1903 / 292 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 12 Dec 1903 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 5. Sißung vom 11. Dezember 1903. 1 Uhr.

Ueber den Anfang der Sißung wurde in der gestrigen |

Nummer d. Bl. berichtet.

Tagesordnung: Fortsezung der ersten Beratung des Entwurfs des Rei hahaus A ioetata für 1904 in Ver- bindung mit der ersten Beratung des Etats für die S huß- gee und des Gesehentwurfs, betreffend Aen- erungen im Finanzwesen des Reichs.

Abga. Dr. Sattler (nl., fortfahrend): Die Reichsfinanzverwaltun muß elbftändiger werden, s darf nicht eh lediglich da den Bes chlüsjen der Budgetkommission abhängen. Die Zuschußanleihe beträgt nah dem vorliegenden Etat nur 595 Millionen Mark. Wenn der Etat nah denselben Grundsätzen ete wäre, wie im vorigen Jahre, so würde er auch einen Fehlbetrag von 30 Millionen Mark enthalten müssen, also eine Zuschußanleihe von 897 Millionen Mark erfordern ur Deckung der ordentlichen Ausgaben. Aber der neue Etat über- Be die Deckung von 30 Millionen bekanntlich auf das Extra- ordinariuum. Im ordentlichen Etat ist von einer Verminderung des Ausgabenbedarfs nichts zu schen. Jch sehe auch darin die Folge des Mangels einer kräftigen, rens Reichsfinanzverwaltung. Hätten wir einen selbständigen Reichsfinanzminister, so hätte er dafür esorgt, daß der ordentlihe Etat weniger Mehrausgaben aufwiese. o unerfreulih der Etat, so unerfreulih ist au der völlige Bankerott des Reichsinvalidenfonds. Die Budgetkommission wird keine besonders freudigen Momente bei der Beratung dieses Etats - erleben. Jch möchte raten, den Grundsay der Sparsamkeit in möglichst kräftiger Weise durchzuführen. Ueber den auswärtigen Etat will ih nicht \sprehen, da ih das Vertrauen zu der Regierung habe, daß sie die deutshen Interessen nah außen kräftig wahrnimmt. Das Deutsche Neich mußte 1s Punkte Fiteta in den fernen Weltteilen. Daß es in den Kolonien nicht weiter geht, is zum großen Teil die Schuld des Reichstags, der den Eisenbahnbau in Ostafrika so lange ver- [Pee at. Was den Etat des Reichsamts des Innern betrifft, so st es erfreulih, daf die Reichsbehörden in der sozialen Fürsorge auf dem Gebiete der Wohnungsfrage vorangehen. Für die Weltausstellung in St. Louis ist das Auswärtige. Amt mit der kargen Hand vor- gegangen, die wir bei ihm gewöhnt sind. Auffallend it es, daß das Quinquennat nur aof ein Bour verlängert werden soll. Ich frage die Kriegsverwaltung, ob etwa ear at ist, die gesamte Bewilligung ür das Militär in jährlihe Bewilligung umzuwandeln? Jch meinte isher, daß es. notwendig ist, die Grundlage der Wehrverfassung möglichst auf längere Zeit festzustellen, weil man dann mit größerer finanzieller Voraussicht disponieren kann, was notwendig ist. Gerade wir, die wir in die Armee unseren Stolz seßen, die wir wollen, daß sie ohne jeden Flecken dasteht, müssen darauf hinweisen, daß in der Armee Schäden eingetreten find, die in weiten Kreisen tiefste Ver- stimmung und tiefsten Schmerz erregt haben. Wichtig ist die Frage des notwendigen Ersaßes des Offizierkorps. Bei der Infanterie herrs{ht ein großer Mangel an Anwärtern. Bei der gegénwärtigen Anspannung aller Kräfte ist es aber durchaus erforderlich, die unteren Offizierhargen genügend zu beseßen. Wir sehen, daß die Kriegs- verwaltung Besorgnisse in dieser Beziehung hat und uns wenigstens den Vorschlag macht, die Gehälter der Oberstleutnants zu erhöhen. Die B hängt aber auch von weiteren Gesichtspunkten ab. Der Luxus in den Offizierkreisen hat eine solhe Steigerung er- ahren, daß viele Bedenken tragen, in das Offizierkorps einzutreten. ie große Zahl der Uniformänderungen und anderes ver- ursaht in kurzer Zeit den Offizierkreisen große Aufwendungen, und deshalb fragen wir, was die Kriegsverwaltung für Mittel er- reifen will, um hierin Abhilfe zu schaffen. Was die oldatenmißhandlungen betrifft, so krampft sich einem das Herz immen, wenn man liest, daß ein einziger Unteroffizier über 1000 gt begangen hat. Jch bezweifle gar nicht, daß die Militärverwaltung derartigen Ausschreitungen gegenüber ihre shärfsten Mittel anwenden will; aber mit der Bestrafung der einzelnen ist es nit getan. Die Unteroffiziergehälter sollen aufgebessert werden. Ih habe aber den Eindruck, daß diese Aufbesserung im wesentlihen nur denjenigen laterol ien zugute kommt, die im Bureaudienst beschäftigt find, aber nicht denen, welche die Rekruten ausbilden. Die Angelegenheit von Ra bat uns gezeigt, daß die kleinen Garnisonen für die Ausbildung nicht besonders günstig sind. Die ganze Stellung des Trains und die Strafverseßung der Offiziere zum Train trägt auch eine Mits{huld an diesen unerfreulihen Dingen. Seit der Annexion von Elsaß-Lothringen find im Etat alljährliÞ Zulagen bewilligt worden für die Offiziere, Unter- offiziere und Gemeinen in Elsaß-Lothringen. Die Polen haben also keine Ursache sich darüber zu beklagen. Wir haben den Zu- lagen in Preußen mit voller Ueberzeugung zugestimmt, weil wir es für notwendig halten, daß gerade în jenen Provinzen, wo uns daran liegen muß, möglist zuverlässige und ausgezeichnete Beamte zu haben, die Möglichkeit vorhanden is, den Kampf gegen das Polentum auf- zunehmen. . Daß Herr Schaedler diese Maßnahme für eine falsche bält, wundert mich von einem Vertreter des Zentrums niht. Er sagte, die Polen sollten ganz fo behandelt werden wie die anderen, dafür müßten sie auch treue Preußen sein. Ja, das ift es eben: die Polen wollen eben niht Preußen sein, sie erstreben die Errichtung eines eigenen, selbständigen polnishen Reichs. Ein selbständiges polnishes Reich ist niht zu erreihen ohne Loslôöfung preußischer rovinzen: Bestrebungen, denen wir entgegentreten müssen. en- ¿lben Grund haben wir auch gegenüber den Herren von der Deutsch - Hannoverschen Partei. Sie werden selbst nicht glauben, ah es mögli sei, eine Selbständigkeit Hannovers zu erringen. Ich persönlich habe -die Herren ja immer rüdcksihtsvoll behandelt, weil fie Niedersacsen sind; aber den Gedankenflug kann ih niht mitmachen, daß sie glauben, die Wiederberstellung eines selbst- ständigen welfischen Herrscherreihs sei ohne einen Kampf auf Leben und Tod mit Preußen möglich. Worauf Preußen einmal seine Hand eug hat, das gibt es nicht wieder heraus. Einen Teil des preußishen Staats wieder loszureißen von Preußen, ift nur möglih dur einen blutigen Kampf auf Leben und Tod. Was nun den Etat und speziell den Marincetat betrifft, so hat der Abg. Schaedler ge- meint, daß dieser über den Rahmen des Flottengeseßzes hinausgegangen sei. Das wuß ih bestreiten. Die Marineverwaltung hat fh yor- behalten, in dem einen Jahre weniger und im anderen mehr auszugeben. Die Gesamtsumme wird nicht verändert. Gefreut hat es uns, daß der ähnrih Hüssener seine Entlassung erhalten hat. Nur meinen wir, er ätte sofort nach Inkrafttreten des Urteils - entlassen werden sollen. Statt defsen haben wir gebört, daß er sogar in den Straßen Magde- burgs fpazieren gehen durfte. Das hat sehr {limme Wirkungen auf die Stimmung weiter Bevölkerungskreise geübt. Was das Eisenbahn- wesen betrifft, so haben wir Klagen aus der Pfalz gehört, die objektiv unzweifelhaft berechtigt sind. Der Eisenbahnbau ist dort hinter anderen Teilen des Deutschen Reichs zurückgeblieben, namentli klagt man über s{lechte Anschlüsse. Eine Verbesserung im Verkehr mit den verschiedenen Landesteilen ift absolut notwendig. Namentlich die Umgehung der Pfalz im MWarenverkehr \{lägt einec gesunden Eisenbahnpolitik geradezu ins Gesicht. Ih möchte den Staatssekretär des Innern e bitten, seinerseits dafür einzutreten, daß derartige Verkehrsvershiebungen, die cine Folge des vershiedenartigen Eigen- tums der Eisenbahnen sind, vermieden werden. Die Einnahmen der ostverwaltung {einen mir etwas gerin verans{lagt/zu sein. Hin- tlih der Anleihen war die Postverwaltung früher geradezu muster- haft, alle einmaligen Auêgaben bestritt sie immer nobel aus den eigenen Einnahmen. Das ift in den leßten Jahren anders geworden. e j gebe Ww daß es richt ist, die Ausgaben für bestimmte Anlagen die Anleihe zu übernehmen, die Vorausseßung dazu aber ift, daß

O age QHP lam L, Je, Me eben fehl

h freue D ârungen der Thronrede în bezu das ozialpolitishe Gebiet, und ih erkenne es mit dem n Reichskanzler

I wir eine sa

sozialpolitishem. Geist erfüllt ist, hat, wie ih hon ausführte, in der Gegenwart t auf rfolg. Ebenfosehr freue ih mi über die eine Entsch digung für unschuldig erlittene Unter-

ft einge Iarden soll. Die Aenderung des Börsengeseßes

: ‘notwendige und dringlihe Ma nahme. Wir offen,

daß durch sie wieder Treu und Glauben im Geschäftsleben Plaß greifen werden. Auch eine Abänderung der Börsensteuer ist erforderlich. erner wären Maßnahmen erwünscht, die den E niedrigen tand der Reichs- und Staatsanleihe in die Höhe bringen. Sehr er- freulih waren die Erklärungen über die Stellung der Regierung zu der Frage der Aufhebung der Abgabenfreiheit für den S iföveckebr auf den deutshen Strômen, wodur die Besorgnisse der Interessenten beseitigt sind. Eine Erhöhung der Entschädigungen für die Ein- quartierungslasten muß ernstlih in Erwägung genommen werden, um die Nachteile, die die ländliche Bevölkerung ohnehin von den militä- rischen LOLN hat, möglihst abzushwächen. Die wichtigste Maß- regel für die deutsche Landwirtschaft aber liegt in dem neuen Zolltarif und in. den fünftigen Handelsverträgen. Ich beshränke mih auf den Ausdruck dex Erwartung, daß die Regierung und ihre Unterhändler auch bei den neuen Verhandlungen die deutshen Interessen nicht zu kurz kommen ala werden. Was die Einführung von Diäten angeht, so spricht fr sie einmal der Grund, daß es in der Tat äußerst schwierig ist, ein bes{chlußfähiges Haus zu haben. Nicht ge hat die Neigung, fo lange Reden anzuhören, wie ih heute eine halte, und es besteht diè Befürchtung, daß Parteidiäten eingeführt werden, sodaß die ee des Hauses von Mitgliedern gefaßt werden, die von Außenstehenden fie abhängig sind. Dies könnte zur Erhöhung der Würde des Reichstags und seiner Beschlüsse nicht beitragen. Ih wende mich zum Toleranzantrag. Die Religion ist gewiß zu allen Zeiten ein großes Kulturmittel gewesen, aber die Hauptsache ist die Wahrung des inneren Friedens. Der Staat muß, unbekümmert um irgend welche konfessionellen R e seine Maßnahmen treffen können. In einzelnen Staaten bestehen in der Tat noch Zustände, die der Abänderung bedürfen. Preußen gehört niht dazu, der Papst hat anerkannt, daß kaum irgendwo in der Welt die Katholiken so gut behandelt werden, wie in Preußen. LE Schaedler hat auch den esu ena E ‘wieder angekündigt. enn wir entschiedene Gegner der Auf ebung des e /uitengele es sind, so wollen wir eben das friedlihe Zusammenleben aufrecht erhalten. (Lebhafter Widersp im Zentrum.) Nun, Herr Kollege Gröber, wir werden uns s{chwerlich darüber verständigen können, Für die Nor druns der Sozialpolitik als eines der edelsten Werke ist die Anschauung im deutschen Volke von Jahr zu Jahr gewachsen seit der großen Botschaft Kaiser Wilhelms 1. Aber in Uebereinstimmung mit dem Reichskanzler meine ih, daß man auf diesem Gebiete nicht überstürzen und nicht unbekümmert um die Verhältnisse in anderen Ländern vorgehen kann. Es muß alles von dem Geiste erfüllt werden, im Interesse der minderbegüterten Volksklassen und der Schwachen zu tun, was nötig ist. Das Verantwortlichkeitsgefühl der Behörden muß nah dieser Nihtung hin wachsen, denn manche Erscheinungen der leßten Zeit haben großen Anstoß erregt, weil sie den Anschein er- wecken, als ob die Regierung und die Becutten ihre Fürsorge mehr den besser situierten i zuwenden. Dahin gehören z. B. die unnötigen poltzeilihen Verhaftungen. Daher kommt es, daß jeder, der mit e ep einer e bme der Regierung unzufrieden ist, ne Unzufriedenheit - durch den fuzidliventatratiiWen Stimmzettel usdruck gibt. Wir müssen dahin wirken, daß diese Mitläufer der Sozialdemokratie sich* auf ihr besseres Jh besinnen. r den Wohltaten der Arbeiterversihherung will jeßt auch der Mittel- stand teilnehmen, und wir müssen an die Frage herantreten, ob nicht auch dieselben D geinrihtungen für die Handwerker und Privatbeamten zu schaffen sind. Gegenüber dem Abg. Bebel bemerke ih, daß auch die besißenden Klassen es nicht an Fârioras für die Ar- beiter fehlen lassen. Ich kann es als Nuhm für unsere Partei in An- spruch nehmen, daß für die Invaliditätsversiherung von den damaligen 100 Mitgliedern meiner Partei 80 eingetreten find. Wir haben des- halb ein gutes Gewissen gegenüber allen Angriffen der Sozial- demokratie, und es \wird immer mehr lar werden, daß eine wirklich humane Sözialpolitik Merten wird durch die Maß- nahmen, die die Regierung ps die bürgerlihen Parteien ge- fördert haben, daß aber+die Sozialdemokratie ihre Durchführung ver- hindert hat. Der Reichskanzler hat die Sozialdemokraten gestern gefragy wie denn ihr Zukunftsstaat und ihr Cn ausfieht. bwohl sie es nicht wissen, erheben fe in Dresden den lauten Kampf für den Umsturz. Je nachdem kehrt die Sozialdemokratie die rauhe Pie hervor, wenn sie es für vorteilhaft hält, aber es steht ibr au die milde Note zur Verfügung. Herr Bebel hat in Dresden gesagt: Solange ih lebe, folange ih atme, will ih der Todfeind ieser bürgerlichen Gesellschaft sein und bleiben , sie untergraben, und womöglich, wenn ih kann, fie stürzen. Das ganze Verhalten der Sozialdemokratie ift niht die Vorbedingung für die Bildung einer neuen Kultur, während fie immer behauptet, daß sie die alte verrottete Kultur beseitigen wolle, um die Grundlagen für eine neue bessere zu schaffen. Wir werden uns nicht die Freude an unferer gegenwärtigen deutschen Entwickelung dur solches Vorgehen rauben lassen; wir sehen in Deutschland frisches, aufstrebendes Leben. Wir wollen keine Störung dieser Verhältnisse, wir wollen auch, daß der einzelne in seiner Bildung und Kultur sih frei entwickeln kann, und D ene f E G seen ensten steht, tätig sein i idlagen unserer nationalen Entwickelung in wa freibeit- lihen Sinne zu {üßen und zu fördern. L R L

Preußischer Kriegsminister, Generalleutnant von Einem genannt von Rothmaler:

Meine Herren! Das hohe Haus wird meinen Worten glauben, wenn ih sage, daß bei meinem ersten Auftreten hier als preußischer Kriegsminister es mir allerdings lieber gewesen wäre, über erfreulichere Dinge zu sprechen, als sie leider in der letzten Zeit in der Armee vor- gekommen find und das deutsche Volk nit allein, sondern auch die ganze deutsche Armee bis ins Innerste erregt haben. Der Name Forbach, einst ein Name von gutem Klang, der die Herzen höher {lagen ließ in der Erinnerung an den 6. August 1870, wo in der Nähe die Schlacht von Spichern geshlagen wurde, verbreitet heute einen trüben Schatten. Es sind Dinge dort vorgekommen, die man für unmögli gehalten hätte. Als ih das Buch des Leutnants, Bilse gelesen, als ich mich gezwungen habe, es durchzulesen, da habe ih es voll Ekel beiseite geworfen und mir gesagt: das ist ein niedriges Pamphlet, und es ift eine Schande, daß ein preußisher Offizier etwas derartiges \chreiben konnte. (Oh! bei den Sozialdemokraten.) Ja wohl, das habe ih mir gesagt. Und dennoch ist das, was in dem Buche steht, zum Teil wahr.

Der Herr Abg. Schaedler erwähnte das Wort des Fürsten Bismarck: „Den preußishen Leutnant maht uns niemand nach.“ Von diesem Ausfpruch müsse man jeßt etwas zurücknehmen. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich glaube, es sind bisweilen unter den Amtsbrüdern des Herrn Abg. Schaedler auch räudige Schafe gewesen, und er wird nicht angestanden haben, zu erklären : das waren feine Führer im Herren. So sage ich auch: diese Offiziere, die sich derart vergangen haben, obwohl sie das Kleid des Königs trugen, sie waren zwar äußerlich Offiziere, aber innerlich und in dem Geiste, wie \ie es sein sollen, nein, meine Herren, waren sie es nicht. Das erkläre ih, auch wznn sie heute noch meine Kameraden find.

Nun darf man gewiß nicht die Augen {ließen und muß „offen fragen: wie fönnen denn solche Zustände vorkommen? wie sind sie denn zu erklären? Ich habe vieles darüber in der Presse gelesen.

an, daß cine Fortführung der sozialpolitischen G ebung d us erforderlich ist. Keine Partei und keine Su die 6 it mit

das ist das System, das ist der Militarismus; der Mil

der Vater alles Uebels, der alles in Ketten \{chlägt, E freie Willensmeinung unterdrückt, der zur Verblödung führt, der hat au dieses hervorgebraht. Wenn das richtig wäre, dann müßte das ganze deutshe Volk, welches seit 100 Jahren die Wehrpflicht trägt, also dem Militarismus gewissermaßen unterworfen ist, -verblödet sein. Das deutshe Volk hat aber mit einer Täatkraft und einem Fleiße ohnegleihen sich einen großen Teil des Weltmarkts erobert; und die Sozialdemokratie müßte die leßte sein, die etwas derartiges sagen durfte, denn auf dem Dresdener Parteitage ist ja be- hauptet worden, wenn die Sozialdemokratie erst an der Spiße der Geschäfte stände, würde sh ohne weiteres aus der Masse der Be- völkerung eine solhe Kraft und eine folhe Intelligenz entwickeln, daß sofort die Regierung übernommen werden könnte was doh nur von einem Volke sich behaupten läßt, das von Gesundheit \trogßt.

Andere Zeitungen haben gesagt: das liegt in der Jsolierung, das liegt darin, daß ihr euch fernhaltet vom Volk, daß ihr eine Kaste für euch bildet. Jch kann nicht anerkennen, daß unser heutiges Offizierkorps dies tut. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Ja, ih aber nicht! Ich habe au in kleinen Garnisonen ge- standen, und ich kann versihèrn, daß überall da ein so freundlicher und herzliher Verkehr zwischen Militär und Bürgerschaft geherrscht hat, wie man ihn niht besser wünschen kann. Ih möchte beinahe glauben, daß wir nah dem Verhalten der Offiziere in Forbach uns die Frage vorlegen müssen, ob wir nicht in gewisser Weise zu weit gegangen sind in der Annahme von Offizieren (sehr richtig! rechts), ob wir nicht dabei uns hüten müssen, in Kreise hineinzukommen, die geeignete Elemente für den Offizierstand, für die chweren Anforderungen, die dieser Stand an den einzelnen stellt, niht liefern können. Nun, meine Herren und das ist erfreulih für mi, konstatieren zu können in Forbah bei dem Trainbataillon Nr. 16 hat niht ein Offizier gestanden welcher dorthin \trafverseßt ift. /

Der Herr Abg. Schaedler sprach mit bezug auf das Train- bataillon Nr. 16 davon, daß ein Offizierkorps nicht auf der Höhe ge- halten werden könne, das sich aus Offizieren rekrutiert, die wegen Ver- fehlungen in dieses Offizierkorps verseßt werden. Meine Herren, solche Versetzungen zum Train geshehen weder grundsäßlih, noch sind fie im besonderen beim Trainbataillon Nr. 16 vorgekommen. Aber der Dienst bei der Feldartillerie und der Kavallerie, von denen bviel- fach Offiziere in den Train verseßt werden, ist in der Tat ein ganz anderer als beim Train. Es kann sehr wohl ein Dffizier bei der Artillerie oder bei der Kavallerie, wo es beim Felddienst nicht nur auf Tüchtigkeit ankommt, sondern auch auf die Fähigkeit, möchte ih sagen, taktische Dinge s{hnell zu begreifen und zu beurteilen, nicht genügen, er kann aber im inneren Dienst Vortreffliches leisten und ein guter Trainoffizier werden. Deshalb ist es noch keine Schande und nit einmal ein Makel oder etwas derartiges, zum Train verseht zu werden, sondern der Offizier wird da verwendet, wo er wirkih Gutes und Ersprießliches leisten kann.

Es if auc darauf hingewiesen worden: kann es mit dem Train- offizierkorps so weiter gehen, muß es nicht an andere Verbände angegliedert werden? Meine Herren, Versuche dieser Art find viel gemacht, sie sind immer gescheitert, und zwar am Widerstande der Offiziere des Trains. Das Trainoffizierkorps legt einen großen Wert darauf, aus sich selb si{ch zu rekrutieren. Seine Majestät hat vor Jahren infolgedessen genehmigt, daß auch der Train Fahnenjunker annehmen kann. Nicht wenige junge Leute treten heute beim Train ein, um dort Offizier zu werden, und sie sind wirklich nicht \{chlehte Offiziere. Auch Reserveoffiziere, Einjährig-Freiwillige treten dorthin über, um als. Linienoffiziere Dienst zu tun, der vielleicht für die Ausbildung in ihrem späteren Lebensberufe, z. B. als Landwirt, thnen nüßlich und dienlih if. Also alle diese Fragen sind erwogen und werden weiter erwogen. Aber ih gebe zu und darin mag auch mit ein Grund für das Vorkommen derartiger Dinge in Forbach liegen —, daß es mißlich ist, einen so kleinen Truppenteil mit wenigen Offizieren, abgesondert von einer großen Garnison, ohne Anschluß an andere Verbände in einem Startdort unterzubringen. (Sehr rihtig! rechts.) Aber auch diese Frage und ih habe selbst in meiner damaligen Diensistellung in den Reichslanden dies mitgemacht i sehr ernsthaft erwogen worden. Ein Trainbataillon hat eine außerordentlih s{chwierige Mobilmachung; es stellt zahlreiche Formationen auf für das betreffende Armeekorps; es muß Proviant- und Fuhrparkkolonnen, - Sanitätsdetahements mobil machen ih will Sie mit der Aufzählung aller dieser Formationen nicht auf- halten —, die unbedingt nötig sind, das Armeekorps im Kriege lebens- fähig zu erhalten. Wo konnte dieses Trainbataillon eine derartige Mobilmachung besser vornehmen als an der äußersten, rückwärtigen Grenze seines Korpsbezirks? Mey if ein bedrohter Punkt, wenn einmal in die Kriegstrompete gestoßen wird. Nur in einem ge- {ütten Landstrih kann man Tausende von Pferden und Tausende von Leuten für diese Mobilmachung versammeln. Also fehr ge- zwungen und sehr. widerwillig wurde dieses Trainbataillon hinverlegt in die äußerste Garnison, in den äußersten Ort des Korpsbezirks. Nun, meine Herren, das allein kann auch ncch kein Grund sein für die Mißstände, und das muß ih sagen: wenn dort ein Kommandeur gewesen wäre, der seine Stellung ausgefüllt hätte, dann wäre fo etwas nie und nimmer passiert. (Sehr richtig! rechts.) Der Kom- mandeur hat dort nicht hingepaßt. Damit erhebe ih keinen Vor- wurf gegen irgend jemand, nit gegen die Stelle, die diesen Kom- mandeur als geeignet für seinen Posten erahtet hat; denn in jedem Menschen kann man si irren. Es kommt häufig vor das weiß ein jeder und Sie, meine Herren, am meisten, die Ste im Leben stehen —, daß jemand, der bis dahin selbst unter Aufsicht gewesen ist, naher, wenn er Freiheit hat, sih ganz anders entwidtelt, als es vorher vermutet werden konnte. Welche psychologischen Momente mögen hier vorgelegen haben, um diesen Mann, der bis dahin gut beurteilt war, so nahsichtig zu machen, daß er Zustände, die dermaßen gegen die göttlihen und menschlihen Gebote, gegen die dienstlichen und moralischen Vorschriften verstoßen, in seinem Truppenteil "zu- gelassen hat! / Meine Herren, es ist überall in der Presse hingewiesen worden auf Weiberwirtschaft, und es hat einer von den Offizieren dort vor dem Kriegsgericht gesagt auf die Frage, wie er es mit den Mädchen gehalten hätte: wie jeder Leutnant das tut. Dies hat auch, der Herr Abg. Schaedler erwähnt. Meine Herren, wer nit gesündigt hat, der hebe den ersten Stein auf. Aber daß jeder Leutnant in der

Die sozialdemokratisGe Presse macht es sich am leichtesten, sie sagt :

Armee so leben sollte, wie es in dem Buch geschildert wird, daß

die Weiber aus- und eingegangen sind, daß er mit ihnen gelebt hat, daß sie ihm, ih möchte beinahe sagen, das Abendbrot gebracht haben nun, meine Herren, das weise ih mit Entrüstung zurü. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Meine Herren, es mag vermessen klingen, aber ich will an dieser Stelle mi verbürgen: ein zweites Forbach ist in der preußischen Armee nicht mögli. Und nun, meine Herren, sind in der Presse die Offizierdamen angegriffen, und es ist davon gesprohen worden, das Avancement würde durch die Damen gemaht, solche Zustände müßten ausgerottet werden. Ich aus meiner Jugend denke mit Freude uüv Dank zurück an die Anleitung, die wir ‘als junge Offiziere von den Offizierdamen bekommen haben. Edle Frauen können auf einen jungen Offizier wirken wie die Mutter auf den Sohn. (Bravo! reh18.) Jh spreche das hier aus, weil der Vergleich dieser Frauen, die sich in Forbah vergangen haben, mit anderen Frauen in der Armee eine Beleidigung für die letzteren ist, für ehrbare Frauen, die als höchste Ehre stets ihre Tugend angesehen haben. (Bravo! rets und bei den Nationalliberalen.)

Andere shwere, uns alle betrübende Fälle in der Armee sind die Mißhandlungen. Ehe ih auf die Sache näher eingehe, möchte i mir gestatten, in Kürze einige wenige Zahlen über die Mißhand- lungen zu geben, wie sie die Statistik ergibt, die wir bei dem Kriegs- ministerium über die Zeit vom 1. Juli 1902 bis 30. Juni 1903 auf- gestellt haben. Es find in dieser Zeit bestraft worden wegen Miß- handlung Untergebener : 50 Offiziere, 525 Unteroffiziere, 52 Gesreite. Jn Prozenten auf die preußishe Armee ausgedrückt, ergibt das für Offiziere 0,26 9/0, Unteroffiziere 0,83 9/0, Gefreite und Gemeine 0,01 9/0. Die Hölhstzahlen innerhalb der leßten zehn Jahre ergaben als be- straft 67 Offiziere, also 17 mehr als im leßten Jahre, gleich 0,37 9/0, 792 Unteroffiziere, das heißt 267 mehr als jeßt, gleich 1,31 o, und 79 Gefreite und Gemeine, das heißt 20 mehr als jeßt, glei 0,02 9/0, Gegenüber diesen Höchstzahlen is daher im legten Jahre eine Abnahme zu konstatieren. Fh meine, meine Herren, wenn man diese Prozentsäye einer Krankheit zu Grunde legen wollte, so würde das niemand eine Epidemie oder eine Endemie nennen können. Gemiß- handelt find in demselben Zeitraum 1239 Mannschaften, was einen Prozentsaß von 0,32 für die preußische Armee ausmacht. Ih glaube, au dieser Prozentsaß würde bei einer Krankheit kaum Be- denken erregen.

Nun wird gesagt werden, diese Zahlen sind zweifellos unrichtig sie geben kein rihtiges Bild, denn nebenbei sind ja natürlicher- weise noch eine große Anzahl von Mißhandlungen vorgekommen. Jch kann selbstverständlich nicht sagen: nein, . es sind keine weiteren vorgekommen, es ist alles entdeckt worden, aber es wird dem hohen Hause doch eine gewisse Gewähr bieten, wenn ih anführe, daß von diesen Mißhandlungen, die zur Sprache gekommen sind, 68 9/9 durch Beschwerde und Meldung zur Kenntnis der Vorgeseßten gelangt sind. Nur 3209/6 sind auf anderem Wege ermittelt worden. Ich meine also, man kann nicht sagen, daß das Beschwerderecht nicht funktioniert hätte. Jch kenne nur den einen Fall eines Hauptmanns in Holstein, wo seitens des Vorgeseßten nicht auf eine Beshwerde eingegangen ist. Wenn dur diese Zahlen festgestellt ist, daß die Mißhandlungen ih vermindert haben, so habe ih keineswegs die Absicht gehabt, sie zu entschuldigen. Wenn es hundert wären, wären es hundert zu viel.

Meine Herren, der Herr Abg. Sattler hat gesagt, das Herz kramyft sih zusammen, wenn man von derartigen Mißhandlungen liest. Ja, meine Herren, Sie empfinden das menschlich, und Sie haben ja auch natürlich bei der Liebe und der Hin- neigung zur Armee, die der Mehrzahl von Ihnen eigen ist, au das Gefühl, daß derartiges abgestellt werden müßte. Aber wir Soldaten empfinden nebenbei doch noch ganz anders militärish den \{chweren Schaden , der durh diese Mißhandlungen uns erwädst. Mißhandlungsfälle, bei denen brutal mit einer gewissen Wollust, wie in dem Fall Breidenbach, der Unteroffizier darauf ausgeht, geradezu Qualen zu erfinden, um den Mann zu \{chinden, sie sind das Schauderhafteste, was man sich denken kann (fehr rihtig! links), und ih stehe nicht an, zu erflären: wenn das längere Zeit in einer Kompagnie vorkommt, fo muß unter allen Um- ständen der Vorgeseßte davon wissen. (Lebhafte Zustim- mung links, bei den Nationalliberalen und in der Mitte.) Mir ist es unbegreiflich und unfaßlih, - daß ein Vorgeseßter derarlige Fälle nicht klar erkennen kann. (Sehr richtig! links.) Eniweder hat er seine Unteroffiziere in falshem Geiste erzogen, oder er ist kein Menschenkenner, oder er hat einen solchen Optimismus im Vertrauen, wie er nit gerechtfertigt ist. (Bravo! links.) Meine Herren, ich bin überzeugt, daß wir diese Mißhandlungen aus der Armee heraus- beïommen werden und daß wir: sie herausbekommen müssen. (Bravo! bei den Nationalliberalen.) An keiner Stelle wird dies jo tief empfunden und \o als durchaus notwendig anerkannt, als bei Seiner Majestät dem Kaiser selbst (Bravo! rets), der genügend Gelegenheit genommen hat, Seine ernste Willensmeinung in dieser Richtung auszusprehen. (Bravo! rechts.) Jch kann nur sagen, wir kommen dahin. Dafür aber, daß Hier und da ein Schlag fällt, daß in menschlicher Erregung ein Unteroffizier einen Mann \{chlägt, |ößt, haut meine Herren, olange es Menschen gibt und es brauchen niht einmal Soldaten zu sein —, werden Sie das nicht aus der Welt schaffen! (Sehr richtig! rets.) Das nennt man aber au Mißhandlung, das wird als Mißhandlung verurteilt, davon hören Sie als Mißbandlung durch unser öffentliches Gerichtsverfahren, das kommt als Mißhandlung in die Zeitungen, und nun geht es lawinenhaft weiter: in der deutshen Armee ist wieder mißhandelt, und es ist nichts weiter gewesen als eine Ohrfeige. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Meine Herren, Sie werden mir niht vorwerfen können, daß ih nit in der allershärfsten Weise über die brutalen Mißhandlungen ohne Entschuldigung den Stab gebrochen habe; aber für eine solche Art der Mißhandlung, für einen Schlag oder Stoß, habe ich eine Entschuldigung, weil sie sich aus dem praktischen Leben erklärt. (Zuruf von den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ih bin neulich, als noch der Metallarbeiterstreik war, hier in einem Laden gewesen und habe es selbs miterlebt, daß ein Arbeiter kam und zu dem betreffenden Geschäftsinhaber sagte : „Geben Sie mir Arbeit, aber geben Sie mir man kleine, daß ih sie unter den Rock \tecken kann, denn wenn sie sehen, daß ih arbeite, dann gibts Senge!“ (Heiterkeit rechts.) Wenn Sie eine Statistik machen wollten über die Schläge, die es gibt in den Werkstätten (sehr gut! rets), in den Fabriken (sehr richtig! fehr gut !), auf dem Bau (wiederholte lebhafte Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen ;

würden wir glänzend dastehen. (Sehr richtig! rets.) Aber eine derartige Statistik kann eben leider nit aufgenommen werden. Meine Herren, die sozialdemokratishe Presse hat sih sehr darüber aufgeregt, daß ein sonst die militärischen Verhältnisse ziemlich absprechend beurteilender Herr, Freiherr bon Guhlen genannt, nah- gewiesen hat, daß vielfah durch passiven Widerstand Mißhandlungen geradezu herbeigeführt würden. Die Sozialdemokratie hat erklärt: welch ein Unsinn, das fällt den Leuten gar nit ein, die Disziplinar- mactmittel des Militärs sind so furchtbar groß, daß so ein un- glückliher Mens sih der allerhärtesten Behandlung ausseßt, und troßdem is es wahr. Vielleicht wird nicht dem, der den passiven Widerstand mit großer Geschicklichkeit und geistiger Veberlegenheit leistet, die Mißhandlung zugefügt, aber er ist es, der den Unter- offizier so reizt, daß er schließlich zu dem Schwächling greift und ihn mißhandelt. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Da mögen Sie sagen, was Sie wollen, meine Herren, das ist so und das kommt vor (Zurufe von den Sozialdemokraten), und das ist nit von heute, sondern schon vor 20 Jahren so gewesen. Wenn Sie in den Berichten des Reichstags naclesen wollen, so hat {on der Feldmarschall Moltke von bösen und guten Soldaten gesprochen, und der’ verehrte Präsident des Hauses Graf Ballestrem hat aus seiner Erfahrung als Eskadronchef gesagt: „Wenn da einer aus der großen Stadt kommt, so ein böser Mann, dann grault einem, der konzipiert mit dem Geiste und führt mit dem Körper aus.“ Also es hat damals {hon folhe Brüder gegeben wie jeßt auch. Und dann, meine Herren, das Unteroffizierkorps ist au nit besser geworden. Ih meine damit nit seine moralische Qualität; aber es ist nicht besser geworden, weil es jünger ift als früher, weil es die früheren Erfahrungen nit hat, weil es nicht so durcgebildete Soldaten zählt wie früher, und weil demgegenüber do die Anforderungen so viel größere geworden find. (Sehr richtig! rets.) Sie finden infolgedessen in unserem Etat eine Position, dur die die Kompagnien von Abgabe der Unteroffiziere entlastet werden, indem Schreiber usw. bei den betreffenden Behörden etatisiert und eine An- zahl von Unteroffizieren in ihren Bezügen besser gestellt werden. Ih hoffe, meine Herren, daß Sie darauf eingehen. Bei näherer Dar- legung wird auch der Herr Abg. Sattler finden, daß es sich nicht bloß um die Schreiber handelt, sondern daß wir auch den anderen Unteroffizieren zu Hilfe kommen wollen. Dadurch, daß wir an Zahl gewinnen, wird der Kompagniechef in der glücklichen Lage sein, mehr Auswahl an solchen Unteroffizieren zu haben, die er herausnehmen muß, um die junge Mannschaft auszubilden. Jh bin sehr dankbar für die Anträge, die in dieser Beziehung gestellt worden find, und für die Anregung, die gestern der Herr Graf Stolberg gegeben hat, um die Lage der Unteroffiziere zu verbessern. Wir werden dem gewiß mit Freuden folgen und glauben, daß wir auch dadurch Zustände aus der Welt \{chafen, die die Armee in Hhäßliher Weise belasten. Meine Herren, es wird immer so getan, als ob die Armee ein Ding für sih sei, als ob wir eine Prätorcianertruppe wären. Wir find das Volk in Waffen, wir \chöpfen unsere Kraft aus dem Volke, und wir gehören eines zum andern. Volk und Armee sind auf- einander angewiesen davon sollte das Volk durhdrungen sein und auch die Armee, und darauf sollte die gemeinsame Arbeit gerichtet sein. Meine Herren, der Herr Reichskanzler hat gestern ausgeführt, gegen Kritik hätte er nichts, und ich kann dem nur voll beiftimmen. Eine Institution, die so hineinreiht in das Volksleben, für die vom Volke so viel an Gut und Geld gefordert wird, die steht dem Volke so nahe und muß dem Volke so nahe stehen, daß es Auskunft über alles das verlangen kann, was in der Armee vorgeht. Aber, meine Herren, es kommt auf das Maß und die Art der Kritik an, und ih möchte alle diejenigen, die die Armee erhalten wollen, bitten, ein wah- sames Auge darauf zu haben, daß die Kritik nicht überhand nimmt und in unserem Volke nicht die Freude am Soldatentum tôtet. (Bravo! reis und bei den Nationalliberalen.) Ich meine, es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein Mann zur Truppe ent- lassen wird mit der Instruktion: gehe hin und folge Deiner Fahne, die Deinen Vätern vorangetragen ist in so und so viel Schlachten, tritt ein in dieses Regiment, das einen Ruf in der Armee hat, das unter vielen Königen gefohten hat und immer siegreih; als wenn es heißt: Du kommst jeyt unter die Soldatenschinder, sieh? man zu, daß Du die zwei Jahre hinter Dich bringst, und alles, was Du da treibst und tust, - das ist unnötig, aber augenblicklich halten Dich noch die Sklavenketten. (Sehr gut! rechts.) Meine Herren, da tôten Sie die Freude im Herzen eines jeden. Wir aber brauchen freudige Soldaten, wir müssen heute von jedem Soldaten das Höchste ver- langen an Intelligenz, an Moral, an Hingebung. Wir müssen von dem Soldaten erwarten und fordern, sein Leben einzuseßen, und nit bloß, wenn er beaufsichtigt ist dur seinen Offizier, nein, namentli au dann, wenn seine Offiziere, die ihm vorangingen, gefallen find. Kein Reglement der Welt, glaube i, drückt das so \chön aus, wie unser Reglement in den Worten : „Wenn die Offiziere und die Führer gefallen sind, so möge der Soldat nur auf die Tapferen sehen, die immer in der Truppe sind, und möge ihnen folgen.“ Meine Herren, erhalten wir uns diese Tapferen au dadurch, daß wir ihnen die Freude am Dienst nicht verbittern. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.) Was wird alles geschrieben, was wird gezeihnet über den Offiziersstand! Der Offizier sol in fkritisher Zeit, wenn es sich handelt um Sieg oder Niederlage, der Führer seiner Mannschaft sein. Dazu braucht er Autorität. Nehmen Sie ihm diese Autorität nicht, meine Herren! Es kann die Zeit kommen, wo wieder der Ruf nach dem preußischen Leutnant erschallt. Das kann ich Ihnen sagen: sterben wird er, das wird er verstehen; aber wenn es so weiter geht, ob er dann die Autorität noch hat über seine Leute, die Sie von ihm vers» langen, das ist die Frage (Sehr richtig! rets.) Erhalten Sie ißm die Autorität! An der Armee soll es nicht fehlen. Die Armee arbeitet fleißig, mit Hingebung und mit Treue. Wir werden uns vielleicht noch bei anderen Gelegenheiten darüber unterhalten. J will mi über dieses Kapitel nicht weiter verbreiten. Jh habe nun noch einige gestern und heute an mich gerichtete Fragen zu beantworten. Der Herr Abg. Bebel hat gestern in längerer Rede seinem Un- mut gegen Rußland den beredtesten Ausdruck gegeben, er hat mit be« rebten Worten die unglücklichen Zustände geschildert, die im Junern des russishen Reiches walten, und \sih zum Anwalt eines Teiles des russis%en Volkes gemacht. Man sollte glauben, daß der Führer einer

Konsequenz bewußt sein müßte. Würde eine derartige Rede über

unsere innere Lage in Frankreich gehalten, so fönnte man wohl

davon sprechen: da is Krieg in Sicht, und wenn fie im japanischen Parlament gehalten wäre, dann würde jeder sagen: die plaßyen

nächstens aufeinander. (Bewegung.) Er muß entweder als Führer

seiner Partei an deren Einfluß auf unsere politischen internationalen

Angelegenheiten niht glauben oder ein ungeheueres Vertrauen auf das

Heer haben, das hinter ihm steht, um eventuell alle Konsequenzen zu

ziehen. Das besißt er aber auch niht; denn er hat gesagt,

wir hätten die miserabelsten Waffen, ein vollständig minder-

wertiges Geshüß, und er meint, es wäre unglaublich, wie

die preußishe Militärverwaltung im Fahre 1896 ein der-

artiges Geshüg hätte anschaffen können, nachdem das Rohrrück-

laufgeschüß vollständig fix und fertig gestanden hätte. Ich glaube,

daß ih ihn nicht falsch verstanden habe. Wie lagen denn nun die

Sachen? Ein Rohrrücklaufgeshüß war im Fahre 1896 nicht fertig,

nit einmal konstruiert. Es ift vielleicht dagewesen, wie auch bereits

Napoleon I. ein Hinterlader vorgestellt worden sein soll. Aber es

ist uns niht einmal gezeigt worden. Das erste Rohrrücklauf-

geshüßt, das uns vorgestellt ift, war von Ehrhardt konstruiert. Man

hat es bei der Artillerieprüfungskommission als einen interefsanten

Versuch auf diesem Gebiet bezeichnet, es aber nah seiner Konstruktion

als ein vollständig unbrauchbares Geschüß hingestellt, gewisser-

maßen als die Spielerei eines genialen Ingenieurs. Schon im Jahre

1893 war aber der preußischen Militärverwaltung flar, daß das

Feldgeshüg von 1873 verbraucht war. Es handelte sich nur darum,

entweder cine neue Auflage dieses Geschüßes zu machen oder

ein neues einzuführen. Die Entscheidung fiel in leßter Richtung, und

zwar deshalb, weil das Geshüß von 1873 fonstruiert war für das

\{chwarze Pulver, während das rau4lose Pulver bereits erfunden war,

und man dieses \ich zu nuße machen mußte. Erleichtertes Gewicht,

erhebli4 bessere Richtmaschinen, die Möglichkeit, das Geschüß

fester zu stellen, als es bis dahin gelungen war, gaben die Veranlassung, das Modell vom Jahre 1896 zu wählen. Nun famen nachher die Technik arbeitete mit der größten Regsamkeit weiter die Rohrrücklaufgeshütze, sie waren zunächst aber so mangelhaft, daß die \härfste Kommission, die wohl jemals über Rohrrüklaufgeshüte geurteilt hat, die der Schweiz, im Jahre 1901 der Bundesregierung den Vorschlag machte, fein Rohrrücklaufge\{chüß, sondern ein Federsporngeshüß zu wählen, also fünf Jahre nach Ein- führung unseres Geshüßes noch niht zum Rohrrücklaufgeshüß schreiten wollte. Erst infolge des Umstandes, daß andere Fabriken, durch diesen Beshluß der Kommission ermuntert, glaubten, Krupp {lagen zu können, und andere Modelle vorführten, gelang es, ihn rückgängig zu machen und die \{chweizer Regierung zu. bestimmen, auf eine erneute Prüfung einzugehen. Diese Prüfung endigte nun mit einem glänzenden Siege des Kruppschen Geschüßes. Das ist im leßten Jahre gewesen.

Wenn i, meine Herren, heute vor die Wahl gestellt würde, das jetzige französische NRohrrücklaufgeshüß oder das preußische Modell 96 zu nehmèn, ih nähme das leßtere. (Hört, hört! rechts.) Das frans zösishe Geshüs ih will nichts darüber sagen, aber zwei Mängel hats: es ist {wer und es ist fompliziert. Es ist so kompliziert, daß bei jeder Batterie Mechaniker vorhanden sein müssen, die jederzeit bereit sind, die Schäden auszubeffern. Fch will Jhnen auch eine Geschichte erzählen, die mir von einem höheren Offizier mit- geteilt ist. Er sagte im Manöver zu dem Führer der franzöfischen Artillerie: nah unjeren Grundsäßen würde man jeyt mit der Artillerie dem weichenden Gegner folgen, um ihm mehr Abbruch zu tun. Da hat jener erwidert: Sie haben ganz recht, das möchte ih auch ganz gern; ih bin aber schon 15 km marsciert, und wollen Sie fich ein- mal das Gelände hier ansehen, da komme ih mit meinen Gefshüygen nit dur! Mit unseren Geschützen, meine Herren, komme ih aber hin, wo immer es mögli ift, Krieg zu führen.

Also, wenn wir auch zu dem Rohrrüelaufgeschüß kommen müssen wegen anderer Gründe, über die wir uns noch unterhalten können —, unser jeziges Geshüß ist durchaus kriegsbrauchbar.

Der Herr Abg. Bebel hat weiter gesprochen über ein neues Gewehr; das Gewehr 98 müßte {on wieder ersezt werden. Mir ist davon nichts bekannt. (Heiterkeit.) Natürlich, meine Herren, arbeitet au auf diesem Gebiete das weiß ih sehr wohl die Technik rastlos weiter, um einen Selbsilader zu erfinden, und es find ja auch son Selbsilader erfunden worden für Jagdzwecke. Alle diefe Selbstspanner aber sind so vollständig unkriegsmäßig, fo s{chwer, daß man mir von sachverständiger Seite gesagt hat, es wäre gar kein Gedanke daran, daß in absehbarer Zeit ein derartiger Selbftfpanner jemals als Militärgewehr zur Einführung gelangen könnte.

Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Sattler die Frage an mih gerichtet, wie es mit dem QOuinquennat stände. Meine Herren, als ih die Geschäfte des Kriegsminifteriums übernahm, da fand ich einen Gntwurf für ein solhes Quinquennat vor. Dieser Entwurf hatte aber weder dem Herrn Reichskanzler vorgelegen zur eingehenden Begutachtung, no waren die hohen Behörden des Heeres, die bei derartigen Dingen au fehr mitzusprehen haben, wie der Chef des Generalstabs usw., über diesen Entwurf gehört worden. Er hatte auch die Billigung Seiner Majestät noch nicht er] halten. Nun, meine Herren, wäre es ja ganz gewiß ein leichtes ges wesen, entweder diesen Entwurf zu nebmen oder da, wo er mir nicht: gepaßt hätte, irgend einen anderen Entwurf auszuarbeiten und dann als Quinquennatsentwurf zu bringen. Ich war mir aber vollkommen klar darüber, daß bei unferer ganzen finanziellen Lage, wenn etwas für die Armee gesehen foll, uur das, was wirkli notwendig ist, was die Lücken unserer Organisation schließt, was uns fähig macht, aus unserer Friedensorganisation auf das allerleichteste in die Kriegs organisation überzugehen, dem boben Hause vorgelegt werden konnte. Darüber konnte man verschiedener Ansicht sein, und ich habe mir auf der einen Seite gesagt, daß das Gefüge des Heeres momentan ein so festes ist, daß id ohne Schaden ruhig mit diesen Dingen ein Jahre warten könnte.

Auf der. anderen Seite habe ih es als eine Ehrenf@Wuld der Re« gierung betrachtet, das von ihr längst angekündigte Versorgungsgesew, das aud vom hohen Hause gefordert worden ift, vorzulegen. Auch das mußte noch fertiggestellt werden; es war im Kriegsministeriun bearbeitet, bedurfte aber noch der Billigung des preußisthen Staats», ministeriums uad des Bundesrats. i

Meiue Herren, ih habe mich einfa gefragt: welthes ist das wichtigere Geseß ? Und da war die Antwort: das 1

Zurufe von den Sozialdemokraten und Unruhe), meine Herren, dann

so großen Partei, der eine derartige Rede bält, sid der politischen

Versorgungsgesete weil i der Ueberzeugung bin, dieses Versorgungsgeset wird, falls e

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