1903 / 294 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 15 Dec 1903 18:00:01 GMT) scan diff

gesagt, daß ih den Herrn Kriegsminister v. Einem auf ilitärishem Felde für kompetenter hielte als den Herrn Abg. Bebel, und das is seitdem in doppelter Weise bewiesen worden. Es ist bewiesen worden durch die sehr sahkundigen Aus- führungen, die der Herr Kriegsminister hier neulich gemacht hat, und es ist

andererseits bestätigt worden dur die weit weniger sahkundigen Dar-

legungen, die uns der Herr Abg. Bebel heute über militärishe Dinge geboten hat. (Sehr richtig! rechts.)

Wenn der Herr Abg. Bebel bei dieser Gelegenheit bestritten hat, daß er einzelne Fälle verallgemeinere, um dadur unsere Zustände in trübem Licht erscheinen zu lassen, so muß ih ‘fagen, daß von allen Behauptungen, die er heute aufgestellt, diese mi vielleicht am meisten durch ihre: Kühnheit überrascht hat. (Sehr richtig!) Ich berufe mich, meine Herren, zum Beweise auf zahllose Artikel der \ozialdemokratishen Presse, auf ebenso zahlreihe Reden der sozialdemokratischen Abgeordneten und vor allem und insbesondere gerade auf die Rede, die der Herr Abg. Bebel heute gehalten hat. Ich wundere mich auch nicht, daß der Herr Abg. Bebel in dieser Be- ziehung verallgemeinert ; er hat ja vor kurzem erklärt, daß er bis zum leßten Atemzug die bestehende Ordnung der Dinge bekämpfen und untergraben wolle. Da i eine folche verallgemeinernde Taktik natürli. Was mich wundert, is nur, daß er uns für so einfältig hält, daß wir diese Tendenz bei ihm nit merken und herausfühlen sollten. Darin untershägt der Herr Abg. Bebel doch unsere Kapazität. (Heiterkeit.)

Meine Herren, der Herr Abg. Bebel is auch auf die Soldaten- mißhandlungen zurückgekommen. Jh wiederhole nochmals, daß von der Heeresverwaltung alles, aber alles geshehen soll, um solchen Abscheulihkeiten vorzubeugen, um solhe Abscheulich- keiten auszurotten. Wenn aber bei dieser Gelegenheit der Herr Abg. Bebel unter vielen anderen unliebenswürdigen Bemerkungen über unser Heer gefragt hat: „Wo wird mehr geshimpft als auf dem Exerzierplaß ?*“, so könnte ih ihm do einen Ort nennen, wo in dieser Beziehung auch nicht Uebles geleistet wurde. (Stürmische Heiterkeit.) Jch könnte ihm sogar einen Herrn nennen, der in Schimpfen einiges leistet, das werde ih aber niht tun. (Große Heiterkeit.) '

Nun hat der Herr Abg. Bebel bei dieser Gelegenheit auh gesagt, daß wir, die wir in seinen Augen die große bourgeoise Masse bilden, d. h. die schr große Mehrheit des hohen Hauses und alles, was hier auf dieser Bank sißt, wir seien die Feinde der Bildung. Mir \cheint, daß die bürgerliche Gesellschaft unserer Generation, wie die vorher- gegangenen Generationen, über die der Herr Abg. Bebel sich so un- freundlih geäußert hat, do einiges geleistet haben für die Bildung und den geistigen Fortschritt der Nation. Wie steht aber der Herr Abg. Bebel selbst zur Bildung? Was liegt denn seinem Hasse gegen die Akademiker im leßten Ende anderes zu Grunde als Mißtrauen und Haß gegen die Bildung! (Sehr wahr! Sehr gut! rechts.) Diese Ab- neigung ist auch ganz natürlih. Denn jede Bildung, ih sprehe nicht von Halbbildung, sondern von wirkliher und echter Bildung, führt zu individueller Meinung und selbständiger Anschauung, und das ift nit verträglich mit dem sozialdemokratishen Programm, das paßt nit zum Zukunfts\taat. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Herr Bebel, habe ih Sie ein einziges Mal unterbrohen? Nun seien Sie doch so freundlih und unterbrehen Sie mich auch niht. Sie haben 3 Stunden unausgeseßt geredet, haben Sie jeßt die Freundlichkeit, stille zu sein, während ih rede. -

Der Herr Abg. Bebel is auch auf die auswärtige Politik gekommen und hat mir zum zweiten Mal meine Haltung in der Mandschurei vorgeworfen. Als auswärtiger Politiker kann ih es eben dem Herrn Abg. Bebel nie recht machen. Wenn wir irgendwo einschreiten müssen in Verteidigung deutscher Rechte und deutscher Interessen, mag es in China oder in Südamerika sein, so heißt es bei ihm, wir wollten überall dabei sein, wir maten uns odios oder lächerlich. Wenn wir aber nicht einschreiten, heißt es, wir ließen Gewalt vor Recht gehen. Was Ostasien angeht, fo ist unser Programm dort sehr einfach: wir wollen festhalten und ent- wickeln, was wir dort besitzen, wir wollen aber niht unsere Finger verbrennen bei Angelegenheiten, die uns nihts angehen.

Nun hat der Herr Abg. Bebel mit dem ihm eigenen Pathos er- flärt, er müsse sih vor der ganzen Kulturwelt, wie er sih ausdrückte, dagegen verwahren, daß er in Mazedonien, Armenien und in der _ Mandschuret -intervenieren wollte. Das_ wird Rußland _und die anderen Mächte gewiß wesentlih beruhigen. (Heiterkeit.)

Ich muß mich aber mit dem Herrn Abg. Bebel darüber ver- ständigen, was er eigentlich unter Intervention versteht. Wer so scharf, wie der Abg. Bebel es tut, die Verhältnisse anderer Länder fritisiert, wer so lebhaft Partei für die inneren Gegner fremder Regierungen gegen diese | nimmt, der steht vor zwei Möglichkeiten : entweder seine Worte sind Schläge ins Wasser und führen höchstens zu einer Blamage, oder es kommt \{chließlich zu Zusammenstößen mit dem Ausland. Daß wir das eine wie das andere vermeiden wollen, damit wird die Mehrheit dieses Hauses wohl einverstanden sein. (Sehr wahr! rets.)

Der Herr Abg. Bebel hat weiter gesagt, daß er die ausländischen Länder und Verhältnisse kritisiere völlig un- bekümmert darum, was für einen Eindruck er dadurch im Ausland hervorrufe, und er ist in dieser Kritik so weit gegangen, daß er \ich ein Einschreiten des Herrn Präsidenten zugezogen hat. Ich muß Herrn Bebel darauf aufmerksam machen, daß, wenn er seine Stellung hier so auffaßt, als ob Aeußerungen, die in diesem hohen Hause getan würden, im Auslande gar keine Beachtung fänden, er die Bedeutung des Deutschen Reichstags und die Tragweite dessen, was hier aus- geführt wird, erheblich untershägt.

Der Herr Abg. Bebel ist dann auf den Dresdener Parteitag übergegangen. Am Eingange seiner langen Ausführungen behauptete er, daß ihm der Herr Kriegsminister v. Einem neulich einen beklommenen Eindruck gemacht habe. Davon haben wir andern gar nichts gemerkt. (Sehr gut! und Heiterkeit.) Aber ich gestehe: als der Herr Abg. Bebel soeben meinte, der Dresdener Parteitag sei für seine Partei ein Jungbrunnen gewesen, da machte er mir einen einigermaßen gedrückten Eindruck. (Sehr gut!) Das Fam selbst bei ihm doch recht gequält heraus. Wir andern sind uns wohl alle darüber einig, daß der Dresdener Parteitag mehr Aehnlich- Fecit hatte mit einer riesfigen Mohrenwäsche, nur, daß aus dieser Wäsche keiner weiß herausgekommen is. (Große Heiterkeit.) Wenn aber der Herr Abg. Bebel gesagt hat, das sei ein ganz besonders

n, von Artillerie und dergleichen viel zu verstehen. Ih :

kratishe Partei, daß in Dresden t wurde, so ist das beinahe wörtlich ber die Vorgänge in Forbach gesagt habe. r: darin, daß ih gesagt habe, in Forbach Händ eingreifen, während der Herr Abg. eine Jllusion darüber gelassen hat, daß in der | artei alles beim alten bleiben foll. Als der Herr Abg. Bel l überging zur Beantwortung der Fragen, die ihneulihanihn gerichtet hattewegen des Zukunfts\taats, da war ih wirklich sehr gespannt. Da sagte ih mir: Jeßt kommt endlih der große Moment, jeßt wird das verschleierte Bild von Saïs enthüllt. (Heiterkeit.) Ja, Kuchen! wie der Herr Abg. Richter mal sagte. (Heiterkeit) Wir haben vom Herrn Abg. Bebel gar nichts gehört, als dieselbe bandwurmartige Kritik, und im übrigen über den Zukunftsstaat blauen Dunst. (Heiterkeit.)

Nun sagte der Herr Abg. Bebel, ih hätte durch das, was ih neulih gesagt hätte, bewiesen, daß ih den Zukunfts\taat und das Programm der sozialdemokratischen Partei niht verstände. (Sehr rihtig ! bet den Sozialdemokraten.) Das beweist nur Jhr „Sehr richtig!" Herr Ldebour, beweist nur, daß Sie mich nicht rihtig verstanden haben. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Dann gilt meine Antwort Ihrem verehrten Herrn

dasselbe, w Der Unters müsse die scharf k

Nachbar! Also das beweist nur, daß Sie niht richtig

verstanden haben, was ih ausgeführt habe. Was habe ich denn ge- sagt? Jch habe gesagt, daß, wenn das sozialdemokratische Partei- programm überhaupt dur{hführbar wäre, dies hinauskommen würde auf ein riesiges Zuchthaus, auf ein kolossales Plögensee, in dem es niemand aushalten würde. Im Zukunfts\taat soll ja doch von der freien Wahl der Arbeits\tätte, des Berufs, der Art und Weise des Lebensgenusses nit mehr die Rede sein. Jeder soll im Zukunsts- staat diejenige Arbeit verrihten und an der Stelle, wo sie ihm von oben vorgeschrieben wird: Und da sage ich und da denkt wahrscheinlich die große Mehrheit des Reichstags mit mir —, daß dies eben eine Zuchthausordnung und ein Zuchthausstaat ist. (Sehr rihtig! „Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)

Ich habe weiter hingewiesen auf den großen Naubzug, den die Sozialdemokratie projektiert, indem sie die Grundeigentümer, die Sndustriellen, die ‘Kapitalisten ihres Besißes entkleiden will. Ja, entweder hat die sozialdemokratishe Forderung nah wirtschaftlicher Gleichheit keinen Sinn, oder sie bedeutet doch \o viel, daß niemand mehr verdienen und besißen soll als der andere, ohne Rücksicht auf die persönlihe Leistung. Ein solher Gesellschafts- zustand ist natürlich nur herbeizuführen auf dem Wege der von Ihnen verlangten und gepriesenen Vergesellshaftung der Produktions- mittel und Verstaatlihung des Privateigentums an Kapital jeder Art. Und wenn nicht - sogleichß wieder neue Ungleichheiten entstehen sollen, so wird der fozialdemokratishe Staat dur fortgesetzte und gleihmäßige Verteilung des Arbeitsertrages dafür sorgen müssen, daß niht wieder neues Privateigentum entsteht. Praktish gesprochen, läuft das, nach meiner Anschauung, auf die allergrößte Ungerechtigkeit hin- aus, weil jede besondere Anerkennung für persönliches Verdienst auf diese Weise beseitigt wird. Und da sagte ih, daß ein solher Zustand nur einzuführen und durchzuführen wäre, wenn die Menschen, die nun einmal von persönlihen Interessen und Begierden erfüllte Wesen sind, in Engel verwandelt würden, zu denen Herr Bebel sih niht rechnet, was ih begreife. (Große Heiterkeit.)

* Dex Herr Abg. Bebel hat auch gesprochen von der Stellung der Beamten zur Sozialdemokratie. Jch nehme keinen Anstand, zu erklären, daß ein Beamter niht Sozialdemokrat fein kann. (Sehr richtig! rets.) Jeder Beamte hat seinem Monarchen den Eid der Treue ge- leistet. Die sozialdemokratische Partei bekennt ih, troß der heutigen ziemlich gewundenen Erklärung des Herrn Abg. Bebel über diesen Punkt, zum Republikanismus. Ein Beamter also, der für die Sozialdemokratie wirkt, der fich zur Sozialdemokratie rechnet, bricht seinen Eid (sehr richtig! rechts); ein Beamter, der Beamter bleibt mit sozialdemokfratishen Anschauungen, der maht sich des Eid- und Treubruchs \chuldig. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Einen folchen Beamten werden wir nicht dulden.

Der Herr Abg. Bebel hat wieder gesprohen von der positiven Leistung der Sozialdemokratie. Wo sind diese positiven Leistungen ? Fh sehe nur eine fortgesezte wüste Kritik, ih sehe einen un- unterbrochenen Appell an die niedrigsten Instinkte, an die s{chlechtesten Leidenschaften (sehr richtig); ich sehe einen blinden Fana-

_tismus, einen__engherzigen Dogmatismus, _ich sehe. das vollständige

Fehlen aller derjenigen Eigenschaften, die man immer mit so großem Recht als gute deutsche Eigenschaften bezeihnet hat, die Fnnerlihkeit, das Zartgefühl, die Ehrerbietung ja wohl, die

Ehrerbietung, von der Goethe gesagt hat: „mein Gemüt neigt zur

Ehrerbietung" —, ih sehe eine geistlose, humorlose, die Gemüter aus- dörrende Agitation (lebhafte Zustimmung), die wie ein trockener Samum, wie ein entnervender Sirokko über die deutschen Lande hinweg- geht. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Meine Herren, die Klagen des Herrn Abg. Bebel, scine erregten Klagen über Druck, über Tyrannei und Helotentum, wie er \sih heute ausdrückte, diese Klagen find deshalb unbegründet und innerlich unwahr, weil der Herr Abg. Bebel die gegenwärtigen, von ihm so heftig angegriffenen, von ihm mißachteten Zustände in Deutschland, die aber doch legale und verfassungsmäßige Zustände sind, beseitigen will, um uns hinein- zuführen in seinen Absolutismus. Das würde allerdings ein Despo- tismus sein, der noch ganz anders auss{chauen würde als der patriarchalishe Absolutismus der alten Zeit, über den Herr Bebel eben hergezogen ist. Das würde ein Absolutismus werden, der in der Tat an diejenigen Zustände erinnern würde, von denen er neulich ge- \procen hat, an die Zustände im sinkenden Nom. Ueber dem Lager der Sozialdemokratie weht nicht die Fahne wahrer Freiheit. (Sehr rihtig) Wenn die Sozialdemokratie jemals ans Ruder käme, so würde man sagen, daß die Beschwerden, die sie vorher vorgebraht haben, daß die Forderungen der Freiheit, die sié vorher aufgestellt haben, die ärgste Heuchelei sind, die jemals. dagewesen ist. (Sehr richtig! rechts.) Die Diktatur des Proletariats das hat einer aus Ihren Reihen gesagt —, das würde die Diktatur der Klubredner und der Literaten sein. (Sehr richtig! rechts.) Das ist die Diktatur, die jeßt in Dresden im kleinen ihr \truppiges Haupt erhoben hat. (Sehr richtig ! rechts.) Das ist die Diktatur, die im großen unter Blut und Tränen Frauk- rei gesehen hat, 1794 und 1871. Das ist die Diktatur, von der ein glänzender, ein wirklich glänzender Geist der sozialistischen Richtung, Proudhon, gesagt hat : Auf meine Ehre und Gewissen,

î

{rieb Proudhon, ich lasse mich lieber regieren von unseren

alten Königen, die Jahrhunderte der Ehre und Wohlfahrt repräsentieren, als von Demagogen, die innerlih auf Volk und Staat pfeifen und die dem ersteren nur s{meicheln, um sich des leßteren zu bemächtigen. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, ein tiefer Denker, der vor einigen Tagen in die Ewigkeit hinübergegangen ist, Herbert Spencer, hat kurz vor seinem Tode einen Brief an einen französischen Freund geschrieben, in dem er als das Ergebnis eines achtzigjährigen Lebens erklärt, daß, wenn die sozialistische Weltauffassung triumphieren sollte, dies der härteste Schlag sein würde, der die menschliche Kultur bisher getroffen hätte. (Hört, hört! Sehr richtig! rechts.) Und er hat hinzugefügt, daß, wenn die Sozialdemokratie triumphierte, sie sehr bald erseßt werden würde durch die Militärdiktatur. (Sehr richtig ! rechts.) Ich glaube nicht, meine Herren, daß die Sozialdemokratie trium- phieren wird. Jch bin überzeugt, daß der gesunde Sinn des deutschen Volks, daß die Festigkeit unserer Einrichtungen, daß die Vaterlands- liebe aller auf bürgerlihem Boden stehenden Parteien, daß die Ein- siht und Entschlossenheit der Krone und ihrer Natgeber ein derartiges Unheil von uns abwenden werden. Wo sie aber siegen sollte, da würde siherlih das eintreffen, was Herbert Spencer vorausgesagt hat, es würde eintreffen, daß fie sehr bald Plaß machen würde dem rohesten, brutalsten Säbelregiment, um das zu retten, was die modernen Barbaren noch übrig gelassen Haben würden.

Mit der Polizei allein ist es niht getan. Nur wenn diejenigen Parteien und damit möchte ich {ließen wenn diejenigen Parteien, die auf dem Boden der bestehenden Ordnung der Dinge stehen, sih nicht übertreffen lossen von der Sozial- demokratie an Einigkeit, an Disziplin und Opferfreudigkeit, nur, wenn sie der drohenden Gefahr mit Entschlossenheit, mit Be- sonnenheit, mit Festigkeit begegnen, nur dann, aber daun au ficherlih werden wir die Entwicklung des Vaterlandes in glücklichen, ruhigen und friedlihen Bahnen halten. (Lebhafter Beifall.)

Preußischer Kriegsminister, Generalleutnant von Einem genannt von Rothmaler:

v Meine Herren! In meiner leßten Rede habe ih nah dem steno- graphischen Bericht folgendes gesagt:

„Jh möchte beinahe glauben, daß wir nah dem Verhalten der Offiziere in Forbach uns die Frage vorlegen müssen, ob wir nicht in gewisser Weise zu weit gegangen find in der Annahme von Offi- zieren, ob wir niht dabei uns hüten müssen, in Kreise hinein- zukommen, die geeignete Elemente für den Offizierstand, für die {weren Anforderungen, die diefer Stand an den einzelnen stellt, nicht liefern können.“

Der Herr Abg. Richter hat in seiner Erwiderung \fofort in energisher Weise hiergegen Stellung genommen und behauptet, daß ganz im Gegenteil wir zu exklusiv wären und ein allzu enges Klassenregiment führten.

Ich möchte mir erlauben, dem hohen Hause eine Allerhöchste Kabinettsordre vom 29. März 1890 in Erinnerung zu bringen, welche damals allgemein veröffentliht worden ist, und in der es wörtlich heißt:

„Die allmählihe Vermehrung der Kadres der Armee hat die Gesfamtzahl der etatsmäßigen Offizierstellen beträhtlih erhöht. Für dieselben einen geeigneten und möglichst zahlreihen Ersaß zu schaffen, ist ein dringendes Erfordernis, ganz besonders im Hinblick auf die Ansprüche, die der Kriegsfall. an die Armee stellt. Gegenwärtig weisen fast alle Negimenter der Infanterie und der Feldartillerie erhebliche Lücken auf. Diese Lage mat die Heranziehung eines ausreihenden und geeigneten Ersaßes zu einer von Tag zu Tag wichtigeren und ernsteren Pfliht der Truppenkommandeure. Der gesteigerte Bildungs8grad unseres Volks bietet die Mög- lihkeit, die Kreise zu erweitern, welche für die Ergänzung des Offizierkorpss in Betracht kommen. Nicht der Adel der Geburt allein kann heutzutage wie vordem das Vorrecht für sich in Anspruch nehmen, der Armee ihre Offiziere zu stellen. Aber der Adel der Gesinnung, der das Offizierkorps zu allen Zeiten beseelt hat, soll und muß demselben unvermindert er- halten bleiben. Und das ist nur mögli, wenn die Offizieraspiranten aus solhen Kreisen genommen werden, in denen dieser Adel der Gesinnung zu Hause is. Neben den Sprofsen der adligen Ge- \{Glehter des Landes, neben den Söhnen Meiner braven Offiziere und Beamten, die nach alter Tradition die Grundpfeiler des Offizierkorps bilden, erblide Jh die Träger der Zukunft Meiner Armee au in den Söhnen solcher ehrenwerter bürgerlicher Häuser,

in denen die Liebe zu König und Vaterland, ein warmes Herz für

den Soldatenstand und christlihe Gesittung gepflegt und anerzogen werden.“

Meine Herren, das sind die Grundsätze, nach denen die Offizierkorps bei uns ergänzt werden, und ih stehe ganz auf dem Boden dieser Ordre. Aber hat si denn in Forbach diese Gesittung gezeigt? Ist da wirkli das Leben eines ehrbaren Bürgerhauses zutage getreten? Das be- streite ih! Jedem von Ihnen ist bekannt, daß im Laufe von 30 Jahren die Vermögensverhältnisse in Deutschland sih sehr vershoben haben. Viele Leute find reih geworden, darunter sind sehr tüchtige, die ledig- lih dur) ihre Kraft, durch ihr Können und Wissen vorwärts gekommen sind. Aber viele haben auch auf andere Weise Reichtum erworben mit leichter ‘Mühe. Mit dem Reichtum is aber niht Bildung des Gemüts, des Herzens und des Geistes Hand in Hand gegangen, wohl aber vielfa das Streben, in das Offizierkorps einzutreten und dort eine Rolle zu spielen. Das ergibt dann diejenigen Figuren, die wir in manchen Büchern geschildert finden, die Drohnen unseres Standes, und das sind die Kreise, aus denen wir unter keinen Umständen unsere Offiziere nehmen können.

Meine Herren, wenn ih Negimentskommandeur wäre, und der Herr Abg. Richter brächte mir seinen Sohn: es würde mir ein Vergnügen sein, ihn zu nehmen. (Stürmische Heiterkeit.)

Meine Herren, ih wäre überzeugt, einen sehr intelligenten jungen Mann zu bekommen und, wenn der alte Herr von seinem eigenen Fleisch und Blut hörte, wie es eigentlih bei uns zugeht ih bin der festen Ueberzeugung, er würde ganz militärsromm werden (Große Heiterkeit), und ih könnte hoffen, nah dem Liebesmahle noch zu einer Polka“ mit ihm zu kommen. (Große Heiterkeit.)

Meine Herren, ih finde, ofen gesagt, daß wir Offiziere weit tolerantec find als andere Kreise unseres Volkes, Wenn zu Ihnen (links), meine Herren, ein Sohn eines Agrariers kommt, der jahre- lang als Schutzöllner sich hervorgetan und in heftigster Weise Ihre Politik bekämpft hat, ih glaube, Sie empfingen ihn mit Miß- trauen, und wenn jemand in die Sozialdemokratie eintritt und zeigt sih als Akademiker, na, dann fliegt er hinaus. (Heiterkeit) Bei

uns aber im Offizierstande sind fast alle Stände, alle Kreise des

Vaterlandes, die patriotisch {ind (Zuruf von den Sozialdemokraten) und bürgerlih, die es mit dem Vaterlande und der Armee halten, vertreten. Und so soll es auch bleiben. Dieser Legendenbildung, daß

id porurteilsvoll wäre und einen Kastengeist predigte, habe ih hiermit ein für allemal entgegentreten wollen. (Bravo! rechts und bei den /

nalliberalen.) Ps, meine Herren, hat die Rede des Herrn Abg. Bebel doch

cinen Zweifel bei mir entstehen lassen, ob ih mi bestimmt genug darüber geäußert habe, daß ih nicht nur die gemeinen, brutalen Mißhandlungen verurteile. Meine Herren, ih erkläre ausdrüllich: im Interesse des Heeres und der Ausbildung der Mannschaften miß- billige ih jegliche Mißhandlung; aber ih habe gesagt und dabei muß ih bleiben —: eine leite Mißhandlung kann vorkommen; i habe hierbei sogar. die Freude, mich hierbei auf den Herrn Abg. Bebel stügen zu können, denn er hat ia die viel häßlicheren Vorkommnisse in Forbach gewissermaßen damit entschuldigt: es fließt so viel Menschliches unter. Ja, meine Herren, dieses Menschliche ist es ja gerade, das Temperament, was unter Umständen zu einer derartigen Mißhandlung, zu einem Schlag führen kann; der eifrige, ehrgeizige Vorgeseßte ist niht imstande, seine Nerven, seine abhaftigkeit zu zügeln, und dann greift er einmal zur Faust. Un- bedingt strafbar und zu mißbilligen ist es troßdem immer; das möchte ¡ih hiermit ausdrücklih erklärt haben.

Der Herr Abg. Bebel hat nun gemeint, ich wäre auf seine näheren Darlegungen über die vielen Mißstände in der Armee nicht eingegangen, weil ih ein zu beklommenes Gemüt gehabt hätte und felbst der Veberzeugung gewesen wäre:- das läßt sich gar niht reht- fertigen, da ist etwas faul im Staate Dänemark. Nun, meine Herren, deshalb habe ih nicht geschwiegen; ih habe geglaubt, mir die Antwort hierauf für die zweite Lesung vorbehalten zu sollen, weil er ja selber gesagt hat: über alle diese Dinge werden wir uns noch ein- gehend unterhalten. Da er aber dieses Thema besonders angeschnitten hat, will ih mich wenigstens über einzelne wichtige Punkte auslassen.

Der Herr Abg. Bebel hat, wenn ih ihn richtig verstanden habe, gesagt, er sei Dilettant in militärischen Fragen. Als solcher hat er sih in der Tat erwiesen. (Heiterkeit rets.) Er hat mir, um bei den Miß- handlungen zu bleiben, gesagt, ih würde allerdings wohl Enttäuschungen erleben, erstens deshalb, weil noch s{chwere Mißhandlungen vorkommen würden. Ja, meine Herren, das glaube ich selbst. Aber ih habe er- flärt: wir müssen sie ausrotten, und wir würden sie ausrotten ; aber wir brauchen Zeit. Und das sind niht nur Worte, die Taten werden {on folgen, das überlassen Sie nur Seiner Majestät dem Kaiser und König. Die Ueberzeugung wird sich mehr und mehr in der Armee Raum schaffen, daß mit diesem System unter allen Umständen gebrohen werden muß (Bravo! rechts, in der Mitte und links), daß wir Dippolds in der Armee nicht gebrauchen können (Bravo! rechts und in der Mitte) und nicht haben dürfen.

Herr Bebel hat ferner ausgeführt ih glaube, der Herr Abg. Richter hat es auch gesagt —: es ist doch ein großer Unterschied zwischen den Mißhandlungen im Heere und denjenigen im bürgerlichen Leben, denn der Mann, der hier mißhandelt wird, hat einmal die Selbsthilfe, und er kann hingehen, wohin er will. Meine Herren, ih bin doch einigermaßen anderer Meinung. Widerfährt einem Mann auf dem Bau irgend etwas derart, dann fommt er {on mit einem solhen Steckbrief auf den nächsten, daß er da au kein Unterkommen findet. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen) Mit der Selbst- hilfe ist es auch nicht weit her. Er wird so gequält und so geknechtet und ist so unter der Fuchtel, daß er am Leben verzagt. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Die zweite Enttäushung, meine Herren, sollte ih erleben, weil id sagte, cin zweites Forbah wäre niht möglih. Der Herr Abg. Bebel hat gesagt: es darf dann keinen zweiten Bilse mehr geben. Meine Herren, diese Hoffnung habe ih allerdings auch, ih hoffe, daß nit wieder ein aktiver preußisher Offizier imstande is}, über die Familie, in der er ‘bisher gelebt hat, fo zu schreiben und derartige Dinge an die Oeffentlichkeit zu bringen. (Sehr rihtig! Sehr wahr! rechts.) Wer war denn Bilse? Ja, er war Leutnant, aber er war ein Schuldenmacher, er lebte über seine Mittel, er renommierte mit Automobilen, die er nicht besaß, mit denen er Rennen gewinnen wollte, er rühmte seinen Rennstall, der nicht vorhanden war. Als aber andere Schulden machten und andere renommierten, vertrug es der Ehrenmann nicht, dann brackte er es in die Oeffentlichkeit, damit man

erfuhr, was für Kreaturen in der Armee wären. Und wenn er es

noh getan hätte, lediglich um zu bessern! Nein, meine Herren, er hats getan für ein paar braune Lappen, die ihm gegeben wurden, für Geld hat er es preisgegeben. Jeder von Jhnen, meine Herren, in dessen Familie ih ein folher Mann fände, der aus Ihrem Kreise derartiges auêgeplaudert hätte, würde ihn verwerfen. Nun, das deutsche Offizierkorps ist bis jet eine Familie gewesen, die innerlich zu- \sammengehalten hat und aus der solche Dinge nicht nach außen kommen durften, wenn sie einmal passierten. (Bravo! rets.) Di-ses Familienleben, denke ih, wollen wir fortführen, und ein zweiter Bilse wird sh, so Gott will, nit finden. (Bravo! rets, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren, der Herr Abg. Bebel kam dann darauf, daß in leßter Zeit doch unsere Ausbildung sehr heftig kritisiert würde, und daß zweifellos das Heer augenblicklich nicht auf der Stufe der Ausbildung stehen könnte, auf der es stehen müßte, denn sons würden nicht so viele Stimmen fortgeseßt auf Fehler und Mängel hinweisen. Nun, meine Herren, gestatte ich mir eine Vors bemerkung. Jch glaube, noch nie is über die Ausbildung des preußishen Heeres so viel geschrieben und geredet und gelaccht und in Karikaturen zur Anschauung gebracht worden, als im Jahre 1866. Der Parademarsh, der Drill und alles, was dazu gehörte, wurde bekrittelt. J bin der Ueberzeugung, daß man im außerpreußischen Vaterlande über die Leistungsfähigkeit des preußishen Heeres gerade dur diese Kritiken eine sehr falsche Meinung hatte, und erst die Siege von 1866 haben das klare Bild gegeben, daß do etwas anderes darin stecke, als Lediglih dieser Paradedrill. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Meine Herren, solhe Kritiken haben nachgelassen, haben aufgehört nah den gewaltigen Erfolgen, die diese so ausgebildete Armee im Jahre 1870 davon getragen hat. Jett, nah einem langen Frieden, beginnt das gleihe von neuem. Die Er- folge von 1866 und 1870 fußten im wesentlichen auf der felsenfesten Disziplin, auf dem Vertrauen des Mannes zum Offizier und um- gekehrt, auf dem unbedingten Gehorsam, der alle Truppenteile durch- glühte. "Die gefehtémäßige Ausbildung im Jahre 1870 das hat

die Geschichte festgestelt stand in der Tat nit auf der Höhe, wie sie vielleicht hätte stehen können. Aber die Armee war fo in der Hand, ihrer Führer, war so bildungsfähig, daß sie sich auf das aller- \chnellste in die ungewohnten Verhältnisse fand. Jeder, der die Kriegsgeshichte kennt, weiß, daß die Schlachten, die nah den ersten großen Augustkämpfen folgten, in anderer Weise ges{lagen worden find als vorher. Ich bin überzeugt, daß: heutzutage die Disziplin, die Ausbildung des Heeres weit höher steht, weit mehr gefördert ist, als es damals der Fall war. Jede Ausbildung ist fals, wenn sie nit kriegsmäßige Ziele im Auge hat. Diese die Armee zu lehren, ift jeder kommandierende General des Heeres, jeder höhere Führer be- strebt. “Die Wege zur kriegsmäßigen Ausbildung sind aber sehr ver- schieden, und bei einer so großen Armee, wie wir sie haben, wo so viele verschiedene Intelligenzen, so verschiedene Charaktere für sich und mit anderen zusammen wirken, da kann nicht alles über einen Leisten ge- {lagen werden. Wer vor 30 Jahren in der Armee gestanden hat und sih zurückdenkt, wie damals die Ausbildung war, wie sorgsam und individuell sie jeßt gehandhabt wird, mit welher Mühe man sich des einzelnen annimmt und ihn zum Schüßen anleitet, zum Feldo soltaten wirkli erzieht, der glaubt tatsählich einer anderen Armee anzugehören; so groß sind die Fortschritte der Ausbildung.

Wenn nun troßdem Kritiken von allen Seiten kommen, so geht daraus nur hervor, daß ein sehr reges Leben in der Armee herrscht, und daß in der Tat Fragen über den Angriff oder über die Ver- teidigung oder über andere wichtige Punkte vorliegen, Fragen, die tats \ählich nur der Krieg lösen kann, die auch der Burenkrieg in keiner Weise gel} hat. Das sind die Themata, die immer wieder zu kritischen Auseinandersetungen führen. Für die Ausbildung aber kommt es nur darauf an, daß nah genauer Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten und nah den Erfahrungen der Feldzüge das Zweck- und Kriegsmäßige

- befohlen wird.

Die Ausbildung des Soldaten aber bedarf unter allen Umständen des Drills, ihn können wir nicht entbehren, weil er die Grundlage der Gefechtstätigkeit ist. Sie sprechen von parademäßiger Ausbildung. Nein, dieser Drill soll den Mann fähig machen, wirklich Soldat zu sein, ihn lehren, sich unter allen Verhältnissen unterzuordnen, sich zu überwinden, Strapazen zu ertragen, im Gefeht zu gehorhen. Ich möchte hier ein Wort des Generals von Stosch, der doch für einen liberalen Mann gilt, aus seinen Memoiren anführen. Er sagt:

Das beste Mittel zur Disziplin ist der Drill, indem da jedes Glied, jede Muskel und jeder Puls\chlag fich dem Willen des Vor- geseßten auf Kommando hingeben muß. Es ist das Hauptelement der preußischen Siege und der Zuverlässigkeit im Feuer.

Meine Herren, das hat ein Mann geschrieben unmittelbar nah dem Feldzuge, noch auf französishem Boden, ein Mann, der viel im Feuer gestanden, der die preußishen Soldaten genau kannte, und an den größten Begebenheiten dieses Feldzuges selbs den lebendigsten Anteil genommen hat. Fehlerhaft würde es sein, wenn diesem Drill zuliebe die eigentlihe Gefehtsausbildung zu sehr herabgeseßt würde. Das mag an dieser oder jener Stelle gesehen, denn eine volle Gleich- mäßigkeit kann nicht in einer so großen Armee vorhanden sein. Im allgemeinen aber ist es eine Legende, wenn fort und fort nur von der parademäßigen Ausbildung der Soldaten geredet wird. Wenn nun au Kritiken, wie gesagt, natürlich sind, so möchte ich doch die Herren bitten, nicht nur immer diejenigen der nicht mehr im Dienst befindlihen Offiziere als rihtig anzusehen. Verlassen Sie sich auch auf die Offiziere, die auf ihren hohen Stellen Seiner Majestät dem Kaiser und König und ihrem eigenen Gewissen verantwortlich sind für die kriegsmäßige Ausbildung ihrer Truppenteile, die au die Verant- wortung zu tragen haben würden, wenn wir genötigt sein follten, das Schwert zu ziehen.

Auf die großen Manöver und die Kavallerieattacken gehe ih bei

der vorgerückten Stunde heute niht ein, ich werde dazu Gelegenheit in der zweiten Lesung haben. Der Herr Abg. Bebel hat eben einen Erlaß des Generalfeldmarshalls von Manteuffel verlesen. Jch habe selbst unter diesem so überaus humanen Herrn gedient, und da der Herr Abg. Bebel diesen Erlaß gekannt hat, kann ich nur bedauern, daß er ihn niht vor dem Dresdener Parteitage gelesen und dort danach gehandelt hat. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Nun foll ih nach der Behauptung des Herrn Abg. Bebel gesagt haben, daß unser Geshüß bei weitem dem französishen Geschüß überlegen set. Meine Herren, davon habe ih nicht ein Wort gesagt, sondern ih habe ausgeführt: wenn ich, meine Herren, heute vor die Wahl gestellt würde, das jeßige französishe Rohrrücklaufgeschüß oder das preußische Modell 1896 zu nehmen, ich nähme das leßtere! Jh habe dies deshalb gesagt, weil ich das französishe Rohrrüklaufgeshüß nicht mehr für das beste Rohrrücklaufgeshüß halte. Und ih habe hinzu- gefügt: mit unserem Geshüt, meine Herren, komme ih aber hin, wo immer es möglich ist, Krieg zu führen. Also, wenn wir auch zum Rohrrücklaufgeschüß gelangen müssen wegen anderer Gründe, über die wir uns noch unterhalten können, unser jeßiges Geshüy ist durchaus kriegsbrauhbar. Wie Herr Bebel daraus den Schluß ziehen konnte, daß ih während meiner Amtsführung auf den Gedanken, ein Rohrrücklaufgeschüß einzuführen, kommen dürfe, ist mir wenigstens ziemlich unklar. Meine Herren, über die Milizfrage und alle diese Dinge werden wir vielleißt auch noch - sprechen können. Die Be- hauptung des Herrn Abg. Bebel aber, im Jahre 1813 sei der Be- freiungskrieg auf preußisher Seite durch Milizen geführt, ist grundfalsch. (Sehr richtig!) Das Krümpersystem, zu dem Scharnhorst überging, weil Napoleon es nicht zuließ, daß eine statke stehende Armee in Preußen gehalten würde, führte dem Heere nur ganz geringe Kräfte zu. Der Kern aber desjenigen Heeres, welches siegreih die Befreiungskriege durhgekämpft hat, das waren die alten Soldaten, die noch im Lande: vorhanden waren und die Kadres füllten. Wenn ih mi recht erinnere ich habe kein Material hier sind die Truppen, die man als Miliz bezeihnen könnte, die damals Land- wehr genannt wurden und im Korps York \tanden, binnen wenigen Tagen im \{chlesischen Feldzuge von 19000 Mann auf 6000 Mann zusammengeschmolzen lediglich dur die Anstrengungen. Diesen war die Landwehr erst hinterher gewachsen, als sie zu Soldaten geworden war. (Widerspru bei den Sozialdemokraten.)

Nun eine andere Sache. Herr Bebel hat ausgeführt, es wäre hier mehrfach anerkannt worden, daß die Sozialdemokraten die besten Soldaten seien. Meine Herren, so wichtig es ist, daß ein Soldat sich gut führt, daß er ein guter Schüße i}, ein gutes Aeußeres hat, den braven, ordentlihen Soldaten macht die Gesinnung. (Sehr rihtig !) Das Selbstbewußtsein, das der Soldat haben muß und

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haben soll, das foll sich nicht gründen auf den Herrn Bebel, sondern es soll sich gründen auf die Treue zum Kaiser und König und zum Vaterland. (Bravo!) J halte den sozialdemokratishen Soldaten, auf den i mich nit verlassen kann, meinerseits für den shlechtesten. (Sehr richtig !) L

Abg. Stoecker (b. k. F.): Herr Bebel redete mit einer gewissen Begeisterung davon, daß die sozialdemokratishe Bewegung die größte Kulturbewegung der Gegenwart sei. Jn dieser Bemerkung ist etwas Wahres, wenn wir statt „sozialdemokratishe Bewegung“ „Arbeiter- bewegung“ segen. Jh mache der sozialdemokratischen Bewegung den Vorwuri, daß sie diese große Kulturbewegung in Niedrigkeit und Ge- meinheit herabgezogen und dadur Deutschland vor dem Auslande herabgeseßt hat. Die sozialdemokratische Bewegung ist eine Bewegung ohne Religion oder gegen die Religion. Die Religion ist aber die Philosophie des kleinen Mannes; hat er die Religion verloren so hat er das Reich der Ideen verloren. Vor wenigen Wochen star ein Arbeiter; seine Frau war sehr betrübt darüber, aber sie erklärte, auch froh zu sein, denn ihr Mann habe sie gehindert, zur Kirche zu gehen und ihre Kinder taufen zu lassen. Dieser Mann war ein Sozialdemokrat. So hindert die Sozialdemokratie Hunderttausende, ihr Seelenheil zu suchen. (Zurufe: Wo wohnt die Frau? Der Präsident ersucht, die Unterbrehungen zu unterlassen.) Die Sozial- demokratie ist eine Bewegung ohne höhere sittlihe Ideen; sie hat nichts als Aufhegung, Predigt des Hasses, Schürung der niedrigsten Instinkte; ihr fehlt jede Inspiration. Sie geht so zügellos vor, daß auch der Arbeiter selbs anfängt, sh von ihr abzuwenden. Ich habe vor Jahren gefürchtet, diese Bewegungen könnten den größten Teil der deutschen Arbeiterschaft in ihren Bann ziehen, seit Dresden und Frankfurt fürchte ih das nicht mehr. (Lebhafte Unterbrehung bei den Sozialdemokraten. Der Präsident bittet nochmals, die Unterbrehungen zu unterlassen, die Redner der Sozialdemokratie sagten auch oft Dinge, die den anderen Parteien nicht an- genehm seien, und dann träte er ebenfalls gegen Unterbrechungen ein.) Seitdem in Dresden der Parteitag gezeigt hat, von welcher Art die drei Millionen regiert werden, habe ih die Hoffnung, daß unser arbeitendes Volk, wenn ihm die Dinge zum Bewußtsein kommen, ih sagen wird, in diesel Kreisen ist bei uns kein Heil zu erwarten. Der „Vorwärts* stellt Herrn Bebel als den einzigen wissenschaftlichen Mann, den einzigen Mann dar, der mit erleuchteten Ideen der Gegenwart ins Herz schaut; wir anderen verstehen das nit, alle anderen Redner sind nichts als Flahköpfe, Heuchler, machen Grimassen, so steht’'s da drinnen. Und nun sagt Herr Bebel, der größte Schade in der Armee sei das Renommieren. Sehen Sie Vhre Schriften und Artikel durch: in Ihrem Ne- nommieren liegt Ihre ganze Weisheit. Wir können ja manches von JSFhnen lernen, da ja manche von Jhnen der Arbeitecwelt vielfa nahestehen, aber für die Sozialdemokratie felbst liegt darin kein p Sie ziehen eben eine große Kulturbewegung herunter auf die niedrigste Stufe. Das bedauere ich. Wie anders reiten die Arbeiterschrift- steller in anderen Ländern! Die Schriftstellerei und Rederei der deutshen Sozialdemokratie ist von jedem Jdealismus entblößt. Das ist kund geworden in Dresden, und das is die große Bedeutung dieses Parteitages. Auf dem sozialen Kongreß von Frankfurt waren 600 000 Arbeiter durch ihre Vertreter versammelt, die ihre Forderungen aufstellten und sie vertreten zu wollen erklärten auf dem Boden des Christentums und der Monarchie, Die Nichtahtung der religiösen sittlihen Ideen bei der Sozial- demoktratie hat diese Gegenbewegungz herbeigeführt, eine levée en masse, die das fczialdemokratishe Joh abscbütteln will. Dieser Kongreß hat volles Koalitionsrecht, neues Vereins- und Ver- sammlungsrecht, Arbeitskammern und das Recht der Berufsvereine verlangt. Warten Sie ab, ob nicht die Regierung sich bereitfinden wird für diese Forderungen; ih hoffe es. Was uns not tut, ist gegen- über der sozialdemokratishen Bewegung eine andere Bewegung, die sh bewußt ist, eine christlihe Kulturbewegung zu sein. Vas wird der Punkt sein, auf den wir von jeßt ab unsere Aufmerksamkeit richten müssen. Wir werden versuchen können, daß im Anschluß an diefe Arbeiter- kreise und in weiterer Opposition gegen den Terrorismus der Sozial- demokratie die Arbeiterschaft gewonnen und die Bewegung in die rechten Bahnen geleitet wird. Forbach und manche Soldatenmißhandlungen find ungeheuerlihe Erscheinungen, die man kaum versteht, aber unter diesen Erscheinungen leidet niemand mehr, als die deutshe Armee selbst. Met, wo i selbst auch stand, ist bekanntlich ein leihtsinniger Ort ; aber das eheliche Leben ist in der Armee, dieses Urteil habe ich mir gebildet, so gewahrt und behütet, wie in irgend einer anderen Stadt. Forbach wird wie eine Predigt auf das Dffizierkorps wirken. Herr Bebel sagt, {huld ist das System. Nein, das liegt am Volksgeist ; die Armee ist doch niht eine Sache für sich, sie ist das Volk in Waffen. Die ganze Atmosphäre der Zeit ist der Autorität nicht günstig; Gewalttätigkeit und Uebermut haben ganz allgemein zuge- nommen. Zügellosigkeit, Gleichgültigkeit gegen Gefeß und Ordnung,

eht ganz speziell dur die fozialdemokratiidbe Agitation und Presse bindur® und dringt so ins Volksleben hinein; da kommt dann die zügellose Leidenschaft zum Vorschein. Das ist mit Forbach ganz das- selbe. Es ist dasselbe, was man auf der Bühne vielfa sieht und in Romanen lies. Wir wollten nicht allein die nackte Unzucht, sondern auch die Schamlosigkeit treffen. Sie aber haben das nicht gewollt. Wie soll eine reine Atmosphäre im Volksleben sein, wenn folche Dinge geschehen? Wir sind in unseren deutshen Verhältnissen nit mehr in den alten idealen Zuständen. Vor 50 Jahren spra man noch yon deutshec Treue, NRetlihkeit und Gottesfurcht, von deutshem Familienleben. Gott sei Dank, gibt es noch Fämilien und Landschaften, wo diese Eigenschaften noch Le Aber wer würde den Mut haben, zu behaupten, daß das noch allgemein deutshe Cigen- schaften sind? Darin liegt die Ursache der Erscheinungen, die wir jeßt so vielfa beklagen. Man richte mit Verstand, man ver- allgemeinere nicht. Warum behandelt man die Armee für sich? Es ist ein Unglück, ‘wenn diese Dinge als ein Schreckgespenst hingestellt werden. Früher zog die Jugend jubelnd zum Heere mit dem Liede: „Die Schönen, die Feinen sucht sih der König aus, die Kranken und die Lahmen \{chickt er wieder nah Haus.“ Die Sozialdemokratie ist mit ibrer Opposition gegen das Heer eine Gefahr, denn sie steckt au die übrigen Staaten an. Herr Bebel bekennt sich als Todfeind der Gesellschaft, und er verlangt Gesetze, die seine Partei stärken. Ihm zu willfahren, wäre doch sinnlos. Er sagte vor dem Dresdner Partei- tag: die Zeit des Komödienspiels ist zu Ende, d. h, daß die ware Anschauung zum Vorschein kommen solle. Die alten Komödianten bleiben doch alle, cs sind die Komödianten des Plebejertums, auf die seßen die Leute ihre Hoffnung. Glauben Sie, daß fich die deutsGen Arbeiter dauernd unter der roten Fahne halten lassen? Jch glaube es nit, ih glaube, sie werden \sich wieder dem Gedanken des Vaterlandes, des Königtums zuwenden. Die Abwendung gewisser liberaler Kreise von den sozialdemokratishen JUusionen stärkt diese Hoffnung. Wahrheit, Freiheit und Recht werden {ließli doch siegen.

Darauf vertagt sih das Haus.

Sluß gegen 61/2 Uhr, nächste Sißung Dienstag 1 Uhr.

(Dritte Lesung des Handelsprovisoriuums mit England und Fortsezung der Etatsberatung.)

Nr. 55 des „Zentrakblatts für das Deutsche Net*, herausgegeben im Reichsamt des Innern, vom 11. Dezember, hat folgenden Inhalt: 1) Konsulatwesen: Exequaturerteilungen. 2) Militärs wesen: Ermächtigung zur Autstellung ärztlicher Zeugnisse für militär- Le Deutsche in Transvaal. 3) Bankwesen: Status der deutschen

otenbanken Ende November 1903. 4) Allgemeine Verwaltungs8sachen : Verordnung über Tagegelder, Fuhr- und Umzugskosten der Reichs- beamten. 5) Handels- und Gewerbewesen: Aenderung des Verzei nisses der Herkunfts- und Bestimmungsländer, betreffend die Statistik

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