1883 / 92 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 20 Apr 1883 18:00:01 GMT) scan diff

ob derselbe ihm in der Form einer anderen Steuer abgezogen werde. Unter die s{limmsten und s{werwiegendsten olgen zähle er aber den Umstand, daß die Arbeiter von der sreien Theilnahme an Gegenständen, die für sie so eminent wichtig seien, ausgeschlosen würden, daß ihnen die Selbstgestaltung ihres Schicksals zum Besseren vershränkt werde. Wie solle man denn die Arbeiter in die Selbstverwaltung einführen, wenn man sie da auss{ließe, wo ihr Urtheil mit das kompe- tenteste sei ? Redner kritisirte nun die einzelnen organisatorishen Bestimmungen des Entwurfs in absälligem Sinne und na- mentlih dea Umstand, daß der Arbeiter jeßt für die Even- tualität solher Unfälle Beiträge zu leisten habe, für welche der Arbeitgeber nah dem eßigen Hastpflichtgeseß schon allein baftpflichtig sei. Wie sich danach auch die Fnvalidenver- sorgung gestalten solle, sei ihm unerfindlih! Allerdings sei dafür das Tabackmonopol, das „Patrimonium der Ent- erbten“ wohl auserschen. Eine dritte Etage über diesem Projekte baue sich nun çar auc in einer Versicherung gegen riangelnd-: Arbeit aus! Sg@hließlih werde für das freie Ver- siherungêwesen auch nit das geringste Eckchen übrig bleiben! Aber die \{limmste Konsequenz des Zwanges bleibe do immer die Aufhebung der Selbsthülfe, der eigenen Verant- wortlihkeit. Man nähre durch solche Geseße die Vorstellung von ciner übzrtricbenen Macht des Staates, und daß in dem- selben der Ausgleih für alle Uebel dieser Welt gefunden werden könne. Daß die Konservativen alle Gescze des Kanzlers annähmen, das wundere ihn nicht, aber daß das Centrum auf diesem Gebiete mit ihnen gleihe Wege wandele, sei ihm sehr auffällig. Von vielen Liberalen seien die neuen Projekte dem Kanzler erst mundgerecht gemaht worden; dann sei derselbe ihnen allerdings zu weit gegangen, aber man könne si hieraus die Lehre ziehen, daß es sehr schwer sei, mit dem Reichskanzler bis an das Ende aller seiner Wege zu gehen. Auf keinem Ge- biete sei ein falscher Schritt so nachtheilig wie auf diesem. Möchte man doch hier die Erfahrungen vermeiden, die man mit dem Unfallversiherungs8geseß gemacht habe, welches schließlich vom Bundesrath abgelehnt sei. Der Reichskanzler habe da- mals selbst zugestanden, daß er sich über den Werth seiner eigenen Voríage getäuscht habe. So wie in der jeßigen Botschaft sei hon damals in derjenigen vom 17. November 1881 die Zuversicht ausgesprochen, daß die verbündeten Re- gierungen sich mit dem vom Reichstage angenommenen Ent- wurf in voller Uebereinstimmung befinden würden. Es empfehle sich nun, nah der zweiten Lesung dieses Gesebes, das Unfallversiherungëgesey im Plenum zu berathen. Man würde dadur der Sache selbst auf den Leib gehen, und warum solle man nicht die ganze Kraft auf diese Arbeits- geseßgebung zuscezen? Könne da nicht die Etatberathung zu- _rüdckbleiben?“ Könnte man niht auch, um Zeit zu gewinnen, etwa den „Schhwerinstag“ bei Seite segen? Er appellire au, um die Sprache der Botschaft zu reden, an den bewährten und treuen Sinn für Kaiser und Reich bei dem Minister von Puttkamer, daß derselbe auf die Erledigung der Verwaltungs- geseße im Abgeordnetenhause verzichte. Gerade bei dem regen Interesse, welches das landesväterlihe Herz des Kaisers an der sozialen Reform nehme, sollte man nicht die Be- rathungen des Reichstags durch die Konkurrenz des preu- bischen Landtages schädigen. Die erste Antwort auf die

Botschast müßte vom preußischen Staats-Ministerium gegeben werden, indem es alles zurückstelle, was die Erledigung der

sozialen Geseze hemme. Allerdings müßten dann auch andere Vorlagen vor dieser Sozialreform zurücktreten. Warum habe man dies Haus vor der Erledigung dieser Reform mit den Krähwinkeleien der Gewerbeordnung befaßt ? Könnten nicht auch der Forstfiskus und die Kavaliere, die an der Erhöhung des Holzzolls interessirt seien, auf diese Erhöhung bis nah der Erledigung der sozial-politishen Vorlagen warten? Dies Haus hâtte ferner einen vollen Tag früher die heutige Be- rathung beginnen können, hätten nicht die Konservativen ihren Antrag auf oblizatorische Arbeitsbücher gestellt. Die Herren auf der Rethten hätten alle Ursache, dem Minister Schoiz Dank zu wissen, daß derselbe, gerade als sie mit ihrem An- trag die Rechte und Freiheiten der Arbeiter angegriffen hâtten, durch Verlesung der Botschast die öffentliche Aufmerk- jamkeit abgelenkt have. VerantwortliÞ für die Ver- zögerung der heutigen Diskussion seien die Regie- rung und die geschäfteleitenden Parteien. Warum fei denn die Tabackmonopolvorlage damals das leßte Ideal des Kanzlers gleichzeitig mit den sozialpolitischen Vorlagen vorgelegt worden. Der Reichskanzler habe so oft gesagt, derselbe brauche eine Quittung, er wolle durch die Vorlage des Tabackmonopols, wenn es auch aussichtèlos sei, der Verantwortlichkeit überhoben sein für die Fortdauer dieses oder jenes Zustandes. Wäre nicht das Quittungsbedürfniß des Kanzlers so ausgedehnt, dann wäre man in der Erledigung der sozialpolitishen Vorlagen schon viel weiter. Der unfruchtbare Streit über die formelle Verantwortlichkeit habe positive Schöpfungen der Geseßgebung verhindert. Die anderweitigen Vorlagen seit Einbringung dieser Geseze hätten nit nur formell, sondern auch materiell auf die Arbeiter- interessen eingewirkt. Wenn fortgeseßt Geseße vorgeschlagen würden, wodurch den Arbeitern die unentbehrlihen Lebens- mittel vertheuert würden, wie sollten dann die Arbeiter noch Geld übrig behalten, um die Beiträge für die Krankenkassen zu leisten? Erst wenn sie ihren Tagesbedarf gedeckt hätten, könnten sie daran denten, etwas für Krankheitsfälle zurück- zulegen. Neue Arbeitergeseze sollten die Störung in der. Erwerbêtbätigkeit auëgleichen. Auf der andern Seite {lage man Gesehe vor, welhe den freien Erwerb immer mehr einshränkten und unter Polizeiaufsiht Fellten oder verstaailihten. Gewiß, das erkenne er an, habe es immer zu den besten Traditionen der preußischen Könige gelegen, die Geseßgebung im Jnteresse der kleinen Leute zu fördern. Jene Vorlagen aber aus den legten Jahren, die er erwähnt habe, ftänden gerade im shneidendften Widerspruch mit diesen Traditionen der Hohenzollern. Friedri der Große habe einmal gesagt er verdanke dies Wort dem Abg. von Kardorff €ér wolle dem armen Manne nicht Brod und Fleish durch Auflagen vertheuern, denn er sei „l’avocat des pauvres“, Heute wolle man die beftehenden Getreidezölle noh erhöhen. Unvergeßlih scien die Verdienste des Vaters des gegenwärtigen Kaisers, Friedri Wilhelm IIl, gebung desselben habe das direkte Steuersystem geschaffen, um die Verbrauchéabgaben zu vermindern, während jeßt die direkten Steuern vermindert, dagegen zum Schaden der kleinen Leute die Verbraucësteuern ins Ungemessene gesteigert würden. Die Stein-Hardenbergishe Gesetzgebung hade es dem kleinen Mann möglih gemacht, zu freiem Erwerb und

Die Gesctz- |

von wie großer Witigkeit es sei, alle Rehte des Bürgers zur Selbsthülfe frei f machen. Jeßt griffen in der Gesezgebung die entgegengeseßten Grundsäße Plaß. Die Schöpfungen Friedrih Wilhelm 111. seien später Grundlagen der Reichsgeseßgebung geworden. Jeßt sollten diese Grund- lagen wieder zerstört werden. Seine Partei vertheidige die- selben, um zu verhindern, daß Deutshland von seiner gegen- wärtigen Höhe wieder herabsteige. (Der Präsident ersuhte den Redner sich an §. 1 der Vorlage zu halten.) Ein alter parlamentarisher Brau gestatte es, am Schluß einer längeren sahlihen Auseinander- seßung auch einige allgemeine Gesichtspunkte zu entwickeln. Er schließe mit dem Satze: Kein künstliches taktishes Manöver, kein parlamentarishes Fechterkunststück werde im Stande sein, den cigentlihen Streitpunkt zu verhüllen ; so wenig wie früher werde €s jeßt gelingen, die Fortschrittspartei vor den Ar- beitecn, vor dem Volke, vor den Wählern ins Unrecht zu seßen.

Hierauf ergrif} der Bevollmächtigte zum Bundesrath Staats-Minister Scholz das Wort:

Es ift nit meine Absicht, meine Herren, dem Herrn Vorredner in den Ausführungen, die er zur Sache gemacht hat, zu folgen. Ich nehme nur aus dem letzten Theile seiner Rede Anlaß zu einer furzen Erwiderung, die, wie ib glaube, nicht aufgescoben werden fann. Fh würde mib nur dankbar gegen ihn äußern können nach der Er- kiärung, daß er und seine Freunde bereit seien, bald na Beendigung der Verbandlung über das Krankenkafsengesetz sofort in die Berathung des Unfallversicerungsgesetes cinzutreten und fie zu Ende zu fükbren. Das bat der Herr Abgeordnete an einer Stelle gefagt, und er hat damit wohl von si und seinen Freunden jede Verantwortung abzu- lehnen versubt; wenn diese Gesetzgebung nicht rasch und nit bald zu Stande käme, seien sie dabei außer Sculd.

Er hat diesen Vordersaz dann benuut, um gleib in ciner Summe von Anilagen gesen Icdermann die Gründe anzudcuten, weshalb es zu einem so glücksiden Resultate sciner Meinung na dob nit fommen wird. Ih möchte deshalb besonders darauf hinweisen, daß Hr. Richter felbst nab jenem scinem Anerbieten, weldes nah außen den Eindruck macben könnte, als bestehe inner- halb der Fortscrittspartei die Neigung, daß man noch in der gegens wärtigen Session die Unfallversiwerung vollständig zum Auëêtrag bringen könnte, später jene Aeußerung sehr cingescbränkt hat, und zwar dabin, daß in pleno vic[leict nur einige Prinzipien zu berathen sein würden, auf Grund deren dann eine Kommission oder noch besser die Regierung zur näbsten Session cine anderweitige Vorlage maden könnte. Ich konstatire, daß also von einem Fertigwerden der Unfallversicerung in dieser Session aub nab der Meinung des Hrn. Abg. Richter abselut keine Rede sein würde; denn mit dem Gewinn einiger Prinzipien, die durch eine Resolution oder sonstwie i weiß nicht, wie er es sib gedat hat irgendwie festgestellt werden, würde aub den Arbeitern noc absolut nit geholfen sein, dann würde die Sabe noch ziemli genau in demselben Stadium sein wie jetzt.

Es ift also gar keine Méglidbkeit, von diesem Standpunkte, wo man weiter nichts praftisch bietet, als die Vereinbarung über einige Prinzipien, folde Vorwürfe zu erheben, wie wir fie eben gebört haben. Dieselben ricteten sid einerseits gegen die Gescbäftsleitung dieses Hauses; das geht mi ni%ts an; in diefer Beziehung kann ich also aub nit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten spezteller entgegentreten wollen. Andererseits waren jene Vorwürfe aber ge» ridbtet zunäbst gegen die Person meines Kollegen im preußischen Staats-Ministerium, Hrn. von Puttkamer; fie gingen dann über auf das gesammte vreußisbe Staats-Ministerium, welbes nab der Meirung des Herrn Abgeordneten den Absichten der Allerböcbsten Botschaft entgegenhandele, indem es in dem preußischen Land- tage die Berathung der dort vorliegenden Gesetzentwürfe über die Verwaltungsreform weitergefördert wissen wollte. Ich muß cs nun zurückweisen als eine völlig mißverständlibe und unzuläfsige Auf- fassung, daß die Thätigkeit des Königlichen Staats-Mininisterii in Preußen auf Ziele geritet sein könnte, die im Widerspru mit dem Allerbêcsten Willen selbst si befänden. Ib muß auc kitten, nit zu vergessen, daß es si bei dem Zusammentagen von Reicbétag und Landtag nur um einige 70 Mitglieder bandelt, und do nidt fortwährend zu identifiziren, als ob die 400 Herren, wel&de den Meichêtag bilden, und die 400 Herren, welche das vreukishe Abgeordnetenhaus bilden als ob eben das cin und daëseclbe sci, und cs ist daber au überbaupt unberetigt deduziren zu wollen, als ob obne Weiteres eine Vorlage aktfolut uns erledigt gelasscn, oder zurückgezogen, oder unterbrochen werden müßte, weil sonst wie die Regierung das ja längst vorausgesehen und ibrerscits auf anderem Wege zu verbüten gesubt hat —, weil sonst das Zufammentagen dieser beiden Parlamente nothwendig sein könnte.

Der Herr Abgeordnete hat alsdann, ansceinend freilid weniger als Tadel der Regierung, wie als Tadel der Gescbäftslcitung des Hauses, geäußert, daß die frühere Berathung der Gewerbenovelle und die noÞ bevorstebende Berathung der Holzzölle dem Bestreben Eintrag gethan habe und thun würde, die UnfallversiWerung zu Ende zu bringen. Ich glaube, das das nit richtig ist, ich kann aber meine Ausfübrungen dagegen glei rerbinden mit dem vierten Vorwurf, der wieder allcin gegen die Regierung gerilet war, und dabin ging, daß die Regierung selbst dur die Vorlagen, die sie seit dem vorigen Iabre dem Reicstage unterbreitet babe, dazu beigetragen babe, die Fortscritte der Berathung und der Beschlußfaffung des Hauses auf dem sozialpolitis&en Gebiete unmögli zu machcn. Das sei zunädbît gesceben durch die Vorlag? des Tabackmonopol®s. Nun, meine Herren, ih glaube aub nit zu irren, wenn ih sage: îinner- balb dieies boben Hauses bat die Berathung des Tabackmonopols verbältniftmäßig keine große Zeit in Anspru genommen; selbst die Kommission, die zu der äußcrst wichtigen Vorberathung eingeseßt wurde, bat zum Erftaunen Aller vor Pfingsten voriaen Jahres bereits ibr großes Werk vollendet, und es_ find also wenige Plenar- terathungen, die darauf verwendet worden sind. Wenn Sie allerdings, was ja aber die Mitglieder dieses hoben Hauses nit betrifft, in An- \@lag bringen, was an Worten und an Geld im Reiche ausgegeben worden ift, um dieser Vorlage der Regierung das Ende zu bereiten, was Le bier gefunden bat, dann ergiebt si freilid ein fehr großer Krast- und Zeitaufwand, den jene Vorlage gekostet hat. Das mag im Lande alerdinas s:br gehindert baben, Zeit und Kraft der fozial- politisben Gesetzgebung zuzuwenden. Meine Herren, mit den Faktoren außerbalb dieses Hauses bat die Reicbêregierung bier aber nit zu re@nen, und id bestreite daher auf das Bestimmteste, das die Rorlage des Tabackmonopols im Hause irgend ein Hinderniß gewescn ift, mit der Unfallversiherung und den sonstigen Plänen auf sozial- volitishem Gebiete ecnergisch und wirksam vorzugehen. Im Gegen- tbeil, denfen Sie fc, daß die Agitation gegen das Tabackmonopvel nit so umfangrei, nit so erfolgreid gewesen wäre; denken Sie | fi, daß wir zur Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs gekommen | wären, so würde die Regierung den Ruhm gehabt haben, auf diesem | Wege aub bereits für diejenigen Mittel, die etwa auf sozialpoli- tiswdem Gebiete vom Staate in Ansrrub zu nehmen sein mödten, gesorat zu haben. Nab der Auffassung der Regierung war es jeden- falls die lebhafteste, die denfbar beste Fürsorge, die ste für diese Art der Gesctzaebung üben konnte, als sie das Tabackmonopvolgeseß vorlegte. | Der Herr Abgeordnete hat dann aber ausgeführt, daß die Regierung

dur& Zolltarifänderungen, durch Vorlagen, welche nur den Quittungs- bedürfnifssen des Herrn Reichskanzlers ihren Ursprung verdankten, dur{ Vorlagen, welbe in Widerspru mit den Traditionen des Hoßen- zollernsden Königébauses ständen, weiter dazu beigetragen habe, die Thätigkeit der Gesetzgebung für die arbeitenden Klassen zu bemmen. Gegen solche allgemeinen Inkriminationen, meine Herren, ift es ja idwer, wenn nit unmögli, irgend mit greifbaren Gegengründen auf-

angedeuteten weiteren sozialpolitishen Maßregeln ins Auge faßt,

wenn man ernstlib an fie herangehen will, wenn man von den

Schwierigkeiten tief durchdrungen ist und allem Dem zustimmt, was

in diesec Richtung von Allerhöchfter Stelle selbft dem Reichstage gesagt

worden ist, jo wird man do nun. und nimmermehr dabin kommen, zu

sagen, im Uebrigen müsse die Reich8gesezgebung nur so lange fill

stehen. Meine Herren, wir werden do alle Jahr eine Anzabl Be-

dürfnisse haben, die n:ben einer solchen Geje8gebung füglih auch

von Kräften im Reichstage so gut wie von Kräften der Regierung gefördert und zum Abschlusse gebrabt werden müssen. Wenn wir Mängel in unserem Zollwesen, wenn wir Mäagel in dem erst neuer- dings eingeführten neuen Zolltarif finden, so werden wir doch nicht sagen: weil wir jezt mit Unfallversicberungsgedanken beschäftigt sind

müssen wir Alles abweisen, was uns davon ab;iehen könnte, nament- lih die Verbesserung des Zolltarifs. Nein, meine Herren, so kann die Staatsverwaltung nun und nimmermebr dastehen, sie hat für die verschiedenen Aufga2ten verschiedene Kräfte, und ganz dasselbe spiegelt sich in dem hoben Haufe bier wieder, wo für die ver- schiedenen Aufgaben auch verschiedene Kräfte cintreten können, und wo aub nibt Eines das Andere aus\cließt. In der Art, behaupte i, sind nur Vorlagen dem Reich3tage zugegangen, wele sehr wohl mit einer ernsten und wirksamen Vecfolgung der fozialpolitisben Gesetze vereinbar find.

Ich babe aus dem erften Theile der Rede des Herrn Abgeordneten, da id doc jeßt das Wort babe ergreifen müfsen, nur zwei all- gemeinere Punfte noch die Absicht hier zu becühren. Wenn i ihm ridtig gefolgt bin, so ift sein Angriff gegen das Ktrankenkassengefet bauptsäblih dahin gerichtet gewesen, daß die Gemeindevcrsiberung darin Platz gefunden bat, daß der Zusammenhang mit dem Unfall- versicberungs8geseß niht gew2hct worden, und er hat Sie nun abzumahnen versubt, auf dem Weg? des Krankenkafiengesctzc® der Regierung Folge zu leisten, weil dieser erste Schritt zu weiteren Schritten verleiten würde und man neo gar nit absehen fönne, wobin das g:ht. Er hat Sie gebeten, die erste Etage nit mit- bauen zu helfen, weil man noch nit die zweite Etage kenne, noch viel weniger von der dritten Etage, der Alters- und Invalidenversor- gung, s recht cinen Vegriff maten könne. Ueberall dabei komme es auf das Wie an, das sei von Ihnen noc nit entwickelt, und deshalb set es dringend wünscbenswerth, daß aub bci dem ersten Geseßentwurfe {on die Ablehnung der seiner Meinung nach be- denfliben Grundrichtung eintrete. Ib meine, meine Herren, wenn es sid um groß: Gesetßgebungen handelt, um tief eins{neidende Fragen, wele im Flusse find, welbe ihre nothwendige weitere Entwickelung baben, welche nur ciner allmäligen Ueberwindung überhaurt zugäng- lid find, da kann man in dieser Weise nicht praktise Gesczgebungë- volitik ma@en. Ic seße den Fall, es wäre mögli gewesen, dem Reichstage einen Gesetzentwurf Über die Unfallrersiderung und zuglei einen über die Alters- und Invalidenversorgung und vielleicht noh den lettangedeuteten zur Versiderung gegen Arbeitsmangel vorzulegen. Meine Herren, glauben Sie denn etwa, daß das nun eben ein praktischer Vortheil gewesen wäre? Würden tenn dann nidt aus demselben Munde und vielleibt mit mebr Ret eben diese Vorwürfe kommen: „alles vom grünen Tische aus! Alles nicbts werth!“ Diese ganze Gesetzgebung muß erst Schritt für Schritt im Leben geprüft werden, im Leben erwacbsen, sich selbst entnrickeln aus den Anfängen! So denken wir über die Entwickelung der sozialpolitiscen Gesetzgebung, wir fangen mit dem Einen an, und mit Dem, was wir dalei lernen werden, was wir dabei an Erfahrungen gewinnen werden, mit dem wollen wir weiter geben, und wenn wic die Perspvettive zeigen, welhe von der Größe der Arbeit, von der Größe der Auf- gaben durchdrungen macben soll und die Mahnung enthalten foll, feine Zeit ungenükt vers{hwinden zu lassen, kann man darum do nidt andererseits sagen: nun wollen wir lieber nits, bis wir erst die zweite, dritte, vierte Etage kennen. Dann kämen wir einfa zu nis, und ih glaube daber, daß der Hr. Abg. Richter mit Ier, Mahnung ia diesem boben Hause gewiß keinen Beifall findet.

Im Uebrigen ershicn mir namentlib die Darlegung des Zu- sammenhbanges, den er unternahm zu zeigen zwischen den Bestrebungen der Regierung und denen der Sozialdemokratie, ebenso verfehlt wie der Saß, daß vom Staate und mit Zwang nits gescaff;n werden könne, was bcfser wäre, als Daëtjenige, was dadur vernictet wird. Er sieht blos Halbheit der Richtung in den Vorlagen, die do ganz son auf die Grundsäße hinausliefen, die auch von der Sojial- demokratie vertreten würden, wie er ja dann mit Triumpf die Lehren des Mantwesterthums gegenüberstellte, die eben allerdings den Vor- wurf der Halbheit nie erfabren können, denn nichts thun ift immer so sier und so ganz, daß dabei einfa nit zu deliberiren und zu transigiren is über Grenzen und Modalitäten.

Er sien mir aber do nit das Verständniß dafür ¿u baben, wel{e Berührungspunkte und welche Differenzrunîte besichen zwiscben der Sozialvolitië, zu der sib die Reibêregierung bekennt und zwischen den sozialistis&en Grundsätzen, welche die Partei der Sozialdemoëtcatie ibrerieits bat. Gewisse Berührungepunkte haben beide au die Regierung glaubt, daß mit dem Staate und mit dem Zwange gewisse Dinge zum gemeinen Besten in die Hand genommen und durcgefübrt werden müßen. Diesen selben Gedanken haben aub die Sozialdemokraten, aber gerade darauf kommt es nun an, das Maß zu finden, inner- balb dessen noch Recbt und über welchcs hinaus Unrecht ist; daß man wegen der Uebereinstimmung in jenem einen Grundgedanken {on die Stellung der Rezierung wirksam angreifen und sie verwerfen könnte, ift cin großer Irrtkum. Da fängt eben erst die Arbeit der Untecsucung an, wie weit die Folgesäue gerechtfertigt, wieweit fie sittlid richtig und nothwendig find, und wo fängt das schädliche Uebermaß an, wo werden sie fals?

Der Abg. Frhr. von Hertling befürwortete seinen Antrag. Daß er für die Arbeiter dieselben freundlihen Gesinnungen hege, wie der Abga. Richter, werde er dadurch beweisen, daß er si streng an die Sache halte. Dafür, daß die Gewerbeordnungs®- novelle vor dem Krankenkassengeseß zur Verhandlung ge- fommen sei, worüber der Abg. Richter si beklagt habe, hätten weder Centrum noŸH Konservative die Verantwortung zu tragen, sondern sie haben gerade das Umgekehrte beantragt. Er sei durhaus nit gewillt, die landwirthschaftlihen Arbeiter von der Versiherung auszuschließen, aber man solle fich dabei auf die Fälle beschränken, in denen diese Versiherung nöthig sei. Nirgend sei im Kommissionsdericht die Schwier1gkeit be- seitigt, daß für Land- und Forstwirthschastsarbeiter die Grenze zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur s{hwer zu ziehen sei, dagegen komme die Meinung derer, die die Verhältnifse niht genau kennten und nur die große Zahl der Unglüdsfälle in landwirthschaftlihen Betrieben beahteten, niht auf. Er halte das Prinzip, das in der Regierungsvorlage zum Ausdrudck fomme, für ein sehr gesundes. Er halte es nicht für gut, erft für Landarbeiter die Zwangeversicherung einzuführen, und danach dieselbe von den Gemeindebeshlüssen abhängig zu machen, Seine Gründe für diese Meinung lägen in dem, was er für die Wurzel und für das Ziel der ganzen Zwangsversicherung halte ; die Basis derselben sei die eigenartige Entwickelung der deutshen Jndustrie; wolle man nun mit der Zwangsversiche- rung über die von der Jndustrie gegebenen Grenzen hinaus, so müsse man prüfen, ob man damit nicht die Grenzen der Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit überschreite. Der BVersiche- rungszwang werde ausgesprochen, weil derselbe als ein geeig- neter Weg erscheine, den Arbeiter dagegen zu schüßen, daß dem Arbeiter aus unvermeidlihen Vorkommnissen ein völliger sozialer Ruin erwachse, weil das Existenzminimum der Arbeiter nicht geeignet sei, den Arbeiter auch für die Zeit der Krank- heit und Erwerkslosigkeit hinweg zu führen. Der Versiche-

Besig zu gelangen. An der Spige der damaligen Geseß- gebung feien die Grundsäße verzeihnet, welche befunden

zutreten. Ib möchte - dagegen nur das noch erwähnen, wean man errstlih die Aufgabe der Unfallversiherung und der von der Negterung

rungszwang könne nur innerhalb ganz gewisser Grenzen ein-

treten; er glaube nit, daß dies der einzige We

erstrebten Ziele sei England habe ja den Weg e g fe an

Koalition gezeigt, auf dem dasselbe erreiht werde

aber der Versiherungszwang sei zweifellos der siSerste

Weg. Die Geschihte der Entwickelung der Lage der

englischen Arbeiter zeige indeß nit lauter nachabmenswcrthe

Blätter. Weil er den Versicherungszwang nur innerhalb

gewisser Grenzen wünsche, sei er auch gegen den Antrag Blos

der weit über die Klasse der Arbeiter hinaus einen allgemei- nen Versiherungszwang wolle. Auch gegen den vom Abg

Ritter begründeten Antrag Ausfeld wende er si; er sei er-

staunt, zu hôren, wie der Abg. Richter hierbei zuerst die Selbft-

verwaltungsbehörden vertheidigt habe, um sie nachher als träge, und für den Arbeiter nit sehr wohlwollende Jnstitute binzuftellen. Auch wenn man fi der utopistishen Hoffnung hingebe, daß die freiwillige Verficherung zu so großen Ergeb- nissen fübren werde, so glaube er doch nicht, daß überall, wo das Bedürfniß dazu da sei, si sofort eine große Kasse bil- den werde. Auch sei der wihtige Umstand zu bedenken, daß bei diesen Kassen der Arbeiter leiht seine Prämien verlieren könne. Der Abg. Richter habe namentlich seine (des Redners)

Freunde vor den Zwangskassen gewarnt, weil sie die kirchlichen

Korporationen stören würden; er freue sich über dies Interesse des Abg. Richter für die katholishen Kor- porationen , aber diese seien jezt erstens zerftört, und wenn sie wieder zum Leben erwachen würden, so werde ihnen auh neben den Zwangskassen Gelegenheit zur Wirksamkeit bleiben. Die Vorlage weise mit Ret darauf hin, daß bei landwirthschaftlihen Arbeitern die Naturalleistung in großem

Umfange bestehe, und daß es nickt gut sei, die Geldbezablung

einzuführen, was mit der Einführung der Zwangskassci: für diese Arbeiter nothwendig verbunden wäre. Gerade auf dem

Lande, besonders im Westen und Süden Deutschlands, über- nehme der Landwirth die Pflege des erkranften Arbeiters, urd das würde na der Einrichtung der Zwangskassen fortfallen. Endlich halte er den Gedanken der Vorlage für rihtia, bei der Krankenkassengeseßgebung die kleineren Verbände subsidiär heranzuziehen, was bei der Unfallversiherung niht möglich jei ; er glaube, daß diese rihtige Tendenz verleßt werde, wenn man die landwirthschaftlihen Arbeiter mit eins{ließe. Oder glaube man, daß man die wohlorganisirten Ortskassen für die Landarbeiter gründen wolle? Nach dem Geseß sei es ja mög- li, aber in der Praxis werde man es \{werlih einführen. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit, wie aus jolchen der Sozial- politik bitte er also, die Regierungêvorlage anzunehmen.

__ Der Abg. Dr. Buhl entgegnete, der Abg. Ritter habe die Kommissionsarbeiten lebhaft angegriffen, und einen Theil derselben naiv genannt, vergleiche er dieselben aber mit den Vorschlägen der Forts{rittspartei, so bestehe zwischen beiden ein so großer Unterschied für die Arbeiter niht. Auch die Fortschrittêpartei lege einen Zwang auf, gebe denselben aber in die Hände der Kommunalbehörden. Manchmal trete die Kommunalverwaltung wohl mit der nöthigen Objektivität Kenntniß und Uneigennüßigkeit auf, und die Norddeutschen hätten ja darüber {hon Erfahrungen; bei den Süddeutschen seien diese Einrihtungen weniger eingebürgert, und dieselben verdienten doh au Berücksichtigung. Der Zwang bleibe also für die Arbeiter der gleiche, und wenn man die Ortsstatute zulasse, so müsse man viel Bestimmungen treffen, wieviel Beiträge der Arbeiter und wieviel der Arbeitgeber liefern müsse; die Kommission habe genau die Pflihten und die Rechte des Arbeiters auf rehtsgiltiger Grundlage fixirt, die Fortschrittspartei aber wolle es auf dem Wege des Orts- statuts. Der Abg. von Hertling habe {hon den Wider- spruch zwishen der Richtershen Beurtheilung der Kom- munalverwaltung bemängelt, sofern sie für das Orts- statut nöthig sei, und insofern die Gemeindeversiche- rung eintrete. Das Statut schaffe keine allgemeine Staats- omnipotenz, sondern gebe nur die allgemeinen Normen an und lasse dem Staat im Uebrigen nur ein Qufsichtsreht. Der Abg. Richter habe nicht Rücksicht darauf genommen, daß die Gemeindekrankenversiherung nur den Uebergang bilden solle zu der vollendeteren Ortskrankenversiherung. Die Ge- meinde müsse eintreten, sobald 2 Prozent der Beiträge der Versicherten nicht ausreihten. Die Kommission habe ja aber au den freien Hülfskajsen vollen Raum gelassen, und in dieser Beziehung die Vorlage noch erweitert. Der von dem Abg. Richter bemängelte Druck auf die Arbeiter werde aller- dings bestehen, aber in dieser Beziehung würden eben die jeßigen Zustände nit geändert werden. Nach dieser Richtung hin halte er die Regierungsvorlage für durch die Kommij- sionsarbeitin wesentli verbessert; hiermit sei eine Sicherheit gegeben, die diesen jedenfalls ins Dunkle gethanen ersten Schritt der sozialen Geseze erleihtere. Der Abg. Richter tlage, daß die Leistungen dieser Kassen ungenügend seien ; bei der Gemeindekrankenversiherung sei eine Maximalleistung fixirt, aber sie werde im Verhältniß zur Leistung der freien Hülfskassen eine viel höhere, wenn man die Kosten für den Arzt und die Arznei einrechne. Die 26 Woden der freien Hülfskassen seien gegenüber den 13 Wochen als Maximum der Leistung der Gemeindekrankenversiherung eine wichtige Leistung; sei aber die Gemeindeversiherung in die Ortskrankenversicherung über- geführt, so könne leßtere dasselbe leisten, wie die freien Hülfs- fassen. Er bestreite, daß man den Arbeitern dur die Vor- lage einen schwezreren Zwang auflege, als dur die Rihtersche Vorlage, und dabei schaffe jene das Sicherheitsventi!, daß die Belastung der Arbeiter innerhalb gewisser Grenzen bleibe. Der Abg. Richter warne vor der Vorlage, als dem ersten Sthritt zu mehreren nachfolgenden ; er behalte sih die weiteren Schritte, die er thun wolle, vor. Er verkenne nicht, daß dies ganze Problem mit der größten Behutsamkeit und Sorgfalt behandelt werden müsse, daß man sih bei dieser Gesetzgebung vor Fehlern sehr hüten müsse. Er halte aber als ehrlicher Mann das Krankenkassengeseß im Großen und Ganzen für keinen Fehler; er sei mit Vertretern der Arbeiter in Verbin- dung getreten, es seien dabei intelligente Vertreter aller Ar- beiterparteien gewesen, au solche, die Vertreter der äußersten Linken wählten, und sie alle hätten fich im Großen und Ganzen für die Krankenkassenvorlage ausgesprohen. Dieselbe werde vielleiht im Anfang Schwierigkeiten verursachen, die Gemeinde- \hreiber würden auf dies Haus s{hlecht zu sprehen sein, aber in dem Geseß werde man etwas scaffen, was sih sehen lassen könne. Wenn die landwirthschaftlihen Arbeiter unter dies Gesetz fielen, so werde es für 9 Millionen Arbeiter gelten; hei einem Durhschnittsgehalt von 450 # und 2 Proz. Krankenkassenbeitrag, fo handele es sich um die Ver- waltung von 80 bis 90 Millionen Mark, wodur die Verantwortung noch s{chwerer werde. Dem Antrag von Hertling könne er sih niht anschließen; auch er sei ein Vertreter des

landwirthschaftlihen Arbeitern für dur{führbar. Durch den Antrag von Hertling würden di2se Arbeiter niht ganz S E Versicherung aus8geshlofssen, sie trete nur ausnahmsweise ein er glaube aber, man solle fie in der Regel eintreten lassen; das habe mehr -praktishe als doktrinäre Bedeutung. Au der Landwirthshaftsrath habe sich in seinem Sinne ausge- sprochen, und zwar besonders wegen der Konkurrenz der Jn- dustrie mit der Landwirthschaft in Bezug auf gute Arbeits- kräfte. Die landwirthschaftlihen Arbeiter seien gewöhnli zum Beispiel die von ihm angestellten, auch kleine Besiger : bei diesen gerade werde durch längere Krankßeit ein Riß in die wirthschaftlihen Verhältnisse gemacht; sie unterlägen nicht dem Armenrecht, aber seien nach der Krankheit oft sozial ruinirt, und dem wolle eben die Kommisfionsvorlage abhelfen. Es gebe ja in dieser Beziehung Schwierigkeiten, wie z. B. bei der wandernden Arbeiterbevölkerung, aber diese seien nicht unüderwindlih. Auch gegen den Antrag Gutfleish wende er si, ja er möchte eher für den Antrag Hertling, als für den Antrag Gutfleish sein, der auch die gewerblichen Arbeiter ein- schließen wolle. Nah dem Antrag Gutfleish würden die be- fonders belasteten Arbeiterklafsen aus der Gemeindeversiche- rung ausscheiden, und das wäre sehr bedauerlih. Die höhere zerwaltungsbebörde, die in das Geseß gebraht werden solle Ee e Quelle cs Streites sein; er bitte also, teten Antrag abzule ission zu genehmigen. g abzulehnen, und den der Kommission zu _Der Abg. von Wedell-:Malckow erklärte, der Abg. Ri meine, die Geschäftslage des Hauses habe die Kraft des Reichs: tags getheilt. Habe derselbe damit das Präsidium gemeint jo wäre ér überzeugt, daß dasselbe diese Znsinuation zurück- weilen werde; hade der Abg. Richter aber die Majorität des Hautes, zu der auch er (Redner) gehöre, gemeint, so müsse er aue dieje Fnsinuationen, als ob irgend wie die Arbeiten ver- s{leppt worden wären, auf das Entscziedenste zurückweisen. Wenn die Verhandlungen hingezogen worden seien, so sei dies durch die vielen langen Reden von der linken Seite und dur die namentlichen Abstimmungen, die die Linke veranlaßt hätte, geshehen. Der Abg. Richter habe ferner gesagt: Ein Arbeiter müße nach der Vorlage 9 .# zahlen, während dem- selben 1,75 #( Klassensteuer durch die Steuererla}se in Preußen erlassen seien. Dafür habe derselbe aber aut Anspru auf die Krankentassen-:Versicherung. Er begreife aber überhaupt nit wie man diesen Beitrag mit dem Erlaß der Klassen- steuer in Verbindung bringen könne. Solhe Wendungen wirkten auf das Volk und deshalb glaube er, dies ausdrück- lih wiederlegen zu müssen. Ferner habe der Abg. Richter den Ausdruck „Krähwinkelei“ von den Bestimmungen der Gewerbeordnung gebraucht. Er sei der Meinung, daß die Gewerbeordnung doh noch anders im Lande beurtheilt werde, und fürchte, daß die Herren auf der Linfen für dies „Krähwinfkelei bei den nächsten Wahlen sich etwas werden auseinanderfeßgen müssen. Ferner habe der Abg. Richter be- merkt: die Gemeindeorgane sollten cinmal alles bestimmen, und andererseits seien jie den freien Kassen gegenüber nitt in der Lage, die Sache ordentli zu organifiren. Das sei ein ihm unerklärliher Widerspru. Mit dem Abg. Buhl be- finde er si vielfa in Uebereinftimmung. Wenn derselbe von 9 Millionen Arbeitern gesprochen habe, so sei er der Meinung, daß das Geseg sich nur auf 51/, Millionen länd- licher Arbeiter beziehe. Es sei ihm {wer geworden, sih zu- nächst in das Geseg hineinzufinden. Er gestehe, daß hier ein shweres Gesez vorliege, und im ersten Augenblick werde wohl etwas Gutes faum geschaffen werden können. Was die Betheiligung der ländlichen Arbeiter an der Versiherung angehe, so sei die Frage vielfah ventiliut worden, und sei man noch verschiedener Meinung in den landwirtbschaftlichen Kreisen selbst. Vom deutschen Landwirthschaftsrath könne er nur sagen, daß dieser die landwirthschaftlichen Arbeiter in das Kranktengeseß aufgenommen wissen wolle. Persönlich stehe er, wie auch viele seiner Parteigenossen, auf demselben Stand- punkte. Er gehe dabei von dem politischen Gesichtspunkte aus, daß das Krankenkassengeses als Grundpfeiler der späteren jozialen Gesezgebung dahin führen solle, für die arbeitende Klasse das zu thun, was irgend in mens@&liher Kraft stehe. Nun könne man aber nit die 51/2 Millionen ländiiher Ar- beiter gleidstelen mit den Fabrikarbeitern und Jndustrie- arbeitern ; denn damit werde niht Zufriedenheit unter den Arbeitern hergestellt, im Gegentheil werde die Unzufriedenheit sih gerade in denjenigen Klassen vermehren, bei denen es bis jeßt gelungen sei, die verderblihen Lehren der Sozialdemo- kratie abzuhalten; und das sei für ihn ein Grund gewesen, sich für die Versicherungspfliht der landwirthschaftlichen Ar- beiter zu erklären. Dieser politishe Grund habe ihn von Anfang an dazu gebracht, für die Versiherungspfliht der landwirthschaft- lihen Arbeiter einzutreten. Daß gewisse Schwierigkeiten in der Ausführung vorhanden, namentlich wenn man einfache ländliche Verhältnisse denke, z. B. bezüglih der Anmeldung sei zugegeben; das könne aber von keiner Bedeutung sein. Es gebe auch Gegenden, wo die Grenze zwishen Arbeitgeber und Arbeiter schwer zu ziehen sei. Aber wer hindere, daß die kleinen ländlichen Besitzer, die wirklich nur Arbeiter seien, mit einem geringen Stück Land, im Wege der Selbstversiherung für die Zeit, wo sie niht bei einem andéren arbeiten, in der Versicherungskasse blieben. Bei der Landwirthschaft werde mit den Genossenschaftsprinzipien sich Manches machen lassen. Man könne eine Kreisfrankengenossenshaft konstruiren ; das werde wahrscheinlich auch das Resultat fein, zu welhem man in Norddeutschland kommen werde. Die Regierung habe ein großes Gewicht auf die nachbarlihe Sitte bei der Krankenunterstüßung gelegt. Das sei niht rihtig, wenn man dem Arbeiter ein Recht auf Unterstüßung zugestehe. Eine be- sondere Stellung nähmen bei der Frage noch die kontraktlich gebundenen Arbeiter ein. Für sie könne allerdings der Fall eintreten, daß sie bei der Versicherung jeßt weniger bekämen, als sie jeßt freiwillig vom Besißer erhalten. Wer hindere den Besiver daran, dies au in Zukunft zu geben? Was die Be- rechnung der Löhne und Naturalleistungen betreffe, die sehr schwierig sein solle, so lasse sih das ganz einfah machen. Er habe die Kommissionsvorlage vertheidigt, insbesondere . den S. la.; er bitte, denselben anzunehmen. Die Schwierigkeit werde die Landwirthschaft willig ertragen, wenn es fih darum handele, den Arbeitern eine sihere Stellung zu verschaffen, und sie den Jndustriearbeitern gleihzustellen. Die Amende- ments bitte er sämmtlich abzulehnen. An dem Gesetze sei vielleicht noch manches zu bessern. Seine Partei habe von der Einbringung von Abänderungsanträgen Abstand ge- tivrden i um die Vorschläge der Kommission niht zu ge-

Westens wie der Abg. von Hertling, aber er halte das Geseß auc bei

Persönlih bemerkte der Abg. Richter (Hagen), der Mi- nister Scholz habe fi die Polemik gegen ihn sehr ‘leiht ge- mat, indem derselbe sich Ausführungen suppeditirt babe , die er niht gemadt. Er habe nick&t vorgestlagen, über die Brin- zipien der Unfallverfiherung zu berathen, sondern über die grundlegenden Paragraphen des Geseges selbft, also dasjenige in Angriff _zu nehmen, womit jede Berathung eines Geseges beginne. Der Minister werfe ihm den Manthefterstandpunkt vor, die Verwerfung jedes staatlichen Zwanges. Gerade um- gekehrt habe er, um diesen wohlfeilen Einwand abzusHneiden, oemerkt, daß jeine Partei niht jeden Zwang verw-rfe fie wolle sogar eine Erweiterung des bestehenden Iwanges in He E: Seine Partei negire nit blos, sondern

c g t râge aa F C S S N “e - zeige M e ntcagen, was hne positiv der Vorlage gegen-

Der Präfident von Leve schl1ug vor, die nälste Si vas Cie A E Ines schlug vor, die nätste Sißung

Der Abg. Sonnemann beantragte, die oder 12 Uhr beginnen zu lassen. Der Reihhttag habe dur die Nücksichtsnahme auf das preußische Abgeordnetenhaus son zwei Tage verloren, aber eigentli sollte doch die Reice- geseßgebung vorgehen. Wenn der Reichstag nit bald zu Ende komme mit seiner Arbeit, so fürt§te er, werde aub der größte Eifer erlahmen, und man werde bald besGlutunfähige 0A purvies Unbekümmert um die 70 Mitglieder, die E s angebörten, müße der Reichstag jet an seine Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, daß man bei S@af- fung des Deutschen Reichs gerade darauf ein Gewißt geleat habe, daß ein gewisser Zusammenbang zwischen ber De ub sation der Einzelitaaten und des Reichs bestehe, wie dent die Organe der Einzelstaaten, namentli Preußens, aud im Reit hauptsächlih funktionirten. Sähen denn die Herren r:&t daf die Kontinuität in deneAnschauungen der Geseggebung Ves einzelnen Staaten und des Reis nur dadur mögli sei daß in beiden Häusern Männer säßen, die in b:iden Häusern Bescheid wüßten. a G

De Abg. Riert fragte, ob der Präsident dieses Hauses mit dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses für die nätfte Zeit ein Abkommen getroffen habe. :

„_ Der Präsident erklärte, daß nur für Freitag ein Ab- tommen getroffen sei. Jn Bezug auf die anderen Tage babe nur eine vorläufige Besprehung ftattgefunden, wona& die Sigungstage beider Häuser vertheilt werden sollten.

Die Abgg. Dr. Hänel und von Bennigsen wollten für die näGste Sizung noch keine bestimmten Anträge stellen baten aber den Präsidenten, daß er mit dem Präsidenten deé Abgeordnetenhauses einen allgemeinen Arbeitsplan feststelle, damit nicht an jedem Tage berathen werden müßte, was man in den nägsien 24 Stunden thun werde. E E Abg. Sonnemann zog darauf seinen

Der Abg. Diritlet forderte den Präsidenten auf, falls es nidt zu einem Arrangement kommen sollte, seinerseits obne Rüsicht auf den Landtag Sigzungen anzuberaumen. :

Der Abg. Frhr. von Minnigerode bemerkte, daß der Reihs- tag nah Ostern 14 Tage vollständig freie Hand gehabt habe, Warum habe man nicht statt der Gewerbeordnungsnovelle das Krankenkassengeseß berathen ? ; "a vertagte sih das Haus um 5 Uhr auf Freitag

Sigung um 11

Widerspru

Literarische Neuigkeiten und periodisheShriften, Preußisves Verwaltungs-Blatt. Nr. 28. Inbalt:

Die armenrechtilt&e F omntlion 20min 4-5 nd » F °

L è irewiltwe SFamlliengemein]/chaft n der Fudicatur des Bundeêamtes für das Heimathwesen. Erwerb des Unterstützuna5- wobnsites durd Aufenthalt. Gewöbnli&er Aufentba ‘und Anwen- dung des §. 13. R. U. W. G. Handlungereisender als Reisender obne feste Wohnung und ständigen Aufenthalt. lUnteriilituns aus einer Stiftung als ôöfentlibe Armenunterstü Erwerb und Ver- lust des Unterstütungêwohnsites; Ruben iftenlaufs während der Dauer der von einem enverbande gewäbrten notbwendiaeu Unterstütuna T Qin S S. A Mgen a BUng. LeUtunger : zur 1 bme der Armenpflege verpflibteten Gutspätters als Leistungen des Guts- armenverbandes. Erwerb 11 Verlust des Unterftützunas- Ruhen des Friftenlaufes äb er Daue der vom Gutêpäbter gewährten Unterf

bedürftigkeit eines behufs Verbringung in

temporär aus der Strafanftalt Entlafsenen. Stiefkinder. Hülfsbedüftigkeit der Stiefkinder. Absciebun Hülfsbedürstigen. Zur armenrettliden Familieneinheit. Er- stattungsansprub der Armenverbände, Beweislast des Beklagten be- zügli eines Dienstverbältsnisses, der Verpflegung im sanitätêpolizei- liden Interesse, der Unnotbwendigkeit einer längeren Krankenbausê- vflege. Erstattungsansprub der Armenverbände. Tarifmäfige Kosten ; außerordentlide Mebraufwendungen bei \bweren 2c. Krank- beiten, so Kosten der Krätsalbe und Arztbonorar bei Krätfranfbeit Ueébernabmevfliht der Armenverbände, Dauernde Hül?ébedürftig- keit. Oeffentliche Unterstüßung bülfsbedürftiger Auéländer, &. 64 des preuß. Auëführung2geseßes vom 8. März 1871, Das dur& Abs stammung erworbene Hülfédomizil nad Verlust der preußischen Staatsangebörigkeit. Oeffentlibe Unterstüßung bülfsbedürftiger Ausländer, §. 64 des preuß. Ausfübrung2geseßes vom 8. März 1871. Hülfsbedürftigkeit einer Familie. 1) Eigenthum an Wegekörper Uebergabe des (angelegten oder verlegten) Weges an den Unterbal- tungêévflibtigen, Enteignung und EnscbädigungêEregelung :c. in Beziehung zur ôffentlib-rebtliden Wegeunterbaltungévflidt. 2) Recbtliche Bes deutung der Vorschrift in §, 14 Absaß 1 Eisenbabngesetes vom 3. November 1838 und ihr Verbältniß zu §. 4 def. Geseßes. Ins8- besondere findet der §. 14 cit. aub auf dôffentlide Wege Anwen- dung? 3) Inwieweit ist ein Eisenbabnunternebhmer nad öffentlichem Ret zur Unterhaltung des von ibm gemäß lande8polizeilider An- ordnung angelegten oder verlegten öfentliben Weges allein oder in Verbindung mit dem ordentliben Wegebaupflitigen (so der Ge- meinde) verpflihtet? 4) Befugniß der Ortspolizeibehörde im Falle der Konkurrenz des Eisenbabnunternebmers mit dem ordentlichen Wegebaupflichtigen (so der Gemeinde) bei der Wegeunterbaltungslaft über den Umfang der jedem Theile obliegenden Verpflibtung Bes {luß zu faffen. 5) Gesibtëpunkte und Momente für die Bemessung der Umfanges der Wegebaulast des ordentlidben Wegebaupflicbtigen (so der Gemeinde) und des fonkurrirenden Eisenbabnunternebhmers, sowie für die Ausführung von Wegebauten, wele Gemeinden in Verbindung mit Eisenbahnunternebmern zu unternehmen haben. Entschädigungsansprub der Hauseigenthümer an ftädtisber Strafe für Verönderungen der Straße. i : Zeitscbrift für Preußisbe Gescbicbte und Landes- kunde. Heft Nr. 1 und 2. Inhalt: Die russishe Compagnie in Berlin. 1724—1738. Cin Beitrag zur Gesichte der brandenbur- gischen Tucbindustrie und des preußishen Erports im 18. Jahrbun- dert. Nebft einer Anzahl von Aktenstücken. Von Gustav S&bmoller. i „Ver F euerwehrmann. Nr. 15. Inhalt: Aus dem Rheinis-Westfälisben Verbande. Patentlifte. Deutscher Samariter-Verein. Die Auëftellung der Kruppsben Feuerwehr. -— Brandfälle 2c. Zum Brande des Berliner Naticnaltbeaters.

-118 va D

ontrafttli

wona S + D L s

Ein Vertagungsantrag wurde angenommen.

Eine originelle Feuerlöswordnung. Feuilleton.