1904 / 52 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 01 Mar 1904 18:00:01 GMT) scan diff

ist eigentli vogelfrei, er kann ohne jedes Recht wegen jeder Kleinig- keit ausgewiesen werden, und es steht ihm kein irgendwie wirk- sames Mittel zu Gebote, das abzuwenden. Vor 15 Jahren hat das Institut für internationales Reht ein Reglement ausgearbeitet, nah dem jemand nicht ohne einigermaßen zutreffende Gründe aus- gewiesen werden kann, und daß ihm Rechtsmittel niht zu versagen nd. Es besteht aber immer- noch der Zustand, daß jeder Fremde ohne Grund als „lästig“ ausgewiesen werden kann. Es ist wirklich hart, wenn beispielsweise russishe Studenten deshalb ausgewiesen werden, weil fie fi bei uns unanständig betragen haben, eine Handlung, die bei - uns nur der disziplinarischen Be- firafung durch die Universität unterliegt. Ebenso hart ist es, wenn die Ausgewiesenen an Stellen über die Grenze gebracht werden, die sie niht selbs wählen. Natürlich werden solche Leute von den russischen Behörden verhaftet und verfolgt. Wir haben nicht das Recht, eine Auêweisung verhängen zu lafsen wegen einer Handlung, die bei uns nicht strafbar ist, z. B. wenn ein Russe russishe Zustände fkritisiert oder irgendwelhe töôrihte Ueber- zeugungen an den Tag gebracht hat. Anarchisten sind nach meiner Meinung, wenn sie nicht Anarchisten der Tat sind, einfach Toren. Anarchisten der Tat, die bei uns Verbrechen gegen uns oder gegen das Ausland begangen oder vorbereitet haben, sind von uns zur Strafe zu ziehen. Ein solcher Auslieferungsvertrag, wie er zwishen Preußen und Rußland besteht, existiert in keinem anderen zivilisierten Lande der Welt. Deshalb kann ih mich nur dem Wunsch anschließen, daß er je eher, je besser beseitigt wird. Auch der § 102, betreffend die Majestätsbeleidigungen, sollte von uns gegenüber dem Auslande nicht berücksihtigt werden. Wenn man die Beleidigungen gegen den König von England nicht verfolgt hat, so begreife ih nit, weshalb man gegen Schriften vorgeht, in denen angeblich Beleidigungen gegen den russishen Zaren vorkommen sollen. Es steht nicht einmal fest, ob die sogenannte geheime Verbindung überhaupt besteht. Wenn jeglihe Verbindung ftrafbar sein soll, deren Zweck vor der Regierung geheim gehalten wird, dann gehört wohl mancher von uns einem Geheimbunde an. Ih bin also der Meinung, daß man gegen Taten, nicht gegen Gesinnungen vor- gehen sol. Wir follten nicht eine zu große Nachgiebigkeit gegen die russischen Interessen an den Tag legen und niht das Vertrauen der- jenigen täuschen, die sich im Vertrauen auf unsere Gerechtigkeit unter unseren Su begeben. Die weitere Behandlung der Angelegenheit müssen wir den Sozialdemokraten überlassen, ih betone aber: für uns handelt es fi nicht um sozialdemokratis&e Interessen, sondern um die Ehre und Würde unserer Nation, wobei es gleichgültig ist, von wem die Anregung auêgegangen ift.

Abg. Dr. Sattler (nl.): Ih bin der Meinung, daß der formale Standpunkt, daß Akte der preußischen Justizverwaltung und der Ver- waltung des Innern hier im Reichstag nicht zur Verhandlung gebracht werden Tönnen, nit auf die Dauer durhzuführen oder wenigstens un- praktisch ist. Es ift unzweifelhaft rihtiger, daß, wenn Angriffe erfolgen, diese sofort von denjenigen Stellen widerlegt werden, die dazu am meisten in der Lage sind. Ich freue mich deshalb, daß die preußischen Minister bier nahgewiesen haben, daß es fich größtenteils um Gebilde der Phantasie oder mindestens um unerwiesene Behauptungen handelt. Der Abg. Friedberg hat im Abgeordnetenhause, wie ich dem Abg. Haase gegenüber feststellen möchte, ausgeführt, daß die Fälle durch die Auf- klärungen der betreffenden verantwartlihen Verwaltungëchefs in der Tat aufgeklärt seien, und daß man mit diesen Erklärungen zufrieden sein könnte, daß man anerkennen müßte, die Verwaltung habe nah den Grundsäßen des Rechts und Geseßes gehandelt. Der Vor- wurf, die Agenten fremder Staaten übten hier staatliche Funktionen aus, ist als unrihtig widerlegt. Es ist ferner festgestellt, daß nicht nur keine Beschwerden über die, wenn sie wahr wären, unerhörten Belästigungen und Uebergriffe von den angeblich Betroffenen an die Regierung gekommen sind, sondern daß man sich sogar Mühe gegeben hat, jedem einzelnen Fall nachzugehen. Es ist ferner festgestellt, daß die Bemühungen der Verwaltung, Klarheit zu schaffen, weil auch sie einsieht, daß ein solches unerwünschtes Verfahren in Deutsbland nicht geduldet werden kann, von dem Abg. Haase nit in der Weise unterstüßt sind, wie man es hätte erwarten sollen. Denn eine solche Unterstüßung wäre Pflicht der Männer gewesen, die so {were Vorwürfe gegen die Zustände in unserem Lande erheben. E83 ift - gewiß richtig, den Ausländern entgegenzukommen und fie moglichst auf derselben Stufe zu behandeln wie die Inländer, aber in gewissen Fällen ist doch Vorsicht notwendig. Der Behauptung des Abg. Haase gegenüber, es gäbe keine rihtigen Anarchisten in Deutschland, hat der Minister sofort darauf hinweisen können, daß einige Männer, die in Nußland Attentate verübt haben, früher in Berlin gewesen sind. Ich bin gewiß der Meinung, man soll nament- lih den rufsishen Studenten und Studentinnen möglichst entgegen- fommen, aber diese sollten doch ihrerseits sich den Sitten in dem Lande fügen, in dem sie Gastrecht genießen und ihrèr Bildung ob- liegen. Ich kann es deshalb nur mißbilligen, wenn sie mit einem Auf- ruf aufgetreten sind, der die ungerechtfertigte Beschuldigung gegen den Minister enthält, er habe seine Bemerkung über die russischen Anarchisten auf die ganze russishe Studentenshaft bezogen. Hin- fihtlih der Ausweisung resp. Auslieferung sind die am 19. Januar angeführten Fälle niht genügend beantwortet worden, und das hat auch mich damals veranlaßt, nähere Aufklärung zu wünschen. Schließ- li hat sich aber herausgestellt, daß gerade die angeführten Fälle wohl die unglücklichsten gewesen sind, um zu beweisen, daß man mit großer Härte und Schärfe seitens Preußens vorgeht und „Swergen- dienste* für Rußland leistet. Selbst wenn es sich um Anarchisten der Tat handelt, so weist man, wie seitens der Regierung erklärt ift, niemand aus, ohne ihm vorber anzukündigen, daß er die Grenzen des preußischen Staats bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlassen habe, widrigenfalls er an die Grenze gebraht winde. Nah der Ne- gierungéerflärung kann n.an die Neberzeugung haben, daß nah Recht und Gesetz verfahren ist. Auf den Königsberger Prozeß will ih nicht eingehen. Wir glauben, daß es die gemeinsame Pflicht oller Ne- gierungen ist, den auf Mord und Totschlag gerichteten terroristishen Bestrebungen entgegenzutreten, upd wir fönnen es niht billigen, wenn von seiten der Sozialdemokratie hier nun in eine Hegerei gegen die Freunde der Monarchie eingetreten wird. Von allen Bes» hauptungen über die angeblichen russishen Spitelspione im Deutschen Reiche und ihre Unterstützung dur deutshe Beamte ift fo gut wie nichts übrig geblieben. És hat si herausgestellt, daß es unerwiesene Behauptungen sind, die dazu dienen, die Achtung vor unseren deutschen Zuständen herunterzuziehen. Auch in diesem Falle, wo nah vielen Seiten hin überraschend und auf nicht erledigte Untersuchungen vor- gegangen ‘ift, hat sih herausgestellt, daß Necht und Gese in Deutsch- land berrschen.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Ich stelle das Einverständnis aller Pariteien fest, daß das Fremdenrecht zur NReichstagékompetenz gehört, und deshalb für die Regierungen die Verpflihtung besteht, Auskunft zu geben. Mit Recht hat sih der Justizminister den Beschwerden des Abg. Haase gegenüber auf den § 147 berufen, nach welhem dem Ver teidiger, solange die Voruntersuchung nit abgeshlofsen ist, nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen keine Einsicht in die Akten gestattet wird. Wir würden uns gerade im Neichstag dagegen gewendet haben, wenn der Minister darauf Einfluß genommen hätte. In bezug auf den Fall des Abg. Herbert i} -ein Verdacht indirekt auf die Post geworfen, wenigstens ist durch den Abg. Haase angedeutet worden, daß ein Fremder einen für Herbert bestimmten Brief auf der Post in Stettin in Empfang genommen habe. Nach dieser Richtung müssen vom Minister weitere Ntachforshungen veranlaßt werden. Ich glaube, aus den Aeußerungen der preußischen Minister {ließen zu fönnen, daß Uebereinstimmung zwischen uns herrsht: auch die preußischen Minister sind der Anschauung, daß gemäß den Kulturauffassungen, die in unserer Verfassung niedergelegt find, der Fremde, der sih nit gegen unsere Geseze vergebt und sih nicht uns lästig macht, sih frei bei uns aufhalten darf. Die preußische Regierung muß gegen ausländische Agenten ebenso vorgehen, wie gegen -jeden Fremden, der fich bei uns lästig macht, sodaß éin Unterschied in der Behandlung der Personen nicht festzujtellen i. Wenn wir zu einem Auslieferungëvertrage fommen fönnen zwishen dem Reih und Rußland, allerdings nicht

auf Grund des preußis{ch-russishen Vertrages, sondern auf Grund der Verträge, die wir mit den übrigen zivilisierten Staaten abgeschloffen haben, dann würden diese so oft wiederholten Klagen, die wir {on von den Polen in den 1880er Jahren gehört haben, aufhören. Ich möchte den dringenden Wunsch an die Regierung rihten, es dahin zu bringen, daß ein solcher Auslieferung8svertrag zwischen dem Reiche und Rußland zum Abschluß gelangt.

Abg. Bebel (Soz.): Die äußerste Rechte erklärt, es gebe für sie keine Veranlassung mehr, in die Debatte einzugreifen; gehorsam, wie sie gegen preußishe Minister sind, sind die Herren von deren Er- klärungen vollauf befriedigt. Anders die Nationalliberalen. Herr Sattler hat die Handlung der preußishen Regierung als durchaus be- redtigt anerkannt und unsere Anklagen für unberechtigt erklärt ; das hâtten die Ausführungen der preußischen Minister vom 22. Februar erwiesen. Nur \ch{eint ibm, daß die Handhabung der Ausweisungen nicht immer nah Kulturstaatsrüctksichten erfolgt sei. Ich meinerseits meine dagegen, daß {on mein Freund Haase den Nachweis geführt hat, daß die Dinge doch anders liegen, als sie diese beiden Minister dargestellt haben. Herr von Hammerstein begann mit einer Art captatio benevolentiae; die Sezialdemokraten hätten retten wollen, was zu retten sei, und da seien die beiden Minister erschienen, weil es fich bei den Sozialdemokraten nur noch um ein NRücfzugsgefeht handle. Wer hier fiegt, darüber entscheidet die Oeffentlichkeit und die Geschichte; wie das Urteil ausfallen wird, wenn einmal andere Zeiten kommen, als wir fie heute leider in Deutschland und Preußen haben, darüber bin ih nicht im Zweifel. Am 19. Januar hat Herr von Richthofen eine s{chwere moralische Niederlage gehabt; diese autzuweßen, mußte die Sache in den preußishen Landtag verlegt werden; wo kein Mensch war, der den Ministern sachkundig antworten konnte, da konnte eine Art Nebabilitation an H2rrn von Richthofen geshehen. Was die Herren da au immer sagen mochten, sie mußten ja doch hierher fommen, und sie sind hierher gekommen; fie konnten es nit erreichen, die Sache im preußischen Landtage zu begraven. Herr von Hammerstein hat unbelehrbar alles ausrecht erhalten, was er im Abordnetenhaust behauptete: dagegen hat unzweifelhaft der Justizminister, der hon am 22. Februar in einer für seine Stelle sehr unangemessenen Weise stch zu weit vorgebeugt halte, einen Nückug angetreten. Herr Schönstedt erklärte, er habe die Aften nicht gesehen, sondern halte \sich lediglich an die ihm erstatteten Berichte. Woher er denn die genaue Kenntnis des Akteninhalts hat, hat er uns nit mitgeteilt; der Untersuhungsrichter darf die Aïften nicht aus der Hand geben. Gleichwohl ist der Juslizminister genau informiert ge- wesen, weit genauer als der Anwalt der Angeklagten und diese selbst. Woher, frage ih, hat er diese Kenntnis? Er kann sie doch nur von den Beamten gehabt haben, die ganz genau in den Akten Bescheid wissen, und da ist es am Ende ganz gleihgültig, ob er die Akten gesehen oder das Verbot der Einsicht dadur über- aangen hat, daß er sih genau alles berihten ließ. Eine Reihe von Tatjachen aus diesem Prozeß hat er an die große Glocke gehängt, und er hat, was das allers{limmste ist, seiner Darstellung eine: Charafter gegeben, als wenn die Anklage niht nur vollständig be- rehtigt sei, sondern als wenn auch noch weitere Personen mit vollem Recht unter die Anklage gestellt werden müßten. Das war der Eindruck seiner Rede im preußishen Abgeordneten- hause und hier. Dort hat {on Herr Oeser gemeint, es mache ihm den Eindruck, als ob der Justizminister zu weit gegangen sei; Herr Peltasohn {loß ja sogar aus der Nede des Ministers, daß die Anklage bereits so gut wie erwiesea sei. Und die ganze bürgerlihe Presse hat ja ausgesprochen, daß auch vielleicht die ganze sozialdemokratishe Parteileitung in Anklagezustand verseßt werden müsse. Leßteres hat ja Herr Schönstedt în Abrede gestellt; daran werde niht gedacht. Ja, ich glaube auch, daß man nicht daran denken kann, und zwar weil alle die Indizien zum Beweis nicht aus- reien fönnen, weil der Parteivorstand, zu dem ich seit lanaen Jahr- zehnten gehöre, sich nicht im allergeringsten mit der Verbreitung russischer Schriften irgendwelher Art beschäftigt hat, und von den Dingen, die da vorgekorimen fein sollen, nur auf demselben Wege Kenntnis erlangt hat, wie die Oeffentlichkeit auch. Es ist auch meine Person mit diesen Dingen in Verbindung gebracht worden, der Name Skubik wurde in Verbindung mit der Angelegenheit Kugel genannt. Ich habe den Namen zum ersten Male aus dem Munde des Herrn Schönstedt vernommen; ih habe ni&t mit ihm Verkehr gehabt. Material kann er vielleiht meinem Freunde Haase geliefert haben; ob es der Fall ist, weiß ich nicht. Zweifellos sind bei

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den Hauéssuhungen und Beschlagnahmen auch Schriften zum Vor-

‘hein gekommen, die anarcistishen und terroristishen Inhalt haben L

sollen. Zwischen beiden besteht ein Unterschied. Die Anarchisten wollen regierungéloses Staatssystem ; die Terroristen sind die Männer der Tat, die glauben, ihr Ziel zu erreihen, wenn sie einen Kaiser, einen Fürsten beseitigen. Der Terrorist braucht kein Sozialdemokrat zu fein, kann ein Liberaler sein, wie wir sie in Deutschland auch hatten. Solche gibt es jeßt in Rußland. Indem Parteigenossen von mir sich bereit erklärt haben, diesen Schriftenvertrieb zu übernehmen, find e selbstverständlihß der Ueberzeugung gewesen, daß sie nur fozial- demokratishe Schriften verbreiteten; ih werde das beweisen, ohne cine Verteidigungs8rede zum Königsberger Prozeß halten zu wollen. Wer anarwtistis{e Schriften zum Vertreiben über- nommen bätte, wäre hon morgen aus der Partei berauêgeflogen. Es waren russishe Schriften; von den Angeklagten, die jeßt in Haft sind, bat keiner auch nur einr Abnung von der russischen Schrift. Das genügt also \{on. Unter Mißbrauch des Namens Sfubik sind aber auch terroristishe Schriften einges{muggelt worden, und zwar durch einen russishen Polizeispißel. Die terroristischen Schriften waren aus der Schweiz geshickt unter der Adresse des Nowogrodski und passierten das Zollamt, also ohne Heimlichtuerei. Der Zollbeamte hat dem Nowogrodêki die Auslieferung der Schriften erst verweigert; er erhielt sie erst nah einigen Tagen. Darauf er- chien ein Polizeibeamter und nahm die Schriften in Beschlag. Etwas später erschien der Polizeibeamte abermals und sah \ich andere Schriften an. Er belegte sie mit Beschlag, und Nowogrodski wurde in Haft genommen wegen des Besiyes von Schrif gegen die bisher in feiner Weije vorgegangen war. Verfasser dieser Schriften sind keine Parteiführer, sondern sie gehören überhaupt keiner Partei an. Was steht denn in der Schrift von Plehanow? Ec hat ih ganz anders ausgesprohen, als man ihm zur Last gelegt hat. Es ift tendenziós entstellt worden, was er gesagt hat. (Zuruf recht3.) Sie möchten ja, daß wir den Weg des Terrorismus be- \{hreiten. Ihnen ift die verfluGte Geseßlichkeit der Sozialdemokraten ein Greuel. Wir kennen Sie (nah rechts) bis in die innerste Falte binein Fn Rußland wird in der Tat jeder als “Anarcbist behandelt, der mit russischen Zuständen unzufrieden ist. Dies zeigt cin offizióses Aktenstück der russishen Polizei, in dem der Prinz Battenberg bes{chuldigt wird, russishe Nevolutionäre und Anarchisten in seinen Dienst genommen zu haben. Dasselbe NRuß- land hat den Vershwörern gegen Coburg Expkosivbomben geliefert! Gs ist bisher nit erwieser, daß unter den ausgewiesenen Studenten und Studentinnen eine Person war, die zur Anarchie oder zum Terror gehörte. Die russishen Studenten werden jeßt gerade îo behandelt wie seinerzeit die deutshen Burschenschafter, wie Frit Neuter u. a., die jahrelang in Gefängnissen und Untersuchungshaft gehalten: wurden. Die deutsche Regierung gibt sih dazu her, Schergendienste für Rußland zu leisten und unbequeme Personen an das Messer zu liefern. Es herrscht hier derselbe Geist wie in den Preßordonan'en von 1863, und heute nehmen Liberale, die darunter zu leiden hatten, das Vorgehen der MNegierung in Schuh. Der Minister des Innern behauptet, daß auch von der „Vorwärts*- Druckerei russishe Schriften verbreitet worden seien, und daß di Partei also der Sache nicht fern stehe. Die Sache verhält sih gan anders. Einer der Erpyedienten der Buchhandlung des „Vorwärts sollte au als Zeuge in Königsberg vernommen werden. Er ver- weigerte die Aussage, und richtig, nah 14 Tagen wurde ihm mit- geteilt, daß er angeklagt sei. Als Angeklagter hat er nun ausgesagt, er wisse nicht, oh der Vertrauensmann in Tilsit vom „Vorwärts“ russische Schriften erhalten habe, möglih sei es, jedenfalls ge-

höre er feiner geheimen Verbindung an. Wenn Sie den deutschen Buchhandel wegen des Schmuggels russisher Schriften nah Rußland denunzieren wollten, so könnten Sie das ebenso gut, wie es jeßt be- züglih des „Vorwärts" geschehen ist. Das stärkste Stück ist aber die Ertrahierung eines russishen Strafantrages. Die preußishe Res gierung steht in einem besonders intimen Verhältnis zu Nuß- land, das ist ja die atavifstishe Freundschaft, von der der Reichskanzler neulich zu einem französishen Journalisten ges \prohen hat. Hier wird jeder überwacht, der das Unglück hat, russisher Student oder eine russishe Studentin zu fein. Die „Times“ haben die Ausführungen des Freiherrn von Richthofen bekämpft. We.in so etwas in England passierte, so würde ein Schrei der Entrüstung durch ganz England gehen. FInteressant ift, daß dem Minister des Innern nicht bekannt ist, daß hier russische Agenten vorhanden sind. Es sind die Namen Wolz, Neubausen- und Seltmann genannt, die der russishen Polizei Dienste erweisen. Troßdem hat die Polizei keine Schritte getan, um den Wolz zu vernehmen. Statt dessen hôren wir, daß Herr von Hammerstein von diesem einen Brief erbalten habe, der ihn zur Annahme veranlaßt, daß gar nichts bewiesen

sei. Diese Angabe eines russischen Polizeilumpen genügt ihm. Ich

meine, da hôrt doch alles auf, das sind unerhörte Zustände. Wenn nur der zehnte Teil vorläge von dem, was gegen diesen Spitel vorgebracht ist, so würde fofort eine Anklage erhoben werden. Diese elenden Subjekte können ruhig ihr Wesen weiter treiben. Es wird mir mitgeteilt, daß der Wolz jeßt seine Tätigkeit nah dem Shlesishen Bahnhof verlegt hat, um die russishen Studenten in Empfang zu nehmen. Die atavistishe Freundschaft mit Nußland hat bei manchem einen stark metallischen Beigeshmack. Fürst Bismark ist Rußland so weit entgegengekommen, daß er die Russen in der Schweiz für deutshes Geld überwachen ließ. Ein gewisser Schröder erhielt 200 4 monatli von der preußishen Polizei, Haupt erhielt den Auftrag, die Kerle unter den Tisch zu saufen und in ihre Pulte einzubrehen. Er sollte Attentaten nacspüren. Ob Rußland das Geld dafür erseßt hat, weiß ih nicht. Wir ver- langen, daß, wenn man glaubt, gegen Angehörige eines fremden Staates vorgehen zu müssen, man auc die Beweise in der Hand hat, daß sie etwas Ungesetliches begangen haben. Ist dies nicht der Fall, seßt sih die Regierung dem Verdaht aus, daß sie aus Kriecheret gegen eine fœemde Macht ihre Selbsiändigkeit preisgibt. Der Minister hat einen Schrecken vor dem Terror. Handelt es sich aber 1 - - f - « - c

darum, den Sozialdemokraten etwas anzuhängen, }o hat die preußische Regierung niht davor zurückshreck, Agents provocateurs zu dingen, wie der Fall Schröder zeigt, bei dem eine Kiste Dynamit ent- deckt wurde, dazu bestimmt, in Deutschland Attentate zu begehen. Was man den Russen \chuld gibt, ohne es beweifen zu können, hat die deutsche Polizei getan. Bismarck sagte damals: kein anständiger Mensch geht zur politischen Polizei. Die prevßishe Polizei ift sogar über die Wünsche der russishen Polizei hinauêgegangen, wie die Verfolgung der russishen Studenten beweist. Die Frau des Wetscheslow hat in bezug auf Ausführungen des Ministers fest- gestellt, daß si2 wegen Unkenntnis der deutschen Sprache überhaupt D j L : C EZ nicht vernommen wurde, sondern die Nehercheure an den „Vorwärts verwiesen habe. Es ist vollständig wahr, was wir hier über den Fall mitgeteilt haben. Der Minister von Hammerstein hat die russi- schen Studentenprozesse für Kindereien erklärt, warum tut er das nit hinsichtlih des Glückwunsches der Lichterfelder Kadetten nah St. Peters- burg beim Ausbruch des Krieges? Die russishen Studenten und Studentinnen waren in ihrer politishen und moralishen Ehre vom Freiherrn von Richthofen angegriffen worden. Ich ahte es hoch, daß sie so viel Ehrgefühl hatten, si dagegen zu erklären, obwohl fie sich der Gefahr ausfeßten, den nächsten Tag an die Grenze geshickt zu werden. (Redner verliest die Erklärung der russischen Studenten, in der sie da- gegen Verwahrung einlegen, daß die von dem Staatssekretär Freiherrn von Nichthofen Angegriffenen Anarchisten seien, und die Erwartung aussprechen, daß er diese Behauptung zurücknehme, und außerdem da- gegen Verwahrung einlegen, daß den russischen Studentinnen ein fitt- licher Makel anhafte.) Wenn ein Staatsfekretär so s{limm über die freie Liebe denkt, dann wende er sich nach Pirna, Chemniy, nach Cöln (Zwischenruf : Dresden!), dann lese man das Buch des Grafen Baudifsin. Wenn alle diejenigen aus den hohen und höchsten Kreisen, die in den wesilihen Vororten wohnen, wegen freier Liebe ausgewiesen werden sollen, so würde manche Villa und manHe Wohnung dort leer werden. D F f § p) f e : : 1 c "- 1 Nußland hat der Verschwörung in Bulgarien Vorschub geleistet, wie dur Veröffentlihung der Aktenstücke dafür gesorgt ist, daß die russische Politik vor ganz Europa in- das rechte Licht gesteUt wird. “Die „Times“ hat gezeigt, daß au der chinesishe Krieg von Nußland inszeniert worden ist, um sich die Mandschurei anzueigren. Dieser Regierung dient die deutsche Regierung. Das despotishe Nußland ift ja der Hort der europäisden Neaktion, das zeigt die Erklärung des Justizministers zur Genüge. Man geht darin bis zur Selbstertwürdigung und Selbstentmannung. Wenn das so weiter geht, so werden wir nicht aufhören, unsere Anklagen gegen eine Regierung zu erheben, die die Chre und Würde Deutschlands untergräbt. Das Zentrum hat sich bereit erklärt, den preußi\ck- russishen Vertrag zu beseitigen. Den jeßigen Zustand kann_ kein halbwegs anständiger Mens aufrecht erhalten wollen. Jeder Staat muß auf politishe Reinlichkeit balten, und diese Reinlichkeit kann bei uns nur eintreten, wenn unfer Antrag angenommen wird.

Neichskanzler Graf von Bülom:

Meine Herren! Vor zwei Stunden wurde mir telephontiert, daß der Hcrr Abg. Bebel eine tonnernde Rede halten würde. (Heiterkeit Daraufhin habe ih das Krankenzimmer verlassen, an das ih dur cine starke Grippe gefesselt war. Ih bitte um Nasicht, wenn ih mit belegter Stimme s\prehe, ich wollte aber nicht auf das Vergnügen verzihten, dem Herrn Abg. Bebel sogleih ¿u antworten. Ich freue mich übrigens, daß ih hier G2legenbeit habe, mih über eine Frage auszusprechen, welche die geseß- gebenden Körperschaften im Reiche und in Preußen in der leßten Zeit wiederholt beschäftigt bat. Die preußischen Herren Ressortsminister und der Herr Staatssekretär des Aeußern kaben Ihnen die Gründe auseinandergescßt, aus denen wir zur Ueberwahung russischer Anartisten einen russis{Wen Agenten in Berlin zugelassen haben. Ich glaube, daß alle Regierungen die Pflicht haben, sich gegenüber der anarcistisien Proxazanda gegenseitig zu unterstüßen. (Sebr richtig! rechts.) Ich glaube weiter, daß dem internationalen Charafter der vom Anarchismus drohenden Gefahr von den Ne- gierungen eine internationale Gemeinsamkeit der Abwehr entgegen- geseßt werden muß (sehr rihtig!), und ih glaube endlih, daß die moralise Pest des Anarchismus gerade so bekämpft werden muß wie jede andere Seuche. (Sehr ridtig!) Während des leßten Jahr- zehnts sind ter Präsident der Französishen Republik Carnot, der Prä-

ent der Vereinigten Staaten MacKinley, der König Humbert von alien, die Kaiserin Elisabeth von Oesterreich, der spanische Minister- räsident Canovas del Castillo, der russishe Minister des Innern ¡ipjà dem Messer oder dem Revolver elender Mordbuben zum gefallen. (Hört, hört!) Und da sollten wir uns sckeuen, internationale Maßregeln zu ergreifen, um derartigen Greueln vorzu- zeugen? Da sollten wir änzgsilih davor zurükscheuen, uns zu verkeidigen gegen Leute, die threrseits keinerlei Rüksiht kennen, die Schrecken und Mord als ihren obersten Grundsay anerkennen? (Sehr rihtig!)

n

(S@&luß in der Zweiten Beilage.)

- des Auswärtigen Amts:

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

M D.

Berlin, Dienstag, den 1. März

1904.

(S@(luß aus der Ersten Beilage.)

Die Herren Ressortsminister haben Jhnen eingehend dargelegt, unter welchén Bedingungen und Einschränkungen jener russische Agent bei uns zugelassen wird. Die Zulassung ist immer nur eine wider- ruflihe. Der Betreffende hat sh lediglich auf die Beobachtung russischer Staatsangehöriger zu beschränken, und er hat sich streng zu halten innerhalb der durch unsere Gesetze gezogenen Grenzen. Er obrigfkeitlide oder Die Tätigkeit der russischen Agenten soll von den deutshen Behörden forgsam überwacht werden. Im Rahmen dieser Einshränkungen und im Rahmen unferer Gesetze steben meines Erachtens, wie in anderen Ländern, so auch bei uns, der Zulassung eines solchen Agenten Bedenken niht im Wege. Sie ist ein Aft staatlicher Notwehr gegenüber Bestrebungen, welche eine Gefahr bilden für jede staatlihe Ordnung. (Sehr wahr!) Das sieht nicht im Widerspruch mit dem Gastreht, welhes bei uns jeder

hat insbesondere in Deutschland keinerlei

obrigkeitartige Befugnisse auszuüben.

Fremde genießt, der legitime Zwecke verfolgt. “(Sehr rihtig!)

Es ist gesagt worden, daß ich in der Ausweisungspolitik Dinge getan oder zugelassen hätte, welche die nationale Würde des deutschen Volkes verleßten. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das „Sehr rihtig*, welches eben von den sozialdemokratishen Bänken er- tönt, mat auf mi keinen Eindruck; denn auf nationalem Gebiete halte ich die Sozialdemokratie nicht für zuständige (Lebhafter Wider- Zu meinem Bedauern ist mir aber

\spruch und Unruhe links.) auch in nictsozialistishen Blättern der ungerehte und tôrichte Vorwurf gemaht worde, als ob ich in dieser

mir vorgeworfen habe, in der Handhabung unserer Fremden- polizei Rußland gegenüber von diesem stolzen abgewichen zu sein. Ich habe vor zwei Jahren einmal ge- sagt, daß ich den Herrn Abg. Dr. Müller (Meiningen) für einen geistvollen Mann hielte. (Na, na! rechts. Heiterkeit.) Das nehme ih auch heute nicht zurück. Aber cin geistreiher Mann braucht nicht immer in der politishen Praxis beschlagen zu sein. (Sehr wahr! Heiterkeit.) Uüñsere Akten bieten ein reihhaltiges Material für die Beurteilung der Methode, welhe Fürst Bismarck in solW@en Fragen für die dem deutschen Interesse entsprechende hielt. Ih will nur zwei Fälle herausgreifen.

Der eine Fall betrifft die in den Jahren 1831 und 1882 spielende Angelegenheit der Ausweisung des russishen Staats- angehörigen Stanislaus Mendelssohn, der andere die Auslieferung des russischen Staatsangebörigen Leon Deutsch - Buligin vom Jahre 1884.

Mendelssohn fcllte einer von uns der russischen Negierung erteilten Zusage gemäß nah der russishen Grenze hin ausgewiesen und den russischen Grenzbehörden überliefert werden. Die russischen Behörden wurden jedoch niht rechtzeitig benachrihtigt, und so gelang es Mendels\obn, zu entkommen, che die Uebergabe an die rufsishen Behörden erfolgen konnte. Darüber enthalten nun die Akten folgendes :

Fn einem Schreiben an den Justizminister und den Minister des Innern sagt der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, also der Vertreter des Neichskanzlers Fürsten von Bismarck:

Die russishe Negierung legt großen Wert darauf, des Mendelssohn habhaft ¿u werden, und ih halte es aus politischen Rücksichten für angezeigt, diesem Wunsche unsererseits tunlist ent- gegenzukommen

(Hört, hört! links.)

Die Ausweisung würde rechtlich zulässig sein, selbst wenn

fie nur aus Gefälligkeit gegen die russische Regierung ges{ähe. Sodann beißt es in einem Erlaß nach St. Petersburg :

Ew. p. p. wollen sich darübèr Gewißheit vershaffen, ob seitens der russishen Regierung . . . betreffs dieser Ausweisung (i. e. Mendelssohn und Genossen) noch besondere Wünsche bestehen.

Sn einem damaligen Memorandum des Auswärtigen Amts über den Fall Mendelssohn hieß es am Schluß:

Nussischerseits wird dieser Ausgang der Sache unferen inneren Behörden als ein Mangel an Wilfährigkeit au8gelegt.

Dazu bemerkt Fürst Bismarck in einem eigenhändigen Marginal :

Mit vollem Recht, und das Verhalten steht mit den An- strengungen, die ih mahe, um Vertrauen in Petersburg zu er- weden, in einem für unsere russisWen Beziehungen {ädlichen Wider- spruch.

(Hört, hört!)

Endlich finden sih in einem vom Fürsten von Bismarck selbst unterzeichneten Erlasse an unseren damalizen Geschäftsträger in St. Petersburg folgende Sätze:

Das eingeschlagene Verfahren steht mit meinea Intentionen in direktem Widerspruch, und ih bedauere lebhaft, daß . .. der russishen Regierung begründeter Anlaß gegeben worden ist, an der Aufrichtigkeit der ihr früher erteilten Zusage zu zweifeln.

Deutsch, der von der russishen Regierung als Nihilist bezeichnet wurde, war auf deren Antrag von der badishen Regierung aus- geliefert und später vom Militärbezirk8geriht in Odessa zu Zwangs- arbeit verurteilt worden.

Zur Charakteristik des Standpunktes des ersten Reichskanzlers dienen folgende Stellen aus den den Fall Deuts betreffenden Akten

In einem Erlaß an den preußishen Gesandten in Darmîiadt sagt im Auftrage des Fürsten Bismark der Staatssekretär Graf Haßÿfeldt:

Ich bemerke ergebenst, daß. es für unsere politisWen Be- ziehungen zu Rußland nüßlich sein würde, wenn in diesem Falle

Beziehung unserer nationalen Würde etwas vergeben hätte. Als ih dieses hohe Haus betrat, wurde mir erzählt, daß der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) an den Aus\spruch des Fürsten von Bismarck „Wir Deutsche fürhten Gott und fonst nihts in der Welt!“ appelliert und

Ausspruch

als gefährlich und verwegen bezeihneten, aus russishen Gefängnissen flüchtig gewordenen russishen MNevolutionärs habhaft zu werden, unsererseits entgegengekommen werden könnte. Ein Schreiben desselben Staatssekretärs an das Großherzoglich badische Staatsministerium enthält folgenden Passus:

Da der Deutsh in Rußland wcgen gemeiner Verbrechen ver- folgt wird und überdies aus politishen Gründen Wert darauf zu legen ift, in diesem Falle den Wünschen der russishen Regierung gerecht zu werden, glaube ih mich der Hoffnung hingeben zu dürfen, daß das Großherzoglihe Staatsministerium bereit sein werde, seine Mitwirkung dazu eintreten zu lassen, um den Verhafteten in die Hände der russischen Behörden zu liefern.

In einem über diese Angelegenheit Seiner Majestät dem Kaiser erstatteten Immediatberihte sagt Fürst Biêmarck : Für den Fall jedoch, daß sich diese Beibringung (nämli der zur Auslieferung erforderlißen Beweisstücke) verzögern follie, wünsht fie (nämlih die russishe Regierung), daß die Ausweisung des Genannten in einer Weise ausgeführt - werde, welche es den russishen Behörden ermöglihe, ihn auf russishem Gebiet zu ergreifen. Seine Majestät der Kaiser von Nußland nimmt persönlih großes Interesse daran, daß der von seiner Ne- gierung ausgesprochene Wunsch erfüllt werde. Für die Pflege nserer Beziehungen zu Rußland ist es nach meinem ehrfurchts- vollen Dafürhalten von Wichtigkeit, daß unsererseits alles geschieht, um dem gedahten Wunsche zu entsprechen.

In einem cbenfalls von dem Fürsten s\elb#| unterschriebener Erlaß an das Großherzoglih badische Staatsninisterium heißt es:

Seine Mazeftät der Kaiser von Rußland legt großen Wert darauf, daß dieser gefährlihe und in anderen Verbrechen implizierte Nihilist in Rußland zur Untersuchung gezogen werden könne. Die Erfüllung oder Versagung dieses Begehrens wird deshalb nicht obne Nücdkwirkung auf die Empfindungen bleiben, welhe der Kaiser Alexander der deutschen Politif gegenüber hegt, und welche dur unsere

Politik im Interesse des Friedens mit Sorgfalt und

Erfolg gepflegt worden sind. Nach der Verfassung Nußlands sind

die persönlichen Ueberzeugungen und Eindrücke des Kaisers maß-

gebend für die Politik unseres großen Nachbarreiches. Unter diesen Umständen is es aus politishen Nüdksihten wichtig, Wünschen der russishcn Regierung entsprohen werde.

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denen zu Mord und Totschlag aufgefordert wird, ausgegangen

ziemlih weitgehende Geschäftsverbindung eingelassen zu haben scheint. (Lebhafte Rufe:

fraten.) Die Wahrheit wird wobl sein, daß es deutshe Sozialdemo- Grenze \{muggeln wollten.

definieren, wer eigeutlich Anarchist sei, und welche Handlungen als anarcistishe zu betraten und zu behandeln wären. In der Theorie mag das s{wierig sein, wenn es sih z. B. um Gesetzentwurfs handelt. In der Praxis liegt die Sache aber doh bedeutend einfaer. Ich glauke, daß niemand in diesem hohen Hause ist, der daran zweifelt, daß Schriften, wie sie neulich mein ver- chrter Nachbar, der hier neben mir sißt, der Herr Justizminister, im preußishen Abgeordnetenhause Charakter tragen. (Schr richtig!)

die Auslieferung dennoch versagt werden, so würde das wärtige Amt und die Diplomatie die Verantwortlichkeit für Rückwirkung der Versagung auf die Beziehungen des Reiches zu Rußland ablehnen müssen.

So weit Fürst Bismarck.

Ich füge hinzu, daß von uns währead der leßten fünf Jahre nur drei russishe Nevolutionäre über die russisGe Grenze ausgerwoiesen vorden sind, und zwar waren dies zweifellose Anarchisten, ie wir felbst nicht behalten konnten, und deren Uebernahme

anderen Ländern nicht zumuten konnten. Außer

iesen drei notorishen Anarchisten, die über die russishe Grenze aus- iesen worden sind, ist noch eine größere Anzabl volitisch ver- r Perfonen der Ausweisung als lästige Ausländer verfallen-

in einziger dieser politisch Verdächhtigen ist über die russische

1ze abgehoben worden.

erkläre also, daß alles, was hier vorgebracht worden ift über ebedienerei der deutshen Behörden gegenüber russischen über eine angeblihe Schwäche der deutshen Negierung gegenüber der russishen Regierung, daß das alles der Wahrheit nicht entspriht. (Hört, hört !)

Ich erinnere ferner an zweierlei. Einmal daran, daß die von deutscher Seite bei dem russischen Schziftenschmuggel beteiligten Haupt- perfonen der fozialdemokratishen Partei angehörten. (Lebhafte Rufe:

4+ Hözt, hört!) Ich erinnere weiter daran, daß unter den Swriften ) ffung

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(Heiterkeit) unterges{hoben worden. Verlangen Sie wirkli, Herr Bebel, daß ich tas glauben soll ? (Lebhafte Zurufe rets.) Das scheint mir an Kühnheit der Erfindung fast heranzureihen an das berühmte Märchen, an den großartigen Schwindel von dem Kaisers{hloß auf Pichelswerder. (Sehr gut! und große Heiterkeit.) Nächstens werde

ih wobl zu hören bekommen, daß die Schimpfereicen auf dem Dresdener Parteitag, daß jenes anmutige Plätshern in dem Jung- brunnen des Herrn Abgeordneten Bebel von der preußischen Polizei, von der preußzishen Nezierung, von mir angestiftet worden seien.

zu erstrecken hat, und über wen ihm Auskunft zu erteilen ift, in Deutsch- land lediglich den deutschen Behörden zusteht. Diese haben die Pflicht, darüber zu wachen, daß der russischen Polizei nicht weiter, aber so weit Hilfe geleistet wird, wie dies der Zweck der solidarishen Bekämpfung des Anarchismus erheischt. Kommen dabei Fehblgriffe vor, fo werden sie korrigiert werden. Von Maßnahmen gegen russische Liberale

gar gegen deutsche Staatsangehörige ift gar nicht die Nede.

noch feinem russischen Studenten, der sich bei uns bilden,

in unseren Hörsälen, in unseren Universitäten den Ï

leben will, irgend welches Hindernis in den Weg gelegt 1

Die fremden Studenten werden bei uns mit derselben Liberalitä handelt wie die einheimischen. Aber die Entscheidung darüber Fremde bei uns tun und was fie nit tun dürfen, die steht der Re- gterung dieses Landes zu, nicht fremden Nihilisten und ibren Beratern und Helfern von der fozialdemotratishen Partei (Lebhafte Zustimmung.) Und wenn die fremden Herren sich bei uns so mausig maten, wie sie dies in der leßten Zeit getan haben, wenn fie so impertinente Erklärungen verfassen, wie se Herr Bebel soeben verlesen hat und wie sie in der Tat die hiesigen flawi- schen Studenten unter Führung der Herren Mandelstamm und

rb (stürmische Heiterkeit) vor einiger Z E

I

A WSlibersa lassen ha

6 ben, so werde ih dafür orgen, werden, (Lebhafte Zustimmung.

demokraten.) In keinem Lande der

Unfug von Fremden richtig !) In keinem anderen Lande den zerausnehmen. Mitleid und Nasicht dort, wo sie am Platze find; Duldung und Schuß für unter unsere C [

beobachten u! anständig aufführen.

wir find in Deutschland noech nicht so weit gekommen

von solchen Schnorrern und Vershwörern auf der Nase bherumtanzen lassen. (Lebhafte Zustimmung. Zuruf von den Sozialdemokraten.) Für ein Laboratorium mit nihilistishen Sprengstoffen sind wir zu gut. (Bravo!)

Meine Herren, der ganze Lâärn die Sozialdemokratie [chlägt wegen der Auêweisungen J berg, fließt aus ders } ununterbrohene Toben der sozialdemoktrati\ck 1lngriffe, die heute wieder Herr Bebel gegen Nußland gerichtet hat. Der Zweck, der damit verfolgt wird, ist, uns mit i t (Sehr rihtig!) Der Zweck, der damit verfolg volution und Krieg zu extfesseln. Der Herc Abg. Bebel hat eben mit einer gerissen Ver- legenheit gesprochen von einem Artikel, den sein Freund, Herr Kautsky,

eschrieben hat. Er schilderte Herrn Kautsky als einen öFdeologen. Ich glaube, Herr Kautsky ist mehr. Herr Kautsky ift anerfanntermaßen das VpublizistisWe Sprachhrohr des H gut! rechis), er if sein Leibjournalist steht zu dem Abg. Bebel ungefähr so, Großinquisitor in Spanien zum König mit dem Stock auf diejenigen, die verbranut werden follen.

E L arin Pai is ta oa R O 10en 1c e armen Revthtonslen tin Vreêden und |paker er-

N rn7 n C ntn8 chOTQANgEe il ILONTg os

en, D: Sebr richtig!) Also in einem Artikel des

ml dor A Lon C m8 d Se F Ia Bes d Va Dla C Ai Z aldemokrati en ck/Tgang par ©X( ellencé N Der „PTEUEN ckZEUT [reibt

itum ?ovtiel nur mozlich zu distreditteren,

si ul eine der wihtigsten Aufgaben der Sozialdemokratie. (Hört, hört!) Q 9 A L Bl. @ “O r D 5 L D Wenn es erft gelungen ware, in Wupyland der iege zu verhelsen, fo führt Herr Kautsky weiter aus würde die Nückwirkung auf ganz Europa (Hört, bört!)

Ç; Alt: (Fin revolutî

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onäres Rußland würde die a terreih gesprengt dem Einheîi

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\{chwemmcn. Dann wi der Bundesstaat müssen, dann würde

(Hört, hört !) nd der Artikel gipsfelt 1 © 4 C

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Sollte es nit [chließlih eine Herr

Neiche ergibt ?

(Hört, hört !)

Also darum, damit wir hier in

staat, der Zuchthausordnung (Lärm bei

rihtig!) und der Diktatur des Herrn Abg. Bebel |

keit), darum sollen wir den Nihilisten erlauben, daß fie bei uns wühlen und konspirieren. (Sehr riätig !) nit tun. Wir werden nicht dulden, daß vom

(Sehr gut! und stürmische Heiterkeit.) Die Wahrheit wird wohl

sein, daß diese blutrünstigen Proklamationen, diese Broschüren, in sind von Leutcn, mit denen sich die deutshe Sozialdemokratie in eine Hört, hört! Zwischenrufe von den Soziäldemo-

fraten waren, die diese bluttriefenden Manifeste über die russische

Nun ist beute auch gesagt worden, es sei sehr s{chwierig, zu

ie Redaktion eines

verlesen hat, einen anarcistisckchen

anderen Staat getrieben werden. (Sehr ri t

dem Herrn Abg. Bebel ginge, dann würden wir allerdings bald in

Krieg mit aller Welt sein. Heute reibt er sich an Rußland, morgen

feindlihe Machinationen gegen den russishen Staat A,

T1 2)

möchte er jn Rumänien oder Armenien, übermorgen in Sübdafrika

intervenieren. Das würde eine Hans-Dampf-Politik werden, eine

abenteuerlide und phantastishe Politik, um mich eines Lieblings- ausdrucks des Herrn Abg. Bebel zu bedienen, wie sie noch gar nicht dagewesen ift. wir werden, unbekümmert um sfozialdemokratische Quertreibereien, die friedlichen, vertrauensvollen und guten Beziehungen aufrecht erhalten, die uns jeßt mit anderen «Staaten verbinden. (Lebhafter, anhaltender Beifall auf allen Seiten des

demokraten.)

Eine folchze Politik werden wir nicht führen, sondern

es Hauses. Zischen bei den Sozial-

Abg. von Kardorff (RNv.): Wenn in Holland etwas Aehn-

lies gegen Deutschland geshehen würde wie in Deutschland gegen

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Rußland, \q würden wir genau dasfelbe tun wie die russische Regte-

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rung. Wir würden au Polizeibeamte hinshicken. Der Vortrag des Herrn Bebel kam mic so vor, als wenn jemand krebsen geht, wo der

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß die Bestimmung,

dem berechtigten Wunsche der russishen Regierung, eines von ihr

auf welche Russen sich die Beobachtungstätigkeit des russishen Agenten

wiederholt als unrichtig l n verdecken wollen. Wir wünschen keinesweas, in russischen Zuständen

Krebs nah dem Ufer zu ausweiht und so viel Schmuy aufwirbelt, daß er selbs ganz vershwindet. So hat Herr Bebel das, was

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rwiesen ist, durch fein Brimborium