahren, welche die Sozial- demokratie für das deutsche Volk mit \sich bringt, etwas auf- gefrischt werde. Das ift in “meinen Augen der Hauptvortheil einer jolchen kontradiktorishen Erörterung über die Dinge, mit denen wir es heute zu thun haben. Wenn der Herr Abgeordnete sagte, die Regierung schiene es gewissermaßen als ein öffentlihes Unglück zu betrachten, daß er und seine Parteigenossen hier im Hause als Abgeordfete des deutschen Volkes erschienen, so will ih diesem Auësspruche weiter keinen sehr energischen Widerspruch entgegensezen, aber in gewisser Beziehung bin ih doch sehr zufrieden damit, daß wir ab und zu Ge- legenheit haben, die Herren hier fi wieder aussprechen zu höôren und von ihnen zu erfahren, welches ihre eigentlichen Ansichten nicht nur, son- dern ihre eigentlichen Ziele sind, denn darauf, meine Herren, kommt es an. Heute nun hat der Redner, welcher für diese Partei auftrat, allerdings meinen Erwartungen in Bezug auf die Offen- legung dieser Ziele nicht entsprochen, ih glaube mit Absicht, denn er sagte ausdrücklich: ih werde mit aller Offenheit denn anders wäre es unwürdig und unmännlich hier über unsern Stand- punkt zu Ihnen sprecbenz; der Regierung würde ich natürlich davon nichts sagen, die darf das, was unter uns vorgeht, nicht wissen. Meine Herren, das scheint mir eine starke contradictio in adjecto zu sein. Wenn man einerseits erklärt, ganz ofen sein zu wollen und andererseits wenn auch nur in Parenthese die Absicht ausspricht, die Thätigkeit der Partei mögli} verhüllt zu halten, \o ist das für die Regierung, welcher die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe obliegt, ein Antrieb, dieser Thätigkeit etwas näher nachzugehen und ihr ofen ins Gesicht zu sehen. Eins läßt sih gar nicht leugnen: wenn die Abgeordneten der sozialdemokratischen Partei ich will fe einmal mit diesem Ausdru kollektiv benennen hier mit dem Anspruch einerseits auftreten, daß durch die leßten Reichs- tagswahlen und die Erfolge, welchen sie bei diesen erzielt hätten, ihre wacsende Kraft und ihre immer festere Ginwurzelung in der Nation be- wiesen sei, so ist das eine vollkommene Unrichtigkeit. Die Mitglieder der sozial - demokratishen Partei verdanken ihre Anwesenheit in diesem Hause nicht ihrer eigenen Kraft, sie verdanken sie leider Gottes der Uneinigkeit der stattserhaltenden Parteien unter einander, verdanken sie der sträflicen Konnivenz einzelner dieser Par- teien. (Zuruf.) Ich höre das Wort Breslau. Wir haben uns früher darüber unterhalten. L

Wenn die sozialdemokratischen Abgeordneten béhaupten ¿ wir find nicht nur in derselben Zahl, wie früher, sondecn sogar verstärkt wieder aufgetreten, so will ih dem doch die Zahlen wenigstens bnigegenleßen, die ja do von Vertretern einer Volkspartei nit mit Gleichgültig- keit werden aufgenommen. werden die Ziffern der Wähler, die ihnen’ zur Seite gestanden haben. Im Jahre 1878 betrug die Zahl der bei den ersten Wahlen auf die sozialdemokratishen Abgeordneten entfallenen Stimmen 437158, und bei der Reich8tags8wahl 1881 ich \preche von den ersten, niht von den Stichwahlen; die ersten waren die entscheidenden waren auf sie gefallen 311 169 Stimmen eine sebr erheblihe Verminderung, meine Herren, und ih wiederhole den Saß, sie dürfen sich damit nit rühmen, daß sie hier in einer relativ; so großen Anzahl wiedergekommen sind, Sie verdanken das nit der eigenen Kraft, sondern dem bedauernswerthen Umstande, daß die anderen Parteien, deren Pflicht es der Meinung des Geseßzgebers nah wäre, in der entscheidenden Wahl sich zu einigen, diese Pflicht bedauerliher Weise versäumt haben.

Nun aber bin ih ferner der Meinung, daß die Bundesregierungen bei den Maßregeln, welche sie auf Grund des Sozialistengesezes zu ergreifen haben, es gar nit allein und auéts{ließlich mit der spezi- fisben, von den Herren hier vertretenen Partei zu thun haben, nein, meine Herren, sie haben es mit der Revolution in allen ihren Schat- tirungen und Nüancen zu thun, und deshalb hat der Herr Redner, der soeben gesprohen hatte, es mit \o großer Emphase und so großem Eifer abgelehnt, daß ihn eine gewisse Solidarität auch an die äußerste sozialrevolutionäre Partei knüpfe. Meine Herren, Sie werden diese Partei niemals von \sich abs{chütteln können, das ist cin durchaus vergeblihes Bemüben. Der Unterschied ist nur der, daß die Mostsche Partei sehr viel kühner und sehr viel unumwundener ift, als Sie. Wenn der Herr Abgeordnete, der soeben das Wort ge- nommen hatte, sagte, der Unterschied zwischen der Mostschen Partei und der seiner Freunde bestände darin, daß die erste blan- quistis, seine Partei aber der Meinung sei, daß das soziale Gebäude von selbft zusammenfallen und sie die Früchte dieses Zusammensturzes dann pflücken werde, so ist das eine Distinktion, die vor der Loupe einer näheren Besichtigung in keiner Weise standhält. Die Sache verhält si vielmehr eigentlich so, daß die ultrasozial-revolutionäre Partei und ihre Organe den sofortigen Umsturz mit Pe- troleum und Dynamit, die sogenannte gemäßigte aber Untergrabung mit nachfolgendem Umsturz predigen, an dem sie si auc, wie der Herr Abgeordnete mit großer Offenheit erklärte, dem- nächst thätig betheiligen werden. Also, meine erren, ist es die Pflicht der Regierung, beiden Bestrebungen und beiden Richtungen mit derselben Schneidigkeit entgegenzutreten, die das Gesey von ihr verlangt. Daß der Herr Abgeordnete mit so großem Eifer sih be- müht, die ultrarevolutionäre Partei als in vershwindender Mino- rität befindli, und die Vertretung ibrer PeRecane, in Deutsch- land im Gegensay zu den zu tausenden zirkulirenden Or- ganen seincr Partei als böcst finde h sehr begreifli®d. Er bezwedckt urch einerseits, die Schärfe der Maßregel der Regierung in ein möglichst ungünstiges Licht zu stellen und andererseits der Richtung, welhe er und cine Freunde verfolgen, cin um \o größeres Relief in den Augen der Nation oder diescs Hauses zu geben. Abec für die Regierung ist dies in der That ein völlig indifferenter Punkt. Wir sind, meine Hecren, auf Grund der Vollmacht, welhe die deutshe Nation im Oktober

1878 uns ertheilt hat, verpflichtet, mit allen Kräften und aller Energie, deren wir fähig sind, alle diejenigen sozialdemokratischen Bewegungen niederzuhalten, welche in dem §. 1 des Gesehes vom 21, Oftober 1878 charafterisirt sind, Meine Bert, hierzu rechne i nicht diejenige Schattirung der Sozialdemokratie, ih möchte sie die harmlose nennen welche aus mißversiandenen wissenschaftlichen Begriffen oder sogar aus mifwverständlicher Deutung christlicher Grundsätze eine ideale und nur in der Theorie sich bewegende Opposition gegen die bestehende Staatsordnung macht : mit dieser Richtung sind die Regierungen nit im Kampfe, die überlassen wir ihrem harmlosea Velleitäten, wohl wissend, daß diese unshädlih im Sande verrinnen wird, Was im Interesse der Nation und ihrer heiligsten Güter uñsere Pflicht ist, das ist die Bekämpfung der kampfbereiten Sozial- demokratie, die ecclesia militans innerhalb der deutshen Sozial- demokratie, das ist die Bekämpfung derjenigen vereinigten Rich-

geringiügia SRrgE Een ier

tungen, welhe in jedem Augenblick bereit sind, den Umstur des Bestehenden in Angriff zu nehmen, wenn nur Ae geeignete Augenblick da ift. Das ist immer die Frage und ih komme darauf zurück, mir ist die Mostshe Richtung mit ihrem kühnen, rüsitslosen, jeden Kompromiß von der Hand weisenden Fanatis- mus eigentli lieber, als die Ihrige. (Hört! Hört! links.) Jawohl, denn wir wissen ganz genau , mit wem wir es da zu thun haden und bedürfen keiner weiteren längeren logishen Schlüsse, um uns erst darüber zu verständigen, welcher Richtung die Herren angehören.

__ Ich sagte vorher, meine Herren, gerade eine der Wirkungen des Sozialistengeseßes von 1878 sei die, daß in dem öffentlichen Bewußt- sein die Klarheit darüber, welche Gefahren der deutschen Staats- und Rectsordnung von Seiten der Sozialdemokratie drohen, einigermaßen si aioen Gefabr laufe und daß dies uns Unruhe mae. Auch die Thatsahe, daß hier Herren von der sozialdemokratishen Richtung durch ihre An- wesenheit und Mitgliedschaft im Parlamente gewissermaßen, wie soll ih sagen, verhandlungsfähig werden, ist sehr geeignet, in manchen Köpfen den Eindruck zu erwecken, eine Partei, die an den pyarlamen- tarishen Berathungen, und zwar häufig mit großer Sachkenntniß, wir erkennen das an, an den Abstimmungen als Vertreter der deut- {ben Nation Theil nimmt, könne ja nicht so \{limm sein, dieselbe würde sich doch wohl am Ende damit begnügen, dur ihre gesetz- geberishe Richtung, dur die Beredtsamkeit, die sie hier im Hause entwickele, auh auf die Ueberzeugungen der Mehrheit der Nation in der Weise einzuwirken, daß man sich \ch{ließlid zu ihrem System es ist {wer zu sagen, was es für ein System ist bekennen und daß dann auf diesem Wege vielleicht eine große Reform zu Stande kommen werde, an welcher die Herren ein erhebliches Verdienst hätten. Ja, meine Herren, wenn dem so wäre, dann ließe sih über die Sache reden. Dem ist aber nit so, die Regierung muß daher, wie ih wiederhole, ein großes Interesse daran haben, zu verhindern, daß ein solher Glaube {ih in weiten Kreisen etwa befestigt, und muß zu diesem Zweck den Herren, die hier als die Vertreter der Sozialdemokraten auftreten, den Spiegel vorhalten Dessen, was sie eigentli sind. Jch werde mir demzufolge erlauben, Ihnen meine Herren, dies noch an einigen drastishen Citaten und Beispielen zu eremplifiziren.

Schon bei einer früheren Gelegenheit, als ih ebenfalls die Ehre hatte, die verbündeten Regierungen hier zu vertreten, habe ich mir zu bemerken gestattet, daß es allerdings \{chwierig sei, aus konkreten Thatsachen her, -Waffen gegen die Sozialdemokratie ins Feld zu CeA und zwar aus dem sehr einfaben Grunde, weil \olche That- achen in Yoge „der repressiven Wirkung des S niht mehr vorliegen. ir sind deshalb im Wesentlichen nur noG in der Lage, aus anderweiten Quellen ' unsere Wissenschaft von der eigentlichen Natur dieser Partei dem hohen Hause vor- zuführen. Jch darf „mich hierbei nicht auf die soge- nannte gemäßigte Partei beschränken, sondern fühle mich, um die anze Gefahr, welche uns aus der sozialdemokratischen Bewegun überhaupt droht, in das richtige Liht zu stellen, verpflichtet, au einmal wieder daran zu erinnern, welchen charakteristischen Grund- pas und Prinzipien die äußerste Parteirihtung huldigt, zu welcher \i der Hr. Abg. von Vollmar allerdings nicht bekennt.

effentlihe Manifeste, meine Herren, giebt es nicht. Wir sind, Gott sei Dank, dahin gelangt, daß die Sozialdemokratie, soweit sie revolutionärer und umstürzender Natur ist, ihre Aktion in das Ge- heimniß hüllen muß; aber es giebt denn doch, da braucht man noch gar nicht von der Spionage Gebrauchß zu machen, von der die Rede war, noch einige Mittel, um sich, und zwar im öffent- lihen Interesse darüber zu vergewissern, was für Grundsätze wir in das deutshe Volk und sein öffentlihes Leben eingeführt sehen würden, wenn diese Partei zur Herrschaft gelangte. J will Ihnen zunächst mittheilen, was das Organ der Mostschen Richtung „die Freiheit“ als seine Ansichten über ein doch bis jeßt noch glücklicherweise in Deutschland geactetes Institut, nämlich über die Che, ausspricht. Jch habe bei einer früheren Gelegenheit Ver- anlaffflfung genommen, dem hohen Hause mitzutheilen, wie diese Partei über die Monarchie, das Christenthum und an- dere Grundlagen der bürgerlichen und menschlichen Gesellschaft denkt. Sie werden in dem, was ih Ihnen jet vorlesen werde, wahrseinlich {on wieder einen kleinen Fortschritt weiter na links erblicken, ob- gleich mon einen solchen kaum noch für möglich balten sollte. Aus diejem Artikel, den zu verbreiten wir eben die betreffenden Leute durch die von uns getroffenen Maßregeln auf Grund des §&. 28 hindern wollen aus diesem Artikel können Sie sehen, daß wir es hier mit Richtungen zu thun haben, die eigentlich mens{lich kaum mehr zu nennen find, sondern die ich wenigstens, von meinem Standpunkte aus, bestialisch nennen möchte. Der fragliche Artikel ist überschrieben : eDas Glúck der Ehe“. Da wird zunähst in einer läugeren Ausführung, die ich ihrer Obskönität wegen und aus Rüdcksiht auf das Haus und die Tribünen unterdrücken muß, gesproben von der Ehe als einer Quelle des Unglücks im mens{lichen Leben und von der Nothwendigkeit, sie abzuschaffen, und hieran naGstehende Bemerkung geknüpft :

Die Wurzel des Uebels is eben nichts anderes, als das Institut der Ebe an sih. Da man dieses aber „heilig halten“ muß, kein Teufel weiß warum, so wäre es eine Art sittlihen Hochverraths, wenn man diese Heiligkeit mörderisher Folgen bes{huldigen oder auch nur einer gründliheren Untersuhung mit rücksihtslosen Händen unterziehen wollte. Wir aber \{hrecken vor keinem Hoch- verrath zurück und nehmen uns daher auch die Freiheit, auch über diesen heiklen Punkt einmal etlihe derbe Worte zu verlieren.

Dann kommt eine weitere Ausführung, an die sich zum Schluß Folgendes anreiht, was ih allerdings Alles übersteigend finde, was denkbar ist:

Vorschläge zu Reformen der Ehe zu machen kann uns nit einfallen, wenn wir nah dem bisher Gesagten die Ehe als solche für un- finnig, weil das menschlihe Glück untergrabend, erklären müssen. Sole faule Institutionen sind nit zu flickcn, sondern müssen aus der Welt geschaft werden. Nur Heuchelei und Unverstand könne das bestreiten. (Es wird übrigens in der sozialen

nun fommt wirkli eine Konsequenz aus diesen Grundsätzen, meine Herren, die ih Ihrem besonderen Interesse empfehle

Es wird übrigens in der sozialen Gesellschaft durchaus nicht nötbig

sein, die Ehe abzuschaffen, dieselbe wird vielmehr ganz von selbst

aufhören, sobald die herkömmlichen Begriffe binsichtlih der politi- s{hen und wirthschaftlichen Stellung der weiblicben Bevölkerung hinsichtlih der Kindererziehung uad binsichtlid der sogenannten

Sittlichkeit durch die veränderten Eigenthumsverbältnisse, die voll- , kommen sicher gestellte Freiheit des Individuums in diesem Zusammenhang, meine Herren! Ö

und eine höher entwickelte allgemeine Bildung und naturgemäße

Meoralgrundsätze verdrängt worden sind. Ohne Zwangsgesetze wird

die klägliche Kindererziehung dur die Familie, bei der die Mütter

sih abrackern und die Kinder denno verwahrlost werden, ihr Ende erreichen, sobald den Eltern Gelegenheit geboten ist, die Kinder unentgeltlih öffentlichen Bildungsinstituten zu übergeben, die auf- gebaut sind auf den jeweilig fortgeschrittenstiea Ideen im Er- ziehungêwesen, in denen der Geist allgemeiner Menschenliebe weht und die Wissenschaft ihr Licht leuchten läßt. Gewöhnen si aber einmal die Eltern daran, im eigenen Interesse, im Interesse der

Kinder und der Familie, im Interesse der Gesammtheit, von

ihren Sprößlingen so bald als möglih sih zu trennen, if die

Fäâmilie als Institut bereits so qut wie aufgelöst.

Meine Herren, da haben Sie den Katechismus der „Freiheit“. Er vernichtet die Ebe, er vernichtet die Familie, und dieses Blatt es ift mir natürli ganz gleigültig, ob der Herr Abgeordnete, der vor mir sprach, es als seiner Richtung angehöôrig anerkennt, die Thatsache genügt, daß es in Deutschland in so und so viel tausend Exemplaren zu verbreiten gesuht wird, dieses Blatt zu vernich- len, wo wir nur irgendwie können, ist unsere beiligste Pilicht. Als Mütel dazu gerade in den großen Centren des Verkehrs dient und muß uns dienen die außerordentliche Vollmacht, welche uns der &. 28 des Sozialistengesehes an die Hand giebt. Wer das bestreitet, der

nimmt eine Verantwortlichkeit auf si so furchtbarer Art, daß ih ihn daran erinnern möchte, in ciner Stunde, wo es ihm vielleicht nicht lieb ist. Nun sagt natürlich der Hr. Abg. von Vollmar: „Der Most ist ein ver- rückter Kerl, der gebt uns nichts an.“ Darauf erwidere ich: Aber uns geht er an im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, und wenn der Herr Abgeordnete den Versuch macht, die Solidarität mit der Partei, die ih eben durch das Citat gekennzeichnet habe, ab- zulehnen, so ist das für das Interesse der deutshen Nation ohne jeg- lihe Bedeutung. Wir haben darauf zu abten, daß die Verbreitung derartiger unglaublicher Dinge, die in manchen Schichten der Bevöl- kerung Boden zu finden leider nur zu geeignet sind, unmöglich ge- macht wird.

Nun komme ih zu den Herren felbst, und möhte zunächst ein Faktum konstatiren, das implicite von dem Herrn Abgeordneten zuge- geben worden ift. Der in Zürich erscheinende „Sozialdemokrat“ ist von der Partei und ihren Vertretern es sind die sämmtlichen Herren, die wir hier sehen, in der Erklärung unterzeichnet, nun- mehr offiziell als Parteiorgan anerkannt. Wenn die Herren es leugnen, so werde ih die Erklärung vorlesen. (Abg. von Vollmar: „Es ift ganz richtig !“)

Durch diese Aeußerung bin ih der Nothwendigkeit, das Sriftstück zu verlesen, überhoben. Ich will also nur konstatiren, daß die Partei dieses Preßorgan zur offiziellen Preßautorität erhoben hat, und daß sie in Folge dessen verantwortlich i ich will niht sagen für jedes Wort das haben die Herren in der etwas sehr verklausulirten Erklärung abgelehnt aber für die gesammte Richtung, die das Organ vertritt; sonst hätte die Sache keinen Zusammenhang und keinen Werth. Nun, meine Herren, wollen wir untersuchen, wie dieser „Sozialdemokrat“, das offizielle Mundstück dieser,¿Partei ich nehme an, daß er das sagt, was Sie zu sagen nicht wagen, \ich nun seinerseits zu den Instituten des Christenthums, der Monarchie, zu unserer nationalen Wehrkraft, zu unserer Judikatur und zu anderen fundamentalen Einrichtungen des Staates verhält, die seinen Bestand garantiren. Jch glaube, wenn ih diese Dinge mitgetheilt habe, wird der Hr. Abgeordnete von Vollmar geneigt sein, mit etwas minderer Sicherheit hier aufzutreten als ein Mann, der zwar eine radikale Reformpartei repräsentirt, mit dem man aber doch reden müfse, da er als Abgeordneter hier erscheine und sih an den parlamentarischen Verhandlungen betheilige. Jh bemerke voraus, daß ih vieles in diesen Citaten aus Rücksicht der Decenz und der Ehr- erbietung unterschlagen muß.

Der Abg. Kayser würde wahrscheinlich geneigt sein, das Ganze vorzu- lesen, aber ih bin in anderer Lage; ih muß meinerseits doch einige Rücksiht nehmen und mir Reserve auferlegen. Gestatten Sie mir, meine Herren, zunächst einen Artikel zu Ihrer Kenntniß zu bringen, welcher sich beschäftigt mit der Genealogie des hohenzollernschen Königs- hauses, den ih aber in seinem ersten Theile niht vorlesen kann. (Ruf: Warum nit!) i

Ich stelle Jhnen denselben naher zur Verfügung, Sie werden mir Recht geben, wenn i es ablehne, Ihnen den Artikel in extenso vorzulesen, obgleich er freien Eindruck hier machen würde. J kann nur das relativ Anständigste oder richtiger das am Wenigsten Unan- ständige von dem Artikel mittheilen, Also die Preßautorität des Ke Abg. von Vollmar und Genossen denkt von dem preußischen

önigshaufe etwa so, wie ih es wörtlich zitire:

Alle diese Leute sind natürlih „von Gottes Gnaden,“ wobei wir nur den Geshmack des lieben Gottes bewundern müssen, der indeß seit alten Zeiten historisch konstatirt werden kann. Schon seine Grzlieblinge im alten Testament, cin Ahraham, David, Jakob, Salomon, waren ja bekanntlich, was Mord und Ehebrechen anbe- trifft, große Helden, und Christus, sein eingeborner Sohn, zählt ja, abgesehen von seiner Jungfrau Mutter, unter seinen Abnfrauen drei „Damen“, Rahab, Ruth und Bathseba. Der Geshmack des Herrgotts ist also nur konsequent geblieben, wie das von ihm bei seiner Unveränderlichkeit ja auch nit anders zu erwarten war.

Uebrigens ist es durchaus natürli, daß unsere Herren Landes- väter so wenig beneidenswerthe Familienväter haben. Ein Mens aus einer anständigen Familie

ich wiederhole:- „aus einer anstän digen Familie“ im Gegensatz

zu dem Landesvater würde sich ja auch im 19. Jahrhundert \{hwerlich zum Repräsen- tanten einer fol nichtsnußigen, miserablen Einrichtung hergeben, wie die Monarchie ist. Dazu gehören eben Leute aus an- rüchigen Familien, wie das auch die ganze Weltgeschichte beweist. Alles das hat indessen wenig zu bedeuten, so lange das deutsche Volk mit seinen „erlauchten“ Heldengeslechtern zufrieden ist. Der Tausendste allerdings kennt wohl kaum die ehrwürdigen Vorfahren [O verschiedenen Landesväter und darum haben wir uns der oyalen meine Herren, der „loyalen* Aufgabe unterzogen, diese Heldenreihe der „bewährten monarciscen Gesinnung“ des deutschen Michels einmal vor Augen zu führen. Möchte unser Bemühen, wie gesagt, ein Scerflein dazu beitragen, diese monarcische Gesinnung im Besonderen und den Autoritätsfinn im Allgemeinen zu kräftigen und zu vermehren, damit \ich die deutsWen Landesväter vor der allzugroßen Liebe ihrer Unterthanen nit mehr dur so kostbare stehende Heere zu \{üßen brauchen.

Der Verfasser dieses Artikels nennt si Katilina.

Dann ift in diesem offiziellen Organ des Hrn. Abg. von Voll- mar noch folgender Artikel über die Monarcie enthalten, der an eine Sammlung anknüpfte welhe von woblgesinnten Leuten bei Gelegenheit des Geburtstags Sr. Majestät des Kaisers zu wohl- thätigen Zwecken veranstaltet wurde,

Uebrigens follte man sich im eigenen Interesse mit solchen Betteleien etwas zurückhaltender been. Denn das sieht doch auch der Dümmste ein, daß sie weiter keinen Zweck haben, als die An- hänglihkeit an Monarchen und Monar@ie aufzufrishen und zu stärken. Wenn dieselbe aber einer Auffrishung bedarf, so muß sie doch ziemli abgeahit sein und \o klingt aus solchen Betteleien nur immer der Refrain hervor: „Der Monarchiêmus ist auf dem Hund!“ was uns sehr angenehm ist,

__ Ic könnte ja, meine Herren, außer diesen Citaten in Bezug auf die Stellung des Herrn Abgeordneten und seiner Freunde zur Monarcie noch weitere anführen; ih glaube aber, daß dies genü- gen würde, denn es geht s{hon aus diesem genugsam hervor, daf diese Partei nit blos in der Theorie republikanis ist, sondern daß sie republikanisch i in cinem Maße und in ciner Ferm, welche eben jede Versländigung auf dem Bodem der Diskussion aus- \{ließt. Wer im Stande ist, meine Herren, derartiges zu schreiben und, wie ih binzusezen muß, verpflichtet ist, für derartiges die Ver- antwortung zu übernehmen, der {ließt si damit aus der Mitte des deutschen Volkes aus, und thäte meiner Ansicht na sehr viel besser, entweder dem Beispiel des Hrn. Most folgend, über das Meer zu geben, oder, wenn er durchaus glaubt nur in der Schweiz die Be- riedigung seiner politishen Bedürfnisse zu finden, lieber na dort sich wenden, dem deutschen Vaterlande den Rücken zu kehren. Uns, glaube ich, könnte cin solches Verlassen des deutshen Bodens nur angenehm berühren.

Citate der Art, wie ih sie socben Jhnen, meine Herren, anzu- führen die Ehre hatte, sind nun allerdings geeignet, einen besonderen Eindruck zu machen, weil es sich in diesen um Dinge handelt, an denen das z cines jeden Deutschen hängt. Um der Gerecbtigkeit aber vollauf Genüge zu leisten, werde ich dem hohen Hause noch Einiges darüber vorzulesen mir gestatten, wie die Herren denken über andere weniger an das Bewußtsein der Nation anlnüpfende, aber immethin doch fundamentale Institute, Im Vordergrunde der Betrachtungen stehen begreiflicherwelse besonders häufig die Richter, deren Urtheile der Hr. . von Vollmar auß iîn seinem Vortrage ciner Kritik unterzogen hat so heißt es „die Richter sind servile Schurken, die bereit sind, jedem Polizeispione und jeder Polizeibehörde zu Willen zu sein, die cüdsihtslos alles, was ihnen unter die get Tommt, zu den grau- samsten Strafen verurtheilen und deshalb an den Pranger geftellt und

der Verachtung der deutschen Nation preiögezeben werden müssen. Meine Herren, wer es sich zur Aufgabe macht, an diesem Werke syste-

matisch die Achtung vor der deutschen Rechispflege und vor denen untergraben, denen ihre Ausführung anvertraut ift, begiebt sich l gleiher Weise außerhalb des Rahmens unseres Kulturstaates und ift ebenso in der Lage, fih sagen lassen zu müssen, daß man eigentli die Grenzpfähle zwischen ihm und der deutschen Nation für immer aufrihten müsse. Da heißt es z. B. in einem Artikel, wo von einem “c og die Rede ist, welhes zum Zuchtha:1s verurtheilt ist, zum uß:

, Ses Jahre Zuchthaus wegen eines nicht einmal festgestellten

politishen Vergehens!

Es wird also als. etejenb angenommen, daß die Richter die Schuld gar nit festgestellt haben, und als Trumpf darauf geseßzt der sehe ominöse Gedanke, etwas fräftig ausgedrückt: „Hallunken, euer

ist voll!!! Also wenn ein Richter in pflihtgemäßer Ausübung feines Berufs ein foles Subjekt zu sech8 Jahren Zuchthaus verurtheilt, dann wieder als «Hallunke“ bezeichnet, „sein oui ist voll“. Was man da zwischen den Zeilen zu lesen. genöthigt ist, braucht nit gesagt zu werden, jedenfalls E das ein Anreiz zur Gewaltthätigkeît gegen den Richterstand im gegebenen Fall. Soweit der Angriff gegen die Richter persönlih. Aber auch über die fundamentalen Institutionen des täglichen Lebens, z. B. über den Cid ih spreche gar niht über den religiösen Eid, das ist für die R ein längst überwundener Standpunkt, aber von dem Eid an ich fördert die Presse des Hrn. Abg. von Vollmar ganz E en zu s : eberschrift : eineid, eine Folge des Sozialisten- geseßes. Unsere Genossen S : P es werden einige von den Herren genannt wurden vom Swurgericht in Landshut des Meineids für \{uldig erklärt und unter Aus\{chluß mildernder Umstände zu 185 resp. 19 Monaten Zuchthaus verurtheilt. Für Arbeiter is keine Strafe zu hart, da arbeiten bürgerlihe Geshworene und Berufsrichter Hand in Hand, um den politischen Gegnern auf möglichst lange Zeit das Brandmal der Chrlosigkeit aufzudrücken. Nur vor dem Gesetz, vor dem Spießbürger mögen die (— nämli wegen Mein- eides —) Verurtheilten ee ehrlos sein; vor uns, vor der Partei des arbeitenden Volkes, sind sie es ebensowenig, wie ein anderer Genosse, der noch immer wegen eines gleichen „Meineides“ im Zuchthause \{chmahtet. i :

Nun muß i sagen, „wenn eine der Säulen der Recbtspflege so beurtheilt wird, werden die Konsequenzen für die übrigen Anschauungen der Herren in Bezug auf alles das, was mit Geseßgebung, Gerichts- verfassung und Gerichtsverfahren zusammenhängt, wohl ziemlich klar zu Tage treten.

Die Stellung der Sozialdemokraten zum Christenthum is ja wohl so ziemlich bekannt ; die Herren haben au nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie eine grundsäßlih atheistisbe Partei sind mit allen ihren Konsequenzen. Aber es it gut, dies auch hier durch cin Do- kument festzustellen, und zwar festzustellen durch die agitatorische Form, in der die Verfolgung, die Verhöhnung des Christenthums betrieben wird, gerade weil diese agitatorishe Form und die Verbreitung, in Diet ele Dinge stattfinden, so ungeheure Gefahren in fih birgt. Da

eißt es:

Wozu der Herrgott gut ist. Unter dem Gesange: „Was Gott thut, das ist wohlgethan“

Nun wird erzählt jene leider vorgekommene, überall mit großer Theilnahme aufgenommene Thatsache, daß ein Füsilier hier das Un- glück hatte, einen Knaben zu erschießen,

Unter dem Gesange: „Was Gott thut, das ist wohlgethan,* ist der von dem Füsilier Werner ershossene Knabe Frißz Feryond zur Gruft getragen worden. Am Grabe hielt der Prediger von Han- stein die Trauerrede, der er die Worte der heiligen Schrift „Seid unterthan der Obrigkeit“ zu Grunde legte. Also zu lesen in der christlih-konservativen „Kreuzzeitung“.

Und keine einzige der gottesfürhtigen Christenseelen erhebt Protest gegen die vernichtende. Kennzeihnung ihres Gottes, welche in dieser infamen Demonstration enthalten ift.

Also ein {ristlihes Begräbniß, bei welchem der Geistliche eine, an das religiöse Gefühl der Anwesenden sih richtende Rede hält, ist eine „infame Demonstration®!

„Was Gott thut, das ist wohblgethan“. Gott hat also den Wachtposten scharfe Patronen gegeben, Gott hat sie dazu gedrillt, auf wehrlose Knaben zu s{ießen, Gott hat den vorzeitigen Tod zweier Menschenleben auf dem Gewissen, niemand soit Murrt daher nicht, liebe Brüder, „was Gott thut, das ist wohlgethan“.

Und die „lieben Brüder in Christo“ murren nit, fie find \o- gar sehr erbaut davon. Ihr Gott ift dazu da, jede Infamie, die von der lieben Obrigkeit kommt, gut zu En denn „die Obrig- keit ist von Gott“. _ Die Obrigkeit kann so \{uftig sein wie sie will, so lange sie mit den Pfaffen Hand in Hand geht, deckt der Herrgott jede Niedertracht, jeden Betrug im Volke. Der Herrgott ist für indirekte Steuern, verwittelst deren die Armen die Steuern für d:e Reichen aufbringen müssen, der Herrgott ist für den Mili- tarismus mit seinen verheerenden En der Herrgott ist für die Vernicbtung der Volksrechte, der Herrgott ist mit einem Worte der Gott der Nerre n.

Stellen sie fi diesen Artikel vor zu Tausenden dur geschickte Agitatoren unter die niederen Volksklassen einer großen - Stadt ge- worfen, so werden Sie mir zugeben, daß das von Wirkungen un kann und scin muß, die in ihrer Gefährlihkeit und in ihrer Verderblichkeit geradezu unberehenbar sind. Ich glaube, es möte wohl außer den Herren, die hier von der sozialdemokratischen Partei im Hause sind, niemand sein, der dieses Wort, was ih eben sagte, nicht durchaus unter\&Hreiben würde.

Von dem Herrn Vorredner wurde gesagt, daß er die Gesetzlickeit der Vorlage, die eben jeßt einen Gegenstand unserer Unterhaltung bildet, bestreiten müsse, weil bei der Berathung des Sozialistengesetßes nur die Absicht gewesen sei, für den Fall dringender Gefahren und des sonst ausbrehenden Aufruhrs außerordentliche Maßregeln zu ergreifen, um die Sicherheit an gewissen Orten aufrecht zu erhalten. Zch muß dies meinerseits bestreiten. Das war nit die Absicht des 8, 28, sondern man wollte, wie auch die öffentliche Diskusfion ergab, der Regierung eine Waffe in dic Hand geben, um an solchen Orten, wo die öffentliche Sicherheit, gleichviel durÞ was und dur wen, hbe- droht ift, die nötbigen Maßnahmen zum Scbuy ergreifen zu können. Nun frage ih: Jst die Kritik der Richter, ist die schmachvolle Be- urtheilung des Monarchen, die wir gehört baben, geeignet, in Berlin die öffentliche Sicherheit zu gefährden, wenn sie in Tausenden von Exemplaren Zeitungen dur bezahlte Azitatoren in Berlin verbreitet wird 7? Wagt dies der Herr Vorredner und scine Genossen zu bestreiten ? I bin begierig, ob es der nacchfolgende Redner thun wird. Für die Bundesregierungen is die Frage entschieden. Wir sind verpflichtet, diejenigen Leute, die wir bei dem Vertriebe solher Schandschriften atrappiren, auszuweisen, weil wir die Pflicht haben, die Berliner, die P Iurger, hes Leipziger Bevölkerung vor dem Gift zu s{ühen, was n solchen Schriften e..thalten ift.

Nun will ih noch auf cinen Punkt aufmerksam machen, weil er für die Charakteristik der sozialdemokratishen Abgeordneten doch in- teressant ift, ich meine nämli ihr Verhalten außerhalb dieses Hauses. Der Abg. von Vollmar lehnte es mit großer E O daß die Regierung sih die Freiheit nehme, auch cinmal zu sehen, was die Herren treiben, wenn sie in der Schweiz zusawmen sind. Ich habe den logischen Faden nicht recht erkennen können, mit dem er Entrüstung an die Diskussion anknüpfen ju fönnen glaubte. bin der Meinung, es ist allerdings unsere iht, das und Treiben derjenigen Partei, welhe ih bier soeben (har: habe, auc da zu beobachten, wo sie sh nicht innerhalb unserer un- itelbaren Sas Ee, gu D use mg que über s führen zu können, mit 6 thun habea. Jch habe schon vor zwei Jahren, als ich die Ehre batte, im Namen der verbündetca Ee bier zu 7 mi über

an

den erften Wydener K sproden, a außerordent- lih interessant m Seen dr die

sonen willen war, demnächst auch ¡um Beschluß erhobenen A

faüziten, dat Wort

„gesetlih* aus dem Parteiprogramm zu strei