1904 / 69 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 21 Mar 1904 18:00:01 GMT) scan diff

und Maßregelungen ausgeseßt. (Redner führt einzclne Fälle, die diese Behauptung beweisen sollen, an.) Man follte es niht für mögli Halten, daß Kaiserlihe Beamte Arbeiter zur Lüge und zum Betrug verleiten; gegen den Korvettenkapitän Simon muß man aber in dem Falle des Werftarbeiters Gebauer auf der Danziger Werft diesen Vorwurf erheben. Jeder andere wäre, wenn er sich solher Hand- lungen \chuldig gemaht hätte wie dieser Beamte, unter Anklage ge- stellt worden. Die Kaiserliche Werft in Danzig steht ganz unter der Oberaufsicht der Polizei. Auch für diese Werft sollie doch das Kaiser- liche Wort von ter Musteranstalt gelten. Aber die Spitelei auf der Werft muß s{ließlich jeden Funken sittliGen Gefühls in den Werftarbeitern erstiden. Von der liebenswürdigen Behandlung der Arbeiter dur die Obermeister dort läßt sich auch ein Lied fingen, Einer dieser Obermeister hat sich als Prügelheld bewährt; er nahm einen fünfzig- jährigen Arbeiter bei den Ohren wie einen Shuljungen, \odaß dieser ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Als ihn die Krankenkasse für die Kosten regreßpflichtig machte, zahlte er anstandélos und ließ es nicht erst auf einen Prozeß ankommen. Leider hat fh der geprügelte Arbeiter dur ein Shmerzen®geld bewegen lassen, den gestellten Straf- antrag wieder zurückzuziehen. Dieser Prügelobermeister übt heute noch sein Prügelreht auf der Werft aus. Der Mann gehört ebcnsowenig auf die Danziger Werft wie der Korvettenkavitän Simon, der dic Arbeiter zu Gesinnungslumpen erziehen will.

Kommissar des Bundesrats, Geheimer Admiralitätërat Harms: Die Bemängelungen der Lohntabelle durch den Abg. Zubeil richten Ah gegen die Durtbschnittsangaben. In diese sind natürlich auch die Veberstunden- und Sonntagsverdienste mit einzurechnen gewesen. Die Ueberstunden und Sonntagsarbeit sind immer weiter vermindert worden, und die Verwaltung ist mit dieser Maßnahme an die äußerst mög- lihe Grenze gegangen. In Danzig werden niedrigere Löhne als in Kiel und Wilhelméhaven gezahlt, weil die Lohnverhältnisse im Osten im ganzen niedriger stehea als im Westen, weil das Durchschnitts- dienstalter in Danzig geringer ift, und Qualitätsreparaturarbeiten seltener vorkommen. Die Danziger Lohnverhältaisse näßern h aber allmählich den allgemeinen, und diese Bewegung ist im Fortschreiten beguiffen. Der Erlaß einer Werftdirektion be- züglih der Prämien für Akkordarbeiten ift zu Unrecht angegriffen worden. Daß die Arbeiter nicht zufrieden sind mit der Rerteilung

verdient, wic diejenigen, die eine sole crhalten haben, glaube ih gern; daran werden wir aber nichts ändern können. Von Gesinnungs8- riecherei kann feine Rede scin; wir bekümmern uns niht um die Ge- Finnung der Arbeiter; nur dürfen die Arbeiter, die wir einstellen, keine sozialdemofkratishen Agitatoren noch Leute sein, von dencn an- genommen werden müßte, sie würden den Frieden auf den Werften itôren. Den Fall Gebauer anlangend, so weiß das Neichsmarineamt pon diesem nihts. Wenn Kündigungen vorgenommen werden müssen, weil wir kein Geld mehr haben, oder der Reichstag cs nicht bewilligt hat, so fommen zunächst die jüngeren Arbeiter heran. So weil- gebende Kündigungen, au älterer Arbeiter, wie behauptet worden, find nicht erfolgt. Uebrigens bat uns dec Vorredner mit seinen Freunden noch nicht die geforderten Mittel bewilligt, und ih muß mich wundern, daß diese Ausstellung gerade von seiner Seite erfolgt.

Aba. Mommsen (fr. Volksp. ): Ich habe \{on gestern das Mißverhältnis zwischen den Löhnen auf den drei Kaiserlihen Werften hervorgehoben. Ich hoffe, daß mit dem festgestellten geringen Fort- schreiten der Löhne in Danzig die gute Absiht der Verwaltung, die Danziger Arbeiter besser zu bezahlen, noch nit ihr Ende erreiht hat. Das Material, das Herr Zubeil vorgetragen hat, ‘stand mir zum größten Teil au zur Berfügung: ih habe es auch in einer Konferenz mit Arbeitern in Danzig, allerdings nicht in öfentlicher Bersammlung, wie Herr Zubeil, dort in voriger Woche erörtert. Es eignet sich aber nit zur Verhandlung im Reichstage. Wäre alles

zutreffend, \o0 würde gewiß der Staatssekretär der erste: fein, der Ordnung schaffte; aber die Tatsachen sind noch nit authentisch fest- gestellt. Ist das geschehen, so darf man vertrauen, daß die Vers waltung einschreitet. Der neue Afkfordtarif der Danzizer Werft hat sehr viel mehr Arbeiter als früher in den Genuß von Afkkordlöhnen treten lassen, und der einzelne Mann verdient jeßt sehr viel mehr als früher; 7009/6 aller Arbeiter arbeiten in Danzig in Afkordlöhnen, în Wilhelmshaven nur 30 °/9

Abg. Legien (Soz.): Die Akkordsäße für eine und dieselbe Arbeit find in Danzig 20— 39 °/o nietriger als in Wilhelmshaven und Kiel. Wenn man das verteidigt, beurteilt man die Sae ganz falsch. Auch in Kiel hat man im leizten Jahre versuchzt, die Afford- fäte herunterzubringen. Herr Mommsen vertritt die Interessen dec Danziger Akkordarbeiter nicht, wie cer es müßte, wenn er es richtig findet, daß die dortigen Arbeiter weniger bekommen als die in Milhelmöhaven und Kiel. In Danzig besteht zweifellos das Schmaroter- und Denunziantensystem, wie es der Abg Zubeii vorher geschildert hat. Ich muß bestreiten, daß die Reichstagstribüne nicht der richtige Ort wäre, Ihnen einzelne Fragen vorzubringen. Durch die öffentliche Kritik des einzelnen Falles joll ermögliht werden, daß fünftig jolhe Dinge vermieden werden. Die Verwaltung hat es ja in der Hand, \sich darüber Gewißheit zu verschaffen, und bei gutem Willen wäre es eine Kleinigkeit, solchen Vorkommnissen vorzubeugen. Merkwürdig ist, daß die Kündigungen regelmäßig sich wiederholen, wenu der Reichstag bevorsteht. Das kann nur den Zweck haben, einen Druck auszuüben, ja keine Abstreihung des Etats vorzunehmen. Das ist eine feineswegs lobenswerte Handlung. Der Regierungs- vertreter wunderte si, daß wir diese Dinge fritisierten, ohne tie Mittel für den Marineetat zu bewilligen. Marineforderungen nicht, weil wir darin fulturroidrige Maßnahmen sehen, : direkten Steuern genommen werden, die nicht die besitzenden Klassen, sondern die Arbeiter vorwiegend zu tragen haben. Solange Sie diese Blutsteuer aufrecht erhalten, Z

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gestellt, die cer durch nihts bewiesen haît. Was zunächst die Denk- {rift anbetrifft, die von einem Angestellten des Metallarbeiter- verbandes verfaßt worden ist, so habe ich allerdings einen ganz anderen Eindruck gehabt als der Herr Abg. Legien. Ich finde, wenn man eine große Enquete turch einen Angestellten macht und 15 000 Menschen befragt, und es kommt nicht mehr heraus als das, da habe ich un- willkürlich den Gindruck- gehabt: na, da muß es doch bei uns ganz gut fein. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Und wenn man, wie es hier gesehen ist, an 7000 Arbeiter einen Fragebogen rihtet und fragt: was babt Ihr für Beschwerden ? habt Ihr etwas auszuseßen ? ist etwas chöôner zu machen ? und es antworten von den 7000 nur 300, fo, glaube ih, ist das ein Zeichen für das gute Verhältnis, das wenigstens bisher zwischen der Marineverwaltung und ihren Arbeitern bestand, wie es besser überhaupt nicht gedaht werden kann. (Sehr rihtig! rechts.) i

Meine Herren, was die Kommunikation zwischen Kiel und Haarden betrifft, so liegen allerdings die PVerhältnisse ungünstig, und ¡zweifellos hat die Marineverwaltung cin außerordentliches Interesse daran, auch mit Rücksicht auf ihre Arheiter und ihr ganzes Personal, welches in Gaarden stationiert ist, diese Verhältnisse zu bessern. Es finden auch über Brücken, Fähren und mebrere andere derartige Projekte Verhandlungen statt zwischen den Vertretern der beteiligten Behörden und der Stadt; die sind aber noch nicht so weit vorge- schritten, daß ih es für rihtig und angezcigt erahten könnte, hier näher darauf einzugehen.

Bezüglich der Bestimmung des § 616 des Bürgerlichen Geseßtz- bus fann ich nur nodmals sagen, daß die Werften den striften Befebl bekommen haben, dana zu verfahren. Ih muß also von vornherein annehmen, daß der Befehl befolgt worden ist; ih muß s ablehnen, anzunehmen, daß diz Werften meinen strikten Befehl nicht

E L : D S L j T | f haben. S iraendwote bei on Bozah Nf der Svmme, daß einige vermeinen, sie hätten ebensogut cine Prämie | befolgt haben Sollten irgendwie bei den Bezahlungen noch Miß- j ie eine \ | verstäntnisse der betreffenden Beamten untergelaufen fein, so würden

selbstverständlich die Arbeiter das nachgezazblt erhalten, das ist ganz

| selbstverständlih; denn biéher werden die Befehle eines Vorgeseßten | bei uns immer noch befolgt.

Nun, meine Herren, hat ter Herr Abg. Legien die Behauptung

| aufgêstellt, daß die Arbeiter si nit beschweren dürften, und auf | diese Weise ein vollständiges Schmarotzersystem erzeugt wird. Er hat | diese Behauptung dur nichts begründet, und tatfählich muß ich dem

| direkt widerstreiten.

Das ist nit rihtiz und entspricht nicht dem tatsächlichen Verhältnis zwischen den Arbeitern und uns. Außerdem ift in der Arbeitsordnung eine ganz bestimmte Vorschrift darüber, durch welche diese Frage der Beschwerde geregelt is. Sie werden mir er- lauben, diesen Paragraphen vorzulesen. Es beißt hier:

MWünsche und Beschwerden in allen seinen Diensi betreffenden Angelegenheiten hat der Arbeiter bei seinem nächsten Vorgesetzten mündli oder \hriftlih anzubringen. Wer fich bei dem Bescheide des ersten entsheidenden Vorgeseßten niht begnügt, ist berechtigt,

sich an den nähhsthöheren Borgeseßzien bis zum Leiter der Behörde binauf zu wenden.

Meine Herren, ih glaube, daß es genügend bekannt ist, daß eine gerechte Beschwerde, wenn sie bis an mich gelangt, auf das genaueste untersucht wird und Abhilfe geschaffen wird, und ih glaube au, daß im großen Ganzen die Arbeiter unserer Werften das entsprehende Zutrauen zu mir und zu der Verwaltung der Marine im allgemeinen haben. Meine Herren, die ganze Bemühung des Herrn Aba. Legien, hier einen Zustand auf unseren Werften zu kon- struieren, der ja horrend ist, aber der den Tatsachen auf das direkteste widerspricht, wird ja widerlegt durch den ungeheueren Zudrang, den wir kaben. Wir bedauern ja, nit mehr Arbeiter annehmen zu fönnen, als uns nach den Mitteln möglich ist. Dieser ungeheuere Andrang wäre bei s{lechten Berbältnifsen doch nicht vorhanden und ist doch der positivste Beweis gegen die ganzen Behauptungen des Herrn Abg. Legien (sehr rihtig !) rets): einen besseren Beweis kann man do überhaupt nicht geben.

Auf die Details der Lohnfragen Harms noch näher eingehen.

Kommissar des Bundeërats, Geheimer Admiralitätsrat Harms bestreitet in ausführlichen Darlegungen die Nichtigkeit der Schil »ckcrungen des Abg. Legien. Das Denunziantensystem bestebe nicht in demUmfange,

wird der Herr Geheime Nat

| wie der Abg Legien behauptet habe, und durch Ueberstundenarbeit allein

ließen sih die Arbeiten auf den IBerften nicht bewältigen. Es müßten

| in der sogenannten Eispeciode, von Mitte Dezember bis 1. März etroa H A z VA,

Wir bewilligen diese Heeres- und | ; E i len | mit ihrer Entlassung im März rehnen müßten. und - weil die Mittel für diese Zwecke aus den Zöllen und in- | f

können Sie nicht verlangen, daß die |

Armen und Aermsten auch nur einen Pfennig für Heer und Marine |

leisten.

Die Arbeiter müssen so lange Mißtrauen gegen die Wersfts- |

und Marineverwoaltung haben, als ihre Beshroerden mit Gnilassung |

Redner fkritisiert dann die Lohnverhältnisse auf Die Lage der Arbeiter Kiels sei jeßt wesentlich ungünstiger als vor einem áúJahrzent. Scchmarogertum groß. Diejenigen Arbeiter, die auf ihre Menschen- würde halten, erhielten nicht fkordarbeit und müßten sich mit dem niedrigen Lohn begnügen. Man sollte die große Zahl der Lohnklassen aufheben und ausreichende Löhne einführen. Er nenne vie Namen von Meistern, die sih hätten bestehen lassen, um Arbeitern die beste Affordarbeit zuzuweisen, nit, in der Hoffaung, daß der Hinroeis darauf allein genügen werde, hier Wandel zu hafen. Die Ver- waltung suche in ihrem Svpareifer die Löhne ständig herabzudrücken. Wenn man an richtiger Stelle sparte, könnte man die Löhne erhöhen. So seien auf mehreren Kreuzern Konstruktionsfehler gemacht worden, deren Abstellung große Kosten verursacht habe. Die Verwaltung stelle eben niht nah der Befähigung, sondern nah Gunst die Arbeiter an. Seit einem Jahrzehnt habe er, Redner, die Verwaltung gebeten, daß auf der Kieler Werft die Mittagézeit von 12 auf 2 Stunden erhöht werde, leider vergeblih. Es wäre wirklich an der Zeit, diese be- rehtigtena Wünsche zu erfüllen. Ferner bitte er den Staatssekretär, öffentlih bedingungslos zu erflären, daß fein Vorgeseßter auf den Werften das Recht habe, gegen Arbeiter etwas zu unternehmen, die sih einer gewerkshaftlichen Organisation anschließen.

Staatssekretär des Reichsmarineamts, Admiral von Tirpiß:

Meine Herren! Der Fall, daß die Marineverwaltung den Arbeitern Schwierigkeiten gemacht hat, ihren Berufsvereinen nachzugehen, ift tat- sächlich nie akut geworden und an mich nicht herangetreten. Ich möchte aber noch dem Herrn Vorredner bemerken, daß diese Art, Mißtrauen zwischen der Verwaltung und unseren Arbeitern zu säen, gerade nicht sehr geeignet ift, das gute Verhältnis zwishen der Werft und ihren Arbeitetn zu fördern. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Der Herr Abg, Legien hat hier eine Reihe von Behauptungen auf-

beantwortet werden. der Kieler Werst.

Staatsminister,

| hätte fich

Das Akkordsystem ziehe das |

wo die Neparaturen an ten Schiffen auszuführen seien, noch Hilfskräfte eingestellt werden, denen man aber ausdrücklich vorher sage, daß fie

l \ Die Tarifierung der UAkkordsätze für längere Zeit bringe es mit sich, daß die Säße auch nit erböbt werden tönnten. Das ganze Bestreben der Marine- verwaltung sei darauf gerichtet, daß die Leute mehr Lohn und weniger Arbeit3zeit bekommen. Gegen die rbeiter. die einmal einen Fehler machten, sei die Behörde sehr nachsihtig. Die Frage der Verlängerung der Mittagt vause auf der Kielec Werft sei wiederholt aufgeworfen worden. Die Mehrheit der Arbeiter, die verschiedenili® befragt sei, jedesmal für die 14 stündige Pause ausgesprochen. Die Marineverwaltung habe kein Interesse daran. Wollten die Arbeiter zwei Stunden Pause maden, #0 habe sie gar nihts dagegen.

Abg. Zubeil seyt sich nochmals mit dem Abg. Mommsen aus- einander: ér rene nicht auf Dank, sondern er stehe für die Interessen der Arbeiter pflihtgemäß ein.

Abg. Legien erklärt, er stelle fest, daß der Staatssekretär die von ibm (Redner) verlangte bedingungélose Erklärung, daß die Arbeiter in ibrem Anschluß an Gewerkschaften durch die Vorgeseßten nit ge- hindert würden, nit abgegeben habe. Mit dem Beschwerderecht der MWerftarbeiter sei es nah der Verlesung des Staatssekretärs niht um ein Haar besser bestellt wie mit demjenigen des Soldaten.

Damit schließt die Diskussion.

Die Kommissionsbeschlüsse werden mit knapper Mehrheit angenommen. i :

Die erste der beiden Resolutionen gelangt zur Annahme, die zweite wird mit großer Mehrheit abgelehnt.

Die Ausgabekapitel „Waffenwesen und Befestigung“, „Kassen- und Rechnungswesen“, „Küsten- und Vermessungs- wesen“, „Zentralverwaltung für das Schußgebiet Kiautschou“ werden ohne Debatte nach em Antrage der Budgetkommission bewilligt.

Es folgt das Extraordinarium.

Ohne Debatte werden gemäß den Kommissionsanträgen als dritte und Schlußrate zum Einbau von Kühlanlagen für die Munitionsräume dec Schiffe statt 2720000 H nur 2 Millionen bewilligt.

Die geforderte erste Rate von 800 000 #4 zum Bau des Kanonenbootes (C wird estrichen. s

ür den Bau eines Vermessungs\ciffs werden statt 750000 nur 000 é bewilligt.

Die vierte Rate von 11/4 Millionen zur Beschaffung von Munition, die dritte Rate von 21/9 Millionen zur artilleristishen Armierung des Linicnschiffs „Preußen“ und die dritte Rate von 21/, Millionen zur artilleristishen Armierung des Linienschiffs „Hessen“ werden um je 1/2 Million gekürzt. Von den ersten Raten von je 11/2 Millionen zur artilleristishen Armierung der Linienschiffe O und P werden je 600 000 4 abgeseßt.

Zur artilleristishen Armierung des großen Kreuzers & werden als erste Nate 1300 000 4, des kleinen Kreuzers N 400 000 /, des fleinen Kreuzers Ersaß „Alexandrine“ 400 000 #4. und des kleinen Kreuzers Ersaß „Meteor“ ebenfalls 400 000 4 gefordert. Bewilligt werden nur 1 Million und je 300 000 #

Die erste Nate von 160000 A zur artilleristischen Armierung des Kanonenboots ( wird gestrichen.

Von den geforderten 300 000 #6 zur artilleristishen Armierung eines Tenders für das Artillerieversuchs- und Schulschiff wird nur die Hälfte als erste Nate bewilligt.

Zur Erweiterung des Bureaugebäudes für das Maschinen- bauressort in Wilhelmshaven werden statt 136 900 F nur 100 000 M als erste Nate bewilligt.

Die ersie Rate zum Bau eines Bootsmagazins ebendaselbft einschließlich der inneren Einrichtung wird von 300 000 auf 150 000 M vermindert, die Forderung von 180 000 # zum Bau einer Anlage zur Herstellung von destilliertem Kesselwasser für Torpedoboote gesirichen.

Zur Beschaffung von kleineren Betriebsfahrzeugen wird eine erste Rate von 100 000 M (statt 200 000 M) bewilligt.

Die angeforderte erste Nate von 150 000 4/4 zur Ver- A des Kranmaterials der Werften wird um 50 000 F gekürzt.

Die Forderung von 600 000 é zur Beschaffung von Hand- waffen, sowie zur Aenderung der zugehörigen Ausrüstung erfährt eine Verkürzung um die Hälfte.

Gestrichen wird ferner die Forderung von 47 500 A zum Neubau des Jnventarienmagazins sowie der Verseßung des Krans cinschließlich Verlegung der Gleise auf dem Artillerie- depot in Geestemünde.

Als zweite Nate zum Bau eincs Kasernements sür die zweite Torpedoabteilung werden statt 600000 nur 500 000 bewilligt.

Die Posten von 76 000 / zum Neubau der Marine- signalstelle Kiel:Düsternbrook und von 30 000 A zum Neubau des Dienstwohngebäudcs für den Schiffsarzt des Marine- lazaretts zu Yokohama werden gesirihen. Statt 25 000 werden nur 15000 A zur Beschaffung von Jajirumenten und Lehrmitteln für Vermessungszwecke bewilligt.

Gestrihen werden ferner 100000 F zur Beschaffung cines Peilbootes für Küstenbezirksämter und 30 000 / zum Bau eines Lagerschuppens in Kamerun.

Zu Versuchen der Flotte im Kohlennehmen auf See werden statt 200 000 A nur 150 000 s bewilligt, und an der Forderung zur Verstärkung der Kriegsbekleidungsvorräte von 200 000 M 100 000 A abgeseßt.

Die Abstriche betragen im ganzen beim Extraordinarium

s ordentlichen Etats 6 690 400 M

Im außerordentlichen Etat hat die Kommission im ganzen

, Millionen abgeseßt. S

Zum Bau von drei großen Trockendocks auf der Werst zu Wilhelmshaven werden statt 31/4 Millionen nur 1 800 000 é, zur Erweiterung der Werft in Wilhelmshaven als vierte Rate statt 31/4 Millionen nur 3 Millionen, zur Erweiterung der Werft zu Kiel als vierte Rate statt 3 Millionen nur 92700 000 A bewilligt und die zweite Rate zum Ausbau der Werft zu Danzig einschließlich Grunderwerb von 900 000 auf 650 000 s herabgeseßt.

Abg. Mommsen fommt bezüglich des zuleßt angeführten Abstrichs auf die Aeußerungen des Berichterstatters Abg. Freiherrn von Thünefeld in voriger Sitzung zurück. Dieser habe die Kommission gegen die Kritik zu verteidigen versucht, die er, Redner, an dem Zustandekommen der Abstriche geübt habe: Damit habe er als Berichterstatter seine Bejsugnisse überschritten. Diese im übrigen sehr dankenswerte Be- lehrung bâtte er nur als Abgeordneter geben dürfen.

Präsident Graf von Ballestrem: Zu beurteilen, ob der Be-

rihterstatter seine Befugnisse überschreitet, ift lediglich meine Sache. Ich muß dem Berichterstatter durchaus beipflichten. Auf eine Erwiderung des Abg. Mommsen erklärt der Präsident: Ich glaube sehr gerne, daß es der Abg. Mommsen viel besser machen würde, wenn er den Präsidentenstußl einnehme ; aber so lange ih an dieser Stelle stehe, muß es bei meiner Ent- \hzidung verbleiben.

Abg. Gamp (Np.): Wir können nur dankbar die Leistungen des Neferenten für den Marineetat anerkennen, und au der Abg. Mommsen fönnte ihm dafür dankbar fein und ebenso für die Belehrung, denn er brauchte fie.

Abg. von Böhlendorff-Kölpin (d kons.): E3 ist eine Ver- legung der ArtilleriesGulschiffe vonder Kieler Föhrde nah Sondex- burg in Aussicht genommen. Fn Swinemünde hatte man fehr stark gehofft, bei dieser Verlegung bedaht zu werden. Jch bitte die A vorkommenden Falls Swinemünde später nicht zu übergehen.

Staatésekretär des Reichsmarincants, Admiral von Tirpiht:

Meine Herren! Von seiten der Marineverwaltung und von meiner Seite persönlih sind immer noch lebhafte Sympathien aus der preußischen Zeit der Marine gerade für Swinemünde vorhanden, und sie haben sich durch die zahlreichen Besuche und Uebungen fort- gesetzt, die wir von Swinemünde aus gemacht haben.

Bei der speziellen Frage ter Verlegung der Artillerieschiffe aber ist es leider nicht möglich gewesen obglei ich gerade diese Frage besonders studiert habe —, die Verlegung der Artilleries{ulshifffe nah Swinemünde zu bewirken, weil die Sceeverhältnisse dort nicht günstig sind. Wenn die Schiffe schießen und \{chlechtes Wetter aufs fommt, was in Swinemünde leiht möglich ist, können sie die Sgeiben und ihr Material und die Boote nicht genügend bergen; es ist zu gefährlich. Wir gehen eigens nah der Neede von Swine- münde, wenn wir Seegangsübungen abhalten wollen. Das können wir aber für die Zwccke der Artillerieshulschife leider nicht ge- brauchen, und daher mußte zu meinem Bedauern die Verlegung der Artillerieshiffe nicht nah Swinemünde, sondern nach Sonderburg stattfinden. Sollte sich aber im Laufe der weiteren Entwickelung der Marine cin Anlaß bieten, Swinemünde zu bedenken in der Art, wie der Herr Vorredner es gedacht hat, fo wird es mir eine Freude seine darauf eingehen zu können. (Bravo! rechts und links. Heiterkeit.)

Abg. Dr. Arendt (Rp.) gibt hierauf der Hoffnung Ausdru, daß dite Sympathie für Swinemünde bald praktische Betätigung. finden werde. Auch in weiteren Kreisen bestehe der Wunsch, Swiné- münde in dieser Beziehung tunlichst zu fördern.

(Schluß in der Dritten Beilage.)

Staatsminister,

Dritte Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Ueber die Petitionen wird nah den Kommissions- anträgen beschlossen.

Damit ist die Beratung des Marineetats erledigt.

Präsident Graf von Ballestrem schlägt vor, in einer neuen Sißung unf 5 Uhr die dritte Beratung des ¡weiten Nachtrags zum Gtat (Forderungen für Südwestafrika) abzuhalten.

Auf Anfrage des Abg. Dr. Sattler (nl.) bestätigt der Präsident Graf von Ballestrem, daß er beabsichtige, nah Erledigung dieses Gegenstandes die Vertagung des Reichstages bis nach Ostern vorzu- \chlagen. Das sei ein öffentlihes Geheimnis. A

Abg. Dr. Sattler: Ih möchte do an dieser Stelle bervor- heben, daß wir von dieser Absicht überrascht find. Für uns ist dies absolut kein öffentlihes Geheimnis, fondern ein Geheimnis überhaupt. Erst gestern hörte ih davon und bielt diese Nachricht lediglich für ein Gerücht. Wir unserseits waren ents{lossen und hatten un}ere Dis- positionen danach getroffen, noh drei Tage in der nächsten Wochê*ein- gehend zu verhandeln und die Ctatsberatung, deren geringe Fortschritte wir sehr bedauern, möglichst zu fördern. :

Präsident Graf von Ballestrem: Wenn ich in ter Beratung jeßt nicht weiter fortfahren will, so habe ih dazu sehr triftige Gründe. Fh wollte erst noch die nächsten drei Wochentage Stßungen abhalten, dabe aber eingesehen, daß die Misere der Beshlußunfähigkeit, die schon jeßt {wer auf dem Hause lastet, nach dem dazwischen liegenden Sonntag s{recklich werden wird. Der Präsident muß sich nah allen Seiten bin orientieren. Ih wiederhole, daß ih die alleriristigilen Gründe für meinen Vorschlag habe. S

Abg. von Normann (d. fons.): Auch wir hätten gern noch einige Tage weiter verhandelt, haben aber von vornherein an- genommen, daß es sich um einen wohlüberlegten Vorschlag des Herrn Präsidenten handelt, und es ist nicht unsere Gewohnheit, folhem Bor- \hlage zu widersprechen. : E

Abg. Singer (Soz.): Der Vorschlag des Präsidenten trifft aus rein fachlihzn und praktishen Gründen heraus durchaus das Richtige. Es unterliegt keinem Zweifel, daß am Montag fkein beshlußfähiges Haus vorhanden sein würde, und es besteht also die hohe Waßhrscein- lichkeit, daß wir zwar am Montag noch beginnen fönnten, aber dann doch nah Hause gehen müßten. E ,

Abg. Gamp: Ich muß dem widersprehen. Es ist nit für alle Mitglieder des Hauses gleichgültig, ob fie vor oder nah Ostern, ob sie jeßt noch vor Ostern einige Tage länger igen, oder nach Ostern in der Sommerhißze hier figen müssen. Namentlich die Landwirte

oi

würden lieber jeyt hier weiter sigen. Die Verhandlungen 11nd auch nicht durch die geringe Präsenz verzögert, die Etatsberatungen 1nd gerade in den legten Tagen außerordentlih gefördert worden. Wenn aber nun der Präsident uns seinen Vorschlag gemacht hat, so kenne ih zwar scine Sründe nicht, aber i billige fie. E : : Abg. Dr. Sattler erklärt, er bleibe dabei, daß seine Fraktion bis gestern von dieser Absicht nichts erfahren habe. E Abg. Schrader (fr. Vgg.) bezeugt, daß die Mehrheit im Haul]e {on seit einigen Tagen der Meinung sei, am Sonnabend werde ge- {losen werden. Nach Ostern werde das Haus jedenfalls beschluß- fähiger sein als jeßt. / Abg. Gröber (Zentr.): Auch die Nationalliberalen find heute nit vollzählig hier und haben feine Veranlassung, anderen Parteien Vor- würfe zu machen. Am Montag würde es ledigli von Herrn Singer und seinen Freunden abhängen, roann wir_nach Hause gehen müßten. Präsident Graf von Ballestrem: Schon seit mehreren Tagen habe ih jedem, der mi fragte, gesagt, daß ich nach Erledigung des Marineeta1s die Vertagung vorzuschlagen gedächte. S Abg. Dr. Sattler: Dann kann ih nur bedauern, daß ih nicht gefragt habe. Ih stelle nobmals feît, daß weder mir noch einem meiner Freunde bis geîtern etwas von dieser Absicht bekannt war. Abg. Singer: Herr Gröber hatte niht das Recht, uns zu unker- stellen, daß wir am Montag die Beschlußunfähigkeit herbeiführen würden. Ic habe nur gesagt, was auch der Präsident gesagt hat. Menn wir solche chwarzen Pläne hätten, wäre die dauernde Beschluß- unfähigkeit des Hauses son längst festgestellt worden.

Schluß 4 Uhr 35 Minuten.

63. Sißung vom 19. März 1904, 5 Uhr.

Zur dritten Beratung stehen die beiden Gesegentw F betreffend die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Reichshaushaltsetat und zum Etat für die Schuß- gebiete für 1903. S

Beide Etats werden im einzelnen und dann in der Ge- samtabstimmung endgültig ohne Debatte gegen dic Stimmen

der Sozialdemokraten angenommen. N Präsident Graf von Ballestrem beraumt die nächste Sißung an auf Dienstag, den 12. April, Nachmittags 2 Uhr, mit der Tages- ordnung: Erste Lesung der Münznovelle und Fortseßung der Etats- beratung (Etats des Reichskanzlers und der Reichskanzlei und des Auswärtigen Amts) und wünscht den Mitgliedern des Hauses eine recht gute Erholung während der Osterpause und recht frohe Oster-

feiertage. ' Schluß 5 Uhr 20 Minuten.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

46. Sißung vom 19. März 1904, 11 Uhr.

Das Haus seht die Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalan elegenheiten und zwar die Erörterung der oberschlesischen Sqhulverhältnisse im Anschluß an den Titel der dauernden Ausgaben „Gehalt des Ministers“ fort.

Nach dem Abg. Freiherrn von Zedliß und Neukirch (freikons.) nimmt das Wort der

Minister der geistlihen, Unterrichts- und Medizinal- angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Den Standpunkt der Königlichen Staatsregierung in der oberschlesishen Schulfrage habe ih gestern in diesem hohen Hause mir kurz {hon dahin fund zu geben gestattet, daß die Staats- regierung niht in der Lage sei, von denjenigen Grundsäßen abzugehen, die nun jett seit drei Dezennien zur Durchflihrung gelangen.

Meine Herren, was mich ¡unächst veranlaßt hat, das Wort zu ergreifen, ist eine Darlegung, die der Herr Abg. Dr. Porsch im Anschluß an eine von mir früher gehaltene Nede bei Gelegenheit der ersten Lesung des Etats am 26. Fanuar dieses Jahres gab. Er sagte:

Der Herr Kultusminister hat bei jeinen früheren Darlegungen uns beweisen wollen, daÿ {on auf cinen früheren Zeitpunkt vor

Montag, den 21. März

Berlin,

dem Beginn des Kulturkampfes gewisse staatsfeindlihe Bewegungen in Oberschlesien zurückzuführen seien, und er hat nach meiner Er- innerung ih habe in diesen Tagen niht die Zeit gehabt, seine damaligen Ausführungen wieder nahzulesen; ih verlasse mich auf mein Gedächtnis, von dem ih aber annehme, daß es mich in diesem Falle nit trügen wird seine Ausfühcungen hauptsählih angeknüpft an den Namen eines Regierungs- und Schulrats Bogedain in Oppeln, späteren Weihbischofs in Breslau, von dem er annahm, daß er in einer unsachgemäßen Weise auf das Bolks\hulwesen im Regierungsbezirk Dppeln eingewirkt habe. Der Herr Kultusminister ist persönlich über die Verhältnisse des späteren WeihbisHofs Bogedain jedenfalls nicht vollständig orientiert, sondern er hat offenbar nur referiert auf Grund irgend welcher Akten, die ibm oder seinem Hilfsarbeiter zur Verfügung gestanden haben. Ich erinnere mich nämli, daß ich in früheren Fahren einem der Amts- vorgänger des gegenwärtigen Herrn Kultusministers {on einmal bezuglih dieses Weihbischofs Bogedain kurz entgegengetreten bin, und ih möchte den heutigen Anlaß dazu benutzen, um zu sagen, daß die Verdächtigungen, die gegen den hochverdienten früheren preußishen Staatsbeamten, späteren Weihbishof in Breslau, aus den damaligen Ausführungen des Herrn Kultusministers Hervor- fangen, durchaus unzutreffend sind. Der Herr Schulrat Bogedain, den ih persönlich zu kennen nicht mehr die Ehre hatte, de ih aber aus den Schilderungen seiner Amtsnacbfolger sehr genau kenne und über dessen Persönlichkeit ich nah den Ausführungen des Herrn Kultuêministers mit einem noch über- lebenden Amtsgenossen und Freunde des Weihbishofs Bogedain ge- sprocen habe, war ein hervorragender Shulmann, ein ftaatstreuer Beamter und ein ausgezeichneter Priester, und ih kann, wenn im Kultu8ministerium etra Akten existieren sollten, die etwas anderes sagen, nur bedauernd sagen: es wäre das nur ein neuer Beweis für eine frühere Behauptung von uns, daß in diesen behördlihen Akten manche ganz merkwürdige Dinge stehen, die mit der Wirklichkeit biéweilen direkt kontrastieren. (Sehr rihtig! im Zentrum.)

Meine Herren, ih kann diese Ausführungen nicht unwiderlegt lassen.

Fch will zur Charakterisierung des Herrn Schulrats Bogedain voraus\cicken, daß ich in meiner damaligen Rede, wie ih glaube, am 14. März 1962 die hat wohl der Herr Abg. Porsh im Sinn ge- habt mit keinem Worte eiwas gesagt habe, was den Herrn Ab- geordneien zu dem Ausdruck „Verdächtigungen“ gegenüber meinen Aeußerungen berechtigen könnte. Ih habe den Charakter oder die s\taatstreue Gesinnung des verstorbenen Schul- rats Bogedain in keiner Weise verdäcßtigt; ih habe damals nur aus- geführt, daß die verbängnisvolle Wendung in der obersclesischen Schulpolitik, durch welche allein der volnischen Bewegung in Ober- {lesien der Boden für ihre jeßt zutage getretene Entwickelung bereitet worden, ers im Jahre 1848 eingetreten sei. In der früheren Zeit sei in der überwiegenden Mehrzahl der polnishen Schulen Ober- \{lesiens die Unterrichtssprahe deutsch gewesen. Im Jahre 1827 hätten von rund 800 Schulen nur 70 polnishe Unterrichts\sprache gehabt, und der damalige Fürstbishof von Breslau habe von der oberschlesishen Geistlichkeit gesagt, sie könne weder richtig volnis sprechen noch schreiben. Da habe im Jahre 1848 der allgemeine Enthusiasmus für die Polen und ihre Sprache den von Posen nach Opveln berufenen Regierung8- und Sgulrat Bogedain veranlaßt, allgemein das Hochpolnische als Unterrichts\svrahe mit dem Ziele ein- zuführen, die oberschlesische Bevölkerung von dem Gebrauch de8 wasserpolnishen Dialekts zu einer Beherrshung des Hochpolnischen überzuleiten.

Daß der genannte Schulrat dabei beabsichtigt habe, die groß- polnishe Bewegung nah Obers@lesien zu verpflanzen, habe ih mit feinem Wort behauptet und dessen staatstreue Gesinnung in keiner Weise bezweifelt. Hierzu hätten mir auch die Akten meines Ministeriums keinerlei Anhalt geboten. Wie wenig Bogedain troß seiner noch näher zu erörternden Stellung zur polnishen Sprachen- frage den vpolitishen Bestrebungen der Polen zuneigte, erhellt {on deutlih aus der Begründung seines Versezungsgesuhs vom 3. April 1848. Seinen Wunsch, als Regierungs- und Sghulrat von Posen nach Oppeln berufen zu werden, begründet er damit, daß es {on längst sein Sehnen gewesen wäre, in seine {lesische Heimat zurüd- zukehren. Der Augenblick der Erfüllung dieses seines Wunsches sei dur die „bevorstehende polnisch. nationale Reorganisation“ der Provinz Posen gekommen. Er fährt dann wörtlich fort :

Endlich bin ih von der dereinstigen Wiederherstellung Polens vollständig überzeugt, sowie es bei mir keinem Zweifel unterliegt, daß diesem Lande die Unruhen einer republikanishen Verfassung bevorstehen; ich aber will Bürger eines deutshen Staats bleiben und fühle keine innere Verpflichtung, die Geburtswehen einer sich regenerierenden Nation mit zu durchleben.

Hieraus ergibt sih klar, daß Bogedain bei allem bedenklihen Pessi- mismus in der polnischen Frage doch persönlih durchaus deutsch fühlte und weit entfernt war, Oberschlesien als polnisches Gebiet anzuerkennen.

Troßdem bleibt die Tatsache, daß die von dem Schulrat Bogedain, wenn au in bester Absicht, getroffenen Maßnahmen, dem Eindringen der großpolnischen Propaganda in Oberschlesien die Wege gecbnet haben, voll und ganz bestehen.

Der Bildungszustand der obers{lesishen Bevölkerung, wie ihn Bogedain bei seinem Amtsantriit in Oppeln vorfand, war nah seinen eigenen Berichten ein fehr niedriger. Mangel an geeigneten Lehrern, Ueberfüllung der Schulen, wirtshaftlihe Not der Be- völkerung und ein sehr unregelmäßiger Schulbesuch hatten auf die Volksbildung in jenem Bezinke bös ungünstig eingewirkt. Mit den im ganzen mangelhaften äußeren Schuleinrihtungen den Kindern eine bessere allgemeine Bildung und zugleich eine ausreichende Kenntnis der deutshen Sprache beizubringen, erschien ihm ausfitélos. Dabei bielt er, wie er wörtlid) sagte, für die polnishe Bevölkerung

1904.

„eine tüchtige menschliche Bildung für bei weitem notwendiger als die Kenntnis der deuts{hen Sprache“. Andererseits betrachtete er e8 als unmöglich, diese allgemeine Bildung der Schuljugend in dem damals in Oberschlesien allein- gebräuchlichen Dialekt, dem sogenannten Wasfser- polnisch, zu vermitteln. Er fand es daber in erster Linie notwendig, die Kenntnis des Hochpolnischen unter der Lebrerschaft Obersklesiens zu verbreiten und dementsprehend an das neu errihtende Lehrer- seminar in Peiskretsham nur Lehrkräfte aus der Provinz Posen zu berufen. Diesen Vorschlag begründete er mit. folgenden bemerfen§- werten Ausführungen :

„In den Reihen schlesischer Lehrer habe ih mein Kandidaten nit suchen können, indem mir unter denselben geeignete Männer, welche der Sprache bis zum sprachhrihtigen Gebrauch wären, niht bekannt geworden si s ist mir in Schlesien und das ist eine vollständige Charakteristik der Zustände faum der cine oder andere der Geistlichen und Lehrer zu Gesiht gekommen, der imstande wäre, auch nur etne Selle in setner Muttersvrabe orthographisch richtig zu \chreiben, und doch ift die vyolnishe Orthograpbie ganz einfah. Ja, es läßt sich ohne Mühe bis zur unleugbaren Evidenz nahweisen, daß Geistliche und Lehrer in Ober- \chlesien die polnische Sprache korrumpiert haben.“

Meine Herren, diese Begründung ist ein sicher auch den Herrn Abg. Porsch überzeugender Beleg für die Richtigkeit meiner Bes hauptung, daß bis zum Amtsantriti des Herrn Bogedain in Oppeln von einem nennenswerten Betrieb des Hochpolnische den ober-

polnischen

mächtig

IPrade UCELUDT

ven in \{lesis{chen Volkss{ulen gar feine Rede wär. Bogedain hielt \ich aber für verpflichtet, die von ihm selbst als „Bauerndialekt*" bezeichnete obers{lesische Mundart durch Einführung des Hochpolnishen in den Sghulen zu „veredeln“. Auf einen Angriff des Abg. Schaffraneck in der Zweiten Kammer am 18. April 1849 erwiderte er:

„Ich habe es zur Aufgabe meines Lebens und Wirkens gemacht, gerade die \prahlichen Rechte des Volks zu vertreten. Oberschlesien hat gerade von mir zu fordern und zu erwarten, daß ih seine Nechte in dieser Beziehung zur Geltung bringen und die sprachlihen Elemente,- die dort im Volksleben leimen, pflegen werde. Ich betrachte dies als die größte und \{önste Aufgabe meines amtlißen Wirkens.“

Und an der Erfüllung dieser Aufgabe, dur Ausbildung der Lehrer im Hochpolnishen und entsprehenden Unterricht in den SHulen den oberschlesishen Dialekt der Bevölkerung zur hochpolnishen Sthrift- sprahe zu veredeln, hat er sich weder dur die Warnungen der Kollegen, ncch dur die Erlasse des Ministers irre machen lafsen.

Es fehlte {on damals feineswegs an Männern, welche die Gefahr der Durchführung der Bogedainschen Theorie erkannten. So berichtete bereits unter dem 17. Mai 1849 das Provinzialshulkollegium zu Breslau an den Minister:

„Wir können eine urplößglihe Veredelung des Shlesisch- Polnischen zu einer Zeit, wo im obershlesishen Dialekte noch ge- predigt und im gesamten Leben verkehrt wird, nicht als die eigent- lie Aufgabe des Seminars betrahten; noch weniger können wir es als eine Pflicht der Regierung anerkennen, die polnisch redenden Oberschlesier noch polnischer zu maden, statt sie neben und mit ibrer Muttersprache zum Gebrauch der Landessprache überzuleiten.“

Mein damaliger Amtsvorgänger von Ladenberg glaubte, den von den Provinzialbehörden vorgebrachten Bedenken urch genügend Rechnung zu tragen, daß er in seinem Erlasse, welcher die Bildung der Lehrer neben dem Deutschen auch im Polnischen vorschrieb, Hinter den Ausdruck „polnische Sprache“ überall seßte: „resp. den oberfch{lesishen Dialekt“.

Dieser Ausweg befriedigte keine der beiden Parteien. Der Schul- rat Bogedain widersprach der Behauptung, daß das Hochpolnische cine andere Sprache sei als das Obers(hlesishe, und verteidigte ausführlich die Berufung aus Posen stammender, also nur des Hoch- polnischen mächtiger Lehrer an das Seminar; die Provinzial» behörden, an ihrer Spiße der Oberpräsident, vertraten dem- gegenüber mit Entschiedenheit die Befürchtung, „daß mit der Pflege der großpolnishen Sprache die Oberschlesier auch der polnischen Nationalität und großpolnischen Tendenzen zugeführt würden“.

Bei der großen politishen Bedeutung der Frage glaubte der Kollege Bogedains, der Regierung8- und Schulrat Bartel, \sich nit auf die amtlichen Berichie in dieser Sache beschränken zu sollen, sondern erhob feine Warnungen auch noch in einem ausführlichen Privatbriefe an den damaligen Ministerialreferenten. Er schrieb damals unter anderem:

„Dadurch, daß die Leute ihr Oberschlesisch-Polnisch mit dem Hochpolnischen vertauschen und sich die Finessen der neueren polnischen Grammatiker aneignen sollen, wird zunächst in die Seminare und dann in die Glementarshulbildung der polnischen Kreise eine völlig \chiefe Richtung gebraht. Die Seminaristen und dann die Schulkinder werden zwishen dem Hochpolnischen, ihrer Muitersprache und der deutshen Sprache hin und ber gezerrt, und das bei der in den Lands{ulen so knapp zugemefsenen Schulzeit."

„Ich schaudere“, fährt er fort, „bei dem Gedanken, daß unsere oberslesishe Bevölkerung, die von den Großpolen selbst auf- gegeben ist, weil sie polnische Nationalität bereits verloren hat, dem entschiedenen Einfluß der deutshen Sprache und der deutschen Kultur wieder entrückt, daß in sie ein so bedenkliches Element, mit der hochpolnishen Sprache auh die polnische Nationalität, gebracht und dabei den Lehrern eine über ihre Kräfte gehende Arbeit aus falsch verstandenen Rücksichten aufgebürdet werden soll.“

„Fh will nicht des formalen Zweckes willen“, schreibt er weiter,

außer dem Oberschlesish-Polnishen und dem Deutschen noch ein