1904 / 21 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 25 Jan 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Baden. n Jhre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin sind heute vormittag von Karlsruhe nah Berlin abgereist. Hessen.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog hat am Sonn- abend, wie die „Darmst. Ztg.“ meldet, eine Reise nah London

angetreten. Anhalt.

Nachdem \sich der Zustand Seiner Sat des Herzogs gestern Dér\Gléciert hatte, ist Höchstder)elbe, wie der „An- haltishe Staatsanzeiger“ meldet, gestern abend um 11 Uhr 90 Minuten in Ballenstedt verschieden. j Z

Seine Hoheit der Herzog Friedrich, der Sohn des am 22. ai E Dercs Seapoi und der am 1. Januar 1850 verschiedenen Herzogin Friederike, geborenen Prinzessin von Preußen, war am 29. April 1831 zu Dessau geboren und vermählte sih am 99. April 1854 zu Altenburg mit Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Antoinette von Sachsen-Altenburg. Der Ebe waren vier Söhne und zwei Töchter entsprossen, von denen der älteste Sohn, der Erbprinz Leopold, am 2. Februar 1886 verstarb. Der Nachfolger des ver- schiedenen Herzogs, Seine Hoheit der Erbprinz Friedrich ist am 19. August 1856 zu Dessau geboren und seit ‘dem 2. Juli 1889 in finderloser Ehe mit Jhrer Hoheit der Prinzessin Marie von Baden vermählt.)

Aus Anlaß des Ablebens Seiner Hoheit des Herzogs Friedrich ist eine Hoftrauer von drei Monaten angeordnet worden. Bestimmungen über die Landestrauer sind noch nicht getroffen, doh wird hie voraussihtlich bis drei Tage nach der Beisezung dauern. Am Donnerstag findet in der Schloß- firche zu Ballenstedt eine Trauerfeier statt, an die sich die Ueberführung nah dem Bahnhofe anschließt. Am Abend trifft dann die Leiche in Dessau ein, wird nach der Schloßkirche übergeführt und dort am Freitag öffentlich ausgestellt. Die Bei- sezung erfolgt am Sonnabend um 1 Uhr von der Schloßkirche nah der Auferstehungskapelle im Mausoleumsparfk.

Deutsche Kolonien.

Aus Swakopmund telegraphiert der Kommandant von S. M. S. „Habicht“, wie „W. T. B.“ berichtet, daß dort ein Bote aus Okahandja, welchen Ort er am 20. d. M. verlassen hatte, eingetroffen mit der Meldung 1st, daß die Expedition des Oberleutnants von Zülow in Okahandja angekommen und daß der Ort vorläufig uneinnehmbar befestigt sei. Von Ofkasise ab sei die Bahn gänzlich zerstört. Es finde fortwährend ein starker Zuzug von Hereros nach Okahandja statt, die Lage sei aber vorläufig befriedigend. Einem weiteren, am 23. Ja- nuar Abends in Berlin eingegangenen Telegramm des Kommandanten von S. M. S. „Habicht“ zufolge, hat sih an der bisherigen Lage nichts geändert. Die Bahn bis Karibib is vorläufig militärisch gesichert, aber seit zwei Tagen durh fortwährenden Regen bei Khan unter- brochen. Gründliche Reparatur ist erst möglih, wenn das Wasser abgelaufen ist. Hinter Karibib ist die Bahn bis Kilo- meter 229 hergestellt.

Oesterreich-Ungarn.

Die ö sterreihishe Delegation sehte am Sonnabend, wie .W. T. B.“ meldet, die Beratung des U des Aeußern fort. Der Delegierte Pergels trat für den reibund ein und be- tonte die Notwendigkeit des Schußes der Industrie und der Schaffung von Absokgebieten für diese. Der Delegierte Fürst Schönburg hob ebenfalls die politishe Bedeutung des Dreibundes hervor und forderte \{ließlih die Deutschen und Tschechhen auf, sich zu verständigen. Der Delegierte Kramarc verlangte demgegenüber als Vorbedingung für Friedensverhandlungen die Gutmachung des den Tschechen zugefügten Unrechts. In seinem Schlußworte kam dann der Berichterstatter Marquis Bacquehem auf die Erneuerung des Dreibundes zu \prehen und hob hervor, daß die Wertschäßung dieses seit seinem Bestehen in den Zielen unverändert gebliebenen Defensivbündnisses allgemein geworden sei, und daß auch in Frankreih, nament» li seit Gründung des Zweibundes, eine rihtigere Aufs» fassung Play gegriffen habe. Das Mißtrauen sei verschwunden. Deshalb, und weil in Jtalien von der gegenwärtigen Regierung viel- leiht mehr als sonst von früheren nachdrücklich die Bündnistreue be- tont sowie die Wichtigkeit engerer Beziehungen mit Oesterreih-Ungarn wie Nußland hervorgehoben werde, fönne man mit Gemütsruße mancherlei aufnehmen, was bei der Erneuerung des Dreibundes namentli über das Interesse und die Stellung Italiens an dem Dreibunde und zu dem Dreibunde zu lesen gewesen fei. Er, der Redner, {lie sich der Entgegnung des Grafen Schön- born über die von dem Delegierten Dobernig ausge- sprohenen Zukunftsgedanken eines A aiéredtlicen Anschlusses an Deutschland an. Der Beifall der Delegation beweise, daß die Bestrebungen, die geeignet seien, die Ziele des Dreibundes zu ver- dunkeln, und die den Voraussetzungen dieses Bündnisses, die in der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Verbündeten lägen, wider- sprächen, entschieden von der Hand gewiesen würden. Er halte es für ausgeschlossen, daß es nicht gelingen sollte, angesichts der Notwendigkeit des Abschlusses von Handelserträgen, die Kräfte im Innern zu fruchtbarer wirtschaftlicher Tätigkeit zusammenzufassen, und meine, es fei irrig zu glauben, daß der deutsche Zolltarif nicht ernst zu nehmen sei. Der Berichterstatter bezeihnete es auch als irrig, wenn man im Auslande meine, daß Oesterreilh-Ungarn an den landwirtschaftlihen Zöllen, an den Mindestzöllen niht interessiert sei. Der Redner glaubte, daß Deutschland binnen kurzem zu Vertragsverhandlungen einladen werde, und hielt es für wünschenéwert, diese Verhandlungen auf Grund des in Beratung stehenden Zolltarifs zu führen, obwohl es zweifellos besser sein würde, diesen zuerst als Gese fertig zu stellen. Der Redner besyrach dann das Verhältnis zu Rußland und betonte, die alte Nivalität zwishen der Monarchie und Rußland sei einer vollen Harmonie bezüglih der Balkan-Politik gewichen. Europa begleite die Aktion auf dem Balkan mit vollem Vertrauen. Gr fei überzeugt, daß die Delegation sich dem Urteil des Ausschusses an- {ließen werde, der wegen dieser erfreulichen Erscheinungen sowohl der Geschicklichkeit als der ruhigen, sicheren Leitung der auswärtigen Politik Dank zu \{hulden glaube. Hierauf wurde das Eingehen in die Spezialdebatte beschlossen und das Budget des Aeußern in dieser unverändert angenommen.

Großbritannien und JFrland.

Der Oberst Lyn ch, der als Führer der irishen Brigade im südafrikanishen Kriege auf der Burenseite gekämpft hatte und deshalb vor einem Jahre zum Tode verurteilt und dann zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt worden war, ist, wie „W. T. B.“ erfährt, am Sonnabend in Freiheit geseßt worden. Es heißt, daß der König, bewogen dur die ihm bei seinem Besuh in Jrland entgegengebrahten Beweise der Loyalität, diese Maßnahme veranlaßt habe.

Frankreich.

Bei der gestern in Remiremont vorgenommenen Ersaÿ- wahl zur Deputiertenkammer für den zum Senator ge-

wählten bisherigen Deputierten Méline wurde, dém „ViT. BXA gufolge, der nationalistishe Kandidat Fla yelle gegen den epublikaner Desbleusmortiers gewählt.

Der Kommandant des Kreu ers „Guichen“, der den Auftrag hatte, an der irischen Küste Nachforschungen nach dem vermißten Transportishif} „Vienne“ anzustellen, hat aus Galway telegraphiert, daß jeine Bemühungen C ge- blieben seien. Jnfolgedessen sind jeßt der Kreuzer „Guichen“ und der Kreuzer „Galilée“, der nach den Azoren ausgesandt worden war, um das vermißte Transportschisf „Vienne“ auf- zusuchen, nah Frankrei zurückbeordert worden.

Der Zentralaus\huß der elsaß-lothringischen Vereine und Gesellshaften hat aus Anlaß des Falles Delsor an die „Brüder und Landsleute“ jenseits der Vogesen warme Worte der Begrüßung gerichtet und sie gebeten, an ‘ihren Hoffnungen festzuhalten.

Rußland.

Der zum Dein des Chefs der mazedonishen Gen- darmerie ernannte Generalmajor Schusta? ist, wie dem „W. T. B.“ mitgeteilt wird, mit einigen ihm beigegebenen Offizieren gestern von Odessa nah B onfiäntinopel abgereist.

Ftalien.

Der italienische Gesandte in München Graf de Foresta 112: 0e Wi B“ meldet, zum Gesandten in Stockholm und der italienishe Gesandte in Stockholm Berti zum Gesandten in München ernannt werden.

Der Vertrag zwischen der Pforte und dem General de Giorgis ist unterzeichnet worden. Der General gedenkt heute nah Konstantinopel abzureisen.

Der „Osservatore Romano“ gibt seiner Befriedigung Ausdruck über die günstige Lösung der Frage des „nobis nominavit“, wonach künftig bei der Ernennung französischer Bischöfe das Wort „nobis“ fortfallen soll. Das Blatt bemerkt, die Lösung lasse die kanonische Lehre unberührt, die dem Worte „nominavit“ die Bedeutung der Bestimmung und nicht der Ernennung einer Person zum Bischof gebe.

Belgien.

Der König wird, nach einer dem „W. D. B.“ zugegangenen Meldung aus Brüssel, am 26. d. M. gegen 7 Uhr früh mittels Sonderzuges von Laeken über Herbesthal abreisen, in Berlin um 9 Ühr 48 Min. Abends desselben Tages A: der am 27. d. M. im Berliner Königlichen Schlosse stattfindenden Ballfestlichkeit beiwohnen und bis zum 28. oder 29. d. M. in Berlin bleiben.

Türkei.

Wie dem Wiener „Telegr.-Korresp.-Bureau“ aus Kon- stantinopel gemeldet wird, besagt cine Mitteilung der Pforte an die Botschafter der Ententemächte, das Komitee habe begonnen, die Einwohner von Ochrida zu neuen Unruhen, die im Frühjahr beginnen sollten, anzustiften, und verübe Gewalttätigkeiten. Der bulgarische Metropolit in Ochrida seße seine aufrührerishe Tätigkeit fort.

Dasselbe Bureau berichtet, der Kaimakam von BVerane habe die christlihen Vorsteher von 12 Ortschaften verhaftet, weil deren Einwohner die Zahlung der neuen Viehsteuer ver- weigerten. Die montenegrinishe Regierung habe durch ihren Geschäftsträger die Pforte ersucht, die Erhebung der Steuer einzustellen oder wenigstens aufzuschieben, da sonst im Grenzgebiet Unruhen zu befürchten seien.

Das bereits vor 14 Tagen erlassene Jrade, betreffend die Amnestie, von der die Pforte am 10. d. M. den Bot- \haftern Oesterreih-Ungarns und Rußlands Mitteilung ge- macht habe, sei bisher niht veröffentliht worden, doch solle nach türkishen Angaben die Véröffentlihung und Durhführung des Jrade bevorstehen.

Die Lieferung von 920 ungarischen Pferden für die türkishe Armee sei beendet. Ein neuer Kon- trakt auf Lieferung von 500 Pferden sei abge- {lossen worden und ein weiterer Vertragsabshluß auf Lieferung von 500 Pferden stehe bevor. Diese Lieferungen seien für die Vervollständigung der tief herabgesunkenen Pferdebestände im Bereiche des IÏ. und III. Korps in Adrianopel und Saloniki bestimmt und bedeuteten keine Kriegsvorbereitungen. Für die Vervollständigung der normalen Friedensbestände sei noch cine viel größere Anzahl von Pferden notwendig.

Bulgarien.

Die „Agence Télégraphique Bulgare“ erklärt die in der lezten Mitteilung der Pforte an die Botschafter Oesterreich- Ungarns und Rußlands gegen die Haltung Bulgariens erhobenen Beschwerden Für unbegründet und für Er- findungen der Pforte, die wahrscheinlih nur den Vorwand für Nichtdurhführung der Reformen O und die eigenen Nüstungen der Türkei sowie deren Absicht, Bulgarien anzu- greifen, verschleiern sollten.

Wie das Wiener „Telegr.-Korresp.-Bureau“ berichtet, haben die in verschiedenen Blättern ershienenen Meidungen über große Ansammlungen von türkishen Truppen bei

hervorgerufen. Die Regierung drohe, Gegenmaßnahmen zu treffen. Dem am Sonnabend erschienenen Verordnungsblatt zufolge ist eine wesentlihe Aenderung der Reorganisation der Armee insofern angeordnet worden, als sowohl bei der Jn- fanterie wie bei der Artillerie keine Dislokationsänderung vorläufig eintritt und die alte Territorialeinteilung bis auf weiteres in Kraft bleibt.

Amrerika.

Der „Agence Havas“ zufolge haben die Vereinigten Staaten Morales als Präsidenten anerkannt.

Nachrichten aus Montevideo besagen, daß die Auf- ständischen unter Saravia bei den leßten Kämpfen 500 Tote und Verwundete gehabi hätten, während die Ver- luste der Regierungstruppen nur 60 Mann betragen hätten. Das Heer der Aufständischen sei nicht stärker als 4000 Mann und Saravia sei bemüht, die brasilianishe Grenze zu ge-

winnen. Asien.

Die „Daily Mail“ meldet aus Chumbi vom 23, d. M, daß der tibetanische General, der mit einer Anzahl Lamas aus Lhassa der britischen Tibet-Expedition entgegen- gegangen sei, am 23. d. M. eine Zusammenkunft mit dem Obersten Younghusband gehabt habe. Obgleih diese freundschaftlih verlaufen sei, habe ‘fie doch nicht zu befriedi- genden Ergebnissen geführt. Die Tibetaner hätten unmögliche

Bedingungen gestellt und drohten im Falle eines weiteren | Vorrückens der britishen Expedition mit Widerstand.

Kotschani in Sofia einen sehr unangenehmen Eindruck |

Demselben Blatt wird aus Tschifu vom gestrigen Lage

telegraphiert, daß bei einem Zusammenstoß an der mand. \hurishen Eisenbahn zwischen russischen Truppen und chinesischen Räubern drei Russen getötet und ein Offizie, verwundet worden seien. Zehn Chinesen seien gefangen ge: nommen worden und sollten hingerichtet werden.

Dem „Reuterschen Bureau“ wird aus Port Arthur vom 22. d. M. gemeldet, das Gros der in Port Arthur liegenden Flotte Kbe auf Befehl der russishen Admiralität uflevBatb des Hafens seinen Standort erhalten und liege gerade an der äußeren Seite der Einfahrt. Der Befehl f für den etwaigen Eintritt jeglicher Eventualität gegeben worden. Nach einer Beratung, die die Chefs der verschiedenen Abteilungen der Verwaltung der Mandschurej am 18. d. M. abgehalten hätten, seien Befehle erlassen worden betreffend die Herstellung einer Liste aller verfügbaren Mann: schaften der mandshurischen Reserve, deren Zahl 80 000 Mam betragen sollte. Die russishen Truppen, die nach dem Norden kommandiert seien, hätten am 19. d. begonnen Port Arthur zu verlassen. Zwei Regimenter sollten am 21. und 22. im inneren Hafen eingeschisst worden sein, um nah dem Yalu zu gehen.

Dasselbe Bureau meldet aus Söul, Korea habe er klärt, im Falle eines Krieges Neutralität beobachten zy wollen, doch habe der koreanishe Gesandte in St. Peters: burg nah Söul telegraphiert, daß die russische Regierung diese Neutralitätserklärung mißbillige. /

Afrika. englishen Regierung zugegangenen Telegramm soll eine vom East Africa Syndikat aus gesandte Schürfexpedition beim Rudolf-See (Vritish: Ostafrika) durch Leute vom Stamm der Turkhana überfallen worden sein. Mehrere Weiße seien dabei verwundet worden, Nach einem Telegramm der „Times“ aus Tanger sind in Casablanca 1200 jüdishe Flüchtlinge E, die durch Plünderungen seitens der Stämme des umliegenden Gebiets alles verloren haben.

Nach einem der

Parlamentarische Nachrichten.

In der heutigen (18.) Sißung des Reichstags, welcher der Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner und der Staatssekretär des Reichs: \chazamts Dr. Freiherr von Stengel beiwohnten, begann das Haus die zweite Beratung des Reichshaushaltsetats für 1904, und zwar mit dem Etat des Reichstags. Zu den ortdauernden Ausgaben dieses Spezialetats liegt folgende von Nitgliedern der nationalliberalen Partei beantragte

Resolution vor:

„Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstag noŸ in dieser Session einen e Nu: betreffend Abänderung de Art. 32 ter Reichsverfassung, vorzulegen, N der Art. 32 der Reichsverfassung dur folgende Bestimmungen erseßt wird:

Die Mitglieder des Reichstags erhalten aus Reichsmitteln während der Legislaturperiode, und zwar so lange der Reichstag versammelt is sowie aht Tage vor Eröffnung und acht Tage nach Schluß derselben, freie Fahrt auf den Eisenbahnen und für die Dauer ihrer Anwesenheit in Berlin Anwesenheitsgelder in Höhe von 20 4 für den Tag. Der Anwesenheit in Berlin steht & gleih, wenn der Abgeordnete durch Arbeiten für den Reichstag ver hindert ist, in Berlin anwesend zu sein.

Bon den Anwesenheitsgeldern werden die Tagegelder abge rehnet, welche ein Mitglied des Reichstags in seiner besonderen Eigenschaft als Mitglied eines deutschen Landtags für dieselbe Zeit bezieht.

Die näheren Bestimmungen erläßt der Präsident des Neichstags."

Abg. Dr. Paasche (nl.): Meine politischen Freunde haben schon jeßt diesen Antrag cingebracht, weil sie es für wünschenswert halten, diese niht sehr politishe \ondern geschäftsordnungsmäßige und für den Reichstag unendlich wichtige Frage recht bald zu erledigen. Im vorigen Jahre ist darüber ausführlih verhandelt worden. Ih will nur meinem lebhaften Bedauern Ausdru geben, daß von seiten der verbündeten Regierungen bis jeyt nichts ge schehen ist, um dem von der großen Mehrheit des Reichstags geäußerten Wunsche zu entsprehen. Damals wurde mit Recht hervorgehoben, daß man vor den Neuwahlen stehe, der Reichstag also gar nicht für ih selbst sprähe. Bekanntlich wird es immer \{chwerer, Kandidaten zu gewinnen, die bereit und in der Lage sind, die großen finanziellen Opfer, die damit verbunden sind, zu übernehmen. Der Einwand, daß die Gewährung von Anwesenheitsgeldern Berufsparlamentarier und das Ueberwiegen Berliner Abgeordneter großziehen könnten, ist hon damals widerlegt worden. Das Berufsparlamentariet- tum wird eher durch die Diätenlosigkeit gesteigert, eben so die Annahme von Doppelmandaten. Auch dur die \chlechte Ve setzung des Hauses wird das Ansehen des Reichstags ges{hädigt. Wir lefen ja in den Berichten ter Journalisten, daß nur 30—35 Ab- geordnete zur Stelle waren, und man glaubt, über die faulen und pstihtwidrigen Abgeordneten den Stab brechen zu können, während die Gründe doch wo anders liegen. Es wird immer s{chwieriger, del Wahlkampf zu führen. Es ift kein Vergnügen, von einem Vrt zuil anderen zu ziehen und immer dieselbe Nede zu wiederholen. Die Aw griffe, denen man dabei ausgeseßt ist, haben für jeden anständigen Menschen etwas recht Beschämendes und Niederdrückendes. Infolge defsen wird dit e derer, die geneigt sind, den Wahlkampf aufzunehmen, immer geringe!

dur die Diäten das Ansehen des Reichstags niht ges{chmälen! werden würde, beweisen die Cinzellandtage. Ih wundere mich, do) die verbündeten Regierungen diesem Wunsche des Reichstags einen |! hartnäckigen Widerstand entgegenseßen. Der Reichskanzler hat sid auf den Bundesrat zurückgezogen. Warum nimmt dieser so wen} Nücksicht auf den Reichstag? Die gegenseitige Rücksihtnahme ist dod die notwendige Voraussetzung cines Zusammenarbeitens zwischen die|e beiden gesetzgebenden Faktoren. Jh möchte den Bundesrat bitten dem Wunsche des Reichstags endlih näherzutreten.

Abg. Gröber (Zentr.): Der Antrag ist ein alter Bekannter. Det Bundesrat würde ih ein großes Verdienst erworben haben, wen" er in der Zwischenzeit bis zum Zusammentritt des neuen Reichstags unsere frühere Beschlüsse einer Erwägung unterzogen - hätte. betrahte es als einen großen Ünterlaf nit getan hat. Der Grundsatz, jeder Arbeiter u seines Lohnes wet follte nicht bloß auf die Mitglieder des Bundesrats beschränk! bleiben. Als man Artikel 32 der ina beschloß, fonni? man noch nicht übersehen, welhe Ausdehnung die gesebgeberi Arbeit des NMeichstags gewinnen würde. Damals haben d! Sessionen eine ganz erheblich kürzere Dauer gehabt, duk die Verlängerung der Legislaturperioden aber ist die Last der Reich tagsmitglieder verdoppelt worden. Die heutige Diätenlosigkeit ha! wesentlich Schuld an der fast ständigen An gteie des Reichb-

tags. Dieser Zustand gibt es einer Minderheit, ja manchmal einett einzelnen Abgeordneten in die

Hand, auf eigene Faust die Arbeitet des Reichstags lahm zu legen. Eine ganze Reihe von Erwerbé ständen des Reichs ist im Neichstage infolge des Mangels Diäten nicht vertreten, \o vor allem der Handwerkerstand; aber al die Vertretung des Arbeiterslandes ist ganz unzulänglih. Ich versteht niht, wie gerade vom Standpunkt der Reichsregierung aué

kein Wert darauf gelegt wird, daß die füddeutschen Staaten hi im Reichstage immer ausgiebig vertreten sind; es würde d

ungsfehler, daß er F

erade dadurch der Ee in Süddeutschland gestärkt werden. Mo steckt denn eigentlich das Hindernis? Der Reichskanzler will perfönlih dem Antrag wohl. er find denn die {limmen Re- ierungen, welhe dem Gedanken widerstreben ? Bayern, Württemberg, Baden, Hessen sind für Diäten. (Ruf: Sachsen!) Sachsen allein kann mit seinen 4 Stimmen das Hindernis nicht bilden; nein, die reußishe Regierung is das Hindernis. Und der Reichskanzler feht ihr do als ihr Ministerpräsident so nahe, daß er Zas auf fie haben müßte, im Bundesrat dafür einzutreten. . Indirekt gewährt aber die E Regierung für 106 Abgeordnete Diäten dadur, daß 106 Mitglieder auch im preußishen Abgeordneten- hause fißen. Das ift feine Meich3spolitik, die wir billigen fönnten. Wir {wärmen nicht für Doppelmandate; die sind ein not- wendiges Uebel. Die Doppelmandatare können weder in dem einen noch in dem anderen Hause ordentlich arbeiten, sie müssen hin und her rennen. Die Resolution nimmt die früheren Beschlüsse des Hauses auf; wir haben das ebenso in einem Knitiativantrag getan und werden einmütig zustimmen. Wir wünschen aber auch, daß dieser Beschluß endlih zum Ziele führen möge. Die Regierung hat uns soeben selbst in der Finanzreform eine Aenderung der Reichsverfassung vorgeschlagen, die bedeutender ift als die mit dem Diätenantrag gegebene; diesen Einwand wird also die Negierung wohl niht mehr erheben können.

(Schluß des Blattes.)

Der Sq@\lußbericht über die vorgestrige Sißzung des zauses der Abgeordneten befindet sih in der Ersten und weiten Beilage.

Das Haus der Abgeordneten segte in der heutigen (4.) Sihung, welcher der Minister der geistlichen, ÜUnterrichts- und Medizinalangelegenheiten Dr. Studt, der A irie Freiherr von Rheinbaben, der Minister ür Landwirtschaft, Domänen und Forsten von Podbielski, der Minister des Jnnern Freiherr von N und der Minister der öffentlihen Arbeiten Budde beiwohnten, die erste Beratung über den Staatshaushaltsetat für das Etatsjahr 1904 fort.

Abg. Freiherr von Zedliy und Neukirch (freikonf.): Wenn man die e der leßten beiden Jahre und die Ver- mehrung der Betriebseinnahmen in den vergangenen Jahren seit der Verstaatlichung der preußischen Eisenbahnen in Betracht zieht, so wird man einigermaßen seltsam berührt, wenn man sich erinnert, daß in der Budgetkommission 1878/79 dringend empfohlen wurde, einer Verstaats- lihung der Eisenbahnen niht zuzustimmen, weil durch eine solche die Finanzen des Staats unheilvoll beeinflußt werden würden. DerEisenbahn- minister von Maybach hat sich damals nicht abhalten lassen, in der- selben Tagung des Landtags sein Programm der Verstaatlichung zu begründen und ihre Notwendigkeir darzulegen. Er war überhaupt ein Mann, der das Vollbewußtsein seiner Verantwortlichkeit im hôödsten Maße besaß und auch dem Fürsten Bismark gegenüber, was bekanntlich auch nicht gerade leiht war, allezeit ent- {lossen war, die Konsequenzen aus seinen Auffassungen zu ziehen. Er war auch in dieser Beziehung ein leuhtendes Borbild für alle künftigen Minister. Wenn diese sich ihrer vollen ministeriellen Verantwortlichkeit bewußt gewesen wären, fo wären ihnen manche Wirren und ane. Einbuße an Ansehen erspart geblieben. Die Eisenbahnübershüsse werden ja zur Deckung allgemeiner Staatsausgaben verwendet. Die Steigerung der Einnahmen läßt sich zum Teil auf die erhöhte Kohlenproduktion in Rheinland und West- falen zurückführen. Durch diese Verwendung für allgemeine Staats- zwecke werden die Eisenbahneinnahmen zu rein fiskalishen Einnahmen degradiert. Wenn der Abg. Friedberg die Abgrenzung der Cifenbahn- verwaltung von der Finanzverwaltung befürwortet bat, so halte ich diese Anregung zur Zeit doch für praktisch nicht ausführbar. Nichtiger wäre es, der ungesunden Steigerung der Einnahmeübershüsse und der Bewilligung von dauernden Ausgaben aus diesen Uebershüssen dadur vorzubeugen, daß wir mehr als bisher die Eisenbahneinnahmen für die Zwecke des Verkehrs verwenden. Man hat darauf hingewiesen, daß die Nebenbahnen zum Teil geringe oder gar keine Renten bringen. Es ist keine Bahn fo unrentabel, wie der Dortmund-Emskanal, der noch nicht den 69. Teil - von dem einbringt, was er an Verwaltungskosten, Verzinsung und Amortisation er- fordert. Die Nebenbahnen haben auch den Vorteil, daß sie den Vollbahnen einen großen Teil des Verkehrs zuführen. Das Nebenbahnneß könnte noch viel mehr ausgebaut werden, ich denke da namentlich an eine Linie Mühlhausen—Staßfurt; jedenfalls müssen wir ein ras{heres Tempo in der Durchführung und Er- weiterung unseres Bahnnetzes eins{chlagen. Eine zweite Forderung wäre die Verbilligung der Eisenbahntarife. Die bisherige Ermäßigung der Güterfrahten genügt noch nicht, namentli im Hinblick auf die Konkurrenz unserer heimishen Produktion mit dem Auslande. Was von den Wasserstraßen gilt, gilt auch von den Eisenbahnen. Die Ermäßigung der Eisenbahngüterfrachten kommt allen Teilen des Landes zugute. Jch meine also, wir sollten planmäßig mit einer Ermäßigung der Güterfrachten für die wichtigsten Produkte vorgehen, soweit es unsere finanziellen Verhältnisse irgendwie slaten, Im Neiche muß entschieden auf eine sparsamere Wirt- haft hingewirkt werden, allerdings ift dies kaum möglich, solange neue Ausgaben einfach auf die Matrikularbeiträge abgewälzt oder durch éine verfassungswidrige Zuschußanleihe gedeckt werden. Schließ- lih würde es sonst notwendig werden, die Neichsfinanzverwaltung in den Stand zu en die eigenen Einnahmen des Reichs zu vermehren, das heißt die Steuershraube anzuziehen. Hier im Parlament wird auch immer auf Ausgabevermehrung gedrängt ; im vorigen Jahre sind allein hier, namentlich vom Zentrum, neue Ausgaben gefordert worden, die in3gesamt 110 PVêillionen Mark ausmachen würden, wenn die Forderungen alle er- füllt würden, sodaß erhebliche Zuschläge zur Einkommen- und zur Ergänzungssteuer hätten gemaht werden müssen. Wir müssen die Frage erwägen, ob wir niht zu einer Quotisierunç der Einkommensteuer kommen sollen, um die Einkommensteuer aut dem Bedarf zu bemessen. Bei dem Kommunalabgabengesey hat die Ueberweisung der Realsteuern niht den Kommunen die Erleichterung Sei wie sie wirkli notwendig ist. Wir- müssen die rovinzialdotation niht nux erhöhen, sondern auch anders auf die Kreise und Gemeinden verteilen, wobei die großen Städte, die sie nicht nötig haben, auszunehmen wären. Wenn die großen Städte die Grund- und Gemeindesteuer und die Gewerbesteuer \sahgemäß reformieren würden, würden sie keine Not haben. Allerdings werden den- Gemeinden immer neue Aufgaben zu- ewiesen, z. B. durch die Ausführung des NReichsseuchengeseßes. n Frage kommt auch die Heranziehung der Gesellschaften mit beschränkter Haftung zur Einkommensteuer, wie es mit den Aktiengesellshaften geshicht. Heute besteht mehr als je die Notwendigkeit, die faastrbatlénten Kräfte zusammenzuhalten zu ge: meinsamer Abwehr und Bekämpfung der sozialdemokratishen Gefahr.

stimme dem Ministerpräsidenten durhaus darin bei , daß das Zusammenhalten der \taaterhaltenden Elemente im Parlament untereinander und mit der Regierung heute notwendiger ist als je. Der Ministerpräsident hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß er ie Erneuerung unserer Handelsverhältnisse mit dem Auslande auf der Grundlage des neuen Zolltarifs durchführen und der Landwirts» {haft den dringend notwendigen Schuß unter Berücksichtigung der nteressen der anderen Erwerbszweige erhalten will. Eine folche euregelung unserer Handelsverhältnisse würde einem großen Teil unseres Volkes das Vertrauen wiedergeben und gerade diesen staaterhaltenden Teil der Bevölkerung stärken. Die wasserwirtschaft- ide Vorlage werden wir, wie Graf Limburg-Stirum in Aussicht stellte, vom sachlichen, wirtschaftlihen Standpunkt aus unbefangen und wohlwollend prüfen und darnach unsere Entscheidun treffen. Gin gedeihlihes Zusammenwirken der gegenwärtigen ehrheit e Hauses ist do, abgesehen von den konstitutionellen Grund-

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lagen, die dafür sprehen, durchaus erwünscht. Die leßten Wahlen haben vacigt feinen Zweifel gelassen, daß h g oe Zusammensetzung des Reichstags wie des Abgeordneten- auses der wirklichen Stimmung und dauernden Auffassung der Be- völkerung entspricht. Die leßten Wahlen sind ohne jede Einwirkung der Staatsregierung vor sich gegangen. Die Verwaltungsbeamten haben \ich zurückgehalten in einer Weise, daß sie selbs ihren eigenen perfönlihen Einfluß als Wähler und Wahlmänner nicht haben einseßen dürfen. Die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses zeigt, daß wenigstens in N der bürgerliche Liberalismus als folher keine Bedeutung mehr auf dem politishen Schachbrett hat. (Widerspruch links.) Das mag Ihnen (links) unangenehm sein. Im Neichstage ist es doch ebenso, und wenn Sie sich auf das Reichstagswahlreht berufen, so werden Sie von den Sozialdemokraten noch mehr aufgerieben werden als bisher. Ich halte diese Erscheinung insofern für keine erfreuliche, als die Verluste der bürgerlichen Be im wesentlihen der Sozialdemokratie zugute kommen. ieses Bedauern hindert mich aber nicht an der Anerkennung der Tatsache, daß der bürgerliche Liberalismus als solcher keine politische Potenz mehr bei uns ist; er erinnert mich an die Bezeichnung, die der Fürst Bismark den österreihishen Liberalen zu teil werden ließ, als er sie Herbstzeitlofse nannte, weil sie immer zu unrehter Zeit fich auf die falsche Seite wendeten. Der Liberalismus hat nur dann eine Berechtigung, wenn er national ist. Wir hoffen, daß dieser Gesichtspunkt mit der Zeit immer mehr unter dem Druck der Ver- hältnisse bei den Nationalliberalen der entscheidende werden wird. Die nationalliberale Fraktion ist wohl an den leßten unliebsamen Erscheinungen selbst huld. Sie haben sich in die Kanalidee verraunt ; lernen Sie (zu den Nationalliberalen) erst die Kanalfrage niht durch politische Fragen verdunkeln, treten Sie wieder objektiv an sie heran, dann werden Ste auch hier wieder im Hause an Bedeutung gewinnen. Wahrheiten sind ja immer bitter. Die Sozialdemokraten sind nicht die richtigen Vertreter der deutschen Arbeiter; diese sind hier durch andere, ¿. B. den Abg. Stößel, vertreten. Wenn die Sozialdemokratie eine wirkliche Arbeiterpartei im Sinne der Hirsh-Dunckerschen Nichtung wäre, dann wäre sie auh hier stärker vertreten. Mit dem jeßigen Wahlrecht müssen wir im allgemeinen zufrieden sein und warten, bis es gelingt, eine Mittellinie zwischen Neichstags- und Landtagswahlrecht zu finden. Die riesengroßen Wahlkreise müssen geteilt werden unter E Vermehrung der Abgeordneten. Wir stimmen dem zu, ob- wohl wir wissen, daß die Vermehrung der Mandate nahezu aus- \{ließlich der Linken zugute kommen würde. Andererseits muß aber auch den übrigen Wablkreisen ihre gegenwärtige Vertretung im Abgeordnetenhause als ein Recht gewährleistet werden. Die Dritte- lung in den Urwahlbezirken hat manche Ungeheuerlihkeiten ge- zeitigt, welche das Dreiklassenwahlsystem in der öffentlichen Meinung diskreditiert haben. Wir sind gern bereit, eine Abhilfe zu schaffen ; ferner wollen wir die Unbequemlichkeiten beseitigen, die mit den Wablmännerwahlen verbunden find, und zwar in den aroßen Wahlkreisen. Auf dem Lande und in den [kleinen Städten kann es bei dem bisherigen Modus verbleiben. Es muß auch in Preußen alles ges{hehen, was die fozialdemokratische Propaganda in Schranken halten und ihr entgegenwirken kann. Wir müssen erwägen, ob unsere Einrichtungen fo beschaffen sind, daß sie der Sozialdemokratie einen Wall und Niegel vorshieben können. Die idealen Güter, die Herr Bachem in der Volksschule pflegen will, gehen fofort wieder verloren unter dem fozialdemokratishen influß, sobald dieSchule verlassen ist. Die Fortbildungs\chule, die jeßt diese Lücke nah dem Verlassen der Volks\{hule ausfüllen foll, legt zu entsheidenden Wert auf die Gewinnung der nüßlihen praktischen Kenntnisse für das Leben ; deshalb ist es eine dringende Aufgabe für die Negterung, dafür zu sorgen, daß Gottesfurcht und Vaterlandsliebe auc in der Fortbildungs- schule gepflegt werden. Praktishe Vorschläge zu machen, unterlasse ih, weil ih ein zu entschiedener Gegner des Dilettantismus in Kunst nnd Politik bin. In bezug auf das Vereinsrecht müssen wir erwägen, ob niht die bereits im Jahre 1879 von diesem Hause angenommene Bestimmung erlassen werden soll, daß von Vereinen und Versammlungen alle Minderjährigen aus- geflossen sind. Die Ueberwachung der polnischen Versammlungen ist im nationalen Interesse notwendig, aber im einzelnen ist doch wohl nicht immer richtig verfahren worden. Wir vernachlässigen die Schulung unserer deutschen Bauern, denen es schwer wird, thre Kinder in “die Schule zu \chicken. Deshalb haben wir die Ostmarkenzulage für die Lehrer im vorigen Jahre bewilligt. Die ganze Ansiedelungstätigkeit nüßt nichts, wenn die Leute fortgehen müssen, weil sie ihre Kinder nicht in die Schule hicken können. Herr Friedberg hat bereits auf die Ver- mehrung der Beamten bei den Kollegialbehörden hingewiesen. Unsere Staatseinrichtungen müssen musterhaft sein, aber es wird sich jeßt fragen, ob wir niht die Staatsverwaltung, die für ganz andere Verwaltungszweige, als wir heute haben, geschaffen worden ift, dur größere Dezentralisation in die Kreise und Gemeinden anders einrichten follen, indem wir dieEntscheidung in die erste Instanz legen. Wir müsse verhindern, daß Beamte ihre Berufsfreudigkeit verlieren aus Mangel an Beförderung. Der Kultusminister hat in dankfenswerter Weise die Borlage eines Schulunterhaltung8geseßes tunlihst für die nächste Session zugesagt. Wir haben den Antrag eingebraht, cinen folchen Geseßentwurf möglichs bald vorzulegen, und wir werden trotz der Ankündigung des Ministers daran festhalten, um als- bald Klarheit über diese Frage zu schaffen. Wenn Herr Bachem vorgestern wiederum den konfessionellen Charakter der Volkss{hule in den Vordergrund stellte, so müsscn wir zunächst versuchen, ob wir nicht ohne große Zerwürfnisse unter den staaterhaltenden Parteien der Volks\{hule eine feste geseßliche Grundlage durch ein Schulunterhaltungsgeseß geben können. Was zur Erfüllung dieser Aufgabe etwa fehlen follte, werden wir gern aus Staatsmitteln bewilligen; denn die Gemeinden müssen unterstüßt werden, damit unser Volkss{hulwesen auf die Höhe gehoben werden kann.

Hierauf nahm der Minister des Jnnern Freiherr von Hammerstein das Wort.

(Schluß des Blattes.)

Sir. 4 des „Zentralblatts für das Deutsche Reich“, herausgegeben im Yeihs8amt des Innern, vom 22. Januar 1904, hat folgenden Inhalt: 1) Konsulatwesen: Ermächtigung zur Vornahme von Zivilstands8akten. 2) Medizinal- und Veterinärwesen : Bekannt- machung, betreffend die Denaturierung niht zum Genusse für Menschen bestimmten Fleisches. 3) Zoll- und Steuerwesen: Erweiterung des Gre VCnges in Hamburg. Zulassung gemischter Privattransit- ager für Bau- und Nußholz in Karlsruhe. 4) Polizenwesen : Aus- weisung von Ausländern aus dem Neichsgebiet.

Nr. 2 des „Eisenbahn - Verordnungsblatts", heraus- gegezen im Ministerium der söfentlihen Arbeiten, vom 23. Januar at folgenden Inhalt : Bekanntmachung des Reichskanzlers, betr. die dem Internationalen Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr beigefügte Liste, vom 7. Januar 1904. Erlasse des Ministers der öffentlichen Arbeiten: vom 2. Januar 1904, betr. die für den Staats- eisenbahndienst anerkannten technischen Fahschulen; vom 10. Januar 1904, betr. staatlihes Aufsichtsreht über die im preußishen Staats- tra gelegene Teilstreke der Eisenbahn von Heppens (Wilhelms- aven) nach Oldenburg; vom 11. Januar 1904, betr. Abänderung der Os für das Deutsche Neih vom 9. Juni 1897; vom 12. Januar 1904, betr. Allgemeine Bedingungen für den Wagenüber- gang auf Neben- und Kleinbahnen; vom 13. Januar 1904, betr. Gebührenfreiheit des Fittus des hessishen Staats sowie der öffent- lihen Anstalten und Kassen. Nachrichten. ?

Statistik und Volk8wirtschaft.

Die Dur(hschnittspreise der wichtigsten Lebens- und Futtermittel

betrugen im Kalenderjahr 1903 in Preußen nah der „Stat. Korr." für 1000 kg: Weizen 154 (im Kalenderjahre 1902 161) 4, Noggen 132 (142) 4, Gerste 137 (139) A, Hafer 134 (154) M, gelbe Erbsen zum Kochen 239 (245) 4, weiche Speisebohnen 283 (260), Linsen 352 (373) 4, Eßkartoffeln 53,2 (45,7) 4, Nichtstroh 40,5 (55,8) M6, Heu 53,9 (65,4) 4, Rindfleisch im Großhandel 1136 (1096) 4; im Kleinhandel für 1 kg: NRindfleisch von der Keule 1,42 (1,40) 4, vom Bauche 121 (1,19) , Schweinefleisch 1,39 (1,50) 4, Kalbfleisch 1,43 L M, Hammelfleish 1,40 (1,33) #6, inländishen geräucherten Spe 1,65 (1,75) Æ, CEßbutter 2,30 (2,29) A4, inländishes Schweineschmalz 1,67 (1,73) #, Weizenmehl zur Speisebereitung 30 (30) §, Roggenmehl 25 (26) 9; für 1 Scho Gier 3,84 (3,86) M

Die Durchschnittspreise aus den 23 bedeutendsten preußischen Marktorten find im Kalenderjahre 1903 gegen 1902 beim Weizen um 7, beim Roggen um 10, bei der Gerste um 2 und beim Hafer um 20 A. zurückgezangen. Die Preisrückgänge beziehen fich beim Noggen und Hafer auf sämtliche Marktorte, während beim Weizen in KösUn und bei der Gerste in Bromberg, Frankfurt a. O., Kiel, Hanau und Koblenz auch geringe Preiserhöhungen zu verzeichnen Be Die bedeutendsten Pretsermäßigungen betragen beim Weizen: in Kiel 14, in Posen 12, in Gleiwiß, Görliß und Stralsund 11, in Danzig, Bromberg und Magdeburg 10 4; beim Roggen: in Bromberg 18, in Danzig 16, in Frankfurt a. O. 15, in Posen und Görliß 14, in Königsberg i. Pr. Köslin, Breslau, Stettin, Stralsund und Magdeburg 13, in Halle a. S_12 4; beim Hafer: in Königs- berg i. Pr. und Aachen 30, in Trier 29, in Koblenz und Neuß 28, in Cassel 24, in Magdeburg 23, in Danzig, Paderborn und Hanau 22 4 Von den Hülsenfrüchten zeigen weiße Speise- bohnen fast überall Preiserhöhungen, während Lihé Kocherbsen und Linsen nachgegeben haben; ebenso find die Preise für Stroh und Heu durchweg niedriger als 1902. —. Die Eßkartoffeln waren im Berichtsjahre in fast allen Marktorten teurer als im Vorjahre. Auch die Preise für Nindfleish im Großhandel sowie für Nind-, Kalb- und Hammelfleisch im Kleinhandel haben Erhöhungen er- fahren, während Shweineflei \ch, geräucherter inländisherSpeck und inländishesSchweineschmalz billiger waren. Die Preisrückgänge beim Schweinefleisch betragen: in Königsberg i. Pr. 35, in Kiel und Neuß 18, in Köslin und Bromberg 16, in Danzig und Halle a. S. 15, in Görliß und Stralsund 14, in Breslau und Aachen 12, in Stettin 10, in Koblenz 9, in Berlin, Hannover und Oênabrück 8, in Frankfurt a. D., Magdeburg, Cassel, Hanau und Trier 7, in Gleiwiß 2 4. Die Durchshnittspreise für Eßbutter, Mehl und Eier haben sich nit nennenswert verändert.

Gewerblihe Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor dem Gewerbegerichht in Berlin. In der Zeit vom 1. April 1902 bis zum 31. März 1903 waren bei dem Gewerbegeriht in Berlin niht weniger als 11 739 Klagen eingegangen. Hiervon wurden vor Abhaltung des ersten Termins 685 erledigt, sodaß für die Nechtssprehung 11 054 Klagen verblieben. Von diefen wurden die meisten, 5747, dur Vergleich erledigt, 6 dur Verzicht im Sinne des § 306 der Z.-P.-O., 1547 durch Zurücknahme oder Nubhenlassen der Klage, 617 Klagen wurden an das Innungs- \chiedsgeriht abgegeben. Ferner wurden erledigt: 41 durch Aner- kennung8urteil, 1357 durch Versäumnisurteil; durch kontradiktorishes Urteil fanden 999 Klagen ihre Erledigung, und zwar 519 mit rund 460 obne Beweisaufnahme und 20 nah CEidesableistung einer Partei. 770 Klagen waren am Ende des Berichtsjahres noch nicht erledigt.

Wahlstatistik für 1903.

Von der beim Erscheinen der „Vergleichenden Uebersicht der Neichs- tag8wahlen von 1898 und 1903“ in Aussicht gestellten ausführlicben Waklstatistik für 1903 is soeben der erste Teil als besonderes Er- zänzungsheft ju den „Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs“, 1903 IV, zur Veröffentlihung gelangt. Bielfach geäuße ten Wünschen entsprechend, bringt die amtliche Statistik diesmal die Stärke der Wahlbeteiligung und den Anteil der einzelnen Parteien an dea abgegebenen gültigen Stimmen nicht nur für die eiazelnen Wahlkreise, E auch für die einzelnen Regierungsbezirke und Provinzen fowie ür die Einzelstaaten und das ganze Neich in Verhältniszahlen zur Veranschaulihung. Das bereits der Statistik der Neichstagëwahlen von 1898 beigegebene Verzeichnis der gewählten Abgeordneten und ihrer Gegenkandidaten hat insofern eine Frweiterung erfahren, als es die ein» zelnen Wahlkandidaten nunmehr niht rur, wie früher, nah Wahlkr-ifen, sondern, um ihre Auffindung leichter zu ermöglichen, auch in alphabetischer Reibenfolge aufzählt und bei jedem einzelnen Kandidaten nahweist, in welchen Wahlkreisen überhaupt auf ihn (über 25)gültige Stimmen gefa!len sind, und in welchem Kreise er in der Haupt- oder in der engeren Wabl die absolute Majorität erreit hat. Eine in zehn Farben ausgeführte Beilage veranschauliht, und zwar nicht, wie bisher, in kartographischer, fondern in einer weit übersichtliheren {hematischen Darstellung, welche Parteien in den einzelnen Wahlkreisen bei den Haupt- bezw. engeren Wahlen die meisten Stimmen auf sih vereinigt baben. Der zweite Teil der Wahlstatifstik, in dem die Wahlergebnisse von 1903 nament- lih mit Rücksicht auf Stadt und Land dargestellt werden follen, be- findet sich bereits in Bearbeitung und wird in einiger Zeit nachfolgen.

Zur Arbeiterbewegung.

Zur Lohnbewegung der Bureauangestellten der Berliner Nechtsanwälte (vgl. Nr. 287 v. I. d. Bl.) teilt die „Voss. Ztg.“ mit, daß am FreitageineVersammlung stattfand, an der sämtliche Berliner Berufsvereine teilnahmen, um zu dem Negulativ zur Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse Stellung ¿zu nehmen. Nach leb» hafter Aussprache beauftragte die Versammlung die Delegierten mit Ueberreihung einer Eingabe an den Vorstand des Berliner Anwaltvereins. Es wird ein korporativer Arbeitsvertrag verlangt, der in der Hauptsache folgende Forderungen enthält: Einführung eines s{riftlihen Lehrvertrages. Bei einem bis drei Anzestellten wird ein Lehrling, darüber hinaus werden zwei Lehrlinge gehalten. Mindestmonatsgehälter für Lehrlinge in den ersten drei Jahren 25 bis 50 #, für Gchilfen 60 bis 100 „s; Bureauvorsteher 125—150 4; Arbeitszeit aht Stunden tägli ; vier« wöchige Kündigung; ein Urlaub von 14 Tagen jährlih; Stellen» vermittelung auf paritätisher Grundlage. Ueber Streitigkeiten ent- scheidet eine aus gleichen Teilen Arbeitgeber und Arbeitnchmer gebildete Sdlihtungskommission.

In Prag sind, wie die „Deutshe Warte“ erfährt, die Be- diensteten der elektrishen Straßenbahn wegen Lohns diffferenzen in den Ausstand getreten.

Kunst und Wissenschaft.

A. F. Anknüpfend an die von den Anthropologen in neuester Zeit mit \o großem Eifer verfolgte Spur zu den Menschen der Urzeit, wie sie. in den von Menschenhand bearbeiteten und benußten Feuer- steingeräten und -waffen gegeben ift, sprach Geheimrat Friedel in der leßten Versammlung der „Brandenburgia®“ über Eolithe, Paläolithe und Neolithe. Die Reibenfolge dieser Bezeichnungen ift dahin zu verstchen, daß mit den Eolitben die ersten Anfänge der Benußung des sich dem Menschen in kleinen, wehr oder weniger bkandlihen Stücken, ursprünglib als Ginschlüsse ia Kreide und anderem Gestein, darbietenden Feuertew® gemeint find,

aläolithe aber einer verbesserten Anwendung eoteéfelben Materials in derjenigen Zeit entsyrehen, die wir als die, ältere Steinzeit bez zeichnen, und Neolithe im gleihen Sinne dec“ fortgeschrittensten An«

wendung in dex von dex Kupfer- und Bronzeepoche .abgelösten,