oben. Wir baben nur eine Altersgrenze nach unten : das 21. Lebens- jahr, und auch di-se ist keine absolute, sondern nur eine in der Regel eintretende.
Meine Herren! die Kommissionsvorshläge gehen in der Nr. 3 zum Theil binter die Gewerbeordnung von 1869 zurück, infofern, als in einzelnen Fällen, wo nah der Gewerbeordnung eine Versagung statt- finden konnte, nah diesen Vorschlägen unter Umständen eine Ver- fsagung nicht staitfinden kann. Die Gewerbeordnung \prach von 6 Wowen Gefängniß. Damals hatten wir _noch nit den Unter- \ckicd von Haft und Gefängniß, aber im Strafgeseßbuch § 1 heißt es: „Uebertretungen werden mit Haft bis zu 6 Wochen bestraft * Alo alle die Ucbertretungsfälle, die früher auh mit Gefängniß bis zu 6 Wochen, jeßt nur mit Haft bestraft werden, heiden ange- dts der nur von „Gefängniß“ sprechenden Kommissionsvorlage aus, sofern sie im übrigen den Kriterien der Nr. 3 entsprechen.
Meine Herren! Ih erlaube wir übrigens hieran noch eine weitere Bemerkung zu knüpfen. Die Hrn. Abgg. Baumbach und Ritter haben eine Abs{wäcbung vorgeschlagen in Bezug auf das Strafmaß. In der Kommissionsvorlage heißt es: „6 Wochen“, die Herren beantragen zu sagen: „3 Monate“. Nun, meine Herren, wollen Sie gefälligst Folgendes beachten. Die ursprüngliche 1869er Vorla(je statuirte die Versagungs-Möglichkeit, wenn dem Hausirer die Zuverlässigkeit fehlte. Die Kommission des Reichstages, bestehend unter Anderen aus den Herren v. Unruh, Dr. Braun, Dr. Miquel, Forkel, Vr. Wéigcl u. st. w., beantragte statt dieses Requisites der
uverlässigkeit die jeßt im Wesentlichen geltenden kasuistishen Be- stimmungen, aber mit der Möglichkeit, daß 5 Jahre lang auf die erfolgte Bestrafung zurückgegriffen werden könne. Diese Abshwächung der Regierungsvorlage genügte den Hrn. Abgg. Lasker und Runge noch nit; mit einer Stimme Majorität, 91 gegen 90 Stimmen, drüdckten sie im Plenum die Bestimmung dur, daß \chon nah zwei Jahren die Verjährung eintreten sollte, um es kurz zu bezeihnen. Und nun, reine Herren, geht der Antrag, der unter Nr. 216 der Drucksachen vor- liegt, noch einen Schritt weiter und will in den Bestimmungen der Gewerbeordnung aus „6 Wochen“ „3 Monate“ gemacht, also erst bei so {weren Bestrafungen die Versagungsmöglichkeit zugestanden wissen. Meine Herren, sehen Sie sh doch einmal diese \chiefe Ebene an, auf welcher sih der Antrag befindet. Die von den Hrn. Delbrück und Michaelis vertheidigte Vorlage verlangt die Zuverläs- sigkeit, die Kommission des hohen Reichstages verwirft diese, aber Fonzedirt 5jährige Verjährung, die Hrn. Abgg. Lasker und Runge verlangen zweijährige Verjährung, und dec Antrag Baumbach-Richtir fordert statt der 6 Wochen der Gewerbeordnung, die im Uebrigen beibehalten werden soll, 3 Monate, also ein vollkommen absteigen- der Ast. Meine Herren, cs liegt mir fern, aus dieser Erscheinung irgendwie politishes Kapital schlagen zu wollen , aber, daß wir uns auf ciner außerordentlich \hicfen Cbene mit diesen Anträgen befinden, das werden Sie mir zugeben. Sie können mir nicht verargen, wenn i sage: Vom Theile läßt sich auf das Ganze der übrigen Anträge \chließen. Meine Herren, dieser Antrag in Nr. 216 der Drucksachen geht also über das hinaus, was damals die Herren Abgg. Lasker und Runge gegenüber der Kommission des Reichstages durcgesetßzt baben. Ich glaube deshalb, meine Herren, daß wir nicht noch weiter gehen sollten, als es damals den genannten Herren gegen den Widerspruch eines großen Theiles des Reichstages zu erreichen ge- lungen ist. Jch bitte Sie, die Anträge der Hrn. Baumbah- Richter ablehnen zu wollen.
Der Abg. Walter befürwortete die Anträge des Abg. Baumbach, und führte aus, man solle bestrebt sein, einen Menschen, der einmal gefehlt habe, zur Erwerbsthätigkeit zurückzusühren, und nicht sih bemüheti, denselben in Erwerbs- losigkeit zu stürzen. Er bitte um Annahme des Antrags Baumbach, indem damit etwas Gutes gethan werde.
Der Abg. von Swhalscha erklärte, der erste zu sein, der für die Position stimn'en würde, wenn er glauben könnte, daß eine Polizeibehörde den Paragraphen so verstehen könne, wie der Abg. Meibauer dargelegt habe. Der Antrag Baum- bach habe eine Spezialisirung der einzelnen Fälle ins Auge gefaßt, die aber durhaus nit nöthig sei, weil er nicht glaube, daß eine kommunale Behörde an der Hand dieser Fassung des Paragraphen ungerechte Verfügungen treffen könnte. Er bitte, die Kommissionsvorlage anzunehmen.
Der Abg. Büchtemann erklärte, gerade, weil es gute und \chlechte Unterbehörden gebe, müsse man deren diskretionäres Ermessen beshränken. Halte man den Paragraphen in seiner ganzen Schärfe aufrecht, so werde man nur die Zahl der Vagabonden vermehren.
Der Abg. von Köller bemerkte, seine Partei wolle nicht, daß die Familie des Hausirers Hunger leide, und deshalb, nicht aus zünftlerishen Gründen wolle seine Partei die hier statuirte Beschränkung des Hausirgewerbes. Er bitte den Kommissionsantrag anzunehmen.
Der Abg. Dr. Baumbach erklärte, er vermöge nicht ein- zusehen, weshalb nur für den Wanderbetrieb absolute Tugend- haftigkeit zum Requisit gemacht w-rden solle, und nicht für das stehende Gewerbe. Es sei auch nit abzusehen, weshalb Jemand der Schein versagt werden könne, der wegen Ver- geben bestraft sei, die mit seinem Gewerbe nihts zu thun haden. Um diese Unbestimmtheit zu vermeiden, habe er feinen Antrag gestellt. Vielleiht werde gesagt, die Berech- tigung „könne“ untersagt werden, sie es niht versagt werden. Dann brauche man aber solche Geseßesparagraphen niGt. Denn in dieser Weise könne man Alles unter die Polizei siellen. Das sei eben der Unterschied: die Rechte wünsche den Polizeistaat, die Linke dagegen den Rechtsstaat.
Der Abg. Dirichlet führte aus, wenn man den Hausirer brodlos mache, wie wolle man da seinen Kindern einen regel- mäßigen Schulbesuch geben! Das sei ihm unerfindlih. Das Centrum nehme auch in dieser Frage eine eigenthümliche Stellung ein. Troht der traurigen Erfahrungen des Centrums wolle es der Polizei eine gewisse Latitüde geben. Er könne sich des Gedankens nicht erwehren, daß das Centrum sih im Allge- meinen jeßt sicher vor der Polizei fühle, seitdem das Centrum exfahren habe, daß es das fleinere Uebel sei und die Liberalen das größere. Man suche für erlittenes Unrecht einen Prügel- knaben. Das Centrum richte seine Abstimmung nicht ein mit Rücksicht auf die vorliegende Sache, sondern in einem Sicher- beitägefühl vor Polizeivexationen.
Der Abg. Stolle konstatirtz, daß der von ihm erwähnte Fall bei der Zwickauer Verwaltungsbehörde vorgekommen sei, die allerdings ohne Schuld im Drange der Geschäfte den Stein nicht gleich habe auszantworten können. Der arme Mann bätte aber niht so lange warten können, derselbe hätte weiter hausirt, und sei dann von der Glauchauer Polizei mit 10 é bestraft worden. Was den Vorwurf betreffe, daß er unbewiesene Behauptungen aufgestellt habe, so sei er bereit, e n ganzes Aktenfazcikel, weiches er bei sih habe und das alle von ihm “in der bekannten Angelegenheit aufgestellten Be- hauptungen beweise, jedem Abgeordneten persönlich vorzu- legen, um si niht dem Vorwurf auszuseßen, daß er so un- deliîate Sachen in die Oeffentlichkeit bringe.
Darauf ergriff der Bundeskommissar, Geheime Regierungs- Ratb Boediker das Wort:
Na diefer neueren Darstellung kann ib konstatiren, daß die betheiligte Behörde nit die geringste *Sc@uld dem alten armen Manne gegenüber auf sic_aeladen hat. Der Herr hat jeßt den Fall fo dzrgestellt, als ob im Januar der Antrag gestellt wurde und der
Mann die nächsten Tage hätte abreisen müfsen. Das ist úatürlib nicht mögli, daß an demselben Tage die sämmtlihen beantragten Scheine ausgestellt werden, das ist auch nit mögli nah einer Vorlage, die Sie einrihten mögen wie immer. Ein gewisser Zeitraum muß den Behörden für die Ausstellung der Scheine ein\{ließlich Anstellung etwa nöthiger Erkundigungen verstattet werden. Die erfte Darstellung war \o, als ob die Behörde den armen Mann dur ihre Schuld ge- \chädigt häâtie; daß das nicht der pa gewesen ist, das vor dem Hohen Hause zu konstatiren, habe ih mi für verpflichtet gehalten.
Die Diskussion wurde geschlossen.
Nach einer Reihe persönliher Bemerkungen wurde in der Abstimmung Ziffer 1 des 8. 57b. gemäß dem Antrage Baum- hes e en gegen 142 Stimmen, d. h. mit Stimmengleich-
it abgelehnt.
Der Eventualantrag Baumbach zu Nr. 3 desselben Para- graphen, welcher die einzelnen Delikte spezifiziren wollte, wurde ebenfalls durch Auszählung mit 143 gegen 143 Stimmen ab- gelehnt, und der Antrag desselben Abgeordneten, einfach statt „6 Wochen“ zu seßen „3 Monate“ mit 144 gegen 143 Stim- men abgelehnt.
Ueber die Nr. 3 in der unveränderten Kommissions- fassung mußte auf Antrag des Abg. Richter (Hagen) noch besonders abgestimmt werden. Das Resultat der Abstimmung war die Annahme des Alinea 3 mit 147 gegen 143 Stimmen.
Der ganze §. 57b., aus dem durch die vorhergehenden Beschlüsse die Ziffer 1 entfernt war, wurde mit erheblicher Majorität angenommen.
Der 8. 58 lautet nach dem Kommissionsbeschlusse :
Der Wandergewerbeschein kann zurückgenommen werden, wenn sich ergiebt, daß eine der im §. 57 Ziffer 1 bis 4, §. 57a. oder 8, 57 b. bezeihneten Vorausseßungen entweder zur Zeit der Erthei- lung desselben bereits vorhanden gewesen, der Behörde aber unbe- e Ra oder erst nach Ertheilung des Scheins einge- reien 111.
Diesen Paragraphen beantragten die Abgg. Dr. Baumbach und Gen. zu stretchen.
Der Abg. Dr. Baumbach befürwortete seinen Antrag. Aus denselben Gründen, wie seine Partei gegen die Versagung des Wandergewerbescheins gestimmt habe, werde sie auch gegen die Zurücknahme stimmen. Er halte die Ausdrücke „shwindel- haft“ und „liederlih“ nicht präzisirt genug, meine auch, daß es noch viel empfindliher für den Betroffenen sein müsse, wenn der Schein nachträglich Jemandem entzogen werde, der sih bereits für einen Gewei bebetrieb eingerihtet habe. Die Verhältnisse des Mannes, welche von der einen Behörde als zuverlässig anerkannt seien, könnten von einer andern Behörde vielleiht sür shwindelhaste angesehen, und die Konzession zum Betriebe deshalb versagt werden. Er bitte also, es bei der O Gewerbeordnung zu lassen, und den Paragraph zu streichen.
Der Abg. von Kleist-Rezow bemerkte, der Gewerbeschein bestehe doch auch für Frauen, und bei diesen werde cs immer sehr leiht sein zu wissen, ob sie liederlih seien oder nicht. Auch der Begriff des Schwindelhasten werde leiht defi- nirt werden können. Er verlange gleihes Recht für Ale; wenn die Kommission aus bestimmten Gründen die Versagung eintreten lasse, so müsse man auch die Zurückziehung bei denen zugeben, die dieselben Vergehen begangen hätten, wie jene.
Der Abg. Dr. Meyer (ZJena) erklärte, prinzipiell stimme au seine Partei für eine Zurücknahme des Gewerbescheins, da sie aber mit den Versagungsgründen niht ganz einver- standen sei, so behalte seine Partei sih dem entsprehende An- träge füx die dritte Lesung vor.
Der Abg. Günthéèr (Sachsen) bemerkte, wenn die Rechte diesen Paragraphen ablehne, so stelle die Nehte den Polizei- beamten, dem man doch sonst nicht viel vertraue, als un- fehlbar hin, denn man gebe dem Polizeibeamten die Matt, Konzessionen zu gewähbren, die derselbe niht gewähren würde, wenn er das Vorleben des Nachsuhenden genau gekannt hätte. Gegen den Paragraphen könne nur der stimmen, der gegen die ganze vorliegende Novelle sei.
Der Abg. Meibauer erklärte, auch seine Partei schwärme nicht für den Hausirhandel. Bedenke man doch aber, welchen Maßregeln der Hausirer sich bei der Konzessionsertheilung unterwerfen müsse: derselbe müsse Legitimationen und Nach- weise beibringen, derselbe müsse sh ärztlih untersuchen, viel- leiht au von einer Schönheitskommission prüfen lassen, ob derselbe nicht entstellt sei, da sei doch gewiß keine Gefahr vor Mißbrauch der Bestimmungen vorhanden. Auch gelte der Gewerbeschein ja nur ein Jahr, und die Polizei habe Mittel genug, ihn bis zum Jahresshluß zu überwachen.
Der Bundeskommissar führte aus, auch dieser Paragraph sei auf die Petitionen von mehreren großen Städten ent- standen: er bitte, denselben anzunehmen.
Der Abg. Richter (Hagen) betonte, in diesem Para- graphen steige der Polizeistaat wiederum eine Stufe höher. Man könne für das ganze Geseß und doch gegen diesen Para- graphen stimmen. Vorher habe man immer gesagt, die Polizei wisse das Alles ganz gut, und nun wolle man ihr auf einmal solche Jrrthümer möglich sein lassen. Sodann könne diese Bestimmung mit großer Leichtigkeit von den Polizei- beamten zum Austrag von persönlichen Feindschaften gebraucht werden. Er beantrage wenigstens, die Worte zu streichen, wona der Schein entzogen werden könne, wenn ein Ver- gehen vor Ertheilung desselben stattgefunden habe.
Der Abg. von Köller erklärte, dieser Gewerbeschein werde ja gar nit von niederen Behörden, sondern nur von den Regie- rungs-Präsidenten ertheilt und könnte also auch nur von diesem entzogen werden. Er bitte, den Kommissionsvorschlag anzunehmen.
Dir Abg. Nichter (Hagen) bemerkte, sehe man sich doch die fleinlihen Beeinflufsungen der Regierungs-Präsidenten bei den Wahlen an! Und diesen Leuten wollte mar sogar auf der Linken ihre Befugnisse erweitern? Wie könnten dies na- mentlih auch die Polen thun, die über ihre Distrikts-Kom- missarien immer klagten? Gerade die niederen Polizeiorgane matten die Berichte, nah denen die Gewerbescheine ertheilt würden.
Der Atg. von Kleist-Rezow erklärte, die Entscheidung werde durch die Behörden der Selbstrerwaltung, in lebter Linie durch das Ober-Verwaltungsgeriht, getroffen, die unteren Jnsianzen hätten wenig dabei zu thun.
Nach Ablehnung der beiden Anträge wurde der §. 58 in der Kommissionsfafsung angenommen.
Der §. 59 lautet nah dem Kommissionsbesc{lusse:
Eines Wandergewerbescheins bedarf nicht:
1) wer selbstgewonnene oder robe Erzeugrifse der Lande und Forstwirthschaft, des Garten- und Obftbaues, der Geflügel- und Bienenz1bt, sowie seibstgewonnene Erzeugniffe der Jagd und Fischerei feilbietet ;
2) wer in der Umgeg:nd feines Wohnorts bis zu 15 km Ent- fernung von demselben selbstverfertigte Waaren, welche zu den
Gegenständen des Wochenmarktverkehrs gehören, feilbietet 95
gewerbliche Leistungen, binsihtlich deren dies Landesgebrauch f
anbietet ;
3) wer s\elbstzewonnene Erzeugnisse oder selbstv Waaren, binsictlitgo deren dies S eiaatbran& ift, n Wasser fährt und von dem Fahrzeuge aus feilbietet ;
4) wer bei IMentizden Felten, Truppenzusammenziehungen oder anderen außergewöhnlihen Gelegenheiten mit Erlaubniß der Orts, PEIIEN die von derselben zu bestimmenden Waaren fei[, teTectk.
Die Landesregierungen können in weiterem Umfange dey Gewerbebetrieb im Umherziehen mit Gegenständen des gemeinen Dns ohne Wandergewerbeschein innerhalb ihres Gebietes gestatten.
Der Abg. Dr. Papellier {lug folgende Fassun Ziffer 1 vor: „wer Erzeugnisse der Land- und Forsiwirtbhag des Garten- und Obstbaues, der Geflügel- und Bienenzut' der Jagd und Fischerei aufkauft oder feilbietet ;“ :
Der Abg. Kayser (Freiberg) wollte noch folgenden Zusaß der Nr. 1 geben: „oder wer selbstproduzirte Waaren in eigner Person feilbietet oder durch Familienangehörige feilbieten läßt.“
Der Abg. Kayser (Freiberg) befürwortete seinen Antrag, Dur alle Beschränkungen würden die Kleingewerbetreibenden ebenso wie die Hausirer beshwert, vorzugsweise die \sähsishen Weber und die Holzwaarenfabrikanten in Württemberg. Die Kleingewerbetreibenden auf dem Lande seien schon jeßt un: gemein beschwert, so daß sie vielfah im Hausiren ihre leßte Rettung sähen. An den Tagen, wo die ländliche Arbeit ruhe, verfertigten sie ihre Waaren, und mit diesen gingen dann Familienmitglieder hausiren. Es liege hierin noch ein geringes Ueberbleibsel der Selbständigkeit gegenüber dem Großkapital und diese Selbständigkeit werde erhalten, wenn das Hauz seinen Antrag annehme.
Der Abg. Dr. Papellier motivirte seinen Antrag damit, daß bizher der Ausdruck rohe Erzeugnisse der Landwirthschaft auf zu enge Grenzen ausgedehnt sei. Die Motive gäben au keinen genügenden Aufshluß darüber. Es sei sowohl im Jn: teresse der Konsumenten wie der Produzenten, wenn auch die Artikel des Wochenmarktes, z. B. Eier, Hühner 2c. als rohe Erzeugnisse der Landwirthschaft zählten.
Der Bundeskommissar Geheime Regierungs-Rath Bödiker erwiderte, daß in den Motiven der Unterschied zwischen „rohen“ und „nicht rohen“ Erzeugnissen der Landwirthschaft genügend dargelegt sei. Mit Eiern und Hühnern dürfe ohne Wander: gewerbeschein hausirt werden, sie seien zu den rohen Erzeug: nissen der Landwirthschaft zu rechnen. Der Antrag des Abg. Papellier aber sei weitergehend, als im Jnteresse der Ordnung S sei. Schließlich bitte er, beide Anträge ab: zulehnen.
Der Aba. Dr. Baumbach beantragte den Absaß 1 folgen: dermaßen zu fassen: „Wer Erzeugnisse der Land- und Forst: wirthschaft u. #. w., sowie selbstgewonnene Erzeugnisse feil: bietet u. \. w.“ :
Der Abg. Dr. Braun wünschte im Jnteresse der Fische: rei, daß dem Fischverkauf keinerlei Schranken aufgelegt wür: den, wie es in 8. 59 der Vorlage geschehe. Solle die Fische: rei in Blüthe kommen, so dürfe man niht nur die Produk: tion der Fische, sondern auch den Konsum fördern; und die: fen s{hränke man ein, wenn man nur selbstgewonnene Fische frei feilbieten lasse. Er bitte um Annahme des Antrages Baumbach.
Der Abg. von Chlapowski erklärte, die Liberalen hätten den Polen schon mehrfach Vorstellungen darüber gema@cht, daß sie für die Verstärkung der Polizeibefugnisse eintreten. Den Polen gegenüber werde ja die Macht der Polizei häufig miß: braucht: er wolle einmal sehen, ob die Liberalen die Anträge der Polen in dieser Beziehung unterstüßen würden.
Hierauf vertagte das Haus um 5 Uhr die weitere Debatte auf Donnerstag 11 Uhr.
— Jn der heutigen (64.) Sißung des Reichstages, welcher der Staats-Minister Scholz sowie mehrere Bevoll mädctigie zum Bundesrath und Kommissarien desselben bei wohnten, forderte der Präsident von Leveßow die Mit- glieder des Hauses auf, sih in der Erinnerung an den ver: storbenen Abg. Sandtmann von ihren Pläßen zu erheben, was geschah. Ferner kündigte der Präsident für heute eine Abendsißzung an, weil die Gewerbeordnungsnovelle wenn S noch in dieser Woche zu Ende berathen wer-
en solle.
Hierauf seßte das Haus die zweite Berathung des Geseh: entwurfs, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung, und zwar mit der gestern abgebrohenen Debatte über §. 59 und die Anträge der Abgg. Dr. Papelier, Dr. Baunibaÿ und Kayser fort.
Der Abg. von Köller kritisirte die zum §. 59 gestellten Anträge. Der Antrag Papellier verbessere nicht, sondern ver: \hlehtere den Geseßentwurf; der Antrag sei unnüß, unpraktish und gefährlich, derselbe würde nur den Hehlern, Wild- und Fischdieben ihr Geschäft erleihtern. Der Antrag Kayser, der den Handel mit selbstproduzirten Waaren ganz frei geben wolle, sei bedenklich, denn es sei unmöglich, in jedem Falle zu unterscheiden, ob der Betreffende die Waaren selbs produzirt oder im Handel erstanden habe. Auch der Antrag Baumbas, nah welchem der Händler, der in großen Massen die Fish auffaufe, befugt sein solle, die Fishe ohne Gewerbeschein in das Land hinein zu verkaufen, sei unnöthig und bedenkliä, weil derselbe dem Fishdiebstahl Vorschub leisten würde. Er bitte, sämmtliche Anträge abzu! ehen.
Der Abg. Dr. Baumbach erklärte, daß er dem von dem Abg. Kayser gestellten Antrage sympatish gegenüberstehe, nur der darin gebrauhte Ausdruck „Familienangehörige“ sei zu Ul bestimmt. Der Antrag Papellier gehe ihm bezüglich der Jagderzeugnisse zu weit. Er- bitte besonders im Jnteresse der kleinen Landwirthe um Annahme des von ihm selbst gestellten Antrages. E
Der Bundeskommissar, Geheime Regierungs-Rath Bödiker bat um Ablehnung sämmtlicher Anträge. 1869 sei ein ent sprechender Antrag, welcher auch die „selbstgewonnenen Waaren habe streichen wollen, mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Wenn ferner, wie er glaube, der Wunsch gehegt werde, dab die Butter für ein rohes Erzeugniß der Landwirthschaft 1 Sinne dieses Paragraphen erklärt würde, glaube er nicht, dab die verbündeten Regierungen dem entgegentreten würden.
Die Anträge Papellier, Baumbah und Kayser wurden abgelehnt, und §. 59 in der Fassung der Kommission geneh: migt. Ebenso wurden ohne Diskussion die §8. 59 a., 60 und 60 a, nah dem Kommissionsvorshlage angenommen.
8. 60b. [autet nah dem Kommissionsbes{lusse : A
Minderjährigen Personen kann in dem Wandergewerbescheint die Beschränkung auferlegt werden, daß sie das Gewerbe nicht nad Sonnenuntergang und minderjährigen Personen weibliden S“ \chlechts kann außerdem die Beschränkung auferlegt werden, daß !ie
| Me s der Sittlichkeit nicht so viel helfen, als sie auf der
nur auf öffentlihen Wegen, Straßen und Plätzen, nit E Haus zu Haus betreiben dürfen. iam Desgleichen kann von der Ortspolizeibehörde minderjährigen Personen verboten werden, daß sie innerhalb des Polizeibezirks die im 8. 59 Ziffer 1 und 2 aufgeführten Gegenstände nad Sonnen- untergang, und minderjährigen Personen weibliben Geslechts, daß sie dieselben Gegenstände von Haus zu Haus feilbieten.
Der Abg. Dr. Baumbach meinte, daß dur die Bestim- mungen dieses Paragraphen die Sittlichkeit niht gefördert werden würde; die Zeitbestimmung „nah Sonnenuntergang“ sei sehr unpraktish. Ganz entschieden müsse er si aber gegen n von der Kommission hinzugefügten Absay aussprechen, sich im Jnteresse der Sittlichkeit absolut nichts
den L Er bitte, den Paragraphen abzulehnen.
nführen lasse. anf L
er Abg. von Kleist-Reßow vertheidigte den §. 60 b. n die vom Abg. Baumbach dagegen erhobenen Bedenken. Der Abg. Büchtemann {loß fh den Ausführungen des
gege
Baumbach an; die hier vorgeshlagenen Bestimmungen
Seite dem Hausirhandel {haden könnten. Die Hebung der Moral müsse auf einem ganz anderen Gebiete versuht werden. 8. 60 b. wurde angenommen. . 60e. lautet nach dem Kommissionsbehiusse:
Der Inhaber eines Wandergewerbescheins ift verpflicbtet, die- sen während der Ausübung des Gewerbebetriebes bei si zu führen, auf Erfordern der zuständigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, sofern er hierzu niht im Stande is, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbeishaffung des Wandergewerbescheins einzu- stellen. Auf gleiches Grfordern hat er die von ihm geführten
Maaren vorzulegen. L L E A Zum Zwecke dis Gewerbebetriebes ist ohne vorgängige Er-
iß der Eintritt in fremde Wohnungen, sowie zur Nachtzeit E Us fremder Häuser und Gehöfte nit gestattet. :
Denselben Bestimmungen — Absay 2 — unterliegt das Feil- bieten der in § 59 Ziffer 1 und 2 aufgeführten Gegenftände.
Der Abg. Dr. Baumbach beantragte, den zweiten und dritten Absaÿ zu streichen. Der Regierungskommissar habe in der Kommission erklärt, daß der Hausirer die üblichen Regeln des Verkehrs beobachten solle. Er halte diese Beshränkung für überflüssig und bitte dringend um Ablehnung derselben.
Der Bundeskommissar, Geheime Regierungs-Rath Bödiker wies darauf hin, daß die Gewerbeordnung von 1869 hier- über noch schärfere Bestimmungen enthalten habe. Es sei sehr wünschenswerth, daß der Hausirer wenigstens anflopf und die Erlaubniß zum Eintreten abwarte.
Der Abg. von Schalscha bemerkte dem Abg. Baumbach, daß derselbe mehr die Interessen der Hausirer als der von denselben Belästigten zu vertheidigen scheine.
Der Abg. Meibauer befürwortete den Antrag Baumba, derselbe wies auf die praktishe Unmögli®hkeit hin, daß die hier vorgeschlagenen Maßregeln im Hausirhandel streng be- folgt würden; wenn man solche Beschränkungen einführen wolle, möge man lieber das Hausirgewerbe ganz verbieten. 8, 60c. wurde angenommen. Ebenso ohne Debattz die 88. 60d, 61, 62, 63 nach den Kommissionsbeschlüssen. i L
Bei S@&luß des Blattes begann die Diskussion über
Art 10a. 8. 83.
— Die zu einer Militärschießschule oder einem ähnlihen Militär-JFnstitut kommandirten Offi - ziere gehören,naheinem Urtheil desReihs gericht 8, 1V. Civil: senats, vom 22. Februar d. J., nicht zu dem eigentlichen Personal- bestande des Jnstituts und theilen nit mit diesem Personal die Eigenschaft, der Gar nison des Ortes, woselbst das Militär-Jn- stitut sich befindet, anzugehören. Die Ortsgemeinde hat demzu- folge diesen Offizieren Quartier zu gewährcn. Nur wenn die Dauer des Kommandos länger als sechs Monate feststeht, sind die hinkommandirten Offiziere als dahin verseßt zu be- traten, und braucht die Ortsgemeinde ihnen dann fein Quartier zu gewähren.
— Die Eröffnung der internationalen Fischerei- Ausstellung in London findet nicht — wie in einigen Zeitungen gemeldet war — am 1., sondern erft am 12. Mai d. J. statt.
— Der General-Lieutenant von Hartmann, Direktor des Departements für das Jnvalidenwesen im Kriegs:Mini- sterium, hat einen mehrmonatlihen Urlaub nah Jtalien an- getreten.
Wiesbaden, 11. April. Jn der heutigen 2. Plenar» sißung des Kommunal-Landtages wurde nah Verlesung des Protokolls der vorigen Sizung und Mittheilung zweier neuer Eingänge die Wahl der 4 Kommissionen, 1) der Finanz- kommission, 2) der Eingabenkommission, 3) der Wegebau- kommission, 4) der Rehnungs-Prüfungskommission, vorgenom- men und sodann zu der Wahl einer Kommission von 7 Mit- gliedern für die Begutahtung der Geseßesvorlage, den Forst- \huy betreffend, geschritten. Hierauf wurden die einge: gangenen Eingaben und sonstigen Vorlagen an die betreffen- den Kommissionen vertheilt.
Bayern. München, 12. April. (W. T. B.) Der König von Sathsen is heute früh hier eingetroffen und am Bahnhof von dem Prinzen Georg von Sachsen, dem Herzog von Genua, dem Prinzen Alphons von Bayern und der sähsishen Gesandtschaft empfangen worden. Der König stieg im Bayerischen Hofe ab. , ; :
— 12. April. (W. T. B.) Prinz Ludwig Ferdi- nand von Bayern und seine Gemahlin, Fnfantin della Paz, hielten heute ihren Einzug.
_ Sachsen. Dresden , 11. April. (W. T. B.) Der König ist heute Nahmittag nah München abgereist. Nach Ablauf der Hoffestlichkeiten in München begiebt sih der König nah Meran, wohin die Königin Karola bereits am 9. d. M. abgereist ist.
Württemberg. Stuttgart, 11. April. Nah dem heute in dem „St. A. f. W.“ veröffentlihten Bulletin zeigt sih in dem Befinden des Königs fortschreitende Besserung, #so daß morgen kein Bulletin ausgegeben werden wird.
Baden. Karlsruhe, 10. April. Das Ministerium des Innern wird, wie die „Karlsr. Ztg.“ mittheilt, im Laufe des Jahres in 36 Gemeinden Erhebungen über die Lage der landwirthschaftlihen Bevölkerung ver- anstalten. Bei der Auswahl der Gemeinden wurde darauf Rücksicht genommen, daß alle Kulturzonen des Großherzog- thums und alle Wirthschaftsverhältnisse zu entsprehender Ver- tretung gelangen; ebenso ist der thatsählih bestehenden Ver- schiedenheit der Erbfolge Rehnung getragen worden. Endlich war man darauf bedaht, neben solhen Gemeinden, die si notorish zur Zeit in wenig günstigen oder {le{chten Verhält- nissen befinden, au solhe zur Erhebung heranzuziehen, deren
anderen
wirthshastlihe Lage im Allgemeinen als eine befriedigende angesehen wird.
Meck&lenburg. S{werin, 11. April. (Medckl. Anz.) Ueber das Befinden des Großherzogs ist heute folgendes Bulletin ausgegeben worden: e E
Im Ver'auf des gestrigen Tages ließ si das Vorhandenfein einer Entzündung von nit beträctlihem Umfang in der reten Lunge nachweisen. Das Fieber hält \sich auf mäßiger Höhe, der Husten ist von feiner Bedeutung, der Umfang der entzündeten Partie bat seit geftern Abend nicht zugenommen. Der Kräftezuftand des boben Patienten ift bis jeßt durchaus befriedigend.
WaldeckX und Pyrmont. Arolsen, 10. April. Der auf den 8. d. M. zu einer außerordentlihen Session einbe- rufene Landtag der Fürstenthümer Waldeck und Pyrmont trat alsbald nach der Eröffnung desselben zu seiner Konstituirung zusammen und wählte den Vorstand und die verschiedenen Kommissionen. Î |
In der heutigen 2. öffentlihen Sißung kam die Geseßes- vorlage, betreffend die Konvertirung der beiden Staatsanleihen von 1854 und 1860, zur Berathung. Nath dieser Gesetes- vorlage sollen die noch ungetilgten 4/2 proz. Staats-Schuld- verschreibungen zu 2424 300 4 am _ 30. d. M. zum 1. August d. J. gekündigt und gegen 4 proz. Schuldvershreibungen um- getausht bezw. zurückgezahlt werden. Diese Maßregel if damit motivirt, daß der Zinsfuß von 41/, Proz. nach dem gegenwärtigen Stande des Geldmarktes zu ho jei, und eine Ermäßigung desselben bei der ungünstigen Finanzlage der Fürstenthümer besonders erwünsht erscheinen müsse. Die Dur@führung der Konvertirung ist dur einen mit der See- handlung zu Berlin abgeschlossenen Vertrag gesihert.
Der Landtag nahm die Gesezesvorlage en bloc einstimmig an, sprach dabei jedoh den Wunsch aus, daß die Bestimmung, nah welcher die eingelösten Schuldverschreibungen „im Beisein eines Mitgliedes des Amtsgerihts Arolsen“ kassirt werden sollen, ausfallen möge, falls die Regierung kein Bedenken hiergegen habe.
Oesterreich - Ungarn. Wien, 11. April. (W. T. B.) Im Abgeordnetenhause erklärte heute bei der Debatte über die Vergebung des Baues der Böhmish-Mährischen Transversalbahn der Handels-Minister, Baron Pino, er sehe in dem Antrage auf Ausschließung der Generalunter- nehmung einen Eingriff in die Exekutive der Regierung “und er würde nicht in der Lage sein, die Sanktion des Geseßes mit dieser Bestimmung zu erwirken. Bei der namentlichen Abstimmung wurde der vorbezeichnete Antrag mit 156 gegen 145 Stimmen abgelehnt. :
Prag, 11. April. (W. T. B.) Jn dem hier verhan- delten S ozialistenprozesse wurden heute der angeklagte Schuhmacher Thiele wegen Geheimbündelei zu 5wöchentlichem, ein Genosse zu einmonatlichem, ein anderer zu 14tägigem Arrest verurtheilt. Vier Angeklagte wurden freigesprochen.
Pest, 11. April. (W. T. B.) Der Justizausshuß des Abgeordnetenhauses nahm den Geseßentwuef betreffend Eheshließung zwischen Christen und Juden mit 6 gegen 5 Stimmen als Grundlage für die Spezialdebatte an. Der Justiz-Minister sprah sich dabei gegen die Aufhebung der firhlihen Gerichtsbarkeit aus. Mehrere Redner be- fämpften den Entwurf und verlangten Einführung einer wirk: lichen Civilehe.
Großbritannien und Jrland. London, 10. April. (Allg. Corr.) Das neue Gese in Bezug auf Explosionen und die Fabrikation und den Besiy von Sprengstoffen, welches gestern von beiden Häusern des Parlaments mit einer Schnelligkeit durch alle Stadien gefördert wurde, die in den Annalen des Parlaments seit der ebenso raschen Annahme der Bill, welche die Habeas-Corpus-Akte in Frland im F. 1866 suspendirte, ohne Beispiel dasteht, findet ungeachtet seiner sehr strengen Bestimmungen die Zustimmung aller Zeitungen ohne Unterschied der Parteifärbung. Allgemein wird anerkannt, daß cine solhe Maßregel dringend nothwendig war, um der um sich greifenden Dynamit-Vershwörung der irischen Schreckens8- männer Einhalt zu thun. „Die Regierung“, sagt die „Da ily Ne ws“, „hat nicht allein die Unzulänglichkeit des bestehenden Geseßes zur Behandlung eines gefährlihen und verhältniß- mäßig neuen Verbrechens anerkannt, sondern auch die Zweck- mäßigkeit, das Strafmaß dem Schuldgrade arzupassen. Das Geseß ist natürlicherweise niht rückwirkender Natur, denn das würde gegen die gesündesten Prinzipien und die besten Tra- ditionen der englishen Politik verstoßen.“ Unter den Um- ständen wird das neue Geseß, da dasselbe erst heute die landesherrlihe Genehmigung empfing, keine Anwendung auf die vor einigen Tagen verhafteten Dynamitvershwörer Norman, Wilson, Gallagher, Dalton, Curtin, Ans- burgh, Whitehead u. \. w. finden, — Das gestern in Um- lauf gewesene Gerücht, daß die Polizei weitere Emissäre des Dynamitbundes dingfest gemaht habe, hat keine Bestäti: gung gefunden. Seit Sonntag haben keine neuen Verhaf- tungen stattgefunden, allein die Polizei kennt jeyt die ganzen Details des Dynamitkomplottes, welches bezweckte, durch eine Reihe gleichzeitiger Nitroglycerin- plosionen ganze Stadttheile von London zu zerstören. Das Nitroglycerin sollte in ver- schiedenen Quartieren der Hauptstadt, in obskuren Logir- häusern, Kaffeehäusern, Privat- und öffentlichen Hotels und andern Plägen deponirt und auf ein gegebenes Signal ent: zündet werden, Dr. Gallagher hat im Millbank-Gefängnisse eine Erklärung zu Papier gebracht, in welcher er sih als ein in Brooklyn ansässiger Arzt bezeihnet und jedwede Betheili- gung an der Dynamitversbwörung in Abrede stellt. Wilson, in dessen Logis in Nelsonsquare eine Quantität Nitroglycerin mit Beschlag belegt wurde, bestreitet, daß Gallagher irgend welhe Kenntniß von dem Vorhandensein des Nitroglyce- rins gehabt habe. Mehr Licht über die Angelegenheit wird wahrscheinlih das nächste Verhör der in Hast gebrachten Ver- dächtigen vor dem Polizeirichter in Bowstreet verbreiten. Wie ver- lautet wird Norman, welcher einen Koffer voll Nitroglycerin aus Birmingham nah London brachte, in diesem Verhör als Kronzeuge gegen die übrigen Verhafteten auftreten.
Frankreich. Paris, 10. April. (Fr. Corr.) Gestern Abend um 9 Uhr traten die Minister zu einem außerordent- lichen Conseil zusammen, welcher fast auss{ließlih der Vor- bereitung von Dekreten gewidmet war, die am Schluß des heutigen Ministerraths dem Präsidenten der Republik zur Unterzeihnung vorgelegt werden sollten und auf die Erseßung der verstorbenen Mitglieder des Episkopais fowie der höheren Magistratur Bezug haben. Wie verlautet,
entspann sich über die Ernennungen im Richterstande zwishen dem Justiz-Minister und dem Conseils-Präfidenten einer: und ihren übrigen Kollegen andererseits eine Er- örterung, die sich namentlich um die Person des neuen Prä- sidenten des Kassationshofs drehte. Die Einen möchten diesen wichtigen Posten mit einer vorwiegend politischen Persönlich- keit bekleiden, während die Anderen die Ansicht vertraten, es käme zunächst darauf an, daß der Neugewählte eine Autorität in seinem Berufe wäre. Da auch im Ministerrath von heute Morgen. eine Einigung über die Persönlichkeit des Nachfol- gers Mercier's, Präsidenten des Kassationshofes, welcher die geseßliche Altersgrenze erreiht hat, nicht C t worden ift, so wurde die Entscheidung bis zu dem Ministerrath am Donnerstag vertagt.
— 10. April. (Cöln. Ztg.) Der Herzog von Aumale und der Graf von Paris haben gestern ihre Reise über Rom nah Palermo angetreten. i E
— 11. April. -(W. T. B.) Der Conseils-Präfident Ferry fkonferirte heute Vormittag mit dem Finanz- Minister Tirard. Die „France“ sagt: Tirard sei der Meinung, daß die Verhandlungen mit den Eisenbahnen fehlshlagen müßten; das Gleichgewicht des Budgets sei daher nur möglich durh die Konversion der Rente. Mehrere Journale stellen Betraätungen über die atun an der heutigen Börse an und fordern die Regierung auf, ihre Absichten offen kundzugeben. Der „Temps“ konstatirt, daß eine Anleihe ecst für 1884 nothwen- dig sei, und erinnert daran, daß die Dariegung der Motive zu dem Budget für 1884 die Absicht, eine Anleihe von 300 Millionen für öffentliche Arbeiten aufzunehmen, durh- bliden ließe, und daß in diesem Budget ein Posten von 13 Millionzn als Kostenbetrag für die vorgesehene Anleihe figurire. j
Die „Agence Havas“ veröffentliht folgende Nach- rihten aus Tonkin: Die Ankunst der vom „Corrèze“ ge- brahten Verstärkungen hatten gegen Ende Februar d. E: unter den Anhängern der anamitishen Mandarinen große Erregung hervorgerufen. Lehßtere versuhten den Flußarm, welher nah Hanoi führt und den die Citadelle von Mamdink beberrs{cht, abzusperren; der französishe Befehlshaber am Flusse sah fi daher zur Erhaltung der Verbindung genöthigt, am 27. März die Citadelle zu beseßen. Ebenso besegte derselbe die Stellung von Honghay in der Bay von Along ; der fran- zösishe Vertreter am Hofe von Hue, der bercits der Gegen- stand von allerhand Turbationen war, die sih_ leiht ver- \hlimmern konnten, hielt deshalb seine Abreise für geboten und is mit seinem ganzen Personal gegenwärtig in Saigon eingetroffen.
Italien. Rom, 11. April. (W. T. B.) Bei der heute im Senat fortgeseßten Verathung über das Budget des Mini- steriums des Aeußern drückte der Berichterstatter Cara c - ciolo den Wunsch aus, daß die gegenwärtig zwischen Frankreich und Jtalien bestehenden Meinungsverschiedenheiten aufhören möchten. Die Gesinnung der Negierung gegen Frankreich sei keine feindselige und könne eine solche nicht sein: man müsse be- züglich der Kapitulationen einen modus vivendi finden. Die guten Beziehungen zu Deutschland und Oesterreich-Ungarn würden viel zum Erfolge einer konservativen, friedlichen Politik beitragen. — Der Minister des Auswärtigen, Mancini, sprah darauf den Vorrednern seinen Dank für die An- erkennung aus, daß sich in Folge der Bemühungen des gegen- wärtigen Kabinets die Politik Jtaliens in den leßten beiden Jahren merkbar gebessert habe. FFnsbesondere dankte der Minister den Vorrednern dafür, daß von ihnen die intimer gewordenen Beziehungen Ftaliens zu Deutschland und Oesterreich-Ungarn gebilligt worden seien. Diese Beziehungen hätten si bereits gezeigt bei dem Einverständniß der drei Regierungen über die Hauptfragen, sowie in dem wachsenden Einflusse Ftaliens in dem europäischen Areopag. Von den schweren Pflichten einer Regierung könnten diejenigen keinen rihtigen Begriff haben, welche sie dahin drängen möchten, angesihts der Versicherungen und Gerüchte aller Art, welche seit einiger Zeit über diesen Gegenstand in Umlauf geseyt werden, die nothwendige Vorsicht und Reserve aufzugeben. Die Zurück- haltung der Vorredner, welche geglaubt haben, davon Abstand nehmen zu sollen, darauf bezügliche spezielle Fragen an ihn zu stellen, werde er gleihfalls beobachten. Jn der Deputirtenkammer habe er nur genau -die in der Delegation in Pest abgegebenen Erklärungen des österreichish:ungarischen Ministers des Aus- wärtigen wiederholt, welcher gesagt habe, daß die vollständige Einigkeit zwischen Jtalien, Deutschland und Oesterreih:Ungarn allein einen friedlihen Zweck habe. Die Erklärungen dieses Ministers hätten zu keinerlei Bemerkungen und Fnsinuationen Raum gegeben. Er sei daher verwundert daruber , daß seine vollkommen identischen Erklärungen in der italienischen Depu- tirtenkammer eine so abweihende Wirkung hervorgerufen hätten. Ec bleibe bei dem, was er in der Deputirtenkammer erklärt habe, sage niht mehr, auh nit weniger und bestä- tige, was er erklärt habe, aus\hließlih und ganz. Eine wihtige Thatsache sei, daß Jtalien nicht isolirt sei in Europa ; seine Politik sei eine Politik des Friedens. Jtalien arbeite in Uebereinstimmung mit den anderen Mäthten auf die Ruhe Europas und das friedlihe Fortschreiten der Civili- sation hin und thue dies, indem es seine eigene Unabhängig- keit, seine Jnitiative und seine Würde bewahre. Der größte und vortheilhasteste Erfolg dieses Einvernehmens werde darin bestehen, daß es den Kalamitäten eines Krieges vorbeuge, indem es jede aggressive Politik verhindere. Den Namen und die Form dieses Einvernehmens präzisiren zu wollen, sei unnüß. Caracciolo habe Recht, wenn er sage, daß Jtalien bei seiner Annäherung an die Centralmächte niemals einen feindseligen Gedanken gegen Frankreich gehegt habe. Der einmüthige Ge- danke der Mitglieder des Kabinets sei, jeden Anlaß zu einem Mißverständniß mit Frankreih zu beseitigen und die Be- ziehungen zu Frankreich immer besser zu gestalten. Nichts ent- spreche den Gesinnungen Jtaliens und seinen Jnteressen, Bedürfnissen und Traditionen mehr. Er (der Minister) glaube niht nöthig zu haben, gegen nsinuationen zu protestiren, welche der italienishen Regierung um Fnlande wie im Auslande in Bezug auf das ihr durch die Mächte vorgeschriebene Verhalten untergeshoben würden ; er könne denselben nur mit Verachtung begegnen. Die lebhaften und aufrichtigen Gefühle des Wohl- wollens für Frankreich seien niht unvereinbar mit einem wach- samen Schuß der Jnteressen Jtaliens. Jtalien wolle verhindern, daß irgend welche vollendete Thatsachen noch größere Mißver- ständnisse hervorrufen, werde aber niht gleihgültig bleiben können, wenn irgend eine Nation eine auf Eroberungen aus- gehende Kolonialpolitik ausübe, indem sie Besißungen am mittelländishen Meere zu gewinnen suche. Jede große See- macht würde, wenn sie sih solchem Beginnen nicht entgegens