was der Reichstag vor sein Forum zu ziehen hat. Jch freue mich darüber, daß heute völlig Ülargelegt ist, daß die Stellung der preußischen Minister in dieser Frage über jeden Zweifel erhaben ist und |owohl der Staatsraison wie den Geseßen entspricht. Ich freue mich, MITSE Eindruck aus den Erklärungen der Minister hervorgegangen ist. Db der Tatbestand eines Vergehens in den Preßerzeugnissen vorliegt, werden die Gerichte entscheiden, und wir haben das Vertrauen, daß es nah Recht und Gefey geschehen wird. Daß die Staatsanwaltschaft, noch bevor ein Strafantrag vorlag, zu Verhaftungen ritt, war volllommen E faftu und entsprach der Praxis, in dringenden Fällen sofortige Ver-
aftung vorzunehmen. Es hieße einer praktishen Handhabung des eseßes Hohn sprechen, wenn man erst einen Strafantrag abwartete und der Verbrecher inzwishen davon ginge. Die Stautsanwaltschaft fonnte eben annehmen, daß ein \trafbarer Tatbestand vorlag. Was die Stellung des Ministers des Innern betrifft, #o stehen die Auslieferungen und Ausweisungen auf gefeylichem Boden. Der Minister hat nachgewiesen, daß die Annahme, die Ausländer würden an eine bestimmte Grenze geliefert, niht begründet ist. Es wird dem Ausländer ledigli gesagt: Du hast Dich lästig gemacht, mach’, daß Du aus dem Lande kommst; sonsi müssen wir Dich hinaus- bringen. Daß man Anarchisten nah demjenigen Lande ausweist, das die Güte gehabt hat, sie uns zuzustellen, is gerechtfertigt. Die Auskieferungsverträge werden vimén den Staatsoberhäuptern ab- ges{lofsen, und wir find niht berechtigt, da irgenwie Kritik zu üben. Jh habe aus den Verhandlungen im Reichstage nihts entnehmen fönnen, was eine Aenderung des Vertrags mit Rußland veranlassen könnte. Daß der praftilde Zweck der Auslieferungs- verträge verfehlt wäre, habe ih nit sehen können. Die polizeiliche Bewachung der Anarchisten ist der Kern der Frage. Sie hat in erster Linie dur unsere Polizeiorgane zu erfolgen, aber sahgemäß und zweckmäßig ist es, daß bei der Ueberwachung dieser Elemente die Behörden des Landes, aus dem sie stammen, mitwirken. Wir haben in Preußen russishe Beamte, um diese Elemente zu überwachen, da sie die Persönlichkeiten viel besser kennen und ihre Tendenzen besser beurteilen können als wir; aber selbstverständliÞh muß diese aus- wärtige Mitwirkung zur Unterstüßung unserer eigenen Polizei- organe s\ich unbedingt im Rahmen unserer Geseße halten. Mer den ernsten Willen hat, daß der Gesellschaft, die unsere ganze bürgerlihe Rehtsordnung umstürzen will, wirksam zu Leibe gegangen wird, muß mir beistimmen. Es handelt sih nicht um eine Liebe- dienerei gegen Rußland, sondern die Angelegenheit berührt alle Staaten, auch uns vice versa. Wir haben ebenfalls in anderen Ländern unsere Organe, die die deutshen Anarchisten überwachen, damit es nitt erst zu so furdtbaren Verbrechen kommt. Was die Leute wollen, die Erregung des Schreckens, Fürstenmord, Durhbrehung aller Rechts- ordnung, find so verabsheuungswürdige Dinge, daß alle geseßlich zu- lässigen Mittel dagegen anzuwenden sind. Wir wollen und können nicht so lange warten, bis es zu Verbrehen kommt. Das ist der Stand- punkt des gesunden Menschenverstandes und des natürlichen Rechts, und von diesem Standpunkt braucht si die Regierung ebenso wie wir in keiner Weise abdrängen zu lassen. Was da geschieht, ist inter- nationales und natürlihes Necht, und ih kann deshalb mit den Aus- führungen des Ministers des Innern im wesentlichen einverstanden sein. Aber ih möchte die Regierung bitten, au gegenüber den fozialdemo- kratishen Bestrebungen, die hier mit denen der Anarchisten vôllig durch- einander gehen, die Konsequenzen zu ziehen, die gegen die Anarchisten gezogen sind. Es ist das Necht unferes Staats, es niht so weit ommen zu lassen. Unsere Bevölkerung erwartet, daß die Regierung beizeiten alle Energie anwende, um diesen Zweck zu erreichen. Die Regierung kann überzeugt sein, daß sie für ihren heutigen Stand» p E Mehrheit der deutshen Volksvertretung unbedingt auf ihrer eite hat.
Abg. Peltasohn (fr. Vag.) nimmt feinen Kollegen Schrader,
der Aeußerungen der Minister zitiert hat, in Schuß.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Es bedarf wohl kaum der Versicherung, daß ich niht die Absiht hatte, die Haltung des Herrn Abg. Schrader im Neichstage in dieser Frage mit derjenigen der sozialdemokratishen Ab- geordneten zu identifizieren. Ich habe nur hervorheben wollen, daß auch ein dieser Partei nicht angehörendes Mitglied des Hauses die Sade eiwas zu harmlos aufgefaßt hat, vielleicht gerade geleitet und irregeführt durch die Darstellungen, die vorher von sozialdemokratischer Seite gegeben waren. Im übrigen weiß ich den Unterschied zwischen der politishen Stellung des Herrn Abg. Schrader und der sozial- demokratischen Partei sehr wohl zu würdigen.
Mit zwei Worten möchte ich zurückommen auf Ausführungen des Herrn Abg. Oeser, dem auch ih gern das Zeugnis gebe, daß er sih in überaus ruhiger, sahlicher und bejonnener Weise zu der vor- liegenden Frage geäußert hat. Wenn er angedeutet hat, daß ih dur meine sachlihen Darlegungen das Urteil des Gerichts möglicherweise habe beeinflufsen können, fo fage ih: ih war gewissermaßen in einer Zwangs lage. * Ih mußte, um die Sache aufzuklären, gewisse Dinge von den Ergebnissen der Untersuhung hier mitteilen. Jh habe Jhnen erklärt, daß ich mir wohl bewußt sei, welche Zurückhaltung ih mir dabei aufzuerlegen habe, und möchte glauben, daß ih die mir gebotene Grenze nit überschritten habe. (Sehr richtig! links.)
Dann hat der Herr Abg. Oeser gemeint, auch für Fremde sei es geboten, daß sie der Garantien, die die Strafprozeßordnung gibt, teil- haftig werden. Meine Herren, das geschieht in vollem Maße; Fremden, die in eine \trafrechtlihe Untersuhung gezogen werden, stehen dieselben Garantien zur Seite wie jedem Deutschen und jedem Preußen. Darüber ist gar kein Zweifel. Ich möchte aber glauben, daß der Herr Abg. Oeser hierbei an Fälle gedaht, wo Hausfuhungen vorgenommen sind, ohne daß ein gerichtlihes Strafverfahren gegen die betreffenden Personen geschwebt hat, zur Vorbereitung von Ausweisungen durch die Polizei. Solchen Haussuhungen gegenüber, die nicht in einem s\trafgericht- lihen Verfahren, sondern nur in dem der Polizei geseßlih zustehenden administrativen Verfahren vorgenommen sind, findet, wie meines Wissens au in der Rechtsprehung des Oberverwaltungsgerichts an- erkannt ist, die Berufung auf die Schugzbestimmungen der Strafs- prozeßordnung nicht statt. Käme es zu einem Strafyerfahren gegen die Personen, dann würden sie, wie gesagt, sih desselben Schutzes wie alle Inländer erfreuen. (Bravo!)
Abg. Freiherr von Zedliy und Neukirch (freikons.): Sowohl die Justize wie die Polizeibehörde ift als vollkommen gerechtfertigt aus diesen Fällen hervorgegangen. Die Angaben der sozialdemokra- tischen Prefse sind Fluukereien, und darin liegt System. Diese Methode kann nit genug stigmatisiert werden. Die Tätigkeit aus- ländischer Polizeiagenten muß man auf ein möglichst geringes Maß einshränken, besonders nah der Richtung, daß sie erstens ihre Nach- forshungen nicht auf deutshe Staatsangehörige erstreden und zweitens nur in den Grenzen der Geseßgebung unseres Landes vorgehen. Die Mitteilungen des Ministers Lifen die antizarische Bewegung als Anarchismus dargestellt, der den Terror, den Mord vom Höchsten bis zum Niedriasten will. Wer bei uns solchen revolutionären Be- \trebungen die Wege weist, der tut das niht bloß für Rußland, und deéhalb müssen wir für uns den Rückshluß aus jener Bewegung zieben, daß die Sozialdemokratie, wenn wir in kriegerishe Ver- widelungen geraten sollten, diese Zeit dazu benußen wird, ihre revolutionären Bestrebungen zur Geltung zu bringen. Das ift für die Beurteilung der Lage und das Verhalten der Behörde von gröpier
Bedeutung. Die Verhältnisse in Deutschland fordern uns auf, alle Vorsichtsmaßregeln gegen die Sozialdemokratie anzuwenden, fonst
werden wir Gefahren für unseren Staat und unseren König hervor-
rufen.
Abg. Dr. Friedberg (t) Die Ausführungen des Ministers ergeben, daß die Staatsanwaltschaft ein gutes Recht zu ihrem Vor- gehen batte. Snteressant war die Mitteilung, daß die Hauptbeteiligten Sozialdemokraten sind. Es hat mich außerordentlich interessiert, wie eingehend der Minister des Innern die Fälle behandelte, und frappiert hat mich dabet, es Minister erklärte, daß keine Beshwerde an ibn gelangt sei. Wir alle stimmen darin überein, daß die Ueber- wachung ausländischer Anarchisten notwendig ist. Nach den Aus- führungen des Ministers ist hierbei gerade gegenüber der akademischen Sugend sehr vorsihtig verfahren, und das ist ‘um so mehr an- zuerkennen, als der Anarhismus unter den russischen Studenten ver- breitet ist. Wenn Dr. Mieczeslarw ih weigert, zur Aufklärung in eigener Angelegenheit beizutragen, fo muß ih annehmen, daß wir es mit einem Gebilde sozialdemokratisher Phantasie zu tun haben. Es kommt darauf an, daß die verständigen, gesunden Elemente in unserem Vaterlande die Ueberzeugung erhalten, daß unsere Regierun a: Necht. und Billigkeit verfährt, und diese Ueberzeugung werden fte na den heutigen Verhandlungen haben.
Damit {ließt diese Debatte.
Das Haus wendet sih dann zum Etat selbst.
Zu den Einnahmen aus den Gerichtskosten, die mit 81 400 000 M angeseßt sind, bemerkt
Berichterstatter Abg. Dr. Am Zehnhoff (Zentr.): Die Zahl der Richter im Verhältnis zur Bevölkerung und zum Wachstum der Geschäfte hat fich nit erhöht, Viibera vermindert. Der Anteil des Justizetats an den Gesamtausgaben des Staates ist bei weitem niht mehr so groß wie früher und viel zu gering im Vergleich mit den Ausgaben für das Ministerium des Junern, dessen Ausgaben drei- bis viermal so groß geworden sind, während seine eide 5 hig niht in dem Maße zugenommen haben, wie die der Justiz. Die Zahl der Hilfsrichter ist noch verfassungswidrig hoh. Die ÜUeberbürdung der Richter ist bekannt, sie könnten von manhen Formalien bei Abfassung der Urteile befreit werden. Die Einnahmen aus den Gerichtskosten soUten im Etat spezialisiert werden; es müßten besonders aufgeführt werden die Kosten der bürgerlihen Streitigkeiten, der Strafsachen, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der ZwangsvolUlstreckungsfachen.
: Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Die eingehenden Darlegungen des Herrn Referenten lassen in erfreuliher Weise das hohe Interesse erkennen, welches der, selbe an der Hebung der Justiz und ihrer Angehörigen nimmt. Ich kann ihm dafür nur meinen verbindlihen Dank aus\sprehen. Db aber die Wünsche, die derselbe ausgesprochen hat, sich alle erfüllen laffen, ist cine andere Frage. Im praktischen Leben müssen wir niht nur mit dem Wünschenswerten, sondern auch mit dem Erreichbaren renen, und das deckt sich nicht immer.
Bezüglich der Zahlen, die der Herr Referent mitgeteilt hat und die si beziehen auf die Frage, inwieweit die Ausgaben für die Justizverwaltung und die vom Staate geleisteten Zuschüfse in den leßten 20 Jahren — glaube ich — #ch entwickelt haben, muß ich mir die Bemerkung gestatten, daß diese Zahlen ih niht genau decken mit den von meinem Herrn Referenten in der Kommission mitgeteilten Zahlen. Dasselbe gilt auch von der Frage, in welchem Verhältnis die Stellenvermehrung der leßten zehn Fahre — glaube ih — zu der Vermehrung der Bevölkerungs8zahl steht. Jch muß Wert darauf legen, damit diese Zahlen niht etwa nun als unwidersprohen in den \tenographishen Bericht übergehen, daß meinem Herrn Referenten gestattet wird, demnächst hier eine kleine Rihhtigstelung vorzunehmen, ohne damit dem Herrn Referenten der Kommission irgendwie zu .nahe treten zu wollen.
Meine Herren, die Frage der ungenügenden Befezung der Gerichte bildet für mich seit vielen Jahren einen Gegenstand der lebhaftesten Sorge, und ich glaube, es wird mir von denjenigen Herren, die diesem Hause {hon länger angehören, das Zeugnis niht versagt werden, daß ih nah Kräften bemüht gewesen bin, für eine Vermehrung der Richter- stellen bei den' Gerichten aller Instanzen überall zu forgen. Wenn das nit iy genügendem Umfange bisher gelungen ist, so spielen eben da Faktoren mit, die auch ihre Berehtigung haben, und Rücksichten, denen auch die Justizverwaltung fich nicht entziehen kann. Jch kann aber das Zeugnis dem Herrn Finanzminister, gegen den vielleicht diese Be- merk ungen sich richteten, niht versagen, daß er in immer weiter gehendem Maße meinen Wünschen entgegengekommen ist, und daß er mir auch die Zusierung erteilt hat, auf diesem Wegè weiterfort- zufahren, insbesondere auch für die nähsten Jahre mit der not- wendigen Vermehrung der Richterstellen seinerseits mir tunlihst ent- gegenzukommen. (Bravo!)
Meine Herren, als in diesem Jahre der Etat festgestellt wurde, sahen \ich die Finanzverhältnisse noch niht so günstig an, wie fie sich seitdem entwickelt haben. Mit der damals viel weniger günstigen Be- urteilung der Finanzlage mußte selbstverständlich von allen Ressorts ge- rechnet werden, und es ergab \ich als selbstverständlihe Konsequenz, daß jedes Ressort gewisse Einshränkungen sich aufzuerlegen hätte und von den aufgestellten Forderungen etwas nachlassen müßte. Ih hoffe, daß eine Aufbesserung unserer Finanzen, die uns ja in Aussicht ge- stellt ist in der großen Etatrede des Herrn Finanzministers, diesem es erleihtern wird, dem wirklihen Bedürfnis weiter zu genügen, um einen Zustand zu beseitigen, der nicht mit Unrecht vom Herrn Neferenten als ein den Bestimmungen der Verfassung nicht ganz ent- sprechender hingestellt worden ist.
Die Anregung be;üglich der Rangverhältnisse der Justizbeamten möchte ih am liebsten mit Stillshweigen übergehen; es ist das, wie {hon in der Kommission ausgesprochen worden ist, ein heikler Punkt. Wenn bei einem Ressort angeseßt wird, kommen gleih alle andern Ressorts herbei und wünschen mindestens das Gleiche, womöglih noch etwas mehr. Es hat immer seine Bedenken, da die Hand anzulegen, und man sollte cs, wenn es nicht dringend notwendig ist, niht tun, wenn man nit des Erfolges sicher ist. Wenn ih des Erfolges sicher wäre, würde ih es an mir niht fehlen lassen; aber vorläufig liegt die Sache nicht so.
Wegen der größeren Spezialisierung der Kosteneinnahmen, die gewiß von großem Interesse ist au für die Mitglieder des Landtags, habe ich bereits Anordnungen getroffen — die Verfügungen gehen in diesen Tagen an die Provinzialbehörden herunter —, daß für das nächste Etatsjahr, vom 1. April d. J. bis 31. März des nächst- folgenden Jahres, eine genaue, spezielle ftatistishe Aufstellung der zur Erhebung kommenden Gerichtékosten sowohl wie auch der Notarials- gebühren erfolgt, und ¿war in einer solchWen Weise, daß dadur eine zuverlässige Grundlage zur Beurteilung der Wirkungen der Kosten- geseße gewonnen werden kann. Es ist das eine gewaltige Arbeit, cs wird viel Arbeitskräfte in Anspruch nehmen; ih habe es aber für notwendig gehalten, mich den Wünschen, die aus diesem hohen Hause wiederholt laut geworden find, niht entgegenzustellen, und werde das Meinige tun, damit Sie im Laufe vielleicht der nächsten
Session, wenn sie in den Sommer hineingeht, das Ergebnis dieser statistishen AufzeiGhnungen erhalten. Noch lieber wäre ès mix freilich, wenn die nächste Session niht ¿n den Hochsommer hinein, geht, denn es ist im allgemeinen niht erwünscht, daß man dann noh hier sißt.
Was der Herr Referent in bezug auf die Erleichterung der Nichter in gewissen mehanishen Arbeiten bemerkt hat, ist gewiß in hohem Grade beahtenswert. Auch da sind aber gewisse Schranken gezogen, und vielfa gehen die Wünsche doch über das hinaus, waz nach dem Gese zulässig ist. Den Hauptangriffspunkt haben in früheren Jahren die Kostenfestsezungsbeshlüsse gebildet, eine wahre Plage für jeden Richter, der damit zu tun hat, besonders für unsere Amtsrichter, die einen großen Teil solcher Beschlüsse zu bearbeiten haben. Aber ih habe Erleichterungen nah der Richtung hin \{on gewährt; ich habe im “vorigen Jahre gestattet, daß einfache Kostenfestsezungsbeshlüsse bearbeitet und vorgelegt werden von Ge, rihts\{reibern, und glaube, daß davon in ziemlihem Umfange Gebrau gemaht worden ist. Es sind auch großen Gerichten besondere Hilsskräste dafür bewilligt. Aber die s{ließlihe Verantwortlichkeit kann den Richtern nit abgenommen werden; es bleibt also unter allen Umständen die Pflicht auf ihnen ruhen, daß sie das, was ihnen vorgelegt wird, nahprüfen und sich von der Richtigkeit überzeugen. Daß in gewissen anderen Dingen vielleiht auch eine Erleichterung dur Abwälzung einzelner Arbeiten auf Kanzleibeamte geschaffen werden kann, will ich ohne weiteres zugeben und werde in eine Prü- fung der Frage eintreten, wo solhe Erleichterungen zugelassen werden Fönnen, und ob die vorhandenen Mittel dazu ausreichen, um diese Erleichterungen zu gewähren.
J kann also nur wiederholen: ih bin dem Herrn Referenten sehr dankbar, daß er dur seine Acußerungen so viel Interesse für unsere gesamte Justizpflege bekundet hat, und kann meinerseits mich nur freuen, wenn diese so wohlwollende Auffassung auch im ganzen Hause einen Widerhall findet.
Geheimer Oberjustizrat Fritze bemerkt, daß man aus dem Ver- gleich der finanziellen Frgebniise, des Justizetats in den einzelnen Sahren überhaupt keinen Schluß ziehen könne. Die Bevölkerung sei seit 20 Jahren um 26,37 9/2 aestiegen, die Zahl der Richter sei ver- mehrt bei den Oberlandesgertihten nah dem laufenden Etat für 1903 um 24,8 9/0, na dem Etat für 1904 um 30,9 9/9, bei den Land- geridten um 33,64 bezw. 37,68 9/9. Nur bet den Amtögerichten sei die Vermehrung der Richter noch zurückgeblieben. Ihre Vermehrung sei nämlih zunächst bei den Kollegialgerihten erforderlich gewesen. Jn den nächsten Jahren werde au bei den Amtôgerihten das Ver- \äumte nachgeholt werden können. Die Geschäfte nähmen keineswegs in demselben Verhältnis wie die Bevölkerungszahl zu, vermehrten sh aber doch ständig.
Gegen 41/2 Uhr vertagt das Haus die weitere Beratung bis Mittwoch, 11 Uhr.
Statistik und Volkswirtschaft.
Die bedingte Begnadigung in Deutschland.
Durch landesherrliche Anordnung sind bekanntlich in den deutschen Einzelstaaten die obersten Justizverwaltungsbehörden ermächtigt worden, ersonen, die zu Freiheits\trafen (mit Einschluß derjenigen, die an die Stelle einer niht beizutreibenden Geldstrafe treten) verurteilt \ind, einen Strafaufshub mit der Maßgabe zu bewilligen, daß bei guter Führung des Verurteilten die endgültige Begnadigung in die Wege zu leiten, andernfalls die Strafe zu vollstreen ist. Eine Ausnahme bilden, nachdem im Laufe des Jahres 1903 auch Sadwsen- Weimar, Braunshweig und big: ages entsprechende Einrichtungen getroffen haben, zur Zeit nur noch Medcklenburg- Streliz, Reuß älterer und Reuß jüngerer] Linie; jedoch wird au bier von dem landesherrlihen Begnadigungsrecht in der Weise Gebrau gemadht, daß die Strafe dem Verurteilten unter der Be- dingung, \sih während einer ihm bewilligten Probezeit gut zu führen, erlassen wird. Die bedingte Begnadigung wird überwiegend nur Jugendlichen zuteil. Die Dauer der Probezeit, während der keine be- fondere Ueberwahung des Verurteilten stattfindet, i nicht, wie bei der bedingten Verurteilung in Frankrei (volle 5 Jahre) und bei dem bedingten Straferlaß in Norwegen (3 Jahre), von vornherein für alle Fälle gleihmäßig bestimmt, , vielmehr wird fie jeweils nah den Umständen des einzelnen Falles festgeseßt. Um eine gleichmäßige Handhabung des bedingten Strafaufsubs herbeizuführen, find unter Vermittelung des Neichsjustizamts zwischen den Regierungen derjenigen Bundesstaaten, in denen Vorschriften über den bedingten Strafaufshub bestehen, folgende Grundsäße vereinbart worden: 1) Von dem bedingten Stcalauliube \foll vorzugsweise zu Gunsten solher Verurteilten Gebrauch gemaht werden, welche zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet hatten. 2) Gegenüber Perfonen, die früher bereits zu Freiheitsstrafe verurteilt sind und diee Strafe ganz oder teilweise verbüßt haben, soll der bedingte Strafaufschub nur in besonderen Fällen Plaß greifen. 3) Die Höhe der erkannten Freiheitsstrafe soll die Gewährung des bedingten Strafaufs{ubs nicht grundsäßlih aus\{ließen. 4) Ueber die Bewilligung des E Strafaufshubs ift eine Aeußerung des erkennenden Gerichts herbeizuführen. 5) Die Bewährungsfrist soll auf weniger als die Dauer der Verjährungsfrist, und zwar bei Strafen, die in zwei Jahren verjähren, mindestens auf ein Jahr, bei Strafen, die einer längeren Verjährung unterliegen, auf mindestens zwei Jahre bemessen werden. — Diese Grundsätze find am 1. Januar 1903 in allen beteiligten Bundesstaaten in Geltung getreten. In einer vom Reichsjustizamt jeßt dem Reichstage vorgelegten Zusammenstellung werden nun die Ergebnisse der Anwendung der bedingten Begnadigung in Deutschland für die Zeit bis zum 31. Dezember 1903 mitgeteilt. Dana beträgt die Gesamtzahl der Fälle, in denen seit der Einführung der bedingten Begnadigung bis Ende 1903 Verurteilten die Ausfegung der Strafvollstreckung mit Aussicht auf Begnadigung gewährt worden ist, 66047. Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1898 ergaben sich durchs{nittlich im Jahre 6041 Fälle. Seitdem hat die Zahl mit jedem Jahre und zwar besonders stark in den beiden leßten Jahren zugenommen. Die Zunahme betrug gegenüber dem Durh-
gegenüber dem Vorjahre s\chnitte für die Zeit bis
im Jahre
Ende 1898 absolut in 2% absolut in ®% 1899 ó é 959 16 1900 177 3 1136 19 1901 1204 17 2340 39 1902 3034 36 5374 89 1903 2364 21 7738 128.
Bei der Beurteilung der fük 1903 ermittelten Zunahme ist in Be- traht zu ziehen, daß hieroon 190 Fälle auf die Bundesstaaten Sawsen - L pganar, Braunschweig und Sachsen - Altenburg entfallen, welche die bébingte Begnadigung im Laufe des Jahres 1903 erst ein- geführt haben. In den meisten Bundesstaaten hat im Jahre 1903 gegenüber den Vorjahren die Zahl der Fälle zugenommen. Besonders erheblih ist die Zunahme in Bayern, Sachsen, Hessen und Bremen. Eine Verminderung ist, jedoch meist nur in eringe Male, in Württemberg, Baden, Sachsen - Meiningen, Sachsen - Coburg - Gotha, Anhalt und Hamburg eingetreten.
Sett man die Zahl der Personen, denen im Jahre 1993 der be dingte Strafaufshub zu teil wurde, in Beziehung zu der Zahl der
1 wegen Verbrehen oder Vergehen gegen Rei sgeseze recht3- p Berurteilten, so ergibt sih folgendes: Auf je 100 ver- teilte Fugendlihe kommen Fälle des bedingten Strafaufshubs 1 Schaumburg-Lipve 75, Lippe-Detmold 44, Sachsen-Coburg-Gotha 2ubeck 37, Mecklenburg-Schwerin 35, Bremen 34, Sachsen-Mei- 99, Preußen 25, Schwarzburg-Ruvvolstadt 24, Bayern 22, FGasen-Weimar 19, Baden 18, Sachsen 17, Anhalt 17, Oldenburg i Hamburg 14, Clsaß-Lothringen 14, Hessen 13, Braunschweig 13, Páritemberg 12, Schwarzburg-Sondershausen 11, Sachsen-Alten- (g 10. Auf je 100 vérurteilte Erwachsene kommen Fälle # bedingten Strafaufschubs in Sachsen-Coburg-Gotha 4,3, Schwarz- lirg-Sondershausen 3,9, Sachsen-Weimar 3,0, Schaumburg-Lippe 2,9, Haden 16, Bremen 1,5, Mecklenburg-Shwerin 1,1, Schwarzburg- (tudolstadt 1,1, Bayern 0,8, Sachsen-Meiningen 0,8, Lübeck 0,8, Gasen 0,7, Elsaß-Lothringen 0,6, Preußen 0,4, Hessen 0,4, Lippe- Detmold 0,4, Hamburg 0,4, Sachsen-Altenburg 0,3, Braunschweig 0,2, Anhalt 0,2, Württemberg 0,1, Oldenburg 0,1. Bei der Würdigung dieser Zahlen darf übrigens nicht unberüsichtigt bleiben, daß für reußen die Fälle, in denen das Se dem Minister für adwirtsWaft, Domänen und Forsten zusteht, keine Aufnahme ‘ge- aben. funden 9 Natur der Sache nah waren es überwiegend Männer, nen die Maßregel zu gute kam (77 °/9). Immerhin is die Zahl ver beteiligten Personen wetiblichen Geschlechts (23 9/9) höher, als (h gegenüber der allgemeinen Kriminalität, wie sie auf Grund der Friminalstatistif für dieses Geshlecht ermittelt ist ?), erwarten [äßt. Qem Grundsatze, die bedingte Begnadigung in erster Reihe jugend- Personen zu gewähren, entspriht es, daß über vier Fünftel aler Fâlle (82%) Jugendl ie betreffen. Im allgemeinen ift die Maßregel auf Personen beschränkt geblieben, die noh keine Freiheits- strafe perbüßt hatten. Nur zwei Prozent aller Fälle betraf solche Perfonen, die hon früher zu Freiheits\trafen verurteilt worden waren. Die strafbare Handlung, auf die sich die bedingte Begnadigung jejog, war meistens (în 66 9/6 allec Fälle) ein Vergehen; die übrigen Fâlle verteilen sih mit 2109/9 auf Verbrehen und mit 139/60 auf flebertretungen. Die Strafe, für die der Aufshub bewilligt wurde, war in der Mehrzahl der Fälle (66 9/0) von etnem Amtsgericht oder Schöffengericht erfannt worden. Ueberwiegend handelte es sich um Gefängnisstrafe (86 %/0), seltener um Haftstrafen (14 9/0), nur ganz vereinzelt um Zuchthaus oder Festungshaft. Die Dauer der aus- gesegten Gefängnisstrafe betrug in etwa drei Fünfteln der Fälle £9 pon 86) eineWoche oder weniger. Die Zahl der Fälle, in denen diese Strafe eizen Monat überstieg, ift nur etwa ein Achtel (11 von 46) der Gesamtzahl. Die Bewä rungsfrist war in der großen Mehrzahl der Fälle (78 9/0) auf weniger als drei Fahre bemessen; nur kei 22 9/0 aller Fâlle betrug sie drei Jahre oder mehr. Endgültig erledigt waren bis zum 31. Dezember 19093 39 888 oder 60,4 9/6 aller Fälle. D sind indessen noch die Fälle (998 oder 1,9 0/0) abzuseßzen, welhe dur Tod oder Flucht des BVer- M rieilten oder durch sonstige Aas (insbesondere durch eine vor Ablauf der Bewährungsfrist erfolgte Amnestie) eine Sans ges funden haben, bei der die Frage, ob si der Verurteilte bewährt abe, mentshieden bleibt. qul diese Weise verbleiben 38 890 Fälle (68,9 9/6 der Gesamtzahl), hinsichtlich deren die Frage sih beantworten sit. Wird für je hundert solher Fälle berehnet, wie viele von nen mit der endgültigen Be Pun abgeschlossen haben, so igt die Höhe der fraglihen Verhältniszahl an, in welchem Umfange der Zweck der Einrichtung, eine Besserung des Verurteilten ohne Strafvollstreckung herbeizuführen, erreiht worden ist. Nach den bis um Ende des Jahres 1903 vorliegenden Ermittelungen beträgt die Verhältniszahl der endgültigen Begnadigungen für alle Bundesstaaten zusammen 76,1 9%/. Die _Verhältniszahl der günstig aledigten Fälle wird jedoch, wenn die während der ersten Jahre nah Einführung der bedingten Begnadigung erledigten Fälle in die Be- rechnung cinbezogen werden, durch den Umstand herabgedrüt, daß die Begnadigung immer erst nach dem Ablaufe der Bewährungsfrist
afolgt, die Berwirkung der Begnadigung dagegen schon im Hufe der Frist sih herausstellen kann. Zutreffender gestaltet
\ch das Ergebnis, wenn die ersten Jahre bis etwa 1899 ganz außer Betracht gelassen und für die spätere Zeit die Verhältnis- ablen nah den“ einzelnen Jahren gesondert berechnet werden. Die Prhältniszahl betrug für die im Jahre 1990 erledigten Fälle 80,2 9/0, für die 1901 erledigten Fälle 81,0 9/9, für die 1902 erledigten Fälle 80,9 9/0, für die 1903 erledigten Fälle 78,8 %/o. Hiernach haben in den lezten vier Jahren stets etwa vier Fünftel der Fälle einen günstigen Ausgang gehabt. Auch diese Zlhlen bleiben jedoch hinter dem wirklichen Verhältnis mit Rücksicht darauf etwas zurück, daß bisher die Zahl der bewilligten Strafausseßungen mit jedem Jahre jugenommen hat und ein Beharrungsstand noch nicht erreicht ist. Weibliche Personen haben “A a häufiger die endgültige Begnadigung erlangt als männlihe. Die * erhältniszahl beträgt bei den ersteren 84 9/0, bei den leßteren 77 9/0. Andererseits stellt sich das Verhältnis für erwachsene Personen etwas besser (80 9/9) als für Fugendlihe (79 9/0). Für Personen, die vor der Bewilligung eines Strafauf{ubs {hon eine Freiheitsstrafe verbüßt haben, ist die Ver- kiltniszabl der endgültigen Begnadigungen wesentlich ungünstiger (39%) als für die noch unbestraften (79 9/0), obwohl gerade bei jenen die Bewilligung nur ausnahmsweise und nah eingéhender Würdigung aller Umstände erfolgt. Werden die Ergebnisse mit Rücksicht auf die Art der strafbaren Handlungen verglichen, so zeigen ih ur geringe Unterschiede. Die Verhältniszahl der end- ültigen Begnadigungen ist bei Verbrechen (78 9/0) und bei Ver- gehen (77 9/0) etwas niedriger als bei Uebertretungen (87 9/0). Hter darf indessen nit außer Betracht bleiben, daß für Uebertretungen die Bewährungsfrist kürzer bemessen zu werden pflegt, als für Ver- brechen und Vergehen, und daß die verminderte Dauer der Probezeit die Aussichten des Verurteilten, zur Begnadigung zu gelangen, erhöht. Bei den Fällen, in denen das Urteil von einem mtsgericht oder einem Shöffengericht erlassen ist, und bei denjénigen, in welchen eine Straf- fammer oder ein Schwurgericht in erster Instanz erkannt hat, sind die Ergebnisse ziemlich gleih (78 bezw. 79 9/0). Für die zu Haft Ver- urteilten ist die Verhältniszahl (87 9/0) höher als für die zu Gefängnis Verurteilten (77 9/0). : : Merden die Strafen, auf die in den erledigten Fällen erkannt war, hinsichtlich ihrer Dauer miteinander verglichen, fo zeigt sich, daß der Erfolg der bedingten Begnadigung bei Gefängnisstrafen von einer ohe und weniger am größten war (78 9/o). Die Verhältniszahlen bei den Gefängnisstrafen von mehr als einer en bis zu sechs8 Monaten sind nahezu gleih hoh (75 und 76 °/9). Dagegen beträgt die Verhältniszahl der endgültigen Begnadigungen bei Gefängnis» afen von mehr als se{chs Monaten nur 61 °/o. Was endlich den Einfluß der Länge der Bewährungsfristen betrifft, so ift es unver- tennbar, daß si die Ergebnisse um so weniger günstig gestalten, je weiter die Probezeit ausgedehnt wird. Bei einer grun von weniger ald drei Fahren haben fich 80 09/6 der Verurteilten ewährt. Dagegen trägt die Verhältniszabl bei einer Frist von drei Jahren oder mehr 71 0/4,
Das neue russische Arbeiterunfallgeseß.
Am 1. Januar 1904 alten Stils, also am 13. Fanuar unserer Zeitrehnung, ist in Nußland ein neues Geseß in Kraft getreten, he- treffend die Arbeiterunfälle in Fabriken, Hüttenwerken und Berawerks- trieben, die Privatfirmen, Städten oder Gouvernements gehören. ift, wie die „Sozialkorrespondenz“ berichtet, fortschrittlich, beruht auf dem Grundsay der Anerkennung des Berufsrisikos und enthält inge bemerkenswerte Bestimmungen, obglei es hinter den wodernen westeuropäishen Unfallgejegen zurückbleibt.
ißt f Die Ermittelungen füx die Jahre 1902 und 1903 liegen noch vor. ?) Von den im Jahre 1901 wegen Verbrehen oder Vergehen
Jede Unternehmung ist bei jedem mit dem Betrieb zusammen- hängenden Unfall ersatzpflichtig, es sei denn, daß der Unternehmer dem Betroffenen Böswilligkeit oder durch die Arbeitsbedingungen nicht gerechtfertigte Unvorsichtigkeit nahweisen kann. Der Arbeiter hat es nicht nôtig, ein Verschulden der Unternehmung nahzuweisen. Die Arbeitsverträge zwischen den beiden Parteien müssen eine rup Ver- einbarung über die Höhe der etwaigen Unfallrenten enthalten und von den Fabrikinspektoren genehmigt und unterschrieben an Wenn der Fnspektor findet, daß der Vertrag die Interessen des Arbeiters s{hädigt, kann er seine Unterschrift verweigern. Gegebenenfalls darf der Arbeiter sich an die Gerichte wenden. |
Greignet sich ein Betriebsunfall, so hat der Unternehmer den Verletten ohne Rücksicht auf Alter oder Geshlecht zu ents{ädigen, falls die eintretende Arbeitsunfähigkeit über drei Tage dauert und nit dur den Betroffenen verschuldet ist. Stirbt der Arbeiter, so ge- bührt die Entschädigung seinen Hinterbliebenen. Jede Me frühere Abmachung, die den Zweck hätte, das Anspruchsrecht oder die Anspruchs- summe des Arbeiters zu verringern, wird vom Geseß für ungültig er- klärt. Die Entschädigung besteht in Krankengeld und nötigenfalls später in Renten. Das erstere läuft vom Tage des Unfalls bis zum Tage der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder der Erklärung der dauernden Invalidität. Seine Höhe beträgt zwei Drittel des festen Lohnes. Bei dauernder Arbeitsunfähigkeit beginnt die Zahlung einer Rente, und zwar bei gänzliher Invalidität in Höhe von zwei Dritteln des Jahreslohnes, andernfalls je nach dem Grade der Er- werbsunfähigkeit. Die Renten von Kindern und anderen _Minder- jährigen steigen mit dem Alter allmählich bis zur Höhe jener von (Erwachsenen. ; : i Hat dér oder die Betroffene nicht unentgeltlichen ärztlichen Bei- stand empfangen, so muß der Unternehmer die bis zur vollständigen Genesung auflaufenden Heilkosten ersetzen. Stirbt das Opfer sofort nach dem Unfall oder während des Heilverfahrens oder innerhalb zweier Fahre, so muß die Unternehmung auch die Bestattungskosten tragen (für Erwachsene 30, für Kinder 15 Rubel) sowie der Witroe und den Kindern — auch den unehelihen und den angenommenen — Pen- sionen ausfeyen: der Witwe ein Drittel, jedem Kind ein Sechstel (bei Ganzwaisen ein Viertel) des Lohnes des Verstorbenen. Doch darf der Gesamtbetrag der Hinterbliebenenpensionen nicht zwei Drittel des Fahreslohnes übersteigen. N :
Zahlt der Chef das Krankengeld oder eine Rente dem Opfer oder den Hinterbliebenen nicht rechtzeitig, so hat er für jeden Monat Ver- \pätung einen Zuschlag von 19%/9 zu entrichten. Wenn ein Betrieb falliert oder verkauft wird oder liquidiert, müsen die Pensionen der Arbeiter dur Kapitalisierung oder Versicherung gedeckt werden.
Zur Arbeiterbewegung.
Die auf den städtischen Kohlenplägen Berlins be- \chäftigten Arbeiter hielten am Sonntag eine öffentliche Ver- sammlung ab, um zu der Frage der Verbesserung ihrer wirtschaft- lihen Lage Stellung zu nehwaen. Die Tagelöhner beziehen, wie mitgeteilt wurde, gegenwärtig ohne Ausnahme einen Lahn von 3,50 4 täglich bei zehnstündiger Arbeitszeit; unter ihnen be- finden sich Arbeiter, die 15, 17, 20, 29 Jahre und darüber in städtischen Diensten sind. Hervorzuheben sei, daß die Arbeiter ihr Handwerk'szeug (Kiepe usw.), das einen Wert von etwa 24 # babe, auf eigene Kosten anschaffen und unterhalten müssen. An- zuerkennen sei, daß auch - diesen Arbeitern auf ihr Gesuch jeßt ein jährlicher Urlaub, bei Fortzahlung des Lohnes, bewilligt sei. Es wurde, der „Voss. Ztg.“ zufolge, beschlossen, vorläufig sih auf die Forderung
eines Mindestwochenlohns von 24 A für die Tagelöhner zu beschränken und in nächster Zeit einen Tarif mit Lohnfkala auf- zustellen, in dem auch die anderen Wünsche: Errichtung von Arbeiteraus- \{üssen, Erhöhung der Sätze für Akkordarbeiten usw. enthalten find.
Fn den Berliner Vororten Schöneberg, Friedenau, Stegliz, Groß-Lichterfelde, Wilmersdorf, Zehlendorf, Grunewald, Tempelhof, Mariendorf und in Berlin felbst sind die Bautischler ausständig. In den Vororten ist die Meisterschaft einig und hat die Forderung der Ausständigen auf eine Lohnerhöhung von 10 v. H. und freie Lieferung der Mashinenarkeiten einstimmig abgelehnt.
Nach einem Telegramm der „Voss. Ztg.” aus Crimmitschau nabm dort eine zahlreih besuhte Versammlung der Terxtilarbeiter einstimmig eine Resolution an, in der es heißt, die Versammlung mißbillige das Vorgehen der Crimmitschauer Unternehmer, fortwährend noch fremde Arbeiter herbeizuziehen, obwohl noch viele dortige Ar- beiter beshäftigungslos feien. i i E /
&n Venedig wurde, wie dasselbe Blatt erfährt, die staatliche Tabakfabrik wegen fortgeseßter Unruhen unter den Arbeiterinnen geshlossen. Die Vereinigung der Tabafkarbeiterinnen droht mit allge- meinem Ausstand in allen Tabakfabriken Italiens, wenn die Re- gierung nicht die sofortige Wiedereröffnung der venetianischen Fabrik verfügt. :
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs®s- maßregeln.
Der französishe Chirurg D oyen überreichte der Akademie der Wissenschaften in Paris eine Arbeit über Krebsbehandlung. Doven behauptet, er habe mittels Einsprizung eines Toxins, das von dem in bögartigen Neubildungen seit langen Jahren festgestellten
micrococcus n»oformans berrübrt, eine größere Anzahl Heilungen erzielt.
Handel und Gewerbe.
(Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten „Nachrichten für Handel und Industrie“.)
Außenhandel der Niederlande im Jahre 1903.
Ueber den Außenhandel der Niederlande im Jahre 1903 ent- nehmen wir dem Dezemberheft - der niederländischen Handelsstatistik die folgende Uebersicht der Ein- und Ausfuhr in den wichtigsten Handelsartikeln während des Jahres 1303, indem wir zum Vergleich die Zahlen für 1902 in Klammern beifügen. y
Einfuhr zum Verbrauch: Kartoffelmehl 22293 t (19 772) Soda 34 167 t (31805) — Bier 3282 h1 (3125) — Kakao 16 699 t (14 653) — Chinarinde (Kina) 6598 t (6643) Dampf- maschinen und andere Maschinen 16 328 t (16 906) — Ungezwirntes Baumwollgarn 22 314 t (20 523) — Branntwein 68 394 hl (57 863) — Weizen 1 347 836 & (1 287 202) Roggen 636 920 t (584 795) — Gerste 503 645 t (398 365) — Mais 512 182 t (401 992) — Hafer 333660 6 (354094) — Buchweizen 19 957 t (ACATD). — Neis 222 150 t (220 613) — Weizenmehl 176 745 t (167 040) — Roggen- mebl 51 424 & (30958) — Erdnüsse 32772 t (27 156) — Hanf, un- gehechelt 37 186 t (41 043) — Schiffbau- und Zimmerholz, zur See in ganzen Ladungen eingeführt, ungesägt 357 064 t (309 454) Desgl., gesägt 358 994 t (391 947) Sonstiges Schiffbau- und Zimmerholz, ungesägt 13 743 000 Gulden (11291 000) — Desgl, gesägt 24 911 000 Gulden (19 686 000) Feines Werkholz, ungesägt 2 769 000 Gulden (3 026 000) Farbholz 26 577 t (19 642) — Getro@nete rohe Häute 13 007 & (11 340) Gesalzene rohe Häute 11 298 t (9893) — Rohes Gußeisen 266 48 t (291 121) — Schmiede- eisen, Bandeisen, Ble usw. 488 790 t (380 906) — Eisenbahuschienen 41 346 & (31 119) — Gasröhren u. dergl. 34098 t (34587) Eisens waren 15 046 000 Gulden (12 219 000) Nägel 20 130 & (21 700) — Indigo 1165 t (1124) — Robe Baumwolle 43 323 b (39 552) Kaffee 117 711 t (132 439) Steinkohlen 6 332 268 b (5 610 957) Nohes Kupfer 54 444 t (54 710) Kupferwaren 2 359 000 Gulden (2 422 000) — Krämerwaren 9 637 000 Gulden (8 994 000) Rohes Blei 12012 t (8456) Manufakturwaren aus Seide 1 382 000 Gulden (1368 000) — Desgl. aus Baumwolle, roh oder gebleicht 5 272 000 Gulden (5 302 000) Deôsgl., gefärbt oder
hlecjae dgesepe verurteilten Personen sind 15,6% weiblichen Ges« Les,
9 515 000 Gulden (9 465 000) Segeltuh 4469 Rollen (2403)
Dieser Tarif soll der zuständigen Deputation unterbreitet werden. — |
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(94 069)
Rinder 50 724 Stück (49 082) —
Manufakfturwaren aus Wolle 10 763 000 Gulden (10 706 000) — Gewebte oder gewirkte e 2 428 000 Gulden (2 1 179 — Rohes Margarin 47 689 t (37 805) — Guano 10900 t (12 173 — Modewaren 4210 009 Gulden (4150 000) — Baumwollsamenöl 11 428 t (20 205) ) Mineralöl 13 560 t (12 289) — Palmfkerne 24 763 t (25 640) — „Palmöl 27 548 t (23 210) — ‘P Gulden (5 725000) — Schmalz 26 811 t (25 626) — Roher Sal- peter 118 309 t (101 121) — Rohes Zink 27 426 t (28 940) — Ge- walztes Zink 14011 t (15491) — Stahl in Stäben 107 575 t. (161 006) — Zement, Traß u. dergl. 234 247 t (208 761) — Roher NRüben- und Rohrzucker 81 496 t (102086) — Kandiszuker 1243 & (1240
Tabak in Nollen und Tabakblätter 23 714 t (21 297) — Talg und
— Petroleum 178 181 t (175 463) — Anderes apier und Papierwaren 6 229 000
Melis und sonstiger raffinierter Zucker 4761 t (5280) —
ett 47 122 t (43 392) — Tee 3589 t (3627) — Robes Zinn 21 820 t 16 246) — Tran 5789 t (7254) — Gesalzene Heringe 6318 t (5735)
— Geräuchertes oder gedörrtes Schaf- und Schweinefleish 1491 & (3442) — Wein in Ciftern 98 258 hl (102 201) — Desgl. in Flaschen 9010 (9127) — Wo
furze 9083 t (7220) — Leinsaat 3 099 000 h1 (2738 000) — Rohes Salz 108 134 t (97 348).
e aller Art, lange 11 134 t (10 931) — Desgl,
Ausfuhr aus dem freien Verkehr: Kartoffelmehl 78 559 t Favencewaren 12971 t (12059) — Soda 10162 &
9458) — Bier 79480 h1 (78 250) — Butter 23265 t (22 848)
— (Chinarinde (Kina) 5611 t (5822) — Dampfmaschinen und andere Maschinen 13558 t (12 306) — : | 270 239 hl (256 263) — Liföôre 5441 h1 (5063) — Hefe 5165 t (5152)
Genever und sonstiger Branntwein
— Glaswaren 3891 t (4291) Glasflashen 4540 t (4321) —
Weizen 1 081 193 t (1 006 915) — Roggen 357 698 t (326 276) — Gerste 293 396 t (239 903) : 305 967 t (327 933) — Reis 111809 t (103 986) — Weizenmehl 9371 t (6860) — Roggenmehl 30 636 t (15 701) — Hanf, ungehechelt 95 068 t (27185) — Schiffbau- und Zimmerholz, ungesägt 277 890 & (200 958) - | & ungesägt 8553 & (7027) — F E rohe Häute 9302 t (9035) — Desgl., gesalzene 15 272 & 14 662 Bete Blech u. dergl. 270 819 t (203 853) — Eisenbahnschienen 31 658 t (20 796) — Gasröhren u. dergl. 7380 t (38449) — waren 20 149 t (20 124) — Nägel 17 515 t (18 260) — Indigo 621 t (727) — Kerzen 5441 t (4674) — Käse 48962 & (47 089) — Robe Baumwolle 23 607 t (17 913) — Kaffee 81 864 t (76 242) —
Mais 136 449 t (120 126) — Hafer
Desgl., gesägt 602 771 t (505 115) — Feines Werkholz, Farbholz 26 293 t (27 307) — Ge-
Rohes Gußeisen 257 174 t (276 566) — Schmiedeeisen, Eisen-
Steinkohlen 1 161 853 t (824 709) — Rohes Kupfer 49 449 t (47 901) — Lumpen 46 156 t (44 109) Bleiweiß 14 689 t (12934) — Manufakturwaren aus Baumwolle, roh oder gebleiht 14 391 & (12 380) — Desgl., gefärbt oder bedruckt 6840 & (6144) — Leinwand, roh oder gebleiht 3850 t (3251) — Margarine und andere Butter
surrogate 46 056 t (49797) — Rohes Margarin 24 091 t (17 594) — Guano 8350 t (10 262) Leinöl 35016 t (22621) — Palm- ferne 2% 929 t (23 863) — Palmöl 10 872 & (9278) — Papier und
Schmalz 17 835 t (14759) — Stiere, Ochsen, Kühe und Schafe 45 179 Stück (58 151) — Rohes Zink 35 848 t (35 660) — Gewalztes Zink 71830 & (7157) — Stahl in Stäben 82241 t (105211) — Zement, Traß u. dergl. 106 395 & (82813) — Roher Rübenzucker 5311 t (10383) — Melis 121 059 t (127 492) Zigarren 1491 t (1594) — Talg und Fett 15 362 t (16 539) — Rohes Zinn 17 991 t (18 686) — Gefalzene Heringe 104 959 t (86 046) — Flachs, ungebrochen 25 502 t (30 994) — Frishes Schaf- und Schweinefleisch 49 689 t (49 443) — Anderes Fleisch, frish oder gesalzen 12873 t (16269) — Frishe Früchte 13 343 t (21 389) — Wolle aller Art, lange 9116 t (8493) — Desgl., furze 9268 t (7095) Leinsaat 89193 t (73 932).
Papierwaren 11 379 t (10877) — Roher Salpeter 92516 t (89 024)
Anteil Deutschlands am Handel von Niutschwang.-
Nachdem die einzige, seit 1896 in Niutshwang bestehende deutsche Firma C. Decker in der unter englishem Schutze ftehenden Newhwang Trading Company aufgegangen ist, hat die direkte Einfuhr aus Deutschland fast ganz aufgehört und besteht zum größten Teil nur 7us Vorräten für die verschiedenen Hotels. Die beiden Haupteinfuhr- artifel deuten Ursprungs, Anilinfarben und Nadeln, kommen von Shanghai und Tientsin. Die Einfuhr von Anilinfarben wies im Fahre 1902 eine Zunahme auf und bewertete ih auf 114 862 Haikroan- Taels gegen 113 223 Haikwan-Taels im Jahre 1901. An Nadeln gingen 1902 weniger ein, nämlich 190 355 000 Stück im Werte von 31 398 Haikwan-Taels - gegen 197 300 000 Stück im Werte von 351380 Haikwan-Taels im Vorjahre. :
An der Ausfuhr aus der Mandshurei find einige deutsche Firmen in Schanghai und Tientsin, die dur& ihre chinesischen Agenten im Innern Pelze, Häute, Felle und Borsten aufkaufen laffen, beteiligt. Die Ware wird teils in Niutshwang verschifft, nachdem sie den Zoll yassiert hat, teils geht sie auf der Bahn nah Tientsin, um von dort aus weiter verfrahtet zu werden. Nah Bohnenöl ist im Jahre 1902 einige Na&frage für Deutshland vorhanden gewe}en, doch fam es aus Mangel an geeigneten Behältern für die Ver- shifung sowie wegen der hohen Preise zu feinem nennenswerten Beschäft.
M dem Schiffsverkehr Niutshwangs im Jahre 1202,--der ih ia Ein- und Ausgang auf 644 Dampfer und 2 Segelschiffe von 537 352 und 987 Meg.-Tons belief, war die deutshe Flagge nâchft Xapan, Großbritannien und China an vierter Stelle beteiligt. Es Harierten im Ganzen 44 deutshe Damvfer von 36 561 Reg.-Tons ein und aus gegen 48 von 43 354 Reg.-Tons im Jahre 1901 Dieser kleine L üdgang war in erster Linie auf den regen Wettbewerb der norwegischen Flagge zurüczuführen, deren Schiffszahl in den beiden Jahren von I auf 40 gestiegen ist. (Bericht des Kaiserlichen Kon- sulats in Tientsin.)
British-Ostindien.
Zollbefreiungen. Laut Bekanntmachung des Finanz- und Handelsdepartements vom 12. Januar d. J. werden alle unter Nr. 41 des Zolltarifs genannten Instrumente für militärishe Musikkorps (außer den Saiteninstrumenten) nebst dem im nachstehenden Verzeichnis genannten Zubehör zollfrei eingelassen, wenn ie von etnem Regiment der britischen regulären Truppen in Indien eingeführt werden und laut Bescheinigung des Regimentskommandeurs bona fide aus\chließlih zum Gebrau der Regimentskapelle bestimmt find.
Liste der Zubehörteile. Silberne Schnallen für Trommeln. Silberne Knöpfe für Trommeln. Feines grünes Tuch für Trommeln. Grünes Seidenband für Trommeln. Spannschnur (ropes) für Trommeln.
Schnur für Dudelsäke.
Baßzpfeifen für Dudelsäte.
Bänder für Dudelsäcke.
Pfeifentroddeln für Dudelsäde.
Notenhalter.
Wagen (braun oder \{hwarz).
Segstüccke (zu Horninstrumenteu).
Futterale aus Leder oder Holz.
Griffspitzen.
Munadîitütke und Kappen dazu. i; Zungen (am Mundstück der oboeartigen Junstramente).
y 4 Beutel für Dudelsäckte.
Trommelsaiten — snaros).
Schleifen i (The Gazette of India.)
Ventil: Oberteil? und -Nadeln.
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