1883 / 92 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 20 Apr 1883 18:00:01 GMT) scan diff

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Von dem im Verlage von Duncker & Humblot in Leipzig erscheinenden Werke: „Bäuerliche Zustände in Deutschland. Berichte, veröffentlicht vom Verein fürSocialpolitik“ liegt jeßt der zweite Band im Drucke vor. Wir haben dieser für die Beurtheilung der deutschen bäuerlichen Verhältnisse sehr werthvollen und verdienstlihen Arbeit bereits nah dem Erscheinen des ersten Bandes gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, indem wir Auszüge aus den von sahkundigen, mit dem Gegenstande völlig vertrauten Män- nern abgefaßten Berichten brahten. Auch auf den Inhalt des jetzt vorliegenden zweiten Bandes gedenken wir gelegentlich no näber einzugehen. Für heute beschränken wir uns darauf, mit- zutheilen, daß dieser zweite Band folgende elf Berichte umfaßt: 1) Die gegenwärtigen bäuerliben Verhältnisse der Provinz Wefifalen. Im Auftrage des Westfälishen Bauernvereins zusammengestellt von Gutsbesißer Wiekelmann, Köbbing, geschäftsfübrenden _Vize- Präsidenten des Vereins. 2) Die_ bäuerlichen Verhältnisse in der Oldenburgischen Mars. Von Geh. Ober-Regierungsrath Hoffmeister, Oldenburg. 3) Die bäuerlichen Verhältnisse in der Oldenburgischen Geest. Von Generalsekretär von Mendel, Oldenburg. 4) Die bäuerliden Verhältnisse der Provinz Schleswig-Holstein mit Ausschluß des Kreises Herzogthum Lauenburg. Von W. H. Bokelmann, Prä- ident des Swleswig - Holsteinshen landwirthschaftlien Central- vereins in Kiel. 5) Ueber die gegenwärtigen bäuerlichen Verhält- nisse im Herzogthum Braunschweig. Von Oekonomierath Buersten- binder. 6) Die Lage des Kleingrundbesitzes im ehemaligen Fürsten- thum Halberstadt. Von W. Gerland, Sekretär des landwirth\chaftlichen Vereins für das Fürstenthum Halberstadt. 7) Die bäuerlichen Verhältnisse im Königreih Sachsen. Von K. von Langédorff, Dresden. 8) Die gegenwärtigen bäuerlichen Verhältnisse der Pro-

vinz Westpreußen. Von Dr. Oemler, Danzig. 9) Ueber die bäuerlihen Verhältnisse im Kreise Graudenz (Regierungsbezirk Marienwerder). Von M. Conrad-Iacobken. 10) Die gegen-

wärtigen bäuerliben Verhältnisse im Bezirk des Ostpreußischen land- wirtb\caftlichen Centralvereins. Von Generalsekretär G. Kreiß. 11) Ucber die bäuerlihen Verhältnisse im Regierungsbezirk Gum- binnen. Von C. M. Stoeckel, Generalsekretär des landwirthschaft- liben Centralvereins in Insterburg. Der Preis dieses Bandes beträgt 7 A i Die deuts\che Kaiserstadt Berlin und ihre Umgebung, geschildert von Mar Ring. (Verlag von Heinrich Schmidt und Carl Günther in Leipzig.) Mit 300 Jllustrationen. 9. Lieferung (1 M). In diesem Heft wird die Sctilderung des „Neuen Berlin“ fortgeseßt. Dem Leser werden alle sehenswerthen Baulichkeiten Unter den Linden, von dem Palais dcs Kaisers bis zum Brandenburger Thor, in Wort und wohlgelungenen Bildern vorgeführt, auf der leßten Seite auh eine Ansicht des Belle-Alliance-Plaßes. Die in Leipzig am 21. April erscheinende Nr. 2077 der Illustrirten Zeitung®“ enthält folgende Abbildungen: Zum 100. Geburtstage des Erscheinens der „Jobsiade“. 3 Abbildungen: 1) C. A. Kortum, der Dichter der „Jobsiade“. 2) I. P. Hasenclever, der Maler der „Jobsiade“. V Fobs im Examen, Gemälde von F, P. Hasenclever. Wiener Bilder: In der Allgemeinen Verkehrs- bank. 2 Abbildungen. Originalzeihnungen von W. Grögler: 1) In der Pretiosenabtheilung. 2) In der Effektenabtheilung. Der neue Ober-Ceremonienmeister am deutshen Kaiserhof: August Graf zu Eulenburg. Das verschollene Schiff „Lotharingia“. Original- zeihnung von H. Petersen. Der Carola-See im Großen Garten zu Dresden. Originalzeihnung von Franz Schreier. Der größte A (im Besiß des Herrn Gormansky in Berlin). Originalzeihnung von R. Friese. Goslar am Harz. 9 Abbildungen. Originalzeibnung von Paul N (Zweiseitig): 1) Das Brusttuh. 2) Goslar, vom Stein- erg aus gesehen. 3) Das Mönch3haus am Marktkirchof. 4) Der Aa mit Festungsmauer. 5) Der Kaisersaal. 6) Kaiser- orth. 7) Das Kaiserhaus mit dem Steinberg vom Rammelsberg aus gesehen. 8) Die Domkapelle. 9) Das Breite Thor. Der Apfeldieb. Genrebild von A. Lüben. Hugo Grotius (geboren am 10. April 1583). Frauenzeitung: Somerville-Hall, das Heim für die Orxforder Studentinnen. Moden: Renaissance-Schmudckgegen- fände. 11 Fig. Polytechnische Mittheilungen: Dampfvelociped. Selbstthätiger hydraulischer Flaschen- und Gläserspülapparat. Hänge- lampe in orientalishem Stil.

Gewerbe und Haudel.

Der Jahresbericht der Preußischen Central-Boden- kredit-Aktiengesellschaft für 1882 enthält den Nachweis, wie sih die Anlage în Hypotheken-Darlehnsgeschäften seit Beginn der Geschäftsthätigkeit nah den jährlichen Bilanzen gestaltet hat. Die as seit 1870 abgeschlo}senen Hppothekengeshäfte beliefen sich

is Ende 1882 auf 241 743 000 4 Zurückgeflossen durch Amorti-

sation und sonftige Rückzahlungen sind in jenem Zeitraum 60 060 000 46 Das Jahr 1882 hat einen Zugang von 10 504 000 Æ ergeben. Da- von waren 3 061 000 X noh abzuwickeln. Die bestehenden Darlehne vertheilen sich ohne Berücksichtigung der stattgehabten Amortisation mit rund 103 800 000 S auf Liegenschaften und 83 900 000 M auf Gebäude. Das Verhältniß der kündbaren zu den unkündbaren Darlehnen stellt \sich ungefähr wie 1 zu 43. Die Gesellschaft hat zur Deckung ihrer Per perangen im Jahre 1882 ein Grund- [ne zu übernehmen gehabt, welches jedoch alsbald wieder ver- ußert wurde, ohne daß der Gesellschaft ein Verlust erwachsen ift.

Im Besige der Gesell\haft befindet sich noch das vor einigen Jahren in der Subhastation erworbene Rittergut Lissow in Pommern. Im Jahre 1882 sind 12 895 100 M 4 9/0 Pfandbriefe neu begeben, davon wurden im März 1882 12 000 000 # zu einem Course von 98 9% mit günstigem Erfolg zur Subskription aufgelegt. Im Januar d. I. hat eine gleiche Emission zum Course von 98,40 9/0 stattgefunden. Die weitaus meisten Darlehnsabshlüsse erfolgten zu einer Annuität von 42 % einges{lossen # °/% Amortisation bei Hinaus\chiebung es Beginns des legteren bebufs Deckung der Coursverluste, Koften

und Provision. Die für das Jahr 1882 der Generalversammlung vor- geschlagene Dividende beträgt wie im Vorjahre 8} 9/6 auf das eingezahlte Grundkapital. Es ergiebt sih dann ein Reservevortrag von 334838 4 egenüber einem Reservevortrage von 382 822 #4 im Vorjahre. Der

m Jahre 1881 begründete Pensionsfonds soll um 15 000 M erhöht werden. Der statutenmäßige Reservefonds stellt sih auf 920 351 4 Das „Dresdn. Journ.“ theilt folgenden weiteren Bericht von

der Leipziger Messe mit: Die Manufaktur- und Seiden- waarenbrance, verbunden mit Konfektion, wurde in dieser F O viel von dem ungünstigen Wetter beeinflußt. Leider haben sich auch bis jeßt die Witterungsverhältnisse nicht besonders ge- ändert, und der Gang der Messe war in dieser Branche, bis auf fertige Segen eri die in der legten Zeit lebhaft gesuhi wurden, ruhig. n Kleiderstofen hat sich die Fabrikation in der Hauptsache auf Carreau geworfen, und, wie es cheint, dringt dieses Genre dur. Die carrirten Sachen werden theilweise mit glatt zusammengestellt, theilweise auch als ganzes Kleid ge- tragen. Selbstredend werden auch glatte Stoffe gekauft, die wieder mit den verschiedenartigften Auspußen, als karrirten Seidenstoffen, Vamasss, Chiné, türkischen Effekten und Sammetband, leßtere drei Sadwen neu und theilweise begehrt, zusammengestellt werden. Ferner find in Wollstoffen quer R Sadwen gearbeitet (Travers), jedoch haben dieselben bisher niht viel Glück gemacht. Als neue Farbe in Wollstoffen ist Reseda zu erwähnen. Für baumwollene Stoffe war faft noh gar feine Menge. Sn den fertigen Sachen ift sowohl Paletot als Umhang beliebt; die Gegenstände werden hauptsächtlih

in Schwarz gekauft; für den praktishen Gebrauh Wollstoffe, wobei allerdings die quer gerippten Sachen die Haupt- rolle spielen. Für den elegantern Geshmack glatte und ge- musterte Seide, als lehtere hauptsählich Travers\toffe, Cotelene, Ottomane 2c. genannt. Sehr {chön sind für den hohfeinen Geshmack die Gazevelours in Schwarz ausgearbeitet. Viel werden die Hima- laya-Shawls verwendet, die *theilweise als Rad-, theilweise als Brunnenmantel gearbeitet werden. Für baumwollene Rock- und Bo war diese Ostermesse eine der s{lechtesten [8 vielen ahren. Gedachhte Stoffe, von der Arbeiterklafse zumeist gesucht,

wurden der zu kalten Witterung r nicht gefragt ; die Lager hatten

[s niht gelüftet, weshalb die äufer von den Meßeinkäufen si ern bielten. Ein gleihes Schicksal erfuhrcn vogtländishe Weiß- waaren; au für diese fehlten die Käufer.

Antwer pen, 19. April. (W. T. B.) Wollauktion. An- geboten 1916 B., verkauft 19031 B. Preise unverändert.

New-York, 19. April. ._T. B) Der Werth der Ausfuhr an Brodstoffen im Monat März stellt #\ch auf 18 Millionen Dollars oder 54 Mill. mehr als im März 1882.

Verkehrs-Anstalten.

S{lüsselburg, 19. April. (W. T. B.) Die Newa ift 28 Werst \tromabwärts fast vollständig frei von Eis.

_Riga, 19. April. (W. T B.) Der Eisgang auf der Düûna bat bei ziemlih hohem Wasserstande begonnen, L daß man nit ohne einige Sorge wegen einer Ueberschwemmung ift.

Triest, 19. April. (W. T. B.) Der Lloyddampfer E ift heute Nachmittag von Konstantinopel hier einge- roffen.

New-York, 19. April. (W. T. B.) Der Dampfer „Rhaeetia“ ist heute Morgen 3 Uhr bier eingetroffen.

Berlin, 20. April 1883.

Den Beschickern der großen allgemeinen Gartenbau- Ausftellung sind von der Jury folgende weitere größere Preise zu- erkannt worden:

Die große silberne Staatsmedaille erhielten: 1) Hr. A. Kaehler- Tempelhof für 1 Sammlung gegen 59 Arten Coniferen in großen Exemplaren. 2) Hr. Gärtnereibesiter Brandt-Charlottenburg für Palmen des Warmhauses. 3) Die Gartenverwaltung Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Albrecht von Preußen (Hofgärtner Hoffmann) für die reicbbaltiaste Gruppe von Agaven, Dajylirien, Yucca, Cacteen 2c. 4) Hr. Gärtnereibesißer Liebig-Dreétden für Rhododendron-Hybriden eigener Züchtung. 5) Hr. Gärtnereibesißzer Seydel-Strießen bei Dresden für desgl. 6) Hr. Gärtnereibesißer E. Mewes-Berlin für 1 Sortiment Hyacinthen. 7) Hr. Oekonomie-Rath L. Späth-Berlin für 1 Gruppe getriebener, nicht blühender Gehölze des freien Landes in über 50 Arten und VWarietäten. 8) Hr. Fr. Mosen- thin-Eutrißsch bei Leipzig für 1 eisernes Gewächshaus.

Die kleine silberne Staatsmedaille: 1) Hr. Baumschulbesißzer C. Sculze-Charlottenburg für 1 Gruppe Coniferen eigener Züchtung. 2) Hr. Baumschulbesiter Weiße-Kamenz in Sachsen für 1 Sort. im freien ausdauernder Coniferen. 3) Hr. Baumschulbesißzer Peter Smith u. Co. - Hamburg - Bergedorf für 1 Sortiment Coniferen. 4) Hr. Oekonomie-Rath L. Späth für 1 Sortiment Alleebäume mit über 10 Sorten. 5) Hr. Gârtnereibesißer L. Mathieu-Berlin für 1 Kollektion Daësylirion, Yucca 2c. 6) Hr. Obergärtner Maecker, Geheimer Kommerzien-Rath Heckmann, für 1 Agavengruppe. 7) Hr. Gâärtnereibesißer F. Stange-Hamburg für 1 Partie Citrus chinensis mit Blumen und Früchten in 15 Cxremplaren. 8) Hr. Gärtnerei- besißer C. Weckmann u. Sohn für 1 Gruppe getrieben blühender Gehölze des freien Landes. 9) Hr. Gartentechniker Adolf Söht- Heide in Holstein für 1 Entwurf zur Anlage eines Parkes nach gegebener Me 10) Hr. W. I. Wegner-Berlin für rauchlose Feuerungs- anlagen.

Die bronzene Staatsmedaille: 1) Hr. Jac. Jurrissen u. Sohn- Naarden in Holland für 1 Sammlung im Freien ausdauernder Coni- feren. 2) Hr. Garteninspektor Kirhhoff-Donaueschingen für 25 Exemplare neuholländischer und Be 3) Hr. Gärtnereibesitzer C. Allardt-Schöneberg bei Berlin für 1 Gruppe Araucarien (Steck- lingspflanzen). 4) Hr. Gärtnereibesißzer Fr. Harms-Hamburg für eine Gruppe von ca, 50 niedrig veredelter Rosen. 5) Die Frei- herrlich von Friesensche Gârtnerlehranstalt, Garteninspektor Hr.

artmann-Rötha i. S. für eine Kollektion von 16 hochstämmigen

bstbäumen, 4 Aepfel, 4 Birnen, 4 Pflaumen, 4 Kirschen. 6) Hr. Gäâärtnereibesißer R. Grouel-Bremen für 1 Sortiment Caladien in ca. 15 Varietäten. 7) Hr. E. Fischer-Königsberg i. Pr. für Gesammt- leistung in Blumenarrangements. 8) Hr. J. Biesel-Berlin für ein Fleines Gewächshaus für einen Blumenliebhaber und Ans{luß an die Wohnräume mit best. Grundflähe. 9) Hr. Baumschulbesfißer Weigt-Dresden 1 Sammlung bei uns im Freien ausdauernder Coni- feren. 10) Hr. Buchhändler Parey-Berlin für 1 Kollektion Garten- bücher nebst 1 Tableau mit Plänen.

Die große goldene Auéstellungs-Medai]le: 1) Hr. Dekonomie- Rath L. Späth für eine Aufstellung von Obskbäumen in den diversen Erziehungsstadien, 15 Aepfel-, 19 Birnen-, 14 Kirschen-, 18 Pflaumen- Hocbstämme, sowie diverse Cordons- und Pyramiden - Bäumcen. 2) Hr. Alb. Richnow-Schöneberg (Dbergärtner Janicki) 1 Gruppe

almen in diversen Sorten und Exemplaren.

Die kleine goldene Auss\tellungs-Medaill-: 1) Hr. Garten-In- spektor Kolb-München für 1 Gruppe Alpinen. 2) Hr. Obergärtner Maecker, Geheimer Komm.-Rath Heckmann, für 1 Gruppe blühender und nictblühender Pflanzen des Warm- und Kalthauses. 3) Hr. Gärtnereibefiger Bartheldes-Striesen bei Dresden sür 1 Gruppe Kamellien. 4) Hr. Kunft- und Handelsgärtner E. Wiehle-Scböneberg für 1 Gruppe Cyclamen persicum. 5) Hr. Gartenbaudirektor Gaerdt (G. R. Borsig) Moabit für 1 Sortiment Baum-Farne. 6) Hr. Komm.-Rath Spindler (Obergärtner Fr. Weber-Köpenick) für 1 Sortiment Croton. 7) Hr. Kunst- und Handelsgärtner C. Sulte- O für 1 Dracaenen-Gruppe. 8) Hr. Garten-Inspektor Kirchhoff-Donaueschingen für 1 Gruppe fog. fleishfrefsender und S ORRNIeN, 9) Hr. Fr. Ad. Haage jun.-Grfurt für 1 Kollektion

akteen.

Der Ehrenpreis der Stadt Berlin (500 4) für 1 Sor- timent blühender Warmhaus pflanzen ist dieser Gruppe nit zuerkannt, wie in Nr. 89 d: Bl. irrthümlih mitgetheilt worden ist, sondern derjenigen für Blumenarrangements, und zwar den Gebrüdern Leyderhelm-Hamburg.

Die höchst interessante Ausstellung, welche sih des lebhaftesten Besuchs erfreut, bleibt noch bis zum 23. d. M. geöffnet, Morgens 9 bis Abends 6 Uhr, dann bei elektrisher Beleuchtung und Concert Abends 7 bis 10 Uhr.

s

Verein für Geshihte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 11. April 1883, Professor Shmoller eröffnete die Sitzung mit einem Vortrage über die „Russische Compagnie" zu Berlin. König Friedrich Wilhelm I. verlangte von allen seinen Ver- tretern an auswärtigen Höfen, daß sie auch auf die wirthschaftliche Hebung des Heimathlandes ihr Augenmerk rihteten. Diese Aufgabe löste mit besonderem Eifer der preußishe Gejandte in Petersburg, von Mardefeldt. Nicht durch die sonft allgemein üblichen Be- stehungen, sondern indem er die freundshaftlihen Beziehungen seines Monarben zu Peter dem Großen gescickt benußte, gelang es ihm im Jahre 1724 den bis dahin herrschenden Einfluß der Engländer so weit zurückzudrängen, daß er einen Vertrag abschloß, der die Lieferung des Tubbedarfs für einen Theil des russischen Heeres dem preußischen Handel übertrug. Die Stettiner Nan Mana wagte es nicht, sich auf dieses Geschäft einzulassen; in Berlin aber fanden sih 10 bis 12 Häuser, Splittgerber und Doum an der Spiße, die eine Handels-

esellshaft (Russishe Compagnie) bildeten, deren rechtlihe Organi- ation rasch mit der Regierung vereinbart wurde. Obwohl es An- fangs nit leiht war, die nöthigen Stücke von den märkischen Tuch- macern geliefert zu bekommen, da die Tuchweberei in den Nothjahren seit 1707 sehr zurückgegangen war, blühte das neue Handel8geschäft doch bald in erwünshter Weise auf, dehnte sib auc auf andere Aus- und Ein- fubrgegenstände, namentlih Kupfer und Juchten, aus und erreihte seinen B in den Jahren 1729—1731. Jn E des \chwunghaften

eshâftsbetriebes ftiegen die Wollpreise dermaßen, daß es fragli wurde, ob der preußische Lieferant die Konkurrenz mit dem englischen werde aufrecht erhalten können. Aber nicht an diesem Umstande \cheiterte das Unternehmen; sondern die preußenfeindlihe Stimmung,

welche in den wechselnden Regierungen nach Peters des Großen Tode die Oberhand gewann, bereiteie d-r Compagnie ein rasches Ende, Jhr Eingehen war ein Unglück für die Marken, besonders für die Neumark, deren feinere Tuch: in Rußland die beliebteften gewesen waren; der bleibende Nußen aber lag in der heilsamen Anregung, welhe das Unternehmen nach allen Seiten gegeben hatte, vor- nehmlich in der durch dasselbe herbeigeführten Vervoll- kommnung in der Technik der heimishen Tuchmatherei, Sehr lehrreich war der Nachweis, wie die Staatsbebörden \ic zu der Compagnie stellten, wie man weislich jede polizeilich bevormundende Einmischung in das Geschäft vermied, wie der König in seiner Sorge für den fleinen Mann bei Streitigkeiten \tets für diesen gegen die Kaufleute Partei nahm, und wie gut das Generaldirektorium es ver- ftand, falsche Maßregeln abzuwenden, zu denen der Eigenwille dez Königs mitunter geneigt war. Der Landesdirektor von Lewetzow knüpfte an das Gehörte einen Hinweis auf die Verdienste des Mark- rafen Johann von Küstrin um die Tuhmacherei in der Neumark, insbesondere um einen der Hauptsißze dieses Gewerbes, die Stadt Neudamm. Der Gymnasiallehrer Bolte \sprach über die be- kannte Sage von dem Ritter, der bei dem Ablafßprediger Tetel einen Zettel für eine zukünftige Sünde löste, ihn dann überfiel und beraubte. In den verschiedenen Versionen wird bald Leipzig, bald Magdeburg, bald Braunschweig, bald Jüterbogk als Ort der That angegeben und der Ritter Curt von Hagen oder Hake auf Stülpe genannt. Die ganze Gescbichte, welche zuerst 1562 von einem Schüler Melanchthons, Joh. Manlius, mit Teßels Namen erzählt wird, ist aber nur eine neue Auflage einer älteren Anekdote, die zuerst in eiuer 1498 gedruckten lateinischen Predigtsammlung auftauht und darin nah Mailand unter Franz Sforza (f 1466) verlegt wird. Sie bieter somit ein Beispiel für die häufige Ersceinung, daß ältere Schwänke auf bekannte historische Personen übertragen werden. Bei der Bespre{wung des Vor- trages, an der sih die Herren Gymnasial-Direktor Dr. Schwartz, Professor Scottmüller und Schulvorsteher Budczies betheiligten,

ergab si, daß fünf vershiedene Tetelkästen, an denen dieselbe Sage M

haftet, in der Mark und in Sachsen gezeigt werden, und daß ein

Hake auf Stülpe bei der Beraubung Tetels \chon deëwegen nicht be-

Sete i: sein konnte, weil Stülpe erst 1537 in den Besitz derer von ake kam.

Unter sehr zahlreicher Betheiligung fand am Dienstag Abend in einem Saale des Herrenhauses eine óffentlihe Ausschußsißung des deutschen Fischereivereins ftatt. In den leßten Wochen sind dem Verein vom Professor Baird (Washington) wiederum 75 000 Lachseier übersandt worden. Der Ausschuß hat die Eier an 17 verschiedenen Brutstellen ausgeseßt und außerdem noch einige an die Fischerei- vereine der Schweiz, Deutsh-VDesterreich und Galizien gesandt. Der Deutsche Fischereiverein hat für diese wiederholte Aufmerksamkeit an Professor Baird 80000 Forellencier gesandt, die auh glücklih in Washington angekommen sind. 10 bis 12000 Zander, die jüngst aus Galizien na Deuschland gesandt wurden, sind, jedenfalls in Folge der stattgehabten großen Kälte, abgestorben angekommen. Dagegen if eine Sendung von 500 000 Aalen fast ohne allen Verlust eingetroffen und konnte mit den besten Hoffnungen in die Donau geseßt werden. Es wird zu erwägen fein, ob die Aale aus Jtalien billiger zu beziehen sind. Im Monat Mai findet in_ Regensburg eine große Thierschau, verbunden mit einer Fischausstelung ftatt. i derselben sind sämmtlihe Mitglieder des Deutschen ischereivereins eingeladen. Unter Anderm werden dort einige Otterhunde aus England zu sehen sein und wird mit diesen Hunden eine Otterjagd unternom- men werden. Endlich ist aus einem von dem iy für Land- wirthschaft 2c, Dr. Lucius, dem Verein übersandten eriht mitzu- theilen, daß im vergangenen Jahre 500 000 Reiher, bekanntlih nächst den Ottern die \{limmsten Feinde der Fische, in den Sen Staatsforsten geihossen worden sind. Prof. Dr. öbius (Kiel) \prach hierauf über den Versu, nordamerikanische Austern in der westliben Ostsee anzusiedeln. Der Redner bemerkte, daß Hr. G. C. P. Meyer im Jahre 1879 250 000 junge und 5000 ausgewachsene Austern, die allerdings bedeutend größer und weniger \chmadckdhaft als die europäishen seien, aus Nordamerika herüber- ebracht und an 10 verschiedenen Stellen ausgeseßt habe; sie hätten fb auch bereits drei Winter in der Ostsee gehalten, viele von ihnen eien merklich gewachsen, eine Mans sei bis jest jedo noch nicht zu konstatiren. enn es gelinge, Austern zu erhalten, die in weniger salzhaltigen und von der Tempera- tur weniger begünstigten Gewässern leben, dann dürfte sid auch in der Ostsee eine Austernzuht ermöglichen lassen. Der Deutsche Fischereiverein könnte, angesichts stiller Beziehungen mit Amerika, der Austernzuht an der Ostsee sehr förderlih sein, wenn er stille Freunde in Amerika um Beantwortung einiger darauf bezüglichen Fragen ersuhe. Der Vorsigende, Kammerherr von Behr (Schmoldow) gab dem Professor Dr. Möbius die Versicherung, da der Verein aufs Gifrigste bemüht sein werde, den ihm ertheilten uftrag \{nell\tens und bestens auszuführen, und theilte noch mit, daß in Nordamerika 52 000 Personen vom Austernfang leben. Es würden daselbst jähr- lih 22 Millionen Bushel Austern gefisht, die einen Werth von etwa 134 Millionen Dollars darstellen.

__ Die „Dresdener Nachrichten“ brachten jüngst die Meldung , daß die Brunnen-Direktion in Bilin auch die nad Deutschland bestimmten Flaschen, welche den erfrishenden Biliner Säuerling ent- halten, mit Etiquettes versehen werde, die durchweg in czecischer Sprache gehalten seien. Wie uns mitgetheilt wird, ist dies ein Jrrthum, E alle diese Frashen tragen Etiquettes mit rein deutshen Auf-

riften.

„Ornis*, Verein für Vogelkunde und -Liebhaberei in Berlin. Am Montag, den 23. April, Abends 8 Uhr, im Restaurant Knorr, Unter den Linden 12: Vortrag des Vorsitzenden Dr. Karl Ruß: „Die sprehenden Vögel.“ Die Damen der Mitglieder haben Zutritt, und Gäste sind willkommen.

London, 17. April. (W. T. B.) Der dur das Feuer in Paternoster-Sgare (City) verursahte Schaden wird auf 90 000 Pfund angeschlagen.

Venedig, 19. April. (W. T. B) Zu Ehren Richard Wagners fand heute eine Feier auf dem großen Kanal vor dem Palazzo Vendramin statt. Durch das deutsche Orchester des Richard-Wagner-Theaters gelangten die Ouverture zum o Ta Ee und der Stats aus der „Götterdämmerung“ zur Aufführung. Mit dem italienischen König8marsch begann und {loß die musikalishe Feier. Gegen 400 Gondeln umgabep die Barke, auf der sich das Orchester befand. ;

Im Kön iglihen Schauspielhause ging geftern Abend Hugo Lubliners (Bürger) neues vieraktiges Schauspiel „Aus der roßstadt*" zum ersten Male in Scene und erzielte vor ausver- kauftem Hause einen s{hönen und verdienten Erfolg, der ebenfosehr der poetishen Grundidee des Stücks und der trefflichen scenischen Behandlung des Stoffes wie der lobenswerthen Inscenirung und der in den Hauptrollen meisterhaften Darstellung zu danken is. Wir kommen auf diese Aufführung noch zurüdck.

Redacteur: Ried el.

Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner.

Sechs Beilagen (eins{ließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preuß

M 92.

Erfte Beilage

Berlin, Freitag, den 20. April

ischeu Staats-Anzeiger. 1,

E

Nichtamtliges.

Preußen. Berlin, 20. April. Jm weiteren Ver- laufe der gestrigen (67.) Sißzung des Reichstags theilte der Präsident mit, daß an Vorlagen eingegangen seien: der eo zwischen Deutschland und Serbien, und der

tat für 1884/85 nebst dem Anleihege/seß. Ein Schreiben des Reichskanzlers war eingegangen, welches die Ermächtigung zur strafrechtlihen Verfolgung des Abg. von Vollmar in Augsburg verlangte, dasselbe wurde an die Geschästsordnungs- Kommission verwiesen. :

Auf der Tagesordnung stand ¿unächst die erste Berathung der allgemeinen Rehnung für das Etatsjayr 1879/80.

Der Abg. Rickert beantragte Verweisung der Vorlage an die Rehnungskommission, und lenkte die Aufmerksamkeit der legteren auf gewisse, durch den Rechnungshof stark nmonirte Manipulationen der Reichs - Postverwaltung, welche durhaus etatswidrig seien. Es handle sich einmal um eine Ueberschreitung von 140000 î, welche die Reichsfinanzverwaltung mit keinem Worte motivire, ferner um eine etatewidrige Ausgabe von 150 000 Á, ent: fianden durch ein von der Postverwaltung eigenmäcttig mit einer ausländischen Gesellschaft für die direkte Kabelverbindung Deutshland-Norwegen eingegangenes Schuldverhältniß. Ein JIndemnitätsantrag sei unentbehrlich.

Der Bundeskommissar Direktor im Reichs-Postamt Dr. Fischer sagte für die Berathung in der Kommission vollstän- dige Aufklärung zu. Uebrigens habe die Postverwaltung in dem urgirten Falle durhaus nach vorgängigem Einvernehmen mit den übrigen Ressorts gebandelt. .

Nat kurzen Bemerkungen der Abgg. von Kardorff und Nickert wurde die Vorlage der Rechnungskommission über- wiesen.

Das Havs trat darauf in die zweite Berathung dcs Ent- wurfs eines Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter auf Grund des Berichts der VII1. Kommission.

Die Diskussion über die §8. 1, 1a. und 2 wurde ver- bunden. E

Dieselben lauten nah den Konmissionsbeschlüfjen :

A. Versicherungszwang. §. 1. Personen, welche gegen Gehalt oder Lohn beschäftigt sind i i

1) in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs-Ansialten, Brücben und Gruben, in Fabriken und Hüttenwerken, beim Cisenbahn- und Binnen-Dampfschiffahrtsbetriebe, auf Werften und bei Bauten,

2) im Handwerk und in sonstigen nicht im §. 2 aufgeführten ftehenden Gewerbebetrieben, S

3) in Betrieben, in denen Dampffessel oder dur clementare Kraft (Wind, Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft 2c.) bewegte Trieb- werke zur Verwendung kommen, sofern diese Verwendung nicht aus\{ließlid in vorübergehender Benußung einer nicht zur Betriebs - anlage gehörenden Kraftmastine besteht, :

ind, sofern niht die Beschäftigung ihrer Natur nach eine vor- übergehende oder durch den Arbeitêvertrag im Voraus auf einen Zeitraum von weniger als ciner Woche beschränkt ist, nah Mafß- ae der Vorschriften dieses Geseßes gegen Krankheit zu ver- ichern.

Betriebsbeamte unterliegen der Versicherungé pflicht nur, wenn ihr Arbeitéverdienst an Lohn oder Gehalt sech8s zwei dritte! Mark für den Arbeitsiag nit übersteigt. . i:

Als Gehalt oder Lohn im Sinne dieses Gesetzes gelten au§ Santièmen und Naturalbezüge. Der Werth der leßteren ift nah Ortsdurschnittepreisen in Ansatz zu bringen. S

„8. 1a. Die Vorschriften des 8. 1 finden auf die in der Land- und Forstwirthschaft gegen Gehalt oder Lohn bescäftigten Personen mit Ausnahme des Gesindes Anwendung, soweit dieselbe nit dur Beschluß einer Gemeinde für - ihren Bezirk oder eines weiteren Kommunalverbandes für seinen Bezirk oder für Theile desselben ausges{lossen wird. Dieser Beschluß bedarf der Geneh- migung der höheren Verwaltung8behörde. : . -

8, 2. Durch statutarishe Bestimmung etner Gemeinde für ibren Bezirk, oder eines weiteren Kommunalverbandes für seinen Bezirk oder Theile desselben kann die Anwendung der Vorschriften des §, 1 erstreckt werden : i :

1) auf diejenigen in §8. 1, 1a, bezeichneten Personen, deren Besckäftigung ihrer Natur nach eine vorübergehende oder durch den Arbeitsvertrag im Voraus auf einen Zeitraum von weniger als einer Wocbe beschränkt ist, l

9) auf Handlungsgebhülfen und -Lehrlinge, Gehülfen und Lehr- linge în Apotheken, : | :

3) auf Personen, welche in anderen als den in §. 1 bezeichne- ten Transportgewerben beschäftigt werden, -

4) auf Personen, welche von Gewerbetreibenden außerhalb ihrer Betriebsstätten beschäftigt werden, S

5) auf selbständige Gewerbetreibende, welche in eigenen Be- triebsstätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbe- treibender mit der Herstellung oder Bearbeitung gewerblicher Er- zeugnisse beschäftigt werden (Hausindustrie). 7 S

Die auf Grund dieser Vorschrift ergehenden statutarisben Be- stimmungen und Anordnungen müssen neben genauer Bezeichnung derjenigen Klassen von Personen, auf welche die Anwendung der Vorschriften des §. 1 erstreckt werden soll, Bestimmungen über die Verpflichtung zur An- und Abmeldung, owie über die Verpflich- tung zur Einzahlung der Beiträge enthalten.

Sie bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungs- behörde und sind in der für Bekanntmachungen der Gemeinde- bebörden vorgeschriebenen oder üblichen Form zu veröffentlichen.

Der Abg. von Bühler beantragte die Ueberschrift „Ver- ficherungszwang“ zu streihen und §. 1 foigendermaßen zu fasseu, und anzunehmen : : l E

In allen Gemeinden des Deutschen Reiches sind auf öffentliche

Kosten und unter Staatsgarantie „Hülfspflegen“ zu errichten, in welche alle Arbeiter mit einem durchs\cnittlichen Jahresverdienst

von weniger als 2000 4 freiwillig, feste, regelmäßige Beiträge, nah verschiedenen, ihrer Wahl zu überlassenden Stufenhöhen, ein- zahlen und hiegegen nah Maßgabe der 88. 6, 7, 16, 17 dieses Geseßes und der ergehenden statutarischen Bestimmungén ent- Ode ren bedeten a Krankheit und Unfall für sich und re Angehörigen beziehen können. l : Mit diefen Hülfspflegen sind öffentlihe Spar- und Kredit- kafsen zu verbinden. : i :

Der Abg. Frhr. von Hertling hoataragie die Streihung des 8. 1a. und die Hinzu ügung der land- und forstwirth- \{haftlihen Arbeiter in §. 2 als Nr. 6.

Die Abgg. Dr. Gutfleish und Dr. Paashe wollten dagegen diese Arbeiterkategorien in 8. 1 als Nr. 4 aufnehmen, 8, 1 a demgemäß modifiziren.

Die Abgg. Ausfcld und Gen. wollten an Stelle der

88. 1, 1 und 2 einen 8§. 1 seßen, der den Zwang ausschließt und nur besagt, daß durch Gemeindestatut die Verpflichtung der betr. Kategorien (auch der Landwirthschaftsarbeiter) zur Versicherung ausgesprochen werden fann.

* Endlich beantragten die Abgg. Blos und Gen. die 88. 1 bis 3 E Kommissionsbeshlüsse durch folgende Paragraphen zu erseben :

8. 1. Alle Angehörigen des Deutschen Reichs, sowie alle dauernd in Deutschland sih aufhaltenden Ausländer, welche das 15. Lebenétjahr zurückgelegt und ein selbständiges Einkommen bis zu 77 H pro Tag haben, sind auf Grund dieses Gesetzes gegen Krankheitsfälle zu versichern.

Betrietsbeamte, welbe in Betriebëverwaltungen des Reichs, eines Bundesstaats oder eines Kommunalverbandes mit festem Ge- halt angestellt, sind von der Versicherungspflicht befreit.

8. 2. Die Krankenversiherung wird ausgeübt durch:

A. Gemeinde-Krankenversicherung,

B. Berufsgenofssenscaftliche Krankenversicherung,

C. Knappschaftskafsen.

Der Referent Abg. Frhr. von Maltßahn-Güly verwies zur Rechtfertigung der Kommissionsbeschlüsse auf den von ihm erstatteten sehr auéführlihen schristlihen Bericht und be- merkte sodann: Er glaube, es sei allen Mitgliedern dieses Hauses gegenwärtig, daß die Berathungen, in die das Haus jeßt eintrete, von einer ganz ungewöhnlihen Wichtigkeit für das gesammte Vaterland sein werden. Die Vorlage bedürfe gewiß der allerernstesten Prüfung, und sei derselben würdig, und niht nur der Verstand, sondern auch das Herz und Ge- wissen müsse bei den Berathungen das Haus leiten. Er habe die Hoffnung und Zuversicht, der Reichstag werde zu der Ueberzeugung kommen, daß die Verschiedenheit der Ansihten bei diesem Gese nicht so groß sei, daß es nicht möglich wäre, eine Mittellinie zu finden, mit der sich für jeßt alle Theile des Hauses einverstanden erklären könnten, Vergesse man nicht, daß hier vielleicht noch mehr wie bei anderen Gelegen- beiten oft das Bessere des Guten Feind sein könne, daß das Haus bei diesem ersten Schritt auf einem bisher unbekannten Gebiet nit glei etwas Vollkommenes schaffen werde, daß aber cinen ersten Schritt zu thun, und ein Geseß über die Krankenversihecrung der Arbeiter, so gut wie man es heute eis zu Stande zu bringen, die heiligste Pflicht dieses Hau- es sei.

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, gewiß müsse, um mit dem Berichterstatter zu reden, Verstand und Herz bei solcher Vorlage mitwirken. Aber den «ersten Schritt in ein bisher unbekanntes Gebiet der Gesetzgebung könne man dies Gesetz doch nit nennen. Die Fortschrittspartei habe bei einer Reihe von Ge!egen mitgewirkt, welhe den besondern Bedürfnissen der Arbeiter im Vereinsleben gegen Gewährung entsprechen- den Rechtsshußes Rechnung tragen sollten. Er nenne nur den Namen Schulze-Delißsch, der leider heut durch Erkrankung von hier fern gehalten werde. Auch die Krankenkassengeseß- gebung sci von der Fortshrittspartei durh FJnitiativanträge mehrfach gefördert worden. Die Unfallversicherungsge)eß- gebung habe zuerst 1869 mit einem Antrag Becker aus der Fortschrittspartei begonnen, und sei 1878 wiederum dur einen Antrag der Fortschrittspartei in Fluß gebraht worden. Die Fortschrittspartei verhalte sich auch diesem Geseß gegenüber durchaus nicht negirend. Was seine Partei dem Kommissions- beschluß gegenüber positiv wolle, kennzeihne der Antrag der Fortschrittépartei. Seine Partei stehe durhaus nit auf dem Standpunkt, als ob sie auf diesem Ge- diet keinen staatlihen Zwang wollte. Wer jeden Zwang zurückweise, müsse zuleßt den Staatszwang selbst verwerfen. Es komme nur darauf an, bis zu welhem Maß man die Ausdehnung der Zwangsgewalt für rihtig halte. Seine Partei wolle selbst den bestehenden Zwang zur Krankenversiherung ausdehnen, aber nicht so weit, wie die Kommission. Man könne deshalb den Standpunkt seiner Partei nicht einmal manchesterlih nennen, so sehr man auch mit solhen Vorwürfen bei der Hand sei. Die Mehrheit wolle den allgemeinen Krankenversiherungszwang für die landwirth- schaftlihen Arbeiter auch niht. Der Antrag seiner Partei untersheide sich von der Mehrheit nur darin, daß derselbe den Zwang auch für die gewerblichen Arbeiter nicht allgemein wolle, sondern nur da, wo die Gemeindeorgane die Ausfüh- runa eines solhen Zwanges durch Ortsstatute für gereht- fertigt hielten. Auch bei den gewerblichen Arbeitern seien die Verhältnisse nah Ort und Berufsart durchaus verschieden. Die Mehrheit, indem sie den landwirthschaftlihen Arbeiter ausnehme, gebe zu, daß der Zwang nicht unter allen Um- ständen das Beste sei. Wenn diese Arbeiter das Geseß als eine Wohlthat empfänden, würden sie niht ihre Kräfte der Landwirthschast entziehen, um \sich einem unter der Wohlthat dieses Gesezes stehenden Gewerbe zuzuwen- den? Der Antrag seiner Partei wolle die Gemeinde im einzelnen über die Ausdehnung des Zwanges zur Krankenversicherung entscheiden lassen. Die Vorlage spreche freilih von der ungenügenden Einsicht und Thatkraft der Be- meindeorgane. Darin zeige sich wieder das alte Mißtrauen in die Selbstverwaltung. Warum mißtraue man nicht ebenso den ländlihen Gemeindeverwaltern? Die Motive sagten, daß die Mitglieder der Gemeindeverwaltung ein Jnteresse hätten, der Einführung des Zwangs und damit den Beiträgen der Arbeitgeber zu den Krankenkassen entgegenzuwirken. Aber die Organe der ländlihen Kommunalverwaltung seien ja aus- \cließlich Besitzer, und würden von Besißern gewählt. Die Anschuldigung gegen die Gemeindeverwalter sei überhaupt nidt gerechtfertigt. Seit 1876 seien niht weniger als 170 Ortsstatute zur Einführung des Versiherungszwangs er- lassen worden, während in den 22 Jahren vorher nur_190 solcher Statute erlassen seien. Jn Preußen seien 343 solcher Orts- statute in Kraft ; wenn nun viele Gemeinden ein solches nicht haben, so sei das ein Beweis, daß die Bildung freier Verbände dem Bedürfnisse bereits Rechnung getragen habe. Er bedauere, daß in dieser Beziehung noch keine genaue Statistik existire. Auch hier komme er wieder aus dem Widerspruch der amt- lihen Zahlen nit heraus. Zu verwundern sei Sl daß nach so vielen Hindernissen, die dem freien Vereinswejen auf diesem Gebiete bereitet worden seien, sich do noch aus der freien Jnitiative der Arbeiter so viele Krankenverbände

gebildet haben. Der verstorb:ne Abg. Jakobi, der seiner Zeit Dezernent im Ministerium gewesen sei, habe diese von der Verwaltung aufgestellten Hindernisse sehr drastish geschildert, wie z. B. sogar über die Lebensfähigkeit einer Kasse die bereits 100 Jahre bestanden habe, nit cher Untersuhungen angestellt seien. Viele Verbände seien in der Reaktionszeit der fünfziger Jahre so lange gemaßregelt, bis sie nolens yvolens den bisherigen Boden hätten verlassen müssen. Erst durch das Geseg von 1876 sei eine sfreiere Ent- wickelung des Krankenkassenwesens gestattet worden. Auch das Sozialistengese habe vielfah in die freien Kassen störend eingegriffen. Die oberen gescllshaftlihen Klassen hätten sich nah Eclaß dieses Geseyes niht, wie erwartet sei, mehr als früher der Urbeiterinteressen angenomn:en. Wie viele Arbeiter befänden si denn überhaupt nicht in einer Krankenkasse? Jede Statistik darüber fehle. Man sage ihm, es gebe in Preußen 1 700 000 gewerbliche Arbeiter, wovon etwa 1400 000, einschließliÞh der Knappschaftsvereine, bereits in Krankenkassen seien. Solle man nun die übrigen 300 000 zwingen, si folhen Verbänden anzuschlizfen ? Diese Arbei- ter gehörten keinen Verbänden an, wobl aus denselben Grün- den, die für die landwirthschaftlihen Arbeiter hingestellt wor- den seien, Nachbarhülfe, Raturalleistungen u. #. w. Arbeiter, die hon etwas vor sih gebraht hätten, fönnten unter Um- ständen bei der Selbsiversicherung besser fabren als bei der Krankenversiherung, indem sie aus ihren Ersparnissen die Kosien der Krankheit ertragen könnten. Die neueren Zwangs- verbände, welhe dieses Geseg schaffen würde, schädigten die Entwickelung der freien Kassen. Diese paßten sich dem indi- viduellen Bedürfniß an, jene müßten nah einer Schablone ein- geriátet sein, und könnten über cin aewisses Minimum der Leistungen nicht hinausgehen. Dieselben hätten vor den freienArdei- terkassen den Vortheil, daß die Arbeitgeber ein Drittel der Beiträge beisteuern müßten. Die Beiträge würden exckutorish eingezogen. Bei der Gemeindeversiherung komme noch die Unentgeltlihkeit der Kassenverwaltung hinzu. Mit derart priviligirten Kassen vermöchten die freien Ka}sen nur zu fon- furuiren, wenn sie in ihrer Verwaltung die mißbräuchliche Ruszahlung von Geldern besonders fernhielten. Jhm sei es unklar, ob niht dur dieses Geseg den freien Kassen die Handhabe zu dieser Kontrole, welche in der Karrenzzeit und im Eintrittsgeld bestehe, entzogen werde. Dem Arbeiter falle es gegenwärtig shon s{hwer, sein freies Wahlrecht zu bewahren durch Abgabe cines verdeckten Stimmzettels, um wieviel schwerer werde es demselben fallen gegenüber den Behörden und Arbeitgebern. Die Leistungen der Zwangskassen würden in der Regel nicht über die Gewährung der Hälfte des Tagelobnes zur Deckung der Mehrkosten der Krankheit, und zur Unterhaltung der Familie des Erkcankten gewährt. Jhre Verpflegung ache nicht über 13 Wochen hinaus. Dabei sei das Geseß nicht cinmal konsequent. Wolle es für die gewerblichen Arbeiter einen allgemeinen Versicherungszwang einführen, so dürfte man die Tagelöhner und diejenigen Arbeiter, welche keinen ständigen Arbeitgeber haben, am wenigsten ausnehmen, denn Die- jenigen, welche aus der Hand in deri Mund lebten und unsichere Arbeitsgelegenheit hätten, seien der Erschütte- rung ihrer wirthscaftlihen Verhältnisse in Krankheitsfällen am meisten ausgeseßt. Vom Standpunkt des Geseßentwurfes sei der sozialistishe Antrag jedenfalls insofern fonsequenter, als derselbe sich auf alle Arbeiter über 15 Jahre erstrecke. Die wirthschaftlih höher stehenden Arbeiter unterwerje man in dieser Vorlage dem Zwange; Diejenigen, welche niht unter diesen Zwang fielen, würden es um so s{chwerer empfinden, sih anderen Kassen anzuschließen, als sie selbst für sich keine be- sonderen Kassen bilden fönnten. Beispielsweise fielen die Familienangehörigen des Arbeiters nicht unter die Zwangs- kassen. Solle der Arbeiter nun für diese besondere Kassen begründen? Der den Familienangehörigen gestattete Beitritt sei unpraktish, weil die Zwangskasse nur auf die dem Zwang angehörigen Kategorien eingerichtet sei. Am Nachtheiligsten sei aber die Neuerung, zur Durchführung des Zwanges die Form der Gemeindeversiherung einzuführen. Die Gemeinde- versiherung unterscheide sih von den bisherigen Ortskassen- Verbänden dadur, daß bei der Gemeindeversiherung der Arbeiter keinerlei Antheil an der Verwaltung habe. Hier hôre also das genossenschaftlihe Element der korporativen Zusammenfassung vollständig auf. Allerdings wolle die Vor- lage die Gemeindeversiherung nur äußerst subsidiär als Ver- siherungsform gelten lassen. Jn der Praxis aber werde sie in Folge des Einslusses des Trägheits- moments die herrschende werden. Was solle der Bürgermeister, Regierungsdezernent für ein Jnteresse haben, si erst zur Ein- rihtung der Kassen mit Vertretern der Arbeiter zu benehmen ? Sie hätten es ja bequemer, wenn Sie die Form der Ge- meindeversicherung wählten. Die sogenannte Schreiberwirth- haft und Bureaukratie bei den Behörden werde durch dieses Geseg ganz außerordentlih ausgedehnt werden. Als unterstes Organ werde der Polizeidiener bei der Gemeindeversicherung fungiren zur Ueberwahung, ob die als frank gemeldeten Arbeiter auch wirkli krank seien, und die Unterstüßung ver- dienten. Das nenne man doh nicht korporatives Zusammen- fassen. Bei der Gemeindeversicherung trete das Verhältniß von Leistung und Gegenleistung mehr zurück, und der Beitrag der Arbeiter nehme den Charakter einer Krankenbesteuerun

an. Allerdings gestatte der Gesezentwurf den Gemeinden au

Erhebung dieser Krankensteuer zu verzichten. Glaube man, daß die Gemeinden, über deren Belastung hon jeßt überall geklagt werde, dazu im Stande seien ? Wären sie dazu im Stande, so würde die Deckung der Krankenkosten aus der Ge- meindekasse thatsählih auf einen Zushuß zum Arbeitslohn aus dem allgemeinen Steuersäckel hinauslaufen. Gewiß solle die Gemeinde Demjenigen, der sich nicht mehr selbst helfen könne, Beistand leisten. Aber man werde do nicht etwa die anze Klasse der Arbeiter von vornherein derart zu Unter- ützungsbedürfnissen degradiren wollen. Für den, der die meisten Arbeiter beschäftige, würde die Gemeinde auch den größten Zuschuß zu bezahlen haben. Zuleßt laufe dies auf eine Prämie der Gemeinde zur Unterstüßung der Großindustrie hinaus. Der Druck für den Arbeiter sei übrigens derselbe, ob dem- selben nämli der Beitrag vom Lohn abgezogen würde, oder

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