Nictamtlicdzs.
Preußen. Berlin, 24. Februar. Jm weiterén Vey- Taufe der gestrigen (33.) Sigung des Hauses der Abgeordneten wurde die ¿weite Berathung des Entw-rfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Staatsbaus- halte:Etats pro 1883/84, und zwar mit dem Etat des Ministeriums der geistLihen, Unterrichts- und Me- dizinal-Angelegenheiten fortgeseßt. Der Abg. Dr. Windt- horst erflärte dem Abg. Cremer, daß er bei feirien Werten ein tiefes Bedauern empfunden habe. Wer sa lange einer Partei angehört habe, an allen Versammiungen theilgenom- men, ihm niemals ein Wort des Widerspruechs gesagt habe, der komme nun hierher und wolle versuchen, eine Anklage zu maden. Es sehe immer etwas sonderlih aus, wenn ein Sohn das Haus verlaße, und nachher auf das Haus s{impfe. Uebria-ns bemerke er, daß es eine Unwahrheit sei, wenn be- baurtei werde, daf jemals von ihm ein Antrag eingebracht wor- den sei, ohne deß die Unterzeichneten ihnfauch genehmigt hätten. Ob nun diese oraiio pro statu den Konservativen genüge, sei deren Sache: damit beschäftige er ih niht, und hiermit wolle er vom Akg. Cremer Abschied nehmen. Es thue ihm nur leid, das der Abg. Cremer auf diese Wege gegangen sei, derselbe werde es büßen. — Dem Abg. Stödker müsse er an- erfennen, daß derselbe niht den Versu gemacht habe, die gestrige Ministerrede zu vertreten; sie sei demselben zu wenig durhsihtig. Sonst vflege der Abg. Stöcker scharfsichtiger zu Fein; er (Redner) glaube wirklih, die Rede fei demselben so Febr durSsihtig gewesen, daß demselben nichts davon übrig geblieben sei ; — denn sie sei leer gewesen. Jn irgend einer Elaren, präzisen Weise hätte der Abg. Stöcker seine Sym- pathien für die Beendigung der firhlihen Wirren ausfprecen jollen. Bezüglich der Misckehenfrage habe der Abg. Stöcker si viel gemäßigter und objektiver heute, als zu der Zeit ge- äußert, wo die Frage brennend gewesen sei. Dann wäre der Lärm nicht so groß geworden, die Amtsbrüder des Abg. Stöc&er in Kammin und die Herren der Mittelpartei hätten dann nit so stark ins Horn gestoßen. Bei seinen getadelten Wahl- agitationen habe er stets eifrig für den konfessionellen Frieden gesprochen und gewirkt, das werde aber vom Kultus-Minister nit erwähnt — er wolle auch keinen Dank dafür, es sei seine heilige Christenypflicht, es sei seine deutsche Pflicht ge- wesen. Denn wenn es mit der Zerstörung des Friedens so Fortgehe, dann wisse er niht, ob Deutschland nicht direkt in | den dreißigjährigen Krieg zurütkomme! Man sehe und höre j ja nicht, wie es im Volke gähre und kohe, welhe Gefühle in } den verwaisten Gemeinden die herrshenden würcen! — Was : nun die Mischehen betreffe, so seien sie unzweifelhaft der : allerempfindliste Berührungspunkt der beiden Konfessionen, j und ein auf dem ehelichen Gebiet entstehender konfessioneller i Konflikt sei hötst bedauerlih. Jn seiner (des Redners)
Familie seien viele Mischehen, « darunter recht gtüdck-
lie, aber die Mehrzahl seien nicht glüdcklihe, es
fi im Allgemeinen nicht anders — und darum könne ¿ man niemals wünsGen, daß Mischehen bestehen. Dasselbe ; Recht und dieselbe Pflicht habe auch die evangelishe Kirche. D! M dem Streite sei aber eine Unkenntniß des kanonischen E echts hervorgetreten, die er bei Pastoren nicht vermuthet b hätte; er sei {on nahe daran gewesen, auf der Universität Berlin ein Kolleg über kanonishes Recht für alle Konfessionen bs anzukündigen, und dazu bâtte er dann auch den Abg. Stöder i eingeladen. Auf dem Tridentinishen Konzil sei namentli vom französishen Gesandten die absolute Ungültigkeit aller jener formlosen Eben verlangt. Das Konzil habe lange be- rathen, und der Gedanke der Ungültigfeitserklärung habe viel Beifall gefunden. Aber der Fesuitengeneral habe wider- “Tproden, indem derselbe darauf hingewiesen habe, daß damit
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j in den protestantischen Landen alle Ehen für ungültig erklärt A) würden. Darauf habe das Konzil beshiofsen, die Ehen sollten coram parocho et duobus testibus geshlofsen
werden und diese Verfügung habe 30 Tage nach
: der Publikation in Kraft treten sollen. Jm Delegaturbezirke i sei nun diese Verfügung niht publizirt, und darum sei sie : angesidts des Reichs: Civilehegesezes durch Proklama bekannt gemacht worden. Diese Seite der Sache sei also vollkommen abgethan ; die Ehen seien trog eines Jrrthums im Proflama völlig gültig gewesen. Die Anspielung des Abg. Stöcker auf das Côölibat verstehe er nit; er müsse denselben auf den ersten Brief Pauli an die Korinther verweisen, der demselben ja wohl zugänglich sein werde. Die Doppeltrauungen wolle ja der Abg. Stöcker au nit; die evangeliscze Kirche sollte sie eben jo abweisen, wie die fatholische. Daß die Doppeltrauungen ihre Bedenken haben, werde felbst von kulturkämpferiswhen Kirchen- rechtslehrern ausgeführt; der Abg. Stöcker und seine Kollegen hätten si in der ganzen Frage sebr unnüß echauffirt. Wenn aber in jedem solchen Falle die Regierung die diskreditionären Gewalten gegen die Katholiken geltend machen fönne, jo zeige sih dieses System in seiner ganzen Verwerflichkeit. Uebrigens habe doch wohl die evangelische Kir&e auch die Kraft, diese Dinge allein für fc zu ordnen; in der Provinz Hannover wenigstens sei das der Fal. Auch die Regierung sollte Dies alles anertennen. Was die übrigen Punfte betreffe, üder die der Abg. Stöcker gesprochen habe, so werde er diese jpäter noch ausfübrli© behandeln können; im Allgemeinen sei er hier mit dem Adg. Stöcer einverstanden. An der hiesigen Universität müße €s wirtlih recht scklimm aussehen, wenn bier, unter den Rugen der höcften Autoritäten, solze Dinge gelehrt wür- den, wie man gehört habe; wenn in Gegenwart des Ministers eine solche Rede gehalten werde, ohne daß der Minister sie ausdrücklich reprobirt, oder sofort mit Unwillen das Lokal verlassen habe. Er verlange, daß auf den Universitäten, die das Land unterhalte, das Christenthum bocgehalten werde, daß die Regierung dazu ihre Hand energish biete. Zum S@lußs danke er dem Abg. von Schorlemer für die freundliten Worte, die derselbe an ihn gerihtet habe. Derselbe dürfe verfichert sein, daß das Bündniß, weles ihn mit dem Centrum vereine, unauflöslih sei. Es fönne bei ihm nur durch den Tod gelöst werden! Der Abs. Dr. Hänel bemerkte, die Rede des Abg. Cremer habe auf die Linke denselben Eindruck gemacht, wie ihn der Abg. Windthorst charakterisirt habe. Ob das Vorgehen des Fürstbishofs von Breslau nah tanonishem Recht zuläsfig ge- wesen sei, tönne er nit eilen, ader auc in anderen Kreisen, als in denen des Abg. Stôder, babe es ein unliebsames Aufsehen gemalt. Jn allen diesen Fragen sei die Situation jest so ungewiß, daß Niemand ein bestimmtes Wort auszu- spr¿een wage, weil die nähsten Ereignisse es denselben bereuen laffen fönnten. Daraus erkläre fh das Schwei- gen seiner Partei bei dieser Debatte. Der Abg. Stödcker habe, und zu seinem Bedauern habe ihm darin der Abg.
einen Angriff gegen einen ho- angesehenen Gelehrten gemacht. Der Vergleih mit seinem (des Redyers) Voraz-hen gegen den Abg. Wagner sei unzu- treffend, denn er yabe dessen hier vorgetragene Rede fkritisirt und denselben davor gewarnt, das Katheder zur Behandlung von politishen Tagesfragen zu mißbrauchen ; der Abg. Stöcker habe si aber gegen eine außerhalb dieses Hauses gehaitene wissenschastlihe Rede gewandt, und sei zu dem, was man Denunziation nenne, übergegangen, denn derselbe habe den Minister aufgefordert, irgendwelhe Schritte gegen Hrn. Dubois- Reymond zu thnn. Der Abg. Stöcker selbst habe zugegeben, daß derselbe seinen Angriff nur auf Zeitungsnachrichten ftüße, die doch für die Beurtheilung wissenscaftliher Deduktionen unzulänglih seien. Wollte er den Abg. Stöcker nah den Zeitungsberihten über seine Reden gegen Dubois-Reymond beurtheilen, so müßte er dem Abg. Stöcker niht nur Skurri- lität, sondern die Rohheit eines Clowns vorwerfen. Und wie weawerfend habe sih derselbe über die sittlihe Bedeutung einer Weltanshauung geäußert, deren Begründer die vom Abg. Stöcker als firhlih gepriesenen Engländer in der Westminster- abti beigesezt hätlen. Der Abg. Stöter könne als Theologe ebenso wenig wie er als Jurist die auf unendlih vielen und exrakten Beobachtungen begründeten Lehren Darwins verstehen und beurtheilen, derselbe müßte denn ein s{lechter Theologe fein. Und sei denn diese Lehre von der Entwickelung der organisirten Materie bis zum Menschen hinauf weniger wunderbar als die biblishe, berühre sie die sittliche Natur des Menschen und den Glauben an Gott? Er enthalte sich jedes Urtheils über ihren Werth, aber die Religiofität werde von ibr so wenig berührt, wie von der Copernikanischen Lèhre. Die Rede habe Hr. Dubois am Geburtêtage jenes großen Königs ge- halten, den man den Philosophen auf dem Thron nenne, und der mit den Ansichten des Abgeordneten Stöcker durhaus Nichts habe zu thun haben wollen, sondern even jenem Monismus sehr nabe gestanden habe. Dem Abg. Stödcker aber sei dies, wie er glaube, nur ein Vorwand, um, nachdem derselbe ein Vorgehen des Ministers gegen den als Sturmbock benußten Hrn. Dubois veranlaßt habe, von der Regierung auch ein weiteres Tanzen nah seiner Pfeife, nämlih in Betreff der Besetung der theologischen Profefsuren, zu erlangen; er hoffe aber, daß der Minister sih dazu nit hergeben werde, sondern daß der Verfassungsartikel auch praktis geltz2, welGer den Sat — möge derselbe nun richtig sein oder niht — enthalte: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“
Der Abg. Cremer erklärte, wenn der Abg. Windthorst sage, er (Redner) hätte das Haus beschimpft, in dem er lange gewohnt habe, jo entgegne er, daß er nicht freiwillig aus demselben gegangen sei, sondern Alles gethan habe, um darin zu bleiben; er habe sich vorhin von allem Persönlihen ferngehalten. Bis jeßt habe er keine positive Antwort auf seine Frage nach dem Grunde des Vorgehens gegen ihn erhalten, sondern fei mit lceren Phrasen abgespeist. Er wolle den Glauben zerfören, daß Patriotismus mit gutem Katholizièmus unverträglich fei, und deshalb habe er au vorhin feinen kirglihen Standpunkt betoni. Was die Stödckershen Worte gegen die Rede Dubois anlange, so handele es sich niht um eine Einschränkung der Wisßenschast, sondern nur darum, eine no& niht be-
Windihorst sekundirt ,
gründete unfertige Wissenschaft nicht zu popularisiren, und dadurch dem Volk den Glauben und den sitt- licen Halt zu nehmen. Der Abg. Virhow selbst sei auf der Naturforscherversammlung gegen solche
Versuche des Professors Häckel, den Darwiniêmus als Volks8- religion einzuführen, aufgetreten. Auf dem Anthropologen- kongreß zu Franffurt sei festgestellt, daß die Lücke zwischen dem höchst entwidelten Thier und dem Menschen in keiner Weise ausgefüllt sei. Es handele sich niht um einen Vor- trag auf dem Katheder, sondern um einen öffentlihen Vor- trag für weitere Kreise. Uebrigens sei der Große Friedrich der Philosoph auf dem Throne wohl für seine Person gewesen, aber in Betreff seines Landes habe derselbe einer Minister gesagt : sie sollten ihm wieder Religion ins Land schaffen oder si zum Teufel scheeren.
Der Abg. Frhr. von Schorlemer:Als|t bemerkte, auf die Reden des Abg. Cremer erwidere er nicht, weil, wenn au sein (des Abg. Cremer) Takt zulasse, in der gehörten Weise über seine Vergangenheit zu sprechen, dot sein ‘(des Redners) Takt nicht zulafse, demselden darauf zu antworten.
Hierauf ergriff der Minister der geistlihen 2c. Angelegen- beiten von Goßler, wie folgt, das Wort:
Meine Herren! Es ift eine über aroße Zabl von einzelnen Vegen- ständen in der Diskussion berihtet worden. Ih will mein Interesse an der Debatte dadur bekunden, daß ic, soweit es nur mögli ift, wenigsten® flüchtig die angeregten Themata streife.
Der Hr. Aktg. Stêdcker ift, wie ih vernehme, ni&t mebr an seinen Plaß, id werde daber nur ganz flüchtig auf eine Reite der Bemerkungen eingeben, die er antizipirt bat, indem er {on auf allen Gebieten des Unterrihtswesens seine Wünsche geäußert und feine Desiderata formulirt hat.
Was das Volkssulwesen betrifft, so würde ib, wie ih glaube, mi sehr leiht mit ibm über Prinzipien einigen können, aber es ift jeder konservativen Regierung eigen, daß fie im Bewußtsein ibrer Verantwortung immer mebr geneigt ist, an das anzuknüpfen, was beitett, fi ftets zunädft klar zu maden, ob eine Notbwendigkeit der Aenderung des Bestehenden vorliegt, aber erst dann das Meßer ¿zum
S&neiden anzuwenden, wenn die Satte in der That fo verbesserungs- den besseren Zustand
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bedürftig ift, daß fie nur auf diesem Wege in überzuleiten ift.
Ueberagebend zu den Gymnasien, wird es Ihnen angenehm sein, zu böôren, wenn ic versichere, daß gerade das Gebiet des Religions- unterridts auf den böberen Lehranstalten seit Fahren — nit erft seit meinem Eintritt in das Ministerium — Gegenftand der aller- eingebendsten Sorgfalt der Unterribtëverwaltung gewesen ift, und daß alle Beri&te der General-Superintendenten, die jährli erstattet werden, auf Grund der ftatifindenden Prüfungen und Revisionen fortizeset das Befsserwerden und gegenwärtig diz Tüchtigkeit des Re- ligionéunterribts, vor allen Dingen aber die Lebrfreudiakeit und Ve- fäbigung der Religionslehrer fonstatiren. Der genannte Herr Ab- geordnete ftreifte bei dieser Gelegenheit au die Fortbildungssbulen. Wir werden ja, glaube i, auf dieses Thema an einer anderen Stelle näher einzugehen Gelegenheit den. Aber um nicht einen SIrrtbum in thatsäcliher Bezichung aufkommen zu laffen, geftatte ih mir hier {hon anzuführen, daß die Arbeit3- iéulen, wee im Ressort des Mirifteriums der öfentlicten Arbeiten neu organisirt sind, obligatorisce Fortbildunats#hulen waren, tie entzegen der Jahrzehnte lang im Refsort der Unterritéverwal- tung feitgehaltenen Grundsäßen den Unterriht während der Gotte2- dienftitunden hielten. Ich wiederhole, daß, soweit ih die Materie babe zjurüdverfolgen können, die Kultuz-Minifter daran feftgehalten baben, das obtligatoris%e Forttildungss%ulen niemals während des Sonntag8gottesdienstes abgehalten werden und daf sie nur eine gewifse Latitde jugeftanden haben bei denjenigen Unterricht2anstalten, bei welchen die Tbeilnabme am Unterribht fakultativ war. Um eine Unterrit2anftalt dieser Art bandelt es fb au in dem mir rom lezten Herrn Vorredner vorgehaltenen Charlottenburger Fall, auf den nâber einzugehen im Moment zu weit führen wêrte.
Was nun die Stellung der Professoret der Theologie auf unseren böcsten Bildungg2anstalten anbelangt, c besteht seit der Mitte der fünfziger Jahre hierin für unsere alten LandeStheile die Ordnung, daß bei jeder Anstellung eines Professors dic bôchste evangelische Kircden- bebörde, der evangelishe Ober-Kirchenraib, mit seinem Gutadten darüber gebört wird, ob er Einwendungen gegen Lehre und Bekennts- niß des Anzustellenden hat, und damit liegen au auf diesem Gebiet volle Garantien vor, welhe die Besorgnisse, die hier geäußert sind, als unbegründet ersheinen laffen.
WasSndlih den Punkt anbetrifft, der den Gegen tand einer eins gebenderen Diskussion gebildet bat, nämlich eine Rede des Hrn. Dubcis-Revmond, so babe ih aus den Aeußerungen der verschiedenen Herren mich überzeugen müssen, da5 die thatsähliwen Ver- bältnise dabei nit ausreichend bekannt, mindestens niht im vollen Maße gewürdigt sind. Meine Herren, wenn man fo shwerwiegende Bebauvtungen aufstellt, wie wir sie bier gehört haben, halte ich es, und vorzuatweise in einer Frage, die eine so eminent ethisWe und religiöse Bedeutung bat, für richtig. daß man zuerst den Thatbestand ganz genau firirt. In dieser Beziehung will ib aber doch zur Auf- klärung anführen, daß die Festrede, die von Herrn Duboi8-Revmond an tem Geburtstage Friedri des Großen gehalten worden ift, fh das Thema gesetzt batte: Friedrih den Groken in dem Lithte enaliscer Urtbeile — so ungefähr wird der Titel lauten. — An diese vielleicht einstündige Rede knüpfte fich ein Nekrolog, in dem auch der Name Darwin vorkam. In einer längeren Bemerkung wurde darin aud ein flübtiger Ueberblick über diesen Gelehrten gegeben und zwar mit der ausdrücklihen Einleitung, daß angesits des frischen Verlustes und der Unmöglichkeit, die Bedeus tung dieses Mannes sofort zu würdigen, jedes Urtheil nun ein subjektives sein könne und müßte. Ic erwähne dies, weil mir bierin ein veriöbnlihes Element vorzultegen \heint. Ich bemerke, daß die Nede im Druck erschienen ift, und ¡war sowobl als felbstärdige Rede als au in dem gedruckten Situngsberibt der Akademie der Wissen- schaften. Wenn Sie diese Rede unt den Situngsbericht gelesen haben, meine Herren, und dann den Wuns baben follten, darüber zu diës kutiren, so werde id der Diskussion nicht autweihen. Das kann ih aber \{on jeßt bestimmt versiwern, daß ic den Rath, den der Hr. Abg. Dr. Windthorst mir gab, auß wenn er mir vorber gegeben wäre, nicht befolgt baben würde.
Der Hr. Abg. Stöcker bat meines Erabtens in sehr anerkennen®2- wertber Weise ferner eine Reibe von Bernerkungen gemabt über die thatiädlihen Verbältnifse in der Mischebenfrage. Jb batte gestern in meiner Nede, die ja naturgemäß ni§t den Zweck verfolgte, diese Angelegenheit ex profeaso zu erörtern, ganz richtig die beiden Punkte, auf die es ankommt, unterschieden, und ich dante dem Hrn. Abg. Stöer, daß er die Güte gehabt hat, mic in dieser Hinsicht gegen die Angriffe des Hrn. Abg. Reichensperger beizutreten. Es handelte ib in meinen gestrigen Ausführungen, wie iw auëdrüdlih bervor- getoden babe und jeßt wiederhole, nidt um das sogenannte proclama, sondern um die inustructio: non latet, um die als Hildesheimer oder bannovershe bezeihnete Konftitution oder Instruktion. Und das füge ich als Ergänzung der sehr dankens- werthen Ausführung des Hrn. Dr. Windthorst binzu, daß das
Proflama erlassen if im Jahre 1879, obwohl bereits im Jahre 1877 der Hr. Fürstbishof Focster das Re§t batte, die sogenannte
clementina als Einribtung für Swlesien, welwe nidt blos für Holland galt, zu erlaffen und ibm aub das Ret zustand, diese clementina in ten Delegaturbezirk einzuführen. Von diesem Rechte machte der Herr Bischof keinen Gebrau; dagegen gestattete er im Jahre 1879 die Anshlagung des von dem Hrn. Abg. Windthorst arf fritisirten Proklamas in allen Kirchen des Delegaturbezirk8. Wunderbarerweise tauhte es fogar in SHlesien selbst auf, wo 8 aub nah den von dem Hrn. Abg. Dr. Windthorst entwidckelten Grund- säßen durdaus nit bingehörte.
Es ift mir sodann ein Unrecht wiederfahren, wenn mir die Auffaffung untergelegt worden ist, als wenn die Staatsregierung dem Hrn. Fürstbisof gegenüber, als er das Proklama zurücknahm, in einem Momente, wo €s dur die „National-Zeitung“ Gemeingut und Gegenstand der allgemeinen Diskussion aeworden war, den Vor- wurf gemacht bätte, daß es nit früber gesceben set.
Die Bemerkung, die der Hr. Abg. Stöodcker gemact kat, liegt aber, wie ib meine und wie ic gestern aub meinerseits bereits an- gedeutet babe, auf einem anderen Gebiet. Die Hildesheimer Instruk- ion vom Iabre 1864 ift der Königlichen Staatsregierung unbekannt elieben bis ins vorige Jabr binein. Sie wurde im Iabre 1864 r Hildesheim und Oënabrück erlassen, und wurde vom Bischof in ildezbeim angewandt, aber nur jo, daß se in keiner Weise nab
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[ ußen bervortrat.
a cvort Erst, als dur einen Gelehrten auf dem Gebiet der fkatbolishen Kirde diese instruetio in Vehrings Arcviv mitgetheilt worden, erhielt die Frage prafktishe Bedeutung. Damals
reite der Bishof von Hildesheim mittelst eines Berichts, den i gelesen babe, die Instruktion der bannovershen Regierung zur Er- theilung des Plazet ein. Die banr overshe Regierung erklärte darauf, sie wolle das Plazjet zwar nihti verweigern, aber ste könne die Be- fürbtung nidt verbekblen, daß der reliaiose Friede oder vizlmehr der Friede zwischen den Konfessionen dadur getrübt und gestört werden würde. Das ift, wie ib son kurz andeutete, leider au für uns der Fall gewesen. Die Konstitution aus dem Jahre 1864 ist im Jahre 1879 auc in anderen preußischen Biéäthümern verbreitet, und im Jahre 1879 von dem rormaligerf" Fürstbisbof Dr. Förster, der nah dieser Rich- tung bin durchaus nit, wie der Hr. Abg. Reicensperger annahm, gebunden war dur die Leitung der Diözese, als maßgebende Jn- struktion den Pfarrern bingegeben worden. Von dieser Instruktion ist zum ersten Mal, wenigîtens soweit es zur Kenntniß der Staat®- regierung und des Publikums gelangt ist, in dem bekannten Falle eines Landraths Gebraub gemadt.
Ob die weitere Definition, die der Hr. Abg. StöLer, was den Inhalt betraf, angab, rihtig ist, will ih nicht weiter erörtern, sondern will nur konstatiren, wie die Sache ib im LUtbte der Geschichte auënimmt; und da muß id in der Tbat nun bedauern, daß es so, wie gesehen, gekommen ift. Meine Herren! Es sind auch keute Stimmen laut geworden, die meine Ansicht theilen, daß es im Interesse der Förderung des kirb- lien Friedens hö&st bedenkfliß gewesen wäre, wenn gerade in dem Moment, wo diese Frage in dem Vordergrunde der politischen Dië- kussion stand, die Regierung von denjenigen Fakultäten Gebrauch ge“ macht bâtte, die ihr durch die Geseze in die Hand gegeben find.
Meine Herren! Ich gehe nun auf eine Bemerkung über, welbe der Herr Aba. Dr. Reichensperger bier gemacht bat; seine Bemer- fungen sind fehr mannigfaltiz und er bat ja versproten, auf einzelne dieser Punkte bei Gelegenheit der einzelnen Etatêtitel zurückzukommen. Meine Herren! Es is] s{wer, auf alle jene allgemeinen Be- merkungen Worte zu finden, wele die Situation niht etwas wärmer erscheinen lassen, als man es vielleicht für erwünst bält, aber ib möd&te, anfnüpfend an die Reihenfolge seiner Er- örterungen, doÿ darauf binweisen, daß es, wie ich glaube, ein hartes und nit gerebtfertigtes Wort ift, wenn er sagt, daß unsere Falkshe Gesetzgebung auf Zerftörung des Ckristenthums ge- rihtet gewesen sei. Ich darf, anknüpfend an das Seseß vom 11. Mai 1873, daran erinnern, daß unter diesem Geseß sämmtliche christlihe Kirhengemeinshaften leben. Aber wenn auch die evan- geliï%e Kirche das Geseg niht grade mit Freuden begrüßt hat, so ift fte do niemals so weit aezangen, daß sie gegalautt bâtte, sie werde in der Ausübung ibrer Heilsmission so bebindert, daß dadurch das Chriftentbum in ibrem Bereihe gefährdet werde. Der Hr. Abg. Dr. Reichensperger hat meines Erachtens ganz rictig darauf bin» gewiesen. daß unsere Aufgabe die sein müsse, alle Zeit die richtige Grenze zwischen Staat und Kirche zu finden. Das ist ja das Be- müßben, in dem wir uns ebenso beute zusammenfinden, wie wir uns in demselten im Fahre 1848 und 1850 begegnet sind. Es ist aber dabei ein bistorisher Irrthum unterlaufen, wenn angenommen werde, daß zu einer Fe wo unser Erlauhter König die gute Ordnung der Verbéltnifse der katholishen Kirche besonders betont hatte — auf der Seite derjenigen Partei, welhe von dem Hrn. Reichensperger lange Zeit den Namen getragen hatte, Zufriedenheit geherrscht hätte.
Ih babe mir, anknüpfend an Bemerkungen. die gerade über diesen nkt im vorigen Jahre cemact waren, die Müke genommen, die enogravbiscen Verhandlungen der 50er Iabre dur&zugeben, und da mus i bekennen, daß, wenn jemals über den in thesi gesegneten Zustand der katbolishen Kirhe auf Grund der Verfaffung barte Morte gefallen sind, sie damals gebraucht find. Es kamen Aeuße- rungen vor von einer Stärke, wie sie in den bewegtesten Debatten bci der Berathung der neueren Gesetze nit gefallen find. Ih würde in der Lage sein, mit Beispielen aufzuwarten. Meine Herren! In dem Bemühen, die richtige Grenze ¡wischen Staat und Kirce zu finden, begegnen wir uns ja, und wenn wir diesen Gedanken festhalten, werden wir vielleicht die Mögli&keit aben, in dieser groëten Aufgabe einen Schritt weiter zu kommen. Wie es aber ritig ist und bleibt, daß der Knoten bei der Anzeigepflicht lieat, so ist es gründlih verfebrt, meine Herren, wenn hierbei der Svieß der Staatsregierung immer entgegengebalten wird. I babe mir gesiern bereits gestattet, in Kürze darauf hinzuweifen, daß die Gesetzgebung des vorigen Jahres keinen anderen Zweek batte, als in den wictigîten Punkten — nämli in der Frage der Wicderbersteüung er Didzefanverwaltung und in der der Wiederherstellung geordneter Seelsorge — z¡usammenzukommen mit der Landeévertretung, mit den Wünschen unserer katholiscen Mitbürger. Der Gesetzentwurf war so fnavvy zugeshnitten, wie das überbaupt. nuc möglich war. Er enthielt abex gerade diejenigen enisceidenten Punkte, auf wel@e es für die: Regelung der Anzeigerfliht zunächst ankam. Meine Herren, id will fein Feuer weiter anzünden, aber i darf do daran erinnern, daf alle Vemübungen der Staatsregierung, auf diesem Gebiete nur cterbaupt eine ernste Diékussion berbeizuführen oder ju Amendirun- gen zu gelangen, wie bereits wiederholt erflärt, gescheitert find. Gerade der Umsiand, daß es unmöglich geworden ift, im vorigen Fahre in gemeinsamer Thätigkeit auf diesem Gebiete etwa zu Stande zu bringen, indem uns Seitens der Herren vom Centrum, obne
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welbes H die Mittelparteien ihre Mitwirkurg versagten, cr- klärt wurde, daß sie obne auêdrüdÆlihe Anweisung Sr. Hei- ligkeit des Paxftes niht sich ents{ließen könnten, auf diesem Gebiet irgend eiwa3 zu regeln — ich sage,
“ gerade dieser Umstand hat es bewirkt, daf der Karren der Legislative festgefahren ist, und darum ist es so schwer, aus dieser SacLgasse berauézufommen, es sei denn, dur einen energishen Entschluß.
Daß alle sonstiaen Versuche, so gern die Regierung auch bereit wäre, noch weitere Milderungen eintreten zu lassen, nit zu dem er- sebnten Zustande des Friedens führen konnten, liegt klar auf der Hand; denn so lange dieser Punkt nit geregelt ist, ist es s{wer, die allge- meine Beunrubigung, welde in Betreff dieser Frage in der katbo- lischen Bevölkerung aufreht erbalten wird, zu beseitigen. Der Hr. Aba. Reichensperger {loß an seine Auäfübrungen noch den Vorwurf an die Staatsregierung, sie ginge davon aus, fie wolle Konzessionen vom Papst ervressen. Meine Herren, das ist ungere{t. Es ist, glaube ich, niemals — und die Noten sind ja vielfa veréfentlicht worden — es ist niemals irgendwie der preußiscen Staatsregierung in den Sinn gekommen, ven Papste etwas zu erpressen. Im Gegen- tbeil, meine Herren, die preußise Staatëregierung hat in zwei Ge- seßen und vor allen Dingen in zwei Geseßentwürfen ein so reib be- seßtes Tablet von Offerten gereicht, daß nur hätte zugegriffen zu werden brauen, um in vositiver Weise eine ganze Reibe von Fragen organisch zu regeln. Darum ist dieser Vorwurf gänzlich unzutreffend, Edensowenig ist es meines Erachtens gerebt, wenn der Regierung vorgeworfen wird, sie babe keine andere Absicht, als die Kirche fo lange schlecht zu behandeln, bis sie sid den Falksden Geseten unter-
werfe. Dieser Einwand ist seit dem Mai 1880 absolut nibt mebr zutreffend. Obne alle Rücksidt auf die Neigung der katholiscen
Kirche oder unserer katholischen Mitbürger oder des Centrums, ob man sid auf den Boden neuer Zustände stellen wolle, bat die Regie- rung ibre Gesezentwürfe vorgelegt. Diese Thatsache läßt sib unter feinen Umständen mehr aus der Welt hafen. Es ist, wie der Hr. Abg. Reichensperger in zutreffender Weise verlesen hat, das Wort aus der Kölnischen Zeitung für die Regierung eine Wahrheit gewor- den, daß die Regierung aus freiem Entschluß bervorgetreten ift und versucbti bat, dur ihre einseitigen, ohne Bedingung einer Gegen- leistung aemadbten Offerten einen besseren Zuftand in unserem Vater- lande berbeizufübren. :
Der Abg. Dr. Windthorst entgegnete, die Befürhtung der harnovershen Regierung wegen der Verordnung vom Jahre 1864 babe sih als unbegründet erwiesen. Er bedauere, daß der Minister dem Hause noch nit gesagt habe, ob und in welhem Sinne der Brief Sr. Heiligkeit vom 30. Januar beantwortet sei, eventuell in welGem Sinne derselbe beant- wortet werden solle; die gestrigen Aeußerungen des Ministers bâtten ihn im Dunkel darüber gelassen, und er müße seine Frage wiederholen. Jn die Sackgasse sei man nit im vorigen Jahre gerathen, sondern als bei Beginn des Kultur- kampfes der Staat in die inneren Verhältnisse der katholischen Kirche eingegriffen habe; freilih, wer in ein fremdes Haus einsteige, dürfe sich niht wundern, wenn derselbe den Ausgang nicht wiederfinde; er wolle dies Bild heut nidt drastister durchführcn. Wollte er die Gründe, warum das Centrum auf die im vorigen Jahr vorgeshlagene Geseßgebung nit eingegangen sei, ausführen, so müßte er die ganze vorjährige Diskussion wiederholen. Es sei kein Friede ge- schaffen worden, sondern nur eine Möglichkeit, zu athmen, aber die Regierung habe den Druck, der auf die Katholiken laste, nicht erleihtert, vielleicht in der Hoffnung, daß den Katholiken der Athem ausgehe, allein sie lebten noch. Es sei selbstverständlih, daß in Fragen, die den Katholizismus selbst berühren, die höchste katholische Autorität, der heilige Vater, die Entscheidung haben müsse, freilih brauche derselbe nicht befragt zu werden, wenn es sich um Lösung von Fesseln der Kirche handele, wohl aber, sowie es sih um Anlegung von Fesseln handele. Jedenfalls aber müsse das Centrum wissen, ob der Briefwechsel mit dem heiligen Vater fortgeseßt werde oder nicht, damit das Centrum wisse, welhe Sghritte es jeßt thun solle.
Der Staats-Minister von Goßler erwiderte, die direkte Frage des Abg. Windthorst, die er vorhin zu beantworten vergessen habe, beantworte er dahin: Der Briefwechsel habe seinen Fortgang genommen und werde fortgeseßt; aber mit NRücksicht auf den Zeitpunkt, in welchen diese Fortsezung falle, könne er eine materielle Mittheilung niht machen.
Der Abg. Dr. Windthorst entgegnete, er habe immer noch keine direkte Antwort erhalten, ob der Brief vom 30. Ja- nuar beantwortet, und in welhem Sinne die Antwort gehal- ten sei. So lange diese Antwort nicht erfolgt sei, nehme er an, es handele sich darum, das Centrum hinzuhalten und demselben für ein Jahr jede Handhabe zum Vorgehen zu nehmen, indem man seine Partei mit dem Briefwechsel zu beruhigen suche. Nach allem diplomatischen Gebrauh müsse ein Brief vom 30. Januar {hon beantwortet sein, oder der Gesandte von Schlözer wissen, ob und in welhem Sinne der Brief beantwortet werden solle.
Der Staats-Minister von Goßler erwiderte, er wolle kein Dunkel aufkommen lassen und konstatire, daß der O e fortgeseßt werde, und daß der Brief vom 30. Januar {on beantwortet sei, aber die Rücksiht auf die Zeit lasse eine Ver- öffentlihung des materiellen Jnhalts niht zu. Es sei ja möglich, daß dieser Brief erst in den leßten Tagen beant- wortet sei; und es sei eine Forderung der Courtoisie, den Brief niht eher zu veröffentliten, als bis wenigstens der Adressat Kenntniß davon genommen habe,
Der Abg. Dr. Reichensperger (Cöln) erklärte fch mit dieser Auéfunft zufrieden. Was die Klagen der Katholiken betreffe, so gründeten si diese eben erst jeit Erlaß der Mai- geseze darauf, daß der katholishen Kirhe ihre verfassungs- mäßigen Rechte in Preußen genomuien seien. Die Worte des Könias, die der Akg. Reichensperger (Olpe) vorhin erwähnt habe, seien eine Artwort auf eine Rede des Kardinals Geißel, und wer diese Rede gelesen habe, müsse zugeben, daß vor Erlaß der Maigeseze auch der Episkopat die Lage der Katho- lifken in Preußen für wohlgeordnet angesehen habe.
Die Debatte wurde geschlossen. Es folgte eine Reibe persönlier Bemerkungen.
Der Abg. Cremer hielt seine Behauptung aufre{cht, daß der Abg. Windthorst Anträge eingebracht habe, ohne daß die- selben vorher von der Fraktion unters{rieben wären.
Der Abg. Stöcker bemerkte, er habe sih nicht, wie der Abg. Hänel behaupte, bei seiner Kritik der Duboiësshen Reden auf unbegründete Zeitungsnachrihten geftügt, sondern aus- drüClich erklärt, daß die früheren Reden gedrudckt seien; die leßte Rede sei noch nicht gedruckt, aber nah den unwider- iprochenen Zeitungsteritßten babe Hr. Dubois eine Rede für den Materialismus gehalten.
Der Abg. Frhr. von Schorlemer-Alft versicherte als Bor- sitzender der Centrumsfraktion, daß der Abg. Windthorst nie Anträge eingebracht habe, die niczt vorher der Fraktion vor: gelegen hätten.
Der Abg. Dr. Wagner bemerkte, der Abg. Hänel habe er- wähnt, daß derselbe ihm gestern eine Verwarnung habe zu- fommen laïsen. Er wisse nihts davon, sons würde er {on gestern dagegen protestirt haben. Der Abg. Hänel scheine den Unterschied zwisten einem Lehrer des Rechts und einem der Politik nicht machen zu können.
Der Abg. Dr. Hänel hielt seine gestrige Verwarnung des Professor Wagner aufrecht. Die Politik dürfe ebensowenig wie die Rechtélehre in der Universität auf d Behandlung von Tagesfragen eingehen. Bezüglich des Abg. Stöler be- merke er, daß dieser ja nun zugegeben habe, seine Kritik der bewußten Nede nur auf Zeitungsnachrichten gestügt zu haben.
Der Abg. Cremer hielt au dem Abg. von Schorlemer gegenüber seine Behauptung bez. des Abg. Windthorst aufrecht.
Der Abg. Stöer erklärte, der Abg. Hänel wisse nicht, was citiren heiße — citiren, das heiße vorlesen, er habe ader nicht aus dem Zeitungsberiht vorgelesen, sondern er habe sih eben auf die faktisch gehaltene Rede gestüßt. Auch wisse der Abg. Hänel nicht, was denunciren heiße: eine öffentlich gehaltene Rede öffentlih besprehen, wie er es gethan habe, sei dochH nitt denunciren. Er denke freilich noch oft das zu thun, was der Abg. Hänel denunciren ncnne, nämlih ver- borgene Fehler ans Licht zu ziehen ; damit hoffe er der Fort- schrittapartei noch viel zu schaden.
Der Abg. Dr. Wagner erklärte die Warnung des Pro- fessors Hänel für eine Anmaßung, und wiederholte, daß Let- terer, wahrscheinlih weil derselbe so lange seiner akadenischen Thätigkeit entfremdet und nur Professor in partibus infidelium sei, den Unterschied zwishen Rechtslehre, Staatswissenschaft ms! kenne; Leztere müsse eben auf die Tagesfragen ein-
ehen. ae Der Abg. Dr. Hänel gab zu, daß seine parlamentarische Thätigkeit ihn der Lehrthätigkeit in legter Zeit entzogen habe, um so objektiver aber könne er die Vergiftung der akademi- schen Ungen? beurtheilen, die leider zum Theil von akademi- chen Lehrern ausgehe. Den Abg. Wagner zu warnen, sei er autorisirt durch seine Liebe zur Wissenschaft, deren Wahr- heit leider in jüngster Zeit dur Publikationen und auch vom Katheder herab verlegt sei. Auch die Staatswissenschaft sei, wie jede andere Wisjenschast, nah wissenshaftliher Methode und nah niht Sentiments, wie der Abg. Wagner es wolle, zu be- handeln. Was den Abg. Stöcker anlanae, so habe er mit der Denunziation niht das Kritisiren der Rede des Professor Dubdois-Reymond gemeint, sondern die an den Minister er- gangene Aufforderung, gegen den genannten Herrn vorzu- gehen. Was das „Citiren“ anlange, so frage er den Abg. Stöter nochmals, ob derselbe die Rede im Original oder nur naÿ einem Zeitungsbericht kennen gelernt habe ?
Der Abg. Stöcker erklärte, er habe die Rede nit im Original kennen lernen können, weil das Original noch gar nit gedrudckt erschienen sei. i
Der Abg. Dr. Wagner bezeihnete die Unterstellung des Ava. Hänel, er treibe die Lehre der Staatswissenschaft tendenziós, als eine Denunziation.
Der Abg. Dr. Hänel entgegnete, daß der Abg. Wagner „Fritisiren“, was er vorgenommen hade, mit „denunziren“ ver: wecsele, und daß, wie der Minister vorhergesagt habe, die Rede des Professors Dubois-Neymond zweimal im Original gedruckt sei, der Abg. Stöcker also niht auf Zeitungsberichte beschränkt gewesen sei.
Der Titel wurde bewilligt.
Bei dem Titel „Kirhliher Gerichtshof“ bat der Abg. Dr. Reichensperger (Cöln) um Ablehnung der Position, indem er die Thätigkeit des Gerichtshofes kritisirte und die Remune- ration seiner Mitglieder im Verhältniß zu ihren Leistungen für viel zu hoch erklärte.
Die Position wurde bewilligt.
Beim Kapitel „Evangelische Konsistorien“ \prah der Abg. Freiherr von Minnigerode der Regierung dafür Dank aus, daß sie für Ost- und Westpreußen einen zweiten General- superintendenten fordere. Die außerordentliche Ausdehnung der beiden jeßt getrennten Provinzen retfertige das dur- aus. Er nehme an, daß damit keine kirhliÞhe Trennung zwischen Ost- und Westpreußen eingeführt werden solle, son- dern daß beide Herren nebeneinander wirken würden.
Der Staats-Minister von Goßler entgegnete, die Frage über die Geschästseintheilung und den Amtssigß des neuen General-Superintendenten sei in der Negierung noch nicht zum Austrag gekommen. Es werde das erst geschehen, wenn das Haus die Forderung bewilligt haben werde.
Der Abg. Dr. Langerhans bat, die Position abzulehnen, denn sonst würden in den nächsten Jahren immer mehr Superintendenten verlangt werden. Die Kirchen, die jeßt sehr hohe Kirchensteuern für sih erhöben, sollten ihre Beamten selbst besolden und nicht mit immer höheren Forderungen an den Staat herantreten. Ferner beantrage er, einen weiteren Wohnungsgeldzushuß von 600 4 sür den Konsistorial-Prä- sidenten in Berlin nicht zu bewilligen.
Der Abg. Frhr. von Minnigerode bemerkte, er mlisse prinzipiell der Auffassung widersprechen, daß die Kirche wie ein Bettler an den Staat herantreten solle. Das Verhältniß sei eher umge Ein erheblicher Theil des Staats- vermögens fe cReaars Kirhengut. Nach seiner (des Redners) Auffassung habe auch der Staat ein eigenes Jnter-
esse, die Kirche mögli stark herzustellen, damit sie ihrer Auf- gabe genügen fönne.
Der Abg. Frhr. von Hammerstein betonte, auh auf liberaler Seite sei in früheren Jahren anerkannt worden, daß der Staat die Pflicht habe, die Kirchen zu dotiren. Der Abg. Langerhans beschwerte sich über die hohen Kirchensteuern. Leugne derselbe etwa, den kirhlihen Nothstand in Berlin?
Der Abg. Dr. Langerhanrs bemerkte, er leugne dies aller- dings. Er beshwere sih auch nicht über die absolute Höhe der Kirchensteuern, er sei im Gegentheil bereit noch höhere zu bezahlen, denn er meine, wer eine Kirce haben wolle, solle sie au bezahlen. Er glaube nur, daß die jcßt erhobene Kirchenstieuer über die Beftimmungen des Gesetzes hinausgehe.
Der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte, er neyme an, daß der Aba. Langerhans damit den Standpunkt seiner Partei vertrete und lege Werth darauf, dies zu konstatiren.
Der Abg. Knörke erklärte dieser Annahme gegenüber, daß er für seinen Theil den. kirhlihen Nothstand in Berlin anertenne.
Das Kapitel wurde unter Langerians tewilligt.
Beim Kapitel „Zushüsse für evangelisGe Geisilihe und Kirten“ machte der Abg. Seer auf die Nothstände der evan- gelischen Kirhe in der Provinz Posen aufmerksam, welche lediglih durch die Gemeinden erhalten wcrde. Es halte schwer, Geistliche dorthin zu ziehen, da ihre Thätigkeit zu an- strengend sei. Es gebe dort Sprengel, die 87 Ortschasten umfassen und 5 Quadratmeilen groß feien.
Kapitel 113 und 114 wurden bewilliat.
Kapitel 115 verlangt für katholiswe Biëéthümer 1 254 261 f, und zwar in Titel 1, Bisthum Ermland 105 240
Der Abg. Dr. Neichensperger (Olpe) erklärte, obgleich es in der Hand der Regierung liege, die Sperre aufzuheben, fo habe sie in unbegreifliher Härte doch noch keinen Gebrauch davon gemacht, und nah wie vor flössen mehr als 11/5 Mil- lionen Mark jährlih in den Sammelfonds, welch2 nah Ret und Gerechtigkeit der katholischen Kirce gebührten. Die heilige Srift sage, der Priester solle vom Altare leben, bei den Ka- tholiken habe das aufgehört. Die katholishen Priester seien, nahem sie ihr Privatvermögen aufgezehrt, zu Alimosen- empfänaern geworden, ja selbst auf die Emeritirten werde dieser Zustand der Dinge ausgedehnt, auf Greise, die mit einer cura animarum nidts mehr zu thun hätten. Das könne do selbst der verbissenste Kulturkämykfer nicht billigen. Fn den rheinischen Niederungen klopfe die Noth an alle Thüren, die Regierung wisse das, aber sie bebe troßdem das Sperrgeseß in der Erzdiözese Cöln niht auf. Der Fonds werde weiter angesammelt, während die Noth so groß und gewaltig fei. Jn diesem Moment könnte der Minisier die Gehaltssperre aufheben, ohne in den Verdacht zu kommen, Wohlwollen für die fatholishe Kirche zu hegen. Das Centrum könne den Minister niht zwingen, von der demselben verliehenen VoU- mat Gebrau zu machen, müsse dagegen die Entscheidung der Humanität und dem Gewissen des Ministers anheimstellen.
Der Abg. Bachem bemerkte, das Schweigen des Ministers zeige, daß die Katholiken keine Aussicht hätten, daß das Sperr- geset beseitigt werde. Der Minister scheine kein Verständniß zu haben für die Ehrenshuld, von der Ladenberg einst ge- prochen. Man betrachte aber das Sperrgesey als Kompen- sationsobjekt, und er sehe jeden Tag die „Norddeutshe All- gemeine“ nah, ob sie niht einen festen Tarif über Leiftung und Gegenleitung auf diesem Gebiete publizire. Alle Mit- glieder dieses Hauses, die unter dem Odium litten, dieses Gescy mitbeshlosseu zu haben, seicn verpflichtet, wenigstens in den Punkten Remedur eintreten zu lassen, wo die Regierung über das Geseß hinaus8gehe und Mittel in den Sammelfonds fließen lasse, die nicht unter das Sperrgeseß fallen. Zum Theil sei ja in dieser Beziehung shon Abhülfe geschaffen. Der Minister Falk have auf Grund des Sperrgeseßes alles mit Beschlag belegt, das Centrum habe aber Einiges aus seinem Rachen wieder herausgerifsen — nämlich aus dem des Geseßes. Er erkenne die Hülse, die dem Centrum die Liberalen dabei geleistet hätten, dankvar an, z. B. in Bezug auf die Pfarr- dotalgüter. Er behaupte aber, daß noch heute bedeutende Beträge mit Unrecht unter das Sperrgeseß gesielt würden. Es scien das die Vakaturgehälter, d. h. die Pfarrgehälter, welche nah dem -Tode eines Pfarrers bis zur Neubeseßung der Stelle sich angesammelt hätten. Diese Vakaturgehälter follten in den altpreußischenBisthümern nah den Bestimmungen des Allgemeinen Landrehtes „der Kirche“ zufallen. Jn den Bisthümern auf der rehten Rheinseite gelte die Bestimmung, daz sie zum Besten des „Benefiziums“ zu ver- wenden seien. Man behaupte nun, daß diese Bestimmungen dur das Sperrgeseßz beseitigt seien. Nun sprehe aber das Sperrgeseß in §. 1 nur von Einstellung der Leistungen für Bisthümer, bishöflihe Jnstitute und Geisilihe, niht aber da- von, daß auch die Leistungen an Kirchen und Benefizien ein- gestellt werden sollten. Er denke, es liege auf der Hand, daß man ein so scharfes Gese, wie das Sperrgeseß, nicht aus- dehnen und interpretiren dürfe. Die Petitionskommission habe bei einem bestimmten Falle sih dieser Ansicht ange- shlossen. Sie habe angenommen, daß es die ratio legis des Geseßes sei, auf die Geisilihen durch Einstellung der Leistungen einen Zwang auszuüben, den man aber doch nicht mehr gegen Verstorbene geltend machen könne. Sein ver- storbener Kollege Jacoby habe damals als Vorsißender der Petitionskommission erklärt, daß er selbst, wenn er über die Rechtsfrage zweifelhaft wäre, sich doch im Sinne der Petition entscheiden würde, um eine Brüle zu bauen, aus diesem miß- lichen Geseß herauszukommen. Die Regierung sei auf diefe Brücke nicht getreten ; er hoffe, sie thue es noch heute nach: träglich, sonst stehe sie an Wohlwollen gegen die Kirche weit hinter den liberalen Kulturkämpfern zurü. L
Der Regierungskommissar Geh. Negierungs-Rath Löwenberg wandte sich gegen die seiner Meinung nach irrthümliche Jnter- pretation des Abg. Bachem. Das Landrecht ordne nicht an, daß die Vakaturgehälter an die Kirche fallen, sondern an das Pfarrvermögen. Das sei doch ein Unterschied. Das Pfarr- vermögen sei für Geistliche bestimmt, und deshalb falle das Vakaturgehalt als „Leistung für Geistliche“ unter das Sperr-
eseß. Ebenso sei das Benefizium zu Leistungen für die Geist: ichen bestimmt. Ferner mache er daraus aufmerksam, daß das Sperrgesez niht nur aus dem §. 1 bestehe, auf den sih der Abg. Vachem stüge, sondern daß aus den weiteren Pa- ragraphen klar hervorgehe, daß die Vakaturgehälter unter das Sperrgeseß fallen. S ;
Der Abg. Bachem entgegnete, er hätte gewünscht, daß in diejer Rechtsfrage auch Redner anderer Fraktionen sich geäußert hätten, er bedauere, daß private Anregungen, die er gegeben habe, ohne Erfolg geblieben jeien. Der Regie-
Antrages
Ablehnung des